7 Ein Gnom und ein Edelstein

Tanis erwachte noch vor der Dämmerung, denn Kitiara hing auf Knien im Dunkeln würgend über dem leeren Nachttopf. Er rollte sich im Bett herum und sah ihr wortlos zu.

»Entweder du hilfst mir, oder du hörst auf zu glotzen, Halbelf«, sagte Kitiara. Sie setzte sich auf dem Flickenteppich vor dem Bett auf. Die Bewegung ließ sie an ihre Schläfen greifen. »Bei den Göttern, mir tut alles weh.«

»Zuviel Bier.« Tanis verzog die Lippen.

»Spiel nicht den Moralapostel. Ich kann jeden Mann unter den Tisch trinken und am anderen Morgen trotzdem hundert Hobgoblins verprügeln.« Plötzlich stöhnte sie und beugte sich wieder über den Nachttopf. Ihre Haut war klamm und aschfahl.

Tanis schwang nur langsam die Beine aus dem Bett. »Du bist ziemlich spät gekommen.« Er bemühte sich, nicht vorwurfsvoll zu klingen.

Kitiara, die immer noch gebückt kniete, sah mit blutunterlaufenen Augen auf. »Ich dachte, du hättest geschlafen. Jedenfalls mußte ich Caven Mackid abschütteln.«

»Ach?«

»Hol mir eine Decke, ja? Ich friere.«

Tanis rührte sich nicht. »Vielleicht hättest du im Bett etwas anziehen sollen«, sagte er nur lakonisch.

»Und du solltest vielleicht – «

»Mhmmm?«

Kitiara brachte ihren Satz nicht zu Ende. Statt dessen kroch sie wieder ins Bett, nachdem Tanis Platz gemacht hatte. »Bei den Schluchten des Abgrunds, so schlecht ist es mir noch nie gegangen. Vielleicht habe ich mir etwas geholt.« Sie brach stöhnend mit dem Gesicht nach unten auf der Matratze zusammen.

»Und vielleicht wirst du langsam zu alt, um so zu saufen.«

»Das ist ein netter Rat von einem, der über neunzig ist.« Sie griff nach hinten und zog, ohne sich anders hinzulegen, die Daunendecke über ihren Kopf. Die Decke dämpfte ihre Stimme. »Ich habe die Zeit gebraucht, um Caven alle möglichen Lügen aufzutischen, die ihn von unserer Fährte ablenken. Er glaubt, wir schlafen im ›Maskierten Drachen‹, der Einfaltspinsel.«

»Mmhmm.« Tanis tappte zu einem Stuhl an der Tür und zog seine Hosen an.

Kitiara drehte sich mühsam um.

Tanis schlüpfte in sein ledernes Fransenhemd.

»Das heißt…?« Sie versuchte sich aufzusetzen, fiel jedoch mit einem leisen Fluch wieder in die Kissen.

Tanis tastete unter dem Stuhl nach seinen Mokassins. »Das heißt, ich glaube, daß der Ausgang von jenem Farospiel nicht ganz dem Glück überlassen war. Das heißt, ich glaube, daß Hauptmann Kitiara Uth Matar unter gewissen Umständen durchaus dazu fähig ist, die Ersparnisse eines Mannes ›an sich zu nehmen‹ und zu verschwinden.«

Kitiara wechselte das Thema. »Wo gehst du hin, Halbelf?«

»Zum Küchenjungen, damit er dir einen Tee und etwas zu essen bringt. Und dann werde ich in Haven Spazierengehen und überlegen, wie wir zehn Stahlmünzen verdienen können, um Caven Mackid auszuzahlen.«

Auf Kitiaras Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. »Ihn auszahlen?«

»Mit meinen über neunzig Jahren weiß ich immerhin«, sagte er gelassen, »daß es keine gute Idee ist, Schulden nicht zurückzuzahlen. Sie verfolgen einen ewig.«

»Du verdammter Moralist.« Immerhin lächelte Kitiara, obwohl sie die Arme vor der nackten Brust verschränkt hatte.

»Außerdem«, fuhr er fort, »wenn wir Mackid bezahlen, dann sind wir ihn los und können nach Solace weiterreiten.«

Dann ging er hinaus.


Auf seinem Weg nach draußen machte Tanis in der Küche halt, wo er den Küchenjungen dösend vorfand. Der Junge sprang auf, als der Halbelf den Raum betrat. »Was wünscht der Herr?« Sein sandfarbenes Haar war ungekämmt, die braunen Augen voller Schlaf.

»Hast du schon Tee gekocht?«

Der Junge nickte und zeigte auf einen dampfenden Topf auf dem Kaminsims. Neben dem Topf lehnte eine Scheibe Brot. »Einmal. Für die Herrin – die Frau vom Wirt. Kriegt bald ein Kind und kommt ohne Tee und trockenen Toast nich’ hoch. Und«, fügte er hinzu, als würde ihm ein alter Kummer wieder hochkommen, »es muß Winterbeerentee mit Hagebutte und Pfefferminz sein. Sagt, eine Kräuterfrau hat ihr erzählt, daß das gut fürs Baby ist, aber ich glaube, sie mag es einfach, wenn sich alle wegen ihr so viel Arbeit machen. Aber, um die Wahrheit zu sagen, wenn sie das trinkt, muß sie sich nicht mehr übergeben, also ist es vielleicht…«

Tanis, dem Bilder von Wod im Kopf herumtanzten, unterbrach den Monolog. »Bring was davon in mein Zimmer, ja? Und auch Toast.«

Der Junge schickte sich an, heißes Wasser aus einem Kessel zu schöpfen, der auf einem Eisengestell über dem Feuer stand. Er füllte es in einen zweiten Topf neben dem, der schon auf dem Kaminsims dampfte. »Habt ’ne Dame dabei, was? Eine Tasse oder zwei?«

»Nur eine. Ich gehe raus.« Tanis gab dem Jungen eine von den wenigen Münzen, die ihm geblieben waren. »Oh, und noch was.«

»Hm?«

»Sorg dafür, daß die Dame erfährt, daß der Tee besonders gut für Schwangere ist, aber sag’s ihr erst, wenn sie einen ordentlichen Schluck getrunken hat.«

»Ah! Die Dame kriegt also ein Kind?« merkte der Junge auf.

»Nein«, entgegnete Tanis.

Der Junge grinste. »Also ein Scherz. Verstehe.«

Tanis lächelte den Jungen an und nickte. »Gib nur acht, daß du an der Tür stehst, wenn du es ihr sagst.«

»Ah!« wiederholte der Junge. »Temperamentvoll?«

Der Halbelf lachte.

Der Junge zwinkerte. »Ich passe auf.«Wod beobachtete, wie Tanis in der Tür der »Sieben Zentauren« stehenblieb, die weiche Morgenluft tief in seine Lungen saugte und dann in die Stadt ging. Wod hatte die Vordertür des Gasthauses bewacht, seit Caven Kitiara bis hierher verfolgt hatte, nachdem sie vorgeblich den »Maskierten Drachen« betreten hatte. Der Söldner hatte ein Lager hinter der Box von Malefiz hinten im Leihstall. Wod sah sich leicht verunsichert um. Mußte er jetzt dem Halbelfen folgen? Nein. Caven hatte gesagt, er solle Kitiara bewachen, nicht Tanis, und die hatte die »Sieben Zentauren« nicht verlassen. Der Junge setzte sich wieder auf die Bank, zog Cavens Mantel um die Schultern und wartete.»Großer Reorx in der Schmiede!«

Auf seinem Weg über die Hauptstraße zum Markt von Haven hörte Tanis einen von Flints Lieblingsflüchen, noch ehe der Halbelf denjenigen sah, der den Schrei von sich gegeben hatte. Die Stimme war zu hoch und zu nasal für einen Zwerg. Damit blieb nur eine Möglichkeit. Die Händler und Verkäufer, die bereits unterwegs waren, machten einen weiten Bogen um einen alten Stall, aus dem Laternenlicht drang. Tanis wartete. Bald gab es eine kleine Explosion, die niemanden zu überraschen schien, und eine kleine, runde Gestalt kullerte Hals über Kopf durch die offene Tür, gefolgt von Zahnrädern und einer Menge Rauch. »Hydrodynamik!« schrie die Gestalt noch im Rollen.

Keiner außer Tanis kam zu Hilfe. Statt dessen rannten drei Bürger von Haven los, um das kleine Feuer zu löschen, das an einer Ecke des Gebäudes aufflackerte. Tanis hockte sich hin, wodurch er auf Augenhöhe mit der Gestalt kam, und klopfte den Gnom ab. »Bist du verletzt?« fragte der Halbelf freundlich. Der Gnom, der auf dem Sandstein saß, mit dem dieses Stück der Havenstraße gepflastert war, blickte Tanis aus violetten Augen bekümmert an. Weiche, weiße Haare, auf denen jetzt Asche lag, zierten Kopf, Kinn und Oberlippe des Gnoms. Seine Haut war tiefbraun, die Nase knubbelig – zweifellos infolge früherer Experimente – und seine Ohren rund. Seine Kleidung bestand aus dem typisch gnomischen Sammelsurium: Seidenpumphosen in knalligem Pink, ein goldbraunes Leinenhemd, braune Lederstiefel und ein goldener Schal mit Silberfäden. »Bist du verletzt?« wiederholte der Halbelf.

»Das​war​bestimmt​der​Hydroencephalator​denn​den​Antrieb​habe​ich​schon​überprüft-«, erwiderte der Gnom. »Die​Kettenbremse​und​das​Übersetzungsverhältnis​waren​genau​da​wo​meine​Berechnungen​sie​angesiedelt​haben​bloß​ist​die​Sonne​natürlich​noch​nicht​aufgegangen​und​vielleicht​gibte​seinen​Mondquotienten​der​noch​nicht​erforscht​ist… Ja! Einen​Mondquotienten!«

Dann sprang der Gnom auf, ohne den Halbelf zu beachten, stürmte in das Gebäude zurück, wo sich mittlerweile zehn Männer versammelt hatten, die eilig eimerweise Wasser heranschleppten. Der Halbelf folgte ihm. »Solltest du nicht draußenbleiben, bis das Feuer gelöscht ist?« fragte er den Gnom. Der Kleine kletterte auf einen hohen Hocker vor einem Apparat, der sich von Wand zu Wand und vom Fußboden bis unter die Decke im zweiten Stock erstreckte.

Der Gnom blickte in die gegenüberliegende Ecke. Dort brannte es nicht mehr. Nur der Rauch stieg von den geschwärzten Balken auf, die hin und wieder orangerot aufleuchteten. »Vielleicht«, sagte der Gnom, »ein​feuerhemmender​Mechanismus​der​meiner​Ansicht​nach​so​beschaffen​sein​müßte-«

Tanis unterbrach ihn. »Sprich doch langsamer.«

Der Gnom sah von den Berechnungen hoch, die er auf ein Stück Pergament kritzelte. »Hm?«

»Langsam«, wiederholte der Halbelf.

Das Gesicht des Gnoms hellte sich auf. Mit sichtlicher Anstrengung legte er nach jedem Wort eine winzige Pause ein. »Tut… mir… leid… ich… habe… vergessen… daß… ich… nicht… unter… meinesgleichen… bin.« Er holte tief Luft. Es kostete ihn offenbar mehr Energie, langsam zu reden, als die Endlossätze auszustoßen, die für Gnome so typisch sind. Gnome, die ja gleichzeitig reden und zuhören können, halten ununterbrochenes Sprechen von allen Beteiligten für ergiebiger als das schubweise, abwechselnde Schwatzen der übrigen Rassen.

Tanis stellte sich vor. »Und wie heißt du?« fragte er noch, ehe er zu spät seinen Fehler erkannte. »Halt!«

»Schwätzer​Sonnenrad​Sohn​des​Strahlenfänger​Sonnenrad​des​berühmten​Erfinders​des​Periluminohochgeschwindigkeitsfahrstuhls​und​Enkel​von…«

Der Rest des Namens – Gnomennamen, die alle Ahnen aus Dutzenden von Generationen beinhalteten, konnten stundenlang so weitergehen – wurde von Tanis’ Hand erstickt, die dieser dem Gnom vor den Mund legte. Die piepsige Stimme wurde erstickt, und der Gnom sah Tanis böse an. Hinter ihnen wurden gerade die letzten Flammen gelöscht, und die Feuerbekämpfer zogen knurrend ab.

»Wie nennen dich die Menschen?« fragte der Halbelf in der plötzlichen Stille, während er langsam seine Hand wegnahm. »Schwätzer… Sonnenrad«, kam die Antwort. »Von der Kommunikationsgilde.«

Gnome gehörten je nach Beruf den unterschiedlichsten Gilden an – bäuerlichen, philosophischen, lehrenden und vielen anderen. »Von der Gnomischen Kommunikationsgilde habe ich noch nie gehört«, stellte Tanis fest.

»Das wirst du aber, sobald ich hiermit fertig bin«, sagte Schwätzer, der sich wieder seinem Projekt zuwandte. Nachdem die Aufregung über den Brand vorbei war, schien ihm das Langsamsprechen leichter zu fallen. »Ich werde sie gründen, sobald ich diesen Mechanismus fertig habe.«

Tanis betrachtete den Apparat, der aus Zahnrädern in allen möglichen Größen, Drähten in drei Farben und einem gigantischen Horn bestand, das wie eine Winde geformt war. Die Spitze des Horns saß in einem kleinen Kästchen, das nicht größer war als der Daumen des Halbelfs. »Kommt einem etwas groß vor, um bloß Mechanismus dazu zu sagen«, fand der Halbelf.

»Oh, natürlich hat es einen viel längeren Namen. Es ist nämlich ein…«

»Nein!« rief Tanis gerade noch rechtzeitig. »Mechanismus reicht völlig.«

Schwätzer wirkte enttäuscht. Aber er zuckte mit den Schultern und fuhr fort, Unmengen von Knöpfen und Schaltern an der Maschine neu einzustellen. Schließlich stellte er sich auf einen Stuhl, um nach einem Knopf zu greifen, den er »Demarkationsregelungsverstärker« nannte.

»Wozu ist der?« fragte Tanis schließlich.

»Wozu?« wiederholte Schwätzer. Da er auf dem Stuhl stand, befand sich sein ungläubiges Gesicht direkt vor dem von Tanis. »Er verstärkt die Option der Demarkationsregelung. Ist doch ganz logisch, oder, Halbelf?«

Tanis blickte wieder auf den glänzenden Apparat, der allerdings von Asche übersät war. Dann schaute er zurück zu Schwätzer Sonnenrad. Der Gnom seufzte tief und setzte sich auf den Stuhl. »Dieser Apparat wird das Leben auf Ansalon revolutionieren.«

Tanis blickte vom Schwätzer zu der Maschine. »So.«

Der Gnom nickte heftig. »Er wird allen Rassen ermöglichen, miteinander zu sprechen, ohne auch nur in der Nähe des anderen zu sein.«

»So.« Tanis fragte sich, ob Schwätzer Sonnenrad sich am Kopf gestoßen hatte, als er durch die Tür gepurzelt war.

»So«, stieß der Halbelf wieder aus, ohne seinen Blick von der Maschine zu wenden.

»Warum?« wollte der Gnom wissen. »Wonach sieht er denn sonst aus?«

Tanis lief vor dem Apparat auf und ab. »Es sieht aus, als sei sein Hauptzweck, Lärm zu machen.« Der Gnom sah ihn mißtrauisch an. Der Halbelf wollte einen Kippschalter berühren, woraufhin Schwätzer Sonnenrad in hektischer Eile von seinem Stuhl hüpfte.

»Das ist ein sorgfältig justierter Mechanismus! Kein Spielzeug für Amateure

Schwätzers Gesichtsausdruck verriet dem Halbelfen, daß der Gnom ihn für ungefähr so intelligent wie einen Gossenzwerg hielt. »Das hier«, er zeigte auf das blütenförmige Horn, »sammelt Sonnenlicht, leitet es durch meinen besonderen Lichtleitungsapparat«, er zeigte auf das Kästchen am Ende des Horns, »und nimmt die Schallwellen normaler Sprache auf«, er wies auf eine Reihe kleiner Zahnrädchen, die durch Kupferdraht miteinander verbunden waren, »und übersetzt die Schallululationen in Lichtpermutationsvektoren«, er zeigte Tanis eine Spule, die mit noch mehr Draht umwickelt war, und ein mit Symbolen bedecktes Papier, »die empfangen und wieder in Schallwellen umgeformt werden, die das normale Ohr verstehen kann!« Er trat zurück und verschränkte die Arme vor seiner schmalen Brust. Ganz offensichtlich erwartete er begeisterten Applaus.

»Was du nicht sagst«, meinte Tanis. Er wußte nicht, was er sagen sollte. »Wozu?«

Die violetten Augen des Gnoms quollen hervor. »Wozu? Wozu?« Über seine Wangen und Nase zog sich ein knallroter Streifen. Tanis hoffte, daß sie kein Zeichen dafür waren, daß den Gnom der Schlag traf.

Schwätzer Sonnenrad senkte den Kopf. Die Röte wich aus seinem Gesicht. »Wie erfährt man heutzutage, was los ist?« fragte er in fast väterlichem Ton, so als würde er einem Kind Tautropfen erklären.

Tanis überlegte. »Von Freunden. Im Wirtshaus. Indem man auf der Straße die Ohren aufsperrt.«

»Und in größeren Städten?«

Tanis runzelte die Stirn. »Größere Wirtshäuser?« riet er. »Marktschreier!« krähte Schwätzer triumphierend. »Oh. Marktschreier.«

»Denk doch nach – einer steht an der Straßenecke und ruft den Leuten zu, was an dem Tag so los ist. Das ist doch untauglich!« Das schien das abfälligste Urteil zu sein, das der Gnom sich vorstellen konnte. »Denk doch an die Fortschritte auf dem Gebiet der Kommunikation, wenn wir dafür Maschinen hätten!« Schwätzer Sonnenrad war von der Vorstellung hingerissen. »Maschinen?«

»Insbesondere meine Maschine hier. Sie übersetzt Töne in Sonnenlicht und wieder in Töne. Wir könnten mit diesem Apparat Botschaften versenden und in Windeseile erfahren, was in den hintersten Ecken von Ansalon vorgeht!« Schwätzer standen die Tränen in den Augen, als er den Apparat mit einer Hand streichelte und dann den Kopf schief legte. »Zur Probe werde ich genau diese Maschine dazu benutzen, allen Bewohnern von Haven sehr wichtige Nachrichten zu übermitteln.« Schwätzers Schnurrbart hing herunter. »Allerdings sind da noch ein paar Feinheiten zu klären.«

»Das will ich meinen.« Tanis beschloß, daß der Gnom harmlos, aber unterhaltsam war. Er stellte ein Holzfaß auf und setzte sich darauf. »Erzähl mir mehr.«

»Nun, das technische Problem, an dem ich gearbeitet habe, als… als…« Schwätzer kam ins Stottern.

»… als das verdammte Ding in die Luft ging?« ergänzte Tanis hilfsbereit.

Schwätzer warf ihm einen grimmigen Blick zu. »… als ich einen kurzfristigen wissenschaftlichen Rückschlag erfuhr, war die Lichtsammlungsfunktion.« Er erläuterte, wie eine volle Hälfte der Maschine nur dazu da war, Sonnenstrahlen zu sammeln und sie in der kleinen Kiste an der Hornspitze zu konzentrieren. »Aber ich muß eine Verbindung nach draußen schaffen, durch die die Lichtstrahlen transmortifiziert werden. Ich habe es mit meterweise Schlauch versucht« – der Schlauch schlängelte sich in großen Spiralen zu einem Loch in der Decke hoch –, »aber das Licht verpufft, bevor es auch nur in den Apparat eintritt.«

»Warum stellst du die Maschine nicht nach draußen?« schlug Tanis vor. »Da draußen ist jede Menge Sonne.«

»Unwissenschaftlich«, sagte der Gnom. »Außerdem rostet sie, wenn es darauf regnet.«

Tanis zeigte durch den Raum zur östlichen Wand. Die Strahlen der aufgehenden Sonne fielen vereinzelt durch Risse in den Holzläden, die vor die Fensteröffnung geklappt waren. »Warum machst du nicht einfach die Läden auf?«

Schwätzer blickte von Tanis zum Fenster. Murmelnd strich er sich den Bart. »Das könnte vielleicht sogar gehen«, stimmte er zu. »Ich brauchte einen automatischen Lichtverstärkungskoordinator, dazu Draht und einen Auslöseschalter und…« Er ging ans Werk und kehrte dem Halbelfen den Rücken zu.

Tanis sah dem in seine Arbeit vertieften Gnom eine Zeitlang zu. Dann ging er durch den Stall, klappte die Fensterläden ganz auf und hakte sie fest. »Bitteschön.«

Schwätzer sprang auf. »Wie hast du das gemacht?« rief er. Als Tanis es ihm zeigte, verzog sich das Gesicht des Gnoms vor Widerwillen. »Barbarisch. Und wenn keiner da ist, der das Fenster aufmacht?«

Das wilde Herumwerkeln des Gnoms ersparte Tanis jedoch die Antwort. Der kleine Kerl wuselte von Schalter zu Hebel zu Knopf, um das Sonnenstrahlensammlungshorn auf das Fenster auszurichten, und tapste unzählige Male von der Maschine zum Fenster und zurück.

»Was ist in dem Kästchen?« Tanis zeigte auf das winzige Kästchen an der Spitze des Horns. Der Gnom hatte es mit besonderer Ehrfurcht behandelt.

»Mein Strahlenleitungskonzentrationsapparat.«

»Das heißt?«

»Ein wundersamer Stein. Schau!«

Der Gnom klappte ein Türchen an der Seite des Kästchens auf. Violettes Licht strömte in den dämmrigen Stall. Tanis machte große Augen. »Wo hast du denn den her?«

Der Gnom sah weg. »Ich habe ihn – und​noch​elf​andere​möchte​ich​hinzufügen – von​einem​Qualinesti​Elfen​bekommen​der​sie​vor​einem​Kender​gerettet​hat​der​sie​von​einem​Hügelzwerg​geliehen​hatte​der​sie​einem​Menschen​abgekauft​hatte​der​siebe​im​Spielen​einem​Seemann​abgeknöpft​hat​der​sie​aus​irgendeinem​eisigen​Südhafen​hatte​dessen​Namen​ich​nie​erfahren​habe​obwohl​ich​wünschte​es​wäre​anders.«

»Mit anderen Worten, du hast sie gestohlen«, stellte Tanis fest. Gnome waren sich für einen Diebstahl nicht zu schade – natürlich nur im Namen von Wissenschaft und Technik.

»Es könnte die Revolution…« Der Gnom brach ab, als er das Stirnrunzeln des Halbelfen sah. »Ach, was weiß ein Halbelf schon von Wissenschaft? Elfen kennen nur Magie, Magie, Magie.« Er drehte sich um und nahm die Arbeit an seiner Maschine wieder auf. Nach einer Weile wurde Tanis klar, daß er jetzt gehen konnte, und er machte sich zur offenen Tür auf. Doch er drehte sich wieder um, als er den Gnom krähen hörte: »Und jetzt der Test!«

Schwätzer Sonnenrad betätigte den Hauptschalter genau in dem Moment, als die Sonne über dem niedrigen Haus im Osten aufging. Ihre Strahlen strömten durchs Fenster, über den Boden und in das riesige, metallene Horn.

»Bei den Göttern«, sagte Tanis ehrfürchtig. Unglaublicherweise begann der Apparat zu blubbern. Er spuckte, quietschte und stöhnte, bis Tanis das Sprichwort einfiel, das Flint für Gnome parat hatte: Alles Gnomische macht fünfmal soviel Lärm wie nötig. Die Luft um das Horn fing an zu glühen. Schwätzer Sonnenrad beugte sich vor und summte ein gnomisches Volkslied in ein Drahtgitter. Lila und altrosafarbene Funken sprühten um das Kästchen auf, das den violetten Stein enthielt. Dann stieß die Maschine ein Summen aus – dieselben Töne, die der Gnom gesummt hatte. Schwätzer erstarrte wortlos vor dem Apparat. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Es funktioniert! Beim großen Reorx, dem Vater der Gnome und Zwerge, es funktioniert!«

Die Maschine summte weiter – immer wieder dieselbe Melodie, schneller und schneller. Metall kratzte an Metall. Der violette Schein um das Steinkästchen begann gefährlich pflaumenfarben zu glühen.

Tanis ging einen Schritt auf den Gnom zu. »Schwätzer…« Der Gnom schien ihn nicht zu hören. Immer mehr Funken sprühten aus dem Ende des Horns. Das Quietschen wurde zu Rattern, dieses wiederum zu klapperndem Geschepper. Metallstückchen wurden von der Maschine abgerüttelt. Licht und Rauch quollen aus den immer größeren Lücken zwischen den Teilen. Tanis rannte los und schloß die Läden. Es wurde dunkel um sie herum, doch die Maschine bebte und zuckte weiter. »Ausschalten!« schrie er dem Gnom zu. »Das…« Schwätzer versagte die Stimme, »… das geht nicht.«

Tanis schlang einen Arm um den dicken Bauch des Gnoms und schoß durch die offene Tür ins Freie. Schwätzer wehrte sich heftig dagegen. »Halbelf, ich muß sehen, was pass-«

Tanis war gerade auf der Straße, als die Maschine und dann der Stall in tausend brennende Einzelteile zerbarsten. Holzsplitter und Metallspäne regneten auf die fliehenden Zuschauer herunter. Tanis warf Schwätzer Sonnenrad unter einen Karren und kroch sofort hinterher. Keuchend saßen sie da, während aus den umliegenden Häusern Dutzende ziemlich spärlich bekleideter Menschen rannten, um eine Eimerkette zwischen dem Brandherd und dem Stadtbrunnen zu bilden. Der Halbelf überprüfte kurz, ob sie keine schlimmeren Verletzungen als kleine Beulen und Kratzer davongetragen hatten.

»Es muß der tangentielle Hydroencephalator gewesen sein, wenn ich’s mir recht überlege«, sagte Schwätzer. »Unangemessene Wasserfiltration gegen zusätzliche Überhitzung.« Tanis wußte nichts zu sagen.

»Heute habe ich keine Zeit, eine neue Maschine zu bauen. Und auch kein Geld.« Zum ersten Mal wirkte der Gnom niedergeschlagen. »Natürlich könnten noch ein paar Teile des Apparats erhalten sein. Oh!« Er sackte wieder in sich zusammen. »Der Strahlenleitungskonzentrationsapparat!«

»Was?« Tanis hatte allmählich genug von Gnomen. »Der was?«

»Der lila Stein. Er ist zerstört. Ich habe ihn explodieren sehen, als du mich weggezerrt hast.« Sein Gesicht legte sich in nachdenkliche Falten. »Da muß ich mir einiges ausdenken.« Diese Aussicht schien ihn zu begeistern.

»Hast du nicht gesagt, du habest noch elf andere ›bekommen‹?« fragte Tanis.

»Ja, aber die habe ich verkauft, um Draht zu kaufen. Vor fast einem Jahr. An einen Zauberer. Bevor ich wußte, welche Magie in ihnen steckte.« Der Gnom überlegte. »Vielleicht könnte ich sie zurückkaufen… aber ich habe kein Geld.«

»Du könntest sie natürlich zurückstehlen«, sagte Tanis verächtlich. Er begann sich rückwärts unter dem Karren hervorzuschieben. Schwätzer Sonnenrad sah ihn vorwurfsvoll an. Der Halbelf lenkte ein. »Warum erzählst du den Leuten nicht einfach deine wichtigen Nachrichten? Wäre das unter diesen Umständen nicht genauso tauglich?« ergänzte er taktvollerweise.

»Ja, aber…«

»Dann stell dich an die Straßenecke und brüll.«

Der Gnom war entgeistert. »Ich selbst?«

Tanis nickte.

»Ich als Marktschreier«, rief Schwätzer. »Wenn das meine Mutter wüßte. So unwissenschaftlich. So untauglich.«

»So notwendig.«

Mit einem neuerlichen vorwurfsvollen Blick kroch Schwätzer Sonnenrad unter dem Karren hervor. Ohne auf die Menschentrauben zu achten, die sich gebildet hatten, um zuzusehen, wie das Feuer herunterbrannte, und ohne einen einzigen Blick auf das glimmende Häufchen Schutt, das einst sein Laboratorium gewesen war, machte sich der Gnom auf den Weg zur belebtesten Ecke des Markts. Tanis folgte ihm. Schwätzer warf sich in Positur. »Hört, hört, ihr Leute!« schrie der Gnom. Keiner hörte zu.

Tanis tauchte neben Schwätzer auf. »Du brauchst eine Art Podium«, riet er ihm.

Der Gnom sah sich um. »Ich könnte eins bauen«, fand er. »Einen automatischen Gnomhebetrans-«

Als Reaktion hob der Halbelf den Gnom hoch und setzte ihn auf seine rechte Schulter. »Los, Marktschreier, raus mit deinen Nachrichten.«

»Ach, das ist so… direkt«, murmelte Schwätzer, der sich in das rötliche Haar des Halbelfen krallte, um das Gleichgewicht zu halten. Dann winkte er mit der anderen Hand und schrie wieder: »Hört, hört, ihr Leute!« Diesmal blieben einige Leute stehen. »Ich habe Neuigkeiten…«

Er leierte seine Nachrichten herunter – nur drei Dinge, wie sich herausstellte, doch eine war für Tanis von Interesse. »Der Vorstand von Havens Bauernverein, der sich zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengefunden hat, bietet eine Belohnung von fünfzehn Stahlmünzen für die Erlegung eines Ettins, der südlich von Haven Vieh getötet hat«, posaunte Schwätzer heraus.

»Was ist ein Ettin?« rief ein Mann hinten in der Menge.

»Ein Ettin ist zwölf bis dreizehn Fuß groß, hat zwei Köpfe und lebt normalerweise in kalten Gebirgsgegenden. Ettins sind Verwandte der Trolle und werden manchmal auch als zweiköpfige Trolle bezeichnet.«

Die Menge murmelte. Der Frager schüttelte den Kopf und verschwand, gefolgt von einigen anderen. Schwätzer fuhr fort. »Ettins fressen nur Fleisch. Der hier hat volle sechs Kühe getötet und gefressen, dazu diverse Hunde, einen Haufen Hühner und ein Dutzend Schafe. Gestern nacht hat er einen Schäfer südlich von Haven angegriffen. Der Mann wollte das Monster davon abhalten, seine Herde zu plündern, und hat das mit dem Leben bezahlt.«

Die verbliebenen Zuhörer wurden bleich und gingen eilig davon. Schwätzer redete noch weiter, kam dann aber zum Schweigen. Seine Zuhörer waren verschwunden. »Lag das an meiner Darbietung?« fragte er den Halbelfen.

»Nein, mein Freund. Das war der Ettin«, sagte Tanis barmherzig.

Tanis verabschiedete sich von dem verwirrten Gnom und stürmte Minuten später die Stufen in die »Sieben Zentauren« hoch. Dabei bemerkte er nicht, wie sich auf einer Bank auf der anderen Straßenseite plötzlich Wod aufsetzte.

»Was hältst du davon, gegen Bezahlung ein Monster zu jagen?« fragte Tanis ohne Gruß, als er sein Zimmer betrat.

Kitiara war angezogen, aber blaß. Der leere Teekrug stand mit ein paar Toastkrümeln auf einem Tablett an der Tür. »Schwangerschaftstee, Halbelf, ich muß schon sagen«, knurrte Kitiara. Dann erfaßte sie, was er gesagt hatte. »Ein Monster erlegen? Für wieviel?«

»Fünfzehn Stahlmünzen.«

Sie pfiff.

»Schon mal von einem Ettin gehört?« fragte er.

Kitiara erstarrte. »Ein zweiköpfiger Troll?« Zwei Falten bildeten sich zwischen ihren Augen; sie schien tief in sich hineinzusehen. »Nein, das ist unmöglich«, flüsterte sie fast lautlos. Ohne Tanis’ fragenden Gesichtsausdruck zu beachten, meinte sie dann laut: »Mein letzter Auftraggeber hatte einen Ettinsklaven. Ich weiß etwas über sie. Sie sind gefährlich, aber dumm, und, wie die meisten dummen Wesen, ausgesprochen loyal.«

»Hast du Lust, einen zu jagen?«

Kitiara reagierte nicht mit der Begeisterung, die Tanis erwartet hatte, aber das schob der Halbelf auf ihren vermutlichen Kater. »Wir könnten unsere Schulden bei Mackid begleichen, ihn fortschicken und hätten noch fünf Stahlmünzen übrig«, erklärte er.

Kitiara starrte ihn an. »Warum tust du das, Tanis?« fragte sie leise. »Du schuldest Caven Mackid überhaupt nichts. Ein Ettin ist ein gefährlicher Gegner.«

Tanis begann seine wenigen Sachen in seinen Packsack zu legen. Er schwieg eine Weile, und als er dann sprach, hatte er sein Gesicht abgewendet. »Du hast mir bei dem Kampf mit dem Irrlicht das Leben gerettet«, sagte er.

Kitiaras Ausdruck verriet allergrößten Argwohn.

»Bei der Gelegenheit haben wir gut zusammengearbeitet«, fuhr der Halbelf schließlich fort. »Das könnten wir wiederholen.«

Mehr sagte er nicht. Nachdem Kitiara eine Weile offensichtlich unentschlossen herumgestanden hatte, schüttelte sie den Kopf und begann ebenfalls ihre Sachen zu packen. »Es ist deine Haut, Halbelf. Auf jeden Fall«, sagte sie still wie zu sich selbst, »möchte ich den Ettin lieber hier als in Solace erledigen. Ich will ihn nicht nach Hause locken.«

Tanis blickte von seinem Sack hoch. Auf seinem Gesicht zeigte sich Überraschung. »Warum sollten wir ihn nach Solace locken? Was vermutest du, Kitiara?«

Aber Kitiara sagte nichts weiter. Kurz darauf saßen sie auf Paladin und Obsidian und verließen Haven in südlicher Richtung.»Was ist?« fragte Tanis eine Stunde später. Er hörte nur Blätterrascheln.

»Jemand folgt uns.« Kitiara biß sich auf die Lippen und langte zum Schwert.

Sofort schnalzte Tanis seinem großen Wallach zu, der als erfahrenes Pferd bereits am Wegrand Deckung suchte. Kitiara und Obsidian verschmolzen auf der anderen Seite mit den Bäumen.

Bald tauchten zwei Reiter auf, die so scharf galoppierten, daß ihre Pferde schon schweißgebadet waren. Als Kitiara und Tanis ihre Verfolger erkannten, kamen sie auf den Pfad zurück. Caven zügelte seinen schwarzen Hengst so unvermittelt, daß sich das Pferd aufbäumte. Auf Tanis und Paladin regneten Schweißflocken herab. Mackids schwarzes Haar streifte die Zweige der Kiefern und Ahornbäume. Hinter ihm bremste Wod seine ausgelaugte Mähre in einiger Entfernung von dem Hengst ab.

Cavens Pferd war ein grobknochiges, rabenschwarzes Schlachtroß. Das einzig Helle an ihm war das Weiße in seinen Augen, die Blesse auf seiner Stirn und die blitzenden Zähne, die trotz seiner Kandare noch schnappten. Neben diesem Hengst war der große Paladin ein Zwerg.

»Ich wußte, du würdest dich davonstehlen, Kitiara!« rief Caven.

Kitiara schwieg zunächst. Dann knurrte sie: »Hast mir nachspioniert, was, Mackid?«

»Anscheinend aus gutem Grund. Wo willst du hin? Das ist nicht der Weg nach Solace. Wolltest mich auf die falsche Fährte locken, hm?«

Tanis meldete sich zu Wort. »Wir sind aufgebrochen, um das Geld für dich zu verdienen, Mackid.«

Cavens Gesicht war ungläubig. »Wie das?« war alles, was er sagte.

»Einen Ettin fangen. Gegen Belohnung.«

»Einen Ettin?« Cavens schwarzes Pferd tänzelte vor und zurück. Offenbar war es ebenso ungeduldig wie sein Reiter. Die anderen drei Pferde stampften ebenfalls auf, denn sie ließen sich von dem aufgeregten Hengst anstecken. »Warum habt ihr mir das nicht gesagt?«

Tanis sah Kitiara an. In seinen Augen stand eine unausgesprochene Frage. Die Kriegerin seufzte. »Ich habe dem Halbelfen gesagt, ich würde dir eine Nachricht hinterlassen.«

»Daß…?« forderte Mackid.

»Daß wir innerhalb einer Woche mit deinem Geld nach Haven zurückkommen.«

Mackid starrte Kitiara an. »Hast du zweifellos vergessen«, sagte er triefend vor Ironie. Dann lächelte er Tanis an. »Ich habe dich gewarnt. Trau ihr nicht, Halbelf.«

Tanis knurrte nur und sah die Söldnerin stirnrunzelnd an.

»Jedenfalls«, fügte Mackid hinzu, »ist die Nachricht überflüssig. Ich komme mit.«

»Wir brauchen keine Hilfe von dir«, sagte der Halbelf.

Caven Mackid lachte. »Glaubst du, ich lasse Kitiara noch einmal entwischen? Was sollte sie davon abhalten, die Belohnung zu kassieren und dann uns beiden wegzulaufen?« Er zügelte seinen Hengst und lenkte ihn zwischen Paladin und Obsidian, die auseinanderwichen. Der gelangweilte Wod bildete das Schlußlicht. »Also los«, sagte Mackid.

Es schien keinen Ausweg zu geben. Die vier ritten schweigend weiter. Sie redeten nur, wenn Cavens Hengst nach den anderen Pferden schnappte, falls sie ihm zu nahe kamen.

»Wo hast du dieses Tier her?« fragte Tanis schließlich.

»Aus Mithas.« Mithas, das auf der anderen Seite des Blutmeers lag, war die Heimat der Minotauren, der Stiermenschen, die für ihre gnadenlose Kriegführung und ihre Bereitschaft, als Söldner zu kämpfen, bekannt waren.

Caven grinste, als er die unausgesprochene Frage beantwortete. »Ich habe Malefiz beim Knochenwerfen gewonnen. Von seinem minotaurischen Herrn.« Lachend warf Mackid den Kopf zurück. »Als wenn es für Malefiz überhaupt einen Herrn gäbe! Mich duldet er gerade so eben, und auch das nur, weil er weiß, daß ich eine genauso sture schwarze Seele habe, wie er.«

Minotauren waren dafür berüchtigt, daß sie Ausländer umbrachten. Der Mann war das extreme Risiko eingegangen, einen Minotaurus herauszufordern – auch wenn es nur um so etwas Harmloses wie ein Knochenspiel gegangen war.

Caven nickte zu Paladin hinüber. »Wo hast du denn dieses… Faschingspferdchen her, Halbelf?« Tanis spürte, wie der Ärger siedendheiß in ihm aufstieg. Paladin hatte den Halbelfen bei unzähligen Gefechten getragen, hatte sich in vielen gefährlichen Situationen bewährt, war von Wegelagerern bis zu Goblins allem Möglichen begegnet. Wenn er daneben noch so sanft war, daß Kinder ihn reiten konnten – um so besser.

Aber die vier mußten irgendwie das Kriegsbeil begraben, wenn sie den Ettin zur Strecke bringen wollten. Deshalb reagierte Tanis nicht auf Cavens Spott, sondern ließ Paladin in seinen holprigen Trab fallen und lenkte ihn an die Spitze.

Jetzt war es Zeit für den Ettin.

Загрузка...