3.


Mit Beth zusammenzuleben war großartig. Die letzten Jahre mit Eileen hatten Hunt so vergiftet, dass er explosionsartige Wut schon bei den kleinsten Kleinigkeiten erwartet hatte, grundlose Streitereien, gefolgt von grimmigem Schweigen. Tatsächlich aber kamen Beth und er wunderbar miteinander klar. Natürlich war er auch mit Eileen eine Zeitlang glücklich gewesen, ehe alles den Bach runtergegangen war, also konnte man daraus noch nicht allzu viel schließen, doch alleine schon die Tatsache, dass Hunt jeden Tag mit Beth zusammen sein konnte und immer noch ihre Anwesenheit genoss - dass er sich immer noch auf jeden Augenblick freute, den sie gemeinsam verbrachten -, gab Hunt Zuversicht. Er hatte Angst davor gehabt, in dieser Beziehung einen Schritt weiter zu gehen, weil er befürchtete, dieser eine Schritt könne alles zerstören.

Die größte Überraschung waren Beths Kochkünste. Natürlich hatte sie ihn schon vorher bekocht, doch weil sie eben nicht zusammenlebten, waren es stets besondere Anlässe gewesen - Mahlzeiten, mit denen sie Hunt beeindrucken wollte. Doch sie zauberte jeden Abend eine phantastische Gourmet-Küche, und Hunt hatte nicht das Gefühl, als würde sie es nur seinetwegen tun. So war Beth eben. Hunt hatte gewusst, dass Kochen zu ihren Hobbys gehörte und dass sie hingebungsvoll die Kochsendungen im Fernsehen verfolgte, doch Hunt hatte nicht begriffen, dass es eine Leidenschaft war. Das gefiel ihm.

Eileen hatte Restaurants geliebt. Und Tiefkühlkost. Und Tacos.

Hunt hatte sich nie für den Typen gehalten, der nach Hause kommt und ruft: »Hey, Schatz, was gibt's zu essen?« Es war ihm peinlich, in eine derartige Rolle zu verfallen - er hatte sogar ein wenig Schuldgefühle deswegen -, doch Beth war nicht das unterwürfige Hausweibchen aus der Vorstadt, sie kochte nur einfach gerne für ihn, und das machte Hunt dankbarer denn je, dass er sie kennen gelernt hatte.

Am Freitagmorgen machte er gerade Pause, als ein Vertreter der Versicherung ihn auf seinem Handy anrief und ihm berichtete, sein Haus sei fertig. Sofort erzählte Hunt es Edward und Jorge, doch er wartete bis zum Mittag, bis er Beth davon berichtete. Die Wahrheit war: Er wollte dort gar nicht mehr fort. Er hatte bei Beth nur vier Nächte verbracht, doch sie waren in der Zeit einander viel nähergekommen, und Hunt fühlte sich so wohl dort, dass es ihm jetzt wie sein Zuhause vorkam. Jetzt wieder in sein eigenes Mietshaus zurückzugehen ... das wäre so, als würde er einen gewaltigen Schritt rückwärts tun. Obwohl die Miete bis zum Ende des Monats bezahlt war, hatte Hunt nicht mehr den Wunsch, dort zu wohnen. So erklärte er sich nur zu gern einverstanden, als Beth ihn bat, ganz offiziell bei ihr einzuziehen. Hinter ihnen brachen Edward und Jorge, die das Gespräch belauschten, in Jubelrufe aus.

Beth und er lachten.

Doch Hunts ganzer Krempel war noch in dem Haus, das er gemietet hatte. Also fuhren sie nach der Arbeit dorthin, um sich das Ergebnis der Renovierung anzuschauen. Die Schlösser waren ausgetauscht worden, doch wie versprochen waren die neuen Schlüssel unter einem Stein auf der rechten Seite der Veranda versteckt. Hunt hob die Schlüssel auf, öffnete die Tür und trat ein.

»Ach du meine Fresse!«, entfuhr es ihm.

Sämtliche Wände waren schwarz gestrichen worden. Statt der gerahmten Plakate klassischer Filme, die vorher in seinem Wohnzimmer gehangen hatten, fand er dort jetzt groteske Gemälde verstümmelter Frauen in grässlich bunten Rahmen. Die Bücher, die vorher in den Regalen gestanden hatten, waren gegen schauerlichere Lektüre ausgetauscht worden: ein Bildband über medizinische Gräuel der Nazis stand neben einem Lehrbuch über die Einbalsamierung von Leichen. Dazu fand er eine Gesamtausgabe des Marquis de Sade vor und zahlreiche Fetisch-Romane mit so vielsagenden Titeln wie Ich lecke dein Blut und Fuß-Fuck-Daddy. Ähnliches galt für seine Videos und DVDs, die allesamt durch Sado-Hardcore-Pornos ersetzt worden waren. Statt seiner alten Vinyls - Rock-, Jazz-, Blues-, Folk- und Country-Alben, die sich seit seiner Kindheit angesammelt hatten - standen dort nur Boxen über Boxen, allesamt mit Unmengen der gleichen Platte gefüllt: You light up my Life von Debbie Boone.

»Was ... ist das?«, brachte Beth hervor.

Wie betäubt schüttelte Hunt den Kopf. »Keine Ahnung.«

»Da hat aber jemand so richtig Mist gebaut.«

»Jou.« Wie in Trance ging er in die Küche. Eine Axt stak in einem freistehenden, blutroten Hackklotz, der den Platz des Tisches in der Essecke eingenommen hatte, und eine altmodische Handpumpe hatte den Wasserhahn über der Küchenspüle ersetzt. Mitten auf dem schwarzen Linoleumboden lag ein Teppich, der anscheinend aus einem Gorillapelz gefertigt war. Das Maul des Affen war weit geöffnet, die Reißzähne entblößt.

»Ich dachte, die sollten nur die beschädigten Möbel und die zerstörten Sachen ersetzen, aber nicht alles rausschmeißen und es mit ... so was ... ersetzen.«

»Das dachte ich auch. Und wie können die mir so einen Mist hier reinstellen! Die können doch nicht einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden.« Hunt ging zum Schlafzimmer hinüber, und Zorn loderte in ihm auf. Sogar das Bett, das gar nicht beschädigt gewesen war, hatte man ersetzt - durch ein Wasserbett in Penisform. Und statt seiner Kommode sah er einen mit roter Glitzerfolie überzogenen Schreibtisch, auf dem etwas stand, das ziemlich genau so aussah wie ein Gynäkologen-Plastikmodell der weiblichen Genitalien.

Beth konnte es nicht fassen. »Das ist illegal! Du hast doch nichts unterschrieben, womit du denen so etwas erlaubt hast, oder?«

»Natürlich nicht. Ich war während der Renovierungsarbeiten nur einmal hier, am Dienstag, und da sah alles noch völlig normal aus. Ich habe denen nicht gesagt, dass sie das so machen sollen, und die haben mir nicht gesagt, dass sie es so machen werden.«

Beth öffnete die Tür des Kleiderschranks und fand eine ansehnliche Auswahl Gothic-Kleidung vor.

Hunt knirschte mit den Zähnen. »Wir müssen zurück zu dir ...«

»Zu uns.«

»Zu uns, damit ich mir das Kleingedruckte meiner Police noch einmal durchlesen kann. Du hast recht, das kann nicht legal sein! Die haben nicht nur beschädigte Gegenstände ersetzt, die haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt, haben meinen Privatbesitz gestohlen und mich gezwungen, diesen kranken Mist hier einfach hinzunehmen!«

»Nimm eine Kamera mit, wenn wir das nächste Mal hierherfahren«, schlug Beth vor. »Du brauchst Fotos für den Fall, dass du vor Gericht gehen musst. Wir müssen das alles dokumentieren.«

»Später. Komm, lass uns abhauen.«

In der Kiste mit Papieren, die sie aus dem Haus mitnahmen, entdeckte Hunt seine Versicherungspolice, und die nächste Stunde verbrachte er damit, das Kleingedruckte zu lesen. Um auf Nummer sicher zu gehen, rief er die Zentrale der Versicherungsgesellschaft in Delaware an. Nachdem er sich durch ihr verschlungenes Telefonmenü gekämpft hatte, konnte er endlich eine Nachricht hinterlassen: Langsam und deutlich gab er seinen Namen, seine Versicherungsscheinnummer und seine Schadensregulierungsnummer an; dann beschrieb er, was geschehen war.

Nachdem er aufgelegt hatte, schaute er zu Beth hinüber. »Was für eine Hausratversicherung hast du eigentlich?«

»Oh, ich hab Glück gehabt. Die sind prima. Ich musste die mal anrufen, als vor zwei Jahren das Dach undicht war, und in dem Jahr davor, als bei einem Sturm ein Ast das Fenster im Schlafzimmer eingeschlagen hat, und die haben alles problemlos erledigt.«

»Da hast du wirklich Glück.«

»Ja, aber ich zahle auch ordentlich dafür. Deshalb habe ich denen auch nichts davon erzählt, als ich letztes Jahr das Badezimmer umbauen ließ. Sobald man etwas im Haus umbaut, schießen die Beiträge in die Höhe. Ich habe den Fehler gemacht, es denen zu melden, als ich mal neue Wandschränke einbauen ließ und konnte nicht fassen, um wie viel die daraufhin meinen Beitrag erhöht haben! Deswegen habe ich dieses Mal nichts gesagt.«

»Wenn die dich erwischen, nennen die das Versicherungsbetrug. Und deine Police ist dann null und nichtig. Die werden keinen Cent zahlen, wenn etwas passiert. Du solltest dich lieber mal erkundigen.«

»Ich überleg's mir.«


Am Montagmorgen, gleich nach dem Frühstück, rief Hunt die Versicherung an - in Arizona war es sechs Uhr, an der Ostküste neun.

Der Mann, der den Anruf entgegennahm, sprach sehr lebhaft und war übertrieben diensteifrig. »Würden Sie mir bitte Ihre Schadensregulierungsnummer nennen, Sir?«

»Fünf Zwo Eins, Fünf Sechs Vier U.«

»U?«

»Ja. U wie in ›unzufrieden‹.«

»Wo liegt denn das Problem, Mr. Jackson?«

»Ich will Ihnen sagen, wo das Problem liegt!« Hunt hatte zwei Tage Zeit gehabt, sich zu überlegen, wie er seinem Ärger Luft machen wollte, und nun verpasste er dem Mann eine volle Breitseite, als er die schwarzen Wände beschrieb, die skurrilen Möbel, die seine eigenen ersetzt hatten, und die pornographischen Bücher und Videos. »Ich weiß nicht, wer das gemacht hat oder warum, und was für eine durchgeknallte Firma Sie beauftragt haben, diese Arbeiten durchzuführen, aber die haben totalen Mist gebaut! Ihre Versicherung hätte diese Arbeiten doch überprüfen müssen! Das wäre nicht passiert, wenn Sie aufgepasst hätten! Ich erwarte, dass das Haus in seinen alten Zustand zurückversetzt wird, einschließlich der Einrichtung! Haben Sie verstanden?«

Der Mann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Darf ich fragen, wann die Reparaturarbeiten abgeschlossen wurden.«

»Freitagmorgen, nehme ich an.«

»Sie nehmen an?«

»Also, ich ...« Hunt stockte.

»Ich muss hier eine genaue Uhrzeit eintragen, Sir«, fuhr der Mann ungerührt fort. »Und da Sie die nicht wissen ...« Hunt hörte das Klappern einer Tastatur, und dann, im Südstaaten-Singsang: »Halb Affenarsch, viertel vor Ho-den-sack.«

»Was?«, fragte Hunt verwirrt. »Ich ...«

Bellendes, irres Gelächter unterbrach ihn.

Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Hunt hörte nur noch das Freizeichen.

Entgeistert starrte er auf den Hörer, den er immer noch in der Hand hielt. Er war so wütend wie beim letzten Mal, aber dieses Mal kam ein Gefühl der Beunruhigung hinzu. Wie war das möglich? Seine Autoversicherung und die Versicherungsgesellschaft, die sich um seinen Hausrat kümmerte, gehörten zum gleichen Mutterkonzern und hatten die gleichen Telefonisten. Der Mann war von einer Versicherungsgesellschaft zur anderen gewechselt und hatte tatsächlich noch seinen Namen im Gedächtnis behalten ...

Hunt atmete tief durch und wählte erneut, und wie beim letzten Mal nahm eine professionell auftretende Frau das Gespräch an. Dieses Mal stellte sie sich als »Alice« vor. Hunt nannte seinen Namen und seine Schadensregulierungsnummer und schilderte erneut den Vandalismus an seinem Haus und seinen Besitztümern und berichtete dann von den sonderbaren Objekten, die seinen Privatbesitz ersetzt hatten. Hunt klang jetzt weniger zornig, weil er fast seine ganze Wut beim ersten Gespräch verausgabt hatte, doch er war immer noch verärgert, und die Telefonistin war sich seiner Unzufriedenheit merklich bewusst. Doch sie hielt sich genau an die Regeln ihrer Versicherungsgesellschaft, und statt Hunt zu versprechen, der Vorfall werde umgehend untersucht, las sie die Informationen auf ihrem Computerbildschirm durch und erklärte dann, die Versicherung habe alles ordnungsgemäß durchgeführt.

»Aber genau darum geht es doch!«, erklärte Hunt aufgebracht. »Das hat sie eben nicht!«

»Ich verstehe Sie ja, Mr. Jackson, aber ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass die All Homes alles getan hat, wozu sie vertraglich verpflichtet war. Unsere Verpflichtungen sind den Bedingungen Ihres Vertrages gemäß genau definiert.«

»Und warum steht dann ein pimmelförmiges Wasserbett in meinem Schlafzimmer? Warum habe ich Kartons mit dreihundert Exemplaren von You light up my Life im Wohnzimmer? Warum stehen in meiner Videosammlung plötzlich Aufnahmen von Selbstmorden?«

»Wenn Sie sich Ihre Versicherungspolice einmal genau ansehen«, erklärte Alice, »werden Sie feststellen, dass alle Bedingungen erfüllt wurden. Die All-Homes-Versicherung ist lediglich verpflichtet, die beschädigten Gegenstände durch gleichwertige Objekte zu ersetzen, nicht durch identische Objekte.«

»Ich habe die Police hier gerade vor mir liegen, ich habe sie das ganze Wochenende immer wieder gelesen, und das steht da definitiv nicht drin!«

»Haben Sie die Ausschlussklausel gelesen?«

»Ausschlussklausel?« Das brachte Hunt aus dem Konzept. »Was für eine Ausschlussklausel?«

»Die finden Sie im Kleingedruckten auf der Rückseite Ihrer Police. Anhang D, Unterabschnitt Eins A. Und da steht klipp und klar, dass bei jeglichen Hausratsversicherungen über eine Deckungssumme von zehntausend Dollar oder weniger zu versuchen ist, die beschädigten Gegenstände zu ersetzen, dass aber, falls geeigneter Ersatz nicht zu beschaffen ist, sie durch Objekte gleichen Wertes zu ersetzen sind, wobei All Homes die Abschätzung der Gleichwertigkeit vorzunehmen hat. Wenn Sie allerdings eine zusätzliche Versicherung über die Deckungssumme abgeschlossen hätten, wie einer unserer Mitarbeiter es Ihnen kürzlich vorgeschlagen hatte, wären Ihre sämtlichen Besitztümer nach Ihren Wünschen ersetzt worden.«

Hunt wurde misstrauisch. »Woher wissen Sie, dass man mir vorgeschlagen hat, meine Deckungssumme aufzustocken?«

Erschöpft seufzte Alice. »Hören Sie, Mr. Jackson, ich kann Ihnen höchstens ein Beschwerdeformular zuschicken. Darin können Sie Ihr Problem schildern und erklären, wie Sie die Sache sehen, und dann wird einer unserer Schlichter sich noch einmal mit der Angelegenheit befassen und gegebenenfalls notwendige Schritte einleiten. Wir legen sehr viel Wert auf die Zufriedenheit unseren Kunden und sind bisher ausnehmend gut beurteilt worden. Wir wollen auf keinen Fall, dass unsere Kunden ...«

»Schicken Sie mir das Formular«, sagte Hunt nur.

Die Mitarbeiterin der Versicherung vergewisserte sich, die aktuell gültige Adresse vorliegen zu haben, und spulte dann belanglose Verabschiedungsfloskeln herunter. Hunt legte auf. »Diese Arschlöcher!«

Beth hatte mit angehört, was er während des Gesprächs gesagt hatte. »Du hast denen gar nichts von den neu gestrichenen Wänden erzählt. Die haben viele Dinge am Haus selbst verändert, nicht nur an der Einrichtung.«

»Das soll der Hauseigentümer selbst herausfinden«, sagte er. »Ich wohne nicht mehr da. Ich wohne jetzt mit dir zusammen.«

»Ja.« Sie lächelte und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. »Ja, das tust du.«

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