Auf dem Frachter ›Hoahokim‹

Sie nannten ihn Zigeuner, nicht mehr. Ein großgewachsener, stiller Mann, dunkelhäutig und ohne das fast durchgängige orientalische Äußere der menschlichen Rasse, besaß er eine kräftige Römernase und schwarze, blitzende Augen, die zusammen eine hypnotische Maske bildeten. Zigeuner war kein Kom-Polizist, vielmehr schien er alle Autorität und ihre Vertreter zu hassen. Marquoz war ihm einige Jahre zuvor auf einem Provinzplaneten begegnet, wo Zigeuner seine Flöte blies und den Hut herumgehen ließ. Damals hatte Marquoz zum erstenmal unaufgefordert den Tanz vorgeführt, und sie waren enge Freunde geworden. Selbst jetzt wußte der Chugach wenig über seinen menschlichen Begleiter und begriff noch weniger. Tief im Innersten schienen aber beide in ihren Haltungen zu sich selbst und anderen einen Funken der Verwandtschaft zu spüren.

Sie waren fast sofort auf ihre Vorführung gekommen, die sich noch wirksamer gestalten ließ, als sie dahinterkamen, daß die Leute auf den meisten Planeten den kleinen Drachen für ein exotisches Tier hielten.


* * *

Marquoz döste in der Kabine, während Zigeuner auf Deck spazierenging. Der Chugach erwachte mit einem Schnauben und einem winzigen Rauchwölkchen, das aus seinen Nüstern drang, als die Tür aufging und der Mann hereinkam. In einem Raumschiff gab es keine Vortäuschung, ein Haustier zu sein; Raumfahrer erkannten in der Regel alle Rassen.

Ein Reptillid schnellte hoch.

»So? Hast du etwas gefunden, was auf den letzten dreitausend Schiffen nicht vorhanden war?«

Zigeuner ließ sich auf die Koje sinken, seufzte und knurrte:»Nein. Ich bin im Passagierraum gewesen, und da war eine von diesen Superfrauen — die mit Schweifen, du weißt schon — und plapperte ihr religiöses Zeug. Vielleicht hätte ich da auch einsteigen sollen — viel Geld und wenig Arbeit. Früher bin ich ja mal Gesundbeter gewesen.«

Beide Drachenlider schnellten hoch.

»Du? Gesundbeter?«Wieder das rauchende Schnauben, diesmal in spöttischer Belustigung.

Zigeuner nickte mit seinem zottigen Kopf.

»Ja. Große Sache. Ein, zwei Gehilfen in der Menge, damit du echte Heilungen vorweisen kannst, und so weiter. Wenn du jemand wirklich heilst, machst du ein Vermögen, wenn nicht, na, dann liegt es daran, daß eben nicht genug geglaubt worden ist. Das ist überhaupt das Geheimnis bei diesen Maschen — die Schuld am Versagen muß man dem Gimpel zuschieben.«

»Hast du wirklich jemanden geheilt?«fragte Marquoz skeptisch, aber voll Interesse.

»O sicher, hier und dort den einen oder anderen«, erwiderte Zigeuner sachlich. »Der Geist kann viele Krankheiten selbst heilen, wenn der Betreffende wirklich daran glaubt. Mann, ich kann nach Wunsch bei mir eine Blutung stoppen und mich weigern, Schmerz anzuerkennen — die Masche mit der Nadel.«

Der Chugach nickte.

»Wie du das machst, ist mir immer noch nicht klar. Muß eine Verschiedenheit bei unseren beiden Rassen sein. Wenn du mir irgendwo eine Nadel reinsteckst, tut das verdammt weh. Ich spüre die Dreel-Impfung immer noch.«

»Nein, ich glaub’ nicht, daß das was Rassisches ist«, sagte Zigeuner leise lachend. »Ich glaube, das kann jeder mit einem brauchbaren Hirn. Eigentlich ist das nur Willenskraft.«

»Wie du meinst«, sagte Marquoz achselzuckend. »Von meiner Rasse kommt da keiner in die Nähe. Ich glaube, es steckt mehr dahinter, als du meinst — etwas, das Menschen und vielleicht noch ein paar andere können, aber nicht wir, so wenig, wie du Feuer und Rauch schnauben kannst.«

»Schon gut.«Zigeuner seufzte und wechselte das Thema. »Diese Olympierin ist wahrhaftig ein Prachtexemplar. Alle Attribute jeder Traumfrau, die sich irgendeiner ausdenken kann, aber sie sagt mir nichts. Sie hat etwas an sich — vom Pferdeschweif natürlich immer abgesehen —, das einfach nicht menschlich ist. In mancher Beziehung halte ich sie für viel weniger menschlich als dich, Marq.«

Der Chugach lachte in sich hinein.

»Vielleicht sollte ich zu ihr raufgehen.«Er verstummte kurz und schnaubte ein wenig. »Ob sie mich auch fragen würde, ob ich Nathan Brazil bin?«

»Vermutlich. Ich weiß aber nicht, was sie tun würde, wenn du es zugeben würdest. Verrückte Religion. Möchte nur wissen, wie Brazil das aushält? Vermutlich ist er irgendwo ganz tief untergetaucht, um seine Ruhe zu haben, der arme Kerl.«

Die Saurierlider stiegen hoch.

»Du glaubst wirklich, daß es eine solche Person gibt?«

»Aber sicher«, erwiderte Zigeuner. »Er und ich haben uns vor zwei Jahren vollaufen lassen, bevor diese Sektensache groß wurde und sich ausbreitete. Ein verdammt netter Kerl. Möchte wissen, wie diese fremden Schönheiten dazu gekommen sind, sich so auf ihn zu versteifen.«

Marquoz schwieg lange Zeit nachdenklich, dann sagte er:»Zigeuner, bist du sicher, daß es eine solche Person gibt? Ich meine, er hat dir nicht einfach was vorgeschwatzt? Die Sekte gibt es immerhin schon seit gut zehn Jahren.«

»Nein, er war wirklich Brazil. Ich war in seinem Schiff — ein Frachter wie der hier, nur viel älter und lauter.«Er zog die Brauen zusammen. »Warte mal — die ›Stepkin‹ — nein, stimmt nicht. Die ›Stehekin‹, glaube ich. Kein Luxus, spartanische Kajüten, alles altmodisch, aber das Ding konnte enorm viel schleppen, und er hielt es in Ordnung. Auf seinem Pilotenschein stand Brazil. Wir machten immer Witze darüber — den Erneuerungsmarken nach schien er schon ewig zu leben. Hmm… Vielleicht ist das der Grund, warum sie so an ihm kleben. Beinahe eine legendäre Gestalt, glaube ich. Der älteste Pilot im Dienst, obwohl er mir wie fünfundzwanzig oder dreißig vorkam. Kannte Raumfahrer, die behaupteten, ihre Väter und Großväter hätten ihn gekannt. Manche Leute kommen einfach als Glückspilze auf die Welt — ich vermute, daß er Verjüngungen einfach besser verträgt als die meisten Leute.«

Der Drache nickte.

»Wie sah er aus, dieser Brazil?«fragte er.

»Kleiner Kerl«, meinte Zigeuner achselzuckend. »Kann nicht schwerer gewesen sein als sechzig, fünfundsechzig Kilogramm, und war einen Kopf kleiner als ich. Lange, schwarze Haare, ungepflegter Bart. Zog sich gern grell, aber schlecht an und rauchte ganz stinkige Stumpen. Äußerlich ein harter Bursche, aber tief innen ganz weich, das spürte man. Ich möchte aber nicht mit ihm raufen oder ihn unter den Tisch saufen müssen. Immer voller Leben. Er schien nichts und niemanden ernst zu nehmen. Aber ganz tief innen, wo das Weiche war, muß er ein ganz Ernster gewesen sein — kalt, berechnend, reiner Geist und nackte Emotion. Wenn man ihn sah, wär’ man nie draufgekommen, aber bei einem Kampf hätt’ ich ihn gern auf meiner Seite.«

Marquoz nickte aufmerksam. Zigeuner hatte ohne Rücksicht auf seine Vorliebe für schwülstiges Gerede eine enorme Menschenkenntnis und täuschte sich fast nie.

»Möchte wissen, was die Olympierin sagen würde, wenn du ihr das erzählst?«

Zigeuner richtete sich auf der Koje kerzengerade auf.

»Guter Gott! Das würde ich nie wagen! Ich bekäme eins auf den Schädel und würde zu einem Verhör in einen der Tempel geschmuggelt werden! Ein paar Freunde von mir sind auf diese Weise verschwunden, da sie zu nah an diese Damen drankamen. Marquoz hob abwehrend die kleine Reptilienhand. »Schon gut, schon gut, ich frage ja nur.«Marquoz lachte. »Aber im Ernst, ich glaube wirklich, die Kom-Polizei sollte sich einmal gründlich mit ihm befassen. Wenn er die freie Seele ist, wie du behauptetest, könnte er mit der Sekte selber Geld verdienen.«

Zigeuner lachte nun seinerseits spöttisch.

»Wohl kaum! Nein, wenn ich ihn richtig einschätze, ist er verschwunden und hat sich so vergraben, daß die beste Polizei ihn nicht findet. Außerdem kenne ich ein paar Kom-Bonzen, die versucht haben, an die Unterlagen über ihn heranzukommen. Nichts zu machen.«

»Du meinst, es gibt keine?«

»Natürlich gibt es welche«, sagte Zigeuner ungeduldig. »Jeder hinterläßt ellenlange Spuren. Selbst mich könnte man durch einen Computervergleich von Ticket- und Reiseinformationen mit Schiffs-Flugplänen im ganzen Kom-Bereich verfolgen. Nein, diese Art von Sperre gibt es nur bei Leuten, die in etwas verwickelt sind, wovon nie jemand etwas erfahren soll. Womit er zu tun gehabt haben mag, weiß ich nicht, aber er ist ganz gewiß nicht der Typ, ein Agent für die Kom-Polizei oder irgend jemand anderen zu sein. Irgendwo jedoch hat er für dieses Schiff bezahlt.«

»Gerüchte hast du aber hören können?«meinte Marquoz.

»Ja. Zumeist jenes, daß er jedes Ratsmitglied, das Entscheidungen zu fällen vermochte, in der Hand hatte. Um diesen Brazil ist etwas ausgesprochen Fragwürdiges. Es gibt auch viele Geschichten über ihn, daß er an Brennpunkten auftaucht und überall sein Süppchen kocht.«

Marquoz nickte.

»Jeder, der in der Lage ist, seine gesamte Vergangenheit von der Kom-Leitung blockieren zu lassen, würde sich sehr gut verstecken können, nicht?«

»Warum interessiert er dich eigentlich so? Ich kenne keinen, der je etwas wirklich Schlechtes über ihn zu sagen hatte. Er mag eine von den grauen Eminenzen sein, aber diese Olympierinnen haben ihn ganz schön in der Mangel. Der Kleine tut mir leid.«

Der winzige Drache zog die Schultern hoch.

»Ich mach’ mir nur meine Gedanken. Je mehr ich von ihm höre, desto mehr denke ich nach. Gott oder nicht Gott, der Mann scheint sehr viel zu verbergen und enormen Einfluß zu haben, damit er das sicherstellen kann. Solche Leute interessieren mich.«

Zigeuner wollte etwas sagen, als es im Bordlautsprecher knackte.

»Achtung! Achtung!«Die heisere Sopranstimme des weiblichen Kapitäns ertönte. »Die Dreel unternehmen Vorstöße in den Sektor unmittelbar vor uns, und wir haben den Befehl erhalten, beizudrehen. Da die Wartezeit lang werden kann, gedenke ich, uns in eine Umlaufbahn um Cadabah zu bringen, und um der Sicherheit willen muß ich darauf bestehen, daß dort alle Passagiere aussteigen. Wenn die Gefahr vorbei ist, können alle wieder an Bord kommen, und wir setzen die Reise fort. Diese Entscheidung liegt im Interesse aller. Bitte, erscheinen Sie in zwanzig Minuten in der Andock-Kammer und nehmen Sie Gepäck für eine Übernachtung mit. Wir bedauern die Unannehmlichkeit.«

Das war alles, aber es genügte. Selbstverständlich war dergleichen in einer Kampfzone üblich. In einem Raumflughafen waren, durch Zoll und Einwanderungsbehörden abgeschirmt, die Passagiere sicherer, und der Kapitän konnte eine schnelle Flucht vorbereiten.

Zigeuner seufzte und stand auf.

»Ich wußte nicht, daß wir den Kämpfen so nah sind.«

»Waren wir nicht«, gab Marquoz zurück. »Das ist ausgesprochen schlecht. So großartig waren die Meldungen vom Krieg nicht, als wir abflogen, aber wenn die Front so weit zurückgewichen ist, sind wir in schlechterer Verfassung, als ich dachte.«

Der Krieg lief nicht gut. Ihrer Fähigkeit beraubt, Welten heimlich zu erobern, hatten die Dreel die schwächsten und verwundbarsten Systeme offenbar mit ihrer ganzen Flotte eingeschlossen. Die Kom-Flotten und Waffenkammer-Teams waren eingesetzt worden und in den Kampf hineingezogen worden. Diesmal waren die Dreel besser in der Abwehr; Kom-Waffen vermochten sie nicht mehr zu überraschen. Die Dreel hatten viel schnellere und leichter manövrierbare Schiffe als der Kom-Bund — und die Waffenkammer war mit Schreckenswaffen so vollgestopft, wie die Legende behauptete. Das war das Problem. Das Arsenal der Waffenkammer war geschaffen worden, um Sonnen zu zerstören und Planeten zu Asche zu zerblasen, aber nicht für den Kampf Raumschiff gegen Raumschiff oder einen Einfall in eine feindliche Flotte. Es war nichts anderes, als der tödlichen Fliege mit nichts Geringerem als der Atombombe zu begegnen.

Beim Kampf Schiff gegen Schiff waren die Dreel weit überlegen. Sie hatten dafür die richtigen Waffen und schnelle Schiffe, und viel bessere Führer. Sie erzielten Siege, weil man an ihre Hauptflotte und Strategiezentrale nicht herankonnte. Nur ihre geringere Zahl hatte verhindert, daß sie den Kom-Bund innerhalb von Wochen überrannten. Nun ging das schon Jahre, viele Jahre — aber der Kom-Bund unterlag. Die Dreel überrannten mehr Welten, als vom Kom zerblasen werden konnten — und wenn man die Welten sprengte, schädigte man die Dreel gar nicht besonders.

Während Zigeuner und Marquoz achtern gingen, fragte der Chugach seinen Begleiter:»Was weißt du über Cabadah? Gibt es da was Interessantes?«

»Ganz miese Gegend«, knurrte Zigeuner. »Eine der alten Kom-Welten, als Kom noch eine verderbte Form von Konformismus, nicht von Kommune war. Ein Haufen Farmer, die alle gleich aussehen, gleich denken, gleich handeln. Einer von diesen menschlichen Insektenhaufen.«

Marquoz seufzte.

»Also todlangweilig. Na ja, nicht zu ändern.«

Die Andock-Kammer füllte sich bereits mit Passagieren.

Die Olympierin war zur Stelle; sie ragte heraus wie eine echte Königin in einem Schweinestall und trug nur einen großen Umhang.

»Sie sieht verärgert aus«, stellte Marquoz belustigt fest.

»Ah, mein Junge, sie wird uns bald auf die Nerven fallen«, prophezeite Zigeuner. »Wenn sie anfängt, sich zu langweilen, wird sie versuchen, uns alle zu bekehren.«

Er hatte recht. Noch bevor die Fährrakete auf dem Raumflughafen von Cabadah landete, wurde die Bekehrung mit der Inbrunst einer Fanatikerin begonnen. Eines mußte Marquoz ihr allerdings lassen: Gleichgültig, wie verrückt ihre Religion sein mochte, sie glaubte steif und fest daran. Wenn Nathan Brazil eine wirkliche Person war, konnte er einem leid tun.

Er fragte sich, wie lange die heiligsten Verschwiegenheitssiegel auf Rats- und Kom-Informationen halten würden, wenn die Dreel immer weiter vorrückten.

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