18 Die Eulen und das Eis

Überraschenderweise war Xanthar ohne Murren nach Norden abgezogen. Xanthar hatte nur den Kopf geneigt, mit der Schnabelspitze Tanis’ Ärmel berührt, seine Ohrbüschel an den Kopf gelegt und sich in die Lüfte geschwungen.

»Nicht ein Wort«, hatte Caven gesagt, der Xanthars Abflug verfolgt hatte, bis der Riesenvogel nur noch ein dunkelgrauer Fleck am Himmel gewesen war. »Ich hatte Widerspruch erwartet.«

Das war vor Tagen gewesen. Seitdem waren der Halbelf und der Söldner fast pausenlos – und nahezu wortlos – marschiert. Jetzt standen sie auf hohen Felsen über einem weiten Meer, das hundert Fuß tiefer lag. »Die Eisbergbucht«, sagte Tanis.

»Sieht eher aus wie ein Ozean. Woher weißt du, daß es bloß eine Bucht ist?«

»Die Eule hat mir vor ein paar Tagen gesagt, daß wir hier ankommen würden.«

»Ich wünschte, die verfluchte Eule hätte dir auch verraten, wie wir da hinüberkommen sollen.« Caven sah düster auf die stahlblauen, mit Eisschollen übersäten Wogen hinunter. Er wich etwas von dem Abgrund zurück. Kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Über ihnen kreischten Seevögel, doch sonst gab es keine Zeichen von Leben. Einzelne Baumgruppen bestanden den Felsboden hinter ihnen.

»Gleich nach dem Sandsturm schien Xanthar telepathisch mit jemandem zu reden – zumindest muß er es versucht haben«, überlegte Tanis, der von Westen nach Osten den Horizont absuchte. »Wahrscheinlich mit der Zauberin. Aber er hat nur gesagt, daß unser Weg über die Bucht klar zu sehen sein würde. Als wir darüber redeten, war er zu erschöpft und schlief mitten im Satz ein. Ich habe ihn nicht weiter bedrängt. Hätte ich es doch nur getan.«

Caven spuckte aus und setzte sich auf einen Stein. »Nun, ich finde den Weg nicht klar zu sehen«, sagte er verdrossen. »Falls dieser überdimensionale Hahn nicht gedacht hat, wir könnten durch den eisigen Teich da schwimmen oder uns Flügel wachsen lassen und fliegen.«

Tanis nickte nachdenklich. Er beugte sich vor, hob ein Stück Treibholz auf und betrachtete es nachdenklich.

Bisher hatten beide Männer es instinktiv vermieden, das Thema anzuschneiden, das ihnen wirklich auf der Seele lag. Aber als sie jetzt im peitschenden Wind zitterten, der nordwärts aus der Bucht hochwehte, schnitt Caven das Thema an. »Glaubst du, sie ist es wirklich?«

»Ist was?« fragte Tanis. Er sah von dem Stück Treibholz zu Caven, der seinem Blick auswich. Der Halbelf warf den Ast hinter sich.

»Schwanger, Halbelf. Wie die Eule gesagt hat.«

Tanis überlegte. »Ich glaube schon, ja«, sagte er schließlich, als hätte er nicht unablässig über genau dieses Thema nachgedacht, seit Xanthar die Sache enthüllt hatte.

Schweigend saßen sie eine Weile da. Schließlich zuckte Caven mit den Achseln. »Ich kann mir Kit nicht verheiratet vorstellen«, sagte der Söldner. »Oder als glückliche Mutter. Das am allerwenigsten.«

Tanis fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Nein«, sagte er. Stirnrunzelnd wandte er der Bucht den Rücken zu und schaute nach Norden. Das Tal, das sie gerade durchwandert hatten, fiel vor ihm ab. Der Wind blies heulend gegen seinen Rücken.

»Vielleicht war es ein anderer…«

Unvermittelt erstarrte Tanis und hielt warnend die Hand hoch. Caven brach mitten im Satz ab. Der Kerner erhob sich und zog sein Schwert. Tanis holte seinen Bogen aus dem Gepäck und prüfte sein Schwert.

»Was ist?« flüsterte Caven.

Tanis schüttelte den Kopf.

»Kriegstrommeln?« bot Caven an. »Ich habe mal gehört, wie die Zwerge von Thorbardin die hohlen Stämme der Symphoniabäume schlagen, um ihre Feinde einzuschüchtern, und Thorbardin liegt schließlich in dieser Richtung. Aber so etwas…« Er hielt inne und lauschte. »Ein Angriff von Norden? Das ist doch unsinnig. Wir sind den ganzen Weg durch die Staubebene gekommen. Ich habe nichts Bedrohliches außer Wanderdünen entdeckt.«

Tanis blickte angestrengt in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Außer einem dunklen Strich am Himmel, der wie eine tiefhängende Bank von Sturmwolken aussah, gab es dort nichts Ungewöhnliches zu sehen.

Tanis zeigte darauf. »Wenn ich wüßte, ob der Valdan weiß, daß wir diese Zaubersteine haben, würde ich sagen, wir sind vielleicht zur Zielscheibe geworden.«

Da sahen sie einander an. Haselnußbraune Augen trafen auf schwarze. »Er könnte es durchaus herausbekommen haben«, gab Caven zurück.

Sekunden später hatten sie sich zwischen den Stämmen der nächsten Bäume versteckt. Die zwei Männer bogen ein paar Äste herunter, um ihre Deckung zu verbessern, und hockten sich dann bewaffnet hinter ihr selbstgebautes Bollwerk.

Das Trommeln wurde lauter. Das Dröhnen zerrte an Tanis’ Nerven. Es hörte sich an wie Kriegstrommeln, aber langsamer. Jetzt glaubte Tanis, er könnte schwächere Schläge hören, die abwechselnd mit den lauteren Vibrationen ertönten. Vielleicht war es gar nicht ein großes Wesen, sondern viele kleinere. Er sagte Caven, was er vermutete.

»Im Namen von Takhisis, sind es womöglich Drachen?« flüsterte der Kerner.

»Drachen sind schon seit Tausenden von Jahren nicht mehr auf Krynn gesichtet worden. Wenn überhaupt jemals.«

Caven und Tanis warteten regungslos ab, während die schwarze Linie näher kam, sich ausbreitete, schwärzer wurde. Dann kamen sie mit brausendem Flügelschlag angerauscht. Cremeweiße Bauchfedern blitzten auf, als sich über dreihundert Rieseneulen auf den Steinen und Bäumen der Küste niederließen. Unter den ersten war Xanthar, der sich umständlich auf einen nadelartigen Felsvorsprung setzte. Wie der Blitz sprangen Tanis und Caven zwischen den Bäumen hervor und rannten auf ihn zu.

Tanis rief den Namen der Eule in der Erwartung, gleich die sarkastischen Worte des Tiers in seinem Kopf summen zu hören. Aber es kam keine telepathische Antwort. Tanis war erschrocken, Caven überrascht. Vor der Rieseneule blieben sie stehen.

»Was hat denn der alte Kanarienvogel?« stammelte Caven. Tanis blickte dem Vogel in die eingesunkenen, schlammfarbenen Augen, die vor Schmerz verschleiert waren. Der Schnabel des Vogels stand ein Stück weit offen. Er schien zu keuchen. Aus der Nähe erkannte der Halbelf das einst schlanke Tier kaum mehr. Die stolze Haltung des Vogels konnte nicht verbergen, daß Xanthar fast nur noch aus Knochen und Federn bestand.

»Er kann nicht mit uns reden«, sagte Tanis zu Caven. »Er ist zu weit vom Düsterwald entfernt. Die Zauberin hatte ihn gewarnt.« Der Vogel nickte. »Aber er kann alles verstehen, was wir sagen.« Wieder nickte Xanthar.

»Was ist mit den anderen Vögeln?« wollte Caven wissen. »Können wir mit ihnen kommunizieren?«

Tanis sah sich die lautstarke Menge Rieseneulen an, die sich ein ganzes Stück in beiden Richtungen über das Ufer verteilt hatten. Xanthar schüttelte den Kopf. »Nach allem, was Kai-lid erzählt hat, vermute ich, daß nur Xanthar die seltene Fähigkeit hatte, mental zu anderen als zu seiner Rasse zu sprechen«, meinte der Halbelf. Xanthar neigte wieder den Kopf.

»Könnte er noch mit der Zauberin reden?«

Xanthar legte den Kopf schief, und Tanis zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Er hat sie ausgebildet. Zwischen ihnen besteht ein starkes Band. Aber das spielt keine Rolle, oder? Sie ist nicht hier.«

Vier etwas kleinere Eulen gesellten sich zu Xanthar. Sie schienen mit dem alten Vogel zu streiten. Jeder von ihnen saß auf der Spitze einer toten Eiche und zeigte seine Erregung durch Zirpen, Flügelschlagen und reichlich Schnabelwetzen. Xanthar saß – offenbar ungerührt – hoch auf seinem Stein und überblickte sie alle wie ein König. Die kleineren Vögel meldeten sich wieder zu Wort, doch Xanthar senkte wieder den Schnabel; weil er anderer Meinung war, wie Tanis vermutete. Die anderen rutschten unruhig auf ihren Ästen hin und her und heulten lauter. Xanthar schien nachzudenken, senkte dann aber erneut den Schnabel. Die vier anderen Eulen dachten offenbar, daß eine Entscheidung gefallen war. Mit kräftigem Flügelschlag schwangen sie sich in die Luft.

Xanthar folgte ihnen nicht. Statt dessen richtete er sich auf und rief ihnen etwas hinterher. Sein Kreischen konnte es mit dem Tosen von Wind und Ozean und krachenden Eisschollen aufnehmen.

Mehrere Eulen stiegen auf und kreisten über ihnen, wobei sie auf die Rieseneule einschrien. Eine schien besonders aufgestört, denn sie schoß wieder und wieder zu Xanthar herab und kreischte abgehackt.

»Ich glaube, sie wollen, daß Xanthar nach Hause zurückkehrt«, sagte der Halbelf, der zusah, wie die Rieseneule ihren Schnabel hob und ein tiefes Trillern ausstieß, wie Wasser, das über Steine rinnt. Daraufhin kamen die vier zurück, wirkten jedoch geschlagen. Diesmal landeten sie auf dem Boden, wo sie Tanis und Caven aus großen Augen anstarrten.

»Ich hasse diesen Blick«, flüsterte Caven. »Da komme ich mir vor wie Abendbrot. Ihr Abendbrot.«

»Ich denke, daß Xanthar seine Familie immer noch beherrscht«, sagte Tanis, der die Bemerkung seines Kameraden ignorierte. Er erhob die Hand gegenüber dem nächstsitzenden Vogel. Dieser neigte leicht seinen Kopf.

Caven zog eine Augenbraue hoch. »Familie?«

»Sieh sie dir an.« Tanis zeigte auf die vier und auf andere Eulen zu beiden Seiten. »Xanthars Dunkelbraun und Grau, und sie sind heller. Diese beiden sind golden, aber ein paar haben den gleichen weißen Fleck über dem Auge wie er. Sieh dir ihre Gefiederzeichnung an, ihre Haltung. Traust du deinen eigenen Augen nicht?«

Der Kerner starrte eine Weile hin und schüttelte dann den Kopf.

»Wenigstens ist jetzt klar, wie wir ins Eisreich kommen«, stellte Tanis fest. Xanthar nickte.

»Klar?« Cavens Augen schossen nervös von Tanis zu Xanthar, dann zu dem Paar brauner Eulen hinüber, das über die Böschung auf den Halbelfen und Caven zugewatschelt kam. Ihre braunen Augen leuchteten entschlossen, doch das Gesicht des Söldners verriet seine aufkeimende Panik. »Oh, nein!«

Tanis beachtete ihn nicht.

»Lieber schwimme ich durch die Bucht, als auf dem Rücken dieser Tiere zu fliegen«, schluckte Caven. Er ging einen Schritt zurück. »Ich – ich bin nicht dazu geschaffen, wie ein Vogel zu fliegen, Halbelf.«

»Du meinst, du hast Höhenangst«, sagte Tanis.

Caven fuhr auf. »Angst? Ich doch nicht. Ich würde bloß lieber… lieber… laufen.«

»Du mußt fliegen, also Schluß jetzt.«

»Ich… kann nicht.«

»Nicht einmal für Kitiara?«

»Für niemanden. Mir wird schwindelig… ich falle runter. Halbelf, im Zweikampf schlägt mich keiner, auch zu Pferde nicht, aber oben in der Luft…« Der Gedanke ließ ihn erschauern. »Bei den Göttern, das wage ich nicht!«

»Wir brauchen dich«, gab Tanis zurück. »Du kannst meinen Harnisch nehmen. Bind dich fest, du fällst nicht runter.«

Einer der Vögel, der auf seiner braunen Stirn eine weiße Blesse hatte, war bei Tanis angelangt und drehte sich um und bot ihm seinen breiten Rücken an. Der Halbelf holte das Ledergeschirr aus dem Packsack und legte es der Eule um Brust und Flügel. Sie klappte ihre Flügel auf und zu, um den Sitz des Geschirrs zu prüfen.

»Halbelf…«, sagte Caven warnend.

Der andere Vogel, der genauso golden war wie der erste, aber ohne dessen Blesse, tauchte auf der anderen Seite von Caven auf. Ernst blickte er auf den Söldner herab, zupfte dann mit dem Schnabel an seinem Hemd und stupste ihn zu der wartenden Eule hin. »Nein!« sagte Caven. »Geh weg!« Er legte eine Hand an sein Schwert und blickte wild nach beiden Seiten.

Die beiden Eulen sahen einander an, dann zu Tanis hin. Der Halbelf hörte keine telepathische Stimme, doch er verstand, was die Vögel vorhatten. Im selben Moment hob die Eule ohne Harnisch ihren Schnabel und kreischte. Bei dem Geräusch sträubten sich Tanis die Haare im Nacken. Caven fuhr herum und wollte sein Schwert ziehen. Da schnappte sich der Halbelf das Stück Treibholz, das er zuvor weggeworfen hatte, hob es geschwind auf, und als der Söldner mit dem Schwert ausholte, ließ Tanis ihm das Holzstück auf den Kopf krachen. Der Kerner sackte augenblicklich in sich zusammen.

Kurz darauf hatte Tanis den bewußtlosen Söldner der Eule mit der Blesse auf den Rücken gebunden, die vom Rand des Abgrunds in die schwindelerregende Leere über dem aufgewühlten Wasser der Eisbergbucht sprang. Die andere Eule, an deren Hals sich Tanis klammerte, folgte kurz darauf. Xanthar erhob sich von seinem Ausguck und übernahm die Führung. Nach einmaligem Kreisen wendeten sie sich gen Süden.

Hinter ihnen folgten Hunderte von Rieseneulen, die sich über den blaugrauen Himmel verteilten.Kai-lid.

Kai-lid, die sich auf dem Boden ihres Eisverlieses zusammengerollt hatte, hob den Kopf und stieß ihre Decke zurück. Ihr war schwindelig zumute. Seit Tagen hatte sie nichts mehr gegessen, obwohl der Ettin seit einiger Zeit – nämlich seit er Kitiara aus dem Gefängnis gezerrt hatte – regelmäßig auftauchte, um einen Eimer Wasser hinunterzulassen. Die Kriegerin war nicht zurückgekommen, und der Ettin antwortete nicht, wenn Kai-lid ihn bedrängte, zu sagen, ob Kitiara in Sicherheit war. Mehrmals war Janusz selbst erschienen und hatte das Angebot wiederholt, das er ihr im Lager des Valdans gemacht hatte: daß sie sich ihm anschließen könnte, um bei ihm besser zaubern zu lernen. Schließlich war er vor Jahren Lida und Dreenas Lehrer gewesen, als diese noch junge Mädchen gewesen waren. Er hatte hinzugefügt, daß sie selbstverständlich die schwarzen Roben anlegen und seine Geliebte werden müßte. Jedesmal drehte Kai-lid den Kopf weg, und wenn sie wieder hochschaute, war Janusz verschwunden, doch sein Duft nach Staub und Gewürzen hing noch in der Luft. Angesichts der überlegenen Macht ihres Gegners waren ihre Zauberkünste nutzlos.

Aber eben hatte sie doch wirklich einen Ruf gehört. Halluzinierte sie womöglich schon vor Hunger?

Kai-lid Entenaka. Kannst du mich hören? Gib acht, ich spüre jemanden, der beobachtet. Sprich nicht laut.

Kai-lids Zittern fiel von ihr ab wie die abgelegte Haut einer Schlange. Sie zwang sich, sich zu konzentrieren, in sich hineinzuschauen und im kalten Licht der Wände äußerlich ruhig zu wirken, doch ihr Herz machte einen Sprung.

Xanthar, bist du das?

Pause. Kennst du noch jemanden, mit dem du dich auf diese Weise unterhältst?

Die Zauberin hätte vor Erleichterung fast laut geschluchzt. Sie verbarg ihre Gefühle, indem sie aufstand und zu dem Wassereimer unter dem Tor ging. Sie füllte die Kelle und nahm einen tiefen Schluck, konzentrierte sich jedoch die ganze Zeit auf ihre telepathischen Worte.

Xanthar, mein Vater hat das Eisvolk versklavt. Kitiara ist schon seit Tagen verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie tot oder lebendig ist. Ich fürchte, sie macht gemeinsame Sache mit ihm. Ich bin seine Gefangene, tief in einer Eisspalte. Sie setzte sich hin, nahm ihren Mantel und deckte sich damit zu. Sie gab sich den Anschein, als würde sie dösen, doch im Geiste beschrieb sie ihre Fahrt mit dem Schreckenswolfsschlitten durch das Eisreich. Bist du in der Nähe, Xanthar?

Wir haben gerade das Eisreich erreicht, meine Kleine. Ich habe meine Söhne und Töchter und deren Söhne und Töchter und ein paar hundert Vettern mitgebracht.

Noch jemand? Sie ließ die Kapuze des Mantels über ihr Gesicht gleiten, um ihre Mimik zu verbergen.

Den Halbelfen und den Kerner. Sie werden bald da sein.

Sie? Nicht auch du?

Eine lange Pause schloß sich an, bis Kai-lid merkte, wie sich Angst in ihr regte. Xanthar, bist du krank? Ich hab’ dir doch gesagt, du sollst nicht so weit…

Mach dich nicht lächerlich. Selbst telepathisch war der Ton der Rieseneule schroff. Natürlich komme ich. Und du mußt dich darauf vorbereiten, uns zu helfen.

Ich bin hilflos! Sie erzählte, wie die Umgebung aussah und welches Angebot ihr Janusz gemacht hatte. Er – er fühlt sich verantwortlich für meinen Tod – das heißt, für Dreenas Tod. Xanthar, Janusz sagt, er haßt Kitiara, weil sie ihm die Eisjuwelen gestohlen hat, aber auch, weil er ihr die Schuld an Dreenas Tod gibt. Er sagt, er hätte Dreena geliebt. Ich schwöre, das habe ich nie gewußt, Xanthar. Er hat uns beide die Magie gelehrt, Lida und mich. Er sagt, die Liebe von Dreenas Zofe würde ihn an die glücklichen Zeiten der Vergangenheit erinnern.

Die Eule dachte lange nach, bevor sie antwortete. Du mußt Zeit gewinnen, und du mußt aus diesem Kerker raus, damit du wieder zu Kräften kommst. Füge dich dem Magier, Kai-lid.

Mich fügen? Kai-lid konnte ihren Abscheu nicht verbergen. Lieber sterbe ich.

Das ist dann deine Entscheidung, Kai-lid. Aber dein Stolz ist selbstsüchtig. Wir brauchen dich. Du mußt herausfinden, was der Zauberer über die Eisjuwelen in Erfahrung gebracht hat. Wenn du seine Zudringlichkeiten ertragen mußt, um das zu tun, dann muß es eben so sein. Tut mir leid. Aber Janusz will…

Plötzlich nahm sie über die telepathische Verbindung den Schmerz der Eule wahr. Sie legte ihn als Mitgefühl für sich aus, und Xanthar korrigierte sie nicht. Sag, daß du krank bist, Kai-lid, krank vom Hungern. Halt den Zauberer hin, so gut du nur kannst. Wir brauchen einen oder zwei Tage, um das Eisvolk zu finden und einen Angriff zu planen. Ein Unterton gezwungener Fröhlichkeit schlich sich in seine Worte. Ich weiß, du bist absolut unglaubhaft, wenn du lügst, Kai-lid, aber er muß dir glauben, also gib dir größte Mühe, so zu tun, als wärst du mit allem einverstanden.

Aufgewühlt setzte die Zauberin sich hin. Sie streichelte das Seehundsfell an den Ärmeln ihres Mantels. Schließlich nickte sie, ohne daran zu denken, daß die Eule sie nicht sehen konnte.

Kai-lid?

Ich versuche es, Xanthar.

Dann… Die Verbindung wurde schwächer, und Kai-lid spürte, daß die Eule mit den Worten rang. Leb wohl, sagte Xanthar schließlich einfach.

Bis dann, fügte sie hinzu.

Natürlich, sagte Xanthar schroff nach einer weiteren Pause. Bis dann, meine Süße.

Dann riß die Verbindung ab. Kai-lid wartete eine Weile, weil sie sich fragte, ob die Rieseneule wirklich verschwunden war. Dann erhob sie die Stimme und rief den Wänden zu: »Janusz, bist du da? Ich habe mich entschieden.«

Bereits Augenblicke später stand der Magier am Portal und starrte mit hoffnungsvollen Augen auf sie herab. Sie taumelte absichtlich, als sie zu ihm hochblickte. »Ich halte den Hunger nicht mehr aus, Janusz. Ich bin krank. Ich werde… ich werde tun, was du willst, aber ich brauche Zeit, gesund zu werden.«

Als der Zauberer sie betrachtete, fühlte Kai-lid, wie ihr die Angst über den Rücken lief. Der Magier hätte sie beobachtet, hatte Xanthar gesagt. Ob Janusz wußte, daß sie gedanklich gesprochen hatte? Er hatte nie angedeutet, ob Telepathie zu seinen Künsten zählte. Sie zwang sich zu einem nichtssagenden Gesichtsausdruck, doch ihre Hände zitterten. Um ihre Panik zu vertuschen, spielte sie mit den Beuteln an ihrem Gürtel, in denen sich magische Mittel befanden.

Doch Janusz’ nächste Worte waren freundlich. »Sehr schön«, sagte er. Er ließ das Seil hinunter. »Komm hoch.«

Sie versuchte es, aber ihr Mantel und die Angst, das klebrige Eis zu berühren, behinderten sie. Schließlich sagte Janusz einen Spruch und kam zu ihr heruntergeschwebt. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und sagte einen zweiten Spruch. Anmutig stiegen sie in der Luft auf, kamen auf gleiche Höhe mit dem Portal und trieben hindurch. Als ihre Füße den Boden berührten, half Janusz ihr die langen Gänge bis zu seinen Räumen entlang. Sie zwang sich, bei ihm Halt zu suchen.


Xanthar hätte das Eisvolkdorf fast übersehen. Die Eingeborenen bedeckten ihre Häuser mit weißen Pelzen und Schnee, so daß die Siedlung perfekt mit dem umliegenden Gletscher verschmolz. Xanthar war inzwischen nahezu blind, und die anderen Eulen, deren Augen ebenfalls für die nächtliche Jagd gedacht waren, hatten die gleichen Schwierigkeiten mit dem gleißenden Licht. Es war Tanis, der den Rauchfaden entdeckte, der aus einer der Behausungen aufstieg. Auf seinen Ruf hin ging Xanthar nach unten, gefolgt von Tanis’ Eule, welcher der Halbelf den Spitznamen Goldener Flügel gegeben hatte. Danach kam Cavens Eule, der Tanis wegen ihres Flecks auf der Stirn den Namen Klecks verpaßt hatte.

Anstatt im Dorf zu landen, bog Xanthar im letzten Moment nach Süden ab, wo er die Gruppe auf einer freien Fläche ganz in der Nähe herunterführte. Das Feld lag außerhalb der Mauer aus gewaltigen, übermannshohen Rippenknochen, die das Dorf begrenzte. Schweigend landete der Rest der Eulenstreitmacht. Wieder einmal staunte Tanis über die Disziplin, die diese Vögel zeigten. Sie konnten geräuschlos fliegen, wie gerade eben, oder – durch eine leichte Änderung in der Federstellung – mit dem durchdringenden Schlag dahinbrausen, der ihn zuvor so verstört hatte.

Zunächst geschah gar nichts. Tanis machte Caven los, der wieder zu sich kam, um sich gleich über die Kälte und heftige Kopfschmerzen zu beklagen. Mit einem wütenden Blick brachte Tanis ihn zum Schweigen. Beide Männer waren nicht für den beißenden Wind angezogen, der ungehindert durch ihre Kleider pfiff.

Dann erschien durch eine Öffnung im Rippenzaun eine einzelne, in Pelze gehüllte Gestalt. Die Gestalt trug einen Speer und eine glänzende Waffe, die wie eine Axt aus Eis aussah. Bald schlossen sich der ersten Gestalt ein Dutzend weitere an, die ähnlich gekleidet und bewaffnet waren. Auf ein Kommando hin kamen alle gleichzeitig auf die Rieseneulen zu. Tanis rutschte von Goldener Flügel und trat vor. Caven glitt von Klecks und hielt sich kurz an der Eule fest, um dann mit unsicheren Schritten dem Halbelfen nachzueilen. Xanthar, der die anderen Eulen um einen Kopf überragte und trotz seines Leidens imponierend wirkte, schlurfte ebenfalls vor. Tanis zog sein Schwert nicht, und als Caven seine Waffe aus der Scheide ziehen wollte, hielt ihn der Halbelf mit einer Geste davon ab.

Die beiden Gruppen, eine mit erhobenen Waffen, die andere mit bloßen Händen, beobachteten einander schweigend. Dann gab einer aus dem Eisvolk, ein mittelgroßer Mann mit dunklem, scharfgeschnittenem Gesicht, seinen Speer einem seiner Begleiter und klappte mit der freien Hand seine Kapuze zurück. Er hatte dunkelbraune Haare, und sein Gesicht war mit Fett beschmiert – zum Schutz vor Wind und Kälte, wie Tanis erriet. Den Eulen schien die Kälte nichts auszumachen, er und Caven hingegen zitterten.

»Sprecht ihr Gemeinsprache?« fragte der Mann.

»Er und ich schon.« Tanis zeigte auf Caven Mackid und stellte den Kerner, dann Xanthar, Goldener Flügel und Klecks und schließlich sich selbst vor. Die Rieseneulen rissen die Augen auf, als der Halbelf ihre neuen, menschlichen Namen erwähnte, und Xanthar rieb mit einer Klaue seinen Schnabel. Tanis war schon lange klargeworden, daß diese Geste bei ihm bedeutete, daß er grinste. Goldener Flügel und Klecks zwinkerten sich nur zu.

»Ich bin Brittain vom Clan des Weißen Bären. Das hier ist mein Dorf. Was wollt ihr hier?« fragte der Anführer.

Tanis, der die förmlichen Begrüßungsrituale der Qualinesti kannte, imitierte den zeremoniellen Tonfall des Eisvolkführers. »Wir sind gekommen, um zwei Freunde zu retten, die von einem bösen Mann entführt und ins Eisreich gebracht wurden. Wir fürchten um ihr Leben – und das Leben des Eisvolks –, wenn niemand diesen bösen Mann aufhält.«

Unter seinen Männern gab es Gemurmel, doch der Anführer rührte sich nicht. Der Wind fuhr in den weißen Pelz, mit dem der Rand seiner Kapuze besetzt war. Sein Blick ging von dem Halbelfen zu dem Kerner, dann zu den Eulen. »Ich glaube, du lügst. Ich glaube, du bist ein Abgesandter jenes Bösen, von dem wir schon viel gehört haben. Ich glaube, du und deine Freunde, ihr wollt ein weiteres Dorf Des Volks ausspähen, damit ihr dieses Wissen dann dem Bösen und seinen Horden von Stiermenschen, Walroßmenschen und doppelköpfigen Sklaven überbringen könnt.« Brittain schaute finster drein. »Ihr seid unsere Gefangenen.« Auf einen Wink von ihm traten mehrere bewaffnete Eisvolkmänner vor und ergriffen Tanis und Caven an den Armen.

»Wehr dich nicht«, flüsterte Tanis Caven zu. »Wir müssen sie überzeugen, daß wir ihnen nichts tun wollen. Wir haben keine Zeit, noch einen Kampf auszufechten.«

Zornig stellte Caven seinen Fuß in den Schnee. »Ich bin ein Mann, Halbelf. Ich lasse mich nicht kampflos abführen!«

Tanis seufzte. Einen Augenblick traf sich sein Blick mit dem von Brittain. Zu seinem Erstaunen funkelte Belustigung in den braunen Augen des Anführers. Allerdings war dieser Anflug guten Willens – falls er sich das nicht nur eingebildet hatte – genauso schnell verflogen, wie er gekommen war.

In diesem Augenblick traten Xanthar, Goldener Flügel und Klecks vor. Xanthar hob den Kopf und trillerte, worauf die Rieseneulen auf dem Feld hinter ihnen sich umdrehten und zu Reihen antraten. Xanthar, Goldener Flügel und Klecks beugten sich vor und pickten die Hände der Eisvolkhäscher von den Armen des Halbelfen und des Kerners.

Brittain gab seinen Leuten ein Zeichen. »Diese großen Vögel sind nicht aus dem Eisreich…«, sagte er zögernd.

»Sie stammen aus dem Norden, wie wir. Sie wollen nur Gutes, so wie wir.«

Endlich lächelte Brittain. »Das werden wir ja sehen.«

»Sie kommen auf Geheiß von Xanthar, ihrem Ältesten und Anführer, und folgen nicht dem Ruf des Bösen.«

Brittains Lächeln wurde breiter. »Wir werden sehen«, wiederholte er. »Ihr seid nicht gerade für das Eisreich ausgerüstet. Stimmt, der Böse wäre schlauer gewesen.«

Xanthar trillerte wieder, und Tanis, der sich zu dem Vogel umdrehte, spürte etwas Vertrautes in seinem Kopf. Konnte der Vogel immer noch telepathisch reden? War er stark genug? Auch auf Cavens Gesicht zeichnete sich Überraschung ab. Selbst Brittain schien eine Botschaft zu empfangen.

»Großvater Eule«, murmelte Brittain respektvoll. »Das Volk achtet das Alter, und du scheinst sehr weise zu sein.«

Xanthars Augen waren geschlossen. Seine Klauen umklammerten den Schnee so fest, daß er zu schmelzen begann. Er konzentrierte sich mit allen ihm verbliebenen Kräften, das konnte Tanis sehen. Wieder flackerte Telepathie in den Gedanken des Halbelfen auf.

Drei… drei

Er wurde schwächer, sprach jedoch wieder. Xanthar taumelte vor Anstrengung, als Goldener Flügel und Klecks an seine Seite eilten.

Drei Liebende,… die… Zaubermaid… Erschauernd holte Xanthar Luft und lehnte sich an die zwei Eulen.

»Tanis!« zischte Caven. »Der Traum! Was macht er?« Geflügelter mit treuer Seele, fuhr die Eule fort. Er öffnete seine schmerzgepeinigten Augen für einen Moment. Das bin ich, Halbelf.

Auch Tanis rezitierte jetzt. »Untote drohen im Düsterwald, Sichtbar in der Spiegelschale. Böses befreit durch des Diamanten Flug.«

Bei der zweiten Strophe stimmte Caven mit ein. Zu Tanis’ Überraschung schloß sich Brittain bei der dritten an.

»Drei Liebende, die Zaubermaid,

Das Band der Tochterliebe gelöst,

Legionen vertrieben, viel Blut nun fließt,

Frostiger Tod im endlosen Schnee.

Das Böse geschlagen durch Edelsteins Macht.«

Die letzte Silbe verklang, und das Kitzeln in Tanis’ Gehirn hörte auf. Xanthar taumelte wieder gegen Goldener Flügel. Dann seufzte er und sank in den Schnee. Noch ehe Tanis und Caven bei ihr waren, war die Rieseneule tot.

Ein verzweifelter Schrei erhob sich aus den Kehlen von Goldener Flügel, Klecks und den anderen Eulen. Caven fluchte deftig. Tanis schwieg. Die Tränen stiegen ihm in die Augen, während hinter ihm Hunderte von Eulen trillerten und heulten. Er spürte eine Hand auf der Schulter, die er abschüttelte, weil er glaubte, sie käme von Caven, doch die Hand kehrte zurück, und Tanis sah auf. Es war Brittain.

»Auch ich hatte einen Traum«, flüsterte der Eisvolkführer, »vor vielen, vielen Wochen, bevor der Böse das erste Dorf zerstörte. Der Verehrte Kleriker sagte, der Traum, der uns warnen sollte, käme vom großen Eisbären. Seitdem hat der Böse viele aus unserem Volk geholt.« Seine braunen Augen musterten Tanis einen Augenblick. Dann verstärkte sich sein Druck auf Tanis’ Arm. »Du weinst echte Tränen um deinen Freund. Ich glaube dir.«

Brittain bellte Befehle, woraufhin seine Gefolgsleute hinliefen, um Xanthars Körper aufzuheben. Tanis und Caven ließen die trauernden Eulen auf der eisigen Ebene zurück und begleiteten die Menschen vom Eisvolk in ihr Dorf.

Männer und Frauen eilten von allen Seiten herbei, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Brittains Frau Feledaal gab ein paar Frauen und Kindern Anweisungen, einen Bottich Fischsuppe zuzubereiten.

»Macht alles fertig, um einen großen Krieger beizusetzen«, befahl Brittain einem Mann in einer Robe, die mit Steinperlen und Vogelknochen geschmückt war. »Unser Verehrter Kleriker«, bedeutete Brittain ihnen respektvoll, nachdem der Mann sich verneigt und mit klickernden Perlen davongeeilt war. »Er deutet unsere Träume und stellt unsere Eissplitterer her. Obwohl ich der Herr über unser Leben auf dem Gletscher bin und der Verehrte Kleriker so tut, als ob er meinen Befehlen Folge leistet, herrscht er über alles Spirituelle. Deshalb glaube ich manchmal, daß unser Verehrter Kleriker in Wahrheit mehr Macht besitzt als ich.«

Tanis und Caven wurden eilends mit Kleidern für ein Gletscherklima ausgerüstet – sie bekamen Pelzmäntel, pelzgefütterte Robbenfellstiefel, die mit Walroßöl eingerieben waren, und dicke Mützen. Die Reisenden erhielten auch einen Lederstreifen, in den Schlitze geschnitten waren, und Brittain zeigte Tanis, wie er die Schlitze vor die Augen legen und die Enden dann hinter dem Kopf zusammenbinden mußte. »Um einen in den hellsten Stunden des Tages vor Schneeblindheit zu schützen«, erläuterte Brittain.

Der Anführer kündigte Tanis an, er würde ihm das Dorf zeigen. Caven hingegen überraschte die beiden, indem er ein paar der Dorfkrieger um sich versammelte und wieder zu der Ebene südlich vom Dorf lief. »Ich will diesen an Ansalon klebenden Hinterwäldlern mal zeigen, wie geübte Soldaten fliegen können«, erklärte er wacker, während er sich den Lederstreifen um den Kopf band.

Brittain zeigte auf das größte Gebäude des Dorfes, ein Haus aus Schnee- und Eisblöcken, das mit weißem Pelz und Schnee bedeckt war. »Dort versammeln wir uns und sprechen über die Zukunft Des Volks«, sagte Brittain. Er winkte zwei Kindern, die an der Seite des Gebäudes lehnten und mit ernsten Augen beobachteten, was vor sich ging. Die übrigen Eisvolkkinder hatten lange Haare, doch diesen beiden hatte man die braunen Locken bis dicht unter die Ohren abgeschnitten. Keines von ihnen lächelte. Auf Brittains Wink hin kamen sie rasch herüber, ohne dabei den Halbelfen aus den Augen zu lassen.

»Bitte vergib ihnen ihr Starren. Wir haben von dem Volk mit den spitzen Ohren gehört, welches im Norden lebt, aber wir haben noch nie einen von ihnen in unserem Dorf gesehen. – Terve, Haudo«, sagte er mit freundlicher Stimme, »das ist Tanis, der Halbelf. Er ist gekommen, um uns zu helfen, gegen den Bösen zu kämpfen.« Der Junge nickte, das Mädchen zeigte keine Regung. Brittain schickte sie fort, um bei den Essensvorbereitungen zu helfen.

»Sie sind in Trauer, wie man sieht«, erklärte er, sobald die Kinder außer Hörweite waren. »Von ihnen haben wir die erste Nachricht von den Raubzügen des Bösen erhalten. Ihre Eltern wurden ermordet, genau wie die anderen Bewohner ihres Dorfes.«

Tanis sah sich nach den Kindern um, doch sie waren in eine Hütte geschlüpft. »Was wißt ihr über die Größe und Stärke der Truppen des Valdans?« fragte er. Nach einem fragenden Blick von Brittain erklärte er, daß er den »Bösen« unter dem Namen Valdan kannte.

Brittain wich aus, um zwei Frauen Platz zu machen, die einen toten Seehund trugen. »Für die Abendsuppe«, sagte Brittain. Dann kam er auf Tanis’ Frage zurück. »Wir hören Berichte von Angehörigen unseres Volkes, die beim Angriff auf ihre Dörfer entkommen konnten, und von solchen, die aus den feindlichen Lagern geflüchtet sind und zu uns zurückgefunden haben. Thanoiwachen sind anscheinend leicht abzulenken.« Er beschrieb kurz die letzten Berichte über Größe und Zusammensetzung der Truppen des Valdans und darüber, wo sie ihr Hauptlager errichtet hatten. »Es hatte natürlich Gerüchte gegeben, daß jemand sehr Mächtiges auf den Gletscher gekommen sei, aber die Zerstörung von Haudos und Terves Dorf war der erste Beweis für uns, daß es eine böse Macht war. Seitdem kommen fast täglich Nachrichten von neuen Angriffen.« Brittain wandte sich ab, denn er schien mit starken Gefühlen zu kämpfen. Als er Tanis wieder ansah, war sein Gesicht gefaßt, aber blaß. »Bitte vergib mir. Terves und Haudos Mutter war meine Schwester.«

Brittain zwang sich, in sachlichem Ton mit seinem Bericht fortzufahren. »Wir haben gehört, daß der Böse unter dem Eis lebt und daß der Eingang zu seinem Bau nahezu unsichtbar ist. Aber unsere Spione haben ihn gefunden und können ihn auf einer Karte exakt zeigen. Und was noch besser ist, sie können uns hinführen. Sieh nur! Einer von ihnen übt mit deinem Freund, auf einer Eule zu reiten.«

Noch während dieser Worte fegten vier Eulen so dicht über ihre Köpfe hinweg, daß sie fast die Spitzen der Eisvolkhäuser berührten. Vier Männer in Pelzmänteln klammerten sich an die Hälse ihrer Vögel und schrien in einer fremden Sprache. Caven, der Klecks ritt, gab von hinten die Richtung an. Der Anblick ließ den Anführer des Eisvolks milde lächeln. »Sie rufen in der Zunge unserer Väter den Eisbären um Schutz an«, erklärte er. Dann wurde er wieder ernst.

»Wir haben schauerliche Gerüchte über diesen Bösen gehört, und sie werden mit jedem Tag schlimmer«, sagte Brittain, der sich neben einem Haus auf eine Eisbank setzte. Als er auf den leeren Platz neben sich wies, setzte auch Tanis sich hin.

»Gerüchte?« fragte der Halbelf nach.

Brittain nickte. »Von tödlichem Eis, das seine Opfer festhält, bis sie sterben – oder durch Magie befreit werden. Unser Verehrter Kleriker hat eine Salbe, die seiner Meinung nach das Eis schmelzen läßt, aber er gibt zu, daß er noch keine Gelegenheit hatte, sie auszuprobieren.«

Tanis merkte sich das, drängte den Anführer jedoch fortzufahren.

»Wir wissen, daß der Böse… daß dieser Valdan einen mächtigen Zauberer hat. Wir wissen, daß der Zauberer alt und gebrechlich wirkt, und unser Verehrter Kleriker ist der Meinung, daß die Kraft des Zauberers durch den Druck dieses Valdans nachläßt. Darum haben wir Grund zu hoffen. Aber die jüngsten Gerüchte sind besonders beunruhigend.«

»Und weshalb?«

»Angeblich hat der Valdan einen neuen Kommandanten mit großer praktischer Erfahrung, der die feindlichen Truppen in den letzten Tagen zu einem tödlichen Angriff auf ein Dorf des Eisvolks geführt hat.«

»Was weißt du über diesen neuen Kommandanten?« drängte Tanis.

»Nur, daß es sich um eine Frau handelt.«

Tanis merkte, wie er blaß wurde, doch er sagte nichts. Caven und seine Schüler aus dem Eisvolk kamen ausgelassen von ihrem Übungsflug zurück. Brittain scheuchte alle in das große Mittelhaus zum Abendessen – und zum Pläneschmieden.

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