3

Die Welt wurde zu Feuer.

Vereesa fluchte, als sie und der Magier unter dem Inferno, das der feuerrote Drache spie, zusammenbrachen. Wenn Rhonin sich nicht verspätet hätte, wäre das nie passiert. Sie würden jetzt in Hasic sein, und sie hätte sich schon von ihm getrennt. Nun war es eher wahrscheinlich, dass sie beide ihr Leben einbüßten …

Sie hatte gewusst, dass die Orks von Khaz Modan immer noch gelegentlich Drachen entsandten, um die sonst so friedlichen Länder ihrer Feinde zu terrorisieren, aber warum hatten ihr Gefährte und sie das Pech, von einem solchen aufgespürt zu werden? Es gab heutzutage weniger Drachen, und die Reiche des Lordaeron waren zahlreich.

Sie blickte zu Rhonin, der sich tiefer in den Wald geflüchtet hatte. Natürlich! Irgendwie hatte es damit zu tun, dass ihr Begleiter ein Zauberer war. Drachen besaßen noch sensiblere Sinne als Elfen. Manche sagten, sie könnten bis zu einem gewissen Grad Magie wittern. Irgendwie musste diese katastrophale Eskalation der Ereignisse die Schuld des Zauberers sein. Der Ork und sein Drache waren seinetwegen gekommen!

Rhonin dachte augenscheinlich Ähnliches, denn er verschwand so schnell er konnte zwischen den Bäumen auf der gegenüberliegenden Seite.

Die Waldläuferin schnaubte. Zauberer waren nicht geschaffen für die Front. Es war eine Sache, jemanden aus sicherer Entfernung anzugreifen oder rücklings, doch sobald sie einem Feind offen die Stirn bieten mussten …

Immerhin, es war ein Drache.

Er jagte im Sturzflug auf den flüchtenden Menschen herab, und gleichgültig, was sie persönlich über Rhonin dachte, Vereesa wollte nicht, dass er starb. Doch so sehr sie sich auch suchend umschaute, die silberhaarige Waldläuferin konnte nichts finden, womit sie dem Zauberer hätte helfen können. Ihr Pferd war mit dem seinen umgekommen, und auch ihr guter Bogen war für immer verloren. Alles was ihr noch blieb, war ihr Schwert. Nicht gerade die ideale Waffe, um etwas gegen einen tobenden Titanen auszurichten. Wieder blickte sie sich suchend um, fand aber nichts Brauchbares.

Das ließ ihr wenig Handlungsspielraum. Als Waldläuferin war es ihre Pflicht, dem Zauberer zu helfen, ganz gleich wie. Also tat Vereesa tat das Einzige, was sie überhaupt noch tun konnte, um ihm vielleicht doch noch das Leben zu retten.

Die Elfe sprang aus ihrem Versteck auf, gestikulierte wild mit ihren Armen und schrie: »Hier! Hier drüben, du Eidechsenbrut! Hier!«

Der Drache hörte sie nicht, seine Aufmerksamkeit – Vereesa hatte mittlerweile festgestellt, dass sie es mit einem männlichen Vertreter seiner Gattung zu tun hatten – widmete sich ganz dem brennenden Wald unter ihm. Irgendwo in dem Inferno kämpfte Rhonin ums nackte Überleben. Der Drache versuchte, ihm dies unmöglich zu machen.

Fluchend schaute sich die Elfenkriegerin um und fand einen schweren Stein. Für einen Menschen wäre das, was sie vorhatte, fast unmöglich gewesen – nicht so für sie. Vereesa hoffte nur, dass ihre Zielkünste noch so gut waren wie vor ein paar Jahren …

Sie lehnte sich zurück, um dem roten Leviathan den Stein an den Kopf zu werfen. Sie hatte ihn weit genug geschleudert, doch plötzlich bewegte sich der Drache, und einen Moment lang fürchtete Vereesa, der Stein würde ihn völlig verfehlen.

Er traf zwar nicht den Kopf, streifte aber den Flügel. Vereesa hatte nicht erwartet, das Biest spürbar zu verletzen – ein einfacher Stein gegen harte Drachenschuppen war eine nahezu lächerliche Waffe –, erhoffte sich aber, die volle Aufmerksamkeit des Tieres auf sich zu ziehen.

Und das gelang ihr.

Der massige Kopf drehte sich sofort zu ihr um, und der Drache brüllte seine Wut über die Störung hinaus, worauf der Ork seinem Reittier etwas Unverständliches zuschrie.

Das große geflügelte Wesen drehte bei und steuerte genau auf die Elfe zu. Sie hatte es also geschafft, ihn von dem glücklosen Magier abzulenken.

Und was jetzt?, schalt sich die Waldläuferin.

Sie drehte sich um und rannte los, obwohl sie wusste, dass sie gegenüber einem monströsen Verfolger wie diesem keine Chance hatte.

Die Baumwipfel über ihr zerbarsten im Feuer, als der Drache die Landschaft damit überzog. Brennendes Gezweig stürzte vor ihr nieder und versperrte ihr den Weg, den sie hatte nehmen wollen.

Ohne Zögern wandte sie sich nach links und tauchte zwischen Bäumen unter, die noch nicht Teil des Infernos geworden waren.

Du wirst sterben! Und alles nur wegen diesem nutzlosen Zauberer!

Ohrenbetäubendes Brüllen veranlasste sie, über ihre Schulter zu spähen. Der rote Drache hatte sie fast erreicht und fuhr gerade seine Krallen aus, um nach der fliehende Waldläuferin zu schnappen. Vereesa war überzeugt, von den Klauen zerquetscht oder, schlimmer noch, in das fürchterliche Maul des Tatzelwurms gezerrt zu werden, wo dessen mächtige Kiefer sie entweder erst zermalmen oder gleich in einem Bissen hinunterschlucken würden.

Doch als der Tod schon unausweichlich schien, zog der Drache plötzlich seine Krallen zurück und krümmte sich in der Luft. Die Klauen rissen an seinem eigenen Körper. Das hieß, seine sämtlichen Nägel versuchten, überall zugleich zu kratzen, gerade so, als ob … als ob der Leviathan unter einem unbeschreiblichen Juckreiz litte.

Auf seinem Rücken saß der Ork und kämpfte um die Kontrolle, doch er hätte ebenso gut der Floh sein können, der den Drachen stach, so wenig gehorchte dieser ihm jetzt noch.

Vereesa stand da und konnte nur starren. Einen solch seltsamen Anblick hatte sie noch nie zuvor erlebt. Der Drache drehte und wendete sich, um seine Pein loszuwerden, und seine Bewegungen wurden immer heftiger. Sein Ork-Reiter konnte sich kaum noch festhalten. Was, fragte sich die Elfe, konnte dem Monster so heftig zusetzen?

Die Antwort, die ihr schließlich einfiel, flüsterte sie nur: »Rhonin …?«

Und als ob sie mit dem Aussprechen des Namens einen Geist heraufbeschworen hätte, stand der Magier unvermittelt vor ihr. Sein feuerfarbenes Haar war zerzaust und seine dunkle Robe voller Schlamm und zerfetzt, doch aus dem Konzept schien ihn das nicht zu bringen.

»Ich denke, es wäre besser, von hier zu verschwinden, so lange wir noch dazu in der Lage sind, oder, Elf?«

Das brauchte er ihr nicht zweimal zu sagen.

Und dieses Mal war es Rhonin, der sie führte. Er gebrauchte dazu irgendeine Kunst, irgendeinen Zauber, und lotste sie damit durch den brennenden Wald. Vereesa selber hätte es nicht besser vermocht. Rhonin führte sie auf Pfaden, die die Elfe noch nicht einmal gesehen hatte, bis sie diese entlang schritten.

Die ganze Zeit pflügte der Drache durch die Lüfte über ihnen, immer noch an seiner Haut kratzend. Einmal sah Vereesa auf und stellte fest, dass er es geschafft hatte, sich mit einer der wenigen Waffen, die Drachenhaut durchdringen konnten, zu verletzen – mit seinen eigenen Drachenkrallen.

Von dem Ork war nichts mehr zu sehen, irgendwann hatte der Krieger mit den Stoßzähnen wohl seinen Halt verloren und war abgestürzt. Vereesa hatte keinerlei Bedauern für ihn übrig.

»Was habt Ihr mit dem Drachen gemacht?«, konnte sie endlich hervorstoßen.

Rhonin, der immer noch damit beschäftigt war, einen Ausweg aus den Flammen zu finden, drehte sich nicht zu ihr um. »Etwas, das nicht so geklappt hat, wie ich es wollte. Er hätte mehr erleiden müssen als nur einen starken Juckreiz!«

Er klang wirklich zornig über sich selbst, aber die Waldläuferin war zum ersten Mal beeindruckt von ihm. Er hatte sie vor dem sicheren Tode gerettet – falls sie diesem Wald je entkamen.

Hinter ihnen brüllte der Drache vor Wut und Frustration.

»Wie lange wird es anhalten?«

Endlich stoppte er und sah sie an. Was sie in seinem Blick lesen konnte, beunruhigte sie sehr. »Auf jeden Fall nicht lange genug …«

Sie verdoppelten ihre Anstrengungen. Das Feuer umzingelte sie fast vollständig, doch irgendwann erreichten sie seinen Rand, rannten weiter in eine Gegend, durch die nur dichter schwarzer Rauch trieb. Hustend stolperten sie weiter auf der Suche nach einer rettenden Schneise, wo der Wind von vorne blies und dadurch Feuer und Rauch hinter ihnen zurückhalten würde.

Ein neuerliches Brüllen schreckte sie auf, denn es klang nicht mehr gequält, sondern wütend und rachsüchtig. Der Zauberer und die Waldläuferin drehten sich um und spähten in die Richtung der roten Bestie.

»Der Zauber hat seine Wirkung verloren«, murmelte Rhonin unnötigerweise.

Er hatte Recht, und Vereesa konnte sehen, dass der Drache genau wusste, wer für seine Schmerzen verantwortlich war. Mit fast unfehlbarer Sicherheit kam der Drache auf sie zu, um sie zu vernichten. Seine riesigen ledrigen Flügel peitschten die Luft.

»Habt Ihr noch einen Zauber übrig?«, rief Vereesa im Rennen.

»Vielleicht. Aber den würde ich hier lieber nicht einsetzen. Er könnte uns auch erfassen!«

Als ob das noch einen Unterschied machen würde – Zauber oder Drache, eins von beiden würde ihr Schicksal besiegeln, so oder so. Die Elfe hoffte, dass Rhonin sich zu seinem tödlichen Zauber entschloss, bevor sie beide als Drachenfutter endeten.

»Wie weit …?« Der Magier schnappte nach Luft. »Wie weit ist es noch bis Hasic?«

»Zu weit!«

»Irgendeine Siedlung zwischen hier und Hasic?«

Sie versuchte nachzudenken. Ein Ort fiel ihr ein, aber sie erinnerte sich weder an den Namen der Niederlassung, noch von wem sie bewohnt war. Nur dass sie ungefähr eine Tagesreise entfernt lag. »Da gäbe es eine, aber …«

Das Brüllen des Drachen ließ sie beide erzittern. Ein Schatten zog über sie hinweg.

»Falls Ihr wirklich einen anderen Zauber kennt, würde ich vorschlagen, wendet ihn an – sofort!« Vereesa wünschte sich ihren Bogen zurück. Mit ihm hätte sie wenigstens auf die Augen der Bestie zielen können und eine reelle Chance gehabt, sie damit aufzuhalten oder zumindest entscheidend zu irritieren. Der Schock und Schmerz eines solchen Treffers hätte vielleicht sogar ausgereicht, das Monster zu vertreiben.

Sie prallten fast zusammen, als Rhonin unerwartet stehen blieb und sich umdrehte, um der Gefahr ins Auge zu blicken. Mit für einen Zauberer überraschend starken Händen packte er sie an den Armen und stieß sie beiseite. Seine Augen glühten.

Vereesa hatte zwar gehört, dass wirklich mächtige Magier dazu in der Lage waren, aber sie hatte es selbst noch niemals erlebt.

»Bete, dass es nicht auf uns zurückschlägt«, keuchte er. Dann begann er in einer Sprache zu murmeln, die Vereesa unbekannt war und ihr Schauer über den Rücken jagte.

Rhonin führte seine Hände zusammen, begann wieder zu sprechen …

Drei neue geflügelte Wesen brachen durch die Wolken.

Vereesa ächzte, und Rhonin verstummte, brach den Zauber ab.

Er sah aus, als wollte er den Himmel verfluchen, doch dann sah die Elfe, was da über ihrem fürchterlichen Feind aufgetaucht war.

Greife! Riesige, adlerköpfige Greife mit Löwenkörpern und Flügeln … und mit Reitern.

Sie zog Rhonin am Ärmel. »Unternimm nichts!«

Er starrte sie wütend an, nickte aber. Sie sahen wieder hinauf zu dem Drachen.

Die drei Greife stürzten auf ihn herab und überraschten ihn völlig. Nun konnte Vereesa auch ihre Lenker erkennen, aber sie hatte es schon zuvor geahnt. Nur die Zwerge der Luftigen Gipfel, einer weit entfernten Bergregion, die noch hinter dem Reich Quel'thalas lag, vermochten die wilden Greife zu reiten … und nur diese geübten Krieger und ihre Reittiere konnten es überhaupt wagen, einen Luftkampf mit einem Drachen einzugehen.

Obwohl sie viel kleiner waren als der karmesinrote Gigant, machten die Greife diesen Nachteil durch ihre riesigen, rasiermesserscharfen Krallen wert, mit denen sie selbst Drachenschuppen durchdringen konnten, und durch Schnäbel, die das Fleisch darunter herauszuhacken vermochten. Außerdem waren sie viel wendiger und schlugen Haken in der Luft, denen ein Drache nie folgen konnte.

Die Bergzwerge waren auch nicht ausschließlich Lenker. Sie waren größer und schlanker als ihre im Boden lebenden Verwandten, aber genauso stark.

Obwohl ihre bevorzugten Waffen im Luftkampf die legendären Sturmhämmer waren, führte dieses Trio gewaltige doppelseitige Streitäxte an langen Griffen mit sich und handhabte sie mit beeindruckender Leichtigkeit. Die Waffen wurden aus einem dem Adamant verwandten Metall hergestellt und konnten selbst die schuppigen, knöchernen Schädel der Tatzelwürmer durchstoßen. Es ging das Gerücht, dass der große Greifenreiter Kurdran einen noch mächtigeren Drachen als diesen hier mit einem einzigen gut gezielten Hieb einer solchen Axt erlegt habe.

Die geflügelten Tiere umkreisten ihren Gegner, sodass dieser sich ständig umdrehen musste, um zu sehen, woher nun die größte Gefahr kam. Die Orks hatten mittlerweile gelernt, vor den Greifen auf der Hut zu sein, aber ohne seinen Reiter schien der Drache ziemlich ratlos zu sein. Die Zwerge machten sofort von ihrem Vorteil Gebrauch und stoben auf ihren Reittieren hin und her, was den Drachen zunehmend verdross. Die langen Bärte und Pferdeschwänze der Zwerge flatterten im Wind, während sie dem riesigen Untier furchtlos ins Gesicht lachten. Das bellende Lachen machte den roten Leviathan noch wütender, und er warf sich herum, wobei er seine nutzlosen Attacken mit Feuerstößen unterstrich.

»Sie rauben ihm seine Orientierung«, bemerkte Vereesa, von dieser Taktik beeindruckt. »Sie wissen, dass er jung ist und zu zornig, um eine Strategie zu entwickeln.«

»Das ist für uns der richtige Zeitpunkt, um zu verschwinden«, antwortete Rhonin.

»Sie könnten unsere Hilfe gebrauchen!«

»Ich habe einen Auftrag zu erfüllen«, sagte er mit einem düsteren Blick. »Und sie haben es unter Kontrolle.«

Das stimmte. Obwohl sie noch keinen Schlag gegen das Untier geführt hatten, waren ihm die Greife deutlich überlegen.

Das Trio raste weiter um den Drachen herum, machte ihn schwindelig. Er versuchte, einen von ihnen im Blick zu behalten, doch die beiden anderen lenkten ihn ständig ab. Nur einmal kam sein Feuerstoß einem der geflügelten Gegner bedrohlich nahe.

Einer der Zwerge packte plötzlich seine Waffe, und das Ende der Axt blitzte in der Sonne. Noch einmal flog er um den Drachen herum, dann, als er dessen Hals nahe kam, stürzte der Greif plötzlich auf ihn herab. Seine Klauen gruben sich in den Nacken und pflügten die Schuppenhaut auf. Als der Schmerz den Drachen durchfuhr, holte der Zwerg mit seiner Axt aus und ließ sie niedersausen.

Die Klinge drang tief ein. Nicht tief genug, um zu töten, aber mehr als ausreichend, um den Riesenwurm vor Schmerz aufheulen zu lassen.

Er drehte sich aus einem Reflex heraus um und streifte dabei den Zwerg und dessen Greif. Beide gerieten ins Trudeln. Der Reiter vermochte sich zwar festzuhalten, aber die Axt entglitt seinem Griff und fiel in die Tiefe.

Instinktiv wollte Vereesa auf die zu Boden gegangene Waffe zulaufen, aber Rhonin versperrte ihr mit seinem Arm den Weg. »Ich sagte, wir müssen weg!«

Sie wollte widersprechen, doch ein weiterer Blick auf die Kämpfenden sagte ihr, dass sie hier nichts ausrichten konnte. Der verwundete Drache war noch höher geflogen, und die Greifenreiter ließen auch jetzt nicht von ihm ab. Die Waldläuferin hätte nur die Axt sinnlos schwenken können …

»Nun gut«, murmelte sie endlich.

Zusammen entfernten sie sich vom Ort des Kampfes und verließen sich nun wieder auf Vereesa, die allein wusste, wo ihr Bestimmungsort lag.

Hinter ihnen schrumpften der Drache und die Greife zu winzigen Punkten am Himmel. Die Auseinandersetzung bewegte sich von der Elfe und ihrem Gefährten weg.

»Seltsam …«, hörte sie den Zauberer wispern.

»Was ist?«

Er fuhr herum. »Diese Ohren tun also doch nicht nur so, als ob sie zu etwas nütze seien, oder?«

Vereesa erzürnte diese Beleidigung, obwohl sie sich schon Schlimmeres hatte anhören müssen. Menschen und Zwerge waren ziemlich neidisch auf die Überlegenheit der Elfensinne und ließen ihren Unmut oft an den langen, spitzen Ohren aus. Sie waren schon mit Esels-, Schweine- und, am übelsten, mit Goblinohren verglichen worden. Obwohl Vereesa noch keine Waffe ob dieser Beleidigungen gezogen hatte, waren viele nach solchen Worte nicht mehr sonderlich froh gewesen.

Die smaragdgrünen Augen des Magiers verengten sich. »Es tut mir Leid, Ihr fühlt euch beleidigt. Ich hatte es nicht so gemeint.«

Sie bezweifelte die Aufrichtigkeit seiner Entschuldigung, akzeptierte sie aber und schluckte ihren Ärger hinunter. Noch einmal fragte sie: »Was findet Ihr so seltsam?«

»Dass der Drache genau in diesem Augenblick aufgetaucht ist.«

»Wenn Ihr so denkt, könntet Ihr auch fragen, warum die Greife auftauchten. Immerhin haben sie ihn vertrieben.«

Er schüttelte den Kopf. »Jemand sah ihn und machte Meldung. Die Reiter haben nur ihre Pflicht getan.« Er überlegte. »Ich weiß, dass der Dragonmaw-Clan ziemlich verzweifelt sein soll, angeblich kämpfen sie gegen die anderen Rebellen-Clans und die Menschen in den Enklaven, aber dies ist nicht die beste Art, damit umzugehen.«

»Wer kann schon sagen, wie ein Ork denkt? Es war bestimmt ein einzelner Plünderer. Dies war nicht der erste Angriff innerhalb des Bündnisses, Mensch.«

»Nein, aber ich frage mich, ob …« Rhonin kam nicht weiter, denn plötzlich nahmen sie beide Bewegungen im Wald wahr … in allen Richtungen.

Mit geübter Leichtigkeit zog die Waldläuferin ihre Klinge aus der Scheide. Neben ihr verschwanden Rhonins Hände in den tiefen Falten seiner Robe – ohne Zweifel, um einen neuen Zauberspruch zu beginnen.

Vereesa sagte nichts, fragte sich aber, wie nützlich ihr Begleiter wohl im Nahkampf sein würde. Besser, er hielt sich zurück und ließ sie mit den Angreifern fertig werden.

Zu spät.

Sechs massige Gestalten auf Pferden brachen durch das Gebüsch und umzingelten sie. Sogar im schwindenden Sonnenlicht glänzten ihre Rüstungen hell.

Eine Lanze war auf die Brust der Elfe gerichtet. Eine weitere berührte Rhonins Brust beinahe, und zusätzlich bedrohte ihn eine von hinten.

Die Gesichtszüge ihrer Gegner waren von Visier-Helmen verdeckt, gekrönt von einem Löwenkopf. Als Waldläuferin war es Vereesa ein Rätsel, wie in solchen Rüstungen gekämpft, geschweige denn gesiegt werden konnte, doch die sechs Reiter bewegten sich in ihren Sätteln, als würden sie davon nicht sonderlich beeinträchtigt.

Ihren riesigen, grauen Kriegspferde, die ebenfalls Rüstungen trugen, schien das Extragewicht überhaupt nichts auszumachen.

Die Neuankömmlinge trugen kein Banner, und das einzige Zeugnis ihrer Identität schien das Abbild einer stilisierten, dem Himmel zugewandten Hand zu sein, die in die Brustpanzerung eingeprägt war.

Doch auch wenn Vereesa jetzt wusste, um wen es sich handelte, gab dies noch keinen Anlass zur Entwarnung. Das letzte Mal, dass sie solchen Männern begegnet war, hatten sie andere Rüstungen getragen, solche mit Hörnern am Helm und den Insignien von Lordaeron auf Brustplatte und Schild.

Und dann löste sich langsam ein siebter Reiter aus dem Wald. Er trug mehr die traditionelle Rüstung, die Vereesa erwartet hatte. Im Schatten unter dem visierlosen Helm erkannte sie ein ausdrucksstarkes, für einen Menschen altes und weises Gesicht mit einem getrimmten, ergrauenden Bart. Die Symbole von Lordaeron und dessen eigenem religiösem Orden zierten nicht nur Schild und Brustplatte, sondern auch den Helm des Mannes. Eine silberne Gürtelschnalle, die einen Löwen darstellte, hielt den Gürtel zusammen, in dem der mächtige, spitze Kriegshammer steckte, mit dem Menschen wie er zu kämpfen pflegten.

»Ein Elf,« murmelte er, als er sie musterte. »Euer starker Arm ist willkommen.« Er schien der Anführer zu sein und beäugte Rhonin misstrauisch, um dann mit offener Verachtung zu bemerken: »Und eine verdammte Seele. Lasst Eure Hände, wo wir sie sehen können, und wir werden nicht versucht sein, sie Euch abzuschneiden.«

Während Rhonin sichtbar damit kämpfte, seinen Zorn im Zaum zu halten, fühlte sich Vereesa zwischen Erleichterung und Unsicherheit hin und her gerissen.

Sie befanden sich in der Gewalt der Paladine Lordaerons – den berühmten Rittern der Silbernen Hand.


Sie trafen sich an einem Ort der Schatten, einem Ort, den nur wenige zu erreichen vermochten, selbst wenn sie von ihrer Art waren. Hier wiederholten sich beständig die Träume der Vergangenheit, bewegten sich diffuse Schatten durch den Nebel der Vergangenheit, der den Geist umwehte. Nicht einmal die beiden, die sich hier trafen, wussten, wie viel von diesem Reich in der Wirklichkeit existierte und wie viel nur in ihren Gedanken, aber sie wussten, dass sie hier nicht belauscht wurden.

Angeblich.

Beide waren hochgewachsen und schlank, ihre Gesichter mit Schleiern verhüllt.

Bei dem Einen handelte es sich um den Zauberer, den Rhonin als Krasus kannte; der andere wirkte, sah man davon ab, dass seine Robe grünlicher schimmerte als die graue von Krasus, wie dessen Zwilling. Nur wenn gesprochen wurde, wurde deutlich, dass der andere im Gegensatz zum Berater der Kirin Tor eindeutig männlichen Geschlechts war.

»Ich weiß nicht einmal, warum ich hergekommen bin«, sagte er zu Krasus.

»Weil Ihr es musstet. Es war notwendig.«

Der andere stieß ein hörbares Zischen aus. »Das mag stimmen, doch jetzt, wo ich da bin, kann ich gehen, wann immer ich es will.«

Krasus hob eine schmale, behandschuhte Hand. »Hört mich wenigstens an.«

»Aus welchem Grund? Damit Ihr wiederholen könnt, was Ihr schon so oft vorgebracht habt?«

»Sodass, was ich zu sagen habe, endlich einmal in Euch einsinkt!« Krasus' unerwartet heftige Reaktion überraschte sie beide.

Sein Begleiter schüttelte den Kopf. »Ihr wart zu lange bei ihnen. Eure Abwehr lässt nach, magisch und persönlich. Es wird Zeit, dass Ihr diese hoffnungslose Sache aufgebt … so, wie wir es taten.«

»Ich glaube nicht, dass es hoffnungslos ist.« Zum ersten Mal war in der Stimme eine deutliche Färbung zu hören, eine Stimme, die viel tiefer war, als irgendeines der Mitglieder des Rates der Kirin Tor es je für möglich gehalten hätte. »Das kann ich nicht, solange sie gefangen ist.«

»Es ist verständlich, was sie für Euch bedeutet, Korialstrasz – uns aber bedeutet sie nichts als die Erinnerung an die Vergangenheit.«

»Wenn diese Zeit vorbei ist, warum steht Ihr und die Euren noch auf Euren Posten?«, entgegnete Krasus ruhig; er hatte seine Gefühle wieder unter Kontrolle.

»Weil wir unsere letzten Jahre in Frieden und Ruhe leben wollen …«

»Grund genug, mir in dieser Sache beizustehen.«

Wieder zischte der andere. »Korialstrasz, werdet Ihr Euch je in das Unvermeidliche fügen? Euer Plan überrascht uns nicht, dafür kennen wir Euch zu gut. Wir haben Eure kleine Marionette auf ihrer erfolglosen Mission gesehen – glaubt Ihr, sie könnte sie je erfüllen?«

Krasus wartete einen Moment, bevor er antwortete. »Er hat das Potenzial … doch er ist nicht alles, was ich aufzubieten habe. Nein, ich denke, er wird versagen. Aber sein Opfer wird mir bei meinem endgültigen Erfolg helfen … und wenn Ihr auf meiner Seite wärt, wäre dieser Erfolg noch sicherer.«

»Ich hatte Recht.« Krasus' Begleiter klang schwer enttäuscht. »Das gleiche Gerede. Das gleiche Betteln. Ich bin nur wegen der Verbindung gekommen, die einmal stark zwischen uns war, doch ich erkenne, ich hätte es nicht tun sollen – nicht einmal das. Ihr habt keinen Rückhalt, keine Macht. Es gibt nur noch Euch, und Ihr müsst Euch in den Schatten verbergen …«, er wies auf die Nebel, von denen sie umgeben waren, »… an Orten wie diesen, statt Eure wahre Gestalt zu zeigen.«

»Ich tue, was ich tun muss. Wie steht es mit Euch?« Krasus' Stimme wurde wieder schneidend. »Für welchen Zweck lebt Ihr, mein alter Freund?«

Die andere Gestalt fuhr bei diesem Seitenhieb auf, drehte sich dann aber um, trat ein paar Schritte auf den wabernden Nebel zu, hielt inne und blickte zurück. Krasus' Begleiter klang resigniert. »Ich wünsche Euch nur das Beste, Korialstrasz, das tue ich wirklich. Ich … wir glauben einfach nicht, dass man die Vergangenheit zurückholen kann. Diese Tage sind vorbei, und wir mit ihnen.«

»Das ist also Eure Wahl.« Sie verabschiedeten sich fast schon, doch bevor sie gingen, rief Krasus plötzlich: »Eine Bitte noch, bevor Ihr zu den anderen zurückkehrt.«

»Und welche wäre das?«

Die Gestalt des Magiers schien sich in ihrer Gesamtheit zu verdunkeln, und er fauchte: »Nennt mich nie wieder bei diesem Namen. Nie wieder. Er darf nicht ausgesprochen werden, nicht einmal hier.«

»Niemand könnte je …«

»Nicht einmal hier.«

Etwas in Krasus' Ton brachte den anderen zum Nicken.

Dann verließ er Krasus eilig und verschwand im Nichts.

Der Zauberer starrte auf die Stelle, wo der andere gestanden hatte, und dachte an die möglichen Konsequenzen ihrer fruchtlosen Unterhaltung. Wenn sie es doch nur einsehen würden! Gemeinsam gab es Hoffnung. Jeder auf sich allein gestellt, konnten sie wenig ausrichten … und das würde ihren Feinden in die Hände spielen.

»Narren«, flüsterte Krasus. »Was sind wir doch für unglaubliche Narren …«

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