Es gibt noch so viel zu tun, dachte Dodger, als er nach Hause eilte. Er musste sich auf den Theaterbesuch vorbereiten, aber vorher, und das war noch wichtiger, musste er beten. Zur Lady.
Dodger war dann und wann in der Kirche gewesen, aber im Allgemeinen hielt sich das Volk der Straße von Kirchen fern, es sei denn, man bekam umsonst zu essen – für einen vollen Magen ließ man viele Hallelujas und Kommt zu Jesus über sich ergehen. Deshalb befand er sich in seinen geliebten Abwasserkanälen und überlegte, wie er das mit dem Gebet anstellen sollte.
Er hatte die Lady nie gesehen, obwohl Opa immer von ihr gesprochen hatte, als sei sie eine gute Freundin. Und Opa hatte sie gesehen, bevor er gestorben war, und wenn man einem Sterbenden nicht vertrauen konnte, wem dann? Oh, Dodger hatte das eine oder andere halbherzige Wort an die Lady gerichtet, wie man das so machte, aber so richtig gebetet, mit Herz und Seele, das hatte er noch nie. Und als er so dastand, umgeben von den Geräuschen Londons, die ihm gedämpft durch die Abflussgitter ans Ohr drangen, mit einem Mörder auf den Fersen … Da verspürte er das Bedürfnis nach einem Gebet.
Er begann auf die altehrwürdige Weise, indem er sich räusperte, und er wollte auch noch ausspucken, zögerte aber, denn unter den gegebenen Umständen wollte er niemanden beleidigen. In der Kanalisation war es besser, nicht niederzuknien, und so straffte er die Gestalt und sagte: »Entschuldige, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, Lady, und das ist die Wahrheit. Ich meine, es ist nicht so, dass ich ein Mörder bin, oder? Und ich verspreche dir, wenn Simplicity nichts zustößt, bekommt das arme Mädchen im Leichenhaus von Four Farthings ein Begräbnis in Lavender Hill. Ich kümmere mich persönlich darum, auch um Blumen.« Er zögerte und fuhr dann fort: »Und sie wird auch einen Namen bekommen, damit ich mich an sie erinnern kann, und das wär’s, Lady, denn die Welt ist ziemlich übel und äußerst beschwerlich. Man kann nur versuchen, immer sein Bestes zu geben, und ich bin nur Dodger.«
Ein leises Geräusch folgte. Dodger senkte den Blick und sah eine Ratte, die ihm über den Stiefel lief. War das ein Zeichen? Er wünschte sich eins. Es sollte Zeichen geben, und wenn es ein Zeichen gab, sollte es vielleicht ein Schild tragen mit dem Hinweis, dass es sich um ein Zeichen handelte. War es ein Zeichen oder einfach nur eine Ratte? Gab es da überhaupt einen Unterschied? Die Lady war immer von Ratten umgeben, und Dodger hoffte insgeheim, ein wunderschönes Gesicht zu sehen, das vor den nassen Backsteinen der Kanalwand erschien.
Oben rasselte und klapperte der Verkehr, und die gelegentliche Stille blieb still, weshalb Dodger nach einer Weile hinzufügte: »Opa, von dem du bestimmt gehört hast, erzählte mir, dass du immer Schuhe trägst. Ich meine, keine Stiefel, sondern richtige Schuhe. Wenn du dich also entschließen könntest, mir zu helfen … Dann schenke ich dir das beste Paar Schuhe, das man mit Geld kaufen kann. Danke im Voraus, dein Dodger.«
An jenem Nachmittag zeigte sich Solomon erstaunt angesichts der Sorgfalt, mit der sich Dodger auf das Theater vorbereitete.
Er schrubbte sich besonders gründlich ab, selbst die Stellen, die nur schwer zugänglich waren, und dachte dabei an den Ausländer. Er hatte nie zuvor von ihm gehört, aber man musste auch nicht über alle Leute Bescheid wissen, und ein Anschlag im Theater war eher unwahrscheinlich, oder? Doch später, in seiner privaten Welt hinter dem Vorhang, als Solomon seine eigenen Waschungen mit erstaunlich viel Geplätscher und Gebrumm erledigte, holte Dodger vorsichtig Sweeney Todds Rasiermesser aus dem Versteck und betrachtete es.
Es war ein Rasiermesser, nur ein Rasiermesser. Aber es bedeutete auch Furcht und war zu einer Legende geworden. Er konnte es ganz leicht einstecken. Izzy hatte hervorragende Arbeit geleistet – die Jacke hatte eine Innentasche in genau der richtigen Größe. Da die Jacke ursprünglich für Sir Robert Peel vorgesehen gewesen war, fragte sich Dodger, ob der oberste Peeler sie für die Gegenstände gebraucht hatte, die ein Gentleman, der auf bestimmten Straßen unterwegs war, manchmal schnell zur Hand nehmen musste, zum Beispiel einen Schlagring.
Er seufzte und legte das Rasiermesser ins Versteck zurück, denn er wusste nicht, ob er mit dem Ding in der Tasche neben Simplicity sitzen wollte. Dieser Gedanke bestürzte ihn ein wenig, und er dachte: Sweeney Todd hat Menschen ermordet, aber er ist eigentlich kein Mörder. Der Krieg hat ihn um den Verstand gebracht; andernfalls wäre er vielleicht ein ganz gewöhnlicher Friseur gewesen, der seinen Kunden nicht die Kehle durchschnitt. Aber von welcher Seite Dodger die Sache auch betrachtete: Dies war nicht der geeignete Tag für Sweeney Todds Rasiermesser, Dodger auf der Straße Gesellschaft zu leisten.
Angela hatte Solomon mitgeteilt, dass eine Kutsche sie abholen und zum Theater bringen werde. Dodger hielt schon eine Stunde vor der vereinbarten Zeit nach ihr Ausschau, und als sie schließlich kam, stellte er zufrieden fest, dass zwei geschniegelte, aber recht muskulöse Lakaien sie begleiteten. Ihre steinernen Mienen und wissenden Blicke machten deutlich, dass sie es mit jedem aufzunehmen gedachten, der sich der Kutsche unerlaubt näherte.
Solomon stieg als Erster ein. Als Dodger ihm folgte, musste er zu seiner großen Enttäuschung zur Kenntnis nehmen, dass Simplicity nicht im Innern der Kutsche saß. Einer der Kutschenmänner spähte zum Fenster herein, schenkte ihm ein unerwartetes Lächeln und sagte: »Die Damen bereiten sich noch vor, Sir. Wir wurden angewiesen, Sie vorher abzuholen. Ich darf Ihnen auch mitteilen, dass es Erfrischungen gibt, die Sie unterwegs genießen können.« Die Stimme veränderte sich, und in weniger noblem Tonfall fügte der Mann hinzu: »Dieser Bursche hat Sweeney Todd erledigt. Ich kann’s gar nicht abwarten, meiner alten Mutter davon zu erzählen.«
Während Solomon die gut ausgestattete Bar in der Kutsche einer kritischen Inspektion unterzog – sie fand seine Anerkennung, wie sich herausstellte –, dachte Dodger angestrengt nach. Es ging nicht unbedingt um den Ausländer, sondern um etwas, das sich irgendwo in seinem Hinterkopf verbarg. Immer wieder rief er sich die Worte ins Gedächtnis zurück, die Missus Holland an ihn gerichtet hatte. Etwas klang nicht richtig, eher wie eine Geschichte, so wie die über Sweeney Todds Rasiermesser, und Dodger kannte die Wahrheit über Sweeney Todds Rasiermesser, oder? Zugegeben, einen Teil dieser Geschichte hatte er selbst geschaffen, und deshalb war er nun für viele Leute ein tapferer Krieger, obwohl er tief in seinem Herzen wusste, dass er nur ein gescheiter junger Mann war.
Schnell wie ein Messer kehrte der Gedanke zurück. Wie viel Wahrheit steckte hinter der Geschichte über den Ausländer? Für den Mann mit den vielen Frauen? Klang das echt?, fragte sich Dodger. Er gab sich selbst die Antwort: Nein – selbst Missus Holland hat ziemliche Angst vor ihm, und vielleicht hat der Ausländer einen kleinen Zauber gesponnen, der ihn größer und gefährlicher macht, als er in Wirklichkeit ist. Diese Möglichkeit sorgte dafür, dass sich Dodger etwas besser fühlte. Es ging um so etwas wie geschickte Zurschaustellung; darum ging es immer. Und Dodger plante seine eigene Schau.
Er erinnerte sich, dass er ein äußerst wichtiges Gespräch mit Miss Coutts führen musste, mit der lieben Miss Coutts. Er wusste, dass sie eine ungewöhnliche Frau war, mit mehr Geld als jeder andere Mensch und ohne Ehemann, und er lächelte vor sich hin und dachte: Hm, eine Frau mit reichlich Geld, die keinen Mann braucht. Wenn man Geld hat, eigenes Geld, dann ist ein Mann eigentlich nur im Weg. Solomon hatte ihm erzählt, dass Miss Coutts einmal dem Herzog von Wellington einen Heiratsantrag gemacht hatte. Wellington, als guter Taktiker bekannt, hatte behutsam und respektvoll abgelehnt. Dodger dachte: Der Herzog scheint gewusst zu haben, dass er diesen einen Kampf nie gewinnen kann.
Mit einem glücklichen Seufzer stellte Solomon eine Karaffe mit Brandy zurück, und Dodger sagte: »Solomon, ich muss dir etwas sagen.«
Weniger als eine Viertelstunde Fahrt trennte die Kutsche von ihrem Ziel, und einen großen Teil dieser Zeit verbrachte Dodger damit, beunruhigte Blicke auf Solomon zu richten, der offenbar tief in Gedanken versunken war, bis er schließlich sagte: »Mmm, ich muss sagen, dass du sehr gründlich bist, Dodger. Du siehst hier einen Mann, der heute alt und gebrechlich sein mag, aber einmal aus dem Gefängnis entkam, indem er einen Wärter mit seinen Schnürsenkeln erdrosselte. Inzwischen bedaure ich das fast, aber ich denke auch, dass ich heute nur deshalb hier bin und dir davon erzählen kann. Und um ganz ehrlich zu sein, der Mistkerl hat es nicht anders verdient, wenn man bedenkt, wie er die Gefangenen behandelte. Mein Volk ist nicht unbedingt dafür bekannt, Krieger hervorgebracht zu haben, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, versuchen wir, gute Kämpfer zu sein. Was deinen Plan betrifft … Er ist kühn und wagemutig, und so, wie du ihn beschreibst, könnte er sogar durchführbar sein. Aber denk daran, mein Freund: Du brauchst dafür Angelas Zustimmung, die sich derzeit als Simplicitys Beschützerin betrachtet.«
Die Kutsche wurde langsamer, und Dodger sagte: »Ich weiß, was du meinst, aber die einzige Person, die Simplicity nach den geltenden Regeln Befehle erteilen kann, ist ihr Mann, und eins steht fest: Was er sagt, spielt keine Rolle, denn er ist ein echter Miesling von einem Prinzen.«
Ein weiterer Lakai öffnete die Tür, noch bevor Solomons Hand sie berührte, und man führte Solomon und Dodger in einen Salon, in dem sich zwar Angela aufhielt, leider aber ohne Simplicity. Angela bemerkte Dodgers Enttäuschung ohne Zweifel, denn sie sagte munter: »Simplicity lässt sich Zeit, Mister Dodger, weil sie mit Ihnen das Theater besucht.« Sie klopfte neben sich aufs Sofa. »Nehmen Sie Platz!«
Und so saßen sie zu dritt in der sonderbaren Stille von Menschen, die warten, ohne sich viel zu sagen zu haben. Schließlich öffnete sich eine Tür, ein Dienstmädchen trat ein und zupfte hier und dort an Simplicitys Kleid, die lächelte, als sie Dodger sah, woraufhin die ganze Welt golden glänzte.
»Wie schön, Sie so hübsch zu sehen, meine Liebe«, sagte Miss Coutts, »aber ich fürchte, wir kommen zu spät zu Julius Cäsar, wenn wir uns nicht sputen. Zwar steht uns im Theater eine Loge zur Verfügung, doch ich halte es nach wie vor für eine Unhöflichkeit, zu spät zu kommen.«
Dodger durfte in der Kutsche neben Simplicity sitzen. Derzeit sagte sie nicht viel und schien voller Aufregung an den bevorstehenden Theaterbesuch zu denken, und Dodger dachte zum Beispiel: Eine Loge, meine Güte! Es bedeutet, dass viele Leute sie sehen können.
Aber kurz nachdem sie das Theater erreicht hatten, und zwar rechtzeitig genug, um niemanden in Verlegenheit zu bringen, nahmen die beiden Lakaien – oder zwei andere, die genauso aussahen – ihre Plätze hinter ihnen ein. Es mussten dieselben sein, denn als sich Dodger umwandte, erkannte er den Mann, der es nicht abwarten konnte, seiner alten Mutter von Dodger zu erzählen. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte der Mann kurz und zeigte einen großen Schlagring, der gleich darauf wie durch Magie wieder verschwand. Nun ja, immerhin etwas.
Dodger hatte schon vorher Schauspielhäuser besucht, inoffiziell, doch es dauerte eine Weile, bis er begriff, was auf der Bühne geschah. Solomon hatte zuvor versucht, ihm eine Vorstellung davon zu vermitteln, was es mit Julius Cäsar auf sich hatte, und Dodger glaubte, es mit einem Bandenkrieg zu tun zu haben, bei dem alle viel zu viel redeten. Die Worte flogen über seinen Kopf hinweg, und er bemühte sich, sie festzuhalten, und nach einer Weile dämmerte ihm langsam, worum es bei diesem Stück ging. Wenn man sich erst einmal an die Sprechweise und die vielen Bettlaken und alles andere gewöhnt hatte, wurde klar: Das Geschehen betraf scheußliche Leute. Als Dodger das dachte und sich fragte, welcher Seite er seine Sympathien schenken sollte, fiel ihm plötzlich ein, dass diese römischen Typen die Kanalisation gebaut und die Lady Cloacina genannt hatten.
Obwohl Julius Cäsar und die anderen Figuren auf der Bühne keine Anstalten machten, irgendwelche Abwasserkanäle zu konstruieren, fragte sich Dodger, ob er der Lady gegenüber den Namen verwenden sollte, den ihr die Römer gegeben hatten; vielleicht war es einen Versuch wert. Während die Reden auf der Bühne über ihn hinwegzogen, schloss er die Augen und versuchte sein Glück bei der römischen Göttin der Latrinen. Er hob die Lider wieder, als eine Stimme verkündete: »Es gibt Gezeiten für der Menschen Treiben; nimmt man die Flut wahr, führt sie uns zum Glück.« Mit großen Augen beobachtete Dodger die Schauspieler. Also, wenn man sich ein Zeichen wünschte, so war dies zweifellos besser als eine Ratte, die einem über den Stiefel lief!
Miss Coutts saß um des Anstands willen neben ihm, und Solomon leistete Simplicity Gesellschaft – da er ein alter Mann war, konnte man rein theoretisch davon ausgehen, dass er weder an Techtel noch an Mechtel dachte. Miss Coutts versetzte Dodger einen sehr diskreten Stoß und fragte: »Alles in Ordnung? Ich dachte, Sie seien eingeschlafen, und dann sind Sie zusammengezuckt.«
»Was?«, erwiderte Dodger. »O ja. Ich hab nur begriffen, dass es klappen wird, kein Zweifel.«
Dann verfluchte er sich für seine Dummheit, denn Angela flüsterte: »Was wird klappen, wenn ich fragen darf?«
Dodger murmelte: »Alles.« Und plötzlich schenkte er dem Geschehen auf der Bühne mehr Aufmerksamkeit und fragte sich, warum so viele Römer nötig waren, um einen Mann zu töten, erst recht nachdem es ein so übler Zeitgenosse zu sein schien.
Solomon nannte es ein Mahl. Was offenbar viel aufregender war als eine Mahlzeit. Es gab herrliches Schmalzfleisch und leckeren Aufschnitt, dazu eingelegtes Gemüse und Chutneys, die einem Tränen in die Augen trieben und Solomons Augen zum Glänzen brachten. Als sie mit dem Essen fertig waren, wandte sich Dodger an Angela. »Wo sind Ihre Bediensteten jetzt?«
»Im Bedienstetenzimmer. Ich muss nur läuten, wenn ich sie brauche.«
»Können sie uns hören?«
»Natürlich nicht, und darf ich Sie daran erinnern, junger Mann, dass die Bediensteten mein volles Vertrauen besitzen, wie Sie bereits wissen. Andernfalls hätte ich sie nicht eingestellt.«
Dodger stand auf. »Dann möchte ich, wenn Sie gestatten, Ihnen allen sagen, was morgen geschehen wird.«
Die Sache mit Geheimnissen ist, dass sie am besten bei einer Person aufgehoben sind. Das war das Besondere an Geheimnissen. Manche schienen zu glauben, dass sich Geheimnisse am besten hüten ließen, wenn man möglichst vielen Leuten davon erzählte, denn: Was konnte mit einem Geheimnis schiefgehen, wenn viele darüber wachten? Aber früher oder später musste Dodger sein Geheimnis mit jemandem teilen, und dies war der richtige Moment. Er brauchte auch einen Verbündeten, und dafür kam vor allem Angela infrage. Eine Frau, die mehr Geld hatte als Gott und trotzdem glücklich und am Leben war, musste Dodgers Meinung nach eine höchst kluge Frau sein. Also erzählte er alles, mit ruhigen, vorsichtigen Worten, ließ keine Einzelheit aus und fügte hinzu, was ihm Missus Holland über den Ausländer berichtet hatte. Als er alles erklärt hatte, blieb es eine Zeit lang sehr still.
Dann sagte Angela, ohne Dodger oder Simplicity anzusehen: »Nun, Mister Dodger, zuerst wollte ich Ihnen dieses sonderbare und sehr gefährliche Vorhaben auf der Stelle verbieten. Doch noch während ich Atem holte, bemerkte ich die Blicke zwischen Ihnen beiden und musste daran denken, dass Simplicity kein Kind ist, sondern eine verheiratete Frau. Ich sollte Ihnen vor allem dankbar sein, dass Sie mich in das Geheimnis eingeweiht haben. Und selbst wenn ich anschließend die Scherben kitten muss – die Angelegenheit betrifft vor allem Sie beide.« Sie sah Solomon an und fragte: »Was halten Sie davon, Mister Cohen?«
Die Antwort erfolgte nach einigen Sekunden. »Mmm, Dodger hat mir von dem Ausländer erzählt, und es ist unwahrscheinlich, dass er Dodger zu fassen bekommt, bevor der Plan verwirklicht wird. Was den Plan selbst betrifft … Er hat einige höchst beeindruckende Aspekte, denn wenn er gelingt, wird anschließend kaum jemandem daran gelegen sein, genaue Nachforschungen anzustellen. Und natürlich bin ich optimistisch beim Gedanken, dass der Kampf auf einem Schlachtfeld stattfinden wird, das meinem jungen Freund sehr vertraut ist; er kennt jeden einzelnen Quadratzentimeter des Geländes. Ich schätze, in der gegenwärtigen Situation könnte selbst Wellington mit einem Heer nicht mehr ausrichten.«
Dodgers Blick blieb unentwegt auf Simplicity gerichtet. Einmal hatte sie die Stirn gerunzelt, was seine Stimmung sofort trübte, doch als sie lächelte, gewann er seine Zuversicht sogleich zurück. Eigentlich war es sogar mehr als ein Lächeln: ein freches Grinsen wie von jemandem, der an einen schwachen Gegner denkt.
»Nun, meine Liebe«, sagte Angela, »Sie können für sich selbst entscheiden und haben meine Unterstützung jedem Mann gegenüber, der etwas anderes behauptet. Bitte, sagen Sie mir, was Sie von diesem haarsträubenden Unterfangen halten.«
Wortlos ging Simplicity auf Dodger zu und nahm seine Hand, was ihm ein Schaudern über den Rücken schickte, so schnell, dass es unten abprallte und nach oben zurückkehrte. »Ich vertraue Dodger, Miss Angela«, sagte sie. »Immerhin hat er schon viel für mich getan.«
Mit diesen Worten im Ohr sagte Dodger: »Äh, danke. Aber jetzt musst du dich von deinem Ehering trennen.«
Sofort berührte ihre Hand den Ring, und die Stille im Zimmer dröhnte durch die Abwesenheit von Geräuschen, während Dodger auf die Explosion wartete. Dann lächelte Simplicity und sagte: »Es ist ein hübscher Ring, nicht wahr? Er gefiel mir sehr, als er ihn mir überreichte. Und ich dachte, ich sei vor Gott verheiratet. Aber was wusste ich schon von der Ehe? Der arme Priester, der die Zeremonie durchführte, ist tot, ebenso zwei gute Freunde, und deshalb glaube ich, dass Gott nie etwas mit dieser Ehe zu tun hatte. Er war nie da, als ich geschlagen wurde oder als man mich in die Kutsche zerrte, aber dafür war plötzlich Dodger da. Ich vertraue meinem Dodger ganz und gar, Angela.« Sie sah ihm in die Augen und gab ihm den Ring mit einem Kuss, und für ihn hatte der Kuss wahrhaftig vierundzwanzig Karat.
Angela musterte Solomon, als dieser sagte: »Mmm, ich glaube, es besteht kein Zweifel, Angela. Was wir hier erleben, ist eine recht ungewöhnliche Version von Romeo und Julia.«
»Wie Sie meinen«, erwiderte Angela. »Aber als praktisch denkende Frau glaube ich, dass wir auch etwas von Was du willst brauchen. Mister Dodger, bevor Sie gehen, müssen wir beide über die Einzelheiten sprechen.«
Angelas Kutsche brachte Dodger und Solomon nach Seven Dials zurück. Sie wechselten kaum ein Wort, bis sie von Onans spätem Gassigang zurückkehrten, und selbst dann blieben sie in Gedanken versunken und sprachen kaum in der Dunkelheit. Schließlich sagte Solomon: »Ich glaube an dich, Dodger, und Miss Burdett-Coutts glaubt ein bisschen an dich. Aber Simplicity hat einen Glauben an dich, der, wenn ich das sagen darf, größer ist als der von Abraham.«
»Meinst du deinen Freund Abraham, den leicht verdächtigen Juwelier?«, fragte Dodger in die Finsternis hinein.
Und die Dunkelheit antwortete: »Nein, Dodger. Ich meine den Abraham, der bereit war, seinen Sohn dem Herrn zu opfern.«
»Nun«, entgegnete Dodger nach kurzem Zögern, »auf so etwas werden wir verzichten.«
Dann versuchte er zu schlafen, doch während er sich hin und her wälzte, sah er Simplicitys Gesicht vor sich und hörte sie sagen: »Ich vertraue meinem Dodger ganz und gar.«
Das Echo dieser Worte hallte zwischen seinen Knochen wider.
Am nächsten Morgen zählte er drei mutmaßliche Polizisten in Zivil, die in ihrem Bestreben auffielen, nicht auffällig zu sein. Er gab vor, sie nicht gesehen zu haben, aber Sir Robert Peel meinte es offenbar ernst. Zwei Nächte hintereinander hatte jemand vor seiner Bude gestanden, und jetzt waren sie auch am helllichten Tag da! Auf eine polizeiliche Art und Weise versuchten sie es mit neuen Methoden, indem sich niemand von ihnen in unmittelbarer Nähe des Mietshauses zeigte, aber zwei von ihnen unmittelbar hinter der Ecke standen, wo Dodger ihnen begegnen musste. Wurde Sir Robert unruhig?
Dodger war schon lange vor dem ersten Tageslicht fleißig gewesen, als Nebel, Dampf und rauchige Finsternis ihm reichlich Deckung gaben, und jetzt, als die Welt ein Stück entfernt erwachte, konnte man eine arme alte Frau sehen, die an den Polizisten vorbeihumpelte – falls jemand Gefallen daran fand, arme alte Frauen zu beobachten, von denen es auf dem Markt jede Menge gab, weil sie oft ihre Ehemänner überlebten und niemanden hatten, der sich um sie kümmerte. Dodger hielt es für traurig. Das war es immer, und manchmal sah man die alten Mädchen ihr kümmerliches Dasein fristen, wie sie Haushaltsstaub siebten, in der schwachen Hoffnung, darin noch irgendetwas Nützliches zu finden[7]. Und obwohl sie draußen arbeiteten, trugen sie nicht einmal einen anständigen Mantel. Und sie waren unheimlich und gruselig. Ja, das waren sie wirklich. Schrecklich leuchtende Augen hatten manche von ihnen, wenn sie eine klauenartige Hand ausstreckten und um einen Viertelpenny bettelten. Zahnlose alte Frauen mit verschrumpelten Gesichtern, die an Hexen erinnerten. Und man fand sie überall, überall dort, wo es ein wenig Schutz vor dem Regen gab.
Aber in diesem Fall handelte es sich um eine etwas rüstigere Alte, die einen Handkarren – ein Vehikel mit hohem Ansehen in diesem Teil der Stadt – durch Straßen und Gassen zog, was ihr offenbar erhebliche Mühe bereitete. Ein Beobachter auf dem Mond hätte gesehen, wie sie sich im Zickzack dem Ufer der Themse näherte, wo sie einen Penny für eine Überfahrt anbot. Allerdings bezahlte sie nur einen Viertelpenny, was nicht der offizielle Preis für die Überfahrt war, wie der Beobachter vielleicht wusste, aber der Kahnführer hatte noch nie eine Alte in so traurigem Zustand gesehen. Er dachte an die greise Mutter daheim, entdeckte eine gewisse Großzügigkeit in sich und bot der Alten sogar an, zu warten und sie erneut überzusetzen, wenn sie alles erledigt hatte. Als sie wenig später zu ihm zurückkehrte, musste er feststellen, dass eine eingewickelte Leiche auf ihrem Karren lag. Das war, offen gestanden, ein Problem, doch dann hielt einer seiner Kollegen am Kai und setzte einen Passagier ab. Der Kahnführer deutete auf das alte Mädchen und brachte seinen Kumpel dazu, ihm mit der Leiche zu helfen, die zum Glück noch nicht steif geworden war.
Dodger – denn das war die Alte in Wirklichkeit: Dodger – war mit dem Stand der Dinge recht zufrieden. Und er war auch ein bisschen verlegen, denn der Coroner von Four Farthings und sein Beamter hatten der alten Frau beim Beladen des Karrens geholfen und ihr versichert, dass die sterblichen Überreste ihrer Nichte die ganze Zeit über mit großem Respekt behandelt worden seien. Zweifellos ein Hinweis, der das Herz erfreute.
Dann gab es natürlich noch die Heimreise, diesmal gegen die Flut, und der Kahnführer begriff, dass er in dieser Situation nicht damit rechnen durfte, reich zu werden, weshalb er schroff sagte: »Na schön, wer A sagt, muss auch B sagen, ein Viertelpenny pro Kopf, und damit hat es sich.«
Die Fahrt übers Wasser dauerte nicht sehr lange, war aber recht unruhig wegen der Wellen, und anschließend half der Mann der armen Alten, den Karren aufs Kopfsteinpflaster zu setzen, und er traute seinen Augen nicht, als sie ihm nicht zwei Viertelpennys gab, sondern drei glänzende Sixpences und ihn den letzten Gentleman von London nannte. Dieses Erlebnis behielt er lange Zeit in liebevoller Erinnerung.
Die alte Frau befand sich nun wieder auf der richtigen Seite der Themse, und der Beobachter auf dem Mond konnte beobachten, wie sie ihren Karren durch eine dunkle, neblige Gasse zog, was sicher nicht ungefährlich war, und dort gab es eine schattenhafte Gestalt, die nach Gin roch, und ein sehr betrunkener und sehr gemein aussehender Mann fragte: »Hast du in deiner Tasche was für mich, Mütterchen?«
Ein auf der Bordsteinkante sitzender Schuhputzer, der sein Frühstück verzehrte, wurde Zeuge der Szene. Er dachte gerade, dass er dem Mütterchen vielleicht helfen sollte, als etwas Sonderbares geschah: Die Alte schien plötzlich zu verschwinden, und dann lag der Betrunkene am Boden, und das Mütterchen trat ihm ordentlich zwischen die Beine und rief: »Wenn ich dich hier noch einmal erwische, brate ich deine Innereien in meiner Grillpfanne, wart’s nur ab!« Und dann, nachdem sie ihr Kleid ein wenig zurechtgezogen hatte, wurde die Alte wieder zu … nun, zu einer Alten, und der Schuhputzer starrte noch immer, die Pellkartoffel halb zum offenen Mund gehoben. Das liebe alte Mütterchen winkte ihm fröhlich zu und sagte: »Junger Mann, von wem stammen denn die leckeren Pellkartoffeln?«
Was dazu führte, dass Dodger die Reise mit ziemlich vielen Kartoffeln in seiner Tasche fortsetzte, und er verteilte sie an die alten Frauen, die er mutterseelenallein am Straßenrand sitzen sah. Er hielt es für eine Buße. Und Gott musste diese Barmherzigkeit mit Wohlgefallen zur Kenntnis genommen haben, denn in der nächsten Straße entdeckte Dodger ein Lavendelmädchen, was ihm die Mühe ersparte, eins zu suchen – es wäre nicht besonders schwierig gewesen, eins zu finden, denn im Gestank von London kaufte dann und wann jeder gern ein wenig Lavendel. In diesem Fall verkaufte das Mädchen seinen ganzen Vorrat an die Alte, bedankte sich überschwänglich und ging in den nächsten Pub, während die nun wesentlich besser riechende alte Frau den Karren mit der Leiche weiterzog.
Einen Toten zu bewegen, ist nie einfach, doch im schmutzigeren Teil von Seven Dials kannte Dodger eine Gasse mit genau dem richtigen Gully. Und als er sich in der Kanalisation befand, war er natürlich in seinem Element. Er konnte seine Aufgabe erledigen, ohne dass die Menschen über ihm etwas davon bemerkten, und die Wahrscheinlichkeit, einem anderen Tosher zu begegnen, war gering. Und überhaupt, als König der Tosher konnte er tun und lassen, was er wollte. Wenn man in den Abwasserkanälen wusste, wonach es Ausschau zu halten galt, konnte man regelrechte Zimmer finden, Orte, denen die Tosher klingende Namen gegeben hatten, wie zum Beispiel Spitze oder Kleine Ruhe.
Dodger stapfte durch einen der Tunnel und machte sich an den unangenehmeren Teil der Arbeit. Dieser Abschnitt hatte bisher noch keinen Namen erhalten, und jetzt bekam er einen: Ruhe in Frieden. In den dunkleren Teilen von London war der Tod immer zugegen, und nur an einem sehr ungewöhnlichen Tag sah man keinen Trauerzug. Dies bewirkte eine besondere Art von Pragmatismus: Menschen lebten, Menschen starben, und andere Menschen mussten damit klarkommen. Dodger lag viel daran, am Leben zu bleiben, und deshalb legte er an dieser Stelle die Lumpen der Alten ab; darunter kam seine gewohnte Kleidung zum Vorschein. Er streifte große, gut eingefettete Lederhandschuhe über, wie es ihm Missus Holland geraten hatte, und er war dankbar für ihren Rat und auch dafür, dass er so viel Geld für den Lavendel ausgegeben hatte, denn wie man es auch sah: Den schweren, widerlichen, überall festhaftenden Geruch des Todes wollte er nicht länger ertragen als unbedingt nötig.
Mit dem Verkehr dicht über dem Kopf zog, drückte und hebelte er sehr gründlich, bis alles richtig aussah. Doch als er die Leiche der jungen Frau in der Ecke in Stellung brachte, seufzte sie, und ihr Kopf bewegte sich. Dodger dachte: Wenn so etwas geschieht, kann man froh sein, in einem Abwasserkanal zu stehen. Es hatte nichts zu bedeuten. Er wusste, dass Tote manchmal recht laut sein konnten, wie Missus Holland gesagt hatte. Mit all den Gasen und so weiter sprachen Leute manchmal noch nach ihrem Tod. Dodger öffnete den vorbereiteten Beutel, der Kampfer und Cayennepfeffer enthielt – das sollte die Ratten lange genug fernhalten.
Er trat zurück, betrachtete das Ergebnis seiner Bemühungen und war froh, sehr froh, dass er so etwas nie wieder tun musste. Und dann gab es nichts mehr zu tun, abgesehen davon, die Handschuhe einzupacken, und er achtete darauf, die Kanalisation ein ganzes Stück vom Tatort entfernt zu verlassen, wenn man die Stelle so nennen konnte. Er fand eine Pumpe und wusch sich die Hände mit Londoner Wasser, das verdächtig blieb, solange man es nicht abkochte, aber gute alte Laugenseife war ein zuverlässiger, wenn auch ätzender Helfer. Dann schlenderte Dodger nach Seven Dials zurück und gebärdete sich wie ein junger Mann, dem es Freude bereitete, im Sonnenschein spazieren zu gehen, der an diesem Tag ein bisschen seltsam war, als gehe weiter oben in der Luft irgendetwas vor sich.
Er bekam kaum Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn als er zu Hause eintraf, warteten dort zwei Peeler auf ihn, und einer von ihnen sagte: »Sir Robert würde gern mit dir reden, Bübchen.« Er schnupperte und sah den Rest von Lavendel, den Dodger mitgebracht hatte, denn in der Nähe von Onan war so etwas immer willkommen. »Blumen für dein Mädchen, wie?«
Dodger achtete nicht darauf, aber er hatte mit so etwas gerechnet, denn wenn die Peeler einmal Interesse bekundet hatten, blieben sie interessiert – vielleicht dachten sie, dass man früher oder später jeden Widerstand aufgeben und alles gestehen würde. Man konnte es für ein Spiel halten, und das Schlimme war: Wenn sie es spielten, gaben sie sich wie Freunde. Als der aufrechte Bürger, der Dodger war, ging er mit den beiden Männern nach Scotland Yard, stolzierte dabei aber wie ein Geezer, und alle konnten sehen, dass er die beiden Peeler nicht freiwillig begleitete – schließlich hatte er einen Ruf zu wahren. Es war schlimm genug, ein offizieller Held zu sein; noch viel schlimmer wäre es gewesen, aus freien Stücken zum Hauptquartier der Peeler zu marschieren. Es geschah nicht zum ersten, dritten oder zehnten Mal, dass die Peeler glaubten, Dodger am Wickel zu haben, aber sie waren jedes Mal schief gewickelt.
Sir Robert Peel wartete auf ihn. Dodger traute ihm noch immer nicht – er sah aus wie ein gelackter Typ, hatte aber so etwas wie Straßenschläue in den Augen. Der oberste Peeler musterte ihn und fragte: »Haben Sie jemals von einem gewissen Ausländer gehört, mein Freund?«
»Nein«, log Dodger nach dem Prinzip, dass man einem Polizisten, wenn es sich vermeiden ließ, nie die Wahrheit sagte.
Sir Robert musterte ihn mit ausdruckslosem Blick und wies darauf hin, dass Europas Polizeikräfte den Ausländer gern hinter Gittern sähen – oder noch besser am Galgen. »Er ist ein Mörder, ein Mann mit einem Verstand, scharf wie seine Messer. Nach allem, was wir in Erfahrung gebracht haben, forscht er nach dem Aufenthaltsort von Miss Simplicity und damit auch dem Ihren. Wir beide kennen die Hintergründe dieser Angelegenheit, und ich gehe davon aus, dass irgendwo irgendjemand sehr ungeduldig wird, wie die Ermordung des Schlauen Bob und seines … Mitarbeiters zeigt. Die Zeit scheint knapp zu werden, Mister Dodger. Sie sollten wissen, dass die britische Regierung nach Meinung vieler nichts falsch machen würde, wenn sie beschlösse, eine durchgebrannte Ehefrau zu ihrem Ehemann zurückzuschicken.« Er schniefte. »So abscheulich das für uns, die wir den Hintergrund der traurigen Geschichte kennen, auch sein mag. Die Uhr tickt, mein Freund. Den maßgebenden Persönlichkeiten gefällt es nicht, wenn man immer wieder ihre Pläne durchkreuzt, und an dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass ich mich selbst zu diesem Personenkreis zähle.«
Dodger hörte ein leises Trommeln, senkte den Blick und stellte fest, dass die Finger von Sir Roberts linker Hand auf einen Stapel vertraut wirkender Dokumente klopften.
Sir Robert sah ihn an und sagte: »Es ist meine Aufgabe, über gewisse Zusammenhänge Bescheid zu wissen, und so weiß ich, dass vor zwei Nächten in eine gewisse Botschaft eingebrochen wurde. Der unbekannte Dieb entwendete zahlreiche Unterlagen und diversen Schmuck, und kurze Zeit später hielt er es aus irgendeinem Grund für angebracht, den Stall anzuzünden. Wir suchen nach ihm, und es wird nicht unerheblicher Druck auf uns ausgeübt, damit wir ihn möglichst bald zur Strecke bringen.«
Dodgers Gesicht zeigte nur unschuldige Neugier, als Sir Robert fortfuhr: »Meine Leute haben vor Ort Ermittlungen in Hinsicht auf den Einbruch und die Brandstiftung angestellt. Dabei fanden sie Hinweise darauf, dass der Täter, bevor er das Feuer legte, etwas über dem Wappen in die Kutschentür ritzte, ein Wort, das offenbar Kasper lautet. Ich nehme an, Sie wissen nichts darüber.«
»Nun, Sir«, erwiderte Dodger munter, »Ihnen ist ja bekannt, dass wir am betreffenden Abend auf einer Dinnerparty waren. Anschließend bin ich mit Solomon heimgekehrt, der dies sicher gern bestätigen wird.« Und er dachte: Ob Solomon bei der Polizei für mich lügen würde? Sofort folgte ein zweiter Gedanke dem ersten: Solomon muss die Polizei überall in Europa belogen haben, mit Gottes Hilfe, und im Beisein eines Peelers wüsste er vielleicht nicht einmal, ob der Himmel blau ist.
Sir Robert lächelte, aber es war ein Lächeln ohne Wärme, und seine Finger trommelten etwas schneller. »Mister Dodger, ich bin mir völlig sicher, dass ich von Mister Cohen eine solche Aussage bekäme. Und da wir gerade dabei sind … Wissen Sie vielleicht etwas über den jüdischen Herrn, der uns heute Morgen einen Besuch abstattete und ein Päckchen mit Dokumenten für mich brachte? Nach Auskunft des diensthabenden Sergeants hat er es auf den Tresen gelegt und ist sofort wieder gegangen, ohne seinen Namen zu hinterlassen.« Das kühle Lächeln erschien erneut, und Sir Robert fuhr fort: »Natürlich sehen sich jüdische Herren in ihrer schwarzen Kleidung sehr ähnlich. Außenstehenden fällt es schwer, sie voneinander zu unterscheiden.«
»Wenn ich so darüber nachdenke …«, sagte Dodger. »Sie haben recht.« Dies gefiel ihm, und er glaubte, dass es auf eine verdrehte Art und Weise auch Sir Robert gefiel.
»Sie wissen also nichts«, sagte Sir Robert. »Sie wissen nichts, haben nichts gehört und waren natürlich auch nicht dort.« Er fügte hinzu: »Diese Dokumente sind bemerkenswert, äußerst bemerkenswert. Weshalb die Botschaft sie zurückhaben möchte. Natürlich weiß ich nicht, wo sie sich befinden. Solomon hat Sie bestimmt auf den Wert der Dinge hingewiesen, die Sie nach Hause gebracht haben, oder?«
»Oh, tut mir leid, Sir, Solomon hat mir nichts von Dokumenten erzählt, und ich habe sie nicht gesehen«, sagte Dodger und dachte: Für wen hält er mich, für ein Kleinkind?
»Ja-a-a«, sagte Sir Robert. »Übertreiben Sie es nicht mit der Schläue, Mister Dodger! Eines Tages könnten Sie sich selbst überlisten.«
»Ich bin auf der Hut, Sir, das verspreche ich.«
»Freut mich zu hören. Und nun können Sie gehen.« Als Dodger die Hand am Türknauf hatte, sagte Sir Robert: »Tun Sie so etwas nie wieder, junger Mann!«
»Ist überhaupt nicht möglich, Sir, hab’s ja gar nicht getan.« Den Kopf schüttelte er nur innerhalb seines Kopfs. Ja, sie warten immer, bis man glaubt, ihnen entkommen zu sein, und dann fallen sie über einen her. Ehrlich, ich könnte ihnen den einen oder anderen Kniff beibringen.
Er verließ Scotland Yard und rief: »Hab’s euch ja gesagt! Ihr Jungs könnt mir nichts anhängen!« Aber er dachte: Die Uhr tickt. Eine Regierungsuhr. Die Uhr des Ausländers. Und meine Uhr. Für Simplicity wär’s das Beste, wenn meine zuerst klingeln würde.
Was den Ausländer betraf … Hier zögerte er. Ein Mann, dessen einzige Beschreibung darauf hinauslief, dass er immer anders aussah? Wie sollte er einen solchen Mann ausfindig machen? Aber Dodger tröstete sich mit dem Gedanken: Wir sind dem Ziel sehr nahe, und er muss erst noch alles über mich herausfinden und feststellen, wo ich wohne. Das wird schwierig für ihn. Der Trost dieses Gedankens war allerdings nur von kurzer Dauer, denn ihm fiel ein, dass es sich bei dem Ausländer um einen berufsmäßigen Killer handelte, um einen gedungenen Mörder, der sich offenbar auf wichtige Leute spezialisiert hatte. Wie sollte es für jemanden wie ihn schwierig sein, einen rotznäsigen Tosher ausfindig zu machen und ins Jenseits zu befördern?
Dodger dachte darüber nach und sagte laut: »Ich bin Dodger! Es wird schwierig für ihn, und ob!«