3.


»Meine Fresse«, sagte Joel. »Das ist nicht zu fassen!«

Hunt nickte.

»Was ist bloß mit dem Gesundheitswesen in diesem Land passiert? Wenn wir als Kinder krank geworden sind, sind wir einfach zum Arzt gegangen. Als ich mir mal den Arm gebrochen hatte, sind wir ohne Probleme in die Notaufnahme gekommen. Und unsere Eltern waren nicht gerade reich. Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn! Wir haben die besten Ärzte und die am besten ausgestatteten Krankenhäuser der Welt, die berühmtesten Forscher und die größten Pharma-Unternehmen, die immer neue Mittel herstellen, aber wir können uns nicht mal um Leute kümmern, die zusammengeschlagen wurden, oder um Unfallopfer, oder um Menschen, deren gesundheitliche Probleme leicht zu behandeln sind! Wer hat noch mal gesagt, man solle ein Land danach beurteilen, wie es seine ärmsten Bürger behandelt? Wenn das stimmt, leben wir in einem ziemlich jämmerlichen Land. Ist doch wahr, Mann!«

»Jou«, stimmte Hunt zu, doch seine Gedanken kreisten immer noch um Beth. Ob sie gut versichert war? Gefragt hatte er sie nicht, aber das hätte er wohl tun sollen, erst recht nach diesem entsetzlichen Traum.

»Diese ganze verdammte Medizin heutzutage wird von den Versicherungen zu eigenen Zwecken genutzt, und die letztendlichen Entscheidungen treffen die Bürokraten. Aber die Gesundheitsfürsorge darf nicht profitorientiert sein! Sie ist eine Notwendigkeit und sollte allen und jedem offenstehen.«

Die beiden saßen in Joels Wohnzimmer und hörten ein altes Meat-Puppets-Album, das Hunt aus einem beachtlichen Plattenstapel auf dem Fußboden ausgewählt hatte. Zusammen mit einer Freundin rannte Lilly durchs Zimmer. Die Mädchen waren auf dem Weg zum Hinterhof. Eine Sekunde später hörten sie Stacys Stimme aus der Küche: Sie ermahnte die Mädchen, nicht so durchs Haus zu rennen.

»Es muss doch einen Verbraucherschutz geben, an den man sich wenden kann! Ach verdammt, vielleicht sollte ich einfach unseren Kongressabgeordneten und unsere Senatoren anschreiben. Für irgendwas müssen die doch gut sein!«

Joel lachte.

»Was ist daran so lustig?«

»Du. Der gute alte Hunt. Erinnerst du dich noch an die Junior High? Als Mrs. Halicki dich gezwungen hat, deinen Tisch auf den Gang zu stellen und deine Klausur draußen zu schreiben, weil du ein Ozzy-T-Shirt anhattest? Und wie du die Petition geschrieben hast, sie zu feuern?«

Hunt lachte leise. »Ja. Bloß, dass Mrs. Halicki Wind davon bekam und mir einen Verweis erteilte.«

»Und jedem anderen von uns, die deinen Wisch unterschrieben hatten.«

Lilly streckte den Kopf durch die Tür. »Daddy? Spielt ihr mit uns Basketball, du und Onkel Hunt?«

Joel blickte zu Hunt, worauf dieser lächelte. »Na klar.«

»Ich und Onkel Hunt gegen Kate und Daddy!«, verkündete Lilly, als sie auf den Hof kamen.

»He! Willst du nicht mit deinem Daddy ins gleiche Team?«

Lilly lachte. »Sorry, Daddy!«

»Also gut, Mädchen! Dann wirst du eben untergehen!«


Hunt war erstaunt, wie schnell Joel und er nach einer Pause von fast fünfzehn Jahren wieder zueinander gefunden hatten. Und er war dankbar dafür. Das machte den ganzen Umzug viel einfacher - so einfach sogar, dass Hunt die Umstellung kein bisschen bedauerte und auch gar kein Heimweh hatte. Nicht einmal den einst so geliebten Strand vermisste er. Hunt war einfach froh darüber, nach Tucson zurückgekehrt zu sein. Für ihn schien sich alles zum Besten gewendet zu haben.

Immer noch konnte er kaum fassen, dass Joel tatsächlich Stacy geheiratet hatte. Als Hunt mit Eileen nach Kalifornien gezogen war, hatte er alle Wurzeln gekappt und sämtliche Brücken hinter sich abgerissen; deshalb hatte er auch nicht die Weiterentwicklung seiner alten Freunde und Bekannten im »Leben nach der Schule« miterleben können. Er dachte über sie alle immer noch wie vor fünfzehn Jahren, und dass Joel und Stacy ein Ehepaar waren, erschien ihm noch immer fast unglaublich. Hunt fühlte sich wie jemand, dessen Leben eine Zeitlang wie eingefroren gewesen war, während alle anderen weitergelebt hatten. Doch nun holte er die verlorene Zeit langsam nach, und dabei hatte er das Gefühl, als würde er zwei- oder dreimal die Woche bei seinen Eltern anrufen, um ihnen immer wieder erstaunliche Neuigkeiten mitzuteilen: Mr. Llewelyn war vor zwei Jahren gestorben; Hope Williams hatte sich als Lesbe entpuppt; Dr. Crenshaw war pleitegegangen ...

Seine Eltern, vor allem seine Mutter, freuten sich jedes Mal, Neuigkeiten aus Tucson zu erfahren, doch sie waren alles andere als glücklich darüber, dass ihr Sohn jetzt als Baumbeschneider arbeitete. Hunt hatte sich schon gedacht, wie sie darauf reagieren würden; deshalb hatte er es so lange wie nur möglich aufgeschoben, es ihnen zu sagen. Doch irgendwann ließ es sich einfach nicht mehr verheimlichen. Zunächst hatte Hunt ernstlich in Erwägung gezogen, ihnen zu erklären, er habe diesen Job nur angenommen, weil es auf seinem Fachgebiet einfach keine offenen Stellen gegeben hatte und er dringend Geld brauchte - aber auch wenn das faktisch richtig war, entsprach es doch nicht der Wahrheit. Die Wahrheit war, dass Hunt sich gar nicht mehr um eine Stelle als Computerfachmann bemühte. Schließlich hatte er jetzt einen Job. Vielleicht würde sich irgendwann etwas im Management-Informationssystem des County ergeben, vielleicht auch nicht. Wie auch immer - Hunt machte sich keine Sorgen darüber. Er nahm die Dinge, wie sie sich entwickelten.

Beim Kartenspiel hatten Hunt und Lilly ihre Gegner Joel und Kate vernichtend geschlagen. Nach dem Spiel hatte Joel gefragt, ob Hunt zum Essen bleiben wolle, doch er lehnte ab. In dieser Woche hatte er bereits zweimal bei den McCains gegessen und wollte deren Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Außerdem war er immer noch müde von der letzten Nacht. Er wollte nur noch nach Hause, Beth anrufen, ein bisschen Fernsehen und dann ins Bett.

Als Hunt zu Hause ankam, fand er in seinem Briefkasten ein Schreiben der United Automobile Insurance. Er riss den Umschlag auf und legte die Stirn in Falten. Was wollten die denn? Seine nächste Rate war erst in zwei Monaten fällig. In letzter Zeit hatte er sich weder einen Strafzettel eingefangen noch irgendeinen Unfall gebaut. Ging es vielleicht um seine Heckscheibe? Aber in dieser Sache hatte er die Versicherung gar nicht in Anspruch nehmen müssen: Seine Selbstbeteiligung lag bei zweihundert Dollar, doch es hatte nur hundertfünfundzwanzig gekostet, die Scheibe ersetzen zu lassen, also hatte Hunt die Reparatur ganz aus eigener Tasche bezahlt.

Hunt überflog das Schreiben. Zwar hatte er für die Reparatur die Leistungen der Versicherung nicht in Anspruch genommen, doch er hatte sie informiert, also waren sie verpflichtet, die entsprechenden Informationen weiterzuleiten - so besagte es dieses Schreiben. Auch wenn Hunt keinerlei Schuld an dem Zwischenfall träfe, hieß es, der zu dem Riss in der Heckscheibe geführt habe, sei der Schaden doch zu einem Zeitpunkt entstanden, da er für den Wagen haftete, und zwar zu einem Zeitpunkt, da der Wagen durch die aktuell gültige Police versichert gewesen sei; folglich bliebe der Versicherung keine andere Möglichkeit, als seine Police entsprechend anzupassen.

Hunt schüttelte fassungslos den Kopf, als er die letzte Zeile des Schreibens las.

Seine Versicherung hatte ihm den Schadenfreiheitsrabatt gestrichen.

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