August 1999: Die Männer von der Erde

Mit großer Ausdauer klopfte jemand an die Tür; er schien gar nicht wieder aufhören zu wollen. Frau Ttt öffnete.

»Bitte?«

»Sie sprechen ja Englisch!« rief der Mann verblüfft.

»Ich spreche, was ich spreche«, sagte sie.

»Klares, herrliches Englisch!« Der Mann trug eine Uniform. In seiner Begleitung waren drei weitere Männer, erschöpft, aber lächelnd und von oben bis unten schmutzig.

»Was wollen Sie?« fragte Frau Ttt.

»Sie sind eine Marsianerin!« Der Mann lächelte. »Die Bezeichnung kennen Sie natürlich nicht. So werden Sie auf der Erde genannt.« Er zeigte mit einer Kopfbewegung auf seine Männer. »Wir kommen von der Erde. Ich bin Kapitän Williams. Wir sind eben auf dem Mars gelandet. Und da wären wir nun, die Zweite Expedition! Es hat schon einmal eine Expedition gegeben, aber wir wissen nicht, was aus ihr geworden ist. Jedenfalls sind wir jetzt hier. Und Sie sind der erste Marsbewohner, den wir treffen!«

»Marsbewohner?« Sie hob fragend die Augenbrauen.

»Ich will damit sagen, Sie leben auf dem vierten Planeten dieses Sonnensystems, stimmt’s?«

»Selbstverständlich!« sagte sie und musterte die Männer verständnislos.

»Und wir.«, er legte seine dicke, rote Hand an die Brust, ». kommen von der Erde. Stimmt’s, Leute?«

»Jawohl, Sir!« riefen sie im Chor.

»Dies ist der Planet Tyrr«, sagte sie. »Wenn überhaupt, dann sollten Sie den richtigen Namen verwenden.«

»Tyrr, Tyrr.« Der Kapitän lachte schnaufend. »Was für ein schöner Name! Aber meine liebe Frau, wie kommt es, daß Sie so perfekt Englisch sprechen?«

»Ich spreche nicht«, sagte sie. »Ich denke. Telepathie, verstehen Sie? Guten Tag!« Und sie schlug die Tür zu. Im nächsten Augenblick klopfte der schreckliche Mann schon wieder.

Sie riß die Tür wieder auf. »Was ist denn jetzt?« fragte sie ärgerlich. Der Mann stand noch immer dort, ein wenig verwirrt, er versuchte zu lächeln, breitete die Hände aus. »Ich glaube, Sie verstehen nicht recht.«

»Was denn?« fragte sie.

Der Mann starrte sie überrascht an. »Wir kommen von der Erde!«

»Ich habe keine Zeit jetzt«, sagte sie. »Ich muß noch kochen und saubermachen und habe eine Menge zu nähen. Sie sollten sich lieber an meinen Mann wenden; er ist oben in seinem Arbeitszimmer.«

»Ja«, sagte der Mann von der Erde verwirrt und blinzelte. »Gut, dann sprechen wir eben mit Herrn Ttt.«

»Er hat zu tun.« Wieder knallte sie die Tür zu.

Jetzt war das Klopfen von einer höchst unverschämten Lautstärke.

»Nun hören Sie aber mal!« rief der Mann, als die Tür wieder aufgerissen wurde. Er drängte über die Schwelle, als wollte er sie überfallen. »So behandelt man doch keine Besucher!«

»Und der ganze Dreck auf meinen sauberen Fußboden!« rief sie. »Hinaus mit Ihnen! Wenn Sie ins Haus wollen, müssen Sie sich erst die Schuhe abputzen!«

Der Mann warf einen bestürzten Blick auf seine schmutzigen Stiefel. »Aber solche Kleinigkeiten sind doch jetzt wohl unwichtig«, sagte er. »Wir sollten das Ereignis feiern!« Er sah sie lange an, als hoffte er, sein Blick werde ihr Verständnis wecken.

»Wenn jetzt Ihretwegen meine Kristallsemmeln eingefallen sind«, sagte sie schrill, »kriegen Sie eins mit dem Besen über!« Sie bückte sich und starrte in einen kleinen Backofen. Als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht gerötet.

Sie war dünn und schnell wie ein Insekt. Ihre Stimme hatte einen scharfen metallischen Klang. Ihre Augen leuchteten hellgelb, und ihre Haut hatte einen sanften Braunton.

»Warten Sie hier. Ich will mal sehen, ob Sie einen Augenblick mit meinem Mann sprechen können. Was wollten Sie doch gleich?«

Der Mann fluchte, als hätte sie ihm mit einem Hammer auf die Finger geschlagen. »Sagen Sie ihm bitte, daß wir von der Erde kommen und daß es so etwas bisher noch nicht gegeben hat.«

»Was hat es noch nicht gegeben?« Sie hob ihre braune Hand und winkte ab. »Ach, lassen Sie nur. Ich bin gleich wieder da.« Das Geräusch ihrer Schritte wehte durch das Steinhaus.

Draußen wölbte sich der gewaltige blaue Marshimmel heiß und still wie ein warmes, tiefes Meer. Die Marswüste kochte wie ein prähistorischer Schlammgeysir, und die Hitze stieg in flimmerden Wogen von ihr auf. Auf einem Hügel in der Nähe stand ein wenig schräg eine kleine Rakete. Fußstapfen führten von der Rakete direkt zur Tür des Steinhauses.

Jetzt waren im ersten Stock aufgebrachte Stimmen zu hören. Die Männer an der Tür sahen sich unbehaglich an, traten von einem Fuß auf den anderen, drehten Däumchen und hakten die Finger in den Gürtel. Eine Männerstimme brüllte etwas, die Stimme der Frau antwortete. Nach einer Viertelstunde begannen die Männer von der Erde, weil es ihnen langweilig wurde, unruhig in der Küche auf und ab zu gehen.

»Zigarette?« fragte einer.

Jemand kramte ein Päckchen hervor, und sie zündeten sich Zigaretten an. Sie rauchten, und gemächliche hellweiße Wolken stiegen auf. Sie zupften an ihren Uniformen, knöpften sich die Kragen auf. Die Stimmen oben brummelten und summten weiter. Der Anführer der Männer sah auf die Uhr.

»Fünfundzwanzig Minuten«, seufzte er. »Möchte nur wissen, was die da oben machen.« Er trat an ein Fenster und sah hinaus.

»Heiß heute«, sagte einer der Männer.

»Ja«, sagte ein anderer in der trägen Wärme des jungen Nachmittags. Die Stimmen oben waren zu einem Murmeln geworden und dann verklungen. Darauf war im Haus kein Laut mehr zu hören, nur das Atmen der Männer in der Stille.

Eine Stunde verging in Schweigen. »Ich hoffe, daß wir ihnen keine Schwierigkeiten machen«, sagte der Kapitän. Er setzte sich in Bewegung und warf einen Blick ins Wohnzimmer.

Dort stand Frau Ttt und goß einige Blumen, die in der Mitte des Zimmers wuchsen.

»Oh, ich wußte doch, daß ich etwas vergessen hatte«, sagte sie, als sie den Kapitän erblickte. Sie kam in die Küche. »Es tut mir leid.« Sie reichte ihm ein Stück Papier. »Mein Mann hat leider keine Zeit.« Sie wandte sich ihrem Herd zu. »Außerdem könnte er Ihnen doch nicht weiterhelfen. Sie sprechen wohl besser mit Herrn Aaa. Nehmen Sie den Zettel und gehen Sie zum nächsten Hof, drüben am blauen Kanal. Vielleicht wird Ihnen Herr Aaa sagen können, was Sie wissen wollen.«

»Wir wollen ja überhaupt nichts wissen«, wandte der Kapitän ein und verzog seine dicken breiten Lippen. »Wir wissen eigentlich schon Bescheid.« »Sie haben da den Zettel, was wollen Sie noch?« fragte sie schroff. Sie gedachte, nichts mehr zu sagen.

»Na ja«, sagte der Kapitän widerstrebend. Er stand an der Tür, als warte er auf etwas. Er wirkte wie ein Kind vor einem leeren Weihnachtsbaum. »Na ja«, sagte er noch einmal. »Dann kommt, Leute.«

Die vier traten in den heißen, stillen Tag hinaus.

Eine halbe Stunde später hörte Herr Aaa, der gerade in seiner Bibliothek elektrisches Feuer aus einer Metalltasse schlürfte, Stimmen draußen auf dem gepflasterten Hof. Er beugte sich zum Fenster hinaus und blickte auf die vier uniformierten Männer hinab, die mit zusammengekniffenen Augen zu ihm heraufsahen.

»Sind Sie Herr Aaa?« riefen sie.

»Ja.«

»Herr Ttt hat uns zu Ihnen geschickt!« rief der Kapitän.

»Warum hat er das wohl getan?« fragte Herr Aaa.

»Er hatte keine Zeit!«

»Das ist aber schade«, sagte Herr Aaa sarkastisch. »Glaubt er etwa, ich hätte nichts anderes zu tun, als mich um die Leute zu kümmern, für die er keine Zeit hat?«

»Darum geht es doch nicht, Herr Aaa«, rief der Kapitän.

»Für mich schon. Ich habe noch viel zu lesen. Herr Ttt ist ein rücksichtsloser Patron, und zwar nicht zum erstenmal. Hören Sie mit dem Gefuchtel auf, bis ich fertig bin. Und passen Sie auf. Man hört gewöhnlich zu, wenn ich spreche. Und Sie hören mir jetzt höflich zu, oder ich sage überhaupt nichts.«

Die vier Männer im Hof bewegten sich unruhig und öffneten den Mund, und dem Kapitän, dessen Stirnadern deutlich hervortraten, glitzerten sogar ein paar kleine Tränen in den Augen.

»Also«, fragte sie Herr Aaa, »finden Sie dieses Benehmen von Herrn Ttt fair?«

Die vier Männer starrten durch die Hitze nach oben. Der Kapitän sagte: »Wir kommen von der Erde!«

»Ich finde, es ist sehr unfein von ihm«, sagte Herr Aaa düster.

»Eine Rakete. Wir sind darin hierher geflogen. Dort drüben steht sie.«

»Wissen Sie, es ist nicht das erstemal, daß sich Herr Ttt so schlecht benimmt.«

»Die ganze Strecke von der Erde.« »Eigentlich hätte ich Lust, ihn anzurufen und ihm einmal die Meinung zu sagen.«

»Nur wir vier; ich und die drei hier, meine Mannschaft.«

»Ich ruf ihn an, ja, das mach’ ich!«

»Erde. Rakete. Männer. Flug. Weltall.«

»Ich ruf ihn an und geb’ ihm gehörig Zunder!« rief Herr Aaa. Er verschwand wie eine Marionette von der Bühne. Gleich darauf entbrannte ein ärgerlicher Wortwechsel mittels einem seltsamen Apparat. Unten sahen der Kapitän und seine Mannschaft sehnsüchtig zu ihrem schönen Raumschiff hinüber, das dort so süß und lieblich auf dem Hügel stand.

Herr Aaa riß in wildem Triumph das Fenster auf. »Bei den Göttern, ich hab’ ihn zum Duell gefordert! Zum Duell!«

»Herr Aaa.«, begann der Kapitän von neuem.

»Ich erschieße ihn, hören Sie?«

»Herr Aaa, ich möchte Ihnen etwas sagen. Wir haben sechzig Millionen Meilen zurückgelegt.«

Herr Aaa sah den Kapitän zum erstenmal richtig an. »Woher - sagten Sie - sind Sie gekommen?«

Der Kapitän schenkte ihm ein erleichtertes Lächeln. »Jetzt kommen wir endlich weiter?« flüsterte er seinen Männern zu, und zu Herrn Aaa sagte er: »Wir haben sechzig Millionen Meilen zurückgelegt, von der Erde!«

Her Aaa gähnte. »Es sind zu dieser Jahreszeit nur fünfzig Millionen Meilen.« Er nahm eine bösartig wirkende Waffe in die Hand. »Ich muß jetzt leider gehen. Hier, nehmen Sie Ihren dummen Zettel wieder, obwohl ich nicht weiß, was er Ihnen nützen sollte, und gehen Sie dort über den Hügel in das kleine Dorf Iopr und erzählen Sie Herrn Iii davon. Er ist der richtige Mann für Sie. Nicht Herr Ttt, der ist ein Idiot; ich bringe ihn nachher um. Und ich bin auch nicht dafür zuständig, weil das nicht auf meiner Linie liegt.«

»Linie! Linie!« platzte der Kapitän heraus. »Muß man denn einen bestimmten Beruf ausüben, um Besucher von der Erde zu begrüßen?«

»Seien Sie kein Dummkopf, das weiß doch jedes Kind!«

Herr Aaa eilte ins Erdgeschoß herunter. »Auf Wiedersehen!« Und er rannte über den Hof davon wie ein aufgescheuchtes Kaninchen.

Die vier Weitgereisten blickten ihm erschüttert nach.

Schließlich sagte der Kapitän: »Und wir finden doch noch jemand, der uns anhört!«

»Vielleicht können wir das Ganze wiederholen«, sagte einer der Männer müde. »Vielleicht sollten wir starten und noch einmal landen. Damit geben wir den Leuten Gelegenheit, eine Party auf die Beine zu stellen.«

»Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee«, murmelte der erschöpfte Kapitän.

Die kleine Stadt war voller Menschen - Menschen, die in den Häusern aus und ein gingen, die sich begrüßten, die in angenehmer Abwechslung goldene Masken und blaue Masken und scharlachrote Masken trugen, Masken mit silbernen Lippen und bronzenen Brauen, Masken, die je nach Stimmung des Trägers lächelten oder düster dreinschauten.

Die vier Männer, von dem langen Marsch erhitzt, blieben stehen und fragten ein kleines Mädchen nach Herrn Iiis Haus.

»Da.« Das kleine Mädchen bezeichnete die Richtung durch ein Kopfnicken.

Vorsichtig ließ sich der Kapitän auf ein Knie nieder und sah in das sanfte junge Gesicht. »Kleines Mädchen, ich möchte mal mit dir sprechen.«

Er setzte sie auf sein Knie und faltete ihre kleinen braunen Finger in seinen großen Händen, als wollte er ihr eine Gutenachtgeschichte erzählen, die er sich eben im Geist langsam und mit großer Freude am Detail zurechtlegte.

»Also - ich will dir’s genau erzählen, kleines Mädchen. Vor sechs Monaten ist eine erste Rakete auf dem Mars gelandet. Ein Mann namens York war darin, und sein Begleiter. Wir wissen nicht, was den beiden widerfahren ist. Vielleicht sind sie abgestürzt. Sie flogen in einer Rakete, wie wir. Du solltest sie mal sehen! Eine große Rakete! Wir sind also die Zweite Expedition, nach der Ersten! Und wir sind den ganzen Weg von der Erde hierher geflogen.«

Unbewußt machte das kleine Mädchen eine Hand frei und hielt sich eine ausdruckslose goldene Maske vor das Gesicht. Dann brachte es eine goldene Spielzeugspinne zum Vorschein und ließ sie, während der Kapitän weitersprach, zu Boden fallen. Die Spielzeugspinne kroch gehorsam wieder an ihrem Bein hoch, während sie das Gebilde nüchtern durch die Sehschlitze ihrer ausdruckslosen Maske betrachtete und der Kapitän sie sanft schüttelte, um ihr seine Geschichte zu Bewußtsein zu bringen.

»Wir kommen von der Erde«, sagte er. »Glaubst du uns?«

»Ja.« Das kleine Mädchen betrachtete ihre Zehen, die sie im Sande bewegte.

»Gut.« Der Kapitän kniff sie in den Arm, ein wenig jovial, aber auch ein wenig in der Absicht, ihre Aufmerksamkeit zu wecken. »Wir haben unsere Rakete selbst gebaut. Glaubst du das?«

Das kleine Mädchen erforschte seine Nase mit einem Finger. »Ja.«

»Und - nimm den Finger aus der Nase, Mädchen - ich bin der Kapitän, und.«

».noch nie sind Menschen mit einem großen Raumschiff durch das Weltall geflogen«, sagte das kleine Wesen mit geschlossenen Augen.

»Wunderbar! Woher weißt du das?«

»Oh«, sagte sie. »Telepathie.« Sie wischte geistesabwesend ihren Finger am Knie ab.

»Und bist du nicht wenigstens ein bißchen aufgeregt?« rief der Kapitän. »Freust du dich nicht?«

»Sie gehen am besten gleich zu Herrn Iii.« Sie ließ ihr Spielzeug zu Boden fallen. »Herr Iii wird sich gern mit Ihnen unterhalten.« Sie rannte davon, und die Spielzeugspinne hastete gehorsam hinter ihr her.

Der Kapitän hockte am Boden und sah ihr mit ausgestreckter Hand nach. Seine Augen waren feucht. Er betrachtete mit offenem Mund seine leeren Hände. Die drei anderen Männer umstanden ihn; ihre Schatten waren klein. Sie spuckten auf die gepflasterte Straße.

Herr Iii kam selbst an die Tür. Er war zwar auf dem Weg zu einem Vortrag, aber er konnte noch eine Minute erübrigen, wenn sie schnell hereinkämen und ihm sagten, was sie wollten.

»Wir wünschen uns nur ein wenig Interesse«, begann der Kapitän müde; seine Augen waren gerötet. »Wir kommen von der Erde, wir haben eine Rakete, zu viert sind wir, Mannschaft und Kapitän, und sind müde und hungrig und hätten gern eine Unterkunft für die Nacht. Wir würden es begrüßen, wenn uns jemand die Schlüssel zur Stadt überreichte oder so, oder wenn man uns wenigstens die Hand schüttelte und >Hurra< oder >Glückwunsch, alter Knabe< sagte. Das wär’s etwa.«

Herr Iii war ein großer, dürrer, unscheinbarer Mann, der seine gelblichen Augen hinter dicken blauen Kristallen verbarg. Er beugte sich über seinen Tisch und sah düster einige Papiere durch. Von Zeit zu Zeit blickte er auf und starrte seine Besucher durchdringend an.

»Äh, ich habe die Formulare jetzt nicht hier, ich glaub’s jedenfalls nicht.« Er wühlte in den Schreibtischschubladen. »Wohin habe ich sie bloß gelegt?« Er überlegte. »Irgendwohin. O ja. Da sind sie ja! Also!« Geschäftsmäßig reichte er dem Kapitän die Papiere. »Sie müssen natürlich zunächst einmal die Formulare ausfüllen.«

»Müssen wir den ganzen Zirkus wirklich durchmachen?«

Herr Iii beäugte ihn glasig. »Sie sagen doch, Sie wären von der Erde, ja? Na, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als zu unterschreiben.«

Der Kapitän schrieb seinen Namen hin. »Sollen die anderen auch unterzeichnen?«

Herr Iii sah zuerst den Kapitän und dann die drei anderen an und schnaubte spöttisch. »Die anderen sollen mit unterzeichnen? Ha! Wie herrlich! Die anderen, oh, die anderen sollen mit unterschreiben!« Tränen traten ihm in die Augen. Er klatschte sich aufs Knie und beugte sich vor, während aus seinem klaffenden Mund ein ruckartiges Gelächter drang. Nur der Tisch hielt ihn noch aufrecht. »Die anderen sollen mit unterschreiben!« gackerte er.

Die vier Männer sahen ihn düster an. »Was ist daran so lustig?«

»Die anderen sollen mit unterzeichnen!« gluckste Herr Iii, von seinem Lachanfall sichtlich geschwächt. »Sehr lustig. Das muß ich Herrn Xxx erzählen!« Noch immer lachend, las er das ausgefüllte Formular durch. »Scheint ja alles in Ordnung zu sein.« Er nickte. »Auch die EuthanasieKlausel, für den Fall, daß dieser letzte Schritt nötig wird.«

»Was für eine Klausel?«

»Sagen Sie nichts. Ich habe etwas für Sie. Hier, nehmen Sie den Schlüssel.«

Der Kapitän lief rot an. »Das ist eine große Ehre für uns.«

»Nicht der Schlüssel zur Stadt, Sie Dummkopf!« sagte Herr Iii, »sondern hier für das Haus. Gehen Sie durch den Korridor, schließen Sie die große Tür auf, gehen Sie hinein und machen Sie die Tür wieder fest zu. Sie können die Nacht dort verbringen. Morgen früh schicke ich Ihnen dann Herrn Xxx.«

Zweifelnd nahm der Kapitän den Schlüssel entgegen. Er blickte zu Boden. Seine Männer bewegten sich nicht. Alles Blut, alles Raketenfieber schien aus ihren Körpern gewichen zu sein. Sie waren leer, erschöpft, ausgelaugt.

»Was ist? Was ist los?« fragte Herr Iii. »Worauf warten Sie noch? Was wollen Sie?« Er trat näher, beugte sich herab und sah dem Kapitän ins Gesicht. »Hinaus mit Ihnen!«

»Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht.«, begann der Kapitän. »Ich meine, könnten Sie mal.« Er zögerte. »Wir haben große Strapazen hinter uns, wir haben eine lange Reise gemacht, vielleicht könnten Sie uns zumindest die Hände schütteln und sagen: >Gut gemacht<, wäre das -möglich?.« Er brach ab.

Herr Iii reichte ihm förmlich die Hand. »Glückwunsch!« Er lächelte kühl. »Glückwunsch.« Er wandte sich ab. »Ich muß jetzt gehen. Denken Sie an den Schlüssel.«

Ohne sich weiter um sie zu kümmern, als wären sie im Boden versunken, machte sich Herr Iii daran, überall im Raum Papiere zusammenzusuchen und in einen kleinen Aktenkoffer zu packen. Noch volle fünf Minuten lang hielt er sich im Zimmer auf, aber nicht einmal richtete er das Wort an das traurige Quartett, das noch immer herumstand - mit hängenden Köpfen, bleischweren Beinen und verlöschendem Blick. Als Herr Iii durch die Tür verschwand, betrachtete er flüchtig seine Fingernägel.

Im gedämpften, stillen Licht des Nachmittags gingen sie durch den Korridor und gelangten zu einer großen, schimmernden Silbertür, in deren Schloß der silberne Schlüssel paßte. Sie traten ein, schlossen die Tür und sahen sich um.

Sie befanden sich in einem großen, lichtdurchfluteten Saal. Männer und Frauen saßen an Tischen oder standen in Gruppen beieinander und unterhielten sich. Als die Tür sich schloß, verstummten sie und musterten die vier Uniformierten.

Ein Marsianer trat vor und verbeugte sich. »Ich bin Herr Uuu«, sagte er.

»Und ich bin Kapitän Jonathan Williams aus New York auf der Erde«, sagte der Kapitän lustlos.

Augenblicklich verwandelte sich der Saal in einen Hexenkessel!

Die Dachbalken erzitterten von tosendem Geschrei. Die Leute rannten herbei und winkten und brüllten fröhlich; sie warfen Tische um, schwärmten aus und tollten herum, packten die vier Männer von der Erde und hoben sie blitzschnell auf die Schultern. Sechsmal rannten sie um den Saal - sechs wunderbare Runden, wobei sie hüpften und tanzten und sangen.

Die Männer von der Erde waren so überrascht, daß sie eine volle Minute lang auf den auf und ab hopsenden Schultern geritten waren, ehe auch sie zu lachen und einander zuzurufen begannen: »He! Das sieht ja schon besser aus!«

»Ja, so ist’s richtig! Himmel! Hey! Hallo! Juchhee!«

Sie winkten einander vergnügt zu. Sie warfen die Arme hoch und klatschten begeistert in die Hände. »Hey!«

»Hurra!« rief die Menge.

Man setzte die Männer von der Erde auf einen Tisch. Das Gebrüll verstummte.

Der Kapitän brach fast in Tränen aus. »Danke. Das tut gut, so gut.«

»Erzählen Sie von sich«, sagte Herr Uuu.

Der Kapitän räusperte sich und begann mit seiner Ansprache.

Immer wieder wurden Ausrufe des Staunens laut. Darauf stellte Williams seine Mannschaft vor, und jeder der Männer hielt eine kleine Rede und wehrte verlegen den donnernden Applaus ab.

Herr Uuu schlug dem Kapitän auf die Schulter. »Es ist prima, einen anderen Menschen von der Erde kennenzulernen. Ich komme auch von der Erde.«

»Wie bitte?«

»Viele hier sind von der Erde.«

»Sie! Von der Erde?« Der Kapitän starrte sein Gegenüber entgeistert an. »Aber ist denn das möglich? Sind Sie in einer Rakete gekommen? Gibt es die Raumfahrt etwa schon seit Jahrhunderten?« In seiner Stimme schwang leichte Enttäuschung mit. »Aus - aus welchem Land kommen Sie denn?«

»Tuiereol. Der Geist meines Körpers hat mich vor Jahren hierher versetzt.«

»Tuiereol.« Der Kapitän sprach das Wort langsam nach. »Ein Land dieses Namens kenne ich nicht. Und wie war das mit dem Geist?«

»Und Fräulein Rrr da drüben kommt auch von der Erde, nicht wahr, Fräulein Rrr?«

Fräulein Rrr nickte und lachte seltsam.

»Und ebenso Herr Www und Herr Qqq und Herr Vvv!«

»Ich komme vom Jupiter«, erklärte ein Mann und richtete sich stolz auf.

»Und ich vom Saturn«, sagte ein anderer mit schelmisch blitzenden Augen.

»Jupiter, Saturn«, murmelte der Kapitän und kniff die Augen zusammen.

Es war jetzt mit einemmal sehr still; die Anwesenden saßen oder standen um die Tische, die seltsam leer anmuteten für ein Festbankett. Goldene Augen leuchteten, und hohle Wangen warfen dunkle Schatten. Der Kapitän bemerkte plötzlich, daß der Raum keine Fenster hatte, das Licht schien durch die Wände hereinzudringen. Es gab nur eine Tür. Der Kapitän duckte sich ein wenig. »Das alles ist so verwirrend. Wo liegt denn dieses Tuiereol auf der Erde? In der Nähe von Amerika?«

»Was ist Amerika?«

»Sie haben noch nie von Amerika gehört! Sie behaupten, Sie wären von der Erde, und kennen Amerika nicht?«

Herr Uuu richtet sich ärgerlich auf. »Die Erde ist eine Welt der Meere, und etwas anderes gibt es dort nicht. Kein Land jedenfalls. Ich bin von der Erde, ich muß es wissen.«

»Moment mal.« Der Kapitän lehnte sich zurück. »Sie sehen wie ein richtiger Marsianer aus. Gelbe Augen, braune Haut.«

»Auf der Erde gibt es nur Dschungel«, warf Fräulein Rrr dazwischen. »Ich bin auf Orri auf der Erde, aus einer Zivilisation, die sich auf Silber gründet.«

Da wandte der Kapitän den Kopf und ließ seinen Blick wandern von Herrn Uuu zu Herrn Www und weiter zu Herrn Zzz und Herrn Nnn und Herrn Hhh und Herrn Bbb. Er sah in ihre gelben Augen, deren Glanz sich unstet irisierend veränderte. Und da schauderte der Kapitän zusammen. Schließlich wandte er sich seinen Männern zu und betrachtete sie niedergeschlagen.

»Merken Sie, was das hier ist?«

»Was glauben Sie, Sir?«

»Jedenfalls keine Feier«, erwiderte er müde. »Das ist kein Bankett. Und die Leute da sind auch keine Regierungsvertreter auf einer Begrüßungsparty. Schauen Sie sich die Augen an. Hören Sie mal genau hin!«

Niemand atmete. Nur die Augen bewegten sich, stumm gingen die Blicke dahin und dorthin.

»Jetzt verstehe ich auch«, die Stimme des Kapitäns klang wie von weit her, »warum man uns laufend weitergereicht hat, von einem zum anderen, bis wir zu Herrn Iii kamen, der uns in den Korridor schickte mit einem Schlüssel für eine Tür. Und hier sind wir nun.«

»Wo sind wir denn, Sir?«

Der Kapitän atmete tief. »In einem Irrenhaus.«

Es war Nacht. Stille herrschte in dem großen Saal, der durch versteckte Lampen in den durchscheinenden Wänden schwach erleuchtet wurde. Die vier Männer von der Erde saßen an einem Holztisch, düster über ihr Flüstern gebeugt. Auf dem Fußboden lagen Männer und Frauen und schliefen. In den dunklen Ecken rührten sich hier und da Männer oder Frauen, die mit den Händen gestikulierten. Etwa jede halbe Stunde ging einer der Männer von der Erde zur Silbertür, versuchte sie zu öffnen und kehrte zum Tisch zurück. »Nichts, Sir. Wir sind eingeschlossen.«

»Dann hält man uns tatsächlich für verrückt, Sir?«

»Ja. Deshalb hat es auch keine Umstände bei der Begrüßung gegeben. Die Marsianer haben uns nur als Geisteskranke toleriert, die es hier wohl ziemlich häufig gibt.« Er deutete auf die schlafenden Schatten ringsum. »Paranoide, sie alle! Was für ein Willkommen sie uns bereitet haben! Einen Moment lang«, in seinen Augen glomm ein winziges Feuer auf und erlosch sofort wieder, »dachte ich wirklich, wir bekämen eine richtige Begrüßung. All das Geschrei und Gesinge und die Reden. Ganz nett, jedenfalls solange.«

»Wie lange wird man uns hierbehalten, Sir!«

»Bis wir bewiesen haben, daß wir nicht geisteskrank sind.«

»Das dürfte kein Problem sein.«

»Ich hoffe es.«

»Sie scheinen nicht sehr optimistisch zu sein, Sir.«

»Bin ich auch nicht. Werfen Sie mal einen Blick dort in die Ecke.«

Ein Mann hockte allein in der Dunkelheit. Seinem Mund entströmte eine blaue Flamme, welche die Form einer kleinen nackten Frau annahm. Das Bild erblühte in flüsternden und seufzenden Wolken aus blauem Licht.

Der Kapitän deutete in eine andere Ecke. Dort stand eine Frau, die sich beständig veränderte. Zuerst war sie in einer Kristallsäule eingeschlossen, dann schmolz sie zu einer goldenen Statue, verwandelte sich in einen Stab aus schimmerndem Zedernholz und wurde schließlich wieder zu einer Frau.

Überall im mitternächtlichen Saal jonglierten die Menschen ihre dünnen violetten Flammen und formten und veränderten sie, denn die Nacht war eine Zeit der Veränderung und Qual.

»Zauberer, Magier«, flüsterte einer der Männer von der Erde.

»Nein, Halluzinationen. Sie übertragen ihren Wahnsinn auf uns, damit auch wir ihre Halluzinationen sehen. Telepathie. Autosuggestion und Telepathie.«

»Und das macht Ihnen Sorge, Sir?«

»Ja. Es ist kein Wunder, daß wir für geisteskrank gehalten werden, wenn uns Halluzinationen derart >real< Vorkommen können, uns und anderen. Und wenn diese Halluzinationen durchaus greifbar und fast glaubwürdig erscheinen. Wenn der Mann dort kleine blaue Feuergestalten bilden und die Frau sich in eine Säule verwandeln kann, wird es verständlich, daß normale Marsianer auch unsere Rakete nur für ein Fantasieprodukt halten könnten.«

»Ach so«, sagten seine Männer in der Dunkelheit.

Ringsum im großen Saal schimmerten blaue Flammen und flackerten und vergingen wieder. Kleine rote Sanddämonen rannen durch die Zähne schlafender Männer. Frauen wurden zu glitzernden Schlangen. Es roch nach Reptilien und Tieren.

Am Morgen sahen alle wieder frisch und fröhlich und völlig normal aus. Flammen und Dämonen gab es nicht mehr im Saal. Der Kapitän und seine Männer warteten vor der Silbertür und hofften, daß sie sich öffnen würde.

Nach etwa vier Stunden kam endlich Herr Xxx. Sie hatten den Verdacht, daß er schon mindestens drei Stunden lang auf der anderen Seite der Tür gewartet und zu ihnen hereingeschaut hatte, ehe er jetzt in Erscheinung trat und sie heranwinkte und in sein kleines Büro führte.

Nach seiner Maske zu urteilen, die nicht nur ein, sondern gar drei Lächeln zeigte, war er ein jovialer, gutgelaunter Mann. Die Stimme hinter der Maske jedoch war die Stimme eines nicht sehr lächelnden Psychologen. »Was haben wir denn für Sorgen?«

»Sie halten uns für wahnsinnig, aber Sie tun uns unrecht, das sind wir nicht«, sagte der Kapitän.

»Oh, ich halte nicht Sie alle für verrückt.« Der Psychologe deutete mit einem kleinen Stab auf den Kapitän. »Nur Sie, Sie! Die anderen sind sekundäre Halluzinationen.«

Der Kapitän schlug sich auf das Knie. »Das ist es also! Deshalb hat Herr Iii so fürchterlich gelacht, als ich vorschlug, daß auch meine Männer die Papiere unterschreiben sollten.«

»Ja, Herr Iii hat mir davon erzählt.« Der Psychologe lachte durch den geschnitzten, lächelnden Mund. »Ein guter Witz. Wo war ich stehengeblieben? Sekundäre Halluzinationen, ja. Es kommen Frauen zu mir, denen Schlangen aus den Ohren kriechen. Wenn ich sie heile, verschwinden die Schlangen.«

»Wir lassen uns gern heilen. Fangen Sie ruhig sofort an.«

Herr Xxx schien überrascht. »Ungewöhnlich. Nur wenige wollen sich heilen lassen. Denn die Behandlung ist ziemlich drastisch.«

»Scheuen Sie sich nicht. Ich bin sicher, daß Sie uns ganz normal finden werden.«

»Ich möchte mir zuerst noch einmal Ihre Papiere ansehen, ob danach auch wirklich eine >Behandlung< möglich ist.« Er sah in seinen Unterlagen nach. »Ja. Wissen Sie, Fälle wie der Ihre erfordern eine ganz besondere >Behandlung<. Die Leute dort im Saal sind relativ harmlose Fälle, doch wenn man in den Primär-, Sekundär-, Gehör-, Geruchs- und Geschmackshalluzinationen sowie in den Tast- und Sehtäuschungen bereits eine derartige Fertigkeit erlangt hat wie Sie, bleibt uns - darauf muß ich Sie leider hinweisen - als einziges Mittel die Euthanasie.«

Mit einem Aufschrei fuhr der Kapitän hoch. »Hören Sie mal, jetzt haben wir aber genug! Untersuchen Sie uns, hauen Sie uns ans Knie, horchen Sie uns ab, stellen Sie Fragen!«

»Bitte reden Sie, soviel Sie wollen. Machen Sie sich Luft.«

Der Kapitän tobte eine Stunde lang. Der Psychologe hörte geduldig zu.

»Unglaublich«, sagte er. »Die detaillierteste Traumvorstellung, die ich je gehört habe.«

»Verdammt noch mal, wir zeigen Ihnen die Rakete!« brüllte der Kapitän.

»Ja, ich würde sie gern sehen. Können Sie sie hier im Zimmer erscheinen lassen?«

»Oh, selbstverständlich. Sie liegt dort bei Ihren Akten, unter R.«

Ernsthaft schaute Herr Xxx in der bezeichneten Akte nach. Dann machte er »T-t-t« und schloß den Ordner langsam wieder. »Warum haben Sie mir das gesagt? Die Rakete ist nicht dort.«

»Natürlich nicht. Sie Idiot! Ich habe nur einen Witz gemacht! Machen Verrückte Witze?« »Man stößt auf die komischsten Typen. Führen Sie mich zu Ihrer Rakete. Ich will sie sehen.«

Es war Mittag. Der Tag war sehr heiß, als sie die Rakete erreichten.

»So.« Der Psychologe trat dicht an das Schiff heran und klopfte dagegen. Es gab ein leises, hallendes Geräusch. »Darf ich hineingehen?« fragte er listig.

»Bitte.«

Herr Xxx verschwand im Schiff und blieb lange Zeit fort.

»Von allen blöden, verqueren Situationen haben wir uns die denkbar blödeste ausgesucht.« Der Kapitän kaute auf seiner Zigarre herum und wartete. »Ich hätte große Lust, wieder nach Hause zu fliegen und unseren Leuten zu sagen, sie sollten den Mars vergessen. Was für ein mißtrauischer Haufen!«

»Wie ich höre, ist die Geisteskrankheit hier ziemlich verbreitet. Das dürfte der Hauptgrund für die Zweifel sein.«

»Trotzdem ist das alles so verdammt blöd.«

Der Psychologe kam aus dem Schiff geklettert, nachdem er eine halbe Stunde geschaut, getastet, geklopft, gelauscht, berochen und geschmeckt hatte.

»Jetzt werden Sie uns doch wohl Glauben schenken!« rief der Kapitän, als hielte er den anderen für taub.

Der Psychologe schloß die Augen und kratzte sich an der Nase. »Das ist das unglaublichste Beispiel sensorischer Halluzination und Hypnosuggestion, das ich jemals erlebt habe. Ich bin durch Ihre ganze >Rakete< gestiegen, wie Sie es nennen.« Er klopfte an die Außenhülle. »Ich höre sie. Akustische Einbildung.« Er atmete tief ein. »Ich rieche sie. Geruchshalluzination, hervorgerufen durch sensorische Telepathie.« Er küßte das Schiff. »Ich schmecke das Schiff. Labiale Einbildung!«

Er schüttelte dem Kapitän die Hand. »Darf ich Sie beglückwünschen? Sie sind ein psychisches Genie! Sie haben etwas absolut Vollkommenes geschaffen! Ihr psychisches Innenleben auf telepathischem Wege im Geiste eines anderen erstehen zu lassen und die Halluzinationen dort in unveränderter Stärke aufrechtzuerhalten, ist fast unmöglich. Die Kranken im Saal konzentrieren sich gewöhnlich auf visuelle Aspekte, allenfalls wird Visuelles und Akustisches vermengt. Sie dagegen haben die ganze Skala gemeistert! Ihr Wahnsinn ist von einer geradezu herrlichen Totalität!« »Mein Wahnsinn.« Der Kapitän war bleich.

»Ja, ja, was für ein herrlicher Wahnsinn! Metall, Gummi, Schwerkraftgeräte, Nahrungsmittel, Kleidung, Treibstoff, Waffen, Leitern, Nieten, Löffel. Zehntausend verschiedene Dinge habe ich an Bord Ihres Schiffes registriert. Eine solche komplexe Halluzination habe ich noch nicht erlebt. Da waren sogar Schatten unter den Kojen - unter allem! Was für eine Willenskraft! Und jeder Gegenstand - wie oder wann ich ihn auch überprüfte, besaß Festigkeit, Geschmack und Klang! Ich muß Sie umarmen!«

Endlich trat er wieder zurück. »Ich werde das in meiner größten Monographie verarbeiten! Ich spreche im nächsten Monat vor der Marsianischen Akademie der Wissenschaften darüber! Und betrachten Sie sich einmal im Spiegel! Sie haben sogar Ihre Augenfarbe von Gelb zu Blau verändert, und Ihre Haut ist nicht mehr braun, sondern rot. Und dann Ihre Kleidung und Ihre Hände, die keine sechs, sondern nur fünf Finger haben! Biologische Metamorphose durch psychologisches Gestörtsein! Und Ihre drei Freunde.«

Er holte eine kleine Schußwaffe hervor. »Natürlich unheilbar. Sie armer, wunderbarer Mensch. Der Tod wird Sie erlösen. Haben Sie noch etwas zu sagen, bevor ich Sie erlöse?«

»Halt, um Gottes willen! Schießen Sie nicht!«

»Sie armes Wesen. Ich werde Sie von dem Leiden befreien, das Sie so weit in den Wahn getrieben hat, sich die Existenz der Rakete und der drei Männer einzubilden. Es wird ein fesselnder Moment für mich sein, Ihre Freunde und Ihre Rakete verschwinden zu sehen, wenn ich Sie umgebracht habe. Meine Beobachtungen werde ich zu einer schönen Abhandlung über die Auflösung neurotisch bedingter Trugbilder verarbeiten.«

»Ich komme von der Erde! Ich heiße Jonathan Williams, und diese.«

»Ja, ich weiß«, sagte Herr Xxx und drückte ab.

Der Kapitän sank zu Boden, eine Kugel im Herzen. Die drei anderen schrien auf.

Herr Xxx starrte sie an. »Sie existieren weiter? Das ist großartig! Halluzinationen mit zeitlicher und räumlicher Konsistenz!«

»Unglaublich!« Er richtete seine Waffe auf die drei Männer. »Aber auch euch werde ich auflösen!«

»Nein!« riefen die drei.

»Die akustische Halluzination einer flehentlichen Gebärde selbst nach dem Tod des Patienten«, bemerkte Herr Xxx bewundernd und streckte die drei Männer nieder.

Sie lagen im Sand, unverändert, und rührten sich nicht mehr.

Er trat mit den Füßen auf sie ein. Er hämmerte gegen die Schiffshülle.

»Sie vergehen nicht!« Und noch einmal gab er mehrere Schüsse auf die Körper ab. Dann trat er zurück. Die lächelnde Maske fiel ihm vom Gesicht.

Langsam veränderte sich der Ausdruck des kleinen Psychologen. Der Unterkiefer sank ihm herab, die Waffe polterte zu Boden. Sein Blick wurde stumpf und leer. Er hob die Hände und drehte sich blind im Kreis. Er betastete die Leichen, und Speichel sammelte sich in seinem Mund.

»Halluzinationen«, murmelte er mit bebenden Lippen. »Schmecken. Sehen. Riechen. Hören. Fühlen.« Er schwenkte die Arme. Die Augen traten ihm hervor. An seinen Mundwinkeln bildete sich Schaum.

»Verschwindet!« brüllte er den Leichen zu. »Verschwindet!« kreischte er zum Schiff hinüber. Er betrachtete seine zitternden Hände. »Angesteckt«, flüsterte er von Entsetzen gepackt. »Verseucht. Telepathie. Hypnose. Jetzt bin ich wahnsinnig. Jetzt bin ich angesteckt. Halluzinationen in allen sensorischen Bereichen.« Er blieb stehen und tastete nach der Waffe. »Nur eine Möglichkeit. Nur so kann ich sie vertreiben, auslöschen.«

Ein Schuß ertönte. Herr Xxx sank zu Boden.

Die fünf Toten lagen in der Sonne.

Die Rakete ruhte schräg auf dem kleinen sonnigen Hügel und verschwand nicht.

Als die Leute aus der Stadt sie bei Sonnenuntergang fanden, fragten sie sich, was das Gebilde sein mochte. Da es niemand wußte, wurde der Fund kurzerhand an einen Schrotthändler verkauft und abgeschleppt.

Die ganze folgende Nacht regnete es. Am nächsten Morgen war das Wetter wieder sonnig und warm.

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