April 2003: Die Musiker

Die Jungen unternahmen weite Ausflüge ins marsianische Land. Sie hatten duftende Tüten bei sich, in die sie während der langen Wanderung dann und wann die Nase steckten, um das saftige Aroma des Schinkens und der Pickles in Mayonnaise zu genießen und um sich das Gurgeln des Orangensafts in den wärmer werdenden Flaschen anzuhören. Sie schwangen ihre Einkaufsbeutel, die voller gewaschener, saftiger grüner Zwiebeln und duftender Leberwurst und rotem Ketchup und Weißbrot waren, und sie stachelten sich gegenseitig an, die strengen Ermahnungen ihrer Mütter zu mißachten. Sie rannten los und brüllten:

»Wer zuerst da ist, darf zutreten!«

Sie machten ihre Wanderungen im Sommer ebenso wie im Herbst oder Winter. Im Herbst war es am schönsten, weil man sich da wie auf der Erde vorstellen konnte, durch das Herbstlaub zu rascheln.

Ein wilder Haufen, so erschienen sie auf den marmornen Plätzen an den Kanälen, rotwangige Jungen mit achatblauen Augen, die einander nach Zwiebeln riechende Kommandos zuflüsterten. Nachdem sie die verbotene Totenstadt erreicht hatten, war es vorbei mit dem lauten »Wer zuletzt ankommt, ist ein Feigling!« oder »Der erste darf den Musiker machen!« Nein, die tote Stadt lag jetzt offen vor ihnen da, und sie glaubten von drinnen ein leises Rascheln wie von Herbstblättern zu hören. Dicht aneinandergepreßt wagten sie sich schrittweise vor, Stöcke in den Händen, und sie dachten an ihre Eltern, die ihnen gesagt harten: »Geht nicht dorthin! Nein, nicht in die alten Städte! Nehmt euch auf euren Wanderungen in acht! Ihr bekommt Schläge wie noch nie, wenn wir euch erwischen! Wir sehen uns eure Schuhe an!«

Und da standen sie nun in der toten Stadt, ein Haufen Jungen, den mitgebrachten Proviant halb aufgegessen, und sie machten sich mit schrillen Stimmen gegenseitig Mut.

»Habt ihr vielleicht Angst, ihr Duckmäuser?« Und plötzlich raste einer los in das nächste Steinhaus, polterte durch die Tür ins Wohnzimmer und in das Schlafzimmer, wo er, ohne richtig hinzuschauen, um sich trat, wo er einen wilden Tanz vollführte und die schwarzen Blätter durch die Luft fliegen ließ, dünn und brüchig wie der Stoff, aus dem der mitternächtliche Himmel gemacht ist. Sechs andere folgten ihm, und der erste Junge war stets der Musiker, der auf den weißen xylophonartigen Knochen unter der äußersten Lage schwarzer Flocken spielte. Ein großer Schädel rollte hervor, ein weißer Schneeball; wie sie schrien! Rippen wie Spinnenbeine gaben dumpfe Harfentöne von sich, und die schwarzen Flocken der Sterblichkeit wirbelten hochauf im Takt des wilden Tanzes; die Jungen stießen sich an und fielen in die Blätter, in den Tod, der die Toten zu dürren Flocken hatte werden lassen, in ein Spiel von Jungen, in deren Mägen Orangensaft gurgelte.

Und dann ins nächste Haus, in siebzehn andere Häuser, wobei sie keinen Augenblick vergaßen, daß die Städte durch Feuerwehrleute von ihren Schrecken befreit wurden, von antiseptischen Kriegern mit Schaufeln und Eimern, die die ebenholzschwarzen Haut- und Fleischreste und die pfefferminzfarbenen Knochen umgruben und langsam, aber sicher das Entsetzliche vom Normalen trennten; sie mußten ihr Spiel also intensiv genießen, die Jungen, denn die Feuerwehr würde bald hier sein!

Schweißüberströmt verschlangen sie ihre letzten Brote. Nach einem letzten Tritt, einem letzten schrägen Konzert, einer letzten herbstlichen Jagd durch die Blätterhaufen gingen sie nach Hause.

Die Mütter suchten ihre Schuhe ab nach schwarzen Flocken, die -wenn sie gefunden wurden - zu kochendheißen Desinfektionsbädern und väterlichen Prügeln führten.

Gegen Ende des Jahres hatten die Feuerwehrleute alle Herbstblätter und weißen Xylophone fortgeharkt und begraben, und mit dem Jux war es aus.

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