Die blauweiße Weite von Gramanch dehnte sich unter der Fährrakete, die zu einem kleinen und nicht sehr eindrucksvollen Mond hinaufstieg. Gramanch besaß mehrere Monde, die meisten nicht mehr als Kratergestein und luftleere Ödnisse, keiner mit einem größeren Umfang als dreitausend Kilometer. Das Ziel der Fährrakete war kleiner, unterschied sich von den anderen aber darin, daß es sich um einen für seine Besitzer klimatisierten Privatmond handelte, an dem kaum etwas natürlich war. Man behauptete, sie hätten einen Steroiden eingefangen, ihn wie ein altes Raumschiff renoviert, einen Antrieb hinzugefügt und ihn in eine Umlaufbahn gebracht. Ganz gewiß gab es ihn noch kein volles Jahr.
Bei der Annäherung vermochte man die Unterschiede leicht festzustellen. Eine Halbkugel wurde geschützt von einer Art Energieschild, die ihr das Aussehen von ein wenig glanzlosem Kunststoff verlieh; darunter gab es Anzeichen für Grünwachstum und Wolken.
Die andere Halbkugel war schwerer zu erkennen, aber als die Fährrakete näher kam, konnte man die Oberfläche sehen. Sie war genarbt, aber nicht wie andere Monde mit Kratern übersät. Lediglich eine riesige, konkave Scheibe, deren metallene Rippen im Sonnenlicht glänzten, deutete darauf hin, daß das der Bereich des Raumantriebs sein mußte.
Die Gramanch waren eine raumfahrende Rasse; sie breiteten sich aus und hatten das ohne Konflikte zu tun vermocht, auch wenn es beim Zusammentreffen mit einigen der nicht-menschlichen Raumfahrerrassen einige unbehagliche Augenblicke gegeben hatte. Die Bewohner von Gramanch waren klein, kaum einen Meter groß, umwickelt von langem Zobelpelz, aus dem Gesichter wie Mini-Löwen oder Pekinesenhündchen guckten. Sie waren insoweit ungewöhnlich, als sie auf allen vieren gingen, sich aber auf die Hinterbeine stellten, wenn sie ihre dünnen, zarten Affenfinger mit opponierendem Daumen gebrauchen wollten. Sie glichen unglaublich dickpelzigen Känguruhs mit dicken Schenkeln und geringelten Pelzschwänzen.
Das Schiff dockte an, und die Passagiere kamen sich leichter vor als bisher. Der Unterschied war so groß, daß ihr Gang federnd wurde, aber nicht so stark, daß dies unbehaglich war.
Ihre Gastgeberin, ein auffälliges, weibliches Wesen, deren flammend orangeroter Pelz grau und weiß gefleckt war, begrüßte sie, als sie ausstiegen.
»Willkommen, willkommen auf Nautilus«, sagte sie freundlich. »Ich bin Sri Khat, Ihre Gastgeberin und die Direktorin dieser Anlage. Bitte, sorgen Sie sich nicht um Ihr Gepäck; es wird zu Ihren Zimmern gebracht. Wenn Sie mir folgen wollen.«
Sie trabten glücklich hinter ihr her, insgesamt vierunddreißig an der Zahl, und betrachteten die seltsame, kleine Welt außerhalb des winzigen Terminals.
Sie war grün und wunderschön. Überall wuchs Gras, und sie konnten auf der linken Seite Wäldchen von fremdartigen Bäumen sehen. Auch die Gebäude wirkten fremd, aber angenehm und keineswegs protzig. Fremdartige Vögel huschten durch eine ungewöhnlich belebende und angenehme Luft; Blumen, vertraute und fremde, wuchsen überall; hier und dort liefen kleine Tiere umher. Man kam an herrlichen, gepflegten Gärten und Springbrunnen mit kristallklarem Wasser vorbei. Inmitten dieser Idylle blieb die Hosteß stehen, drehte sich um, setzte sich auf und sah die Leute an.
»Ich heiße Sie auf Nautilus noch einmal willkommen«, wiederholte sie. »Diese Welt, das einzige bekannte Produkt der Zusammenarbeit von privaten Interessen fremder Wesen, ist zu Ihrer Bequemlichkeit und Freude da, ein Ferienort ohne Belastung und Ängste. Kommen und gehen Sie, wie es Ihnen genehm ist, wandern Sie in unseren Feldern und Wäldern, fischen Sie in unseren Flüssen und Bächen — springen Sie in einen Brunnen, wenn Sie wollen.«
Man lachte leise darüber, wie üblich, und sie setzte ihren Vortrag fort.
»Geschäfte und Läden sind nur für Ihre Einkäufe da; keine Steuerbeamten werden Ihre Muße stören. Wir haben Gesundheitsprogramme, Sportanlagen, Restaurants, Klubs und Aufenthaltsräume, sogar ein Spielkasino. Alles auf Nautilus soll Ihnen helfen zu genießen, wofür Sie bezahlt haben und hier noch bezahlen werden. In jedem Gästezimmer finden Sie Landkarten.«
Eine Pelzhand hob sich. Sie nickte.
»Was ist ›Nautilus‹?«fragte ein Gramanch. »Dieses Wort habe ich noch nie gehört.«
Sri Khat lächelte.
»Nautilus ist natürlich ein Fremdwort«, sagte sie. »In den Legenden einer längst untergegangenen, fremden Rasse hieß so ein berühmtes Piratenschiff.«
Darüber lachten sie wieder. Der Satz war doppelsinnig. Wenn sie hier abreisten, würden ihre Brieftaschen viel dünner sein.
Wieder meldete sich jemand zu Wort.
»Wir haben Gerüchte gehört, daß Sie Wunder wirken können — das Altern aufhalten, sogar die schwersten Krankheiten heilen. Ist das wahr?«
»Es trifft zu, daß wir bestimmte Heilmethoden anwenden können«, bestätigte die Hosteß. »Wie Sie vielleicht wissen, nehmen wir täglich eine große Zahl schwerkranker Personen zur Behandlung in unseren Spezial-Stationen auf und verlangen nichts dafür. Unsere Erfolgsquote bei Todkranken ist sehr hoch. Sie tragen natürlich dazu bei, für die Unkosten aufzukommen, weil Sie Ihr Geld auf Nautilus ausgeben. Wenn Sie im Kasino also viel Geld lassen, können Sie sich wenigstens mit der Überlegung trösten, daß Ihr Verlust mitgeholfen hat, Leben zu retten.«
Das gefiel ihnen. Und gut fürs Geschäft war es auch.
»Dürfen wir sehen, wo das geschieht?«fragte jemand.
»Leider nein, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens ist der Raum hier begrenzt — die medizinische Arbeit wird im Inneren dieser Welt verrichtet, weit von hier. Zweitens können wir die Umwelt nicht steril halten, wenn ständig Besucher hindurchlaufen. Und drittens: Was würden Sie sagen, wenn Sie todkrank wären und sich in Ihrem Krankenbett als Touristenattraktion bestaunen lassen müßten?«
Das ging ihnen ein.
Bald danach gingen sie zu ihren Zimmern, richteten sich ein und ließen sich zur ersten Feinschmeckermahlzeit nieder.
Sri Khat saß in ihrem Büro und ging die Passagierliste durch. Eine gute Gruppe. Drei Konzernpräsidenten, zwei aus der Schwerindustrie mit wichtigen politischen Beziehungen, dazu ein Vizepremier. Sehr gut.
Das war ein heikles Geschäft, aber es brachte viel ein. Die Gramanch hatten sich friedlich ausgedehnt, aber das ging zu Ende. Sie vermehrten sich zu rasch, verbrauchten zuviel, ihre neun Kolonien waren überfüllt — und sie hatten das Zählen nicht verlernt. Manche der fremden Rassen in ihrem Raumsektor waren ihnen zahlenmäßig fünf zu eins oder gar zehn zu eins überlegen. Die Gramanch waren ihnen allen technologisch überlegen, das stand fest, aber sie konkurrierten mit anderen Rassen um dieselben Planetentypen und fanden nur sehr wenige. In den führenden Kreisen machte sich eine Haltung des Ausdehnens um jeden Preis breit, etwas, das zu Aggression und Eroberungsgeist führen mußte. Die Gramanch weigerten sich, ihre Bevölkerung zu beschränken, weil andere Rassen kopfstärker waren, dabei konnten sie die Bevölkerungsexplosion, die ihr Wahn hervorrief, nicht bewältigen.
Das war diesmal die Mission von Nautilus: Ein exklusiver Ferienort mit großartigem Ruf, erworben durch kostenlose Wunderheilungen und Mundreklame, zog die reichsten und mächtigsten Leute an. Diese Leute galt es umzustimmen, dann mochte eine katastrophale Zukunft vielleicht vermieden werden.
Sri Khat saß entspannt an ihrem Schreibtisch, als Nautilus zu erbeben schien. Ein kurzfristiger Stromausfall ließ Lichter flackern und kleine Gegenstände kippen. Es war wie bei einem leichten Erdbeben; nur konnte es dergleichen hier nicht geben.
Sie drückte sofort auf die Taste der Sprechanlage.
»Achtung, an alle! Vorrang Beruhigung der Gäste! Schadenaufsicht, sofort alle Probleme an der Oberfläche überprüfen! Allgemeine Bereitschaft!«Sie drückte auf eine andere Taste. »Obie! Was, zum Teufel, ist passiert?«
»Ich — ich weiß nicht recht«, erwiderte eine unsichere Tenorstimme. »Vorhin ging noch alles gut, dann spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz, einen ganz qualvollen Ruck! Dadurch habe ich zeitweilig die Kontrolle verloren.«
»Du bist eine Maschine, verflixt! Du kannst gar keine Schmerzen spüren!«
»Das habe ich auch gedacht«, erwiderte der riesige Computer, dessen Erscheinungsform Nautilus war, »aber — es war furchtbar! Ich spüre das immer noch!«
»Bist du beschädigt?«fragte Khat sofort. »Ist etwas explodiert?«
»Nein, nein, keine Spur. Ich habe schon alles überprüft. Das kommt von außen.«Er beruhigte sich bereits. Wie oft hatte sie mit dem Computer ähnliches erlebt, hatte ihn beschwichtigt und beruhigt? Der verfeinertste Computerkomplex, den man kannte, einen einzigen ausgenommen, benahm sich oft wie ein Kind, das in der Nacht weinend aus dem Schlaf fährt.
Das hieß aber nicht, daß die Lage nicht ernst gewesen wäre. Obie hatte nur Angst, weil ein so großartiger Computer, der gewöhnlich so vieles unter Kontrolle hatte, vor Dingen stand, die außerhalb seiner Erfahrung lagen. Daran erinnert zu werden, daß man weder die absolute Kontrolle besitzt noch allmächtig ist, kann das Selbstvertrauen zerstören.
»Analyse, Obie. Was war die Ursache?«
»Nicht zu beurteilen«, erwiderte er mit festerer Stimme. »Es war keine örtliche Störung. Ich glaube, es war überhaupt nirgends in der Galaxis. Ich — ich fürchte sehr, daß dem Computer der Schacht-Welt etwas zugestoßen sein könnte. Ich habe zwei Stöße gespürt, einen viel stärkeren und einen schwächeren, aber aus zwei Richtungen. Einer würde auf die Schacht-Welt weisen, der andere kommt irgendwo aus der Umgebung der Milchstraßen-Galaxis. Ich fürchte, daß etwas Grauenhaftes geschehen ist — erstens, weil der Stoß ein augenblicklicher war, trotz der Entfernungen, womit alles außer dem Gefüge von Raum und Zeit, unserer Wirklichkeit, ausscheidet, und zweitens, weil ich immer noch die Nachwirkungen spüre. Wir sollten das Projekt lieber fallenlassen und uns darum kümmern.«
Sri Khat gab ihm recht.
»Wir wollen aber niemand erschrecken oder aus dem Gleichgewicht bringen. Wir müssen andere Defekte finden, jedem sein Geld zurückerstatten und die Gramanch heimschicken. Dann können wir unseren Vertretern auf dem Planeten mitteilen, daß wir mechanische Störungen hatten und zu einer vollständigen Überholung fliegen müssen. Dann wäre alles erledigt.«
»Aber das dauert doch mehrere Tage!«wandte Obie ein.
»Wir haben trotzdem eine Verantwortung«, erinnerte sie ihn. »Und wir brauchen einen geordneten Rückzug, oder wir nähren den Wahn der Leute auf ganz arge Weise, wenn wir verschwinden!«
Obie gab einen sehr menschlichen Seufzer von sich.
»Na gut, Sie sind der Chef.«
»Darauf kannst du dich verlassen«, erwiderte Mavra Tschang.