Obwohl von der Waffenkammer jedermann wußte und man gleichermaßen Kinder wie Erwachsene damit erschrecken konnte, hatten nur wenige eine Vorstellung davon, was der Ausdruck bedeutete. Die Mehrheit der Leute schien sie für eine Art Riesentresor zu halten, alle Schreckenswaffen bergend, die ihre Höherstehenden für zu ungeheuerlich hielten, um sie einzusetzen.
In Wahrheit war die Waffenkammer eine sehr kleine, computergesteuerte Welt, vor langer Zeit geschaffen, mit den damals stärksten Abwehrsystemen versehen, von völlig computerisierten Raumschiffen an eine bestimmte Stelle geschleppt und von einem Hauptcomputer an ihr endgültiges Versteck bugsiert, der auf der Stelle jede Erinnerung an das Unternehmen löschte. Niemand kannte den Verbleib der Waffenkammer, und das schon seit über tausend Jahren. Man wußte lediglich, daß es sich um eines von unzähligen Billionen Stücken Raumschutt irgendwo in der ›Umgebung‹ des Kom-Bundes handelte. Die Weltengemeinschaft konnte jedoch mit ihr in Verbindung treten — d.h., die Kammer vermochte ein Signal zu empfangen, dessen Richtungsbestimmung so verwürfelt war, daß nicht einmal das böswilligste Computergenie es jemals hatte aufspüren können.
Nachdem das richtige Signal gesendet worden war, tat der Computer der Waffenkammer das einzige, wozu er konstruiert worden war: Er sendete einen komplizierten Satz Instruktionen, der von unzähligen Millionen von Kommunikationscomputern weitergereicht wurde.
Die Schreckenswaffen waren nicht weggeräumt; sie waren nicht einmal überholt, da neue Geräte bei der Entwicklung routinemäßig die Programmierung erhielten, nur auf Auslösesignale der Waffenkammer zu reagieren.
Nun konnten jene, die diese schrecklichen Waffen bemannten und an ihnen ausgebildet worden waren, wobei man Computersimulator benützt hatte, den Ernstfall erleben. Stationierung und konkreter Einsatz wurden natürlich allein von Computern gesteuert, aber Leute, menschliche und nicht-menschliche, entschieden, ob und wo und wann sie stationiert werden sollten.
Die auf Madalin vorrückende Flotte hatte keine Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen Flotte, die man bislang innerhalb des Kom-Bundes oder vielleicht auch anderswo gesehen hatte. Die Raumschiffe waren riesig, die Raumschiffe waren winzig; alle ließen sich kaum mit den üblichen, jedermann bekannten Marinefahrzeugen vergleichen.
Das Nervenzentrum von Einsatzgruppe Eins war ein verhältnismäßig kleines Objekt, eine Kugel, aus der lange, dünne Dorne herausragten. Ihre Kampfcomputer würden darüber entscheiden, wie die Flotte am besten eingesetzt werden sollte. Dabei handelte es sich auch hier lediglich um ein Hilfsmittel; an Bord aller anderen Schiffe befanden sich jeweils ein Computer und eine Ersatzmannschaft zur Entwicklung der richtigen Anweisungen.
Madalin stand auf den Bildschirmen, und Einsatzgruppe Eins begann bereits mit dem Angriff, als die Dreel zuschlugen. Sensoren in der dornengespickten Kugel orteten Schiffe, mit Beschleunigungen vorstoßend, die viel höher waren als alles, womit die Kom-Technologie fertigzuwerden vermochte. Es war offenkundig, weshalb die erste Streitmacht gescheitert war — überfallen vom Feind, bevor man auch nur die Zeit gefunden hatte, sich zu verteidigen.
Die Steuerung der Waffenkammer unterlag keinen solchen Benachteiligungen; sie war dafür geschaffen worden, sich dem Unmöglichen zu stellen und es, wenn möglich, zu bekämpfen. In Nanosekunden zuckten Signale, Abschirmungen traten in Aktion, Raumschiffe nahmen Abwehrstellung ein und überraschten die Dreel. Ihr Nachrichtendienst konnte nicht wissen, was in der Waffenkammer verborgen lag, weil darüber nicht einmal der Kom-Bund Gewißheit hatte.
Es waren nur zwanzig Dreel-Schiffe — im Grund ein Geschwader. Die Einsatzgruppe hatte mehr erwartet und schickte sich zur Verteidigung an, weil sie zu langsam war, um dem Feind nachzusetzen.
Die Dornenkugel erfüllte in einer solchen Lage einen doppelten Zweck. Sie war so konstruiert worden, um auszusehen und eingesetzt zu werden, als wäre sie ein Kommando- und Nervenzentrum. Sie mußte jeden Angreifer auf sich ziehen, der militärischlogisch dachte. Die Dreel-Schiffe, fast fünfmal so schnell wie die schnellsten Kom-Fahrzeuge, jagten, wie man es erhofft hatte, der Kommandokugel entgegen.
Computer am Abwehrrand in den Schiffen am Abwehrumkreis verfolgten die zwanzig winzigen Dreel-Nadeln und machten ihnen Platz. Die Absicht hätte auffallen müssen, aber die Dreel waren zu selbstsicher, obwohl sie einer fremden Militärmaschinerie gegenüberstanden, mit der sie nicht vertraut waren. Sie flogen unmittelbar auf die Kommandokugel zu — und ließen sich damit auf einen Spießrutenlauf ein.
Die Entfernungen waren gigantisch, die Aufstellung erwies sich als ideal; alle zwanzig Schiffe befanden sich im Verteidigungskreis, bevor die Falle zuschnappte. Überall erschienen Abschirmungen, und kleine, murmelartige Schiffe beschossen die angreifende Flotte. Die ungeheure Geschwindigkeit der Dreel wurde plötzlich zu einer Schwäche. Sie flogen viel zu schnell, um größere Ausweichmanöver oder rasche Kursänderungen vornehmen zu können; die Murmelschiffe waren so klein, daß man eigenes Gerät hatte entwickeln müssen, um sie überhaupt zu orten. Sie waren alle automatisiert und befanden sich nicht in Bewegung. Sie feuerten nur, entlang der ganzen Spießrutengasse, und ließen die Dreel-Schiffe in ihre Energiestrahlen einfach hineinlaufen.
Zwölf Dreel-Schiffe erlitten Volltreffer. Den anderen acht gelang es auf irgendeine Weise, den Kurs ein wenig zu verändern und die Strahlen zu umgehen, obwohl sie damit noch nicht ihre eigenen Waffen einsetzen konnten. Sie waren fort und von den Bildschirmen verschwunden, bevor einer der Militärcomputer neue Ziele eingeben konnte.
Bei den gegebenen Beschleunigungen mußte die Abwehr vollautomatisch erfolgen und von selbsttätigen Computern gesteuert werden, die für die unendlich kurzen Reaktionszeiten ausgelegt waren. Der erste Angriff war geortet, beantwortet worden und vorbei, bevor die Besatzungen der Einsatzgruppen-Schiffe auch nur Zeit hatten, auf ihren Bildschirmen zu erkennen, daß sie beinahe erledigt gewesen wären.
Die Dreel waren getroffen worden, und zwar schwer. Sie würden es sich ein wenig überlegen, bevor sie erneut angriffen, zumal nur acht Raumschiffe geblieben waren.
Das eigentliche Zerstörungssignal bei der Kom-Gruppe mußte von Hand gegeben werden; ein Zögern gab es kaum. Die Offiziere hatten alle den Film über den Dreel-Kontakt mit Madalin gesehen, wo über eine Million Menschen an die Dreel verlorengegangen war. Kleine, dreieckig aussehende Schiffe hatten den Planeten umzingelt, und mit einem einzigen Gleißen war die schöne, blauweiße Welt zugrundegegangen, Atmosphäre und die obersten zehn Kilometer Kruste zerstört.
Der Kommandeur der Einsatzgruppe, ein riesiger Rhone, die Verkörperung des klassisch-griechischen Zentaurs, behielt eine grimmige Miene bei, als die Techniker auf der Kommandobrücke in Jubel ausbrachen. Er ließ ihnen ihren Augenblick des Triumphes, dann griff er nach vorn und schaltete auf Bordfunk um.
»Gut gemacht! Wir wollen aber nicht vergessen, daß wir dieses Gefecht noch nicht gewonnen haben. Der Planet dort unten war kein feindlicher, sondern einer von uns. Das waren unsere Leute, es war unsere Welt. Solche Siege können wir uns kaum viele leisten, denn jeder einzelne bedeutet, daß wir von uns selbst ein wenig mehr verlieren. Alle Mann auf Station. Das war die Eröffnung des Gegenangriffs, aber mit der Hauptstreitkraft sind wir noch nicht zusammengestoßen. Der Krieg hat erst begonnen.«