21

Cattilaras Gemächer wirkten noch immer wie eine weibliche Zuflucht, ganz wie bei Istas Besuch an ihrem ersten Tag auf Porifors. Diesmal jedoch waren die Damen der Gräfin besorgt oder empört, verängstigt oder schuldbewusst — je nachdem, wie weit sie in die Fluchtpläne ihrer Herrin eingeweiht gewesen waren. Voller Schrecken starrten sie auf die blutige, atemlose, schmallippige Königin. Ista schickte sie allesamt fort und befahl ihnen, Waschwasser, Getränke und Essen für Lord Illvin und den Rest ihrer Truppe herbeizuschaffen, die am Morgen — vor einer Ewigkeit, wie es schien — überstürzt aufgebrochen war, mit einem Schluck Tee und einem Stück Brot oder noch weniger zum Frühstück.

Illvin trat an Cattilaras Waschschüssel und wrang ein nasses Handtuch aus. Er schaute zu Ista hinüber und reichte es ihr. Der rote Schmierfilm auf ihrem Gesicht sah erschreckend aus. Und das Blut stammte nicht nur vom Pferd, wie sie feststellte, als sie behutsam die Kratzer abtupfte. Illvin spülte und wrang das Tuch wieder aus und rieb sich sein eigenes blutiges Gesicht und den schmutzigen Oberkörper ab. Dann nahm er einen Becher Wasser von Liss entgegen und leerte ihn in einem Zug, schlenderte zu Ista und sah auf Cattilara hinunter. Diese lag reglos auf dem Bett, noch immer in ihrem Reisekleid. Der rechte Ärmel war abgetrennt worden, und eine Kompresse bedeckte die Wunde an ihrer Schulter.

Sie sah so hübsch aus wie ein schlafendes Kind, makellos bis auf einen Fleck auf der Wange, und selbst der wirkte an ihr wie ein Schönheitspflästerchen. Doch Illvin zeichnete mit dem Finger besorgt die Furchen um ihre tief eingesunkenen Augen nach. »Ihr Körper ist zu zerbrechlich, um den von Arhys und sich selbst zu erhalten.«

Er musste es wissen. Ista blickte auf Illvins hohle Wangen und die vorstehenden Rippen. »Nicht für Wochen und Monate, das ist wahr. Für Stunden oder Tage … Ich denke, sie ist an der Reihe. Und ich weiß, wen Porifors im Augenblick weniger entbehren kann.«

Illvin verzog das Gesicht und blickte über die Schulter zur aufschwingenden Tür. Foix führte den besorgten dy Cabon herein.

»Den fünf Göttern sei Dank! Ihr seid gerettet, Majestät!«, rief der Geistliche voll aufrichtiger Erleichterung. »Und Lady Cattilara ebenso!«

»Ich danke Euch, dy Cabon«, sagte Ista, »dass Ihr Euch nicht an meine Anweisungen gehalten habt.«

Beunruhigt betrachtete er die daliegende Gestalt der Gräfin. »Sie wurde doch nicht etwa … verwundet?«

»Nein, sie ist unverletzt.« Widerstrebend fügte Ista hinzu: »Bis jetzt. Doch ich habe sie dazu gebracht, Arhys eine Zeit lang die Kraft ihrer eigenen Seele zu leihen, an Stelle von Lord Illvin. Nun muss ich noch ihren Dämon zum Reden bringen. Ich weiß nicht, ob er Prinzessin Umerues Meister war oder ihr Diener, aber ich bin sicher, dass er ein Zeuge — mehr noch, ein Ergebnis der dämonischen Machenschaften von Fürstinnenwitwe Joen gewesen ist. Illvin hatte Recht: Der Dämon muss wissen, was sie tut, vor allem, weil er Teil dieses Tuns war. Auch wenn er anscheinend ihrer Leine entkommen konnte.« Wenn sie näher darüber nachdachte, war dies eine ermutigende Feststellung. »Joens Kontrolle ist offenbar nicht unauflösbar.«

Dy Cabon blickte sie mit unverhohlenem Entsetzen an, und zu spät fiel Ista auf, dass ihre Worte für ihn wie sinnloses Gestammel klingen mussten. Auch Illvins hohe Stirn legte sich in Falten, und er blickte verwirrt. Vorsichtig sagte er: »Ihr habt gesagt, Joen sei noch unheimlicher als Sordso erschienen. Wie kann das sein?«

Stockend versuchte Ista zu beschreiben, was ihr zweites Gesicht an der Fürstinnenwitwe wahrgenommen hatte — eine kurze, erschreckende Vision, als sie neben der zertrümmerten Sänfte stand. Dann schilderte Ista ihre Eindrücke von dem besessenen Fürsten Sordso, und wie sein dämonisches Feuer scheinbar sämtliche Knochen in ihrem Leib voneinander gelöst hatte. »Bisher haben sich alle Dämonen in meiner Gegenwart geduckt, ohne dass ich den Grund dafür wusste. Ich hatte keine Ahnung, dass ich so verletzlich durch ihre Macht bin.« Unbehaglich schaute sie zu Foix hinüber.

»Die Anordnung, die Ihr beschreibt, ist überaus merkwürdig«, meinte dy Cabon grübelnd und rieb sich sein Mehrfachkinn. »Ein Dämon zehrt von einer Seele, das ist die Regel. Da ist kein Platz für mehrere. Außerdem dulden Dämonen es normalerweise nicht, dass ein anderer sich auch nur in ihrer Nähe aufhält, geschweige denn im selben Leib. Ich weiß nicht, was für eine Kraft so viele auf diese Weise zusammenbinden könnte — abgesehen vom Gott selbst.«

Ista biss sich nachdenklich auf die Lippe. »Das Ding in Joen sah nicht so aus wie das in Sordso. Sordso schien von einem gewöhnlichen Dämon besessen, wie Cattilara und Foix, nur dass bei ihm der Dämon die Vorherrschaft besaß. Es sah aus wie bei Catti, als sie ihren Dämon zwecks Befragung emporsteigen ließ und wir ihn beinahe nicht wieder zurückdrängen konnten. Der Dämon hat Joen geantwortet, nicht ihr Sohn.«

Dy Cabon verzog angewidert das Gesicht, während er darüber nachdachte.

Ista sah zu Foix hinüber, der hinter dem Geistlichen stand und noch betroffener wirkte. Er war von den Anstrengungen des Vormittags schweißnass und schmutzig, schien aber ohne Verletzung davongekommen zu sein. »Foix.«

Er fuhr auf. »Majestät?«

»Könnt Ihr mir helfen? Ich möchte Cattilaras Seelenfeuer gern nach unten in ihren Körper drücken und das Dämonenlicht in ihren Kopf aufsteigen lassen, sodass er uns antworten kann, ohne die Herrschaft über den Leib zu übernehmen und keine Gelegenheit bekommt, das Netz aufzulösen, das Arhys auf den Beinen hält. Es wäre nicht der passende Augenblick, Porifors Befehlshaber tot umfallen zu lassen … noch toter.«

»Wartet Ihr nur noch, bis Lord Arhys bereit ist, seine Seele freizulassen?«, fragte Foix neugierig.

Ista schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das meine Aufgabe ist. Ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt zustande brächte, würde ich es versuchen. Womöglich ließe ihn das als Geist zurück, unwiderruflich von den Göttern abgeschnitten. Er hängt ohnehin nur noch an einem Faden.«

»Also warten wir, bis wir bereit sind«, murmelte Illvin vor sich hin.

Foix blickte finster auf Cattilara hinunter. »Majestät, ich stehe bereit. Auf Euren Befehl tue ich alles, was ich kann. Aber ich verstehe nicht, was Ihr von mir wollt. Ich sehe keine Feuer, keine Lichter. Ihr etwa?«

»Zuerst nicht. Meine Empfindsamkeit brachte mir lediglich eine verworrene Flut von Gefühlen, Ahnungen und Träumen.« Ista streckte ihre Finger aus, ballte sie dann zur Faust. »Dann öffnete der Gott mir die Augen und ließ mich seine Sphäre erkennen. Was immer es in Wirklichkeit sein mag, mit dem inneren Auge sehe ich es nun als Muster aus Licht und Schatten, Farben und Linien. Manche Lichter hängen wie Netze herab, andere fließen dahin wie ein kraftvoller Strom.«

Foix schüttelte verblüfft den Kopf.

»Wie habt Ihr denn die Fliegen beherrscht und das Pferd zum Stolpern gebracht?«, fragte Ista geduldig. »Nehmt Ihr denn gar nichts wahr? Oder auf andere Weise? Hört Ihr stattdessen etwas? Oder fühlt ihr es?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich habe es mir einfach nur gewünscht … nein, ich habe es gewollt. Ich habe mir ganz deutlich vorgestellt, was geschehen sollte, und dann habe ich es dem Dämon befohlen. Und dann ist es geschehen, einfach so. Allerdings fühlte es sich … seltsam an.«

Ista biss sich auf den Finger und musterte ihn. Einer Eingebung folgend, trat sie vor ihn hin. »Senkt den Kopf«, befahl sie.

Er blickte überrascht, gehorchte aber. Ista fasste ihn an der Tunika und zog ihn noch weiter herab.

Lord Bastard, lass zu, dass Deine Gabe geteilt wird. Oder nicht. Verflucht seien Deine Augen. Sie presste ihre Lippen auf Foix’ verschwitzte Stirn. Ah, ja.

Der Bär in seinem Innern winselte vor Pein. Kurz schien ein lila Schimmer in Foix’ Augen aufzuglühen. Ista ließ ihn los und trat zurück. Taumelnd richtete er sich auf. Ein kaum wahrnehmbares weißes Glühen verging auf seiner Stirn.

»Oh.« Er berührte die Stelle und ließ den Blick offenen Mundes durchs Gemach schweifen. »Das seht Ihr? Die ganze Zeit?«

»Ja.«

»Wie könnt Ihr dann überhaupt gehen, ohne ständig umzufallen?«

»Man gewöhnt sich daran. Das zweite Gesicht lernt, auf das Ungewöhnliche zu achten und alles andere zu ignorieren, so wie die Augen. Es gibt ein Sehen, ohne zu beachten, und dann gibt es noch das Eingreifen. Ich brauche jetzt Eure Hilfe bei Cattilara.«

Dy Cabon schürzte die Lippen vor Sorge und Beunruhigung. Unsicher rieb er sich die Hände. »Majestät, das könnte sehr schädlich für ihn sein …«

»Hunderte von jokonischen Kriegern rücken in diesem Augenblick von allen Seiten auf Porifors vor. Die können auch sehr schädlich für ihn sein, dy Cabon. Entscheidet selbst, welche Gefahr momentan dringlicher ist. Foix, kannst du sehen …« Sie drehte sich um und stellte fest, dass er in einer Art entsetzter Faszination auf den eigenen Bauch blickte. »Foix, hör mir zu!«

Er schluckt und schaute auf. »Ja, Majestät.« Er blinzelte sie an. »Könnt Ihr Euch selbst sehen?«

»Nein.«

»Ist vielleicht besser so. Da flammen merkwürdige Blitze aus Eurem Körper — scharf und schneidend. Ich verstehe, warum die Dämonen sich zusammenrollen …«

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn entschlossen zu Cattilaras Bettkante. »Jetzt schaut. Seht Ihr das Leuchten des Dämons, das sich in ihrem Oberkörper zusammenballt? Und das weiße Feuer, das von ihrem Herzen aus zu ihrem Ehemann fließt?«

Zögernd fuhr Foix mit der Hand die weiße Linie nach, was seine Wahrnehmung hinreichend bewies.

»Schaut jetzt unter diesen Strom zu den Begrenzungen, die der Dämon eingerichtet hat.«

Er blickte die Leine aus weißem Feuer entlang, dann auf das Rinnsal, das immer noch von Lord Illvin ausging, dann wieder zurück auf Cattilara. »Majestät, strömt es nicht ziemlich schnell heraus?«

»Ja. Uns bleibt also nicht viel Zeit. Kommt, seht zu, was Ihr erreichen könnt.« Wie schon einmal fuhr sie mit den Händen über Cattilaras Körper; dann gab sie der Neugier nach, senkte die Hände an die Seiten und wollte es nur. Es war leichter, das weiße Feuer zu lenken, wenn man seinen Willen mit der Dichte der Materie fokussierte, doch es ging auch ohne die körperlichen, stofflichen Hände. Cattilaras Seelenfeuer sammelte sich über dem Herzen und floss dort heraus wie zuvor. Ista versuchte nicht, die Geschwindigkeit zu beeinflussen, mit der Arhys davon zehrte. Solange es weiter floss, wusste sie zumindest, dass er sich noch bewegte, wo immer er war.

»Jetzt, Foix! Treibt ihren Dämon in den Kopf.«

Foix ging um das Bett herum und ergriff Cattilaras bloße Füße. Er sah unsicher aus. Das Licht in seinem Innern loderte auf; Ista glaubte zu hören, wie der Bär drohend knurrte. Im Innern Cattilaras floh der violette Schein des Dämons nach oben. Istas inneres Auge sorgte dafür, dass Arhys’ Lebensnetz unverändert Bestand hatte. Sie versuchte, eine Verengung um Cattilaras Hals zu legen. Beim Seelenfeuer hatte es schließlich funktioniert, warum nicht auch beim Dämon?

Ihr Verdacht schien sich zu bestätigen, denn plötzlich schlug Cattilara die Augen auf. Sie funkelten mit einer Kraft, die gar nicht zu ihr passte. Selbst die Form ihres Gesichts schien sich zu verändern, als die Muskeln unter der Haut sich anspannten.

»Narren!«, stieß sie keuchend hervor. »Wir haben euch gewarnt, und nun ist es zu spät zur Flucht. Sie ist über euch gekommen. Wir werden alle zurückgebracht, und unser Jammern wird vergebens sein!«

Ihre Stimme klang seltsam abgerissen, denn die Luft aus den Lungen kam nicht gleichzeitig mit den Worten über ihre Lippen.

»Sie?«, warf Ista ein. »Fürstin Joen?«

Der Dämon wollte nicken, stellte fest, dass es nicht ging, und senkte stattdessen zustimmend Cattilaras Lider. Illvin trug stumm einen Stuhl an die andere Seite des Bettes, ließ sich darauf nieder und lehnte sich nach vorn, auf einen Ellbogen gestützt. Sein Blick war aufmerksam. Liss zog sich unbehaglich zurück und setzte sich auf eine Truhe an der gegenüberliegenden Wand.

»Ich sah Joen auf der Straße stehen«, sagte Ista. »Aus einem schwarzen Abgrund in ihrem Leib wanden sich Schlangen aus Licht, ein Dutzend oder mehr. Und am Ende einer jeden Schlange befindet sich ein Zauberer?«

»Ja«, flüsterte der Dämon. »So hält sie uns alle ihrem Willen unterworfen. Oh, wie das schmerzt!«

»Eine solche Leine aus Licht führte zu Fürst Sordso. Willst du behaupten, diese Frau hat einen Dämon in ihren eigenen Sohn geschickt?«

Unerwartet ließ die Kreatur ein bitteres Lachen vernehmen. Die Form, die er Cattilaras Gesicht gab, änderte sich erneut. »Endlich!«, schrie er auf Roknari. »Er wäre der Letzte, dem sie das antut. Sie hat immer die Söhne bevorzugt. Wir Töchter waren bloß nutzlose Enttäuschungen. In uns konnte der Goldene Heerführer nicht wiederkehren, so viel war sicher. Im besten Fall waren wir Verhandlungsstände, im schlimmsten Fall Arbeitstiere … oder Futter …«

»Das ist die Stimme von Umerue«, flüsterte Illvin entsetzt. »Nicht, wie sie zu uns nach Porifors kam, sondern wie ich sie vorher in Hamavik kennen gelernt hatte.«

»Woher bekommt Joen ihre Dämonen?«, fragte Ista.

Wieder änderte sich die Stimme des Dämons, und er fiel in die ibranische Sprache: »Sie stiehlt sie aus der Hölle, woher sonst?«

»Wie?«, wollte dy Cabon wissen. Mit großen Augen spähte er am Fuß des Bettes über Foix’ Schulter hinweg.

Es gelang dem Dämon, ein Schulterzucken anzudeuten, indem er Cattis Augenbrauen hob. »Der alte Dämon ließ uns aus der Hölle mitgehen. Wir waren verwirrt und ohne Verstand, und sie band uns mit ihren Leinen, fütterte uns und bereitete uns vor …«

»Fütterte euch? Wie?«, warf Illvin ein. Seine Stimme zitterte.

»Mit Seelen. Daher kann sie so viele zu Felde führen: Sie gibt die Dämonen ab und lässt sie an anderen Seelen zehren, nicht an ihrer eigenen. Zuerst an Tieren, Dienern, Sklaven, Gefangenen. Als Joen dann mit den Feinheiten dieses Verfahrens vertraut geworden war, wählte sie die Opfer ganz bewusst nach ihrem Wissen oder ihren Talenten. Sie ließ uns in den Körpern, bis wir die Dinge vereinnahmt hatten, die sie uns wissen lassen wollte. Dann riss sie uns heraus. Und schließlich waren wir würdig, ihre besten Zauberer-Sklaven zu übernehmen. Würdig selbst für die Vereinigung mit einer Prinzessin! Wenn es nur eine hinreichend verachtete Prinzessin war.«

»Goram«, meinte Illvin drängend. »War mein Knecht eines von diesen Opfern? Dämonenfutter?«

»O ja! Er war ein Hauptmann der Reiterei aus Chalion, wenn ich mich recht entsinne. Aber kein Futter für uns. Uns gab sie zuerst einen Finken, dann das kleine Dienstmädchen, und dann einen Gelehrten aus Chalion, den Privatlehrer. Wir durften ihn ganz und gar auszehren. Er sollte sowieso hingerichtet werden, weil er dem Weg des Bastards folgte. Als Nächstes kam die jokonische Kurtisane an die Reihe. Sie kam besser mit dem Lehrer zurecht, als wir erwartet hätten. Vermutlich, weil sie sich beide gleichermaßen zu Männern hingezogen fühlten. Joen verachtete sie für genau das Geschick, das sie ihr rauben wollte — also ließ sie die Frau anschließend gehen.

Lebend, doch ohne Verstand durfte sie ihr Glück auf der Straße probieren.«

Dy Cabon und Illvin sahen gleichermaßen entsetzt aus. Foix’ Gesicht war beinahe ausdruckslos. Dy Cabon sagte: »Du meinst, Fürstin Joen reißt irgendwie die Dämonen aus ihrem Wirt, während dieser noch lebt! Trennt sie von den Seelen ihrer Opfer, wie die Heilige von Rauma es getan hat?«

Die Mundwinkel des Dämons hoben sich zu einem hässlichen Lächeln. »Ganz im Gegenteil! Joens Absicht ist es, die Seele und den Dämon zusammenzubringen, nicht, sie zu trennen. Wenn wir genug verzehrt haben, zieht sie uns heraus und reißt die Seele in Stücke. Sie nimmt mit, was wir brauchen; den Rest lässt sie als Abfall zurück. Der Vorgang ist gleichermaßen schmerzhaft für beide Seiten, wie wir euch versichern können. Aber es hilft wohl dabei, uns zu verunsichern und untertänig zu halten.«

Ista wusste nicht, weshalb der Dämon sich plötzlich so mitteilsam zeigte. Aber sie war fest entschlossen, weiterzumachen, solange die Redseligkeit anhielt. »Der alte Dämon«, wiederholte sie. »Was bedeutet das?«

»Äh. Joens Erbe«, entgegnete der Dämon. Ista fand, dass er nun mit der Stimme eines Gelehrten sprach, nüchtern und präzise. Sein Ibranisch besaß einen Akzent, der unverkennbar zu Zentralchalion gehörte und ganz anders war als Cattilaras weichere, nördliche Sprechweise. Und ebenso wenig sprach die junge Gräfin in derart abgezirkelten Sätzen: »Sollen wir euch die Geschichte des alten Dämons erzählen? Die Feinde unserer Feinde sind nicht unsere Freunde. Und doch, weshalb nicht? Wir wissen, was uns erwartet, und warum sollte es euch anders ergehen. Narren.«

Er wartete, bis der Körper wieder Atemluft zum Sprechen besaß, und fuhr fort: »In den Tagen des Ruhmes für den Goldenen Feldherren, da schwärmten die Männer von den Inseln herbei auf der Suche nach einem Fortkommen an seinem Hof, oder nach der Beute auf seinen Schlachtfeldern. Unter denen, die kamen, war auch ein alter, sehr alter Zauberer. Auf den Inseln, unter den Gläubigen der Vielfalt der Götter, war er schon lange seiner dämonischen Magie nachgegangen, und er bewegte sich unauffällig und unentdeckt zwischen ihnen. Sein Dämon war noch älter als er und blickte auf Dutzende von Leben zurück. Das Chaos und die Verwirrung des bevorstehenden Krieges zogen sie an wie ein lockendes Parfüm. Aber das war ein gewaltiger Fehler, denn der Löwe von Roknar war ein Günstling des Vaters selbst, und viele Gaben der Götter waren ihm zuteil geworden, darunter auch die des zweiten Gesichts.

Der alte Zauberer wurde entdeckt, angeklagt, verurteilt und verbrannt. Doch mit seinen gewaltigen angehäuften Fähigkeiten vollbrachte es der uralte Dämon, den sterbenden Wirt zu verlassen. Er entzog sich den Vorkehrungen der Geistlichen, konnte aber nicht weit genug springen, um in Sicherheit zu gelangen. Also wählte er als neuen Wirt einen Menschen, den der Goldene Heerführer nicht verbrennen würde: seine dreijährige Tochter Joen.«

»Fürstin Joen war all die Jahre eine Zauberin?«, rief dy Cabon überrascht.

»Eigentlich nicht.« Der Dämon formte ein kurzes, bitteres Lächeln mit Cattilaras Lippen. »Der Goldene Heerführer war rasend vor Wut und Schmerz. Er wandte sich seinem Gott im Gebet zu, und ihm wurde eine weitere Gabe gewährt. Der Vater ermöglichte es ihm, den Dämon einzuschließen, ihn im Innern des Mädchens in Schlaf zu versetzen. War Chalion erst unterworfen, wollte der Löwe in aller Heimlichkeit einen Heiligen des Bastards verschleppen, falls man einen solchen finden konnte. Dieser sollte dann nach den verbotenen quintarischen Riten den Dämon sicher aus seiner Tochter entfernen. So ritt der Goldene Heerführer in den Krieg.

Doch der Löwe von Roknar starb durch König Fonsas großes Opfer, ehe er seine Ziele erreichen oder heimkehren konnte. Die nun wieder zersplitterten Fürstentümer beschränkten sich für eine weitere Generation auf bloße Grenzkriege mit den quintarischen Königreichen. Und der eingekerkerte Dämon wartete auf den Tod seines Wirtskörpers, was ihn ein weiteres Mal in der Welt der Menschen freigesetzt hätte. Er wartete fünfzig Jahre.

Dann aber, vor ungefähr drei Jahren, ist irgendetwas geschehen. Die Umschließung zerbrach und ließ den Dämon frei, in Joen. Aber nicht in das gefügige Kind, das der Dämon sich einst erwählt hatte. Sondern in eine strenge, entschlossene, verbitterte und kampfbereite Frau.«

»Wie das?«, fragte dy Cabon.

»Ja«, sagte Illvin. »Warum hält es fünfzig Jahre und gibt dann nach? Wenn es nicht so vorgesehen war …«

»Ich weiß wie«, warf Ista ein. Ihr Geist brannte in grimmiger Befriedigung. »Ich glaube, ich kann genau den Tag und die Stunde bezeichnen. Ich werde es euch gleich erzählen. Aber still jetzt, lasst ihn fortfahren. Was geschah dann?«

Die dämonischen Augen betrachten sie mit einem Hauch von Respekt. »Joen war zu dieser Zeit in einer verzweifelten Lage. Sie war Mitregentin des Fürsten Sordso, gemeinsam mit ihren beiden intimsten Feinden: dem Heerführer von Jokona und dem Bruder ihres verstorbenen Gemahls. Sordso war ein ruppiger junger Säufer, der alle hasste. Der Feldherr und sein Onkel verschworen sich, um Sordso zu stürzen und den Onkel an seiner Stelle auf den Thron von Jokona zu bringen.«

Illvin sagte bedrückt: »Da wollte ich gegen Jokona losschlagen. Was für ein großartiger Zeitpunkt, gerade während der Palastrevolte …«

»Joen war verzweifelt«, fuhr der Dämon fort. »Sie glaubte — oder redete sich ein —, dass der alte Dämon eine Hinterlassenschaft ihres großen Vaters war, die ihr insgeheim verliehen wurde, um in so einer unglücklichen Stunde aufzusteigen und seinen Enkel vor Verrätern zu schützen. Also hielt sie den Dämon geheim und lernte von ihm. Der alte Dämon war erfreut, eine so gelehrige Schülerin vorzufinden, und brachte ihr alles bei. Er glaubte, bald den Spieß umdrehen und die Oberhand gewinnen zu können. Doch er unterschätzte Joens eisernen Willen, gestählt während vier Dekaden voll unterdrücktem Zorn. Der Dämon wurde nur noch mehr zu ihrem Sklaven.«

»Ja«, flüsterte Ista. »Das kann ich nachvollziehen.«

»Joens Mitregenten waren die ersten Feinde, denen sie ihre Aufmerksamkeit zuwandte — leichte Opfer, weil sie ihr so nahe standen. Der Onkel fand einen unauffälligen Tod. Den Feldherrn erwartete ein raffinierteres Schicksal, und bald wurde er zu Joens eifrigstem Unterstützer in allem, was sie wünschte.«

»Joen hängt dem vierfältigen Glauben an. Nach ihren Maßstäben lebt sie in Blasphemie«, wandte dy Cabon mit bestürzter Miene ein. »Doch ein schlechter Gläubiger der Vierfältigkeit ist noch lange kein guter Quintarier. Sie kann nicht einmal genug von Theologie verstehen, um auch nur einen Elementargeist zu kontrollieren, geschweige denn eine ganze Armee von Dämonen.«

»Allerdings nicht«, hauchte Ista.

Der Catti-Dämon redete weiter: »Ihre angeleinten Dämonen bedeuteten ihr bald mehr als nur eine Hilfe für Sordso: Sie wurden zu ihrer Freude, zu ihrem Glück. Endlich konnte sie ihrem Willen Geltung verschaffen und Gehorsam erlangen! Man folgte eiligst ihren Befehlen und lächelte auch noch dabei! Die Angehörigen ihrer Familie waren nicht die Letzten, sondern die Ersten, die sie unter ihren Willen zwang — ausgenommen Sordso.«

Wieder änderten sich die Stimme des Dämons und seine Sprechweise. »Sie hat mich ihrem Dämon ausgeliefert, als ich mich weigerte, einen quintarischen Bastard-Lord zu heiraten. Ihre Augen leuchteten vor Triumph, als sie es tat. Alles, alles muss genau so gemacht werden, wie sie es sagt, immer und überall, und bis in die kleinste Einzelheit. Nur für Sordso gilt das nicht, ihr goldenes Küken. Oh, wie mein Herz lacht, selbst noch in diesem lebenden Tod, wo ich weiß, dass sie schließlich auch meinen Bruder Sordso übernommen hat.« Cattis — Umerues — Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Ich habe ihn gewarnt, sich ihr zu widersetzen. Hat er zugehört? Natürlich nicht. Ha!«

»Cattilara meinte, du wurdest ausgeschickt, um Porifors zum Übertritt zu bewegen«, sagte Ista zu dem Dämon. »Daher auch die Einbeziehung der Kurtisane, nehme ich an …«

Illvins Gesichtsausdruck, auf der anderen Seite des Bettes, ließ vieles vermuten. Erinnerung spiegelte sich darin, aber auch Bedauern und Grauen. Ista fragte sich, ob diese halb verdauten Seelen im Laufe der Zeit alle in einer Persönlichkeit aufgingen oder für immer getrennt blieben.

»Wen solltet Ihr nach dem Befehl Eurer Mutter verführen? Illvin? Arhys?«, fragte Ista. »Oder beide?«

Ein versonnenes Lächeln zeigte sich auf den Umerue-Lippen. »Lord Illvin. Auf den ersten Blick war er hübsch. Aber dann haben wir Arhys gesehen. Warum den Zweitbesten wählen, den stellvertretenden Befehlshaber, mit all den verwickelten Intrigen zu Revolte und Machtergreifung, die folgen würden, wenn wir einfacher und angenehmer Porifors von der Spitze her in Besitz nehmen konnten?« Auf Ibranisch fügte sie hinzu: »Lord Arhys, ja«, und: »Arhys. Hm.« Dann, seufzend und ohne erkennbare Sprache: »Ah.«

»Wie es scheint, war die Entscheidung einstimmig«, murmelte Illvin trocken. »Das Dienstmädchen, die Prinzessin, die Kurtisane und ohne Zweifel auch der Gelehrte. Alle Feuer und Flamme, seit sie ihn das erste Mal gesehen haben. Ich frage mich, ob der Vogel vielleicht auch weiblich war? Dann wäre er gewiss auf seinem Finger gelandet. Und so wurde Joens Plan durcheinander gebracht von einer noch älteren Magie als der der Dämonen.« Er runzelte die Stirn, halb belustigt, halb schwermütig. »Zu meinem Glück.« Einen Augenblick drang seine tiefe Erschöpfung fast bis zur Oberfläche vor, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf ihm lasten; dann funkelten seine dunklen Augen, und er richtete sich auf. »Wie wurde dieser Oberdämon aus seiner langen Gefangenschaft befreit? Ihr habt gesagt, Ihr wüsstet darüber Bescheid, Majestät?«

»Zumindest kann ich es erraten. Das ist der Zeitpunkt, erkennt Ihr das nicht? Vor drei Jahren, am Tag der Tochter, wurde der Todesfluch des Goldenen Heerführers von Chalion genommen, und von meiner Familie. All seine verstreuten, pervertierten Gottesgaben wurden eingesammelt und von den Göttern zurückgenommen, durch ihren auserwählten Heiligen. Und wenn an diesem Tag alles zurückgenommen wurde, so auch die Macht, die den Dämon eingekerkert hielt.«

Illvin tauschte einen Blick mit dy Cabon. Der Geistliche nickte nachdenklich.

Ista meinte grüblerisch: »Ich frage mich, ob Joen ihren Dämon schon zwei Dekaden früher erhalten hätte, wären Arvol, Ias und ich erfolgreich gewesen und hätten den Fluch bereits vor zwanzig Jahren aufgehoben. Und wer hätte dann die Vorherrschaft über Joens Körper gehabt?«

Dy Cabon schaute mit einem Ausdruck verhaltener theologischer Neugier auf Cattilara hinunter. »Ich frage mich, ob nicht derselbe roknarische Hexenmeister auch für den früheren Ausbruch von ungeformten Dämonen verantwortlich war, der Chalion zu Fonsas Zeiten heimsuchte …« Dann schüttelte er den Kopf, ließ sich nicht mehr durch historische Mutmaßungen ablenken. Immerhin standen sie derzeit einem Ausbruch gegenüber, der sehr viel drängender war.

Warum erzählt die Kreatur uns das alles?, fragte sich Ista. Um Furcht und Verwirrung in dieser kleinen Versammlung zu verbreiten? Um seine eigene Sorge auf andere zu übertragen? Sie schaute zu ihren Gefährten, sah Foix’ Gelassenheit, dy Cabons Nachdenklichkeit, Illvins kluge Aufmerksamkeit. Wenn das der Plan war, funktionierte er nicht. Aber vielleicht hatte der Dämon einfach nur so viel Menschlichkeit geraubt, dass er nun Gefallen daran fand, vor einer aufmerksamen Zuhörerschaft sein Leid zu klagen. Oder er suchte Verbündete, als letzte Möglichkeit, wo alle Hoffnung auf Flucht verloren war — seiner einzelgängerischen Natur zum Trotz.

Die Tür öffnete sich. Erschrocken fuhr Ista herum. Lord Arhys trat ein und nickte ihr respektvoll zu. Sie sah erleichtert, dass er wieder seine Rüstung trug. Hinter ihm kamen Dienstmägde mit Speisen ins Gemach, ein willkommener Anblick; dann folgte Goram, sichtlich erholt. Er brachte Illvins Kleidung, Waffen und Panzerung.

Umgehend machten Istas Begleiter sich über die Speisen her. Arhys trat an die Bettkante und schaute mit düsterer Miene auf seine Frau. Der Dämon erwiderte den Blick, sagte aber nichts. Ista hoffte, es möge nicht Cattilaras Sehnsucht sein, die sich in seinen Augen spiegelte, und fragte sich, ob ihre Augen genauso ausgesehen hatten, als sie Arhys angeschaut hatte.

»Ist sie wach?« Ratlos spannte Arhys die Hand. »Wie kann ich dann …«

»Cattilara schläft«, ließ Ista ihn wissen. »Wir haben den Dämon zu ihrem Mund gelassen, auf dass er reden kann. Was er auch getan hat.«

»Was ist da draußen aufmarschiert, Arhys?«, wollte Illvin wissen. Abwechselnd schluckte er in Brot gehüllte Fleischstücke und kalten Tee, während er von seinem Knecht angezogen wurde.

»Tausendfünfhundert Jokoner — fünfhundert je Zug —, schätzen die beiden Kundschafter, die zurückgekehrt sind. Da der Belagerungsring um Porifors nun geschlossen ist, habe ich die Hoffnung auf das andere Dutzend Kundschafter aufgegeben. So viele habe ich noch nie verloren.«

»Was ist mit Belagerungsmaschinen?«, fragte Illvin mit vollem Mund. Er stieß den Fuß in einen seiner Stiefel, der ihm vom knienden Goram hingehalten wurde.

»Es wurden keine erwähnt. Versorgungswagen, ja. Aber mehr nicht.«

»Hm.«

Arhys schaute zu Ista hinüber. Sie wusste nicht, was für einen Ausdruck er auf ihrem Gesicht las, doch er versuchte, sie zu beruhigen: »Porifors hat schon früher Belagerungen durchgestanden, Majestät. Die Mauern der Stadt sind ebenfalls gesichert. Zweihundert meiner eigenen Männer sind dort unten, und die Hälfte der Männer in der Stadt sind ehemalige Soldaten. Es gibt Tunnel zwischen uns, um Verstärkung auszutauschen. Fünfzehn Jahre ist es jetzt her — nicht wahr, Illvin? —, dass der Fuchs von Ibra uns mit dreitausend Mann angegriffen hat. Wir haben ihnen einen halben Monat lang standgehalten, bis dy Caribastos und dy Tolnoxo — der Vater des heutigen Herzogs — uns entsetzten.«

»Ich glaube nicht, dass die Jokoner diesmal Belagerungsmaschinen gegen uns einsetzen wollen«, merkte Illvin an. »Ich denke eher, sie werden es mit Zauberern versuchen.« Er gab seinen Bruder eine ungeschminkte Zusammenfassung der Aussage des Dämons. Während er sprach, kämmte Goram — bleich, aber entschlossen — sein Haar zurück und band es im Nacken zu einem festen Knoten. Dann schüttelte er das Kettenhemd aus und richtete es zum Anziehen.

»Wenn diese Wahnsinnige Joen tatsächlich ein Dutzend oder mehr Zauberer an Leinen herbeizerrt«, schloss Illvin und schlüpfte in die Rüstung, »kannst du sicher sein, dass sie diese Zauberer auch gegen uns einsetzen will — wenn nicht aus Rache für ihre verlorene Tochter, so doch als Schlag gegen ganz Chalion, um den Angriffsplan Marschall dy Palliars gegen Borasnen zu Fall zu bringen. Ein frühzeitiger und harter Schlag. Und wenn er erfolgreich ist, wird ein Vorstoß nach Nord-Mittelchalion folgen, noch bevor Iselles und Bergons Streitmacht richtig versammelt ist. Jedenfalls würde ich es so anfangen, wäre ich an Stelle der Jokoner. Ich meine, wenn ich nur verrückt wäre, aber nicht dumm

Arhys grinste. »Wie Sordsos Führungsoffiziere derzeit?«

»Zur Mithilfe bereit«, meinte Ista düster. »Einmütig.«

Illvin verzog das Gesicht. Auf Gorams stummes Klopfen hin streckte er den Unterarm aus, und der Knecht schnallte die Armschiene fest.

»Arhys«, fuhr Ista drängend fort. »Trotz Eures merkwürdigen Zustands verfügt Ihr nicht über das zweite Gesicht, oder?«

»Ich habe nichts von dem, was Ihr beschreibt, Majestät. Wenn überhaupt, sehe ich schlechter als zuvor. Nicht verschwommen oder verdunkelt, doch die Farben verschwinden.

Allerdings scheine ich im Dunkeln besser zu sehen als früher. Beinahe ebenso gut wie am Tag.«

»Also habt Ihr nichts von Fürst Sordsos magischem Angriff bemerkt, als ihr auf der Straße aneinander geraten seid?«

»Nein … was habt Ihr gesehen?«

»Das intensive Strahlen, als das ich dämonischen Zauber mit dem inneren Auge wahrnehme. Eine Art sengender Blitz. Sordso jedenfalls hatte offensichtlich erwartet, dass es wie ein sengender Blitz wirken würde. Doch es ging durch Euch hindurch, ohne Schaden anzurichten, als wärt Ihr gar nicht vorhanden.«

Sie schauten beide zu dy Cabon, der unsicher die riesigen Hände öffnete. »In gewisser Hinsicht ist er auch gar nicht vorhanden. Nicht so, wie eine lebende Seele, oder wie ein Dämon. Die wahren verlorenen Geister sind von allen Wirklichkeiten geschieden, sowohl von der Welt der Materie wie auch von der des Geistes.«

»Also ist er gefeit gegen Zauberei?«, setzte Ista an. »Und doch ist es Zauberei, die ihn jetzt erhält. Hochwürden, das verstehe ich nicht.«

»Ich werde darüber nachdenken …«

Plötzlich erschien ein wirres Durcheinander violetter Lichtlinien überall im Raum; das Licht loderte auf und verging. Foix zuckte zusammen. Einen Augenblick später tat das auch jeder andere, als Gefäße mit Tee oder Wein oder Waschwasser umkippten oder zerbrachen oder splitterten. Illvins Tonbecher zerbarst ihm in der Hand, gerade als er ihn an die Lippen hob, und er sprang zurück, um Spritzer auf seinem graugoldenen Wappenrock zu vermeiden.

»Wie es scheint, sind Joens Zauberer nun in Stellung«, stellte Ista tonlos fest.

Mit vor Bestürzung weit aufgerissenen Augen schwang Foix herum. In seinem Innern hatte der Bärenschatten sich aufgerichtet, schien zu tief in der Kehle zu grollen. »Was soll das? Eine Warnung? Wenn sie so etwas tun können, warum lassen sie dann nicht unsere Leiber aufplatzen, oder unsere Kopie, und bringen es zu Ende?«

Dy Cabon hob zitternd die Hand. »Entlaufene Dämonen können nicht unmittelbar töten …«

»Der Todesdämon des Bastards kann es«, wandte Ista ein. »Ich habe es erlebt.«

»Das ist ein ganz besonderer Fall. Die Dämonen, die in die Welt des Stofflichen geflohen sind … nun, sie könnten vielleicht unmittelbar töten, aber … der Tod öffnet ein Portal zu den Göttern. Ob die Seele dieses Portal dann durchschreitet, ist eine Frage der Entscheidung, doch in diesem Augenblick steht das Tor in beide Richtung offen. Und der Dämon könnte wieder eingefangen werden.«

»Aber sie springen davon, wenn ihr Wirt getötet wird …«, bemerkte Foix.

»Ja, aber wenn man mit Zauberei tötet, entsteht eine Verbindung zwischen dem Zauberer und seinem Opfer. Die Anstrengung und Nachwirkungen sollen auch den Zauberer sehr in Mitleidenschaft ziehen.« Nachdenklich hielt er inne. »Wenn natürlich der Zauberer seine Magie benutzt, um Euer Pferd von einer Klippe springen zu lassen, oder wenn er auf eine andere indirekte Weise Euren Tod bewirkt, ist er dieser Gefahr nicht ausgesetzt.«

Ein keuchender Krieger in grauem und goldenem Wappenrock stürmte durch die Tür. »Lord Arhys! Ein jokonischer Unterhändler ist am Tor und fordert Verhandlungen.«

Arhys sog den Atem zwischen den Zähnen ein. »Also tatsächlich eine Warnung. Nun, damit haben sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Illvin, Foix, dy Cabon, Majestät … wollt Ihr mich begleiten? Ich brauche Euer Sehvermögen und Euren Rat. Aber haltet Euch hinter den Zinnen in Deckung und außer Sicht, so gut Ihr es vermögt.«

»Ja.« Ista verharrte kurz, löste die Verengung an Cattilaras Hals und stellte sicher, dass der Dämon ruhig blieb. Foix sah ihr schweigend zu, bezog dann schützend Stellung neben Istas Schulter. Liss war in Arhys’ Aufzählung nicht genannt worden, stand aber trotzdem auf, mit gekreuzten Armen und hochgezogenen Schultern, als wolle sie sich klein machen und nicht auflallen.

Illvin schritt hinter Arhys zur Tür. Plötzlich hielt er an und fluchte. »Die Zisternen!«

Arhys wandte den Kopf. Die beiden sahen einander an. Illvin klopfte seinem Bruder auf die Schulter. »Ich sehe nach und treffe dich am Tor.«

»Beeil dich, Illvin.« Arhys bedeutete allen, ihm zu folgen. Illvin wandte sich auf der Galerie zur Seite und lief los.

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