14

»Der Tee ist fertig. Möchtest du welchen?«

»Ja, bitte«, antwortete Rhapsody. Noch einmal sah sie sich in dem Raum um, während Ashe mit den feuchten Zweigen, die er hinter der Hütte gefunden hatte, ein Feuer aufschichtete. Sie trat zur Feuerstelle und schob den kleinen Schirm beiseite.

»Der Tee steht auf dem Tisch«, sagte Ashe.

»Danke.« Rhapsody sah auf das Holz. Noch einen Augenblick zuvor war es grün und nass gewesen; jetzt hatte es den Anschein, als wäre es mindestens ein Jahr getrocknet worden jede Spur von Feuchtigkeit war verschwunden. Sie berührte das Anmachholz, sprach das Wort für Zündung, dann das für Nahrung, und schon stoben die Funken empor und setzten die Scheite in Brand. Rhapsody lächelte und sah Ashe an, der gerade ganz nebenbei das Handtuch, das er auf den Boden hatte fallen lassen, mit dem Fuß unters Bett schob.

»Hast du selbst eine Verbindung zum Wasser, oder besteht sie nur durch dein Schwert?« Sie stand auf, nahm den Becher, den er für sie auf den Tisch gestellt hatte, ging zu dem alten Stuhl hinüber und machte es sich darauf bequem.

Zuerst wirkte er erschrocken, doch dann entspannte er sich wieder, schnallte seine alte, ramponierte Schwertscheide ab, legte sie auf die Knie und strich mit der Hand über das narbige Leder. »Das ist schwer zu sagen. Inzwischen trage ich Kirsdarke schon so lange bei mir, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, jemals ohne dieses Element gewesen zu sein. Meine Familie bestand größtenteils aus Seefahrern, da liegt es wahrscheinlich in meiner Natur.« Rhapsody wartete, dass er weitersprach, aber er ging zur Feuerstelle und nahm den Schürhaken in die Hand. Sie rutschte auf dem Stuhl herum; er war so alt und das Polster so verschlissen, dass es schwer für sie war, aufrecht zu sitzen.

»Was ist es denn nun, das du dir von mir wünschst?«

Ashe bückte sich, um das Feuer zu schüren, und sie spürte, wie ein Prickeln über ihre Wirbelsäule lief, als widmete er sich nicht dem Feuer, sondern vielmehr ihr. Einen Augenblick lang fühlte sie Panik in sich aufsteigen, dann aber wurde ihr klar, dass das Gefühl von ihrer Verbindung zum Feuer kam und nicht durch etwas ausgelöst wurde, was Ashe absichtlich tat. Sie konzentrierte sich und schüttelte die Empfindung ab, während er den Ofenschirm wieder an Ort und Stelle rückte und ihr dann das Gesicht zuwandte.

»Was meinst du?«

»Nun«, antwortete Rhapsody und nippte an ihrem Tee, »du liegst mir seit Wochen damit in den Ohren, dass ich dir etwas über meine cymrische Herkunft erzähle. Das schien dir äußerst wichtig zu sein, und jetzt, da du mich überredet und eine Antwort bekommen hast, möchte ich wissen, was du mit deinen neu erworbenen Kenntnissen vorhast. Was willst du von uns? Oder von mir?«

»Nichts, was du nicht zu geben bereit wärst.«

Rhapsody seufzte. »Weißt du, ich bin wahrscheinlich keine gute Cymrerin, und mir gefällt es nicht mal besonders, eine zu sein. Leute wie du können um nichts in der Welt eine Frage ohne Umschweife beantworten.«

Wider Willen musste Ashe grinsen. »Du hast Recht, es tut mir Leid. Ich weiß, das ist nervtötend, aber es ist eine jahrhundertealte Angewohnheit, eingeimpft durch Erziehung, verstärkt durch Verfolgungswahn und Misstrauen, alles geschmiedet in den Schmelzöfen eines schrecklichen Krieges. So sind sie alle, fürchte ich, und ich gehöre sicher zu den Schlimmsten.«

»Das habe ich schon gemerkt. Ich meine, wie viele Leute laufen schon freiwillig in einem Nebelumhang herum, um sich vor den Augen der Welt zu verstecken?«

Durchdringende blaue Augen bohrten sich in ihre. »Wer hat gesagt, dass ich es freiwillig tue?«

Einen Moment lang konnte sie weder seinen Augen ausweichen noch etwas sagen.

»Entschuldige«, murmelte sie, als sie wieder ein Wort herausbrachte. »Als du mir zum ersten Mal dein Gesicht zeigtest, hatte ich das Gefühl, dass es nicht so war.«

»Warum?«

Rhapsody überlegte ihre Antwort genau. Bis zu dem Augenblick, als er seine Kapuze gelüftet und sich ihr gezeigt hatte, war sie davon ausgegangen, dass er auf irgendeine Weise entstellt war, Opfer eines Unfalls oder einer Kriegsverletzung oder vielleicht einer schwierigen Geburt. Sie hatte sich ihm deswegen verbunden gefühlt, denn manchmal erging es ihr selbst ganz ähnlich; zumindest kannte sie den Wunsch, sich vor den neugierigen Blicken zu verhüllen, mit denen sie auf der Straße so oft bedacht wurde.

Sie hatte ihr Gesicht immer wieder im Spiegel angeschaut und herauszufinden versucht, was so ungewöhnlich daran war. Irgendwann war sie zu dem Schluss gekommen, es müsse an ihrem Lirin-Erbe liegen; wahrscheinlich waren die Menschen in diesem Land solche Gesichter einfach nicht gewohnt und empfanden sie als fremdartig. Obgleich Rhapsody sich nicht für hässlich hielt, fühlte sie sich manchmal so, wenn jemand sie anglotzte. Aber Ashe war nicht hässlich. Im Gegenteil, sein Gesicht war schön und von einer Anziehungskraft, die man trotz seines struppigen Barts und der ungepflegten Haare deutlich erkannte. Obwohl er einfach gekleidet war und einen sehr muskulösen Körper hatte, hatte er etwas Aristokratisches an sich; seinen langen, starken und sehnigen Beinen nach zu urteilen war er viel in der Welt herumgekommen. Seine Schultern waren breit, die Taille schmal, wie bei einem Mann, der auf einem Bauernhof arbeitete, oder bei einem Holzfäller, und auch seine Hände hatten offensichtlich harte Arbeit und schwere Zeiten mitbekommen. Von dem Augenblick an, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, hatte Rhapsody gewusst, dass die Nebelwand eine Notwendigkeit war, keine Eitelkeit. Inzwischen war ihr klar geworden, dass Ashe gejagt wurde und dass seine Verfolger einflussreich und mächtig waren. Die schreckliche schwarze Wunde auf seiner Brust hatte sie in diesem Glauben nur noch bestärkt. Und in ihrem Herzen litt sie mit ihm, obgleich sie ihn doch nicht wirklich kannte. Der Regen trommelte heftig auf das Torfdach, und die Luft im Raum wurde feucht. »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte Rhapsody schließlich. »Was willst du nun von mir falls du etwas willst?«

Er ging zum Bett, setzte sich und warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Es wäre schön, dich als Verbündete zu haben. Deine Freunde natürlich auch, aber dich ganz besonders.«

»Warum mich ganz besonders?«

Er lächelte ein wenig. »Weil es mir so vorkommt, als wärst du eine Person, die man im Kampf gern um sich haben möchte.«

Rhapsody lachte. »Nun, ich danke dir, aber anscheinend kannst du einen Kämpfer schlecht einschätzen. Wenn du einem Feind gegenüberstehst, dann wünschst du dir besser einen Partner wie Grunthor. Oder Achmed!«

»Warum Achmed?«

»Achmed ist nun ja, er ist talentiert.« Sie beschloss, nicht zu viel zu verraten. »Bevor ich deine Verbündete werden kann, muss ich wissen, gegen wen oder was du kämpfst. Wirst du mir das verraten?«

»Nein.« Seine Antwort klang schroff und fegte ihnen beiden das Lächeln vom Gesicht. »Tut mir Leid.«

»Nun, das macht es wirklich schwer für mich, deine Verbündete zu werden.«

»Ich weiß.« Er seufzte tief.

»Traust du irgendjemandem genug, um es ihm zu sagen?«

»Nein.«

»Welch ein furchtbares Leben.« Rhapsody fuhr mit dem Finger um den Rand ihres Teebechers, den sie fast leer getrunken hatte. »Glaubst du nicht, dass es Dinge gibt, die es wert sind, ein Risiko einzugehen, etwas dafür aufs Spiel zu setzen?«, fragte sie sanft.

»Ich bin kein Spieler, fürchte ich. Nicht mehr.«

Schweigen senkte sich über sie, schwer und greifbar. Rhapsody warf einen Blick zum Feuer, das auf dem Rost knackte und zischte, und schaute dann wieder zu Ashe, dessen vertikale Pupillen vom Licht der Flammen noch betont wurden. Sie konnte den Blick in diesen Augen nicht lesen, aber er erfüllte sie mit einer Traurigkeit, die ihr das Herz schwer machte.

»Lässt du dir immer ein Hintertürchen offen?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

Rhapsody starrte in ihre Teetasse, dann trank sie noch einen Schluck. »Meine Vergangenheit ist ein Korridor voller Türen, die ich offen gelassen habe und die ich auch nicht zu schließen gedenke. Ich habe auch nie eine Tür absichtlich geschlossen, es sei denn, ich wurde dazu gezwungen; denn ich hege die Hoffnung, dass eines Tages alles wieder in Ordnung kommen wird, wenn ich mich den Gelegenheiten dazu nicht verschließe. Du möchtest nicht das Risiko eingehen, jemandem jetzt deine Geheimnisse anzuvertrauen, aber könnte es denn sein, dass du eines Tages dazu bereit wärst? Wäre das möglich?«

Ashe blickte lange ins Feuer. Dann endlich sagte er: »Ich glaube nicht. Ich glaube, diese Tür ist nicht nur verschlossen, sondern mehrfach verriegelt und verrammelt. Und versiegelt.«

Wieder trat Stille ein. Rhapsody stellte ihre Teetasse ab.

»Dann ist es vermutlich am besten, wenn wir unserer Abmachung treu bleiben und versuchen, nicht über die Vergangenheit zu sprechen«, meinte sie leise.

»Einverstanden.«

»Vielleicht aber sollte ich dir wenigstens in groben Zügen mitteilen, wofür ich zu kämpfen bereit bin, und wenn das zu deinen Zielen passt, wirst du wissen, dass ich deine Verbündete bin, selbst wenn du dich mir nicht anvertrauen kannst.«

Sein Gesicht hellte sich ein wenig auf, und die vertikalen Pupillen glitzerten. »Ja, das wäre ein Weg.«

»Gut. Erstens: Wenn du plantest, die Bolg anzugreifen oder Achmed den Berg wegzunehmen, dann wären wir Gegner.«

»Nein, das sind wir nicht.«

»Nun, das habe ich auch nicht erwartet, aber man kann ja nie wissen. Jeder, der einem Kind, einer unschuldigen Person, dem heiligen Baum der Lirin oder ihrem Wald ein Leid zufügen will, ist gleichermaßen mein Feind. Ich wünsche mir, dass der Frieden Wurzeln schlägt. Allgemein stehe ich auf der Seite der Verteidiger, es sei denn, ich habe gute Gründe dagegen. Jeden Vergewaltiger und jeden Kinderschänder, den ich auf frischer Tat ertappe, werde ich kastrieren.

Darüber hinaus werde ich mir vielleicht eines schönen Tages eine Ziegenhütte im Wald bauen, wenn die Lirin mich bei sich aufnehmen, und dort in Frieden leben, ohne einem anderen zu schaden, werde mich meinen Pflanzen widmen und an meiner Musik arbeiten. Irgendwann einmal würde ich gern eine Heilstätte gründen oder beim Erbauen einer solchen helfen, mit meinem Gesang Krankheiten und Verletzungen behandeln und anderen das beibringen, was ich kann. Wie ich dir schon gesagt habe, bezweifle ich, dass ich diese gefährlichen Zeiten überleben werde, deshalb setze ich nicht sehr viel Hoffnung in meine längerfristigen Ziele. Ich gehe davon aus, dass mich der Tod überfällt, während ich dabei bin, etwas zu tun, das die Welt auf diese oder jene Weise besser machen soll. Also bin ich deine Verbündete?«

Ashe lächelte. »Es klingt ganz danach.«

Rhapsody blickte ihn ernst an. »Würdest du es mir denn sagen, wenn es nicht so wäre?«

»Wahrscheinlich nicht.«

»Das habe ich auch nicht erwartet«, seufzte sie. In der Ferne hörte man Donnergrollen. »Ist das alles, was du dir von mir wünschst?«

Widerstreitende Gefühle spiegelten sich auf Ashes Gesicht, aber was er sagte, war klar: »Ich möchte, dass du meine Freundin bist.«

»Das möchte ich auch«, erwiderte sie und legte die Füße auf den Bettrand. »Und wenn du das bist, was du mir zu sein scheinst, denke ich, dass ich bereits deine Freundin bin.«

»Und bist du wirklich das, was du zu sein scheinst?«

»Durch und durch«, lachte Rhapsody. »Ich weiß zwar nicht, was ich dir zu sein scheine, aber ich bin, was ich bin. Ich fürchte, ich habe nie gelernt, meine Fehler zu verbergen, und ich bin sehr unkompliziert. Du weißt ja, dass ich versuche, niemals zu lügen, wenn ich nicht dazu gezwungen werde.«

Er horchte auf. »Wie kann man gezwungen sein zu lügen?«

Rhapsody dachte an Michael, den Wind des Todes, und das grausame Funkeln in seinen Augen, als er ihr seine Bedingungen unterbreitet hatte.

Du wirst meine Wünsche nicht nur befriedigen, sondern auch Lust und Engagement dabei an den Tag legen. Du wirst deine Liebe zu mir nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit Worten zum Ausdruck bringen. Wenn ich diesen Ort verlasse, will ich dein Herz gewonnen haben und es mit mir nehmen. Haben wir uns verstanden? Versprichst du mir, meine Gefühle für dich zu erwidern?

Sie schloss die Augen und versuchte, die Erinnerung an die Angstschreie des Kindes zu vertreiben.

Also gut, Michael, ich sage alles, was du nur hören willst. Lass sie gehen. Rhapsody kreuzte die Arme vor der Brust. Sie erinnerte sich noch allzu gut an Michaels triumphierendes Lächeln; entweder würde sie ihm wahrheitsgemäß sagen, was er hören wollte, oder sie würde lügen müssen, ein weit schlimmeres Schicksal. In beiden Fällen hätte er gewonnen.

»Du kannst mir glauben, es ist möglich«, sagte sie schließlich. Ihr Blick begegnete Ashes, und eine Sekunde lang raubte er ihr den Atem. Er hatte die gleiche blaue Iris wie Michael.

»Stimmt etwas nicht?«

Sie schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte Michael die gleichen blauen Augen gehabt, aber ganz bestimmt keine vertikalen Pupillen. Vielleicht wurde Ashe unter anderem auch wegen dieser fremdartigen Augen verfolgt.

»Nein, alles in Ordnung«, antwortete sie. Rasch trank sie ihren Tee aus und stellte die Tasse auf den Tisch neben ihrem Stuhl. »Ich hoffe nur, du wirst nie in eine Situation kommen, in der du gezwungen bist zu lügen. Es ist eines vom Schlimmsten, was es überhaupt gibt. Aber wie dem auch sei, ich denke, dass das, was du dir wünschst, durchaus möglich ist. Ich werde versuchen, deine Freundin und deine Verbündete zu sein. Natürlich kann ich nicht für Grunthor und Achmed sprechen, aber wenn ich ein gutes Wort für dich einlege und du nichts tust, um sie vor den Kopf zu stoßen, dann sind sie wahrscheinlich ebenfalls bereit, sich mit dir zu verbünden.« Sie sah, wie sich Ashes Miene veränderte und einen angeekelten Ausdruck annahm. »Was ist?«

»Tut mir Leid«, erwiderte Ashe zerknirscht. »Manchmal wundere ich mich noch immer darüber, dass du mit den beiden überhaupt etwas zu tun hast, vor allem mit Achmed.«

»Warum?«

»Weil er so abstoßend ist.«

»Du kennst ihn ja nicht mal«, gab Rhapsody ungehalten zurück. »Wie kannst du da so etwas behaupten?«

»Ich war jetzt zweimal Empfänger seiner Gastfreundschaft, und ich kann nicht behaupten, dass ich sie genossen hätte.«

»Das tut mir ausgesprochen Leid«, erwiderte Rhapsody aufrichtig. »Er kann schon ein bisschen schroff sein. Warum bist du geblieben?«

Ashe ging zurück zum Feuer und stocherte noch einmal darin herum. Aus irgendeinem Grund schienen die Flammen nicht gewillt, ihren Beitrag zur Erwärmung des Zimmers zu leisten.

»Deine und Jos Gesellschaft war mir immer angenehm. Und als du Elynsynos erwähntest, wusste ich, dass ich dir helfen konnte, sie zu finden. Ich bin einer der wenigen noch lebenden Waldhüter, die sich ihrer Höhle genähert haben.«

Bei dem Wort Waldhüter setzte sie sich auf. »Bist du ein offizieller Waldhüter?« Ashe nickte.

»Hast du bei Llauron gelernt?«

»Ja.«

»Ich war bei ihm! Er ist ein wundervoller Mann. Hattest du direkt mit ihm zu tun?«

Ashe stellte das Kamingitter wieder an seinen Platz. »Gelegentlich. Im Allgemeinen leitete Llauron aber die Ausbildung nicht selbst, sondern überließ sie Gavin, mit gelegentlicher Unterstützung durch Lark.«

»Ja, die beiden habe ich auch kennen gelernt. Lark hat mir eine Menge über Kräuter beigebracht. Aber entschuldige, ich habe vom Thema abgelenkt. Achmed ist in Wirklichkeit gar nicht so schlimm. Er hat eine harte Schale und eine ziemlich ungewöhnliche Weltanschauung, aber es ist eindeutig eine Bereicherung, ihn zu kennen. Er und ich haben viel gemeinsam.«

Ashe schauderte. »Außer dass ihr beide Cymrer der Ersten Generation seid, fällt mir da nichts ein.«

»Ich habe nie behauptet, dass Achmed ein Cymrer der Ersten Generation ist das hast du dir zusammengereimt. Aber was die Gemeinsamkeiten angeht zum einen scheint unser Äußeres die Leute in diesem Land zu stören.«

»Was?« Ashe staunte.

»Ja. Falls dir das noch nicht aufgefallen ist: Wir laufen beide am liebsten in Kapuzenmänteln herum, weil man uns dann nicht ganz so penetrant anglotzt.«

Verwundert schüttelte er den Kopf. Offensichtlich hatte sie wirklich keine Ahnung, warum sie alle Blicke auf sich zog, und dieser Umstand erstaunte ihn immer wieder von neuem.

»Achmed ist hässlich.«

Allmählich wurde Rhapsody wütend. »Wie voreingenommen du bist! Es ist einfach dumm zu glauben, dass man aus der äußeren Erscheinung einer Person auf ihren Charakter schließen kann.«

»Ich meinte aber seinen Charakter.«

»Du kennst ihn doch überhaupt nicht.«

Ashe lehnte sich neben dem Kamin an die Wand. »Du hast mir die Frage über ihn und dich immer noch nicht beantwortet.«

»Welche Frage denn?«

»Ob Achmed für dich ein möglicher Partner wäre ich meine, ob du ihn heiraten würdest.«

Die Worte blieben ihm fast ihm Hals stecken.

»Vielleicht«, antwortete Rhapsody nachdenklich. »Aber wir haben noch nie darüber gesprochen. Möglicherweise würde er schon den Gedanken daran entsetzlich finden, aber falls ich sehr lange lebe, wäre er wahrscheinlich meine beste Möglichkeit.«

Ashe sah aus, als wäre ihm übel. »Warum?«

Rhapsody zog die Knie an die Brust. »Hmm, lass mich überlegen. Er weiß mehr über mich als sonst irgendjemand auf der Welt, er durchschaut meine Stärken und Schwächen, und mein Äußeres scheint ihn nicht abzustoßen.«

»Rhapsody, dich findet niemand abstoßend.«

Sie ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Und ich glaube nicht, dass er von einer Ehe das erwarten würde, was andere vielleicht erwarten.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel Liebe. Achmed ist klar, dass ich kein Herz habe, und das scheint ihn nicht zu stören. Ich denke, er wäre mit dem zufrieden, was ich in meiner Begrenztheit zu bieten habe. Ich spreche natürlich nur in der Theorie. Wie gesagt, wir haben uns noch nie über diese Möglichkeit unterhalten.«

»Ich weiß nicht, Rhapsody, aber ich finde es schade, dass du deine Erwartungen an eine Beziehung, die du angeblich so hoch schätzt, dermaßen niedrig ansetzt.«

Wieder stieg Ärger in ihr auf. »Was spielt das schon für eine Rolle? Ich meine, bist du vielleicht der Wächter über meine ehelichen Zukunftsaussichten?«

Ashe wandte sich ab. Ohne die Anonymität, die ihm der Nebelumhang gewährte, war es wesentlich schwieriger, sich mit Rhapsody zu unterhalten. »Nein, das bin ich gewiss nicht.«

»Es kommt mir seltsam vor, dass du dich so aufregst, weil ich womöglich eine Ehe ohne Liebe eingehen werde.«

Nun sah er ihr wieder direkt ins Gesicht. »Mich überrascht es, dass du selbst dich nicht darüber aufregst. Dabei behauptest du doch, große Achtung vor dieser Institution zu empfinden.«

Rhapsody dachte nach. »Ein gerechtfertigter Einwand. Vermutlich bezieht sich dies für mich nur auf diejenigen, denen die Fähigkeit gegeben ist, eine liebevolle Ehe einzugehen.«

»Und zu denen gehörst du nicht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

Sie seufzte und starrte ins Feuer, das allmählich in Gang kam. »Ich habe der Liebe abgeschworen, ich habe ihr entsagt.«

Ashe ließ sich ihr gegenüber auf dem Bett nieder. »Warum? Bist du Mitglied irgendeines zölibatären Ordens?«

Rhapsody verschlug es den Atem, dann lachte sie. »Wohl kaum.«

»Warum dann?«

Sie schlug die Augen nieder und sah auf ihre Hände. »Im alten Land habe ich meine Fähigkeit, auf diese Art zu lieben, gegen etwas eingetauscht, das ich beschützen wollte.«

»Und was war das?«

»Ein Kind«, antwortete Rhapsody. Sie blickte wieder auf, und auf ihrem Gesicht lag ein überraschter Ausdruck; sie konnte kaum glauben, dass sie seine Fragen so mühelos beantwortete, wo er doch der Erste war, dem sie davon erzählte. Ashe senkte die Augen und wich ihrem Blick aus. »Du hattest ein Kind?«

»Kein eigenes, nein, aber ich wollte es trotzdem beschützen.« Ashe nickte. Rhapsody glaubte eine gewisse Erleichterung bei ihm zu spüren, aber er sagte nichts. »Jedenfalls habe ich geschworen, niemand anderen jemals zu lieben, und ich habe Wort gehalten.«

»Niemand anderen als dieses Kind?«

»Nein. Anscheinend drücke ich mich nicht klar genug aus. Ich habe einem Mann mein Wort gegeben, nie einen anderen zu lieben, bis die Welt untergeht.«

»Und wer war dieser Mann, den du geliebt hast? Was ist mit ihm geschehen?«

Rhapsody verzog das Gesicht. »Ich habe nie gesagt, dass ich ihn geliebt habe. Er war ein Schwein.«

»Da komme ich nicht mehr mit. Warum hast du geschworen, ein Schwein zu lieben?«

»Na gut«, seufzte sie. »Wenn es dir so wichtig ist, muss ich wohl die ganze Geschichte erzählen. Der widerlichste, gemeinste und grausamste Bastard, den ich jemals kennen gelernt habe, befand sich im Besitz eines unschuldigen Kindes, das er ohne mein Eingreifen wiederholt vergewaltigt und irgendwann schließlich getötet hätte. Als Gegenleistung dafür, dass er sie frei gab, schwor ich, nie einen anderen Mann zu lieben, und daran habe ich mich gehalten. Aber ich habe niemals behauptet, dass ich ihn geliebt habe.«

»Nicht bis zum Untergang der Welt, richtig?«

»Stimmt genau.«

»Wie konntest du diesem Mann nur einen solchen Schwur leisten?«

»Nun, wahrscheinlich hatte es etwas damit zu tun, dass ich es nicht sehr wahrscheinlich fand, jemals der Liebe zu begegnen, die ich mir gewünscht hätte.«

»Du hast das nicht erwartet?«

»Nein. Deshalb war es im Grunde gar kein so großes Opfer.«

Ein warmes Lächeln überzog Ashes Gesicht, er stand vom Bett auf und hockte sich vor Rhapsody hin. »Ich habe wundervolle Neuigkeiten für dich.«

»Was denn?«

»Wenn du jemals zu dem Entschluss kommen solltest, dass du doch wieder jemanden lieben möchtest, dann kannst du das, frei und ungehindert, ohne damit deinen Eid zu brechen.«

»Wie hast du dir das jetzt zusammengereimt?«

»Weil du geschworen hast, nie wieder zu lieben, bis die Welt untergeht.«

»Ja, das habe ich.«

»Ja, und weißt du was, Rhapsody? Deine Welt ist tatsächlich untergegangen, vor mehr als tausend Jahren. Du bist frei, von ihm und von allen Versprechungen, die du ihm damals gegeben hast.«

Tränen stiegen Rhapsody in die Augen, aus mannigfaltigen Gründen. Ashe nahm tröstend ihre Hand, in der sicheren Erwartung, dass sie anfangen würde zu weinen. Aber Rhapsody hielt ihre Tränen pflichtschuldig zurück und kämpfte mit aller Kraft gegen die Traurigkeit und die Erleichterung an, die seine Worte in ihr ausgelöst hatten. Ashe beobachtete, wie ihr Gesicht sich verzerrte, doch als er die Hand ausstreckte, um sie ihr an die Wange zu legen, schob sie sie weg.

»Bitte nicht«, flüsterte Rhapsody und wandte den Blick ab. »Es ist gleich vorbei.«

»Das ist doch nicht nötig«, entgegnete Ashe sanft. »Es ist in Ordnung, Rhapsody, du kannst dich einfach gehen lassen. Hier bist du in Sicherheit. Lass die Tränen fließen. Du siehst aus, als könntest du das gut gebrauchen.«

»Nein, ich darf das nicht«, erwiderte sie leise. »Es ist gegen unsere Abmachung.«

»Gegen welche Abmachung?«

»Gegen die mit Achmed. Er hat es mir verboten.«

Ashe stieß ein unangenehmes Lachen aus. »Das muss wohl ein Scherz sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist kein Scherz? Wie nett von ihm. Hör mal, Rhapsody, Weinen ist kein Zeichen von Schwäche.«

»Ich weiß«, sagte sie und blinzelte gegen die Tränen an. »Aber es ist lästig.«

»Für Achmed? Der Teufel soll ihn holen, er ist nicht hier. Wenn dir nach Weinen ist, dann weine. Mir ist das nicht im Geringsten lästig.«

Rhapsody lächelte. »Danke, aber ich muss ja nicht unbedingt weinen. Mir geht es gut.«

»Nein«, widersprach Ashe kopfschüttelnd. »Ich bin Experte für Salzwasser, egal ob Meerwasser oder Tränen das ist eine Auswirkung des Schwerts, du weißt schon. Und ich versichere dir, dass Körper und Seele die Reinigung durch die Tränen gelegentlich brauchen. Danach ist das Blut sauberer und gesünder. Man sollte eigentlich denken, dass gerade Achmed das wissen musste.« Rhapsodys Augen wurden schmal, aber Ashe fuhr rasch fort; »Wenn du die ganzen Jahrhunderte den natürlichen Vorgang des Weinens zurückgehalten hast, dann tust du dir angesichts des Kummers, den du zweifellos erlebt hast, nicht nur einen schlechten Dienst, sondern schadest dir geradezu. Bitte, Rhapsody, ich kann dich in den Arm nehmen und festhalten, wenn dir das hilft.«

Ihre Augen wanderten zu der monströsen Wunde unter seinem Hemd, und sie zuckte unwillkürlich zurück, weil sie daran denken musste, wie sie ihm mit ihrer Umarmung im Wald unabsichtlich wehgetan hatte. »Nein, danke. Obwohl ich dein Angebot wirklich zu schätzen weiß.«

»Ich könnte dich auch eine Weile allein lassen und einen Spaziergang machen, wenn du möchtest.«

»Nein, danke«, wiederholte sie, diesmal mit fester Stimme. »Mit mir ist wirklich alles in Ordnung, und du brauchst dich deswegen nicht bis auf die Haut nass regnen zu lassen. Aber du könntest doch etwas für mich tun, nämlich mir die Laute geben, die Elynsynos mir geschenkt hat. Möchtest du, dass ich dir darauf etwas vorspiele?«

Sofort stand Ashe auf und ging zum Wandschrank, in dem Rhapsody ihre Sachen abgestellt hatte. »Liebend gern. Bist du sicher, dass du ...«

»Ja«, unterbrach ihn Rhapsody und nahm das Instrument entgegen. »Was möchtest du hören?«

Er seufzte und beschloss, das Thema fallen zu lassen. »Kennst du irgendwelche Lieder aus der alten Welt, die von der See handeln?«

»Ein paar«, antwortete sie lächelnd, weil sie sogleich an Elynsynos denken musste. »Auch in meiner Familie gab es ein paar Seeleute. Zwar ist dafür eigentlich ein Minarello das geeignetere Instrument, aber ich werde mein Bestes tun.« Sie stimmte die Laute und begann zu spielen. Die Saiten waren uralt, aber die Magie des Drachen hatte sie in makellosem Zustand erhalten, und das Holz war weicher geworden, sodass das Instrument nun einen süßen, vollen Klang besaß.

Ashe streckte sich auf dem Bett aus und lauschte hingerissen ihrem Spiel. Rhapsody ahnte nichts von der Tiefe seiner Gefühle, nicht einmal jetzt, da sein Gesicht nicht mehr unter der Kapuze verborgen war. Er ließ die Musik in seinen Kopf eindringen und sich einen Weg bis in sein Herz bahnen, wo sie den beständig pochenden Schmerz ein klein wenig linderte. Auch sein Kopfschmerz, der sich bei der Diskussion über Achmed eingestellt hatte, war auf einmal wie weggeblasen. Ihre Stimme war so schön, luftig und ätherisch, wie der Gesang des Windes, und sie machte ihn angenehm schläfrig. In diesem Augenblick hätte er den Rest seiner Seele dafür gegeben, dass sie noch ein paar Tage bei ihm blieb und für ihn sang, allein für ihn, und ihm ihr Herz öffnete das Herz, das sie nicht zu besitzen glaubte. Nach mehreren Seemannsliedern hörte sie auf zu singen, spielte aber auf der Laute weiter, eine betörende Melodie, die ihn unendlich traurig machte. Er war selbst nahe daran zu weinen, als ihn plötzlich eine Disharmonie aus seiner Träumerei riss. Rhapsody blinzelte, spielte die Passage noch einmal richtig und fuhr fort, bis sie zum nächsten Mal einen Fehler machte. Jetzt hörte sie auf zu spielen.

Ashe richtete sich auf und blickte zu ihr hinüber. Die Finger noch auf den Saiten, war sie im Stuhl eingeschlafen. Er überlegte, ob er sie zum Bett tragen sollte, aber sogleich fiel ihm die Szene am Tara’fel wieder ein, und er verwarf den Gedanken hastig. Stattdessen nahm er ihr die Laute aus den Händen, stellte sie auf den Tisch und deckte Rhapsody dann mit einer seiner Decken zu. Sie seufzte leise im Schlaf und drehte sich auf die Seite. Ashe blickte auf das schwarze Samtband. Er sehnte sich danach, ihr Haar aufzubinden, kam aber zu dem Schluss, dass auch das ein Übergriff gewesen wäre. So legte er denn ein neues Stück Holz aufs Feuer, das inzwischen ruhig und stetig brannte, und ging dann zu dem Stuhl zurück, in dem Rhapsody schlummerte. Lange schaute er auf sie hinab und genoss den Anblick, wie sie da im Feuerschein schlief. Nach annähernd einer Stunde spürte er, dass ihn Erschöpfung zu überwältigen drohte. Er küsste sie sanft auf den Kopf und schlüpfte unter die Bettdecke; er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er sie im Schlaf schluchzen hörte. Als es so weit war, ging er im Dunkeln zu ihr und flüsterte ihr tröstliche Worte zu, bis sie ruhiger wurde. Der tosende Wolkenbruch war einem gleichmäßigen, stetigen Regen gewichen. Widerwillig kroch er ins Bett zurück und ließ sie mit ihren beunruhigenden Träumen allein.

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