10 Janusz, der Zauberer

Janusz holte tief Luft, um sein Zittern zu unterdrücken, als er sich von seiner Wasserschale löste. Kitiaras Gesicht auf der Wasseroberfläche verblaßte.

Vorläufig war sie sicher; dafür hatte er gesorgt. Die gierigen Hände waren zu ihren Besitzern in den Abgrund zurückgekehrt. Der Wichtlin kroch jetzt harmlos über den Grund der Eisbergbucht. Er würde eine Weile suchen müssen, um in diesen eisigen Tiefen lebende Seelen für seine Zwecke zu finden. Von der Anstrengung des Spruches, der dem Zauberer gestattete, gleichzeitig zu sehen und zu sprechen, klingelten ihm die Ohren. Seine Hände bebten. Einen Augenblick lang befürchtete er, er würde ohnmächtig werden. Aber es war notwendig gewesen. Um ein Haar hätte der Zauberer Kitiara Uth Matar verloren.

Und Kitiara Uth Matar war die einzige, die ihm sagen konnte, wo die neun Eisjuwelen waren.

Ihm waren nur zwei Eisjuwelen geblieben, von denen der Ettin einen bei sich trug. Er dankte Morgion für die glückliche Eingebung, im Lager beim Schloß des Meirs zwei der elf purpurfarbenen Edelsteine zurückzubehalten.

Janusz betrachtete den glänzenden Stein, der auf einem Alabasterständer auf dem Tisch lag. So groß wie ein kleines Ei, leuchtete der lila Kristall, als ob alles Wissen von Krynn in ihm lodere. Der einfältige Gnom, der ihm die Steine verkauft hatte, hatte eine ermüdende Litanei über die Herkunft der Steine angestimmt. Das meiste von seinem Geschwätz hatte der Magier ignoriert, doch eines war Janusz im Gedächtnis geblieben – daß der Gnom glaubte, die Juwelen würden ursprünglich aus dem Eisreich stammen. Als der Zauberer jetzt in den amethystfarbenen Stein starrte, zweifelte er nicht daran, daß diese glitzernde Kälte im Reich des Schnees entstanden sein mußte. Deshalb hatte er den Valdan überredet, in die südlichste Ecke Ansalons zu flüchten. Sie waren ins Eisreich gekommen, um weitere Juwelen zu finden. Und im Bann des Eisjuwels hatte der Traum des Valdan neue Formen angenommen. Jetzt gierte er nicht mehr danach, ein Nachbarreich zu überrennen, sondern er hungerte nach der Herrschaft über die ganze Welt.

Janusz zwang sich, vom Stein wegzusehen, doch die Bewegung versengte seine Augen. Der Edelstein hielt seinen Blick wie gebannt fest. Der Magier hatte Dutzende von Ettinsklaven dazu abkommandiert, ohne Unterlaß nach weiteren Eisjuwelen zu suchen. Dem Valdan hatte er gesagt, er glaube, die Juwelen könnten das Geheimnis der absoluten Herrschaft des Valdan über Ansalon bergen. In Wahrheit hoffte Janusz, daß die wundervollen Steine weit mehr für den Magier selbst tun konnten als für den Valdan – kurz gesagt, daß sie Janusz zeigen konnten, wie er das Blutband zerstören konnte, das ihn dem Willen seines Herrschers unterwarf. Aber falls das möglich war, würde es erst in ferner Zukunft nach jahrelangem, aufwendigem Studium so weit sein.

Innerlich bebte der Magier angesichts des Risikos, das er eingegangen war, als er Res-Lacua einen der kostbaren Steine mitgegeben hatte, doch das war notwendig gewesen, wenn Janusz die Steine dazu benutzen wollte, den Ettin und Kitiara ins Eisreich zu teleportieren. Das war eines der Geheimnisse der Juwelen, die der Magier in monatelangem Studium hatte aufdecken können. Bei richtiger, vorsichtiger Anwendung gestatteten es ihm die Steine, sowohl lebende als auch tote Dinge von einem Juwel zum anderen zu transportieren.

Wenn Kitiara auf dem Gipfel des Fieberbergs im Düsterwald angekommen war, würde der Magier den Edelstein des Ettins dazu benutzen, beide in den Eisbau zu holen. Dann, das schwor er sich, würde er sie persönlich verhören und das Versteck der anderen neun kostbaren Juwelen ausfindig machen.

Janusz zwang sich stehenzubleiben, schob die Ärmel seiner Robe hoch und blickte zum Eingang seiner Kammer. Der Magier setzte sich auf einen Stuhl. Der Stuhl bestand offenbar aus demselben magischen Eis, aus dem der Zauberer den ganzen Eisbau geschaffen hatte, war jedoch mit schönerem Tuch als dem groben Leinen gepolstert, das Wände und Boden bedeckte. Weiter rechts stieg ein Dampfkringel aus einem Keramiktiegel über einer Flamme auf. Der Arbeitstisch war mit Dutzenden, verkorkter Gefäße übersät.

Ein Fenster unterbrach die Monotonie der Wände. Dadurch sah man auf das Eisreich. Schnee wirbelte um einen Fels aus Eis. Janusz blickte zum Fenster und fluchte. Er stimmte einen Gesang an und zeichnete mit dem Finger ein Muster in die Luft, woraufhin die Szene im Fenster einem Schloß wich, an dessen Türmen lauter schwarze und lila Banner wehten. Goldenes Sonnenlicht überströmte das Bild, und einen Augenblick lag Sehnsucht auf dem Gesicht des Magiers.

Die Wände seiner Räume im Eisreich bestanden natürlich aus massivem Eis. Doch die Tür war aus ebenso massiver, eisenbeschlagener Eiche. Der Eisjuwel hatte sie vor Monaten in diese verdammte Frostwüste teleportiert.

»Aber Zeit spielt ja hier sowieso keine Rolle«, murmelte Janusz. »An diesem von den Göttern verlassenen Ort. Ein Teil eines Jahres, ein Teil eines Lebens. Was macht das schon?«

Jetzt gab es keine Jahreszeiten mehr, kein scheues Erblühen der Frühlingsjungfrau, nachdem die Winterhexe ihre sterbende Hand vom Land gelöst hatte. Er lächelte über seine Phantasien. Gewohnheiten vergingen nicht so leicht. Früher war er ein Romantiker gewesen.

Früher hatte Zeit eine Rolle gespielt. Früher hatte er gespürt, wie er mit den Jahreszeiten wuchs, wie sein Herz weiter wurde und taute, wenn die Erde sich erwärmte und neue Blätter sich entfalteten. Seine romantischen Gefühle mochten lächerlich gewesen sein angesichts seiner grauen Haare und der tiefen Falten zwischen Nase und Mund. Doch er hatte wahre Liebe kennengelernt – er hatte Dreena gekannt –, und die Welt war ihm jung und frisch erschienen.

»Pah!« murmelte er und verdrängte die nutzlose Vergangenheit. »Mein Herz ist gefroren wie das Eisreich.«

Wände, Boden und Decke waren feste Eisflächen, die spiegelglatt poliert waren. Ein großer Teil der eisigen Oberfläche war mit dünnem Tuch bedeckt, um die Bewohner des Baus davor zu bewahren, am Eis festzukleben, so wie warmes Fleisch an besonders kalten Tagen an kaltem Metall festfriert.

»An besonders kalten Tagen«, wiederholte Janusz jetzt. Er lachte tonlos. »Hier gibt es keine Tage, auf die diese Beschreibung nicht passen würde.«

Es gab kein Brennmaterial für ein richtiges Feuer, noch nicht einmal einen Kamin. Einen Kamin aus Eis? Nein, und magisches Feuer zehrte zu sehr an seiner Kraft. Er brauchte zur Zeit fast seine gesamte Macht, um Kitiara und Res-Lacua einen Kontinent weiter nördlich auf der Spur zu bleiben. Und er mußte jetzt sogar noch mehr Energie aufbringen, um Res-Lacua Umgangssprache reden zu lassen, anstatt das orkische Gebrabbel des Ettins. Denn vielleicht mußte der Riese mit Kitiara reden, um sie zum Fieberberg zu locken.

Janusz stieß einen Fluch an Morgion aus und ließ seine Faust auf die gefrorene Tischfläche krachen. Das Wasser schwappte über den Rand der Sehschale und lief in Strömen über seine Robe.

Wieder fluchte er, während er die schwarze Wolle mit einem Leinentuch abrieb. Einst hatte er die weißen Roben des Guten angestrebt. Doch jetzt gab es nur noch Schnee und Eis und Böses in seinem Leben. Sogar hier im Eisbau pfiff der Wind durch die Spalten und Ritzen und zog um seine in Wolle gehüllten Füße. Das Schloß hätte wärmer sein müssen. Schließlich hatte er den Bau beaufsichtigt, all die dicknackigen, strohdummen Ettins angeleitet. Sie hatten die Arbeit getan, die seine Magie nicht erledigen konnte.

Seine doppelt gewebte Robe aus bester Wolle nützte Janusz wenig gegen den schneidenden Wind in diesem verfluchten Land. Alles im Raum war in das bläuliche Licht aus seinem magischen Eis gebadet. Laternen waren überflüssig, denn die Wände selbst beleuchteten das Schloß. Doch der Zauberer sehnte sich nach einer warmen Lampe mit orangegelber Flamme. Er sehnte sich nach Kern.

Hier konnte er sich nur an seinen Erinnerungen wärmen. Dieser Gedanke war so banal, die Vorstellung so sinnlos, daß er verkniffen lächelte. Denn er hatte etwas anderes, das ihn wärmte – seinen Hunger nach Rache. Er hatte reichlich Zeit gehabt, sich ausgeklügelte Foltermethoden für Kitiara auszudenken.

Plötzlich erzitterte die Eichentür unter einem heftigen Stoß und flog auf. »Janusz!«

Der Magier sprang auf. Mörser und Stößel kippten um, rollten zur Seite und fielen klirrend zu Boden. Halbzerstampfte Kräuter verteilten sich überall. Der Schreck war schnell verflogen. Der Valdan kam nicht zum ersten Mal wie ein Kriegsgott hereingedonnert. Janusz versuchte eine würdige Figur zu machen, ehe der große Mann vor ihm stehenblieb. »Beim Gott Morgion, Valdan«, sagte der Zauberer lakonisch, »welcher Dämon wärmt dich nur?«

Sein Herr kleidete sich immer noch wie damals in den heißesten Monaten in Kern – schwarze Hose, weißes, gerafftes Hemd aus Moireseide, ärmellose, purpurrote Weste mit goldenen Tressen, purpurroter Umhang und schwarze, stahlbesohlte Stiefel mit stählernen Spitzen. Die modische Kleidung war bei den Frauen oben in Kern gut angekommen, wie Janusz wußte. Heute jedoch hoben sich die blutunterlaufenen Augen des Valdan von seinen karottenroten Wimpern, Augenbrauen und Haaren ab. Sein Gesicht war nahezu blutleer, und die Sommersprossen, die ihm in Kern ein jungenhaftes Aussehen verliehen hatten, waren in den langen Nächten des Eisreichs verblaßt. Seine Augen, die im hellsten Licht des hiesigen Frühlings immer noch blau waren, spielten in diesem Moment mehr ins Graue.

»Haß erwärmt mich, Zauberer«, gab der Valdan zurück. »Das und meine Pläne für die Zukunft.«

Der Valdan, der nie zu frieren schien, brauchte offensichtlich auch keinen Schlaf. Spät in der Nacht, wenn Janusz über seinen Zauberbüchern brütete, hörte er oft noch den Tritt der metallbeschlagenen Stiefel im Eiskorridor vor seinen Gemächern.

Der Magier richtete den Mörser wieder auf, wischte das verschüttete Pulver in seine Hand und gab es in die Schale zurück. »Gibt es einen Grund für deinen Besuch, Valdan? Oder möchtest du nur plaudern?« fragte er mild.

Das Flattern seiner Augenlider verriet, daß der Herrscher sich von der Gleichmütigkeit seines Zauberers nicht täuschen ließ. »Wann holst du Kitiara hierher?« wollte er wissen.

Der Zauberer seufzte. »Das habe ich dir doch gesagt. Sobald der Ettin sie auf den Berg locken konnte.«

»Du kannst sie doch sehen. Benutze deinen verfluchten Juwel, um sie sofort herzuschaffen.«

»Sie muß bei dem anderen Eisjuwel sein, damit der Teleport gelingt«, sagte der Zauberer. »Selbst dann ist es noch gefährlich. Wie oft muß ich das noch erklären?«

»Und wenn der Ettin versagt?«

»Das wird er nicht.«

»Kitiara hat die Moral einer Straßenkatze. Du hast gesagt, sie habe einen neuen Liebhaber. Was ist, wenn der neue und der alte Liebhaber gemeinsam den Ettin umbringen?«

Janusz blickte ihn fest an. »Ich habe Vertrauen zu ihm.«

»Ich glaube, dir gleitet die Sache aus den Händen, Magier.«

Janusz merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. »Ich habe beachtliche Kräfte, Valdan, aber wie alle magischen Kräfte sind sie begrenzt.« Er spie jedes Wort einzeln aus. »Jeder Spruch schwächt meinen Körper – wie bei allen Magiern. Und wie bei allen Magiern ist ein Zauberspruch aus meinem Gedächtnis verschwunden, wenn ich ihn benutzt habe, bis ich ihn mir wieder eingeprägt habe. Darum arbeite ich bis spät in die Nacht.« Er zeigte auf ein Regal mit Büchern, die in tiefblaues Leder eingebunden waren. »Du hast mir befohlen, Hunderte von Ettins und Minotauren ins Eisreich zu transportieren – für die ich natürlich auch Quartiere bereitstellen mußte. Ich muß diesen Bau erhalten und vergrößern, das bißchen Hitze aufbringen, das ich entbehren kann, um ihn warm zu halten, und nach besten Kräften die Ettins, die Minotauren und die Thanoi kontrollieren.«

»Die Walroßmenschen«, sagte der Herrscher, »stammen aus dem Eisreich. Die Thanoi schlafen im Freien, also brauchtest du für sie keine Häuser zu bauen.«

»Das hilft wenig. Ich muß den Ettin und Kitiara verfolgen und unglaublich viel Energie darauf verwenden, über diese gewaltige Strecke mit Res-Lacua zu sprechen. Du treibst mich bereits bis an die Grenzen meiner Kraft, Valdan, und es gibt auf ganz Krynn keinen Magier, der dir besser dienen könnte.«

»Jedenfalls keinen so bereitwilligen«, murmelte der Valdan.

Ungerührt fuhr Janusz fort. »Ich muß all unsere Vorräte herbeiholen. Ich muß für dich spionieren, die Händler und die Sklaven überwachen und zahllose andere Dinge erledigen. All das bei nur drei Stunden Schlaf pro Nacht.«

Der Valdan lehnte an einem brokatüberzogenen Stuhl, der dem glich, auf dem der Zauberer saß. Er wartete, bis die Wut des Magiers von selbst nachließ. »Aber denk an den Lohn, der dich erwartet, Janusz. Der Mann, der die Eisjuwelen hat und ihr Geheimnis kennt, kann Krynn regieren. Denk an die Armeen, die durch ganz Ansalon transportiert werden können! Den taktischen Vorteil!« Mit roter Zunge leckte er sich die Lippen, so daß Janusz vor Widerwillen die Augen abwandte.

»Denk an die Macht«, sagte der Valdan lächelnd. Er betrachtete den Magier. Dann griff er an seinen Gürtel und zog einen verzierten Dolch. Während er Janusz absichtlich übersah, prüfte er die Spitze, indem er sie über die dünne Haut an seinen Pulsadern zog. Die Wunde blieb sauber und blutete nicht. Dann schloß sie sich im Nu wieder, ohne eine Narbe zu hinterlassen. »Sollen wir das Blutband weiter auf die Probe stellen, Zauberer?« höhnte der Valdan. »Oder bist du mir treu ergeben?«

»Nicht!« Unwillkürlich stieß der Magier einen Schrei aus.

Der Valdan lachte und steckte die Waffe in die Scheide zurück. Immer noch lachend ging er zur Tür. Als er dort war, meinte er, ohne sich noch einmal umzudrehen: »Denk an deine Familie, Zauberer. Deine Geschwister wären inzwischen erwachsen, oder?«

An seine Familie denken? Als ob er sie je vergessen könnte. Die Tür fiel hinter dem rothaarigen Mann ins Schloß. Als ob er sie je vergessen könnte.

Als Kind war Janusz so einnehmend gewesen wie viele andere Kinder. Schon früh hatte er Begabung für die Magie gezeigt, doch seine Familie war so arm gewesen wie alle Tagelöhner in dem Reich nördlich der Stadt Kernen. Die einzige Erleichterung ihrer erdrückenden Armut kam jedes Jahr an Mittwinter, wenn die Bauern sich im Schloß des Vaters des Valdan versammelten, um eine Gnade zu erbitten – ein besonderes Geschenk, das der Valdan selbst bestimmte.

Janusz’ Eltern, die mit zu vielen Kindern gesegnet waren und wenigstens einem von ihnen eine Ausbildung ermöglichen wollten, hatten ihn mit zehn Jahren ins Schloß des Valdan gebracht. Mit tiefer Verbeugung hatten sie den Valdan gebeten, den Jungen an seinem Hof aufzunehmen und zum Magier ausbilden zu lassen. Ganz sicher würde der Junge es ihm durch treue Dienste reichlich vergelten.

Janusz sah jenes Mittwinterfest jetzt so deutlich vor sich, als wäre es gestern gewesen. Er erinnerte sich an die besorgten blauen Augen des damaligen Valdan und den scharfen, begeisterten Blick des Jungen in seinem Alter, der auf einem kleinen Thron neben seinem Vater saß und jede Bewegung des Herrschers nachahmte.

Der Valdan nahm Janusz und seine Eltern zur Seite, wo sie außer Hörweite des restlichen Hofstaats waren. Ja, erklärte der Valdan dem Paar, er war mit ihrem Plan einverstanden, allerdings unter einer Bedingung – der Junge mußte einem durch Magie besiegelten Blutband zwischen sich und dem kleinen Sohn des Valdan zustimmen.

Dann nahm der Valdan den kleinen Janusz beiseite. »Ich hab’ schon von dir gehört«, hatte der alte Valdan gesagt, der sein zerfurchtes Gesicht nah an das des Jungen heranbrachte. Er roch nach Krankheit. Seine Hände waren ausgedörrte Klauen. »Ich habe gehört, daß du schon früh Begabung für die Magie gezeigt hast. Meine Berater sagen mir, daß du sehr mächtig sein wirst, wenn du groß bist.« Er hustete, griff nach dem Jungen und lehnte sich schwer auf dessen Schulter. »Es wirft ein gutes Licht auf deine Eltern, daß sie sich wünschen, daß der Hof aus deiner beachtlichen Begabung seinen Nutzen zieht.« Janusz hatte auf den Marmorboden gestarrt, weil er nicht wußte, was er sagen sollte. Er wußte, warum er und seine Eltern, Sabrina und Godan, hier waren. Sie erwarteten ein weiteres Kind, doch die Hütte im Tal war schon jetzt zu eng für die Familie. Der Mann und die Frau brauchten starken Nachwuchs, Kinder, die vom ersten Hahnenschrei bis zum Abend auf den Feldern arbeiten konnten. Dieser schmächtige, leicht ermüdende Junge hatte durch seine Taschenspielereien auf Jahrmärkten nur ein kleines Zubrot verdienen können.

»Junge?« hatte der Valdan geflüstert. Der kleine Janusz hatte dem Mann in die Augen geblickt, die von Schmerzfurchen umgeben waren. Dann sah er seine Eltern an. Seine Mutter hielt ihre geflickte Robe vor sich zusammen, doch man sah ihre Schwangerschaft.

»Ich bin einverstanden«, sagte er entschlossen.

»Ein Blutband bedeutet kein einfaches Leben«, warnte ihn der Alte. »Du wirst zum Magier ausgebildet, ja, aber du wirst diese Magie so einsetzen, wie mein Sohn es befiehlt.«

Die Warnung ließ den Jungen innehalten. »Und wenn er etwas befiehlt, was ich für falsch halte?«

Der Valdan lächelte. »Es ist lange her, seit jemand zum letzten Mal die Richtigkeit der Entscheidungen eines Valdan in Frage gestellt hat. Wie erfrischend, daß jemand es in Betracht zieht.« Er sah zu der Gruppe zurück, die sich um den großen, leeren Thron und den kleinen scharte, auf dem sein Sohn saß, der so alt war wie Janusz. Der Kleine, dessen Haar im Fackellicht orangerot glänzte, wies herrisch mit der Hand auf die obersten Berater des Valdan und gab ihnen Befehle. Sie zögerten, weil sie offensichtlich hofften, ihr Herr würde zurückkehren und die Anweisungen widerrufen.

»Janusz«, hatte der Valdan gedrängt, »bist du ein guter Mensch? Und möchtest du ein guter Mann werden, der allem Bösen widersteht?«

»Ich möchte die weißen Roben des Guten tragen, Sir.«

Der Valdan runzelte die Stirn. »Hast du denn einen starken Willen?« Er griff den Jungen an den Oberarmen und drückte schmerzhaft zu. Schweißperlen standen auf der Oberlippe des Herrschers.

»Meine Mutter sagt, ich bin ausgesprochen stur, Sir«, entgegnete Janusz.

Dabei blickte er seinem Herrscher tief in die Augen. Der Valdan hatte wieder dünn gelächelt. »Das sagen Mütter gern zu Söhnen in deinem Alter, Junge«, flüsterte er. »Sogar meine eigene Frau.« Das Lächeln des Herrschers erstarb. Dann durchbohrte er Janusz mit seinem Blick. Seine Hände waren fiebrig heiß.

»Ich würde es nicht tun, wenn ich die Wahl hätte«, sagte er zu dem Jungen. »Ein Blutband hat hier seit vielen Generationen keiner mehr gewagt. Aber… ich will versuchen, für dich zu sorgen. Bist du dir deiner Entscheidung ganz sicher? Triffst du sie frei, ohne Druck durch die Familie? Du mußt einen mäßigenden Einfluß auf meinen einzigen Sohn ausüben. Er neigt zur Selbstsucht. Ich fürchte, ich war ein schlechter Vater für ihn, besonders in den letzten Monaten.«

Janusz hatte seinen Blick durch den prächtigen Saal schweifen lassen, in dem die drei Kamine eine erstickende Hitze verbreiteten. Die Überreste eines großen Mahls standen noch auf dem Tisch. Angesichts der Bratenreste, auf denen das Fett zusammengelaufen war, lief ihm vor Hunger das Wasser im Mund zusammen. Er hatte seit einem Monat weder Fleisch noch Milch bekommen. Dann fing er den ängstlichen Blick seiner Eltern auf. Seine Mutter taumelte am Arm seines Vaters.

»Ich bin einverstanden, Sir«, sagte Janusz. »Ihr könnt auf mich zählen.«

Der Valdan rief mit offensichtlichem Widerstreben seinen Zauberer und seinen Sohn zu der geheimen, verbotenen Zeremonie.

Bald darauf kamen der Valdan und seine Frau plötzlich ums Leben. Es hatte nicht lange gedauert, bis der junge, zukünftige Valdan seinen wahren Charakter gezeigt hatte. Janusz gab die Hoffnung auf, eines Tages die weißen Roben tragen zu dürfen.

Ein paar Jahre später, als der Zauberer und der neue Valdan erwachsen wurden, hatte Janusz dem Valdan eine kräftige Dosis Gift in sein Bier gegeben und gebannt zugesehen, wie sein Blutsbruder das Glas austrank. Doch es war Janusz gewesen, nicht der Valdan, der sich an die Kehle griff und auf dem Boden zusammenbrach, wo er sich auf den Fliesen krümmte.

Der junge Valdan hatte von seinem Stuhl an der Tafel aus zugesehen. »Jemand soll sich bitte um meinen Zauberer kümmern«, hatte er ohne Teilnahme gesagt. »Offenbar hat er etwas getrunken, das ihm nicht bekommt.«

Dann hatte er sich zu Janusz vorgebeugt und ihm mit steinharten Augen zugeflüstert: »Oder war ich es vielleicht, hm, Janusz?« Seitdem wußte Janusz, daß das Blutband ihn für alle Zeiten verdammt hatte. Der Zauberer würde alles erleiden, was dem Valdan zugedacht war. Keuchend hatte Janusz nach dem Gegengift gerufen – er war dem Tode nahe gewesen. So hatte sein körperlicher Verfall begonnen, während der Valdan weiterhin die Gesundheit eines jungen Burschen besaß.

»Ich kann ihn nicht töten«, hatte der Magier voller Qual in jener Nacht geflüstert, »denn dann sterbe ich an seiner Statt.« Und der Valdan würde übrigbleiben, um ungezügelt jeden zu quälen, der sich ihm entgegenstellt.

Janusz’ Familie starb nur zwei Wochen nach seinem vergeblichen Anschlag auf das Leben des Valdan.

Das Feuer, das seine Familie umbrachte, war ein Unfall gewesen, wie der Kerner Vogt berichtete, der die Tragödie untersucht hatte. Janusz’ Eltern hatten den Abzug zu lange nicht gereinigt; die jahrelangen Ablagerungen ihrer Holzfeuer hatten Feuer gefangen und Funken auf das zundertrockene Dach geworfen. So jedenfalls hatte es der Vogt, der auf Gedeih und Verderb vom Valdan abhängig war, Janusz berichtet.

Janusz hatte keinen Sinn darin gesehen, den Mann weiter zu bedrängen. Er fragte den Vogt nicht, weshalb die Tür der Hütte in der Nacht, als seine Familie umkam, verschlossen gewesen war. Die Nachbarn, die zu Hilfe gekommen waren, hatten ihm erzählt, daß sie die Tür nicht hatten aufbrechen können. Sie hatten sich die Ohren zuhalten müssen, als die von den Flammen eingeschlossene Familie drinnen verzweifelt um ihr Leben geschrien hatte.

Diese Botschaft hatte der Magier verstanden. Die nächsten Jahrzehnte hielt Janusz sich bedeckt, um seinen Herrn – und damit sich selbst – zu schützen. Dreimal hatten die Feinde des Valdans versucht, den Herrscher zu töten, zweimal durch Gift und einmal durch ein Messer. Jedesmal war es der Zauberer gewesen, den es getroffen hatte. Jedesmal war der Valdan unbeschadet davongekommen und hatte die Meuchler umbringen können. In ganz Kern erzählte man im Flüsterton Geschichten über die Unsterblichkeit des Valdan. Das Gerücht mit dem Blutband mußte wahr sein. Die Bauern beobachteten den Zauberer mit glühendem Haß auf ihren wettergegerbten Gesichtern, doch keiner wagte, einen Zauberkundigen von Janusz’ Ruf anzugreifen. Der Valdan verfolgte gnadenlos jeden, der sich ihm entgegenstellte. Einer nach dem anderen starben seine Feinde an seltsamen Krankheiten oder verschwanden einfach des Nachts. Irgendwann war im Lande keiner mehr übrig, der sich ihm in den Weg stellen würde – bis der Valdan seine Augen auf das Land des Meir gerichtet hatte.

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