17

Foix stützte sich neben Ista aufs Geländer und beobachtete, wie Arhys davonging. Er wirkte beunruhigt. »Ein bemerkenswerter Mann«, stellte er fest. »Wenn es die Absicht dieser jokonischen Zauberin war, Porifors von der strategischen Karte zu tilgen und seine Macht als Festung zu brachen, konnte sie vielleicht doch einen gewissen Erfolg verbuchen, indem sie so einen Befehlshaber geschwächt hat. Oder mehr als geschwächt, die Göttin verhüte.«

Liss kam herbei, stützte sich auf der anderen Seite Istas aufs Geländer, lauschte und runzelte besorgt die Stirn.

»Was habt Ihr von dem Dämon gespürt, als Ihr Lady Cattilara im Vorhof begegnet seid?«, wollte Ista von Foix wissen.

Er zuckte die Schultern. »Nichts Deutliches. Bloß ein … Kribbeln, ein Unbehagen …«

»Ihr habt ihn nicht als Schatten in ihrer Seele gesehen?«

»Nein, Majestät.« Er zögerte. »Ihr etwa?«

»Ja.«

Er räusperte sich. »Äh … könnt Ihr auch meinen sehen?« Abwesend strich er sich mit den Hand über den Leib.

»Ja. Er ähnelt dem Schatten eines Bären, der sich in einer Höhle verbirgt. Spricht er zu Euch?«

»Nein … das heißt, nicht in Worten, aber ich kann es fühlen, wenn ich still dasitze und darauf achte. Er ist nun viel ruhiger und zufriedener als zu Anfang. Zahmer.« Er lächelte schief. »Ich habe ihm ein paar Kniffe beigebracht, wenn der Geistliche mich nicht dabei gestört hat.«

»Ja. Den auf der Straße habe ich gesehen. Sehr schlau von euch beiden, aber auch sehr gefährlich. Habt Ihr eine Ahnung, was er vorher war, oder woher er kam, bevor er zu Euch gekommen ist?«

»Ein Bär, der durch die Wildnis streifte. Zuvor war er ein Vogel, nehme ich an, denn weder der Bär noch ich können jemals die Berge von oben gesehen haben, doch ich erinnere mich nun irgendwie an so etwas … und daran, wie ich große Insekten herunterschlucke. Igitt. Und davor … weiß ich nichts. Ich nehme an, er erinnert sich nicht daran, wie er auf die Welt gekommen ist, so wenig, wie ich mich an die Zeit als schreiender Säugling erinnere. Er war da, aber ohne Verstand.«

Ista richtete sich auf und reckte ihren schmerzenden Rücken. »Wenn wir in Lord Illvins Gemach zurückkehren, dann schaut Euch Goram an, seinen Pfleger. Ich glaube, auch er hat einst einen Dämon beherbergt, so wie Ihr nun.«

»Der Knecht war ein Zauberer? Ha! Nun, warum nicht? Wenn ein Dämon in einem Bär wohnen kann, warum nicht in einem Einfaltspinsel?«

»Ich glaube, er war nicht immer ein Einfaltspinsel. Ich habe den Verdacht, er war früher Kavallerieoffizier in König Oricos Armee. Dann wurde er gefangen genommen, aber nicht ausgelöst, und so kam er in die Sklaverei. Schaut Euch Goram genau an, Foix. Vielleicht ist er ein Spiegelbild Eurer eigenen Zukunft.«

»Oh«, sagte Foix und sank ein wenig in sich zusammen. Liss’ Stirnrunzeln vertiefte sich.

Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und Goram winkte alle wieder herein. Er hatte die Bettwäsche gewechselt, und auch das blutige Leinengewand war verschwunden. Stattdessen war Illvin für die Gesellschaft gekleidet, mit einer Tunika, Hosen und zurückgebundenem Haar. Ista war insgeheim dankbar, dass er so ansehnlich zurechtgemacht worden war. Goram holte den Stuhl für sie und geleitete sie mit kleinen Verbeugungen an Illvins Bett.

In ehrfürchtigem Flüstern berichtete dy Cabon: »Ich habe gesehen, wie die Wunden sich geschlossen haben. Gerade eben erst. Unglaublich.«

Behutsam massierte Illvin seine rechte Schulter und lächelte zu Ista hinüber. »Offensichtlich habe ich einen ereignisreichen Vormittag versäumt, Majestät, wenn auch nicht ganz. Hochwürden dy Cabon hat mir von seinem Furcht erregenden Ritt erzählt. Ich bin froh, dass Eure verlorenen Begleiter zu Euch zurückgekehrt sind. Ich hoffe, Ihr fühlt Euch ein wenig erleichtert.«

»Sehr erleichtert.«

Dy Cabon ließ sich auf dem Hocker am Fuße des Bettes nieder, ein sehr bedenklicher Platz in Anbetracht seiner Körpermasse. Ista stellte Foix vor und gab eine kurze Zusammenfassung seiner Begegnung mit dem Bären, gewissermaßen als Einleitung zu ihrem Bericht über seine Vorstellung auf der Straße. Goram verweilte besorgt auf der anderen Seite des Bettes und fütterte Illvin mit dem Löffel, während dieser zuhörte.

Schließlich runzelte er die Stirn, wehrte ein Stück Brot ab und warf ein: »Dass ein solcher Stoßtrupp so nahe an Porifors herankommt, deutet entweder auf irgendeinen jungen jokonischen Hitzkopf hin, der sich hervortun will, oder auf etwas Größeres im Hintergrund. Was sagen unsere Kundschafter?«

»Sie wurden ausgeschickt, sind aber noch nicht wieder zurück«, erklärte Ista. »Lord Arhys bereitet sich vor, hat er uns gesagt, und hat das Umland alarmiert.«

»Gut.« Illvin ließ sich zurück in die Kissen sinken. »Die fünf Götter mögen mir beistehen, die Tage huschen wie Stunden an mir vorüber. Ich sollte dort draußen sein!«

Ista fügte hinzu: »Ich habe Eurem Bruder gesagt, er soll eine Rüstung tragen.«

»Ah«, meinte Illvin. »Ja.« Er kniff die Lippen zusammen und betastete mit der Linken wieder die im wahrsten Sinne des Wortes flüchtige Wunde an seiner Schulter. Er schaute auf seine Füße und versank in Gedanken. Ista fragte sich, ob sein Verstand ebenso Schwindel erregend rotierte wie der ihre.

Sie atmete tief ein. »Goram.«

Er unterbrach sein Löffeln. »Majestät?«

»Warst du jemals in Rauma?«

Er blickte verwirrt. »Kenn ich nicht.«

»Das ist eine Stadt in Ibra.«

Er schüttelte den Kopf. »Wir waren im Krieg mit Ibra, früher. Nicht wahr? Ich weiß, dass ich in Hamavik war«, murmelte er nachdenklich. »Lord Illvin hat mich dort gefunden.«

»Deine Seele ist von dämonischen Narben gezeichnet, von furchtbaren Narben. Andererseits … wärst du ein Zauberer gewesen während deiner Gefangenschaft, hätte dir die Hilfe eines Dämons zu Gebote gestanden. Man sollte meinen, dass du dann hättest entkommen können … oder dein Los anderweitig verbessern.«

Goram wirkte verängstigt, als sollte er für irgendein Versäumnis gezüchtigt werden.

Ista öffnete beruhigend die Hand und fuhr fort: »Es sind … zu viele Dämonen unterwegs. Als gäbe es irgendeinen großen Ausbruch, so berichtete mir der Geistliche. Ist es nicht so, dy Cabon?«

Er rieb sich sein Mehrfachkinn. »Auf jeden Fall sieht es allmählich so aus.«

»Hat der Tempel die Sichtungen nachgehalten? Kommen sie von einem bestimmten Ort, oder tauchen sie überall gleichzeitig auf?«

Sein teigiges Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Ich habe nicht von überall Nachrichten, aber nach allem, was ich gehört habe, scheinen sie im Norden häufiger aufzutauchen. Ja.«

»Hm.« Ista reckte die angespannten Schultern. »Lord Illvin, dy Cabon hat mir ebenfalls berichtet, dass die Geistliche des Bastards in Rauma eine Heilige seiner Kirche war. Ihre Gabe bestand darin, Dämonen ihrem Wirt zu entreißen und sie irgendwie — wunderbarerweise — zu ihrem Gott zurückzuschicken. Die Angreifer aus Jokona haben sie ermordet.«

Illvin rief aus: »Was für ein schrecklicher Verlust! Gerade jetzt!«

»In der Tat. Andernfalls hätten wir Foix unverzüglich zu ihr gebracht und wären nicht hierher gekommen. Inzwischen frage ich mich aber, ob es nicht vielleicht mehr als ein unglücklicher Zufall ist. Als ich Gefangene war und mit dem Tross der Jokoner ritt, habe ich etwas Merkwürdiges gesehen: Ein hochrangiger Offizier, vielleicht sogar der Befehlshaber selbst, ritt mit uns, festgezurrt wie ein Gefangener oder wie ein Verwundeter, der sich nicht aus eigener Kraft im Sattel halten kann. Sein Gesicht wirkte schlaff, und er sabberte und murmelte Unverständliches vor sich hin. Manchmal schrie er auf, wie vor Furcht, oder er weinte. Damals glaubte ich, er habe einen Schlag auf den Kopf bekommen. Aber er trug keine Verbände, und nirgends war Blut zu sehen. Heute frage ich mich, was für Höhlungen in seiner Seele ich gesehen hätte, hätte ich damals schon das zweite Gesicht besessen.«

Illvin blinzelte beunruhigt, als ihm die Schlussfolgerung bewusst wurde, die Ista noch nicht laut ausgesprochen hatte: »Meint Ihr, er war ein weiterer Zauberer in Diensten Jokonas? Der den Zug angeführt hat?«

»Vielleicht. Was, wenn die Heilige von Rauma nicht ohne Kampf dahinging, oder zumindest nicht ganz vergebens? Vielleicht war sie es, die seine dämonischen Kräfte herausriss, noch während sie gewöhnlicher körperlicher Gewalt zum Opfer fiel? Verbrennen wir nicht am Anfang eines Feldzuges die Ernte der Feinde, schütten ihre Brunnen zu, schneiden sie von ihren Nachschubquellen ab? Ich glaube, eine Heilige, die nach Belieben Dämonen bannen kann, wäre eine machtvolle Waffe gegen einen Feind, dem womöglich mehrere derartige Zauberer zur Verfügung stehen. Vielleicht sogar mehr als diese beiden. Warum Rauma, habt Ihr mich gestern gefragt. Was, wenn die Ermordung der Heiligen der Grund für das Unternehmen war, und nicht nur eine beiläufige Schandtat während des Überfalls, wie wir zunächst annahmen?«

»Aber Dämonen arbeiten nicht bereitwillig zusammen«, widersprach dy Cabon. »Ein einzelner Zauberer, der bei Hofe in Jokona in hohem Ansehen steht, könnte einigen Schaden anrichten, wenn er bösartig ist. Oder meinetwegen von loyaler Gesinnung«, räumte er ein. »Loyal gegenüber Jokona. Doch eine ganze Legion von Dämonen heraufzubeschwören und zu befehligen, ist die besondere Befähigung des Bastards. Für einen Menschen wäre es eine unvorstellbare Hybris, und für einen Menschen des vierfältigen Glaubens erst recht. Eine solch gefährliche Anhäufung von Dämonen würde zudem überall um sich her Chaos verbreiten.«

»Ein Krieg zieht an diesen Grenzen herauf«, erklärte Ista. »Ich könnte mir kaum eine größere Anhäufung von Chaos vorstellen.« Sie rieb sich die Stirn. »Lord Illvin, Ihr habt Euch mit dem Hof von Jokona beschäftigt, nehme ich an. Erzählt mir etwas darüber. Was wisst Ihr über Fürst Sordsos bedeutsamste Ratgeber und Befehlshaber?«

Er schaute sie aufmerksam an. »Das sind in erster Linie immer noch die alten Männer, die er von seinem Vater gleichsam geerbt hat. Sein erster Kanzler war sein Onkel väterlicherseits, obwohl der kürzlich verstorben ist. Der gegenwärtige oberste Feldherr von Jokona steht schon seit Jahren in Dienst. Sordsos Freunde und Saufkumpane sind ein sehr viel jüngerer Haufe, doch er hatte bisher noch nicht die Gelegenheit, einen dieser Burschen in ein einflussreiches Amt zu befördern. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob einer von ihnen sich als geeignet für den Krieg oder die Regierungsgeschäfte erweisen wird. Allerdings handelt es sich wohl in erster Linie um die Söhne reicher Männer, die zu wenig Gelegenheit oder Tatkraft hatten, selbst etwas aus sich zu machen. Arhys und ich haben uns schon gefragt, wer von ihnen wohl aufsteigt, wenn die alten Männer wegsterben.

Und dann gibt es da noch seine Mutter, die Fürstinnenwitwe Joen. Sie war Regentin an Sordsos Stelle — gemeinsam mit seinem Onkel und dem Feldherrn —, bis er volljährig wurde. Ich hätte ihre Regentschaft gern auf die Probe gestellt, als sie vor einigen Jahren die Zügel in die Hand nahm, doch Arhys wurde von Achtung vor ihrem Geschlecht und dem traurigen Los ihrer Witwenschaft zurückgehalten. Außerdem befanden wir uns mitten in dem Zustand, der sich letztendlich als Oricos letztes und tödliches Leiden erwies. Wir mussten befürchten, dass Cardegoss nicht in der Lage sein würde, uns vor den Folgen eines Fehlers zu retten. Oder schlimmer noch, dass es im Fall eines Sieges den Gewinn nicht sichern konnte.«

»Erzählt mir mehr von Joen«, sagte Ista. »Habt Ihr sie jemals gesehen? Hätte Umerue ihren ursprünglichen Plan umgesetzt, wäre sie Eure Schwiegermutter geworden.«

»Ein beängstigender Gedanke. Es sagt einiges über Umerues Kräfte aus, dass ich mir das nie überlegt habe. Von Angesicht zu Angesicht bin ich nie mit Joen zusammengetroffen. Sie ist zehn oder fünfzehn Jahre älter als ich. Als ich alt genug war, mich für die Politik der Fürstentümer zu interessieren, war sie bereits mehr oder minder in den Frauengemächern verschwunden. Ich würde sagen, keine andere Fürstin der jüngeren jokonischen Geschichte war so oft schwanger — sie hat ihrem Ehemann gegenüber ihre Pflicht mehr als erfüllt, obgleich sie nicht viel Glück mit ihren Kindern hatte, trotz aller Mühen. Ein Dutzend Kinder, davon aber nur drei Söhne, von denen zwei noch dazu jung starben. Außerdem hatte sie mehrere Fehl- und Totgeburten, wenn ich mich recht entsinne. Sieben Töchter erlebten das heiratsfähige Alter — Sordso hat Ehebündnisse in allen fünf Fürstentümern. Ach ja, außerdem nimmt sie ihre Abkunft vom Goldenen Feldherrn überaus ernst. Ein Ausgleich für die Enttäuschungen, die sie mit ihrem Gemahl und ihrem Sohn erlebte, nehme ich an. Vielleicht auch die Ursache dieser Enttäuschungen. Ich weiß es nicht …«

Der Goldene Heerführer, der Löwe von Roknar. Damals, zur Regierungszeit König Fonsas, hatte der brillante Stratege des vierfältigen Glaubens für kurze Zeit alle fünf Fürstentümer vereint — zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Wie eine Flutwelle fegte er über die schwachen quintarischen Königreiche hinweg. Doch er starb, als er gerade dreißig Jahre alt war, durch das Wirken König Fonsas, der während einer Nacht maßloser Selbstaufopferung einen Todeszauber gegen ihn wirkte. Das Ritual tötete beide Anführer und bewahrte Chalion vor der Bedrohung durch die Roknari, doch es brachte auch den Fluch hervor, der Fonsas Erben noch bis zu Istas Tagen heimsuchen sollte — und darüber hinaus. In den fünf Fürstentümern ließ der Goldene Heerführer im Wettstreit um sein Erbe nur neue politische Unruhen zurück — und einige Kinder, darunter Joen als jüngste und unbedeutendste.

Es war kein Wunder, dass sie eine Art verlorenen Helden in ihm sah, als sie heranwuchs. Joen konnte nicht in die gewaltigen Fußstapfen ihres Vaters treten, denn ihr Geschlecht schloss sie von Kriegführung und Politik aus. Hatte sie versucht, ihn in einem Sohn gleichsam wiederzuerschaffen? All diese Schwangerschaften … Ista hatte zwei davon erlebt, und sie unterschätzte nicht den ungeheuren Zoll, den sie dem Körper und der Kraft einer Frau abverlangten.

Ista runzelte die Stirn. »Ich dachte daran, was Cattis Dämon gesagt hat. Sie kommt, hat er gerufen, als wäre es ein grässliches Ereignis. Ich hatte es auf mich bezogen, denn ich glaube, dass mein von den Göttern berührter Zustand für Dämonen eine Heimsuchung ist. Aber ich komme nicht, ich bin schon hier. Also macht es keinen Sinn … wie das Meiste von dem, was der Dämon sagte.«

Illvin meinte nachdenklich: »Wenn am Hof von Jokona tatsächlich jemand in Zauberei verstrickt ist, um gegen Chalion vorzugehen, läuft es bisher nicht allzu gut für ihn. Wenn Ihr Recht habt, hat er seine beiden dämonenbesetzten Abgesandten verloren — die bedauernswerte Umerue und der Befehlshaber des Heerzuges —, als ihr Können das erste Mal auf die Probe gestellt wurde.«

»Das mag sein«, sagte Ista. »Jedoch nicht, ohne die jokonische Sache voranzubringen. Die Heilige in Rauma ist tot, und Porifors … ist ziemlich abgelenkt.«

Auf diese Worte hin blickte er sie eindringlich an. »Arhys führt uns immer noch. Ist es nicht so?«

»Ja, im Augenblick noch. Aber es ist deutlich zu sehen, dass seine Reserven schwinden.«

Das erinnerte Illvin daran, noch einen Bissen Brot zu sich zu nehmen, wobei er nachdenklich das Gesicht verzog. »Wie mir scheint« meinte er, »haben wir jemanden, der die intimsten Pläne unseres Feindes kennt. Wenn es am Hofe Sordsos tatsächlich jemanden gibt, der hinter allem steckt. Ich meine den Dämon. Wir sollten ihn ein weiteres Mal befragen, und diesmal entschlossener.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu:

»Es wäre vielleicht besser, wenn Arhys nicht dabei wäre.«

»Ich sehe, worauf Ihr hinauswollt. Hier, vielleicht, morgen?«

»Wenn es sich einrichten lässt. Ich bin mir nicht sicher, ob Catti einverstanden ist, wenn Arhys sie nicht überredet.«

»Man muss sie dazu bringen.«

»Das überlasse ich Euch.«

Und zwar mit größter Erleichterung, falls Ista seine Miene richtig deutete. »Aber waren die beiden verlorenen Zauberer alle, die Jokona aufzubieten hatte, oder waren es nur zwei von vielen?«, gab sie zu bedenken. »Wenn all die Elementargeister, die in letzter Zeit in Chalion gefunden wurden, aus derselben Quelle stammen, verloren gingen oder entkommen konnten, wie viele wurden dann eingefangen, wie beabsichtigt? Und wie? Vielleicht wurden die beiden Zauberer geopfert — so, wie der Befehlshaber eines großen Heeres mehrere Krieger in eine Lücke schicken würde und die Verluste in Kauf nimmt, weil er davon ausgeht, dass der Gewinn es aufwiegt. Hätte er nur wenige Krieger, würde er so etwas nicht tun. Es sei denn, er wäre sehr verzweifelt …« Sie klopfte mit den Fingern auf die Armlehne. »Nein, Joen kann es nicht sein. Sie würde keinen Dämon in ihre eigene Tochter setzen.« Sie schaute zu Goram hinüber. »Es sei denn, sie wäre bezüglich der Natur und der Auswirkungen dieser Kreaturen schrecklich unwissend — und in diesem Fall wüsste ich nicht, wie sie auch nur einen Zauberer beherrschen sollte, geschweige denn viele.«

Illvin warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Ihr liebt Eure Tochter sehr, nehme ich an.«

»Wer würde das nicht?« Istas Lächeln wurde weicher. »Sie ist der strahlende Stern Chalions. Mehr, als ich hätte hoffen können oder verdient habe, denn während meiner dunklen Zeiten konnte ich sehr wenig für sie tun.«

»Hm.« Er schenkte ihr ein merkwürdiges Lächeln. »Und doch sagt Ihr, dass Ihr nie jemanden so sehr geliebt habt, dass Ihr Euch Gedanken über ein Wiedersehen im Himmel gemacht hättet.«

Sie machte eine knappe, entschuldigende Handbewegung. »Ich glaube, die Götter geben uns Kinder, um uns zu lehren, was wahre Liebe tatsächlich bedeutet, damit wir schließlich ihrer Gesellschaft würdig sind. Eine Lehre für jene, deren Herzen zu teilnahmslos oder träge sind.«

»Träge? Oder bloß …«

Die Leine aus weißem Feuer wurde dicker; kraftlos fiel seine Hand auf die Decke nieder. Goram blickte betreten auf die vielen Speisen, die auf dem Servierbrett zurückgeblieben waren. Ista sah, wie Illvin nach hinten sank und seine Augen zufielen, und sie biss ohnmächtig die Zähne zusammen. Sie wollte diesen Verstand auf ihrer Seite haben, wenn sie den Rätseln hier entgegentrat; doch Arhys’ Körper schien dieser Tage gleichermaßen gebraucht zu werden. Sie wünschte sich, es wäre Winter, und sie könnte eine weitere Stunde für Illvin abzweigen. Aber es war entsetzlich heiß, sodass sie es nicht wagen konnte, den Grafen der Verwesung auszusetzen.

»Kommt zurück, schimmernde Ista«, hauchte er mit einem leisen Seufzer. »Bringt Catti …«

Fort. Es war, als müsse man ihm beim Sterben zusehen, jeden Tag. Sie wollte sich nicht daran gewöhnen.


Ista wandte sich der Treppe zum steinernen Innenhof zu. »Dy Cabon, begleitet mich bitte. Wir müssen reden.«

»Und ich, Majestät?«, fragte Liss erwartungsvoll.

»Du kannst es dir in Rufweite bequem machen.«

Liss verstand den Hinweis und schlenderte zur Bank auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes. Nach einem Augenblick der Unsicherheit folgte ihr Foix, der anscheinend nicht verärgert war. Kaum hatten sie sich gesetzt, steckten sie auch schon die Köpfe zusammen.

Ista führte dy Cabon zurück zu der Bank im Schatten des Säulenganges. Sie bedeutete ihm, sich zu setzen, und er ließ sich mit einem Schnaufen nieder. Die Tage auf dem Pferd und in ständiger Aufregung hatten ihn sichtlich Kraft gekostet: Seine fleckigen weißen Roben hingen lose herab, und sein Gürtel war einige Löcher enger geschnallt. Ista erinnerte sich an den riesigen Körperumfang und die überbordende Fülle des Gottes, als dieser für den Traum dy Cabons Aussehen angenommen hatte. Es fiel ihr schwer, im derzeitigen Zusammenschrumpfen eine Verbesserung zu sehen.

Sie setzte sich neben ihn. »Ihr habt gesagt, Ihr wart bei der Bannung eines kleineren Dämons zugegen«, sagte sie. »Wie wurde der Bewohner des Frettchens aus der Welt geschafft? Was habt Ihr beobachtet?«

Er zuckte mit den breiten Schultern. »Da war nicht viel zu sehen, mit meinen unzureichenden Augen. Der Erzprälat von Taryoon führte mich zu der Geistlichen, die sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet hatte, eine ältere Frau, die hinfällig in einem Bett des Siechenhauses lag. Sie schien bereits zu drei Vierteln von der Welt losgelöst. Die Welt der Materie bereitet uns viele Freuden, dass es mir undankbar erscheint, ihrer müde zu sein. Die Frau aber sagte mir, sie habe schon zu viel Leid ertragen müssen und würde diesen Tisch nun mit Freuden verlassen und sich zu einem besseren Bankett gesellen. Sie sehnte sich nach ihrem Gott, wie sich ein müder Reisender nach dem eigenen Bett sehnt.«

Ista warf ein: »Ein Mann, der unter außergewöhnlichen Umständen einer mystischen Vision teilhaftig wurde, erzählte mir einmal, er habe die Seelen der Sterbenden wie Blumen im Garten der Göttin emporsteigen sehen. Er war allerdings von der Frühlingsherrin erwählt worden. Ich nehme an, jeder Gott hat seinen eigenen bildlichen Ausdruck — prachtvolle Tiere für den Herbstsohn, starke Männer und schöne Frauen für den Vater und die Mutter. Und für den Bastard?«

»Er nimmt uns so, wie wir sind. Hoffe ich.«

»Hm.«

»Aber nein«, fuhr dy Cabon fort. »Es gab keine besonderen Kniffe oder auch nur Gebete. Die Geistliche sagte, so etwas brauchte sie nicht. Da sie diejenige war, die starb, stritt ich nicht mit ihr darüber. Ich fragte sie, wie es denn sei, zu sterben. Sie schenkte mir einen seltsamen Blick aus dem Augenwinkel und sagte ein wenig beißend, wenn sie es herausgefunden hätte, würde sie es mich wissen lassen. Der Erzprälat bedeutete mir, dem Frettchen die Kehle durchzuschneiden, und das tat ich, über einer Schale. Die alte Frau seufzte, und dann schnaubte sie, als hätte sie noch so eine dumme Bemerkung gehört wie die meine, von der wir aber nichts mitbekommen hatten. Und dann … erlosch sie einfach. Sie brauchte nur einen Augenblick, um vom Leben zum Tod überzugehen. Und das war es dann. Vom Saubermachen nachher abgesehen.«

»Das war nicht besonders hilfreich«, seufzte Ista.

»Nun, aber genau das habe ich gesehen. Ich nehme an, sie sah mehr. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was das war.«

»In meinem Traum … dem Traum, in den Ihr später hereingekommen seid … hat der Gott mich zweimal geküsst. Das erste Mal auf die Stirn.« Sie berührte die Stelle. »So, wie seine Mutter einst. Weil ich sie schon einmal erhalten hatte, erkannte ich darin die Gabe des zweiten Gesichts, die Fähigkeit, die spirituelle Welt so unmittelbar wahrzunehmen wie die Götter selbst. Dann aber küsste er mich ein zweites Mal, auf … nein, in den Mund. Tiefer, beunruhigender. Sagt mir, dy Cabon, was bedeutet dieser zweite Kuss? Ihr müsst es wissen. Ihr wart auch da.«

Er schluckte und errötete. »Ich habe keine Ahnung, Majestät. Der Mund ist das theologische Sinnbild des Bastards und seine Entsprechung an unserem Leib, so wie es die Daumen an unseren Händen sind. Hat er Euch sonst keine weiteren Hinweise gegeben, außer meiner Anwesenheit?«

Sie schüttelte den Kopf. »Am nächsten Morgen kam Goram vorbei, mit der fixen Idee, dass eine Königin — auch eine Königinwitwe — zurücknehmen kann, was eine Prinzessin getan hat. Er lud mich ein, seinen Herrn zu küssen. Und einen freudigen Augenblick lang dachte ich, ich hätte das Rätsel gelöst — dass es ein Kuss des Lebens sein sollte, wie im Märchen. Aber es ging nicht. Auch nicht bei Lord Arhys, als ich es später bei ihm probierte. Dann habe ich diese Versuche nicht weiter fortgeführt, was meinem Ruf in der Burg wohl zuträglich war. Offensichtlich bedeutete dieser Kuss irgendetwas anderes. Eine andere Gabe, oder Bürde.«

Ista holte Luft. »Ich sehe mich einer Verwicklung mit drei Bestandteilen gegenüber. Zwei davon können vielleicht gemeinsam gelöst werden. Wenn ich einen Weg finde, Cattilaras Dämon zu bannen, wäre Illvin befreit und die Gräfin gerettet. Doch welche Hoffnung habe ich für Arhys? Ich habe seine Seele gesehen. Sie ist verloren, oder ich kann meinem inneren Auge nicht mehr trauen. Es wäre schlimm genug, seinen Tod zu vollenden und ihn an seinen Gott zu verlieren. Doch noch schlimmer wäre es, seine Verdammnis zu besiegeln und ihn ins Nichts gehen zu lassen.«

»Ich weiß, dass manche Seelen, besonders nach einem erschütternden Tod, einige Tage verweilen, bis man ihnen mit Gebeten und Zeremonien während der Bestattung den Weg weist. Sie schlüpfen durch die Pforten ihres Todes, ehe diese sich ganz geschlossen haben.«

»Können also die Riten der Kirche ihm den Weg zu seinem Gott weisen?« Es war eine seltsame Vorstellung. Würde Arhys zu seiner eigenen Bestattung gehen und sich auf seiner Bahre niederlegen?

Dy Cabon verzog das Gesicht. »Drei Monate scheint mir sehr spät. Die freie Wahl ist die Bürde all derer, die in einer zeitlichen Existenz gefangen sind, und diese Wahl ist die letzte, die die Zeit für uns bereithält. Wenn diese Entscheidung für Arhys immer noch offen steht, könnte Euer zweites Gesicht das feststellen?«

»Ja«, räumte Ista zögernd ein. »Aber es gefällt mir nicht, was ich dabei sehe. Ich habe auf diesen Kuss gehofft, bin damit aber gescheitert.«

Ratlos kratzte er sich an der Nase. »Ihr sagtet, der Gott habe zu Euch gesprochen. Was hat Er Euch denn mitgeteilt?«

»Das ich hierher geschickt wurde, als Antwort auf Gebete, vermutlich auf die von Illvin. Der Bastard forderte mich heraus, mich nicht abzuwenden, indem er auf den götterverlassenen Tod meines Sohnes verwies.« Grimmig legte sie die Stirn in Falten, und dy Cabon zuckte ein wenig zurück. »Ich fragte Ihn, was die Götter mir überhaupt noch geben könnten, nachdem sie mir Teidez genommen haben. Arbeit, erwiderte Er. Seine Schmeicheleien waren gespickt mit beleidigenden Zudringlichkeiten, die einem menschlichen Verehrer einen raschen Ausflug ins nächste Schlammloch eingebracht hätten, durch die Hände meiner Diener. Sein Kuss auf meiner Stirn glühte wie ein Brandzeichen. Sein Kuss auf meinen Mund …«, sie zögerte, »erregte mich wie eine Geliebte, die ich ganz bestimmt nicht bin.«

Dy Cabon rückte weiter von ihr ab. Sein Lächeln war besorgt. Er wedelte mit den Händen wie mit Flossen und vollführte Bewegungen, die zustimmend und abweisend zugleich waren. »Allerdings nicht, Majestät. Niemand könnte Euch dafür halten.«

Sie funkelte ihn an und fuhr fort: »Er verschwand und ließ Euch zurück, um sein Bündel zu tragen. Sozusagen. Wenn das eine Prophezeiung war, bedeutet sie nichts Gutes für Euch.«

Er schlug die heiligen Zeichen. »Stimmt. Wenn der erste Kuss eine spirituelle Gabe war, sollte der zweite dies auch sein da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Ja, aber er sagte mir nicht, was für eine. Bastard. Einer seiner kleinen Scherze, wie mir scheint.«

Dy Cabon blickte auf, als wollte er feststellen, ob es ein Gebet war oder ein Fluch. Er riet richtig, holte tief Luft und ordnete seine Gedanken. »Also gut. Aber etwas hat er gesagt. Er sagte Arbeit. Wenn es sich wie ein Scherz anhörte, war es vermutlich ziemlich ernst gemeint.« Vorsichtiger setzte er hinzu: »Wie mir scheint, wurdet Ihr wieder zur Heiligen gemacht, ob Ihr wollt oder nicht.«

»Oh, ich kann mich immer noch weigern.« Sie blickte finster drein. »Das sind wir alle, wisst Ihr. Mischlinge aus Geist und Materie. Die Vermittler der Götter in der Welt des Stofflichen, zu der sie keinen anderen Zugang haben. Türen. Er klopft an die meine und begehrt Einlass. Er tastet mit seiner Zunge vor, wie ein Liebhaber, der oben nachahmt, was er unten begehrt. Er will, dass ich mich öffne, mich ihm hingebe. Und lasst mich Euch eines sagen: Ich verabscheue die Wahl seiner Metaphern!«

»Ihr seid eine wahre Festung unter den Frauen, das kann niemand abstreiten!«, sagte dy Cabon.

Sie unterdrückte ein Knurren, beschämt, dass sie den Zorn auf seinen Gott über sein demütiges Haupt ergoss. »Wenn Ihr nicht die andere Hälfte des Rätsels kennt, warum wart Ihr dann in diesem Traum?«

»Majestät, das weiß ich nicht!« Er zögerte. »Vielleicht sollten wir alle darüber schlafen.« Er krümmte sich unter ihrem sengenden Blick und versuchte es erneut: »Ich werde darüber nachdenken.«

»Tut das.«

Am anderen Ende des Innenhofes saßen Foix und Liss nun näher beisammen. Foix hielt Liss’ Hand, und sprach zu ihr. Sie hörte ihm zu — mit einem viel zu leichtgläubigem Gesichtsausdruck, wie es Ista schien. Abrupt stand sie auf und rief Liss zu sich. Sie musste zweimal rufen, ehe sie die Aufmerksamkeit des Mädchens auf sich ziehen konnte. Liss rappelte sich eilig auf, doch ihr Lächeln schwebte wie ein Parfüm vor ihr her.


In dem verzweifelten Bemühen, die Rolle als Burgherrin vor den neuen Gästen aufrechtzuerhalten, bereitete Lady Cattilara an diesem Tag ein Abendessen in dem Saal vor, wo sie und ihre Damen am zweiten Abend Ista unterhalten hatten. Arhys war wieder unterwegs. Nur sehr wenige seiner Offiziere waren zugegen, und diese waren offenbar mehr an einem raschen Mahl interessiert als daran, den aufmerksamen Höfling zu spielen. Cattilara hatte Foix an der erhöhten Speisetafel so weit von sich weg gesetzt, wie sie es nur wagen konnte angesichts seines Anspruchs auf einen Platz in Istas Nähe als derzeitiger Hauptmann ihrer Wache. Während das Mahl in angespannter Stimmung verlief, kam es Ista so vor, als wären die beiden sich trotz der Entfernung ihrer gegenseitigen Anwesenheit nur allzu bewusst, aber offensichtlich nicht zueinander hingezogen.

Dy Cabon war aufgeregt, führte aber mit bewundernswertem Feingefühl durch die Gebete und formulierte seine Bitten um göttlichen Segen auf unverfänglich allgemeine Weise. Während das Essen aufgetischt wurde, plätscherten die Gespräche dahin, an denen der Geistliche zwar nicht teilnahm, denen er aber aufmerksam lauschte, wie Ista zufrieden bemerkte.

Einer von Arhys’ führenden Offizieren saß zu ihrer Rechten; Liss und Foix befanden sich weiter am Ende der Tafel. Der Offizier war höflich und ließ sich von Istas Rang nicht einschüchtern. Nach einigen unverfänglichen Bemerkungen sagte er unvermittelt: »Mein Herr hat uns wissen lassen, dass er sehr krank ist. Habt Ihr davon gewusst?«

»Ja. Das ist mir bekannt. Wir hatten darüber geredet.«

»Er ist sehr blass, und er isst und schläft nicht viel. Aber ich hätte nicht erwartet … Wenn er tatsächlich so krank ist, sollte man ihn dann nicht dazu bringen, sich mehr zu schonen?« Er schaute zu Cattilara hinüber, als suche er nach einem Verbündeten gegen seinen ungestümen Befehlshaber, zu Arhys’ eigenem Besten.

»Schonung bringt bei seinem Leiden keine Heilung«, stellte Ista fest.

»Ich habe Angst, seine Krankheit könnte sich verschlimmern, wenn er bei diesem Wetter ausreitet.«

»Ich wüsste nicht, wie das möglich sein sollte.«

Cattilara, die auf Istas linker Seite saß, funkelte sie böse an.

»Mir war nicht bekannt, dass Ihr in der Heilkunde bewandert seid, Majestät.« Einladend ließ er seine Stimme ausklingen.

»Bin ich auch nicht. Leider.«

»Eher im Gegenteil«, murmelte Cattilara zornig.

Der Offizier blinzelte unsicher, war aber schließlich aufmerksam genug, von dem Thema umzuschwenken, das der Gräfin so offenkundig unangenehm war. »Die Räuber aus den Fürstentümern kommen selten so dicht an Porifors heran, das versichere ich Euch, Majestät. Aber wir haben sie heute Morgen ordentlich durchgewalkt. Ich glaube, es wird eine Weile dauern, bis sie wieder den Mut für weitere Versuche finden.«

»Das waren nicht bloß einfache Räuber, hatte ich den Eindruck«, wandte Ista ein. »Es waren Soldaten, den Wappenröcken nach zu urteilen. Obwohl ich annehme, dass echte Räuber nicht vor einer Verkleidung zurückschrecken. Hat Sordso der Säufer sich zu einer kriegerischeren Haltung aufgerafft? Oder glaubt Ihr, dass jemand anders in seinem Hof unsere Verteidigung auf die Probe stellen will?«

»Ich hätte es Sordso niemals zugetraut, aber seit dem unglücklichen Tod seiner Schwester Umerue soll er eine große Veränderung durchgemacht haben. Wenn das anhält, müssen wir einen anderen Beinamen für ihn suchen.«

»Tatsächlich?«

Solcherart ermutigt wandte er sich dem unverfänglichen Hofklatsch zu: »Man sagt, er hätte sich für seine Truppen interessiert, was zuvor noch nie der Fall war. Und er hätte mit dem Trinken aufgehört und seine Saufkumpane fortgeschickt. Außerdem hat er, ziemlich plötzlich, eine Erbin aus Borasnen geheiratet. Und zwei Konkubinen genommen, die bei den Roknari als Ehefrauen gelten, um das Stigma des Bastards zu vermeiden — was ihn früher nie groß gestört hat, denn soviel man weiß, haben seine Ratgeber ihn schon seit längerer Zeit zur Hochzeit gedrängt. Das hört sich nach einer geläuterten Seele an. Und nicht zu vergessen seine gesteigerte Tatkraft, obwohl sich da vielleicht die neuen Frauen als Heilmittel erweisen werden. Wir hoffen jedenfalls, dass diese übergroße Tugendhaftigkeit nicht anhält. Seine Dichtkunst war nicht schlecht. Es wäre schade, sie zu verlieren.« Er grinste.

Ista runzelte die Stirn. »Das hört sich gar nicht nach dem Mann an, den Lord Illvin mir beschrieben hat, aber ich nehme an, er hatte in den letzten Monaten wenig Gelegenheit, über die Vorgänge in Jokona — oder sonstwo — auf dem Laufenden zu bleiben.«

Sein Kopf fuhr herum. »Illvin spricht wieder? Hat er mit Euch geredet, Majestät? Das ist eine hoffnungsvolle Neuigkeit!«

Ista warf einen Blick auf Cattilara, die mit zusammengebissenen Zähnen zuhörte. »Er hat kurze Phasen geistiger Klarheit. Ich habe fast täglich mit ihm gesprochen, seit ich hierher kam. Es besteht kein Zweifel daran, dass sein Verstand unbeschädigt ist, aber er ist noch immer sehr schwach. Ich fürchte, er ist keineswegs außer Gefahr.« Sie erwiderte Cattilaras finsteren Blick.

»Und doch … als er nicht mehr erwachte, befürchteten wir schon, er würde nie wieder bei klarem Verstand sein. Das wäre ein ebenso großer Verlust für Porifors wie Arhys’ Schwertarm.« Er bemerkte den grimmigen Gesichtsausdruck der Gräfin und überspielte seine Verwirrung, indem er einen Bissen zu sich nahm.

Zu Istas Erleichterung wurde das Abendessen nicht über Gebühr in die Länge gezogen. Nur eine flüchtige musikalische Darbietung schloss sich an, dann begab dy Cabon sich auf sein Gemach. Er hatte den Schlaf dringend nötig. Foix begleitete Arhys’ Offizier, um herauszufinden, was seine kleine Truppe zu Porifors Sicherheit beitragen konnte, im Austausch für die Gastfreundschaft. Wenn Ista ihn richtig einschätzte, würde er dem Offizier dabei auch alles Wichtige über die Verteidigung der Festung und deren Bewohner entlocken. Foix’ nächstes Schreiben nach Cardegoss wurde vermutlich sehr aufschlussreich. Ista fragte sich, ob er Kanzler dy Cazaril bereits alles über sein neues Haustier gestanden hatte, oder ob es hier eine Lücke im Informationsfluss gab, entstanden durch die schiere Masse an Nachrichten.

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