2.


Steve saß auf dem Firstbalken seines Anbaus und befestigte gerade den letzten Sparren. Die Sonne war fast schon untergegangen, und es war eigentlich schon zu dunkel für diese Arbeit, doch Steve war so gut wie fertig und wollte nichts unerledigt lassen, ehe er ins Bett ging. Er rutschte ein wenig weiter nach vorne und stemmte sich dann mit aller Kraft gegen den Schraubenschlüssel, um die nächste Schraube festzuziehen.

Irgendetwas unter ihm bewegte sich.

Beinahe hätte Steve den Schlüssel fallen lassen.

Seit dem letzten Telefonat mit dem Versicherungsvertreter hatte er so etwas erwartet.

Hast du mich verstanden, du Drecksack?

Doch auch wenn Steve glaubte, auf alles vorbereitet gewesen zu sein, wusste er jetzt doch, dass dem nicht so war, und die Furcht, die in ihm aufstieg, war tausendmal größer als während dieses Telefonats mit dem Versicherungsvertreter. Doch diese Angst war auch mit Zorn vermischt, und es war der Zorn, den er jetzt zu schüren versuchte; er konzentrierte sich darauf und versuchte ihn immer weiter anzuheizen.

Steve setzte sich auf, sah sich schnell im Hof um. Aus diesem Blickwinkel konnte er ebenso in seinen Anbau hineinschauen wie drei Seiten seines Hauses einsehen. Ein Mann mit Hut stand neben der verbliebenen Baumhälfte, und ein weiterer drückte sich in der Nähe des mit einer Plane abgedeckten Holzstapels herum. Was immer sich dort durch den Anbau selbst bewegt hatte, jetzt war es verschwunden, doch im matten, diffusen Licht der fast völlig erloschenen Sonne sah er eine Urinpfütze auf dem Sperrholzboden, und das reichte aus, um Steves Zorn überquellen zu lassen.

»Jetzt reicht's, ihr Dreckskerle!«, schrie er, stand auf und hob seinen Schraubenschlüssel. »Kommt schon!«

Das Firststück unter Steves Füßen brach. Er stürzte, und es war pures Glück, dass er sich so eben noch an der Kante des Daches festhalten konnte. Sein Unterleib krachte mit Wucht gegen die verputzte Wand, und Steve schrie auf vor Schmerz, doch er hielt sich weiter fest. Klappernd fiel sein Schraubenschlüssel auf den Sperrholzboden. Als Steve hinunterblickte, sah er, dass einer der Männer genau unter ihm stand - in der Hand einen Schraubenzieher.

Aus den Schatten trat eine weitere Gestalt, die jetzt einen schweren Holzbalken schwang.

Sie wollten ihn umbringen!

Steve hatte keinen Zweifel. Diese Kerle arbeiteten für die Versicherungsgesellschaft, und sie waren geschickt worden, ihn dafür zu bestrafen, dass er bei ihrer Firma keine Police abgeschlossen hatte.

Steve lachte rau und scharf. Wer würde ihm so etwas glauben?

Plötzlich wurde die Tür zum Haus geöffnet. Ein immer größeres Dreieck aus fluoreszierendem Licht breitete sich über den Sperrholzboden aus, ließ die Urinpfütze schimmern, strahlte die Männer an. Nur dass sie gar nicht angestrahlt wurden: Sie blieben im Schatten, ihre Gesichter unsichtbar.

Nina stand im Eingang. Sie sah die dunklen Männer mit ihren primitiven Waffen, machte aber keine Anstalten, etwas zu unternehmen. Sie lief nicht davon, rief nicht um Hilfe, rannte nicht zum Telefon. Stattdessen schaute sie zu ihm hinauf, die Miene unergründlich, und stand regungslos da.

Ach, so lief das also! Es hätte ihn nicht überraschen sollen. Steves Griff wurde immer schwächer, und plötzlich stand rechts von ihm noch ein Mann, der einen Hammer in den Händen hielt. Steves ganzer Körper schmerzte höllisch. Er versuchte dennoch, sich mit den Beinen an irgendetwas festzuklammern, hoffte darauf, die Kraft, die ihm noch verblieben war, nutzen zu können, sich wieder aufs Dach hochzuziehen. Die können mich ja nicht einfach so umbringen!, schoss es ihm durch den Kopf. Die müssen schon dafür sorgen, dass es wie ein Unfall aussieht ...

Seine Finger krampften sich um die Dachkante, und Steve versuchte sich hochzuwuchten, die Füße gegen die Mauer zu stemmen und die Beine als Hebel einzusetzen ... doch er hatte einfach nicht genug Kraft. »Nina!«, stieß er hervor und verabscheute sich selbst dafür, so schwach zu sein.

Unter sich hörte er die Tür zuschlagen. Plötzlich war es im Anbau stockdunkel, und aus dem Innern des Hauses vernahm er hastige Schritte.

Natürlich! Nina holte Hilfe! Gerade eben war sie vor Angst und Entsetzen wie betäubt gewesen und nicht imstande, irgendetwas zu tun. Jetzt aber rief sie die Polizei! Mit frischer Kraft versuchte Steve erneut, sich hochzustemmen. Er spannte sämtliche Muskeln an, legte den Kopf in den Nacken, schaute zum Dach hinauf ...

Eine stämmige Gestalt mit einem dunklen Hut starrte ihn über die Kante hinweg an.

Und zum ersten und letzten Mal sah er das Gesicht des Mannes.

Und das Lächeln.

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