November 2005: Schlechte Saison

Sam Parkhill machte eine Geste mit dem Besen und fegte den blauen Marssand zur Seite.

»Das wär’s also«, sagte er. »Ja, meine Liebe, schau dir das an!« Er hob den Arm. »Schau dir das neue Schild an: SAMS HEISSE WÜRSTCHEN! Ist es nicht schön, Elma?«

»Ja, Sam«, sagte seine Frau.

»Junge, was für ein Neubeginn! Die Jungens von der Vierten Expedition müßten mich jetzt sehen! Ich bin froh, daß ich so ins Geschäft komme, während die anderen immer noch herumschippern. Wir machen bestimmt viel Geld, Elma, Tausende.«

Seine Frau sah ihn lange Zeit an, ohne etwas zu sagen. »Was ist aus Kapitän Wilder geworden?« fragte sie schließlich. »Er hat doch den Mann getötet, der alle Leute von der Erde umbringen wollte - wie hieß er doch gleich?«

»Spender, dieser Idiot. Der war zu pingelig. Oh, Kapitän Wilder? Ich habe gehört, er ist mit einer Rakete auf dem Weg zum Jupiter. Man hat ihn die Treppe raufbefördert. Ich glaube, er war wohl auch ein wenig vom Mars gebissen. Sehr empfindlich, weißt du. Wenn er Glück hat, ist er in zwanzig Jahren vom Jupiter und Pluto zurück. Das hat er nun davon, daß er das Maul so weit aufreißen mußte. Und während er sich da draußen zu Tode friert, hab ich mir was geschaffen, schau’s dir nur an!«

Sie standen an der Kreuzung zweier alter Landstraßen, die aus der Dunkelheit heranführten und wieder in der Dunkelheit verschwanden. Hier hatte Sam Parkhill seine Wellblechhütte errichtet die in hellem Licht erstrahlte und im Rhythmus der Music-Box zitterte. Er bückte sich, um eine Reihe von Glasscherben zurechtzurücken, die den Fußweg säumten. Er hatte das Glas aus alten marsianischen Gebäuden in den Hügeln herausgebrochen. »Die besten Würstchen zweier Welten! Der erste Würstchenstand auf dem Mars! Die besten Zwiebeln, der beste Paprika, der beste Senf. Niemand kann sagen, daß ich nicht aufpasse. Das sind wichtige Landstraßen, da drüben liegen die tote Stadt und die Minerallager. Die Lastwagen von der Erdsiedlung 101 kommen Tag und Nacht hier durch. Na, weiß ich einen günstigen Platz zu finden oder nicht?«

Seine Frau betrachtete ihre Fingernägel.

»Glaubst du, daß es die zehntausend neuartigen Volksraketen zum Mars schaffen?« fragte sie schließlich.

»In einem Monat sind sie da«, antwortete er laut. »Warum schaust du mich so seltsam an?«

»Ich traue den Leuten auf der Erde nicht«, sagte sie. »Ich glaub’s erst, wenn ich die zehntausend Raketen mit den hunderttausend Mexikanern und Chinesen sehe.«

»Kunden.« Er schmeckte das Wort ab. »Hunderttausend hungrige Mäuler.«

Seine Frau beobachtete den Himmel und sagte langsam: »Wenn es keinen Atomkrieg gibt. Ich habe kein Vertrauen in diese Atombomben. Es gibt viel zu viele davon auf der Erde; man kann nie wissen.«

»Ach was!« sagte Sam und fegte weiter.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen blauen Schimmer. Etwas schwebte lautlos hinter ihm in der Luft. Er hörte seine Frau sagen: »Sam. Dein Freund ist wieder zu Besuch da.«

Sam wirbelte herum und erblickte die Maske, die im Wind zu schweben schien.

»Da bist du also doch wieder!« Und Sam hob den Besen wie eine Waffe.

Die Maske nickte. Sie war aus hellblauem Glas geformt und saß auf einem dünnen Hals, unter dem mehrere weite Umhänge aus gelber Seide flatterten. Zwischen den Seidentüchern erschienen zwei silbrige Hände. Der Mund der Maske war ein Schlitz, aus dem eine wohlklingende Stimme ertönte, während Umhang, Maske und Hände in die Höhe stiegen und wieder herabsanken.

»Mr. Parkhill, ich möchte noch einmal mit Ihnen sprechen«, sagte die Stimme hinter der Maske.

»Ich dachte, ich hätte mir dein Auftauchen deutlich genug verbeten!« brüllte Sam. »Verschwinde, oder ich drehe dir die Krankheit an!«

»Die Krankheit habe ich schon gehabt«, sagte die Stimme. »Ich gehöre zu den wenigen Überlebenden. Lange Zeit war ich krank.«

»Verschwinde und versteck dich in den Hügeln, wohin du gehörst; da hast du ja auch gelebt. Warum fällst du ausgerechnet mir auf den Wecker? Heute, so ganz plötzlich? Zweimal am gleichen Tag?«

»Wir haben keine bösen Absichten.«

»Aber ich!« sagte Sam und rückte vor. »Ich mag euch Fremde nicht! Ich mag keine Marsianer! Ich habe noch nie einen gesehen. Das ist natürlich. Die ganzen Jahre versteckt ihr euch, und nun plötzlich habt ihr es auf mich abgesehen. Laßt mich in Frieden!«

»Unser Kommen hat einen Grund«, sagte die blaue Maske.

»Wenn’s um das Land geht - das gehört mir. Ich habe die Würstchenbude mit eigenen Händen gebaut.«

»In gewisser Weise geht es tatsächlich um das Land.«

»Nun hör mal gut zu«, sagte Sam. »Ich komme aus New York. Und da gibt’s noch zehn Millionen weitere Menschen wie mich. Ihr Marsianer seid bestenfalls ein paar Dutzend, ihr habt keine Städte, ihr wandert in den Bergen herum, ohne Führer, ohne Gesetze - und da willst du mir etwas über dieses Land erzählen? Mal muß das Alte ja dem Neuen Platz machen. Das Gesetz des Nehmens und Gebens. Ich habe hier eine Pistole. Nach deinem Besuch heute morgen hab ich sie rausgeholt und geladen.«

»Wir Marsianer sind Telepathen«, sagte die kalte blaue Maske. »Wir stehen in Verbindung mit einer Ihrer Städte auf der anderen Seite des toten Meeres. Haben Sie Radio gehört?«

»Der Apparat ist kaputt.«

»Dann wissen Sie es also nicht. Es gibt große Neuigkeit, die die Erde betrifft.«

Eine Silberhand bewegte sich, und eine Röhre erschien.

»Ich will Ihnen mal etwas zeigen.«

»Eine Waffe!« brüllte Sam Parkhill entsetzt.

Eine Sekunde später hatte er seine Pistole aus dem Halfter gerissen und feuerte auf den Nebel, die gelben Umhänge, die blaue Maske.

Die Maske verhielt einen Moment reglos. Dann, wie ein kleines Zirkuszelt, dem die Pflöcke herausgezogen werden und das leise zusammenfallt, raschelte die Seide, die Maske sank herab, die Silberhände klapperten auf dem Steinweg. Schließlich lag die Maske auf einem kleinen Haufen Stoff und weißen Knochen.

Sam atmete schwer.

Seine Frau beugte sich über das Gewirr.

»Das ist keine Waffe«, sagte sie und bückte sich. Sie nahm die metallene Röhre auf. »Er wollte dir nur eine Nachricht zeigen. Sie ist hier in Schlangenschrift eingraviert, lauter blaue Schlangen. Ich kann’s nicht lesen. Du vielleicht?« »Nein, diese marsianische Bildschrift taugt sowieso nichts. Laß das Ding liegen!« Sam sah sich hastig um. »Es sind vielleicht noch mehr in der Nähe! Wir müssen ihn fortschaffen. Hol die Schaufel.«

»Was hast du vor?«

»Begraben natürlich.«

»Du hättest ihn nicht erschießen dürfen.«

»Es war ein Versehen. Schnell!«

Stumm holte sie die Schaufel.

Um acht Uhr stand er wieder vor dem Würstchenstand und begann nervös zu fegen. Seine Frau stand mit verschränkten Armen in der grell beleuchteten Tür.

»Die Sache tut mir leid«, sagte er. Er warf ihr einen kurzen mißmutigen Blick zu. »Verdammt! Du warst doch selbst dabei. - Es lag an den Umständen!«

»Ja«, sagte seine Frau.

»Es gefiel mir ganz und gar nicht, als er die Waffe zog.«

»Welche Waffe?«

»Zum Donnerwetter, ich hielt es jedenfalls für eine Waffe! Es tut mir leid, es tut mir leid! Wie oft muß ich das noch sagen!«

»Psst!« sagte Elma und legte einen Finger an die Lippen. »Psst!«

»Ist mir egal!« sagte er. »Ich habe die ganze Erdsiedlungsgesellschaft hinter mir!« Er schnaubte verächtlich. »Diese Marsianer wagen es bestimmt nicht.«

»Schau«, sagte Elma.

Er blickte über den toten Seegrund. Er ließ seinen Besen fallen, hob ihn wieder auf, und der Mund stand ihm offen, und ein kleiner Speicheltropfen löste sich.

»Elma, Elma, Elma!« sagte Sam und zitterte plötzlich.

»Da kommen sie«, sagte Elma.

Über das ausgetrocknete Meer kam ein Dutzend hochaufragender blauer Segel gezogen, marsianische Sandschiffe, wie blaue Gespenster, wie blauer Rauch.

»Sandschiffe! Aber die gibt es doch gar nicht mehr, Elma, Sandschiffe gibt’s nicht mehr.«

»Sie sehen aber wie Sandschiffe aus«, sagte sie.

»Aber die Behörden haben doch alle beschlagnahmt! Zerschlagen wurden sie, einige auch versteigert! In dieser Gegend bin ich der einzige, der so ein Ding besitzt und steuern kann.« »Das war einmal«, sagte sie und nickte zum Meer hinüber.

»Komm, verschwinden wir hier!«

»Warum?« fragte sie gedehnt, fasziniert von den marsianischen Fahrzeugen.

»Sie bringen mich um! Schnell, steig in unseren Laster!«

Elma rührte sich nicht. Er mußte sie mit Gewalt hinter die Hütte ziehen, wo die beiden Fahrzeuge standen - sein Lastwagen, den er bis vor einem Monat regelmäßig gefahren hatte, und das alte marsianische Sandschiff, das er lächelnd bei einer Auktion ersteigert und in den letzten drei Wochen dazu benutzt hatte, Versorgungsgüter über den glasigen Meeresgrund zu transportieren. Als er jetzt einen Blick auf seinen Lastwagen warf, fiel ihm mit Entsetzen ein, daß sie nicht fahren konnten. Der Motor war ausgebaut und lag auf dem Boden; er hatte in den letzten Tagen daran herumgebastelt.

»Sieht nicht gerade fahrbereit aus«, sagte Elma.

»Das Sandschiff. Steig ein!«

»Ich soll mich von dir in einem Sandschiff herumkutschieren lassen? Nein!«

»Steig ein! Ich kann damit umgehen!«

Er stieß sie hinein, sprang ihr nach, bewegte die Ruderpinne und ließ das kobaltblaue Segel in den Abendwind steigen.

Die Sterne schienen hell, und die blauen Marsschiffe glitten durch den flüsternden Sand. Zuerst wollte sich Parkhills Schiff nicht von der Stelle rühren, doch dann dachte er an den Sandanker und hievte ihn herein.

»Na also!« Das Sandschiff neigte sich, und der Wind trieb es über den toten Seegrund, über längst versunkene Kristalle, vorbei an umgestürzten Säulen, vorbei an verlassenen Stegen aus Marmor und Metall, vorbei an toten weißen Schachbrettstädten und purpurnen Hügeln, immer weiter. Die Silhouetten der marsianischen Schiffe wurden kleiner.

»Ich hab’s ihnen gezeigt, bei Gott!« rief Sam. »Ich mache bei der Raketengesellschaft Meldung. Die wird mich schützen! Ich bin sehr schnell.«

»Wenn sie wollten, hätten sie dich aufhalten können«, sagte Elma müde. »Es war ihnen nicht der Mühe wert.«

Er lachte. »Nun hör aber auf. Warum sollten sie mich entkommen lassen? Nein, sie waren nicht schnell genug, das ist alles.«

»Wirklich?« Elma deutete hinter ihn.

Er drehte sich nicht um. Er spürte einen kalten Hauch und hatte Angst, sich umzudrehen. Er spürte, daß etwas hinter ihm saß, zerbrechlich wie ein Atemzug an einem kalten Morgen, blau wie Hickoryrauch im Zwielicht, ein Wesen wie alte weiße Spitzen, wie eine Schneeflocke, wie der Reif des Winters auf brüchigem Riedgras.

Es ertönte ein Geräusch wie dünnes, zerbrechendes Glas - ein Lachen. Dann Schweigen. Er wandte sich um.

Eine junge Frau saß reglos auf der Ruderbank. Ihre Handgelenke waren dünn wie Eiszapfen, ihre Augen so klar und ruhig und weiß wie Monde. Der Wind erfaßte sie, und wie ein Spiegelbild auf einer dunklen kalten Wasserfläche begann sie sich zu kräuseln, und die Seide stand von ihrem zerbrechlichen Körper ab wie blaue Regenspritzer.

»Kehren Sie um«, sagte sie.

»Nein.« Sam zitterte - das kaum merkliche Zittern einer Hornisse, die zwischen Angst und Haß schwankt. »Verschwinde von meinem Schiff!«

»Das ist nicht Ihr Schiff«, sagte die Erscheinung. »Es ist so alt wie unsere Welt. Es befuhr die Sandseen schon vor zehntausend Jahren, als die Meere verschwanden und die Docks sich leerten, und nun sind Sie gekommen und haben es uns genommen - gestohlen. Wir müssen mit Ihnen reden. Etwas Wichtiges ist geschehen.«

»Verschwinde von meinem Schiff!« sagte Sam. Er zog seine Pistole, und das Leder des Halfters quietschte leise. Er zielte sorgfältig. »Spring ab! Ich zähle bis drei.«

»Nicht!« rief das Mädchen. »Ich will Ihnen doch nichts tun. Auch die anderen nicht. Wir kommen in friedlicher Absicht!«

»Eins«, sagte Sam.

»Sam!« protestierte Elma.

»Hören Sie mich doch an«, sagte das Mädchen.

»Zwei«, sagte Sam entschlossen und spannte den Hahn.

»Sam!« schrie Elma auf.

»Drei«, sagte Sam.

»Wir wollen doch nur.«, sagte das Mädchen.

Der Schuß krachte.

Schnee schmilzt im Sonnenlicht, Kristalle lösen sich in Dunst auf, werden zu einem Nichts. Im Schein des Feuers tanzen Dämpfe und verschwinden. Im Herzen eines Vulkans zerspringen zierliche Kristalle und versinken. Unter dem Aufprall des Geschosses, in der Hitze, inmitten der Explosion, sank sie wie ein weiches Tuch zusammen, zerschmolz wie eine Kristallfigur. Der Sitz neben der Pinne war leer.

Sam steckte seine Pistole weg und sah seine Frau nicht an.

»Sam«, sagte sie, nachdem sie eine Minute lang schweigend über den mondhellen Sandsee gerauscht waren, »halt an.«

Er sah sie an, und sein Gesicht war bleich. »Nein, das tust du nicht! Nach so langer Zeit läßt du mich nicht einfach im Stich.«

Sie schaute auf seine Hand, die wieder zur Waffe gekrochen war. »Ich trau’s dir zu«, sagte sie bitter. »Du brächtest auch das fertig.«

Er bewegte ruckartig den Kopf hin und her, während sich seine Hand um die Ruderpinne krampfte. »Elma, das ist Wahnsinn. Wir sind gleich in der Stadt, und alles ist in Ordnung.«

»Ja«, sagte seine Frau und lehnte sich zurück.

»Elma, hör mir zu.«

»Da gibt’s nichts anzuhören, Sam.«

»Elma!«

Eine kleine weiße Schachbrettstadt glitt vorüber, und in seiner Verzweiflung und Wut jagte er sechs Geschosse zwischen die kristallenen Türme. Die Stadt ging in einem Schauer uralten Glases und zersplitterten Quarzes unter. Sie zerfiel, als wäre sie aus Seife gemacht. Es gab sie nicht mehr. Er lachte und feuerte noch einmal, und ein letzter Turm, eine letzte Schachfigur fing Feuer, flammte auf und stieg in blauen Bruchstücken zu den Sternen.

»Ich zeig’s ihnen! Ich zeig’s ihnen allen!«

»Na los, zeig’s uns, Sam.« Sie lag im Schatten.

»Und wieder eine Stadt.« Sam lud seine Pistole. »Schau her, wie ich sie fertigmache!«

Die blauen Phantomschiffe ragten bereits dicht hinter ihnen auf und gewannen ständig an Boden. Er bemerkte sie zuerst nicht. Er nahm zunächst nur ein leises Pfeifen und ein dünnes Klirren und Rascheln wahr, wie wenn Stahl auf Sand reibt - das Geräusch der rasiermesserscharfen Bugspriete der Sandschiffe, die mit flatternden roten und blauen Fahnen den Seegrund teilten. In dem blauen Licht waren die Schiffe dunkelblaue Schemen, darin maskierte Männer mit silbrigen Gesichtern, Männer mit blauen Sternenaugen, Männer mit gespaltenen goldenen Ohren, Männer mit Wangen wie Silberpapier, Männer mit rubinbesetzten Lippen, Männer mit verschränkten Armen, Männer, die ihn verfolgten, marsianische Männer.

Eins, zwei, drei. Sam zählte. Die marsianischen Schiffe kamen näher.

»Elma, Elma, ich kann sie nicht alle abwehren!«

Elma sagte nichts. Sie blieb liegen, zusammengesunken.

Sam feuerte achtmal seine Pistole ab. Ein Sandschiff brach auseinander, das Segel, der smaragdene Schiffskörper, die bronzenen Beschläge, das mondweiße Ruder und all die Wesen darin. Die maskierten Männer, sie alle, wurden in den Sand gepreßt und gingen in orangefarbenen und dann rauchschweren Flammen auf.

Aber die anderen Schiffe kamen näher.

»Sie sind in der Überzahl, Elma!« rief er. »Sie bringen mich um!«

Er warf den Anker aus. Zwecklos. Das Segel flatterte herab, fiel seufzend in sich zusammen. Das Schiff drehte bei und hielt. Der Wind hörte auf. Alles kam zur Ruhe. Der Mars stand still, während die majestätischen Fahrzeuge herankamen, ihn einkreisten und schwankend umragten.

»Erdenmensch«, rief eine Stimme irgendwo von einem hohen Thron. Eine silberne Maske schimmerte. Rubinbesetzte Lippen glitzerten im Takt der Worte.

»Ich habe nichts getan!« Sam schaute zu den Gesichtern hinüber, zu den einhundert Gesichtern, die ihn umringten. Es gab nicht mehr viele Marsianer auf dem Mars - hundert, hundertfünfzig mochten noch am Leben sein. Und die meisten waren jetzt hier auf dem Grund des toten Meeres versammelt, in ihren wiedererstandenen Schiffen, in der Nähe ihrer toten Schachbrettstädte, deren eine eben in sich zusammengefallen war wie eine zerbrechliche Vase unter dem Aufprall eines Kiesels. Die silbrige Masken glänzten.

»Es war alles ein Irrtum«, flehte er und stieg aus dem Schiff, während seine Frau wie tot an Deck liegenblieb. »Ich kam zum Mars wie jeder andere ehrliche Geschäftsmann auch. Ich beschaffte mir ein paar Extrarationen aus einer abgestürzten Rakete und baute mir an der Kreuzung den schönsten kleinen Verkaufsstand, den man sich vorstellen kann - Sie wissen schon, wo. Sie müssen zugeben, er ist gut und solide gebaut.« Sam lachte und sah sich um. »Und dieser Marsianer - ich weiß, daß er ein Freund von Ihnen war. Sein Tod war ein Unfall, das versichere ich Ihnen. Ich wollte nur meinen Würstchenstand, den einzigen auf dem Mars, den ersten und wichtigsten, sonst nichts. Sie verstehen mich? Ich wollte die besten Würstchen verkaufen, mit Paprika und Zwiebeln und Orangensaft.«

Die Silbermasken bewegten sich nicht. Sie glitzerten im Mondlicht wie kaltes Feuer. Gelbe Augen richteten sich auf Sam. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte und einschrumpfte und steinhart wurde. Er warf seine Pistole in den Sand.

»Ich gebe auf.«

»Nehmen Sie Ihre Waffe«, sagten die Marsianer im Chor.

»Was?«

»Ihre Pistole.« Eine juwelengeschmückte Hand winkte vom Bug eines blauen Schiffes. »Heben Sie sie auf. Stecken Sie sie ein.«

Ungläubig nahm er die Pistole wieder an sich.

»Und jetzt«, sagte die Stimme, »wenden Sie Ihr Schiff und kehren zu Ihrem Verkaufsstand zurück.«

»Sofort?«

»Ja, sofort«, sagte die Stimme. »Wir werden Ihnen nichts tun. Sie sind leider davongelaufen, ehe wir Ihnen die Lage erklären konnten. Kommen Sie.«

Wieder bewegten sich die Schiffe mit großer Leichtigkeit dahin. Ihre flügelartigen Segel flatterten leisen Applaus. Die Masken funkelten, wandten sich hierhin und dorthin und erhellten die Schatten.

»Elma!« Sam stolperte an Bord. »Steh auf, Elma. Wir kehren um.« Er war aufgeregt und wäre vor Erleichterung fast ins Stottern geraten. »Sie wollen mir nichts tun, wollen mich nicht umbringen. Elma, Liebling, steh auf.«

»Was sagst du?« Elma sah sich blinzelnd um. Als das Schiff wieder in den Wind gebracht wurde, stemmte sie sich langsam hoch, als erwache sie aus einem Traum. Wie ein Sack voll Steine ließ sie sich auf eine Bank sinken und sagte nichts mehr.

Der Sand glitt unter dem Schiff dahin. Eine halbe Stunde später waren sie wieder an der Kreuzung, die Schiffe festgezurrt, verlassen.

Der Anführer stellte sich vor Sam und Elma hin, seine Maske aus Bronze gehämmert, seine Augen bodenlose blauschwarze Schlitze, der Mund eine Öffnung, aus dem die Worte strömten, die im Wind davontrieben.

»Machen Sie Ihren Verkaufsstand fertig«, sagte die Stimme. Eine diamantenbesetzte Hand hob sich. »Bereiten Sie das Fleisch, bereiten Sie die Mahlzeiten, stellen Sie die fremden Weine zurecht, denn heute ist wirklich ein großer Tag!« »Soll das heißen«, fragte Sam, »daß Sie mich hier wohnen lassen!«

»Ja.«

»Sie tragen mir nichts nach?«

Die Maske bewegte sich nicht; sie war kalt und blind.

»Eröffnen Sie Ihr Lokal«, sagte die Stimme leise. »Und nehmen Sie dies.«

»Was ist das?«

Sam schaute blinzelnd auf die silberblinkende Rolle, die ihm überreicht wurde. Schlangengestalten tanzten darüber hin.

»Das ist die Landübertragung für das ganze Gebiet von den Silberbergen bis zu den blauen Hügeln, vom toten Salzsee bis zu den fernen Mondstein- und Smaragd-Tälern«, sagte der marsianische Anführer.

»M-mir soll das alles gehören?« fragte Sam ungläubig.

»Ja.«

»Hunderttausend Quadratmeilen?«

»Ja.«

»Hast du das gehört, Elma?«

Elma saß mit geschlossenen Augen am Boden, den Rücken an die Blechhütte gelehnt.

»Aber warum, warum - warum geben Sie mir alles?« fragte Sam und versuchte in die metallenen Augenschlitze zu blicken.

»Das ist noch nicht alles. Hier.« Sechs weitere Urkunden kamen zum Vorschein. Die Namen wurden aufgerufen, die Gebiete bezeichnet.

»Aber, das ist ja der halbe Mars! Da gehört mir ja der halbe Mars!« Sam klirrte mit den Urkunden und hielt sie Elma hin, von Lachen geschüttelt. »Elma, hast du das gehört?«

»Ja, ich hab’s gehört«, sagte Elma gleichmütig und blickte zum Himmel auf.

Sie schien auf etwas zu warten. Sie begann unruhig zu werden.

»Vielen Dank, oh, ich danke Ihnen«, sagte Sam zu der bronzenen Maske.

»Heute nacht ist es soweit«, sagte die Maske. »Sie müssen bereit sein.«

»Das werde ich. Was ist es - eine Überraschung? Kommen die Raketen früher als erwartet? Die zehntausend Raketen mit den Siedlern und Bergleuten, mit den Arbeitern und ihren Frauen - alle hunderttausend? Wäre das nicht großartig, Elma? Ich hab’s dir ja gleich gesagt, Elma! Ich hab dir gesagt, die Stadt da drüben wird nicht immer nur tausend Einwohner haben. Fünftausend kommen dazu, hab ich gesagt, und im kommenden Monat noch einmal hunderttausend, und am Jahresende sind es fünf Millionen Menschen von der Erde. Und ich habe den einzigen Würstchenstand, noch dazu an der meistbefahrenen Straße zu den Bergwerken!«

Die Maske schwebte im Wind. »Wir lassen Sie jetzt allein. Bereiten Sie sich vor. Das Land gehört Ihnen.«

Wie Blütenblätter einer alten Blume, wie blaue Daunen, wie kobaltblaue Schmetterlinge, gewaltig und lautlos - so machten die alten Schiffe im Mondlicht kehrt und schwebten maskenglitzernd über den Sand davon, bis der letzte Schimmer, das letzte Fetzchen Blau zwischen den Hügeln verschwunden war.

»Elma, warum haben sie das getan? Warum haben sie mich nicht umgebracht? Kennen sie sich denn überhaupt aus? Sind die ganz richtig im Kopf?« Er schüttelte sie an der Schulter. »Der halbe Mars gehört mir!«

Sie beobachtete den nächtlichen Himmel, wartend.

»Komm«, sagte er. »Wir müssen alles vorbereiten. Wir müssen die Würstchen auftauen und die Brötchen anwärmen, den Paprika aufs Feuer setzen, die Zwiebeln schälen und schneiden, die Gewürze hinstellen, die Servietten in die Clips stecken - es muß blitzen bei uns! He!« Er vollführte einen kleinen hektischen Tanz und schlug die Hacken zusammen. »O Mann, was bin ich glücklich; wie glücklich ich bin!« sang er unmusikalisch. »Mein Glückstag ist heute!«

In aller Eile brachte er das Wasser zum Kochen und legte die Würstchen hinein, machte die Brötchen zurecht und schnitt die Zwiebeln.

»Überleg nur, der Marsianer hat von einer Überraschung gesprochen. Das kann nur eins bedeuten, Elma. Diese hunderttausend Leute treffen vorzeitig ein, heute abend schon, heute abend! Unser Laden wird gestürmt werden! Tagelang werden wir Überstunden machen müssen, bei all den Touristen die in der Gegend herumfahren, Elma. Denk an das Geld!«

Er ging hinaus und sah zum Himmel auf. Es war nichts zu sehen.

»Vielleicht in einer Minute schon«, sagte er und saugte dankbar die kühle Luft ein, hob die Arme und trommelte sich auf die Brust. »Ah!«

Elma schwieg. Sie schälte Kartoffeln und schnitzelte sie zu Pommes Frites zurecht. Sie hob immer wieder den Blick zum Himmel.

»Da«, sagte sie eine halbe Stunde später. »Dort steht sie. Schau.«

Er blickte auf und sah sie an.

»Die Erde.«

Wie ein geschliffener Edelstein, voll und grün, so stieg sie über den Hügeln auf.

»Die gute alte Erde«, flüsterte er gerührt. »Wunderbare alte Erde. Schick mir deine Hungrigen und Bedürftigen, Erde. Etwas, etwas - wie heißt das Gedicht? Schick mir deine Hungernden, alte Erde. Hier steht Sam Parkhill, und die Würstchen sind heiß, der Paprika kocht, alles ist blitzsauber. Komm, Erde, schick mir deine Raketen!«

Er verließ die Hütte, um sie sich aus einiger Entfernung liebevoll zu betrachten. Da stand sie auf dem Seegrund, vollkommen wie ein frisch gelegtes Ei, auf viele hundert Meilen der einzige wärmende Lichtfleck in der Öde. Sie glich einem Herz, das einsam in einem großen dunklen Körper schlug. Der Stolz überwältigte ihn fast. Tränen stiegen ihm in die Augen.

»Da fühlt man sich wirklich ganz klein«, sagte er inmitten des Wienerwürstchendufts, des Dufts nach warmen Brötchen und Butter. »Kommt herein«, wandte er sich an die Sterne am Himmel. »Wer ist der erste Kunde?«

»Sam«, sagte Elma.

Am dunklen Himmel veränderte sich die Erde.

Sie fing Feuer.

Ein Teil des Globus schien in eine Million Stücke zu zerbersten, als fiele ein gewaltiges Puzzlespiel auseinander. Eine Minute lang erstrahlte die Erde in unheimlichem Glanz, die Helligkeit stieg auf das Dreifache an, dann ließ sie langsam wieder nach.

»Was war das?« Sam betrachtete das grüne Feuer am Himmel.

»Die Erde«, sagte Elma und preßte die Hände zusammen.

»Das kann doch nicht die Erde sein, nein, das ist nicht die Erde! Unmöglich!«

Mit offenem Mund stand er da, reglos, und seine Arme hingen schlaff herab, und in seinen weit aufgerissenen Augen war ein glasiger Ausdruck.

»Sam.« Sie rief seinen Namen. Zum erstenmal seit Tagen leuchteten ihre Augen. »Sam?«

Er schaute zum Himmel.

»Also«, sagte sie. Schweigend blickte sie noch eine Minute zum Himmel. Dann drapierte sie geschäftig ein feuchtes Handtuch über ihren Arm. »Schalt noch mehr Lichter ein, stell die Musik lauter, mach die Türen auf. In etwa einer Million Jahren kommen vielleicht wieder Kunden, da muß man doch vorbereitet sein. Hörst du? Beeil dich!«

Sam rührte sich nicht.

»Was für ein vorzüglicher Platz für einen Würstchenstand«, sagte sie. Sie nahm einen Zahnstocher aus einem Glas und steckte ihn in den Mund. »Ich will dir ein kleines Geheimnis verraten, Sam«, flüsterte sie und beugte sich zu ihm hinüber. »Es sieht ganz so aus, als würde das ‘ne schlechte Saison.«

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