Jack L. Chalker Rückkehr auf die Sechseck-Welt

Parkatin, an der Grenze


Es wäre Har Bateen viel leichter gefallen, die Welt zu erobern, wenn er eine Erkältung gehabt hätte. Bedauerlicherweise reinigten die Dreel automatisch alle Körper, die sie benutzten, so daß die Eroberung diesmal mit Gewalt vonstatten gehen mußte.

Slabansport war eine typische Grenzerstadt; der Raumflughafen war klein, aber modern, hauptsächlich benützt von Orbitalfähren, die Importwaren von den riesigen, regelmäßig eintreffenden Frachtern heranschafften. In seiner Nähe befanden sich natürlich die Bars und Kneipen, wie sie für jeden Hafen typisch sind, ebenso wie die Lagerhäuser, Reedereien und Niederlassungen der Firmen, die den Antrieb für das Vorrücken der Grenze lieferten. Die Stadt selbst, auf Parkatin die größte, hatte knapp zwanzigtausend Einwohner. Das würde sich freilich ändern; die verbrannten, braunen Wüsten um Slabansport waren im Umkreis von tausend Kilometern erblüht, seit importierter Humus und Pipelines von fernen Wasserquellen die ersehnte Feuchtigkeit heranführten. Parkatin war eine heiße, trockene Welt, aber sie besaß Wasserdampf und Wärmegewitter und würde in etwa einer Generation Heimat für eine weitere Milliarde Menschen bieten.

Natürlich nicht zum Besten der Menschheit, falls die Dreel da mitzureden hatten. Kolonien von ihnen waren jetzt zur Stelle und blickten durch Har Bateens Augen auf die schäbige kleine Bar gleich am Raumflughafen. Vom Erfolg, diese Tiere zu züchten und sich ausbreiten zu können, um auf Parkatin neuen Lebensraum für Dreel-Kolonien zu schaffen, waren sie fest überzeugt. Die Kolonien würden die Wirtstiere bewohnen und miteinander in Verbindung treten, so, wie die Dreel jetzt den Körper von Har Bateen benutzten.

Die Dreel waren unglaublich komplexe Organismen und dabei das kleinste organische Leben, das man in der ganzen Galaxis — vielleicht sogar im Universum — kannte. Sie lebten zu Milliarden in Hirn und Blut und Gewebe anderer Organismen in einer Gemeinschaftseinheit des Selbst; alle anderen Organismen waren einfach Tiere, lediglich Wirtstiere, was sie betraf, dazu dienend, noch mehr von ihnen aufzunehmen.

Har Bateen betrat die Bar und ließ sich auf einen Hocker an der Holztheke nieder. Es gab noch nicht sehr viele Gäste. Im Hafen lagen keine Schiffe, aber im Laufe des nächsten Tages wurden mindestens zwei erwartet, und das war der eigentliche Grund für sein Hiersein. Parkatin würde leicht zu überwinden sein. Reisende zu anderen Welten, manche in für die Dreel noch unbekannten Systemen — kamen durch Raumflughäfen wie Slabansport, und ein einziger von ihnen, mit den Dreel nach Hause geschickt, bedeutete ein ganzes planetarisches Eroberungsunternehmen.

Da man Schiffe erwartete, war vollständiges Personal zur Stelle; Prostituierte und Spieler und Schwindler warteten auf ihre Opfer, die sich nicht nur aus Besatzungen und Passagieren der Schiffe zusammensetzten, sondern auch aus jenen, die eintreffen würden, um die neuangekommenen Güter auszuladen und zu verteilen.

Bateen bestellte ein Getränk und ließ ein dickes Geldbündel sehen, als er bezahlte und viel zuviel Trinkgeld gab. Das erregte Aufsehen bei den Kellnern, und ein Dutzend Gehirne überdachte bereits den günstigsten Weg zu dem begüterten Dummkopf.

Schließlich unternahm Roza den ersten Schritt, die Königin der hiesigen Prostituierten, die trotz ihrer Jahre und des anstrengenden Lebens immer noch verdammt attraktiv war. Er hatte viel Geld dabei; für andere Leute blieb noch genug. Sie glitt lautlos auf ihn zu und setzte sich entspannt auf den Nachbarhocker.

»Spendierst du mir was?«fragte sie leise und girrend.

Er lächelte äußerlich und innerlich, nickte, leerte sein Glas und bestellte für sie beide. Das Ausschanksystem war von der üblichen Art; die Frauen, die Männer, die Glücksspieler und die Huren, alle arbeiteten dem Haus zu. Die Getränke kamen, das seine mindestens ein dutzendmal so stark wie normal und mit einem Aphrodisiakum versetzt. Das ihre bestand vorwiegend aus gefärbtem Wasser.

Sie tranken miteinander, und er tat das Übliche. Gute Erkundung war bei Missionen dieser Art unabdingbar; manche Dreel in seiner Kolonie besaßen Wissen von den frühesten Übernahmen bis zu den letzten Versuchen mit menschlichen Versuchsobjekten, und Har stand die gesamte Information augenblicklich zur Verfügung. Bei der Teilung einer Kolonie gaben die Eltern ihre Kenntnisse an die Nachkommen weiter. Wie konnte irgendein einfaches Tier sich mit einem Organismus von ihrer Art messen? fragte sich diese Dreel-Kolonie mit absoluter Zuversicht und Befriedigung. Noch keinem war es jemals gelungen — und dieses Tier hier würde keine Ausnahme sein.

So tat er all das Übliche, sagte die richtigen Schlüsselwörter, reagierte auf sie, und nach kurzer Zeit befanden sich die beiden auf dem Weg zum Zimmer hinter der Bar. Unterwegs reinigten die Dreel Har Bateens Inneres von den Drogen und anderen Giftstoffen, aber langsam, durch die Poren. Er würde zwar nicht großartig riechen, aber selbst wenn sie es merkte, würde sie nicht zurückzucken.

Sie gingen durch einen schmutzigen Flur, und er konnte hier und dort die Umrisse von anderen sehen, männlich wie weiblich. Sie ruhten sich aus und warteten in kleinen Zimmern und Kammern. Das war gut und entsprach dem Plan.

Durch das frühe Erscheinen, vor dem Gedränge, und das Zeigen des Geldbündels hatte er dafür gesorgt, daß er an die Chefin dieses Gewerbes herankam. Diese konnte sich nach der Übernahme weiter mit den Untergebenen beschäftigen. Wenn dann die Leute von anderen Welten erschienen, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen, würden sie sogar noch dafür bezahlen, als neue Dreel-Wirte übernommen zu werden. Ideal.

Die Dreel paßten sich jedem neuen Wirtsorganismus schnell an, künftige Generationen übernahmen hinfort jedoch das vorbestimmte Muster. Was jene im Inneren von Har Bateen anging, so fühlten sie sich bei 37° Celsius am wohlsten; sank die Temperatur sehr viel tiefer, oft nur ein, zwei Grad, so starben sie. Küssen war indessen geradezu ideal.

Sie erreichten ein Zimmer. Roza zog sich hastig aus und fragte geziert:»Na, wie magst du es?«

Er lächelte.

»Vorerst nur küssen«, schlug er vor. Er zog ihren Körper an sich, beugte sich ein wenig vor und küßte sie. Sie öffnete ihren Mund so weit wie er, Zungen begegneten sich, Speichel wurde ausgetauscht.

Und mit ihm gelangten an die zehntausend Dreel hinüber.

Er setzte das eine Weile fort, um sicherzustellen, daß die Übertragung vollständig war, dann machte er auf die gewohnte Weise weiter, die sie erwartete, während die Kolonie den neuen Wirt untersuchte, die richtigen Zellen, Nerven und Nachrichtenzentralen fand und einen Zyklus rascher Vermehrung einleitete, um die Übernahme zu erleichtern. Unter Verwendung der Proteine ihres Körpers konnten sie sich alle dreißig Sekunden teilen, obwohl ein länger andauernder Prozeß bedeuten würde, sie zu schwächen, ja, vielleicht sogar zu töten.

Inzwischen fuhr Har Bateen mit dem Liebesspiel fort. Sie betrieben es bereits mehrere Minuten, als er eine unnatürliche Zuckung in ihr entdeckte. Innerhalb der ersten zehn Minuten hatten sich die Dreel in ihrem Inneren auf fast 41000 vermehrt.

Mit vollständigem Wissen geboren, verloren sie keine Zeit, ihre Posten innerhalb des Körpers zu beziehen und im Kreislaufsystem dorthin zu gleiten, wo sie am nötigsten gebraucht wurden: im Gehirn und in der Wirbelsäule.

Sie ließ ihn plötzlich los und erschlaffte, einen verwirrten Ausdruck im Gesicht; sie wirkte eingefallen, ein wenig erschöpft und schwitzte.

»’schuldige«, stöhnte sie. »Ich — ich fühl’ mich nich’ — so gut. Fühl’ mich komisch…«

Er rollte sich von ihr weg, stand auf und betrachtete sie zufrieden. Ihr Körper verkrampfte sich nun, als Nerven und Muskeln unter andere Kontrolle gerieten und ausprobiert wurden. Sie zuckte auf dem Bett, zuerst wie bei einem epileptischen Anfall, schließlich langsamer und bedächtiger, wie eine Marionette an Tausenden von Schnüren.

Dann lag sie still. Sie atmete schwer, lag aber still. Er bückte sich nach seiner Kleidung und zog ein kleines, weißes Kästchen heraus, in dem sich eine Reihe dicker, weicher Kekse befanden. Er brachte sie ihr und hielt sie ihr wortlos hin.

Sie setzte sich unsicher auf, griff nach einem der Kekse und aß ihn gierig. Nach ganz kurzer Zeit hatte sie alle aufgegessen. Es würde nicht immer Zeit bleiben, die umgewandelten Stoffe rasch zu ersetzen, aber die Schlüsselübertragung mußte in bester Verfassung geschehen. Die anderen — nun, das war das Risiko, ein Soldat zu sein.

Schließlich war sie fertig und sah zu ihm auf.

»Wir haben alleinige Kontrolle«, versicherte sie ihm in einer Sprache, die Roza nie gekannt, ja, von ihr nicht einmal je gehört hatte — so fremd, daß es kaum möglich erschien, wie sie aus einer menschlichen Kehle zu dringen vermochte.

»Es ist gut«, erwiderte er in derselben Sprache, drehte sich um und zog sich an. Sie folgte seinem Beispiel. Für ihn war alles erledigt. Die Persönlichkeit, die Psyche, der Geist von Roza, oder wie man das immer nennen wollte, war tot, aber ihre Erinnerungen, eingeschlossen in die Eiweißmoleküle ihres Gehirns, blieben. Sie wußte alles, was Roza gewußt hatte, und mehr, denn die Dreel besaßen mühelosen Zugang zum ganzen Hirn.

Er wollte gehen, aber sie hielt ihn auf.

»Warte lieber noch zehn Minuten«, warnte sie in ihrer alten Menschensprache. Selbst der Akzent stimmte genau. »Podi und die anderen würden argwöhnisch werden, wenn wir so schnell zurückkommen.«

Er nickte verständnisvoll.

»Du weißt es am besten«, räumte er ein und setzte sich auf die Bettkante.

Es war eine arg langsame Methode, eine Welt zu erobern, aber auch eine überaus wirksame.

Die heiße Sonne brannte auf den Körper von Har Bateen nieder, als er die kleine Bar verließ. Hitze und alles, was nicht dauernden Schaden für Wirt und Standort der Dreel hervorrief, nahm er nicht wahr. Er ging zum Raumflughafen und registrierte mit Befriedigung die großen Mengen von Dockarbeitern, die sich mit ihren Maschinen versammelten, um die ersten großen Schiffe zu entladen. Die großen Frachtfähren saßen summend auf den Landedocks und warteten auf die Nachricht, daß ein Mutterschiff in die Umlaufbahn eingetreten und entladebereit sei.

Es war verlockend, in die Menge hineinzuwaten, nah heranzukommen, es mit Sprühinfektion zu versuchen, aber es wäre zu auffallend gewesen, und die Übernahme selbst würde zuviel Aufmerksamkeit erregen, vielleicht sogar das Entladen stören. Das wünschten die Dreel nicht, ganz und gar nicht.

Das Schema funktionierte schon sehr lange so. Langsam, mit Überlegung und unendlicher Geduld, konnte eine Welt — Welt um Welt — übernommen werden, ohne daß irgend jemand auch nur etwas davon ahnte, bis es zu spät war, oft, ohne daß irgendein Alarm gegeben werden konnte. Die Dreel waren insoweit unsterblich, als sie ihre vererbten Erinnerungen von Generation zu Generation weitergeben konnten, aber nicht physisch unsterblich und dem Leben gegenüber nicht gleichgültig. Wären sie es gewesen, hätten sie sich kaum die Mühe gemacht, überhaupt andere Welten und Rassen zu übernehmen. Militärisch war dies die lebensgünstigste Methode, die sie in ihren beinahe vierzigtausend Jahren glorreicher, unbehinderter Eroberung jemals entwickelt hatten. Dabei war jede Spezies anders, jede neue Rasse eine neue Herausforderung. Die Dreel schätzten die Herausforderung am meisten, und jeder Sieg war ein weiterer Beweis für ihre Überlegenheit allen anderen Lebensformen gegenüber.

Har Bateen, der Zeit totzuschlagen hatte, bemerkte eine kleine Menschenmenge um zwei Wesen, von denen nur eines ›menschlich‹ war.

Der Mann war hochgewachsen und mager und sah aus, als hätte er ein reichlich hartes Leben hinter sich; ausgebeulte Hose und ausgetretene Schuhe, eine zerfetzte Weste über einer mageren, behaarten, nackten Brust; ein langes, fast dreieckiges Gesicht, das seit einer Woche nicht rasiert worden war. Das dichte, schwarze Haar trug er beinahe turbanartig zusammengewickelt in einem groben Halstuch.

Ein echter Zigeuner, stellte Har Bateen erstaunt fest. In den ersten Erkundungsberichten war die Rede davon gewesen, daß es eine solche Gruppe gäbe, aber niemand hatte je ein Mitglied gesehen. Nicht einmal jemand von den Leuten, die sich jetzt um ihn versammelten, dachte Bateen.

Als Bateen näher herantrat, zog der Zigeuner eine seltsame Rohrflöte aus der Tasche und begann, eine merkwürdige, beinahe hypnotische Melodie zu spielen, zu welcher sein Begleiter zu tanzen anfing.

Der Begleiter war wahrhaft fremdartig — etwa halb so groß wie der Mann, gewiß nicht größer als ein Meter — mit schimmernden, blaugrünen Schuppen an einem Reptilkörper. Zwei dicke Beine mit langen, gefährlichen Krallen trugen den Rumpf. Er stand aufrecht, obschon ein wenig vorgebeugt, und besaß zwei lange, spindeldürre Arme mit winzigen Klauenhänden. Das Gesicht war ebenfalls echsenartig, auch wenn es nichts von der Starrheit eines Reptilkopfes aufwies; es war, als besäße eine Rieseneidechse die Muskelbeweglichkeit eines Menschengesichts.

Am wenigsten schien dazu zu passen, daß es die gleiche ausgebeulte Kleidung trug wie der Zigeuner, wenn auch natürlich ohne Schuhe — es gab keinen Schuh, der für diese eigenartigen, übergroßen Füße taugte. Das Wesen war so agil wie ein Affe, und es tanzte wild zur klagenden Melodie der Flöte, schneller, immer schneller, als das Tempo zunahm, wobei der lange Schwanz beinahe als drittes Bein diente.

Das war aber erst der Anfang; das Wesen bewegte sich so schnell, daß das Sonnenlicht von Zehntausenden Schuppen zurückgespiegelt wurde, als funkelten ebenso viele Bergkristalle; die Wirkung war gleißend und verstärkte die hypnotische Macht der fremden Musik.

Die Echse bildete mit dem Mund ein Oval, ein unfaßbarer Anblick auf einem Schlangengesicht dieser Art, und man hörte irgendwo im Inneren die große Luftmasse grollen. Dann wurde sie zischend ausgestoßen, und die Zuschauer hielten den Atem an. Feuer! Er spie Feuer und formte Muster damit! Kreise, Wirbel, seltsame und vertraute Formen tauchten in Sekundenbruchteilen auf und verschwanden wieder, während die Echse weitertanzte, ein funkelndes, undeutliches Schemen.

Der Zigeuner spielte weiter, aber die stahlgrauen Augen blickten nicht auf seinen Echsenbegleiter, sondern auf die Menge und betrachteten eine Person nach der anderen. Studierten, analysierten.

Selbst die Dreel, getarnt in Körper und Geist von Har Bateen, waren gebannt. Das lag außerhalb ihrer Erfahrung, und sie nahmen zusammen mit den anderen die fremde Anmut und Schönheit in sich auf.

Und dann war es plötzlich vorbei, ohne Ankündigung. Der letzte Ton und die letzten flammenden Funken vergingen in der heißen, trockenen Luft, und nur die Erinnerung an die unvergeßliche, fremdartige Darbietung blieb.

Die Menge stand gebannt und betäubt. Niemand sagte ein Wort oder bewegte sich, bis plötzlich ein Zuschauer, dann mehrere aus ihrer Versunkenheit emporfuhren und klatschten. Der Applaus steigerte sich zu einem Krescendo von Jubelrufen und beifälligen Pfiffen, vermischt mit Händeklatschen.

Der Zigeuner verbeugte sich ein wenig, und sogar das Echsenwesen schien der Reihe nach allen Zuschauern zuzunicken. Der fremdartige Mann steckte seine Flöte ein und wartete auf das Ende des Beifalls. Schließlich sagte er in klarer, aber seltsamer Aussprache seiner tiefen Tenorstimme:»Bürger, wir danken euch, mein Freund ebenso wie ich.«

»Noch einmal!«schrie jemand, während andere nickten und miteinander murmelten. »Ja, mehr! Mehr!«riefen einige in das Getöse hinein.

Der Zigeuner lächelte.

»Danke, meine Freunde, wir würden das mit Freuden tun — aber wir müssen essen, und mein Freund hier hat einen größeren Appetit als ich. Irgendein Zeichen der Dankbarkeit — Marquoz! — wäre höchst erfreulich.«

Bei dem Namen ›Marquoz‹ schnaubte der kleine Drache, blickte zu dem Mann auf und schien zu lächeln — ein groteskes Lächeln, das die gefährlichsten Zähne freilegte, die irgend jemand aus der Menge je gesehen hatte —, griff nach einem Beutel und näherte sich langsam der Menge. Die Leute wichen nervös zurück.

Der Zigeuner lachte.

»Fürchtet Marquoz nicht, meine Freunde! Er frißt euch nicht. Er wünscht nur, was ich wünsche, Geld, damit wir wieder zivilisiertes Essen kaufen können. Nur eine Münze in einen kleinen Beutel, brave Bürger, eine Münze, und vielleicht bekommen wir zu essen und ihr noch einen Tanz zu sehen, ja?«

Die Mutigeren in der Menge blieben stehen, und als die Echse zu ihnen trat und den Beutel hinhielt, warfen sie ein, zwei Münzen hinein. Daraus wurde kurz danach eine Flut, die schnell den Beutel füllte.

»Genug! Ihr seid zu gütig!«rief der Zigeuner. »Marquoz?«

Die Echse schnaubte und erschreckte die Leute in ihrer nächsten Nähe, weil dabei zwei weiße Rauchwolken aus ihren Nüstern blafften. Dann drehte sie sich um und brachte den Beutel zu dem Zigeuner zurück. Ersterer war schwer geworden, und der Mann war mager, aber auf irgendeine Weise schien der Beutel samt Inhalt in eine verborgene, unerkennbare Stelle an ihm zu verschwinden. Er lächelte, verbeugte sich noch einmal und zog wieder die Flöte heraus.

Die zweite Vorführung glich der ersten und war doch ein völlig anderer Tanz mit völlig andersartigen Bewegungen und fremdartigen, wilden Figuren zu einer anderen, nicht weniger fremdartigen und exotischen Melodie.

Har Bateen bewunderte zusammen mit den anderen auch die zweite Darbietung. Als der Beifall verrauscht war und der Zigeuner einwandte, Marquoz brauche eine Ruhepause, gingen die Leute endlich auseinander, und das Gewühl begann von neuem.

Der Zigeuner bückte sich, anscheinend, um die gleichmütige Echse zu untersuchen, und eine große Menschenhand schob sich in die der Echse. Kleine, dünne Klauenfinger tippten beiläufig auf die Handfläche des Mannes. Er nickte, richtete sich auf und schaute sich um.

Mehrere Personen kamen heran, um mit ihm zu reden, Marquoz zu bewundern oder Fragen nach dem fremdartigen Echsenwesen zu stellen, aber er schickte sie mit der lachend vorgebrachten Ausrede fort, Marquoz müsse fort aus der heißen Sonne und mit Wasser abgerieben werden.

Sie gingen auf die Reihe von Kaschemmen und Bars zu, fort von den Frachtdocks, zwei Augenpaare auf Har Bateen gerichtet.

Die kollektive Erfahrung der Dreel beging nur wenige Fehler; beschattet zu werden, gehörte nicht dazu. Bateen erkannte, daß das seltsame Paar hinter ihm war — als unauffällig konnte es ohnehin nicht gelten. Das bereitete ihm Sorgen — erstens hatte er offenkundig etwas getan, um Argwohn zu erregen, ohne daß er sich vorstellen konnte, was das gewesen sein mochte, und zum zweiten bedeutete ein so direkt nachfolgendes Paar, daß fast mit Gewißheit noch andere in der Nähe sein mußten.

Er führte sie Straßen und Gassen hinauf und hinunter, stets bemüht, jene zu finden, von denen er wußte, daß sie ihm weniger aufdringlich folgten, aber er entdeckte sie nie. Der Zigeuner gehörte offensichtlich zur Kom-Polizei. Die Dreel bewunderten die Methode, während er noch mit Verwirrung darauf reagierte. Ein Zigeuner ging überallhin, trat offen auf, erregte nirgends Verdacht — und selbst wenn der Mann sich nicht durchzusetzen vermochte, würde sein großes Haustier mit den tausend Zähnen jeden Überraschungsangriff verbieten.

Das glaubte Har Bateen jedenfalls begriffen zu haben. So auffällig — und doch keine sonstigen Beschatter. Warum? Weil sie wußten, daß er sie nirgends hinführen, nur die Straßen auf und ab laufen würde. Und eine dieser Straßen war eine Falle. Sie würden auf ihn warten. Darauf, daß Har Bateen die Nerven verlor und schnell oder langsam in die Falle ging. Er konnte natürlich versuchen, sie loszuwerden — aber das wäre ein Schuldeingeständnis gewesen. Sie konnten ihn erschießen. Er hatte Wichtiges zu tun; Har Bateen wollte ganz und gar nicht sterben, im Augenblick schon erst recht nicht.

Er hatte einen Vorsprung von etwa fünfzehn Metern, aber sie holten langsam auf. Das war viel Raum. Er suchte sich die Gasse überlegt aus und bog ein, als wolle er die Flucht ergreifen.

Der Zigeuner und die Echse beschleunigten; es war offenkundig, daß der kleine Drache viel schneller laufen konnte als der Mann, aber er blieb bei ihm. Sie liefen um die Ecke — und befanden sich in einer Sackgasse, auf allen drei Seiten von hohen Gebäuden umgeben.

Der Zigeuner riß mit derselben Handfertigkeit, mit welcher er den Beutel Münzen hatte verschwinden lassen, eine Pistole heraus, offenbar aus derselben Stelle. Er schaute hinauf und hinunter.

»Weg damit!«befahl die Stimme Har Bateens nicht nur über, sondern auch hinter ihnen.

Der Zigeuner ließ die Waffe nicht sofort fallen, sondern drehte sich langsam um. Als er den Mann entdeckte, seufzte er und warf die Pistole auf den Boden. Er wußte nicht, wie Bateen das angestellt hatte, aber der Dreel saß jetzt auf einer schmalen Nische gute sechs Meter über ihnen. Er muß klettern können wie ein Affe, dachte der Zigeuner.

Der Dreel starrte unsicher auf den Drachen, der ihn mit glühenden Augen, katzenähnlichen, schwarzen Ovalen vor einem Hintergrund dunklen Scharlachrots anblickte.

»Versuch nicht, dein Riesentier auf mich zu hetzen«, warnte Bateen. »Halt ihn zurück!«

Der Mann nickte und sagte aus dem Mundwinkel heraus:»Marquoz! Platz!«

Der Drache schnaubte und schien ein wenig zu murren, ließ sich aber auf dem Schwanz nieder und erschlaffte ein wenig.

»Also gut, wer seid ihr und warum folgt ihr mir?«fuhr der Dreel sie an.

Der Zigeuner grinste bedauernd und breitete die Hände aus.

»Wenn wir sammeln gehen, fällt uns oft auf, wer das meiste Geld hat, wissen Sie. Marquoz hier kann bei einer solchen Person sehr überzeugend daraufhin wirken, daß diese die Spende, äh, beträchtlich erhöht. Wir sitzen auf diesem gottverlassenen Loch von Planet schon zu lange fest. Das Geschäft geht nicht gut — wir sind, äh, gebeten worden, hier, wo wir nicht aussteigen wollten, das Raumschiff zu verlassen, und haben unsere Spesen und das Fahrgeld noch nicht hereinholen können. Und, um es kurz zu machen, die hiesige Polizei ist hinter uns her.«

Die Dreel bedachten die Erklärung. Sie ergab Sinn — und das Geldbündel, daß er besaß, war mehr als auffällig und sollte es sein. Trotzdem schien hier irgend etwas nicht zu stimmen. Weshalb waren sie den Zuschauern so neu gewesen, wenn sie sich hier schon einen schlechten Ruf erworben hatten?

»Also gut. Was ist das für ein Wesen da?«fragte Bateen scharf.

Der Zigeuner warf einen Blick auf Marquoz.

»Ich bin ihm auf einem entlegenen Grenzplaneten begegnet. Er stammte nicht von dort; er gehörte einer Gruppe meiner Artgenossen, die, sagen wir, von der dortigen Polizei gebeten worden waren, eine Weile zu bleiben. Drei Jahre, um genau zu sein. Ich war natürlich auf der Stelle bereit, ihn zu übernehmen, und er verstand sich auch mit mir. Ich habe keine Ahnung, wo sie ihn gefunden haben.«

Das sagte dem Dreel nicht viel, aber schließlich gab es seltsamere Lebensformen als Marquoz, die Dreel selbst nicht ausgenommen. Die Geschichte klang wahr, und das Entscheidende war die Pistole des Zigeuners. Nicht das supermoderne Modell, wie die Kom-Polizei es verwenden würde, strahlend vor Glanz und mit seiner Rubin-Energiequelle fast durchscheinend. Nur die ganz gewöhnliche Pistole eines Landstreichers, ein kleiner Laserstrahler, wie jemand von der Art des Zigeuners ihn tragen mochte.

»Ich komme jetzt herunter«, sagte Bateen warnend, »aber wie ihr sehen könnt, bin ich sehr gewandt. Meine Pistole wird auf euch gerichtet bleiben, selbst während ich aufpralle, und sie ist auf tödliche Fächerstrahlung eingestellt.«

»Hören Sie, ich will jetzt nur noch raus hier. Ein Irrtum, nicht mehr«, sagte der Zigeuner aufrichtig.

Der Dreel nickte und sprang herunter. Der Zigeuner war verblüfft von der Gewandtheit des Mannes. Der Dreel richtete sich auf und ging langsam auf ihn zu, ein Auge auf Marquoz gerichtet.

»Keine Dummheiten«, sagte er warnend.

»Was — was wollen Sie tun?«fragte der Zigeuner unsicher.

Har Bateen erlaubte sich die menschliche Schwäche eines Lächelns.

»Keine Sorge«, sagte er. »Ich bringe dich nicht um. Wenn dein Tierchen ruhig bleibt und du keine Dummheiten machst, wird dir nichts geschehen. Aber dein Leben hängt davon ab, daß du genau das tust, was ich dir sage — genau! Verstehst du?«

Der Zigeuner nickte furchtsam.

»Zieh die Weste aus!«befahl der Dreel, während er vorsichtig hinter den Mann trat.

»Wollen Sie was Sexuelles von mir?«

»In gewisser Weise«, erwiderte Bateen. »Keine Sorge — es tut nicht weh. Immer noch besser, als zerblasen zu werden, oder?«

Marquoz saß still dabei und schaute zu, Bateen zog ein kleines Messer aus der Tasche.

»Ganz ruhig. Eine winzige Schnittwunde, nicht mehr.«Er sah, wie der Mann zusammenzuckte, und beobachtete befriedigt das Blutströpfchen an der Einstichstelle. An seinem eigenen Daumen ritzte er ebenfalls die Haut.

Auf der Stelle zuckten Dreel zur Öffnung, den Haargefäßen von Hand und Daumenkante, und warteten dort auf den Kontakt. Es war genug Zeit geblieben; ein vollständiger Trupp von zehntausend Gedächtniseinheiten stand bereit.

Har Bateen streckte den Daumen eifrig nach der Schnittwunde am Rücken des Mannes aus, derart von Zuversicht erfüllt, daß er nicht mehr auf den nur wenige Meter entfernt sitzenden Drachen achtete.

»Halt! Keine Bewegung!«zischte links von ihm eine Stimme, unglaublich tief und grollend, als spreche ein Riese durch ein langes Rohr. »Weg mit der Waffe und zurück!«

Bateen war so entgeistert, daß er tatsächlich keine Bewegung machte und nur seine Augen seitwärts zuckten.

Die Riesenechse stand vor ihm, starrte ihn mit den glühenden, scharlachroten Augen an, und in der Hand hielt sie eine Fuka-Maschinenpistole aus fast völlig durchsichtigem Material, deren rotes Energiezentrum gleißte. Eine Waffe, eingestellt auf den jeweiligen Träger; eine Waffe, die nur eine Behörde besaß.

»Marquoz, Kom-Polizei«, sagte der Drache überflüssigerweise. »Die Waffe fallen lassen und wegtreten, sagte ich!«

»Aber… aber das geht doch nicht — du bist kein Mensch«, protestierte der Dreel. Von solchen Dingen wußte die Kolonie nichts!

»Du auch nicht, Kerl«, erwiderte der Drache. »Das ist der einzig mildernde Umstand bei dir.«

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