14

Arhys’ Lächeln erstarrte, und sein Gesicht nahm einen vorsichtigen Ausdruck an. Er betrachte Ista mit Verwunderung und Sorge, als fürchte er, die verrückte Königin könnte vor seinen Augen einen Rückfall erleiden, und er würde als nachlässiger Gastgeber dafür zur Verantwortung gezogen. »Madam, Ihr beliebt zu scherzen …« Das war eine Einladung, ihre Worte zurückzunehmen. Ein deutlicher Hinweis: Bitte, tut das nicht. »Normalerweise werden meine Küsse höher geachtet!«

»Selten war mir weniger nach Scherzen zumute.«

Er lachte unbehaglich. »Ich gebe zu, das Fieber hat mir in letzter Zeit arg zugesetzt, aber ich versichere Euch, das Grab muss noch lange auf mich warten.«

»Ihr habt kein Fieber. Ihr schwitzt nicht einmal. Eure Haut hat dieselbe Temperatur wie die Luft. Wäre es nicht so unmenschlich heiß in dieser Region und zu dieser Zeit, hätten die Leute in Eurer Umgebung es längst schon bemerkt.«

Er starrte sie noch immer mit demselben bestürzten Ausdruck an.

Bei den fünf Göttern. Er weiß es wirklich nicht. Verzweiflung überkam sie.

»Ich glaube«, sagte sie behutsam, »Ihr solltet Euch mit Eurem Bruder unterhalten.«

Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht. »Ich wollte, das könnte ich. Jeden Tag bete ich darum. Aber er erwacht nicht von seiner vergifteten Wunde.«

»Doch, das tut er. An jedem Mittag, wenn Ihr Euer kleines Schläfchen haltet. Die einzige Zeit, zu der Ihr überhaupt schlaft. Hat Eure Frau es Euch denn nicht erzählt? Sie ist beinahe jeden Tag bei ihm, um seine Pflege zu überwachen.« Und manchmal auch bei Nacht. Obwohl sie dann nicht gerade an seiner Pflege interessiert ist, würde ich sagen.

»Majestät, das stimmt nicht, ich versichere es Euch.«

»Ich habe gerade eben noch mit ihm gesprochen. Kommt mit mir.«

Der ungläubige Ausdruck in seinem Gesicht blieb unverändert, doch als sie sich umwandte und wieder die Treppen hinaufstieg, folgte er ihr.

Sie betraten Illvins wohl geordnetes Schlafgemach. Goram saß da und beobachtete seinen Anvertrauten. Als er Lord Arhys erblickte, sprang er auf, machte eine ruckartige, unbeholfene Verbeugung und gab ein unterwürfiges Gemurmel von sich, das »Herr« heißen mochte.

Arhys’ Blick glitt über die reglose Gestalt auf dem Bett. Enttäuscht kniff er die Lippen zusammen. »Er ist so wie immer.«

»Lord Arhys, setzt Euch«, sagte Ista.

»Ich stehe lieber, Majestät.« Er betrachtete sie missbilligend und blickte immer unduldsamer.

»Wie Ihr wünscht.«

Die Linie aus weißem Feuer zwischen den beiden war nun kurz und dick. Inzwischen wusste Ista, worauf sie achten musste, und sie konnte die Anwesenheit des Dämons darin erkennen, ein schwaches, violettes Glühen, das in drei Linien verlief, doch nur eine war von weißer Seelensubstanz durchdrungen. Ista umschloss die Leine zwischen den beiden Männern mit der Hand und drückte sie auf halbe Breite zusammen. Das aufgestaute weiße Feuer strömte zurück in Illvins Körper.

Lord Arhys’ Knie gaben nach, und er fiel in sich zusammen.

»Goram, hilf dem Grafen auf einen Stuhl«, wies Ista ihn an. Bleib so, befahl sie stumm der unsichtbaren Verengung, und so geschah es.

Sie trat an Illvins Bettkante und betrachtete die Ansatzpunkte des Lichts an seinem Körper. Nach oben, befahl sie ihnen schweigend und versuchte, sie mit den Händen anzustoßen, sie an der Stirn und am Mund zu verdichten, so wie Cattilara es an … an jener anderen gottgeweihten Körperstelle getan hatte. Das Licht sammelte sich so, wie sie es wünschte. Bleib so. Sie legte den Kopf schräg und betrachtete das Ergebnis ihrer Bemühungen. Ja …

Goram schob von der Wand neben Illvins Bett eiligst einen Holzstuhl aus polierten, verflochtenen Bögen heran. Er zerrte den erschrocken aussehenden Arhys an den Schultern hoch und setzte ihn darauf. Arhys machte den Mund zu und rieb sich mit einer plötzlich schwachen und zittrigen Hand übers Gesicht. Fühlte sie sich taub an? Rücksichtslos entwendete Ista Gorams Hocker und setzte sich an das Ende des Bettes, von wo aus sie die Gesichter der beiden Brüder am besten im Blick hatte.

Illvin schlug die Augen auf. Er holte tief Luft und bewegte den Unterkiefer. Schwächlich stützte er sich auf einen Ellbogen, bis er schließlich seinen Bruder erblickte, der zu seiner Rechten saß und ihn offenen Mundes anstarrte.

»Arhys!« Freude klang aus seiner Stimme. Das plötzliche Lächeln veränderte sein Gesicht. Ista lehnte sich blinzelnd zurück, als so plötzlich ein so anziehender Mann zum Vorschein kam. Goram eilte geschäftig herbei und stapelte Kissen hinter seinem Rücken auf. Illvin kämpfte sich weiter hoch, den Mund vor Staunen aufgerissen. »Ah! Du lebst! Ich habe ihnen nicht geglaubt; sie konnten mir nie in die Augen sehen. Ich dachte sie lügen, um mich zu schonen — also bist du gerettet! Ich bin gerettet. Bei den fünf Göttern, wir alle sind gerettet!« Er ließ sich zurückfallen, schwer atmend und grinsend, brach fünf Atemzüge lang in Tränen aus und bekam sein Keuchen dann unter Kontrolle.

Arhys starrte ihn an wie ein betäubter Ochse.

Erleichtert stellte Ista fest, dass Illvins undeutliche Aussprache verschwunden war, auch wenn seine unteren Gliedmaßen fast vollständig gelähmt waren. Sie betete darum, dass sein Geist sich gleichermaßen geklärt hatte. In kühlem Tonfall — weit entfernt von dem, was sie tatsächlich fühlte — fragte sie: »Warum habt Ihr geglaubt, Euer Bruder sei tot?«

»Bei den Göttern, was sollte ich sonst denken? Ich habe gefühlt, wie das verfluchte Messer eingedrungen ist — bis zum Griff, wenn ich je eine Schlacht auf Kosten eines anderen überlebt habe. Ich konnte das Drücken und Nachlassen gegen meine Hand fühlen, als die Klinge das Herz durchbohrte. Ich hätte mich beinahe übergeben.«

Oh, bitte, kein Brudermord! Ich will nicht, dass das ein Brudermord war … Trotz der Erschütterung, die sie in im Innern fühlte, verlieh sie ihrer Stimme Festigkeit: »Wie kam es dazu? Erzählt mir alles. Von Anfang an.«

»Sie hat ihn mit auf ihre Gemächer genommen.« An Arhys gewandt fügte er hinzu: »Ich war in Panik, weil Cattilara es mitbekommen hatte, von dieser Dienstbotin, die sich überall einmischt. Sie war entschlossen, hinter dir herzukommen. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir bereits sicher, dass sie etwas Widernatürliches an sich hatte …«

»Welche ›sie‹?«, fragte Ista. »Prinzessin Umerue?«

»Ja. Das prächtige goldene Mädchen.« Sein Grinsen kehrte zurück. »Könntest du langsam damit aufhören, Arhys, jedes Mal schwach zu werden, sobald dir eine ehrgeizige Verführerin einen Kuss zuwirft? Du würdest deinen Verwandten das Leben sehr viel leichter machen.«

Fröhliche Fältchen kräuselten sich um Arhys’ Augen und spiegelten Illvins Miene wieder. Er senkte den Kopf und blickte einfältig drein. »Ich schwöre, ich tue nichts, um sie zu ermutigen.«

»Das stimmt, das muss ich zugeben«, sagte Illvin mit einem Seitenblick auf Ista. »Nicht dass es für uns andere ein Trost wäre, wenn wir zusehen müssen, wie die Frauen ohne einen Blick an uns vorübereilen und hinter ihm her laufen. Erinnert mich an einen Küchenjungen, der seine Hühner füttert.«

»Ich kann nichts dafür. Sie werfen sich mir an den Hals.« Er schaute zu Ista und fügte trocken hinzu: »Selbst auf irgendwelchen Treppenaufgängen.«

»Du kannst ausweichen«, schlug Illvin liebenswürdig vor. »Versuch es mal.«

»Mach ich doch. Du hast eine sehr schmeichelhafte Vorstellung von der Kraft meiner reifen Jahre. Glaubst du, Cattilara lässt heutzutage noch irgendein Interesse an weiteren Liebschaften in mir aufkeimen?«

Ista war sich nicht so sicher, wie diese Behauptung zu seinem Verhalten während ihres ersten gemeinsamen Rittes passte. Aber vielleicht war er zu allen geretteten Damen so charmant, und sei es nur, um sie abzulenken, damit sie keine Weinkrämpfe bekamen. Mit Bedauern unterbrach Ista die offensichtlich eingespielten und ebenso offensichtlich erleichterten Neckereien. Es gab keinen Zweifel: Der Gott hatte sie geködert, mit gleichen Teilen Neugier und geheimer Schuld, und so war sie in dieses schmerzliche Labyrinth hineingeführt worden. Aber sie hatte nicht das geringste Bedürfnis, darin zu verweilen. »Warum habt Ihr dann Prinzessin Umerues Gemächer aufgesucht? Falls es so war.«

Arhys zögerte. Die Fröhlichkeit schwand aus seinem Gesicht. Er rieb sich die Stirn, dann das Kinn und die Hände. »Ich weiß nicht recht. Damals schien es mir eine gute Idee zu sein.«

Illvin sagte: »Cattilara ist davon überzeugt, dass die Prinzessin dir einen Liebestrank verabreicht hat und du nicht mehr wusstest, was du tust. Und trotz meiner Ungeduld mit ihren Launen habe ich doch stets gehofft, dass es so gewesen sein mag. Weil die andere Möglichkeit um vieles schlimmer ist.«

»Dass ich mich in Umerue verliebt habe?«

»Nein. Ich habe an etwas anderes gedacht.«

Ista fasste ihn schärfer ins Auge. »Und woran?«

Illvins Gesichtsausdruck wurde ernst und in sich gekehrt. »Nun, auf mich hatte sie dieselbe Wirkung. Zuerst. Dann erblickte sie Arhys, und ich war vergessen. Sie ließ mich fallen wie einen Sack Kleie. Und … mein Verstand kehrte zurück. Ich erinnerte mich endlich wieder daran, wo ich sie schon einmal gesehen hatte, obwohl sie damals eigentlich nicht dieselbe war. Sag, Arhys, erinnerst du dich an meinen kleinen Ausflug nach Jokona vor drei Jahren, als ich mich als Pferdehändler verkleidet hatte? Als ich Goram mit zurückbrachte, und einen Plan von Burg Hamavik?«

»Ja.«

»Ich habe einige Tiere beim Lord von Hamavik gekauft. Und zu viel dafür bezahlt, was ihn glücklich und redselig machte und dafür sorgte, dass er mich für einen Dummkopf hielt. Er lud mich zu einem Abendessen in sein Landhaus an der Küste ein. Allein schon daraus hätte ich schließen können, wie sehr er mich übers Ohr gehauen hatte, hätte ich es bis dahin nicht schon gewusst. Er zeigte mir prahlerisch seine kostbarsten Besitztümer, darunter auch seine Frau. Sie war eine Prinzessin aus Jokona, eine Enkelin des Goldenen Heerführers selbst, erzählte er mir. Als wäre sie eine hübsche Zuchtstute, die er sich einiges hatte kosten lassen. Ich nehme an, so war es auch, denn die Regentin und Fürstinnenwitwe Joen ist nicht dafür bekannt, dass sie ihre Kinder billig hergibt. Bei den fünf Göttern, er war ein abstoßender alter Bock. Golden war sie, aber sie war auch die traurigste stille Maus von einer Frau, die ich je gesehen hatte. Eintönig. Eingeschüchtert. Und sie sprach nicht mehr als höchstens sechs Worte Ibranisch.«

»Dann war sie nicht dieselbe Prinzessin«, sagte Arhys. »Der Fürst von Jokona hat ein ganzes Rudel an Schwestern. Du hast sie vermutlich verwechselt. Umerue hatte eine geistreiche und respektlose Zunge.«

»Ja. Sie machte zweisprachige Wortspiele. Aber wenn sie keine Zwillingsschwester gleichen Namens hat, dann schwöre ich, dass sie dieselbe Frau ist.« Illvin seufzte und runzelte die Stirn. »Catti stürmte wutentbrannt auf die Gemächer der Prinzessin zu, und ich lief hinterdrein. Ich hatte Angst … ich weiß nicht wovor, aber ich dachte mir, wenn ich schon sonst nichts tun kann, könnte ich dich zumindest warnen und eine Szene verhindern.«

»Mein treuer Flügelmann.«

»Das ging weit über die Grenzen der Pflichterfüllung hinaus. Das habe ich damals schon gedacht. Du wärest mir etwas schuldig, und das wollte ich einfordern. Ich flehte Catti an, mich als Ersten eintreten zu lassen, aber sie schlüpfte mir unter dem Ellenbogen durch. Und dann sind wir zum ungünstigsten Zeitpunkt hereingeplatzt. Wo wir gerade von respektlosen Zungen gesprochen haben …«

Tote, stellte Ista fest, konnten nicht erröten. Aber zumindest konnten sie beschämt dreinblicken.

»Selbst ich konnte es Catti nicht verdenken, dass sie bei dem Anblick in Raserei geriet«, fuhr Illvin fort. »Aber hätte dieser protzig verzierte Dolch nicht oben auf dem Haufen Zeug gelegen, sondern darunter, hätte ich sie vielleicht noch schnell genug zu fassen bekommen. Schreiend ging sie geradewegs auf die Prinzessin zu. Hätte ihr am liebsten das Gesicht in Streifen geschnitten. Aus verständlichen Gründen.«

»Daran erinnere ich mich«, sagte Arhys langsam, als wäre er sich unsicher. »Es kommt wieder zurück …«

»Du hast die goldfarbene Schlampe zur Seite gestoßen. Ich packte Cattis Messerhand, und wir hätten die Lage retten können, wärst du nicht gestolpert, als du aus dem Bett gesprungen bist. Warst du so von der Lust übermannt, dass du nicht einmal die Zeit gefunden hast, dich ganz auszuziehen? Wenn ich eine solche Gelegenheit bekommen hätte … doch reden wir nicht davon. Aber dass der beste Schwertkämpfer von ganz Caribastos von den eigenen Hosen zu Fall gebracht wurde — fünf Götter, Arhys! Catti allein wäre gar nicht stark genug gewesen, um diese große Klinge in dein Herz zu stoßen, selbst wenn sie versucht hätte, dich anzugreifen. Aber du bist mit zusammengebundenen Knöcheln direkt gegen uns gefallen.« Seine Empörung schwand dahin, seine aufgeregte Stimme wurde leiser und bedächtiger. »Ich habe gefühlt, wie die Klinge eindrang. Ich war mir sicher, dass wir dich getötet hatten, wir alle zusammen.«

»Es war nicht Cattis Schuld!«, warf Arhys hastig ein. »Oh, dieser schmerzhafte Ausdruck in ihrem Gesicht! Es war wie ein zweiter Dolchstoß. Kein Wunder, dass sie danach … was danach kam, daran erinnere ich mich nicht mehr.«

»Du bist zu meinen Füßen zusammengebrochen. Das dumme Ding hat dann die Klinge aus deiner Brust herausgerissen. Ich rief noch nein, Catti!, doch es war zu spät. Aber so, wie das Blut dann herausspritzte, bin ich mir ohnehin nicht sicher, ob es die Blutung aufgehalten hätte, wenn wir die Klinge stecken gelassen hätten. Ich habe versucht, eine Hand auf deine Wunde zu drücken, und mit der anderen Hand hielt ich Cattis Ärmel fest. Aber sie hat sich aus ihrem Übergewand herausgewunden. Umerue kreischte, kletterte über das Bett zurück und versuchte, wieder an deine Seite zu gelangen — ich weiß auch nicht genau, warum. Catti stieß ihr das Messer direkt in den Leib. Umerue legte die Hand auf den Griff, sah auf und bedachte mich mit einem unglaublich traurigen Blick. Oh, sagte sie, mit einer verlorenen und kraftlosen Stimme. Wie … wie ihre Stimme, als ich sie das erste Mal gesehen habe.« Er sprach noch leiser. »Sie sagte einfach nur: Oh. Cattis Gesicht nahm einen sehr merkwürdigen Ausdruck an, und danach … danach erinnere ich mich nicht mehr.« Er ließ sich auf die Kissen zurücksinken. »Warum nicht?«

Istas Hände zitterten. Sie verbarg sie in den Rockfalten. »Woran erinnert Ihr Euch denn als Nächstes, Lord Illvin?«, fragte sie.

»Hier aufzuwachen. Benommen und krank. Und dann wieder hier aufzuwachen. Und wieder. Und wieder. Und wieder. Und … irgendetwas muss mit mir geschehen sein. Wurde ich von hinten niedergeschlagen?«

»Cattilara meint, Pechma hätte dich niedergestochen«, sagte Arhys. Er räusperte sich. »Und Umerue.«

»Aber er war gar nicht dort. Ist er nach uns hereingekommen? Außerdem wurde ich nicht …«, Illvins Hand tastete zu seiner Brust, fuhr unter das weiße Leinen, und kam rot verschmiert wieder hervor, »oh … niedergestochen?«

»Was war dieser Pechma für ein Mensch?«, fragte Ista beharrlich.

»Er war Umerues Sekretär«, sagte Arhys. »Er hatte einen fürchterlichen Geschmack, was Kleidung betraf, und war stets das Opfer der Scherze von Umerues Gefolge. Diese trotteligen, unfähigen Burschen findet man überall. Als Cattilara mir erzählt hatte, er habe Illvin angegriffen, erklärte ich, das sei unmöglich. Sie sagte mir, es solle besser möglich sein, andernfalls hätten wir Krieg mit Fürst Sordso, noch bevor der Leichnam wieder zu Hause eingetroffen ist. Außerdem würde kein Jokoner einen Finger für Pechma rühren. Und damit hatte sie Recht. Und ich solle Geduld haben, sagte sie, Illvin würde sich wieder erholen. Ich hatte schon meine Zweifel, aber wie ich sehe, stimmte auch das!«

Ista wandte ein: »Ihr habt seit mehr als zwei Monaten nichts gegessen, und Ihr habt Euch nie darüber gewundert?«

Illvin blickte von seiner verschmierten Hand auf und sah erschrocken zu Arhys hinüber. Seine Lider wurde schmal.

»Ich esse etwas. Ich kann nur nicht alles bei mir behalten.« Arhys zuckte die Schultern. »Offensichtlich bekomme ich genug.«

»Aber jetzt wird alles wieder gut mit ihm«, erklärte Illvin. »Nicht wahr?«

Ista zögerte. »Nein. Wird es nicht.«

Sie ließ den Blick zu dem schweigenden Zuhörer wandern, der halb zusammengekauert am gegenüberliegenden Ende des Raumes kauerte. »Was habt Ihr von Prinzessin Umerue gehalten, Goram?«

Er machte ein Geräusch tief in der Kehle, das sich wie das Knurren eines Hundes anhörte. »Sie war schlecht … verderbt.«

»Woher wusstest du das?«

Tiefe Furchen gruben sich in sein Gesicht. »Wenn sie mich angeschaut hat, hab ich eine Gänsehaut bekommen. Ich bin ihr aus dem Weg gegangen.«

Ista dachte an seine übel zugerichtete Seele. Das kann ich mir vorstellen.

»Ich würde gern sagen, dass Goram mich wieder zur Besinnung gebracht hat«, merkte Illvin kläglich an. »Aber ich fürchte, es lag nur daran, dass Umerue mir keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt hat.«

Ista musterte Goram kurz. Die Narben an seiner Seele waren nur eine Ablenkung in dieser Rechnung, sagte sie sich. Es waren alte Wunden, alt und düster. Wenn er einst von einem Dämon zerfressen worden war, wie sie allmählich annahm, lag es schon lange zurück. Und daraus folgte …

»Umerue war eine Zauberin«, stellte Ista fest.

Ein grimmiges Lächeln huschte über Illvins Gesicht. »Ich dachte es mir!« Er zögerte. »Woher wisst Ihr das?« Und nach einem weiteren kurzen Zögern: »Wer seid Ihr?«

Ich weiß, wo ihr Dämon ist. Ista beschloss, dies vorläufig nicht zu erwähnen. Sie wünschte sich sehnlichst, dass dy Cabon hier wäre, um mit seiner theologischen Ausbildung dieses Knäuel zu entwirren. Illvin starrte sie in plötzlichem Argwohn an, besorgt, aber nicht ungläubig.

»Man sagt, Ihr seid in Euer Jugend auf einem Priesterseminar ausgebildet worden, Lord Illvin. Ihr könnt nicht alles vergessen haben. Mir wurde von einem gelehrten Geistlichen aus der Kirche des Bastards erklärt, dass ein Dämon auf jemand anderen überspringt, wenn sein früherer Wirt stirbt und die entweichende Seele nicht die Kraft hat, den Dämon mit zurück zu den Göttern zu tragen. Die Zauberin starb, und der Dämon ist in keinem von euch, so viel kann ich versichern. Wer also bleibt übrig?«

Arhys sah krank aus. Für einen lebenden Leichnam hätte das eine Verbesserung sein sollen, nahm Ista an, doch so war es nicht. »Er ist bei Catti«, flüsterte er.

Ista nickte und kam sich absurderweise wie eine Lehrerin vor, die ihren Schüler für eine richtig gelöste Rechenaufgabe lobt. »Ja. Catti hat nun diesen Dämon. Und Ihr Gebot an ihn ist, Euch am Leben zu halten … zumindest in Bewegung. Soweit seine Kräfte es zulassen.«

Arhys öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Schließlich sagte er: »Aber … diese Dinger sind gefährlich! Sie verschlingen Menschen bei lebendigem Leibe … Zauberer verlieren ihre Seele an sie. Jemand muss sich um Catti kümmern! Ich muss Geistliche des Bastards hierher bestellen, um den Dämon auszutreiben …«

»Augenblick mal, Arhys«, warf Illvin ein. Er klang angespannt.

»Ich glaube, wir sollten noch einmal darüber nachdenken …«

Ein Pochen erklang von der Galerie draußen; das Geräusch zweier Paare laufender Füße. Dann wurde die Tür aufgestoßen. Cattilara stolperte hindurch, keuchend, barfuß, das Reitkleid in Unordnung, die Haare wild zerzaust. Liss kam hinterher, beinahe außer Atem.

»Arhys!«, rief Cattilara und warf sich auf ihn. »Bei den fünf Göttern! Bei den fünf Göttern! Was hat diese Frau dir angetan?«

»Verzeiht, Majestät«, murmelte Liss Ista ins Ohr. »Wir waren mitten auf dieser Wiese, als sie plötzlich ausrief, dass mit ihrem Gemahl etwas nicht in Ordnung sei. Dann rannte sie zu ihrem Pferd und lief davon. Es gab keine Möglichkeit, sie abzulenken, außer vielleicht mit einem Armbrustbolzen.«

»Psst. Es ist gut.« Ista unterdrückte einen Anflug von Übelkeit, der sie überkam, als sie an ihre Täuschung dachte, so wirksam sie auch gewesen war. »Warte bei Goram, aber sag nichts und unterbrich uns nicht. Egal wie merkwürdig es dir vorkommen mag, was du hörst.«

Liss knickste gehorsam und lehnte sich neben den Knecht an die Wand, der ihr grüßend zunickte. Sie legte den Kopf schräg und musterte Lady Cattilara zweifelnd, die schluchzend in Lord Arhys kraftlosen Armen lag.

Cattilara ergriff nun seinerseits Arhys’ Hände, fühlte seine Schwäche und wandte ihr tränenüberströmtes Gesicht dem ihres Ehemannes zu. »Was hat sie dir angetan?«, wollte sie wissen.

»Was hast du mir angetan, Catti?«, fragte er leise zurück. Er sah seinen Bruder an. »Uns beiden …«

Cattilara schaute sich um und funkelte Ista und Illvin wütend an. »Ihr habt mich überlistet! Arhys — was immer sie dir erzählt haben, sie lügen!«

Illvin hob belustigt die Augenbrauen. »Na, das ist aber eine umfassende Anklage«, murmelte er.

Für einen Augenblick versuchte Ista, sich auf den Dämon zu konzentrieren, der nun so fest zusammengeballt war, wie sie es nie gesehen hatte, dicht und funkelnd. Als würde er versuchen, in sich selbst zu flüchten, nun, da ihm alle anderen Wege versperrt waren. Er schien zu zittern.

Vor Angst? Weshalb? Was denkt er, das ich mit ihm tun kann? Oder besser: Was weiß er, das ich nicht weiß? Verwirrt runzelte Ista die Stirn.

»Catti.« Arhys strich durch ihr zerzaustes Haar, während sie an seiner Schulter schluchzte. »Es ist an der Zeit, dass du mir die Wahrheit sagst. Jetzt. Schau mich an.« Er legte die Finger an ihr Kinn, drehte ihr Gesicht zu sich und lächelte in ihre tränenfeuchten Augen, mit einem Blick, der Istas Herz hätte schmelzen und in ihre Schuhe fließen lassen. Die Wirkung auf die aufgelöste Catti war noch viel weniger hilfreich. Sie rutschte aus Arhys’ schwachem Griff und kauerte sich zu seinen Füßen zusammen, weinte an seinen Knien wie ein unglückliches Kind. »Nein, nein.« Das waren ihre einzigen verständlichen Worte, die sie unablässig wiederholte.

Illvin verdrehte die Augen und rieb sich mit einer kraftlosen Bewegung verärgert die Stirn. Er sah aus, als würde er in diesem Augenblick mit Freuden alles hergeben, was von seiner Seele noch geblieben war, wenn er nur aus diesem Gemach entfliehen könnte. Er schaute auf und begegnete Istas mitleidigen Blick. Sie hielt zwei Finger in die Höhe, wartete …

»Ja, ja«, murmelte Arhys seiner Frau zu. Seine Hand ruhte auf ihrem Kopf und schob ihn sanft von einer Seite zur anderen. »Ich habe den Befehl hier auf Porifors. Aller Leben hier liegen in meiner Hand. Ich muss alles wissen.«

»Gut, Arhys«, murmelte Illvin. »Setz dich einmal gegen sie durch.«

Ista legte die Hand vor den Mund, denn Arhys sollte sprechen. Ja, besser er sagt es. Ihm wird sie sich nicht widersetzen, jedenfalls nicht so sehr.

»Was ist geschehen, nachdem du die … Zauberin erstochen hast?«, fragte Arhys. »Was hast du getan, dass der Dämon dann zu dir kam?«

Catti schniefte, schluckte, keuchte und hustete. Mit belegter Stimme erwiderte sie: »Ich habe gar nichts getan. Er kam einfach zu mir. Er konnte entweder zu mir oder zu Illvin, und vor Illvin hatte er mehr Angst.« Ein grimmiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Er versprach mir alles, was ich wollte, wenn ich mit ihm fliehen würde. Aber ich wollte nur eines, ich wollte dich zurück. Ich habe ihn gezwungen, dich wieder in deinen Körper zu bringen. Er will immer noch von hier fliehen. Aber das lasse ich nicht zu, niemals.«

Wille stand gegen Wille. Ista hegte den Verdacht, dass dieser Dämon erfahren und stark war, da er mehr als nur ein Leben verzehrt hatte. Doch auf gewissen, eng umgrenzten Feldern war Cattilara willensstärker, ja, mehr noch: besessen. Wenn der Dämon Catti fälschlich für den fügsameren Wirt gehalten hatte, dann hatte er eine interessante Überraschung erlebt. Trotz ihres Zorns über Catti empfand Ista grimmige Zufriedenheit, wenn sie an die Bestürzung des Dämons dachte.

»Seid Ihr Euch dessen bewusst«, sagte Ista, »dass der Dämon Leben von Illvin stiehlt, um Arhys … in Bewegung zu halten?«

Catti riss den Kopf hoch. »Das ist nur gerecht. Er hat Arhys erstochen. Soll Er doch dafür bezahlen!«

»Augenblick mal!«, warf Illvin ein. »Ich war nicht allein in diesem Durcheinander.«

»Hättest du nicht nach meiner Hand gegriffen, wäre es nicht passiert!«

»Nein, auch nicht, wenn Arhys nicht gestolpert wäre, oder wenn Umerue in die andere Richtung ausgewichen wäre, oder wenn irgendeines von hundert anderen Dingen anders gewesen wäre. Aber wir alle haben getan, was wir getan haben. Und es ist geschehen.« Er presste die Lippen zusammen.

»Ja«, sagte Ista bedächtig. »Vier Personen kommen zusammen, um etwas zu erreichen, was keiner von ihnen haben wollte, wie ich zu behaupten wage. Was die … fünfte anwesende Partei betrifft, bin ich mir nicht so sicher.«

»Es ist wahr«, stellte Illvin fest. »Dämonen gedeihen durch Unglück und Unordnung. Das ist ihre Natur. Und die Magie, die ihnen zu Gebote steht, hat an dieser Natur teil. Das jedenfalls haben die Geistlichen mich stets gelehrt.« Er drehte sich in seinem Kissen um und musterte seine Schwägerin besorgt.

»Dieser Dämon wurde hierher geschickt«, sagte Cattilara. »Mit Vorsatz. Er sollte Illvin verführen, oder Arhys, oder beide, und Burg Porifors von innen für den Fürsten von Jokona gewinnen. Das habe ich verhindert — so gut wie ein Krieger, der während einer Belagerung eine Sturmleiter umstößt.« Sie warf ihr Haar zurück und blickte mit blitzenden Augen durchs Gemach, als wollte sie alle anderen warnen, ihre Leistung anzufechten.

Illvin schürzte die Lippen in plötzlichem Verständnis. Arhys kniff erschrocken die Brauen zusammen.

»Und Lord Pechma?«, hakte Ista nach.

»Oh, Pechma … das war einfach. Der Dämon wusste alles über ihn.« Cattilara schnaubte verächtlich. »Nachdem ich Illvin hergerichtet und Arhys zurück in unser Bett gebracht hatte, musste ich nur noch Pechma finden und ihn beschuldigen. Ich überzeugte ihn davon, dass er am Morgen aufgehängt würde, wenn er nicht floh. Wahrscheinlich rennt er immer noch.«

Die junge Frau war in dieser Nacht sehr fleißig gewesen, überlegte Ista. Die kunstvolle Boshaftigkeit, mit der sie Illvin nackt hergerichtet hatte, stieß sie ab. Vielleicht eine kleine Rache gegen einen Mann, der sich standhaft geweigert hatte, sich von der schönen Braut seines Bruders blenden zu lassen?

»Also, nichts davon ist Arhys Schuld«, fuhr Catti leidenschaftlich fort. »Warum sollte er als Einziger darunter leiden?« Wütend wandte sie sich Ista zu. »Also — was immer Ihr getan habt, um ihn an diesen Stuhl zu binden: Lasst ihn sofort frei!«

Ista befeuchtete ihre Lippen. »Sehr viele Leute leiden auch ohne Schuld«, stellte sie fest. »Das ist nichts Neues auf der Welt. Ich werde Arhys bald ›befreien‹, wie Ihr es nennt. Zuerst aber müssen wir alle offen und frei heraus miteinander reden. Die Kirche lehrt uns, dass Dämonen ihre Wunder zu einem schrecklichen Preis wirken. Was glaubt Ihr, wie lange Ihr diesen Zustand aufrechterhalten könnt?«

Cattilara blickte entschlossen. »Das weiß ich nicht. Solange, wie ich atme und einen Willen habe! Denn wenn der Zauber des Dämons seine Wirkung verliert, wird Arhys sterben

»Wenn das tatsächlich die Alternative ist«, warf Illvin plötzlich ein, »ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn wir uns abwechseln. Ich hätte nichts dagegen … sagen wir, zur Hälfte zu teilen. Die Hälfte eines jeden Tages für Arhys, und die andere Hälfte für mich.«

Und dann musste er kein Brudermörder sein? Oder ein Viertel eines Brudermörders? Der hoffnungsvolle Ausdruck in seinem Gesicht war leicht zu deuten. Cattilaras Antlitz hellte sich auf bei diesem unerwarteten Bündnisangebot. Sie musterte Illvin mit neu erwachtem Interesse.

Ista zögerte. Ihre Sicherheit geriet ins Wanken. Ihre Unsicherheit, verbesserte sie sich bedrückt. »Ich glaube«, sagte sie, »das geht nicht, jedenfalls nicht für lange. So sehr der Dämon sich auch zurückhält, er muss nach und nach von Catti zehren, sonst wäre er inzwischen vergangen oder zumindest nicht mehr in der Lage, seinen Zauber aufrechtzuerhalten. Der Geistliche dy Cabon hat mir einmal gesagt, dass ein Dämon stets den Spieß umdreht gegen seinen Wirt, wenn er nur genug Zeit bekommt.«

»Wenn Arhys dadurch gerettet wird, gehe ich das Risiko ein!«, sagte Cattilara.

In scharfem Widerspruch sog Arhys den Atem ein und schüttelte den Kopf.

»Scheint mir auch fast das Risiko wert«, murmelte Illvin finster.

»Aber es ist kein Risiko. Es ist eine Gewissheit. Und Arhys stirbt am Ende doch, und Cattilara ist zerstört.«

»Aber wann, wie lange, das ist die Frage!«, hielt Cattilara dagegen. »Alles Mögliche kann passieren, bis … dann.«

»Ja, und einiges davon kann ich dir jetzt schon verraten«, meinte Ista. »Illvin hat auf dem Seminar des Bastards doch sicher die Theologie der Todeszauber gelernt. Ich habe schon mehrere Male Bekanntschaft damit gemacht. Arhys ist jetzt nicht lebendig. Der Dämon hat seinen losgelösten Geist gefangen und ihn zurückgeschickt, um im eigenen Körper zu spuken. Was in gewisser Hinsicht, nehme ich an, ein durchaus vertrauter und angenehmer Wohnsitz ist. Aber er ist abgeschnitten von seinem Gott, und gleichermaßen ist seine Seele den Kräften der Materie entrissen. Er kann kein Leben aufrechterhalten, außer mit dem, was er von Illvin stiehlt. Er kann kein Leben hervorbringen, erst recht nicht zeugen

Cattilara zuckte zusammen.

»Sein Schicksal«, fuhr Ista fort, »muss also das der verlorenen Geister sein: ein langsames Vergehen, Verblassen, die Erinnerung verlieren an sich selbst, an die Welt seiner Herkunft … das, was er liebt, und was er hasst, zu vergessen. Es ist eine Art Vergreisung. Ich habe solche blinden Geister schon dahinschwinden sehen. Eine stille Verdammnis, und gnädig — für sie. Weniger gnädig jedoch für einen Mann, der noch immer in seinem Körper steckt, nehme ich an.«

»Ihr meint, er wird den Verstand verlieren?«, warf Illvin entsetzt ein.

»Bei den fünf Göttern!«, stieß Arhys hervor. »Ich kann nicht so viel davon entbehren wie du.« Er versuchte, seinen Bruder anzulächeln. Der Versuch scheiterte kläglich.

Ista biss sich auf die Lippe und zwang sich, fortzufahren. »Ich habe eine Vermutung, warum der Dämon Illvin so wenig Zeit gibt, und warum ihre Anteile so ungleich sind. Ich nehme an, wenn Illvin wach ist, verliert der Dämon an Kraft. Mit jeder Stunde, die Illvin wach ist, verwest der tote Körper ein wenig mehr. Irgendwann werden auch andere die Verwesung bemerken.« Sie selbst mit ihrer gesteigerten Empfindsamkeit merkte es jetzt schon, seit sie wusste, worauf sie achten musste. »Ist dies das Schicksal, das Ihr für Euren hübschen Gemahl wünscht, Lady Cattilara? Ein seniler Geist, gefangen in einem verrottenden Leib?«

Cattilara bewegte die Lippen, nein, nein, sagte aber nichts, sondern drückt das Gesicht gegen Arhys’ Knie.

Götter, warum habt ihr mir diese abstoßende Aufgabe übertragen?

Umbarmherzig sprach Ista weiter. »Illvin stirbt auch, denn langsam wird ihm mehr Leben entzogen, als er ersetzen kann. Doch wenn Illvin stirbt, wird auch Arhys aufhören, sich zu bewegen. Beide Söhne derselben Mutter sind gemeinsam verloren. Sie hätte das nicht gewünscht, so viel kann ich versichern. Wie dieser üble Wettlauf endet, wer den Sieg davonträgt, kann ich nicht sagen. Doch ist nun einmal die typische Rechnung in dämonischer Magie: zwei Leben gegen eines, dann das eine abgezogen. Es bleibt für all Euer Leid nichts. Ist meine Gleichung in theologischer Hinsicht korrekt, Lord Illvin?«

»Ja«, flüsterte er, schluckte und gewann seine Stimme zurück. »Die Magie der Dämonen, sagen die Geweihten, schafft unausweichlich mehr Chaos, als sie jemals an Ordnung hervorbringt. Die Kosten sind stets höher als der Gewinn. Manche, die sich auf Dämonen einlassen, verteilen die Kosten auf andere und behalten den Gewinn für sich. Doch auf lange Sicht geht das selten gut. Obwohl man sagt, dass manche weisen und scharfsinnigen Theologen, Tempelzauberer, die Magie der Dämonen entsprechend ihrer Natur nutzen können, und nicht dagegen, und damit Gutes bewirken. Ich habe nie so recht verstanden, wie das vor sich gehen soll.«

Was den nächsten Schritt betraf, war Ista sehr unsicher, doch es schien der logische Fortgang. Sie hegte ein tiefes Misstrauen gegen Logik; mit einem kleinen, logischen Schritt nach dem anderen konnte man ebenso leicht in einen Morast tiefster Sünde geraten, wie man der Länge nach hineinfallen konnte. »Ich habe nun die Aussagen aller Beteiligten gehört — einer ausgenommen. Ich glaube, der Dämon hat die Gabe der Sprache erlangt. Man muss sich fragen, von wem, wenn er zweisprachige Wortspiele machen kann. Doch wie auch immer, ich möchte mit ihm reden. Lady Cattilara, könnt Ihr ihn für eine Weile an die Oberfläche kommen lassen?«

»Nein!« Finster begegnete sie Istas Blick. »Es liegt nicht an mir. Er möchte fliehen. Er wird versuchen, mit meinem Körper davonzulaufen, wenn er die Gelegenheit bekommt.«

»Hm«, machte Ista. Sie hatte kein großes Vertrauen in Cattilara, aber dieser Einwand konnte durchaus der Wahrheit entsprechen.

»Fesselt sie an den Stuhl«, schlug Liss vor, die noch immer an der Wand lehnte. Ista schaute über die Schulter zu dem Mädchen. Liss hob die Augenbrauen und zuckte die Achseln.

»Ihr versteht nicht«, sagte Cattilara. »Er wird sich danach nicht wieder zurückziehen.«

»Ich kümmere mich darum«, entgegnete Ista.

Illvin runzelte neugierig die Stirn. »Wie?«

»Ich glaube nicht, dass Ihr das könnt«, sagte Cattilara.

»Er glaubt das. Andernfalls hätte er nicht so viel Angst vor mir, nehme ich an.«

»Oh.« Nachdenklich verzog Cattilara das Gesicht.

»Ich würde sagen«, warf Arhys ein, »dass die Befragung dieses Gefangenen eine sehr wichtige Angelegenheit ist, bedeutsam für die Sicherheit von Porifors. Willst du es wagen, liebste Catti — für mich?«

Sie schnüffelte, runzelte die Stirn und biss die Zähne zusammen.

»Ich weiß, du hast den Mut dazu«, fügte er hinzu und beobachtete sie.

»Na, meinetwegen!« Schmollend erhob sie sich. »Aber ich glaube nicht, dass es klappt.«

Erschrocken sah die junge Gräfin zu, wie Goram mit Liss’ Unterstützung den halb gelähmten Arhys vom Stuhl hob und ihn auf den Boden setzte, gegen eine Seite des Bettes gelehnt. Aber sie sträubte sich nicht länger, ließ sich auf Arhys’ leeren Platz fallen und legte die Hände auf die hölzernen Armlehnen. Goram schaffte eilig behelfsmäßige Fesseln aus Illvins Vorrat an Gürteln und Schärpen herbei.

»Nehmt die Stoffe«, empfahl Arhys ängstlich. »Sie werden nicht so tief in ihre Haut schneiden.«

Ista blickte auf den Schorf, der sich wie Armreifen um ihre Handgelenke zog.

»Bindet auch meine Knöchel fest«, forderte Cattilara. »Fester.«

Unter dem besorgten Blick des Grafen war Goram übervorsichtig; Liss aber brachte schließlich Knoten zustande, die Cattilara billigte. Als sie fertig war, sahen die Fesseln eher wie dicke Stoffbündel aus.

Ista schob den Hocker zurecht, bis sie Cattilara gegenübersaß. Arhys hockte zu ihren Füßen; sie war sich seines starken, schlaffen Körpers nur allzu bewusst. »Dann macht weiter, Lady Cattilara. Lasst den Dämon frei, lasst ihn emporsteigen.«

Cattilara schloss die Augen. Ista senkte die Lider halb und versuchte, mit ihrem zweiten Gesicht die inneren Grenzen in Cattilaras Leib zu erfassen. »Komm schon, du«, murmelte Cattilara und hörte sich dabei an wie ein Junge, der mit einem Stock einen Dachs aus seinem Bau treibt. »Herauf!«

Eine Welle aus unsichtbarem violettem Licht — Ista nahm all ihre übernatürliche Wahrnehmungsfähigkeit zusammen. Von außen betrachtet, änderte sich Cattilaras Gesichtsausdruck. Im einen Augenblick war er starr vor Sorge, wechselte dann kurz zu einem trägen Lächeln. Lasziv fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. Sie schnitt eine Grimasse, als würde sie die Muskeln in ihrem Gesicht auf ungewohnte Weise anspannen. Der violette Ton erfüllte den gesamten Körper, bis zu den Fingerspitzen. Sie holte Luft.

Dann riss Catti die Augen auf, die sich bei Istas Anblick voll Schrecken weiteten. »Verschont uns, Strahlende!«, kreischte sie. Jeder im Gemach zuckte bei diesem schneidenden Ausruf zusammen.

Sie wippte hin und her und zerrte heftig an ihren Fesseln. »Lasst uns los, befreit uns! Wir befehlen es Euch! Lasst uns gehen, lasst uns gehen!«

Cattilara verstummte und sank keuchend zusammen. Dann wurde ihre Miene verschlagen. Sie sank zurück, schloss die Augen, öffnete sie wieder. Ihr Gesicht nahm erneut den erstarrten, sorgenvollen Ausdruck an. »Ihr seht, es hat keinen Zweck. Das dumme Ding kommt einfach nicht hervor, nicht einmal für mich. Lasst mich wieder aufstehen.«

Ista stellte fest, dass der lila Farbton immer noch den ganzen Körper erfüllte. Sie hielt Liss zurück, die mit enttäuschtem Gesichtsausdruck schon auf die Gräfin zuging. »Nein. Die Kreatur lügt. Sie ist immer noch hier.«

»Oh.« Liss kehrte an ihren Platz an der Wand zurück.

Wieder veränderte sich Cattilaras Miene. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Lasst uns gehen! Ihr Dummköpfe, ihr habt keine Vorstellung, was ihr auf Porifors herabbeschworen habt!« Sie bäumte sich auf, zerrte mit erschreckender Kraft und Wildheit an ihren Fesseln, brachte den Stuhl zum Wackeln. »Flieht, flieht! Wir alle müssen fliehen! Verschwindet, solange ihr noch könnt! Sie kommt. Sie kommt. Lasst uns gehen, lasst uns gehen …« Cattilaras Stimme hob sich und explodierte in einem wortlosen Schrei. Der Stuhl kippte. Goram fing ihn auf.

Cattilaras Befreiungsversuche hielten mit unverminderter Heftigkeit an, obwohl ihr Gesicht von der Anstrengung purpurrot wurde und ihr Atem mit beängstigendem Rasseln immer schneller ging. War der Dämon verzweifelt genug, um durch Cattilaras Tod eine Möglichkeit zur Flucht zu suchen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam? Ja, sagte sich Ista. Sie konnte sich vorstellen, dass der Dämon seinem Wirt das Genick brach, indem er ihn gegen eine Wand rennen ließ oder mit dem Kopf voran von einem Balkon stürzte. Cattilaras Körper mit Schmerzen zu drohen, war offenbar aussichtslos, selbst wenn Arhys … nun, er würde keine andere Möglichkeit haben, als still dabeizusitzen und es zuzulassen. Doch es war ganz offensichtlich ein vergebliches Bemühen.

»Also gut«, Ista seufzte. »Kommt zurück, Lady Cattilara.«

Die violette Flut schien innerhalb der Grenzen von Cattilaras zuckendem Körper hin und her zu schwappen. Die Färbung zog sich zusammen, flutete dann aber wieder hervor. War Cattilara nicht mehr imstande, die Herrschaft zurückzuerlangen? Das hatte Ista nicht erwartet. 0 nein. Und ich habe ihr versprochen, mich darum zu kümmern …

»Warte«, sagte Ista. »Der Gott hat mich gesandt, dieses Problem zu lösen. Gib Arhys frei, und ich werde dich freilassen.«

Würde er ihr glauben? Wichtiger noch — würde diese Drohung Catti so aufwühlen, dass sie wieder die Oberhand gewann?

Catti-der-Dämon erstarrte im Kampf und blickte Ista aus weit aufgerissenen Augen an. Die Seelensubstanz in den Kanälen strömte zu Illvin zurück. Plötzlich verschwand der entsetzte Ausdruck aus Arhys’ Gesicht, und an seine Stelle trat … gar nichts. Eine schlaffe, blasse Reglosigkeit. Er kippte zur Seite und lag da wie eine Stoffpuppe, oder wie ein Leichnam. Porifors strahlender Kämpfer wurde zu einem bloßen Kadaver, zu einer Masse Fleisch, so schwer, dass es zweier Männer bedurfte, sie fortzutragen.

Aber da war kein weißes Feuer, um seine Seele herauszureißen, wie Ista es bei den vorangegangenen Todesfällen gesehen hatte. Sein Geist trieb bloß davon, löste sich vom Leib, änderte sich ansonsten aber kaum. Namenloses Entsetzen durchfuhr Ista. Bei den fünf Göttern. Er ist schon verloren. Sein Gott kann ihn nicht mehr erreichen. Was habe ich getan?

»HOL IHN WIEDER HER!« Cattilara stürmte wütend hervor wie eine Dogge, die einen Stier an der Nase niederringt, und übernahm wieder die völlige Herrschaft über ihren Körper. Das violette Leuchten schnellte zu einer schützenden Kugel zusammen; die Kanäle erschienen wieder, und das Feuer floss hindurch. Tief atmete Arhys ein, blinzelte, bewegte den Unterkiefer, dehnte das Gesicht. Dann richtete er sich wieder in eine sitzende Haltung auf. Immer noch sah er halb betäubt aus.

Ista saß erschüttert da. Die List hatte bei Cattilara gewirkt, wie die Eingebung es ihr gesagt hatte. Doch sie hatte dabei etwas enthüllt, das sie selbst kaum verstand.

Keine Täuschungen mehr. Ich stehe das nicht länger durch.

Schwer atmend hing Cattilara in ihren Fesseln und starrte Ista hasserfüllt an. »Du abscheuliche alte Hexe. Du hast mich getäuscht.«

»Ich habe den Dämon getäuscht. Tut dir das Leid?« Sie gab Goram und Liss ein Zeichen, und sie lösten vorsichtig die Fesseln der Gräfin.

Illvin spähte besorgt über die Seite seines Bettes zu seinem Bruder; dann lehnte er sich wieder zurück und sah Ista beunruhigt an. »Wie macht Ihr das, Herrin? Seid auch Ihr eine Zauberin? Tauschen wir einen dämonischen Feind gegen einen stärkeren?«

»Nein«, sagte Ista. »Meine unerwünschten Gaben stammen aus einer anderen Quelle. Fragt Cattis … sein Haustier. Es weiß Bescheid.« Besser als ich, fürchte ich. Wenn die Besessenheit durch einen Dämon einen Menschen zu einem Zauberer machte, und wenn er zu einem Heiligen wurde, wenn ein Gott in ihm war, was für ein merkwürdiger Mischling entstand dann in den Händen eines Dämonengottes?

»Von den Göttern berührt seid Ihr?«, fragte er wieder, und seine Stimme klang gläubig noch ungläubig, sondern wachsam.

»Zu meinem anhaltenden Kummer.«

»Wie kamt Ihr dazu?«

»Irgendein leidender Bastard betete zu einem Gott, der zu beschäftigt war, sich selbst darum zu kümmern. Er hat die Aufgabe dann mir übertragen … gab er zumindest vor.«

Illvin sank in die Decken zurück. »Oh«, sagte er ganz leise, während er die Bedeutung dieser Worte in sich aufnahm. Dann fügte er hinzu: »Ich würde mich gern eingehender mit Euch darüber unterhalten. Wenn es etwas … äh, ruhiger geworden ist.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Arhys hob seine fast gefühllose Hand und streichelte zärtlich über die Knöchel seiner Frau. »Catti. Das kann so nicht weitergehen.«

»Aber was sollen wir tun, Liebster?« Sie neigte den Kopf und warf Ista einen herzzerreißenden Blick zu. »Ihr könnt ihn mir jetzt nicht nehmen. Es ist zu früh. Ich werde ihn jetzt nicht aufgeben.« Sie rieb über die roten Abdrücke auf ihren Armen, als die Fesseln herabfielen.

»Er hatte bereits mehr Zeit, als vielen anderen Menschen gegeben ist«, tadelte Ista sie. »Schon vor langer Zeit hat er die Gefahren eines Lebens als Krieger akzeptiert. Indem Ihr Euch in der Ehe an ihn gebunden habt, habt Ihr das ebenfalls getan.«

Aber was ist mit seiner Verdammnis? Der Tod des Körpers war traurig genug; der langsame Verfall der Geister jedoch, der Seelen, die sich den Göttern verweigert hatten, war eine Selbstzerstörung. Doch Arhys hatte diese Verbannung nicht selbst gewählt. Sie war ihm aufgebürdet worden. Kein Selbstmord der Seele, sondern ihr Mord …

Ista versuchte, Zeit zu gewinnen. »Aber es muss nicht heute sein, nicht überhastet. Uns bleibt noch ein wenig Zeit. Genug, damit er seine Angelegenheiten in Ordnung bringen kann, solange er seinen Verstand noch beisammen hat, wenn er nicht zu lange zögert. Genug, um sich zu verabschieden. Aber nicht viel mehr, fürchte ich.« Sie dachte an Illvins gefährlich ausgezehrten, zerbrechlichen Zustand. Dieses Durcheinander ist noch viel schlimmer, als ich erwartet habe. Und selbst mit dem zweiten Gesicht sehe ich keinen Ausweg.

»Was Ihr sagt, hört sich vernünftig an, Majestät«, erklärte Arhys. »Ich sollte den Notar des Tempels zu mir rufen … meinen letzten Willen überarbeiten …«

»Das ist ungerecht!«, brach es erneut aus Cattilara hervor. »Illvin hat dich erschlagen, und nun wird er all deine Besitztümer erhalten!«

Illvins Kopf fuhr herum. »Ich bin nicht mittellos. Ich lege keinen Wert auf die Güter der dy Lutez. Um diesem Makel zu entgehen, gebe ich gern jeden Anspruch auf. Hinterlasse sie meiner Nichte, oder der Kirche — oder meinetwegen auch ihr.« Mit einer Lippenbewegung deutete er auf die Frau seines Bruders. Er zögerte. »Ausgenommen Porifors.«

Arhys lächelte und starrte auf seine Stiefel. »Guter Junge. Porifors geben wir nicht auf. Bleib dabei, und du wirst mir weiterhin dienen, selbst wenn mein Grab alle Eide verschlungen hat.«

Cattilara brach in Tränen aus.

Ista stemmt sich vom Hocker hoch. Sie war erschöpft, fühlte sich, als hätte man sie mit Stöcken geschlagen. »Lord Illvin, Euer Bruder muss sich noch für eine Weile von Eurer Kraft borgen. Seid Ihr bereit?«

»Ja«, sagte er ohne große Begeisterung. »Tut, was Ihr tun müsst.« Er blickte zu ihr auf. »Ihr werdet doch zurückkommen, nicht wahr …?«

»Ja.« Mit einer Handbewegung löste sie die Verengung.

Illvin sank zurück. Arhys erhob sich, wieder ein Bild der Stärke. »Ah!«

Er umarmte die schluchzende Cattilara und führte sie hinaus. Dabei murmelte er tröstende Zärtlichkeiten in ihr Ohr.

Ja, dachte Ista bitter. Ihr habt sie aufgefangen. Ich möchte wetten, Ihr habt nicht einmal versucht, auszuweichen. Ihr werdet Euch um sie kümmern … Und das würde er, da war sie sicher. Wie konnte man von einem Mann, der Seife in der Satteltasche mit sich führte, weniger erwarten …? Ihre Schläfen pochten.

»Ich lege mich ein wenig hin, Liss. Ich habe Kopfschmerzen.«

»Oh.« Liss trat sofort an ihre Seite und bot ihr den Arm zur Stütze. Als Kammerfräulein mochte Liss ihre Schwächen haben, doch Ista musste zugeben, dass sie einen guten Höfling abgab. »Soll ich Eure Stirn in Lavendelwasser baden? Ich habe einmal erlebt, wie eine Dame das getan hat.«

»Danke. Das wäre wunderbar.«

Sie blickte auf Lord Illvin zurück, der reglos dalag, wieder ohne Leben und ohne Verstand. »Kümmere dich um ihn, Goram.«

Er verbeugte sich kurz und blickte sie in stummer Hilflosigkeit an. Dann fiel er plötzlich auf die Knie und küsste ihren Rocksaum. »Gesegnete«, murmelte er. »Erlöse ihn. Erlöse uns alle.«

Ista schluckte ihren Zorn herunter und brachte für ihn ein Lächeln hervor, nach dem ihr eigentlich gar nicht zumute war. Dann löste sie ihren Rock aus Gorams Griff und ließ sich von Liss hinausgeleiten.

Загрузка...