1.


Am Samstag schliefen sie lange aus, dankbar, ein bisschen mehr Schlaf zu bekommen. Hunt erwachte als Erster, streckte die Hand aus und streichelte Beth sanft zwischen den Beinen, doch sie schob mürrisch seine Hand fort. »Später«, murmelte sie nur. Also griff Hunt nach der Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein und ging dann auf einen Sender, der Cartoons brachte. Auf Nickelodeon lief SpongeBob, und eine Zeitlang schaute Hunt sich die Sendung an, ehe er in die Küche ging, um Courtney zu füttern und zum Frühstück einen Bagel in den Toaster zu schieben. Während er die Zeitung las, stand auch Beth auf. Sie goss sich ein Glas Saft ein, und weil ihre Zähne immer noch schmerzten, kochte sie sich Weizenmehlbrei.

Nach dem Frühstück wollten sie eigentlich zum Gartencenter fahren und einen neuen Rechen und ein paar Hängepflanzen für die Veranda hinter dem Haus kaufen. Hunt duschte und rasierte sich; dann kämmte er sich schnell und schlüpfte in eine alte Jeans und ein T-Shirt. Beth streifte die Kleidung über, die sie am Wochenende bei der Gartenarbeit immer trug. Sie öffneten die Tür ...

... und der Versicherungsvertreter stand auf der Veranda.

»Schön, dass ich Sie antreffe«, sagte er und lächelte breit. »Ihre Versicherungspolicen sind eingetroffen. Jetzt ist der große Tag wirklich da! Darf ich hereinkommen?« Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern drängte sich an ihnen vorbei ins Wohnzimmer.

Sie folgten ihm. Er wirkte größer als beim letzten Mal, und noch irgendetwas anderes hatte sich an ihm verändert, doch was genau es war, hätte Hunt nicht beschreiben können.

Der Vertreter trat zwischen das Sofa und den Couchtisch und legte seinen Aktenkoffer ab. Er schaute Beth an und runzelte übertrieben die Stirn. »Was in aller Welt ist mit Ihnen passiert, Mrs. Jackson? Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber das ist ja die reinste Katastrophe!«

Peinlich berührt, presste Beth die Hand auf den Mund, und das Blut schoss ihr ins Gesicht.

»Jetzt hören Sie mal ...!«, sagte Hunt verärgert.

»Das Problem wäre nicht aufgetreten«, entgegnete der Vertreter, »hätten Sie unsere Zahnfürsorge-Zusatzversicherung abgeschlossen, wie ich es Ihnen geraten hatte - und die Sache ließe sich morgen schon bereinigen, wenn Sie sich für eine unserer zahlreichen ausgezeichneten Zahnfürsorge-Pläne entscheiden würden. Wir arbeiten nur mit den besten Zahnärzten und Kieferchirurgen zusammen. Tatsächlich lassen wir die sogar bei uns vorsprechen. Normalerweise obliegt es den Ärzten und Zahnärzten zu entscheiden, ob sie die Versicherung bestimmter Versicherungsträger akzeptieren oder nicht. Aber bei uns ist es so, dass wir entscheiden. Wir sind diejenigen, die zulassen, ob unsere Kunden von bestimmten Ärzten behandelt werden. Deshalb bieten wir die besten Ärzte und die hellsten Köpfe auf dem gesamten Gebiet der Medizin und Zahnmedizin.« Er warf Hunt und Beth ein gewinnendes Lächeln zu. »Aber dazu kommen wir später. Machen Sie sich keine Sorgen. Erst sollten wir die brandneuen, frisch erstellten Policen begutachten, nicht wahr?« Er öffnete seinen Aktenkoffer, zog zwei elegant gedruckte Heftchen hervor und legte sie geradezu liebevoll auf den Couchtisch. »Ich würde das gerne mit Ihnen zusammen durchgehen, wenn ich darf. Sie haben vielleicht noch die eine oder andere Frage zum Leistungsumfang, die ich Ihnen nur zu gerne beantworten werde.« Er deutete auf das Sofa. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«

Willfährig kamen sie der Aufforderung nach. Der Vertreter reichte jedem von ihnen ein Heftchen, elegant gebunden, mit einem olivgrünen Umschlag. »Das sind zwei Ausfertigungen Ihrer neuen Immobilienversicherung. Ich möchte Sie bitten, Seite eins aufzuschlagen und zu überprüfen, ob Ihre Namen richtig geschrieben wurden, dann gehen wir zu Seite zwei über und schauen uns die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Police an, damit klar wird, was das für Sie im Einzelnen bedeutet.«

Neugierig öffnete Hunt das Heftchen und schaute auf die Kopfzeile der Seite, suchte nach dem Namen der ausstellenden Versicherung.

The Insurance Group.

War das alles? Eine Versicherung, die sich nur »die Versicherungsgruppe« nannte? Hunt blätterte die Seiten durch, überflog das Dokument auf der Suche nach einem weiteren Namen oder einer detaillierteren Beschreibung, doch er fand nichts. Ihm wäre wohler gewesen, hätte er den Namen der Versicherung gekannt, für die der Vertreter arbeitete; dann hätte Hunt die neuen Policen mit einer bestimmten Firmenphilosophie verbinden können, sodass er sich sicherer gefühlt hätte, doch dieser Name - Insurance Group - war so nichtssagend, dass es Hunt beinahe schon misstrauisch machte.

»Sie arbeiten für die Insurance Group?«, fragte er nach.

»Ja, allerdings.« Der Vertreter lächelte ihn an. »Und ich könnte mir keine Gesellschaft vorstellen, für die ich lieber tätig wäre. Wenn wir jetzt zu Seite zwei, Absatz eins übergehen könnten ...«

Er brauchte fast fünfzehn Minuten, um ihnen den Inhalt dieser Seite zu beschreiben. Schon nach den ersten fünfzig Sekunden wurde Hunts Blick leicht glasig, doch der Vertreter schilderte dermaßen hingerissen die verschiedenen Versicherungsleistungen, die sie bei verschiedenen Szenarios erhalten würden, und sprach dabei so schnell und mitreißend, dass weder Hunt noch Beth ein einziges Wort dazwischen hätten einflechten können. Hunt blätterte zur letzten Seite des Heftchens. Noch fünfunddreißig weitere Seiten. Ganz zu schweigen von dem anderen Policen-Heftchen, das noch auf dem Couchtisch lag.

Hunt beschloss, energisch zu werden. »Wir haben es heute ein bisschen eilig«, sagte er. »Warum lassen Sie uns die Policen nicht einfach hier? Wir schauen sie genau durch, und falls wir noch irgendwelche Fragen haben, rufen wir Sie an.«

Der Vertreter wirkte enttäuscht. Er genoss es sichtlich, ihnen sämtliche noch so kleinen Details minutiös zu beschreiben. Doch er erholte sich schnell, sammelte die Policen ein und reichte sie ihnen. »Ich verstehe«, sagte er. »Manchmal, gerade bei solchen Dingen, zieht man es vor, sich in der Ruhe und Privatsphäre des eigenen Heims damit auseinanderzusetzen. Das ist nur zu verständlich. Also gut, dann wollen wir doch mal schauen, wie wir Ihre anderen Probleme lösen können.«

Wie zuvor zog er ein eng bedrucktes Formular und ein Schmierpapier hervor. Dann murmelte er etwas Unverständliches vor sich hin, kritzelte etwas aufs Papier, hob den Kopf und blickte Hunt und Beth strahlend an. »Sehr schön. Wir können Ihnen ein umfassendes Zahnfürsorge-Arzt-Komplettpaket anbieten - wir nennen es Denta-Med -, und das zu einem Bruchteil der Beiträge, die selbst unser günstigster Konkurrent verlangt!«

»Das hört sich großartig an, aber selbst, wenn wir wechseln wollten, können wir es nicht«, gab Hunt zu bedenken. »Ich erhalte die Kranken- und Zahnfürsorgeversicherung durch meinen Arbeitgeber. Für meine Frau gilt das Gleiche. Und bei uns beiden ist ein Wechsel frühestens zum Herbst möglich. Wir kommen aus unseren Versicherungen nicht raus, bis ...«

»Warten Sie mal!«, sagte der Vertreter und klang ehrlich schockiert. »Sie haben Ihre Policen noch nicht einmal konsolidiert? In dem Augenblick, da Sie geheiratet haben, hätte der Ehepartner mit der besseren Versorgung den anderen Partner sofort als Familienangehörigen mitversichern lassen sollen, und der hätte dann sämtliche Leistungen seines Arbeitgebers auf einen nachträglichen Vergütungsplan umschreiben können.« Der Versicherungsvertreter durchwühlte seinen Aktenkoffer und zog ein Bündel Papiere und mehrere Stifte hervor. »Lassen Sie mich das kurz mit Ihnen durchgehen.«

»Es tut mir leid«, sagte Hunt. »Wir sind nicht interessiert.«

Beth legte ihm die Hand auf den Arm. »Es kann ja nicht schaden, es sich anzuhören.«

»Aber wir sind durch unsere Arbeitgeber versichert ...«

»Und das wird auch so bleiben«, unterbrach der Vertreter ihn. »Genau das will ich Ihnen ja zeigen. Für nur wenige Pennies mehr im Monat können Sie die bestmögliche Versicherung haben. Und Sie müssen auch nicht bis zum nächsten Wechseltermin warten. Das Ganze läuft folgendermaßen: Wir übernehmen ihrer beider bestehenden Versicherungspolicen und sammeln die Beiträge ein, die Sie und Ihre Arbeitgeber zahlen. Dann werden wir Ihnen jeden Monat eine bescheidene Rechnung für den Differenzbetrag schicken, und - voilà! - schon sind Sie im besten Programm, das für Geld zu haben ist. Die Deregulierung ermöglicht es uns, eine breitere Angebotspalette parat zu halten und auch kreative Methoden der Anwerbung einzusetzen. Für den Verbraucher ist das ein wahrer Segen. Männer und Frauen wie Sie, die bisher in starren Plänen eingezwängt waren, die sich im Schadensfall womöglich als unbefriedigend erwiesen hätten, können jetzt die beste Versicherungsabdeckung des Countys erhalten - so wie es seit fünfundzwanzig Jahren durch unabhängige Tester von Dienstleistungen und Waren dokumentiert wird.«

»Hören Sie«, sagte Hunt mit fester Stimme. »Wir suchen keine neue Versicherung. Sie können mit der energischen Verkaufstechnik aufhören.«

»Du hast ja auch keine silbernen Zähne«, merkte Beth an. Dann nickte sie dem Vertreter zu. »Fahren Sie fort.«

Aus seinem Aktenkoffer zog er zwei kleine Heftchen hervor und reichte jedem von ihnen eines. »Dies hier ist das Komplettpaket, von dem ich gesprochen habe. Wenn Sie bitte Seite eins aufschlagen wollen ...«

Es dauerte fast eine Stunde, sämtliche Leistungen der Denta-Med-Versicherung aufzuzählen, und als der Vertreter fertig war, musste Hunt zugeben, dass es tatsächlich nach einer sehr viel besseren Versicherungsleistung klang als das, was das County oder die Thompson Industries boten. Hinzu kam, dass sie wirklich Geld sparen würden - falls es stimmte, was der Vertreter erzählte. Auch wenn sie einen Teil der Beiträge aus eigener Tasche würden zahlen müssen, würde Beth am Ende des Monats deutlich mehr auf ihrem Gehaltsscheck vorfinden, weil sie bei Hunt mitversichert wäre und der Arbeitnehmerbeitrag zu den Versicherungsleistungen ihr nicht mehr abgezogen würde.

»Das gefällt mir«, sagte sie.

Hunt seufzte. »Ja. Klingt gut.«

»Ausgezeichnet. Ich habe zufälligerweise die Anträge gerade dabei. Wenn Sie also hier unterzeichnen und paraphieren würden, dann können wir das Ganze ins Rollen bringen.«

Den Stift schon in der Hand, stockte Hunt. »Und wenn wir es uns anders überlegen? Wenn wir wieder aussteigen wollen?«

»Hm«, sagte der Vertreter. »Nun, in dem Falle würden Sie bis zur üblichen Wechselfrist warten müssen, die Ihre Arbeitgeber vorgesehen haben.«

»Das heißt, wir spielen hier alles oder nichts.«

»Nein, überhaupt nicht. Die Zufriedenheit unserer Kunden ...«

»Und die hervorragende Bewertung Ihrer Versicherung durch Verbraucherorganisationen. Ich weiß, ich weiß.« Hunt schaute Beth an, sah die Entschlossenheit in ihrem Blick, atmete tief durch und unterschrieb den Antrag. Was machte es schon? Er war ja sowieso kaum krank. Wahrscheinlich würde er die Versicherung vor der Wechselfrist gar nicht in Anspruch nehmen müssen. Beth würde das Versuchskaninchen spielen - und sie war ja auch diejenige, die es ausprobieren wollte.

Beide unterschrieben und datierten ihre vier Seiten; dann tauschten sie die Unterlagen und kümmerten sich um die jeweils andere Ausfertigung.

Der Vertreter nahm ihnen die Formulare ab, legte sie in seinen Aktenkoffer und schloss ihn; dann stellte er die Tasche neben das Sofa. »Ich danke Ihnen. Hier ist meine Karte. Wie schon gesagt - falls ich irgendetwas für Sie tun kann, oder wenn Sie Fragen haben, scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen.«

Es war die gleiche Karte, die er ihnen schon einmal gegeben hatte: QUALITY INSURANCE. Die Telefonnummer. Kein Name.

»Wenn wir anrufen«, stellte Hunt die Frage, »mit wem sollen wir uns dann verbinden lassen?«

»Mit mir natürlich.«

»Und wie heißen Sie?«

Er lächelte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin immer derjenige, der ans Telefon geht.« Er erhob sich, schüttelte ihnen beiden die Hand ...

nicht ganz so ledrig

... und ging zur Tür.

»Haben Sie nicht etwas vergessen?« Beth deutete auf den Aktenkoffer.

Er lächelte reumütig. »Manchmal glaube ich, ich könnte sogar meinen Kopf vergessen, wenn der nicht festgeschraubt wäre. Letzte Woche habe ich den Antrag auf eine Risikolebensversicherung vergessen und musste wieder in mein Büro zurück, um ihn zu holen.«

»Geistesabwesenheit ist bei einem Versicherungsvertreter immer ein gutes Zeichen«, sagte Hunt. »Das ist sehr Vertrauen erweckend.«

Der Vertreter warf Hunt einen giftigen Blick zu, der überhaupt nicht zu seinem freundlichen, enthusiastischen Auftreten passte, das er stets an den Tag legte. Für einen Moment war Hunt irritiert. Auch Beth schien erstaunt. Doch der feindselige Gesichtsausdruck des Mannes war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Sofort hatte der Vertreter wieder die altbekannte fröhliche Miene aufgesetzt. Hunt musste an ein Ungeheuer denken, das sich eine Menschenmaske über die wahre, entsetzliche Fratze zog.

Wenigstens einen Augenblick, überlegte er, haben wir ihn ohne Maske gesehen.

»Ich hoffe, Sie haben Freude an Ihren neue Policen«, sagte der Vertreter und griff nach seinem Aktenkoffer. »Schauen Sie alles durch, beschäftigen Sie sich ganz nach Belieben damit, und lassen Sie mich wissen, wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann.«

Er drehte sich um, verharrt dann aber noch einmal. »Habe ich erwähnt, dass wir jetzt auch Arbeitsplatzversicherungen anbieten?«

Keiner von ihnen antwortete.

»Das ist nicht wie eine Arbeitslosenversicherung - sie garantiert Ihnen kein Einkommen, wenn Sie vorübergehend ohne Job sind. Sie garantiert vielmehr, dass Sie gar nicht erst arbeitslos werden, dass Ihre Stelle sicher bleibt, dass Sie nicht etwa beispielsweise ihren Arbeitsplatz im Zuge von Einsparungsmaßnahmen oder Privatisierungsmaßnahmen verlieren.« Er lächelte Hunt an. »Oder dass Sie wegen Fremdfaktoren den Spaß an Ihrer Arbeit verlieren.« Er lächelte Beth an. »Dank dieser Versicherungsleistung wird Ihnen eine feste Stellung an einem Arbeitsplatz garantiert, den sie auch mögen. Und was will man mehr?«

Bevor die beiden etwas erwidern konnten, trat der Vertreter durch die Tür. »Ich lasse Ihnen ein wenig Zeit, das einmal zu besprechen. Ich muss zu weiteren Kunden, mit denen ich Termine habe, aber ich komme heute Nachmittag wieder.«

»Nein«, beharrte Hunt.

»Wir werden darüber reden und Sie anrufen, wenn wir uns dafür entscheiden«, versprach Beth. Er winkte ab. »Gar kein Problem, das mache ich gerne. Sie liegen sowieso auf meinem Rückweg. Ich komme dann irgendwann nach eins vorbei.«

»Vielleicht werden wir nicht zu Hause sein«, warnte Beth ihn. »Das ist okay. Ich warte gerne.«

»Wir haben zu tun«, sagte Hunt mit fester Stimme. »Heute ist kein guter Tag.«

Endlich schien er zu verstehen. »Dann ein anderes Mal.« Er winkte ihnen zu und ging den Betonweg zum Bürgersteig hinab.

In dem Augenblick fuhr ein Pickup vorbei, deswegen konnte Hunt sich nicht ganz sicher sein, aber er glaubte den Versicherungsvertreter fröhlich pfeifen zu hören.

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