Duncan brachte sein Pferd zum Stehen. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Rhonins eigene Einschätzung ging in dieselbe Richtung, und unter Berücksichtigung der Ereignisse in der Festung, begann er sich zu fragen, ob das, was sie gerade beobachteten, etwas mit seiner Mission zu tun hatte.
In der Ferne lag Hasic, aber ein stilles, schweigendes Hasic. Der Zauberer hörte nicht das kleinste Zeichen von Geschäftigkeit. Ein Hafen wie dieser hätte von Leben wimmeln und erfüllt sein sollen von einem Lärm, laut genug, um bis zu ihnen vorzudringen.
Und doch war, abgesehen von ein paar Vögeln, nicht das geringste Lebenszeichen ausmachen.
»Uns hat keine Kunde von Schwierigkeiten erreicht«, wandte sich der Hauptmann der Paladine an Vereesa. »Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir unverzüglich einen Trupp hierher entsandt.«
»Vielleicht sind wir nur ein wenig nervös nach dieser Reise.« Doch selbst die Waldläuferin sprach in einem leisen, wachsamen Tonfall.
Sie verharrten so lange, dass Rhonin die Dinge schließlich selbst in die Hand nahm. Zur Überraschung der anderen trieb er sein Reittier vorwärts, wild entschlossen, Hasic nötigenfalls auch allein zu betreten.
Vereesa folgte ihm rasch, und Lord Senturus schloss sich ihr an – natürlich. Rhonin unterdrückte jeden Anflug von Belustigung, als der Ritter der Silbernen Hand sich vordrängte, um die Führung zu übernehmen. Eine Weile würde er mit Duncan Senturus' Arroganz und Wichtigtuerei noch leben können. Auf die eine oder andere Weise würde er dann jedoch im Hafen die unerwünschte Gesellschaft aufkündigen.
Das hieß … falls der Hafen noch existierte.
Selbst ihre Pferde spürten die widernatürliche Stille und wurden zunehmend unruhiger. Zwischendurch musste Rhonin sein Tier regelrecht anspornen, damit es überhaupt weiter ging. Keiner der Ritter, und das war bedenklich genug, kommentierte die Probleme des Zauberers mit dummen Witzen.
Als sie sich dem Ziel weiter näherten, empfingen sie zu ihrer aller Erleichterung endlich schwache Lebenszeichen aus Richtung des Hafens. Ein Hämmern. Ein paar erhobene Stimmen. Das Rattern von Fuhrwerken … Nicht viel, aber immerhin ein Beleg dafür, dass Hasic sich nicht in eine Geisterstadt verwandelt hatte.
Dennoch näherten sie sich vorsichtig und im Bewusstsein, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Vereesa und die Ritter hatten ihre Hand am Schwertgriff, während Rhonin im Geiste sein Repertoire an Zaubersprüchen durchging. Niemand wusste, was sie erwartete, aber sie alle waren überzeugt, es sehr bald zu erfahren.
Und gerade, als sie in Sichtweite des Stadttores kamen, bemerkte Rhonin drei Unheil verkündende Schemen, die in den Himmel aufstiegen.
Das Pferd des Zauberers scheute. Vereesa griff Rhonin in die Zügel und brachte das Tier unter Kontrolle. Einige der Ritter setzten an, ihre Schwerter zu ziehen, doch Duncan bedeutete ihnen sofort, ihre Waffen stecken zu lassen.
Wenige Augenblicke später sank das Trio riesiger Greife vor der Gruppe herab; zwei ließen sich in den Wipfeln der größten Bäume nieder, der dritte landete unmittelbar vor ihnen.
»Wen zieht es da nach Hasic?«, verlangte sein Reiter zu wissen, ein bronzehäutiger, bärtiger Krieger, der, obgleich er dem Magier kaum bis zur Schulter reichte, durchaus imstande schien, nicht nur diesen hochzustemmen, sondern dessen Pferd noch dazu.
Sogleich ritt Duncan vor. »Seid gegrüßt, Greifenreiter! Ich bin Duncan Senturus vom Orden der Ritter der Silbernen Hand, und ich geleite diese Reisegruppe zum Hafen. Wird Hasic von etwas heimgesucht, wenn Ihr mir die Frage erlaubt?«
Der Zwerg gab ein raues Lachen von sich. Er hatte nichts von der untersetzten Statur seiner erdverbundeneren Verwandten. Er ähnelte im Ganzen mehr einem Barbarenkrieger, den ein Drache gepackt und auf halbe Größe zusammengestaucht hatte. Er hatte Schultern, die breiter waren, als die des stärksten Ritters, und seine Muskeln spielten sozusagen von selbst. Eine wilde Haarpracht umrahmte flatternd sein hartgesottenes, kantiges Gesicht.
»Von zwei Drachen, ja. Hasic ist von ihnen heimgesucht worden. Sie kamen vor drei Tagen und zerstörten oder verbrannten alles, was sie erreichen konnten. Wäre meine Staffel nicht an genau diesem Morgen eingetroffen, würde von Eurem wertvollen Hafen nichts mehr existieren, Mensch! Sie hatten kaum begonnen, als wir sie in die Lüfte zurück zwangen! Es war ein glorreicher Kampf, aber wir verloren Glodin …« Die Zwerge schlugen sich mit der Faust aufs Herz. »Möge sein Geist wacker kämpfen bis in die Ewigkeit!«
»Wir sahen einen Drachen«, mischte sich Rhonin ein, da er fürchtete, dass das Trio in eine der epischen Klagelitaneien verfallen würde, für die Zwerge berüchtigt waren. »Der Zeitpunkt würde passen. Ein Drache mit einem Ork als Lenker. Drei von Euch kamen und griffen ihn an …«
Der Anführer der Reiter harte ihn mit finsteren Blicken bedacht, kaum dass er den Mund öffnete, doch als er den anderen Kampf erwähnte, hellte sich die Miene des Zwerges auf, und das breite Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Aye, das waren wir auch, Mensch. Verfolgten das feige Reptil und holten es vom Himmel! Es war auch ein guter und gefährlicher Kampf. Molok da oben …«, er zeigte auf einen dicken Zwerg mit Glatzenansatz in der Baumkrone zu Rhonins Linken, »… verlor seine prächtige Axt, aber immerhin hat er noch seinen Hammer, was, Molok?«
»Würde eher meinen Bart abscheren als meinen Hammer verlieren, Falstad!«
»Aye, 's iss der Hammer, der bei Frauen den größten Eindruck macht, richtig?«, gab Falstad mit leichtem Lachen zurück. Der Zwerg schien Vereesa erst jetzt zu bemerken. Seine braunen Augen strahlten. »Und was haben wir hier für eine holde Elfendame!« Noch immer auf dem Greif sitzend, machte er den unbeholfenen Versuch einer Verbeugung. »Falstad Dragonreaver, zu Euren Diensten, Elfendame!«
Spät fiel Rhonin ein, dass die Elfen von Quel'Thalas das einzige andere Volk waren, dem die wilden Zwerge der Aeries wirklich trauten. Allerdings schien das nicht der einzige Grund zu sein, weshalb Falstad nun seine ganze Aufmerksamkeit Vereesa zuwandte; genau wie Senturus fand der Greifenreiter sie offensichtlich überaus anziehend.
»Ich grüße Euch, Falstad«, antwortete die Waldläuferin mit dem Silberhaar ruhig. »Und meinen Glückwunsch zu Eurem großen Sieg. Zwei Drachen sind eine beeindruckende Leistung für eine einzige Flugstaffel.«
»Die reine Routine für meine Leute, nichts Besonderes.« Er lehnte sich so weit es ging nach vorne. »Aber wir wurden in dieser Gegend schon eine Weile nicht mehr mit der Gegenwart von jemandem Eures Geblüts geehrt, vor allem nicht mit solch einer schönen Lady wie Euch! Wie kann Euch ein armer, kleiner Krieger wie ich am besten dienen?«
Rhonin sträubten sich die Nackenhaare. Der Tonfall des Zwerges bot dort, wo sich seine Worte noch zurückhielten, durchaus mehr als nur höfliche Unterstützung an. Solche Dinge hätten den Zauberer normalerweise nicht berühren sollen, und doch taten sie es in diesem Augenblick.
Vielleicht fühlte Duncan Senturus das Gleiche, denn er antwortete, bevor ihm jemand zuvorkommen konnte: »Wir schätzen Euer Hilfsangebot, aber wir werden es kaum in Anspruch nehmen müssen. Es gilt nur, das Schiff zu erreichen, das den Zauberer erwartet, sodass er sich fort von unseren Gestaden begeben kann.«
Die Wortwahl des Paladins klang, als wäre Rhonin aus Lordaeron verbannt worden, weshalb der Magier mit mühsam unterdrücktem Zorn hinzufügte: »Ich befinde mich auf einer Mission in Diensten der Allianz.«
Falstad schien unbeeindruckt. »Wir haben keinen Grund, Euch davon abzuhalten, Hasic zu betreten und nach Eurem Schiff zu suchen, Mensch, aber Ihr werdet feststellen, dass nach dem Angriff der Drachen nicht allzu viele übrig geblieben sind. Auch das Eure ist vermutlich Treibgut des Meeres geworden!«
Dieser Gedanke war auch schon Rhonin gekommen, doch es nun aus dem Mund des Zwerges zu hören, ließ seine Zuversicht merklich sinken. Doch er konnte und wollte nicht schon in einem so frühen Stadium seiner Reise aufgeben. »Ich muss es herausfinden.«
»Dann werden wir Euch nicht länger aufhalten.« Falstad trieb sein Reittier vorwärts, warf Vereesa einen letzten ausgiebigen Blick zu und grinste. »War mir eindeutig ein Vergnügen, meine wunderschöne Elfendame!«
Die Waldläuferin nickte ihm zu, und der Zwerg und sein Reittier erhoben sich in die Lüfte. Die mächtigen Flügel erzeugten einen Wind, der Staub in die Augen der Reisegesellschaft peitschte, und die plötzliche Nähe des Greifen beim Verlassen des Bodens veranlasste selbst die erfahrensten Pferde, einen Schritt zurückzuweichen. Die anderen Zwerge schlossen sich Falstad an, und die drei Greife schraubten sich rasch hinauf in den Himmel. Rhonin beobachtete, wie sich die schnell schemenhaft werdenden Gestalten Richtung Hasic drehten und dann mit unglaublicher Geschwindigkeit davonflogen.
Duncan spuckte feine Sandkörnchen aus; seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er keine wesentlich höhere Meinung über Zwerge wie über Zauberer. »Lasst uns weiterreiten. Das Glück mag noch immer auf unserer Seite sein.«
Ohne ein weiteres Wort rückten sie auf den Hafen zu. Es dauerte nicht lange, und sie konnten sehen, dass Hasic sogar noch stärker in Mitleidenschaft gezogen worden war, als Falstad es angedeutet hatte. Die ersten Gebäude, an denen sie vorbeikamen, waren noch mehr oder weniger intakt, doch mit jedem Augenblick, der verstrich, nahmen die sichtbaren Schäden zu. Die Getreidefelder um die Stadt waren niedergebrannt, die Behausungen der Landbesitzer lagen in Trümmern. Stabilere Häuser aus Stein hatten die Verwüstung weit besser überstanden, doch hier und da gab es welche, die vollständig dem Erdboden gleich gemacht waren, als hätten sich die Drachen diese Stellen zur Zerstörung regelrecht herausgepickt.
Der Gestank von Verbranntem drang an die sensiblen Sinne des Zauberers. Nicht alles, was die beiden Leviathane eingeäschert hatten, war aus Holz gemacht gewesen.
Wie viele der Bewohner Hasics mochten bei dieser Wahnsinnstat umgekommen sein? Auf der einen Seite konnte Rhonin durchaus auch die Verzweiflung der Orks verstehen, die mittlerweile wohl begriffen hatten, dass ihre Aussichten, diesen Krieg noch für sich zu entscheiden, gegen Null tendierten – auf der anderen Seite schrien Taten wie diese regelrecht nach Vergeltung.
Seltsamerweise schienen einige Bereiche um den eigentlichen Hafen völlig unangetastet geblieben zu sein, obwohl Rhonin erwartet hätte, gerade hier die schlimmsten Bedingungen vorzufinden. Doch abgesehen von einer gewissen Verdrießlichkeit unter den Arbeitern, die ihnen begegneten, hätte man den Eindruck gewinnen können, Hasic sei niemals angegriffen worden.
»Vielleicht hat es das Schiff doch heil überstanden«, raunte er Vereesa zu.
»Ich denke nicht«, gab sie ebenso leise zurück, »nicht, wenn das dort drüben etwas zu bedeuten hat.«
Er folgte ihrem Blick zum Hafenbecken hinüber. Der Zauberer kniff die Augen zusammen, als könnte er so das Bild, das sich ihm bot, besser begreifen.
»Der Mast eines Schiffes, Zauberkünstler«, klärte ihn Duncan in barschem Ton auf. »Der Rest der Galeone und ihre tapfere Mannschaft ruhen zweifellos unter der Wasseroberfläche.«
Rhonin schluckte den Fluch hinunter, der ihm auf der Zunge lag. Beim Überblicken des Hafens fielen ihm nun die Unmengen Holz und andere Materialien auf, die auf dem Wasser trieben – Treibgut von mehr als einem Dutzend Schiffen, wie der Magier annahm. Nun verstand er, weshalb der Hafen selbst fast unbeschadet davongekommen war: Die Orks mussten ihre Reittiere zuerst gegen die Schiffe der Allianz geführt haben, um ihnen jegliche Fluchtmöglichkeit zu verbauen. Das erklärte zwar nicht, warum die Randgebiete von Hasic schlimmere Schäden als das Zentrum erlitten hatten, doch vielleicht war ein Großteil dieser Verwüstungen erst nach dem Eintreffen der Greifenreiter angerichtet worden. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine Siedlung zwischen den Fronten eines tobenden Kampfes wiederfand und den Preis dafür zahlen musste.
Dennoch wären die Verheerungen sicherlich um einiges schlimmer ausgefallen, wenn die Zwerge nicht vorbeigekommen wären. Die Orks hätten den Hafen komplett mit Hilfe ihrer Drachen abgefackelt und versucht, jedes dort befindliche Lebewesen zu massakrieren.
Diese Spekulationen brachten Rhonin allerdings, was sein eigentliches Problem betraf, nicht weiter, denn offenbar existierte das Schiff, das ihn nach Khaz Modan hatte bringen sollen, nicht mehr.
»Euer Weg endet hier, Zauberer«, erklärte Lord Senturus. »Ihr habt versagt.«
»Es gibt sicherlich noch intakte Schiffe. Und ich habe Geld, um für die Überfahrt zu bezahlen …«
»Und wer hier würde für Euer Silber nach Khaz Modan segeln? Diese armen Teufel haben genügend Heimsuchungen überstanden. Glaubt Ihr ernsthaft, einer von ihnen würde sich freiwillig in ein Land begeben, das von den gleichen Orks kontrolliert wird, die dies hier zu verantworten haben?«
»Ich kann nur versuchen, es herauszufinden. Ich danke Euch für Eure Zeit, Mylord, und wünsche Euch für die Zukunft alles Gute.« Sich der Elfe zuwendend, fügte Rhonin hinzu: »Und Euch ebenso, Wald- … Vereesa. Ihr seid eine Zierde Eurer Zunft.«
Sie sah ihn überrascht an. »Ich verlasse Euch noch nicht.«
»Aber Eure Aufgabe …«
»… ist noch nicht beendet. Ich kann Euch hier nicht guten Gewissens ohne Weg und Ziel zurücklassen. Wenn Ihr noch immer eine Passage nach Khaz Modan sucht, werde ich tun, was ich kann, um Euch dabei zu helfen … Rhonin.«
Jäh richtete sich Duncan in seinem Sattel auf. »Selbstverständlich können auch wir die Dinge nicht einfach so belassen, wie sie sind! Bei unserer Ehre, wenn Ihr der Ansicht seid, dass diese Aufgabe eine Fortsetzung wert ist, so werden ich und meine Männer ebenso tun, was in unserer Macht steht, um Euch ein Transportmittel zu beschaffen!«
Vereesas Entscheidung, noch eine Weile bei ihm zu bleiben, hatte Rhonin erfreut, auf die Ritter der Silbernen Hand hingegen hätte er liebend gern verzichtet. »Ich danke Euch, Mylord, aber hier sind viele in Not. Wäre es nicht das Beste, wenn Euer Orden den guten Menschen von Hasic bei der Behebung der Schäden unter die Arme greifen würde?«
Einen Atemzug lang dachte er tatsächlich, es sei ihm gelungen, sich auf diese Weise des Kriegers zu entledigen, aber nach reiflicher Überlegung erklärte Duncan: »Eure Worte haben einiges für sich, Zauberer, dennoch glaube ich, dass wir es einrichten können, sowohl Eurer Mission als auch Hasic mit unserer Anwesenheit zu dienen. Meine Männer werden den Bürgern zur Seite stehen, während ich mich persönlich dafür einsetze, ein Gefährt für Euch aufzutreiben! Damit wäre diese Angelegenheit dann vortrefflich geregelt, oder?«
Niedergeschlagen antwortete Rhonin mit einem einfachen Nicken. Vereesa an seiner Seite reagierte mit mehr Würde. »Eure Unterstützung wird ohne Zweifel von unschätzbarem Wert sein, Duncan. Habt Dank.«
Nachdem der Anführer der Paladine die anderen Ritter los geschickt hatte, besprachen er, Rhonin und die Waldläuferin in aller Kürze die beste Vorgehensweise für ihre Suche. Sie kamen überein, dass sie getrennt voneinander ein größeres Gebiet abdecken konnten. Zum Nachtmahl wollten sie sich wieder treffen, um die gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen. Lord Senturus hegte offen Zweifel, dass ihnen Erfolg beschieden sein würde, aber sein Pflichtgefühl gegenüber Lordaeron und der Allianz – und möglicherweise auch seine Schwärmerei für Vereesa – bewegten ihn dennoch dazu, dass er seinen Teil beitragen wollte.
Rhonin durchkämmte auf der Suche nach einem intakten Schiff den nördlichen Hafenbereich. Es zeigte sich jedoch, dass die Drachen gründlich gewesen waren, und als der Tag zur Neige ging, hatte er nichts gefunden, wovon es zu berichten gelohnt hätte. Langsam kam er an den Punkt, an dem er nicht mehr wusste, was ihm mehr Sorgen bereitete – die Unfähigkeit, ein passables Schiff zu finden, oder aber die Aussicht, dass es der ach-sograndiose Lordpaladin sein könnte, der die einzig verbliebene Lösung für Rhonins Misere aufs Tablett bringen würde.
Es gab ja durchaus Wege für Zauberer, um auch solch gewaltige Entfernungen zu überbrücken – doch nur vergleichbar Mächtige wie der berühmt-berüchtigte Medivh hatten diese Pfade je selbstbewusst und ihrer sicher beschriften. Auch wenn Rhonin den Zauber erfolgreich zu wirken vermochte, riskierte er dabei nicht nur eine Entdeckung durch irgendeinen Ork-Magier, sondern wegen der Magie Strömungen in der Region, in der das Dunkle Portal lag, auch unvorhersehbare Abweichungen vom angepeilten Zielort. Und Rhonin war nicht versessen darauf, beispielsweise über einem aktiven Vulkan zu materialisieren.
Doch wie sonst sollte er die Reise unter den gegebenen Umständen noch bewältigen?
Während er nach Antworten rang, schritt ringsum Hasics Wiederaufbau voran. Frauen und Kinder sammelten, was sie an Trümmerteilen im Hafen schwimmend fanden, nahmen mit sich, was sonst noch von Nutzen zu sein schien, und schichteten den Rest an der Kaimauer auf, damit er später entsorgt werden konnte. Eine Sondertruppe der Stadtwache wanderte die Küste entlang und suchte sie nach angetriebenen Leichen der Seeleute ab, die mit ihren Schiffen untergegangen waren. Der dunkel gekleidete, düster dreinblickende Magier, der zwischen ihnen wandelte, erweckte überall Aufsehen, und einige Eltern zogen ihre Kinder fest an sich, sobald er in ihrer Nähe auftauchte.
Hier und da entdeckte Rhonin offenen Vorwurf in den Gesichtern, als sei er, auf welche Weise auch immer, für den schrecklichen Anschlag verantwortlich. Selbst unter diesen traurigen Bedingungen vermochte das einfache Volk seine Vorurteile und Ängste nicht zu unterdrücken.
Über Rhonin flog ein Greifenpaar vorbei. Die Zwerge hielten unentwegt Ausschau nach neuen möglichen Angreifern, auch wenn Rhonin bezweifelte, dass diese Gegend in absehbarer Zeit wieder mit Drachenüberfällen zu rechnen hatte – der Jüngste hatte den Orks zu hohe Verluste eingebracht. Falstad und seine Gefährten hätten dem Hafen mehr geholfen, wenn sie gelandet und den Leuten zur Hand gegangen wären. Doch der müde Zauberer vermutete, dass die Zwerge – ohnehin nicht die umgänglichsten im Bündnis Lordaerons – es vorzogen, »über den Dingen zu stehen«. Bei einem triftigen Grund würden sie Hasic wohl sogar eher ganz verlassen, als dass sie …
Einen triftigen Grund?
»Natürlich …!«, murmelte Rhonin, während er beobachtete, wie die beiden Kreaturen und ihre Reiter südwestlich seines Standortes niedergingen.
Wer, wenn nicht die Zwerge, würde an seinem Angebot Gefallen finden können? Wer sonst wäre verrückt genug gewesen, es in Betracht zu ziehen …?
Ungeachtet des Eindrucks, den er dabei hinterlassen mochte, rannte Rhonin der Stelle entgegen, an der die Drachenreiter gelandet waren.
Voller Abscheu verließ Vereesa den südlichsten Bereich der Docks. Sie war nicht nur erfolglos geblieben, nein, von allen menschlichen Siedlungen, die sie je besucht hatte, war Hasic der mit Abstand übelste Fleck. Das hatte weniger mit der Katastrophe zu tun. Hasic stank einfach. Die meisten Menschen besaßen einen eher stümperhaften Geruchssinn – die hier lebenden Bürger jedoch verfügten eindeutig über gar keinen.
Die Waldläuferin wäre am liebsten zu ihrem Volk zurückgekehrt, um eine wichtigere Aufgabe übertragen zu bekommen, doch bis sie sich nicht sicher sein durfte, dass sie alles für Rhonin getan hatte, was in ihrer Macht stand, konnte sie guten Gewissens nicht abreisen. Es schien keine Möglichkeit zu geben, die dem Zauberer seine Weiterreise erlaubt hätte, die Fortsetzung seiner Mission, von der sie mittlerweile überzeugt war, dass sie weit mehr beinhaltete als schlichte Spionage. Rhonin wirkte viel zu entschlossen; für eine relativ unwichtige Angelegenheit hätte er sich niemals so stark engagiert. Nein, sie war sicher, dass ihn noch ein anderes Motiv antrieb.
Wenn sie nur herausgefunden hätte, um welches es sich dabei handelte …
Die Zeit des Nachtmahls näherte sich. Ohne eine Spur von Hoffnung, bewegte sich die Waldläuferin landeinwärts und folgte, trotz des mitunter schier unerträglichen Gestanks, dem kürzesten Weg dorthin. Hasic unterhielt auch Landstraßen zu seinen Nachbarn, vor allem in die größeren Reiche von Hillsbrad und Southshore. Obwohl es mehr als eine Woche dauern würde, eines der beiden Länder zu erreichen, blieb ihnen unter Umständen keine andere Wahl.
»Ah … meine schöne Elfendame!«
Sie blickte erst in die falsche Richtung, weil sie meinte, einer der Menschen hätte sie angesprochen. Doch dann erinnerte sich Vereesa, schon einmal so angesprochen worden zu sein. Die Waldläuferin wandte sich nach rechts und ließ ihren Blick zu Boden wandern … nur um dort Falstad in all seiner mickrigen Pracht stehen zu sehen. Die Augen des verwegenen Zwerges strahlten, und der Mund war zu einem breiten, wissenden Grinsen verzogen. Er schleppte einen Sack auf dem Rücken und hatte seinen mächtigen Hammer geschultert. Das Gewicht sowohl des einen, als auch des anderen hätte die meisten Elfen oder Menschen kapitulieren und darunter zusammenbrechen lassen, aber Falstad meisterte beides mit der Leichtigkeit, die seinesgleichen angeboren war.
»Herr Falstad. Ich grüße Euch.«
»Bitte! Für meine Freunde bin ich einfach Falstad! Ich bin Herr von nichts – abgesehen von meinem eigenen, wundersamen Schicksal natürlich!«
»Und ich bin einfach Vereesa für meine Freunde …« Obwohl der Zwerg eine ziemlich hohe Meinung von sich selbst zu haben schien, machte es etwas in seiner Art schwer, ihn nicht zu mögen – allerdings dann doch auch nicht so sehr, wie es sich Falstad wahrscheinlich gewünscht hätte. Er gab sich keine Mühe, sein Interesse an ihr zu verbergen und erlaubte seinen Augen sogar dann und wann in die Gegend unterhalb ihres Gesichts abzuwandern.
Die Waldläuferin entschied, dass sie diese Sache besser gleich klärte. »… die meine Freunde genau so lange bleiben, wie sie mich mit dem Respekt behandeln, den ich ihnen im Gegenzug erweise.«
Der Blick der dunklen Augen zuckte zurück in unverfänglichere Regionen. Doch ansonsten gab sich Falstad unschuldig, als hätte er den Hintersinn ihrer Worte nicht verstanden. »Wie geht es mit Euren Bestrebungen voran, den Zauberer aufs Wasser zu bringen, meine Elfendame? Wenn ich raten darf: schlecht, sehr schlecht …«
»Ihr habt Recht. Es scheint, als seien die einzigen Schiffe, die nicht zerstört wurden, gleich wieder in See gestochen, um ruhigere Gestade anzulaufen. Hasic verdient die Bezeichnung Hafen momentan nicht mehr.«
»Traurig, traurig. Wir sollten dies bei einer guten Flasche Branntwein näher erörtern! Was meint Ihr?«
Vereesa unterdrückte angesichts solch unerschütterlicher Hartnäckigkeit ein Schmunzeln. »Ein anderes Mal vielleicht. Ich habe noch immer eine Aufgabe zu erfüllen, und Ihr …«, Vereesa deutete auf den Sack, »… scheint auch eine zu haben.«
»Dieser kleine Beutel?« Er hievte den schweren Sack mit Leichtigkeit nach vorn. »Nur ein paar Vorräte, gerade genug, bis wir diese Menschenstätte wieder verlassen. Ich muss sie lediglich Molok geben, und schon könnten Ihr und ich uns auf den Weg machen, um …«
Die Waldläuferin schluckte die immer noch freundliche, wenn auch diesmal unverblümtere Ablehnung herunter, die ihr auf der Zunge lag, herunter, denn der unweit entfernt aufklingende, zornige Schrei eines Greifen – gefolgt von lauter werdenden, streitenden Stimmen – versetzte sie und Falstad in Alarmbereitschaft. Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Zwerg von ihr ab. Den Sack ließ er achtlos zu Boden fallen und packte stattdessen den Sturmhammer mit beiden Fäusten. Für jemanden seiner Statur bewegte er sich unglaublich behende, sodass er bereits die halbe Straße hinter sich gebracht hatte, bis Vereesa überhaupt los lief.
Sie zog ihre eigene Waffe und legte Tempo zu. Die Stimmen wurden lauter, gewannen an Schärfe, und die Waldläuferin hatte das ungute Gefühl, dass eine davon Rhonin gehörte.
Die Straße erweiterte sich rasch in eines der Schutt übersäten Areale, die nach der Zerstörung geblieben waren. Einige der Greifenreiter erwarteten hier ihren Anführer, und aus noch unerfindlichen Gründen war Rhonin offenbar auf die Idee gekommen, sich mit ihnen anzulegen. Zauberer waren schon häufig für verrückt erklärt worden, aber dieser hier zählte zweifelsfrei zu den Allerverrücktesten, wenn er meinte, ungeschoren davonzukommen, wenn er es sich mit wilden Zwergen verscherzte.
Und tatsächlich hatte ihn einer bereits am Kragen gepackt und den Menschen gut einen Fuß über den Boden in die Luft gehoben.
»Ich sagte, lass uns in Ruhe, Elender! Wenn deine Ohren nicht funktionieren, kann ich sie dir genauso gut abreißen!«
»Molok!«, rief Falstad. »Was hat der Zauberer getan, das dich so in Wut versetzt?«
Sein Opfer weiterhin gestemmt, wandte sich der andere Zwerg seinem Anführer zu. Er hätte Falstads Zwilling sein können, sah man von der Narbe über seiner Nase und den völlig humorlosen Gesichtszügen ab. »Der da folgte Tupan und den anderen erst zum Hauptlager und dann, als Tupan ihn weggeschickt hatte und abgeflogen war, hierher zu unserem Treffpunkt! Sagte ihm zweimal, er solle verschwinden, aber der Mensch scheint guten Willen nicht zu erkennen. Dachte, vielleicht sieht er klarer, wenn ich ihm zu einem luftigeren Standpunkt verhelfe, wo er über die Dinge nachdenken kann.«
»Zauberer …!«, knirschte der Anführer der Drachenstaffel. »Ihr habt mein aufrichtiges Mitgefühl, meine Elfendame.«
»Sagt Eurem Gefährten, er soll ihn herunterlassen oder ich sehe mich gezwungen, ihm die Überlegenheit eines guten Elfenschwertes zu seinem Hammer zu demonstrieren.«
Falstad wandte sich blinzelnd um. Er starrte die Waldläuferin an, als sähe er sie gerade zum ersten Mal. Sein Blick huschte kurz zu der schmalen, glänzenden Klinge, dann zurück zu den zusammengekniffenen, zu allem entschlossenen Augen.
»Ihr würdet das tun, nicht wahr? Ihr würdet diese Kreatur gegen jene verteidigen, die schon gute Freunde Eures Volkes waren, noch bevor die Menschen überhaupt auf der Bühne der Welt erschienen …«
»Sie muss mich nicht verteidigen«, erklang Rhonins Stimme. Der baumelnde Magier wirkte eher ungehalten über seine Lage, als wirklich verängstigt. Vielleicht ahnte er nicht einmal, dass Molok ihm fast spielerisch das Rückgrat brechen konnte, wenn er es darauf anlegte. »Bis jetzt habe ich meine Gefühle unter Kontrolle gehalten, aber …«
Alles, was er von diesem Punkt an hätte sagen können, hätte nur geradewegs in einen unausweichlichen Kampf geführt. Vereesa reagierte rasch, unterbrach Rhonin mit einem Wink und stellte sich zwischen Falstad und Molok. »Das hier ist völlig unsinnig. Die Horde ist noch nicht einmal restlos besiegt, und schon gehen wir uns gegenseitig an die Kehlen. Sollten Verbündete so handeln? Befehlt Euren Kriegern, ihn freizugeben, Falstad, und wir werden sehen, ob sich dies alles nicht mit Vernunft klären lässt.«
»Is' doch bloß ein Zauberer …«, murmelte der Anführer der Greifenreiter, unterwies Molok aber nichtsdestotrotz mit einem Kopfnicken, Rhonin loszulassen.
Mit leichtem Widerstreben kam der Zwerg der Aufforderung nach. Danach strich Rhonin mit reservierten Gesichtsausdruck seinen Mantel glatt und ordnete die Haare. Vereesa betete, dass er weiterhin so gelassen bleiben würde.
»Was ist hier vorgefallen?«, wollte sie von ihm wissen.
»Ich kam mit einem einfachen Ansinnen zu ihnen, das war alles. Dass sie so antworten würden, wie geschehen, beweist nur ihre barbarische …«
»Er wollte, dass wir ihn nach Khaz Modan fliegen!«, schnappte Molok.
»Die Greifenreiter?« Vereesa konnte nicht anders, als Rhonins Unverfrorenheit, wenn nicht gar Tollkühnheit bewundern. Denn nichts anderes wäre es gewesen auf dem Rücken eines dieser Ungeheuer über das Meer zu fliegen – und nicht einmal als Lenker, sondern als jemand, der sich an einem Zwerg, statt an den Zügeln, festhalten musste!
Seine Mission musste Rhonin eindeutig mehr bedeuten, als er bisher zu erkennen gegeben hatte, sonst hätte er nicht versucht, Molok und die anderen zu einem solchen Unterfangen zu überreden. Kein Wunder, dass sie ihn für vollkommen irre hielten.
»Ich dachte, sie seien dazu in der Lage und kühn genug, es zu wagen … aber offensichtlich war das ein Irrtum.«
Das konnte Falstad nicht auf sich sitzen lassen. »Wenn in Euren Worten auch nur eine Andeutung liegen sollte, die darauf anspielt, wir seien Feiglinge, Mensch, dann übernehme ich persönlich, wovon ich Molok gerade abgehalten habe! Es gibt kein Volk, das tapferer, und keine Krieger, die stärker sind, als wir Zwerge der Aerie Peaks! Wir haben keine Angst vor den Orks oder den Drachen von Grim Batol; wir wollen nur nicht länger als irgend nötig die Anwesenheit von Euresgleichen ertragen!«
Vereesa erwartete zornige Widerrede von ihrem Schützling, doch Rhonin kniff nur die Lippen zusammen, als hätte er diese Antwort Falstads erwartet. Wenn die Waldläuferin über ihre eigenen Überlegungen und Bemerkungen hinsichtlich Zauberern Revue passieren ließ, wurde ihr klar, dass Rhonin den größten Teil seines Lebens mit derartigen Anfeindungen fertig werden musste.
»Ich befinde mich auf einer Mission für Lordaeron«, erwiderte der Magier. »Das ist alles, was zählen sollte … aber das scheint nicht der Fall zu sein.« Er kehrte den Zwergen den Rücken zu und stapfte davon.
Aufgrund ihrer Mutmaßungen, Rhonins vermeintliche Spionagemission betreffend, fasste Vereesa, das Schwert noch immer fest in der Hand, einen raschen, nahezu verzweifelten Entschluss. »Wartet, Magier!«
Er hielt inne, offenbar überrascht von ihrem plötzlichen Ausbruch. Die Waldläuferin sprach jedoch nicht zu ihm, sondern richtete ihre Worte erneut an den Anführer der Greifenreiter. »Falstad, gibt es denn gar keine Hoffnung, dass Ihr uns so nah wie möglich an Grim Batol heranbringt? Ohne Euch, haben Rhonin und ich endgültig versagt!«
Das Mienenspiel des Zwerges zeigte Verwirrung. »Ich dachte, der Zauberer reist allein …«
Sie schenkte ihm einen um Verständnis bettelnden Blick, in der Hoffnung, dass Rhonin, der sie wachsam beäugte, dies nicht missverstehen würde. »Und wie wären wohl seine Aussichten, wenn er zum ersten Mal einer mächtigen Ork-Axt begegnete? Er könnte vielleicht ein oder zwei dieser Monster mit seinen Zaubersprüchen besiegen, aber sobald die nächsten ihn erreichen würden, wäre er ohne einen guten Schwertarm verloren.«
Falstad sah, wie sie ihre Waffe schwang, und der Ausdruck von Verwirrung schwand. »Aye, und es ist ein guter Arm – mit oder ohne Schwert!« Der Zwerg schaute erst Rhonin an, dann seine Männer. Er zupfte an seinem langen Bart, und sein Blick kehrte zu Vereesa zurück. »Für ihn würde ich dies kaum in Erwägung ziehen, aber für Euch – und für die Allianz von Lordaeron natürlich – bin ich dazu mehr als bereit … Molok!«
»Falstad. Das kann nicht dein Ernst sein …«
Der Anführer der Zwerge schlenderte an die Seite seines Freundes und legte einen Arm kameradschaftlich um den bestürzten Molok. »Es geht um den Ausgang des Krieges, Bruder! Denk nur, womit du dich wirst brüsten können. Vielleicht Können wir sogar den einen oder anderen Drachen auf dem Weg erschlagen und unseren glorreichen Taten hinzufügen, hm?«
Nicht wirklich besänftigt, nickte Molok schließlich und murmelte: »Und ich nehme an, dass die Lady mit dir fliegen wird?«
»Da die Elfen unsere ältesten Verbündeten sind und ich der Anführer der Staffel, aye! Mein Rang fordert es, nicht wahr, Bruder?«
Diesmal nickte Molok nur stumm. Doch seine finstere Miene sagte alles.
»Wunderbar«, rief Falstad. Er wandte sich erneut an Vereesa. »Und wieder einmal nahen die Zwerge der Aerie Peaks als Retter in höchster Not! Das schreit nach einem Umtrunk – noch einem Krug Ale … oder nach zweien, hm?«
Die Mienen der anderen Zwerge, sogar Moloks, erhellten sich bei dieser Ankündigung. Die Waldläuferin sah, dass Rhonin es vorgezogen hätte, sich an dieser Stelle zu verabschieden, doch er unterließ es. Vereesa hatte ihm seinen Transport zur Küste von Khaz Modan, vielleicht sogar bis in die Nähe von Grim Batol, verschafft – insofern geziemte es sich nur für ihn, allen Beteiligten seine Dankbarkeit zu zeigen. Natürlich wären auch Falstad und seine Kameraden froh gewesen, von Rhonins Gegenwart erlöst zu werden, aber Vereesa war im Stillen dankbar, dass er sie nicht allein der Gesellschaft der Greifenreiter überließ.
»Wir schließen uns Euch mit Freude an«, erwiderte sie. »Ist es nicht so, Rhonin?«
»Auf jeden Fall.« Die Begeisterung in seinen Worten ähnelte der eines Mannes, der gerade etwas Übelriechendes an seinem Schuh entdeckt hat.
»Hervorragend!« Falstad würdigte den Zauberer nicht einmal eines Blickes. Zu Vereesa sagte er: »Der Seekeiler steht noch und, und der Wirt ist uns ziemlich dankbar für unsere guten Dienste der Vergangenheit. Es sollte gelingen, noch ein paar weitere Fässer Ale zu schnorren … Kommt!«
Er hätte sicher darauf bestanden, sie persönlich zu begleiten, doch die Waldläuferin brachte sich geschickt aus seiner Reichweite. Falstad schien diese Kränkung nicht zu bemerken und war im Moment wohl eher an Ale, als an Elfen interessiert. Seine Männer zu sich winkend, führte er sie in Richtung ihrer Lieblingsschenke.
Rhonin schloss sich ihr an, doch als sie Anstalten machte, den Zwergen zu folgen, nahm er sie unvermittelt zur Seite; seine Miene war finster.
»Was habt Ihr Euch dabei gedacht?«, zischte der Magier mit dem feuerroten Haar. »Nur ich gehe nach Khaz Modan!«
»Ihr hättet niemals Aussichten gehabt, dort hin zu gelangen, wenn ich nicht eingeflochten hätte, das ich Euch begleite. Ihr habt gesehen, wie sich die Zwerge davor verhielten …«
»Ihr wisst nicht, auf was Ihr Euch da einlasst, Vereesa!«
Sie brachte ihr Gesicht bis auf wenige Zentimeter an das seine heran. »Und was wäre das wohl? Mehr als eine einfache Erkundung von Grim Batol? Ihr plant etwas – oder nicht?«
Rhonin schien fast bereit, ihr darauf zu antworten, doch in diesem Moment rief jemand nach ihnen. Sie schauten beide hinter sich und sahen Duncan Senturus auf sie zukommen.
Der Elfe wurde bewusst, dass sie, als sie Falstad davon überzeugt hatte, Rhonin und sie über das Meer zu bringen, nicht mehr an den Paladin gedacht hatte. Und nun hatte sie das ungute Gefühl, dass er – soweit glaubte sie den Ritter zu kennen – darauf bestehen würde, sie ebenfalls zu begleiten.
Dieser Gedanke war dem Zauberer, dessen Ärger auf die Waldläuferin noch immer nicht verraucht war, offenbar noch nicht gekommen. »Wir sprechen darüber, wenn wir allein sind, Vereesa, aber wisset bereits dies: Wenn wir die Küste von Khaz Modan erreichen, werde ich – und nur ich – meine Mission dort erfüllen! Ihr aber werdet mit unserem guten Freund Falstad zurückkehren. Und solltet ihr versuchen, das Schicksal noch weiter herauszufordern …«
Seine Augen glühten. Glühten wortwörtlich. Selbst die unerschütterliche Elfe konnte nicht anders, als davor zurückzuschrecken.
»… werde ich euch höchstpersönlich hierher zurückjagen!«