11

Nekros berührte die Dämonenseele und versuchte, damit seinen nächsten Zug in entscheidender Weise zu beeinflussen. Der Ork-Kommandant hatte den größten Teil der Nacht keinen Schlaf gefunden. Der Umstand, dass Torgus von seiner Mission nicht zurückgekehrt war, zehrte an den Nerven des älteren Kriegers. Hatte er versagt? Waren beide Drachen umgekommen? Wenn ja, welche Art von Streitkräften hatten die Menschen da entsandt, um Alexstrasza zu retten? Eine Armee von Greifenreitern mit Zauberern im Schlepptau? Sicherlich konnte nicht einmal die Allianz solch ein Kontingent entbehren, nicht unter Berücksichtigung des Krieges im Norden und der internen Streitereien …

Er hatte versucht, Zuluhed mit seinen Sorgen zu erreichen, doch der Schamane hatte nicht auf sein magisches Sendschreiben geantwortet. Der Ork wusste, was das bedeutete: Die Dinge standen anderorts dermaßen schlecht, dass Zuluhed keine Zeit erübrigen konnte für das, was sich höchstwahrscheinlich nur als eine aus der Luft gegriffene Befürchtung seines Untergebenen erweisen würde. Der Schamane erwartete von Nekros, dass er wie jeder gute Ork-Krieger handelte, mit Entschlossenheit und Selbstvertrauen … was den verkrüppelten Offizier genau zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurückbrachte.

Die Dämonenseele ließ ihn über große Macht gebieten, aber Nekros wusste, dass er nicht einmal einen Bruchteil ihres wahren Potentials verstand. Genau genommen ließ den Ork sein Grad an Unwissenheit daran zweifeln, ob er es überhaupt wagen durfte, das Artefakt zu mehr einzusetzen, als er es bisher getan hatte. Zuluhed wusste bis heute nicht, was er seinem Untergebenen da anvertraut hatte. Dem Wenigen zufolge, das Nekros im Zuge seiner eigenen Studien herausgefunden hatte, barg die Dämonenseele solch unglaubliche Kraft in sich, dass sie, mit Klugheit eingesetzt, wahrscheinlich imstande gewesen wäre, die gesamten Streitkräfte der Allianz zu vernichten, die, wie der Ork-Offizier wusste, in den nördlichen Regionen von Khaz Modan aufmarschierten.

Der Haken war nur, dass die Scheibe bei fahrlässigem Gebrauch ebenso gut ganz Grim Batol vernichten konnte.

»Gib mir eine scharfe Axt und zwei gesunde Beine, und ich würde dich mit Freuden in den nächsten Vulkan schleudern!«, murmelte er zu dem goldenen Artefakt.

In diesem Moment polterte ein lädiert aussehender Krieger in sein Quartier und ignorierte den plötzlich ungehaltenen Blick seines Kommandanten. »Torgus kehrt zurück.«

Endlich einmal gute Neuigkeiten! Der Kommandant atmete erleichtert aus. Wenn Torgus zurückkehrte, war zumindest eine Bedrohung gebannt. Nekros sprang regelrecht von seiner Bank auf. Hoffentlich hatte Torgus wenigstens einen Gefangenen machen können. Zuluhed würde dies erwarten. Ein wenig Folter, und der wimmernde Mensch würde ihnen ohne Zweifel alles erzählen, was sie über die drohende Invasion aus dem Norden wissen mussten. »Endlich. Wie lange wird es bis zu seiner Ankunft noch dauern?«

»Ein paar Minuten. Mehr nicht.« Der andere Ork setzte eine besorgte Miene auf sein hässliches Gesicht, aber Nekros überging es, begierig darauf, den mächtigen Drachenreiter willkommen zu heißen. Wenigstens Torgus hatte ihn nicht im Stich gelassen.

Er legte die Dämonenseele beiseite und eilte so schnell er konnte zu der weitläufigen Höhle, in der die Drachenreiter für gewöhnlich landeten oder abflogen. Der Krieger, der die Nachricht überbracht hatte, folgte ihm seltsam schweigend. Nekros jedoch begrüßte dieses Schweigen in seiner momentanen Stimmung. Die einzige Stimme, die er hören wollte, war die von Torgus, wenn er ihm die Nachricht vom großen Sieg über die Fremden überbrachte.

Einige andere Orks, unter ihnen die meisten der noch lebenden Drachenreiter, erwarteten Torgus bereits am breiten Eingang der Höhle. Nekros runzelte die Stirn über diesen Mangel an Ordnung, doch er wusste, dass sie, genau wie er, sehnsüchtig auf die triumphale Ankunft ihres Helden warteten.

»Macht Platz! Macht Platz!« Er drängte sich durch die Reihen der Anwesenden und starrte hinaus in das fahle Licht kurz vor Sonnenaufgang. Zunächst konnte er keinen einzigen Drachen ausmachen. Der Wachposten, der die bevorstehende Ankunft verkündet hatte, musste mit den schärfsten Augen unter allen Orks gesegnet sein. Dann aber … nach und nach … entdeckte Nekros eine dunkle Gestalt in der Ferne, die an Größe gewann, während sie sich näherte.

Nur eine? Der Ork mit dem Holzbein grunzte. Ein weiterer schwerer Verlust, aber einer, mit dem er leben konnte, jetzt da die Bedrohung besiegt war. Nekros vermochte nicht zu sagen, welcher Drache da heimkehrte, aber wie die anderen, erwartete er, dass es sich um Torgus mit seinem Reittier handelte. Niemand war in der Lage, den größten Helden von Grün Batol zu bezwingen.

Und doch … als die Umrisse deutlicher wurden, bemerkte Nekros, dass der Drache in üblem Zustand war, dass seine Flügel zerfetzt wirkten und sein Schwanz praktisch nutzlos herabhing. Blinzelnd erkannte er, dass der Leviathan zwar von einem Reiter gelenkt wurde, doch dieser Reiter saß halb zusammengesunken jm Sattel, als sei er kaum noch bei Bewusstsein.

Ein unangenehmes Kribbeln kroch über den Rücken des Kommandanten.

»Zur Seite!«, schrie er. »Zur Seite! Er wird viel Platz zum Landen brauchen!«

Tatsächlich erkannte Nekros, während er zurückwich, dass Torgus' Reittier vermutlich fast den ganzen Platz der weiten Kammer benötigen würde. Je näher der Drache kam, desto mehr wurden seine unberechenbaren Flugmanöver offenbar. Einen kurzen Moment lang dachte Nekros sogar, der Leviathan könnte gegen die Felswand prallen, so unsicher waren seine Bewegungen. Mit letzter Kraft, und vermutlich nur durch den Ansporn seines Lenkers, gelang es dem roten Ungeheuer in den Hort heimzukehren.

Mit einem Krachen landete der Drache zwischen ihnen.

Die Orks brüllten vor Überraschung und Bestürzung, als das verwundete Tier vorwärts rutschte, unfähig seine Trägheit auszugleichen. Ein Krieger wurde zur Seite geschleudert, als ein Flügel ihn streifte. Der Schwanz pendelte hin und her, schlug gegen die Wände und ließ Gesteinsbrocken von der Decke regnen. Nekros presste sich gegen eine Wand und biss die Zähne zusammen. Überall wirbelte Staub auf.

Plötzlich erfüllte Stille die Kammer, eine Stille, die dem verkrüppelten Offizier und denjenigen, die es geschafft hatten, dem Drachen aus dem Weg zu gehen, bewusst machte, dass es die riesenhafte Kreatur letztendlich nur noch bis zu ihrer Schlafstelle geschafft hatte, um dort … zu sterben.

Anders jedoch ihr Reiter. Eine Gestalt erhob sich aus dem Staub, schwankend zwar, doch nach wie vor eine eindrucksvolle Erscheinung, die sich von dem riesigen Kadaver losband und seitlich herabglitt, um fast in die Knie zu gehen, als sie den Boden erreichte. Sie spuckte Blut und Dreck aus und blickte sich dann um, so gut sie es vermochte, suchte … suchte …

… und fand Nekros.

»Wir sind verloren!«, keuchte der Tapferste und Stärkste der Drachenreiter. »Wir sind verloren, Nekros!«

Torgus' gewohnte Arroganz war durch etwas anderes ersetzt worden, etwas, das sein Kommandant mit einiger Verzögerung als tiefe Niedergeschlagenheit begriff. Torgus, der stets geschworen hatte, kämpfend unterzugehen, wirkte auf furchtbare Weise geschlagen.

Nein! Nicht er! Der ältere Ork humpelte so schnell er konnte zu seinem Helden hin, und seine Miene verfinsterte sich. »Schweig! Kein Wort mehr davon! Du bist eine Schande für die Clans! Du bist eine Schande für dich selbst!«

Torgus stützte sich so gut er es vermochte auf sein totes Reittier. »Schande? Ich bin keine Schande, Alter! Ich habe nur die Wahrheit gesprochen … und die Wahrheit ist, dass es für uns keine Hoffnung mehr gibt! Nicht hier jedenfalls!«

Nekros packte den Reiter an den Schultern und schüttelte ihn ungeachtet der Tatsache, dass der andere Ork größer und schwerer als er selbst war. »Sprich! Was veranlasst dich zu diesen verräterischen Worten?«

»Schau mich an, Nekros. Schau dir meinen Drachen an. Weißt du, wer dafür verantwortlich ist? Weißt du, gegen wen wir kämpften?«

»Eine Armada von Greifen? Ein Heer von Zauberern?«

Blutspritzer bedeckten die einst so glänzenden Ehrenabzeichen, die noch immer an Torgus' Brust geheftet hingen. Der Drachenreiter versuchte zu lachen, wurde aber von einem Hustenanfall geschüttelt. Nekros wartete ungeduldig.

»Das wäre … wäre ein ausgeglichenerer Kampf gewesen, wenn ich das sagen darf! Nein, wir sahen nur eine Handvoll Greife … vielleicht Lockvögel. Es muss so sein! Es waren zu wenige, um eine schlagkräftige Streitmacht darzustellen …«

»Vergiss es! Wer ist hierfür verantwortlich?«

»Wer?« Torgus blickte an seinem Kommandanten vorbei auf seine Kriegskameraden. »Der Tod selbst … der Tod in Gestalt eines schwarzen Drachen!«

Bestürzung breitete sich unter den Orks aus. Selbst Nekros versteifte sich bei den Worten. »Deathwing?«

»Ja, und er kämpfte für die Menschen. Er kam aus den Wolken, just als ich einen der Greife herausforderte. Wir sind ihm nur knapp entkommen.«

Es konnte nicht sein … und doch … es musste wahr sein. Torgus würde keine solch haarsträubende Lüge erfinden. Wenn er sagte, dass Deathwing dies angerichtet hatte – und die gerissenen Wunden, welche den riesigen Kadaver bedeckten, verliehen seinen Worten einiges an Glaubwürdigkeit –, dann war Deathwing der Verantwortliche für all dies.

»Erzähl mir mehr! Lass keine Einzelheit aus!«

Trotz seines Zustandes kam der Reiter der Aufforderung nach und berichtete, wie er und der andere Ork eine scheinbar unbedeutende Gruppe angegriffen hatten. Vielleicht ein Spähtrupp. Torgus hatte verschiedene Zwerge ausgemacht, eine Elfe und mindestens einen Zauberer. Schnelle Beute, zumindest hatten sie dies geglaubt, bis einer der menschlichen Krieger im Alleingang den zweiten Drachen besiegt hatte.

Doch selbst zu diesem Zeitpunkt hatte Torgus noch keine weitergehenden Schwierigkeiten erwartet. Der Zauberer hatte sich als nur vorübergehender Störfaktor erwiesen, denn er war im Verlauf des Kampfes plötzlich verschwunden, höchstwahrscheinlich in den Tod gestürzt. Torgus hatte sich der Gruppe genähert, um die Sache zu beenden.

In diesem Moment hatte Deathwing eingegriffen. Und er hatte leichtes Spiel mit Torgus' Drachen gehabt, der sich anfänglich sogar den Befehlen seine Lenkers widersetzt und den Kampf gegen alle Vernunft gesucht hatte. Selbst kein Feigling, hatte Torgus dennoch sehr wohl die Aussichtslosigkeit eines Kampfes gegen den gepanzerten Giganten erkannt. Wieder und wieder hatte er sein Reittier während des Kampfes angebrüllt, abzudrehen. Erst als die Verletzungen des roten Drachen zu massiv wurden, hatte es schließlich gehorcht und war geflohen.

Während er der Geschichte lauschte, nahmen Nekros' schlimmste Albträume Gestalt an. Der Goblin Kryll hatte mit seiner Warnung Recht behalten, dass die Allianz plante, die Drachenkönigin aus der Gefangenschaft der Orks zu befreien, doch der elende Winzling hatte es entweder nicht gewusst oder nicht für nötig erachtet, seinen Meister über die Kräfte in Kenntnis zu setzen, die für die Mission auf den Weg gebracht worden waren. Irgendwie hatten die Menschen das Undenkbare vollbracht – einen Pakt mit dem einzigen Geschöpf zu schließen, das beide Seiten sowohl achteten, als auch fürchteten.

»Deathwing …«, murmelte er.

Doch warum verschwendeten sie die Möglichkeiten des gepanzerten Leviathans für eine solche Mission? Sicherlich traf Torgus' Annahme zu, dass es sich bei der Gruppe, der er begegnet war, um Späher oder Lockvögel gehandelt hatte. Wahrscheinlich folgte ihnen eine weit größere Streitmacht auf dem Fuß.

Und plötzlich ergab für Nekros alles einen Sinn.

Er drehte sich zu den anderen Orks um und kämpfte um seine Fassung. »Die Invasion hat begonnen, aber sie betrifft nicht den Norden! Die Menschen und ihre Verbündeten marschieren zuerst gegen uns

Seine Krieger sahen einander voller Entsetzen an, denn sie wussten genau, dass sie es hier mit einer weit größeren Bedrohung zu tun hatten, als es sich irgendein Mitglied der Horde jemals hatte vorstellen können. Es war eine Sache, heldenhaft im Kampf zu sterben, und eine ganz andere, der sicheren Vernichtung ins Auge zu blicken.

Seine Schlussfolgerungen machten Sinn. Unerwartet von Westen her zuschlagen, den südlichen Teil von Khaz Modan erobern, die Drachenkönigin befreien oder abschlachten … Dadurch wäre den Resten der Horde im Norden, nahe Dum Algaz, ihre wichtigste Nachschubquelle genommen worden. Danach hätte man sich von Grim Batol aus langsam vorwärts bewegen können.

Eingekesselt zwischen den Angreifern aus dem Süden und denen, die sich von Dun Modr aus näherten, würden sich die letzten Hoffnungen des Ork-Volks zerschlagen und die Überlebenden in die bewachten, von den Menschen errichteten Reservate eingesperrt werden.

Zuluhed hatte ihm den Oberbefehl über alle Angelegenheiten übergeben, die den Berg und den darin gefangenen Drachen betrafen. Der Schamane hatte es nicht für nötig gehalten, auf Nekros' Nachfrage zu antworten. Er schien darauf zu vertrauen, dass dieser tat, was getan werden musste. Nun gut, Nekros würde ihn nicht enttäuschen.

»Torgus, lass dich zusammenflicken und schlaf ein wenig. Ich brauche dich später!«

»Nekros …«

»Gehorche!«

Die in Nekros' Augen schäumende Wut ließ selbst den Helden klein beigeben. Torgus nickte und machte sich, gestützt auf einen Kameraden, davon. Nekros richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die übrigen Orks. »Packt zusammen, was benötigt, und ladet es auf die Wagen! Packt alle Eier in mit Heu ausgepolsterte Kisten … und haltet sie warm!« Seine Stimme stockte, als ginge im Geist eine Liste durch. »Seid darauf vorbereitet, alle Drachenjungen zu töten, die noch zu unbändig sind, um ausgebildet zu werden!«

Torgus blieb stehen. Er und die anderen Reiter starrten ihren Anführer mit unverhohlenem Grauen an. »Die Jungen töten? Aber wir brauchen …«

»Wir brauchen alles, was rasch transportiert werden kann … für den Fall, dass …«

Der größere Ork blickte ihn an. »Für welchen Fall?«

»Für den Fall, dass ich es nicht schaffe, mit Deathwing fertig zu werden …«

Sie stierten ihn an, als wäre ihm soeben ein zweiter Kopf gewachsen, oder als hätte er sich in einen Oger verwandelt.

»Mit Deathwing fertig werden?«, knurrte einer der anderen Reiter.

Nekros suchte nach seinem Oberaufseher, jenem Ork, der ihm am häufigsten im Umgang mit der Drachenkönigin geholfen hatte. »Du! Komm mit mir! Wir müssen uns überlegen, wie wir die Mutter verlegen können!«

Torgus schien endlich zu verstehen, was vor sich ging. »Du hast vor, Grim Batol aufgeben! Du willst alles zur Front in den Norden schaffen!«

»Ja …«

»Sie werden uns einfach folgen! Deathwing wird uns folgen!«

Der Ork mit dem Holzbein schnaubte. »Du hast deine Befehle … oder bin ich auf einmal nur noch von jammernden Arbeitssklaven umgeben, statt von mächtigen Kriegern?«

Der Seitenhieb zeigte Wirkung. Torgus und die anderen strafften sich. Nekros mochte verkrüppelt sein, aber er hatte nach wie vor die Befehlsgewalt. Sie konnten nicht anders als gehorchen, ganz gleich, für wie verrückt sie sein Vorhaben einschätzten.

Er drängte sich an dem verwundeten Helden, drängte sich an allen, die ihm im Weg standen, vorbei, während seine Gedanken sich überschlugen. Es war unbedingt notwendig, die Drachenkönigin ins Freie zu bekommen, und wenn es nur der Eingangsbereich dieser Höhle war. Damit wäre ihm bereits geholfen gewesen.

Er würde ebenso handeln, wie die Menschen gehandelt hatten. Den Köder auslegen … Und sollte er versagen, mussten wenigstens die Eier Zuluhed erreichen. Selbst wenn nur sie überdauerten, war der Horde damit gedient. Sollte Nekros tatsächlich den Sieg erringen, und mochte es auch um den Preis seines Lebens sein, dann gab es für die Orks noch Hoffnung.

Eine kräftige Hand glitt zu dem Beutel, in dem die Dämonenseele lag. Nekros Skullcrusher hatte nach den Grenzen des mysteriösen Talismans gefragt – jetzt eröffnete sich ihm die Möglichkeit, sie selbst auszuloten.


Das schwache Licht der Morgendämmerung weckte Rhonin aus dem, wie ihm vorkam, tiefsten Schlaf, den er je erlebt hatte. Mühsam rappelte sich der Zauberer auf und blickte sich in dem Versuch, seine Umgebung zu erfassen, um. Ein Waldgebiet, nicht die Schänke, von der er geträumt hatte. Nicht die Schänke, in der er und Vereesa gesessen und sich unterhalten hatten über …

Du bist wach, gut.

Die Worte tauchten ohne Vorwarnung in seinem Kopf auf und versetzten ihn beinahe in einen Schockzustand. Rhonin sprang auf die Füße und fuhr herum, ehe ihm endlich die Quelle bewusst wurde.

Er griff nach dem kleinen Medaillon, das ihm Deathwing in der Nacht zuvor ausgehändigt hatte und das nun an seinem Hals baumelte.

Ein schwaches Glühen ging von dem rauchschwarzen Kristall in seiner Mitte aus, und als Rhonin es anstarrte, kamen ihm die Ereignisse der letzten Nacht wieder ins Bewusstsein auch das Versprechen, das der Leviathan ihm gegeben hatte. Ich werde bei dir sein, um dich zuführen auf dem ganzen Weg, hatte der Drache gesagt.

»Wo bist du?«, fragte der Magier schließlich.

An einem anderen Ort, antwortete Deathwing. Doch ich bin gleichzeitig bei dir.

Der Gedanke ließ Rhonin schaudern, und er fragte sich, wieso er dem Angebot des Drachen zugestimmt hatte. Vermutlich, weil er nicht wirklich eine Wahl gehabt hatte.

»Was geschieht jetzt?«

Die Sonne geht auf. Mach dich auf den Weg.

Der Magier blickte argwöhnisch nach Osten, wo die Wälder von einer felsigen, ungastlichen Landschaft abgelöst wurden, die ihn, wie er von Landkarten her wusste, letztendlich nach Grim Batol führen würde und dort zu dem Berg, wo die Orks die Drachenkönigin gefangen hielten. Rhonin schätzte, dass ihm Deathwings Eingreifen mehrere Tagesreisen erspart hatte. Grim Batol konnte nur noch zwei, höchstens drei Tage entfernt sein, je nachdem, welches Marschtempo Rhonin vorlegte.

Er brach in die Richtung auf, in der er sein Ziel wähnte – doch nur, um augenblicklich von Deathwing gestoppt zu werden.

Das ist nicht der Weg, den du nehmen solltest.

»Warum nicht? Er führt direkt in die Berge.«

Und in die Klauen der Orks, Mensch. Bist du solch ein Narr?

Rhonin spürte Zorn ob dieser Beleidigung in sich aufwallen, doch er hielt seine Antwort zurück. Stattdessen fragte er: »Wohin dann?«

Schau …

Und im Geist des Menschen erschien ein Bild seiner momentanen Umgebung. Rhonin hatte kaum Zeit, den erstaunlichen Anblick zu verarbeiten, als bereits Bewegung in die Vision kam. Erst langsam, dann mit höherer und immer höherer Geschwindigkeit folgte sein Geist einem bestimmten Pfad, raste durch Wälder und tiefer in die felsige Landschaft hinein. Dort angekommen schlug er Haken und Sprünge, während es auf Schwindel erregende Art und Weise noch mehr beschleunigte. Felsen und Schluchten rauschten an ihm vorüber, Bäume verschwammen, während er sie passierte. In der Realität musste sich Rhonin am nächstbesten Baumstumpf festhalten, um von dem Geschehen in seinem Kopf nicht in die Knie gezwungen zu werden.

Die Hügel wurden höher, bedrohlicher und gingen schließlich in erste Bergausläufer über. Doch selbst hier verlangsamte die Fahrt nicht, bis sie sich plötzlich einem bestimmten Gipfel zuwandte, der den Zauberer trotz dessen Zögerns unwiderstehlich anzog.

Unterhalb der Bergspitze wurde Rhonins Blick so abrupt himmelwärts gerissen, dass er fast das Gleichgewicht verloren hätte. In seiner Vorstellung kletterte er den mächtigen Berg hinauf und nahm dabei, wie der Zauberer erkannte, sämtliche Felsvorsprünge und andere Halte in sich auf. Höher und höher ging es, bis er schließlich einen schmalen Höhleneingang erreichte …

… wo die Vision so unvermittelt endete, wie sie begonnen hatte, und einen aufgewühlten Rhonin zurückließ.

Das ist der Pfad, der einzige Pfad, der es dir erlauben wird, dein Ziel zu erreichen!

»Aber diese Route ist länger und führt durch gefährlichere Gegenden, als die, die ich nehmen wollte!« Dabei berücksichtigte er das schwierige Erklimmen der Felswand nicht einmal. Was einem Drachen als einfacher Weg erscheinen mochte, sah äußerst tückisch für einen Menschen aus, selbst wenn er mit der Gabe der Magie gesegnet war.

Du wirst Hilfe erhalten. Ich sagte nicht, dass du den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen musst.

»Aber …«

Es wird Zeit, zu beginnen, beharrte die Stimme.

Rhonin setzte sich in Bewegung … Genau genommen begannen seine Beine ein Eigenleben zu entwickeln.

Dieser Zustand währte nur ein paar Sekunden, reichte aber völlig aus, um den Zauberer davon zu scheuchen. Als er die Kontrolle über sich zurückerlangte, wollte sich Rhonin nicht ein weiteres Mal ermahnen lassen, und so setzte er den eingeschlagenen Weg freiwillig fort. Deathwing hatte ihm eindrucksvoll demonstriert, wie stark die Verbindung zwischen ihnen war.

Der Drache sprach nicht wieder, aber Rhonin wusste, dass Deathwing irgendwo in seinem Hinterkopf lauerte. Bei aller Macht, die der schwarze Leviathan demonstriert hatte, schien er doch keine vollständige Kontrolle über Rhonin zu besitzen. Zumindest dessen Gedanken blieben seinem drakonischen Verbündeten dem Anschein nach verborgen. Ansonsten wäre Deathwing wohl genau in diesem Augenblick nicht sehr zufrieden mit dem Zauberer gewesen, denn dieser arbeitete bereits daran, eine Möglichkeit zu finden, sich vom Einfluss des Drachen zu befreien.

Seltsam, noch letzte Nacht war er mehr als bereit gewesen, das meiste von dem zu glauben, was ihm Deathwing erzählt hatte, selbst den Teil, der das Bedürfnis des Schwarzen betraf, Alexstrasza zu retten. Jetzt hingegen setzte sein gesunder Menschenverstand ein. Von allen Geschöpfen war Deathwing sicherlich dasjenige, das sich am wenigsten wünschte, seine größte Rivalin befreit zu sehen. Hatte er nicht den ganzen Krieg hindurch nach der Vernichtung ihrer Gattung gestrebt?

Doch Rhonin erinnerte sich, dass Deathwing auch diesen Punkt zum Ende ihrer Unterhaltung hin angesprochen hatte.

»Die Kinder von Alexstrasza wurden von Orks aufgezogen, Mensch. Sie wurden gegen alle anderen Geschöpfe abgerichtet. Ihre Freiheit könnte nicht ändern, wozu sie geworden sind. Sie würden weiterhin ihren Herren dienen. Ich töte sie, weil es keine andere Wahl gibt … verstehst du das?«

Und zu jenem Zeitpunkt hatte Rhonin verstanden. Alles, was ihm der Drache letzte Nacht erzählt hatte, hatte so wahr geklungen. Doch bei Tage betrachtet, zweifelte der Zauberer an der Tiefe jener Wahrheiten. Deathwing mochte alles so gemeint haben, wie er es gesagt hatte, dies bedeutete jedoch nicht, dass es keine anderen, dunkleren Ursachen für sein Handeln gab.

Rhonin erwog, das Medaillon abzunehmen und einfach fortzuwerfen. Dies würde allerdings mit Sicherheit die Aufmerksamkeit seines unerwünschten Verbündeten auf sich ziehen, und es wäre ein Leichtes für Deathwing, ihn aufzuspüren. Der Drache hatte bereits bewiesen, wie schnell er sein konnte. Rhonin bezweifelte außerdem, dass der gepanzerte Gigant ihm noch als Freund begegnen würde, wenn er Deathwing zu einer Verfolgung zwang.

Im Augenblick konnte er nichts weiter tun, als dem vorgegebenen Pfad zu folgen. Rhonin fiel ein, dass er keine Vorräte bei sich hatte, nicht einmal einen Wasserschlauch, denn diese Dinge ruhten nun gemeinsam mit dem glücklosen Molok und dessen Greif auf dem Grund des Meeres. Deathwing hatte es offenbar nicht für nötig gehalten, den Zauberer mit irgendetwas auszustatten; die Nahrung und die Getränke, die ihm der Drache letzte Nacht gereicht hatte, schienen alles an Unterstützung zu sein, was Rhonin erwarten konnte.

Ununterbrochen marschierte Rhonin vorwärts. Deathwing wollte, dass er die Berge erreichte; so weit deckten sich seine Ziele mit denen des Magiers. Irgendwie würde es Rhonin dorthin schaffen.

Während er sich durch das zunehmend tückischer werdende Terrain bewegte, konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken zu Vereesa zurückkehrten. Die Elfe hatte eine bewundernswerte Ausdauer bewiesen, doch mittlerweile war sie gewiss auf der Rückreise – wenn sie den Angriff überhaupt überlebt hatte. Bei dem Gedanken, dass die Waldläuferin umgekommen sein könnte, spürte Rhonin einen unerwarteten Kloß in seinem Hals. Er kam ins Straucheln, fing sich aber wieder. Nein, sie hatte ganz bestimmt überlebt, und der gesunden Elfenverstand hatte ihr geraten, nach Lordaeron und zu ihresgleichen zurückzukehren.

Ganz sicher …

Rhonin hielt inne, denn plötzlich war er von dem dringenden Bedürfnis erfüllt, umzukehren. Er hegte den starken Verdacht, dass Vereesa nicht auf ihren gesunden Elfenverstand gehört, sondern vielmehr darauf bestanden hatte, ihre Mission fortzusetzen. Und vielleicht hatte sie sogar den schwer beeinflussbaren Falstad überzeugen können, sie nach Grim Batol zu fliegen. Wenn ihr nichts zugestoßen war, mochte Vereesa also immer noch an seiner Fährte kleben und langsam zu ihm aufholen.

Der Zauberer machte einen Schritt Richtung Westen, als …

Mensch!

Rhonin schluckte einen Fluch hinunter, als Deathwings Stimme seinen Kopf erfüllte. Wie hatte der Drache so schnell aufmerksam werden können? Vermochte er die Gedanken des Magier etwa doch zu lesen?

Mensch … Es ist Zeit, dass du dich ausruhst und isst.

»Was … was meinst du?«

Du hast inne gehalten. Du hast dich nach Wasser und Nahrung umgeschaut, oder nicht?

»Ja.« Er sah keinen Grund, dem Drachen die Wahrheit zu sagen.

Du bist nicht mehr weit davon entfernt. Wende dich erneut nach Osten und marschiere noch ein paar Minuten weiter. Ich werde dich leiten.

Rhonin hatte die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen. Nun gehorchte er. Entlang des zerklüfteten Pfades erreichte er einen kleinen Flecken Grün mitten im Nirgendwo. Erstaunlich, wie sich selbst in den ungastlichsten Ecken von Khaz Modan das Leben behauptete. Schon für den Schatten, den er hier fand, war Rhonin seinem unerwünschten Verbündeten in diesem Augenblick dankbar.

In der Mitte des Hains wirst du finden, wonach es dich sehnt …

Gewiss nicht alles, wonach es ihn sehnte, aber das konnte der Zauberer Deathwing nicht sagen. Trotzdem ging Rhonin schneller. Die Aussicht auf Nahrung und Wasser beschwingte ihn. Und ein paar Minuten Rast würden ihm sicher auch gut tun.

Die Bäume waren mit nur zwölf Fuß Höhe vergleichsweise klein gewachsen, boten aber ausreichend Schatten. Rhonin betrat den Hain und sah sich unverzüglich um. Sicher gab es hier einen Bach und vielleicht ein paar Früchte; was sonst konnte Deathwing ihm aus der Ferne anbieten?

Wie sich herausstellte, ein Festessen. Denn genau in der Mitte der bewaldeten Fläche erwartete Rhonin eine kleine Auswahl an Nahrung und Getränken, wie er sie hier nie und nimmer zu finden erhofft hätte. Gebratener Hase, frisches Brot, mundgerecht zerteilte Früchte und – er berührte das Trinkbehältnis voller Ehrfurcht – kühles Wasser.

Iss!, forderte ihn die Stimme des Drachen auf.

Rhonin gehorchte mit Vergnügen und stürzte sich auf das Überraschungsmahl. Der Hase war frisch zubereitet und vollendet gewürzt; dem Brot haftete noch der angenehme Ofengeruch an. Alle guten Manieren vergessend, trank er direkt aus dem Krug … und entdeckte, dass, obwohl der Behälter danach halbleer hätte sein sollen, er weiterhin randvoll blieb. Daraufhin stillte Rhonin seinen Durst ohne jede Zurückhaltung und im Bewusstsein, dass sich Deathwing um sein Wohlergehen kümmerte – solange der Zauberer nur bestrebt blieb, den Berg erreichte.

Auch mittels eigener Magie hätte er etwas beschwören können, doch das hätte ihn Kraft gekostet, die er vielleicht noch anderweitig brauchen würde. Davon abgesehen bezweifelte Rhonin, dass er in der Lage gewesen wäre, ein vergleichbar üppiges Mahl herbeizuzaubern, zumindest nicht ohne beträchtliche Anstrengung.

Früher als erhofft meldete sich Deathwing wieder. Bist du gesättigt?

»Ja … ja, das bin ich. Habt Dank.«

Es wird Zeit, weiterzugehen. Du kennst den Weg.

Rhonin kannte den Weg. Genau genommen konnte er die gesamte Route, die ihm der Drache gezeigt hatte, vor seinem inneren Auge sehen. Deathwing hatte offenbar sichergehen wollen, dass seine Marionette nicht die falsche Richtung einschlug.

Da er ohnehin keine andere Wahl hatte, gehorchte der Zauberer. Er hielt nur noch so lange inne, um einen letzten Blick hinter sich zu werfen – gegen alle Vernunft hoffte er, in der Ferne einen vertrauten silbernen Haarschopf ausmachen zu können. Er war hin und her gerissen, denn gleichzeitig wünschte er sich, dass ihm weder Vereesa noch Falstad folgten. Duncan und Molok waren bereits im Zuge der Mission umgekommen, und zu viele andere Tode lasteten ebenfalls schon auf Rhonins Schultern.

Der Tag ging zur Neige. Als sich die Sonne dem Horizont näherte, begann Rhonin die von Deathwing gewählte Route in Frage zu stellen. Er hatte nicht einen einzigen Wachposten zu Gesicht bekommen, geschweige denn dass er mit einem Ork konfrontiert worden wäre, über die Grim Batol mit Sicherheit noch immer verfügte. Genau genommen hatte er nicht mal einen einzelnen Drachen gesehen. Entweder patrouillierten sie nicht länger in den Lüften, oder der Zauberer bewegte sich bereits außerhalb ihres Wirkungskreises.

Die Sonne sank tiefer. Selbst ein zweites Mahl, wiederum von Deathwing herbeigezaubert, konnte Rhonin nicht froher stimmen. Als das letzte Tageslicht verging, blieb er stehen und versuchte, die sich vor ihm erstreckende Landschaft zu überblicken. Die einzigen Berge, die er ausmachen konnte, befanden sich immer noch viel zu weit entfernt. Es würde mehrere Tage dauern, ihre Ausläufer zu erreichen, ganz zu schweigen von der Gipfelregion, wo die Orks ihre Drachen hielten.

Nun, Deathwing hatte ihn bis zu diesem Punkt geführt, dann sollte er ihm auch erklären, wie er zu der Ansicht gelangt war, ein Mensch wie Rhonin könnte das angestrebte Ziel in absehbarer Zeit erreichen.

Er griff nach dem Medaillon, hielt den Blick jedoch weiterhin auf die fernen Berge gerichtet und sprach in die Luft: »Ich muss mit Euch reden.«

Sprich!

Er hatte nicht wirklich geglaubt, dass diese Methode funktionieren würde. Bis jetzt war es stets der Drache gewesen, der den Kontakt hergestellt hatte, nicht umgekehrt. »Ihr sagtet, dieser Pfad würde mich zu den Bergen führen, doch wenn dem tatsächlich so ist, wird der Weg weit mehr Zeit in Anspruch nehmen, als ich mir leisten kann. Ich weiß nicht, wie Ihr glauben konntet, dass ich den Gipfel zu Fuß in angemessener Frist erreiche.«

Wie ich bereits sagte, wirst du nicht die ganze Strecke auf derart primitive Weise zurücklegen müssen. Die Vision, die ich dir schickte, hatte nur den Zweck, dir einen sicheren Weg zu weisen und so zu helfen, nicht von selbigem abzukommen.

»Also wie soll ich den Gipfel erreichen?«

Geduld. Sie werden bald bei dir sein.

»Sie?«

Bleib, wo du bist. Das wird das Beste sein.

»Aber …« Rhonin erkannte, dass Deathwing nicht länger bei ihm war. Erneut spielte der Zauberer mit dem Gedanken, sich das Medaillon vom Hals zu reißen und es zwischen die Felsen zu werfen – aber was hätte er davon gehabt? Rhonin musste so oder so den Hort der Orks erreichen.

Wen mochte Deathwing gemeint und angekündigt haben?

Plötzlich hörte er ein Geräusch; ein Geräusch, wie er es noch nie zuvor vernommen hatte. Sein erster Gedanke war, dass es ein Drache sein könnte, doch wenn das zutraf, handelte es sich um einen Drachen mit einer furchtbaren Magenverstimmung …

Rhonin blickte in den dunkler werdenden Himmel und sah zunächst gar nichts. Dann weckte ein kurzer Lichtblitz seine Aufmerksamkeit, genau über ihm.

Rhonin fluchte, weil er befürchtete, dass Deathwing ihn in eine Falle gelockt hatte, um ihn den Orks auszuliefern. Wahrscheinlich stammte das Licht von irgendeiner Fackel oder einem Kristall in der Hand eines Drachenreiters.

Der Zauberer bereitete einen Spruch vor; kampflos würde er sich nicht ergeben, ganz gleich, wie sinnlos jeder Widerstand auch sein mochte.

Erneut blitzte das Licht auf, diesmal länger. Rhonin fand sich kurzzeitig angeleuchtet, was ein noch leichteres Ziel aus ihm machte für das, was in der Dunkelheit über ihm lauerte.

»Sagte dir doch, dass er sich hier herumtreibt!«

»Ich wusste es die ganze Zeit! Wollte nur sehen, ob du es auch wusstest!«

»Lügner! Ich wusste es, du nicht! Ich wusste es ganz allein!«

Der junge Magier verzog den Mund. Was für eine Sorte Drache stritt mit sich selbst in so geistloser Weise und noch dazu in diesem schrillen Tonfall?

»Pass auf die Lampe auf!«, rief eine der Stimmen.

Der Lichtkegel sprang von Rhonin weg und zuckte aufwärts. Einen kurzen Moment erhellte der Strahl einen großen, ovalen Umriss – eine Stelle weit vorne an der sichtbar werdenden Konstruktion –, bevor er zum Heck huschte, wo der Zauberer eine rauchende, rülpsende Apparatur ausmachte, die einen Propeller am Ende des Ovals antrieb.

Ein Ballon!, erkannte Rhonin. Ein Luftschiff!

Er hatte bereits einmal eines dieser bemerkenswerten Fahrzeuge gesehen, zur Hochzeit des Krieges. Erstaunliche gasgefüllte Säcke von solch riesenhaften Ausmaßen, dass sie tatsächlich einen offenen Korb für zwei bis drei Fahrer anheben konnten. Im Krieg waren sie zur Auskundschaftung gegnerischer Truppen zu Lande, aber auch auf hoher See eingesetzt worden. Was Rhonin am meisten daran verblüffte, war nicht ihre schlichte Existenz, sondern dass sie von etwas anderem als Magie angetrieben wurden – von Öl und Wasser. Eine Maschine, die weder durch Magie erschaffen worden war, noch ihrer bedurfte, trieb den Ballon an; eine bemerkenswerte Apparatur, die den dazugehörigen Propeller ohne Einsatz von Manneskraft bewegte.

Das Licht kehrte zu Rhonin zurück und blieb diesmal an ihm haften. Die Lenker des fliegenden Ballons hatten ihn nun fest im Blick und offenbar nicht die Absicht, ihn wieder zu verlieren. Erst jetzt erinnerte sich der faszinierte Magier, welche Rasse sowohl die Genialität, als auch jenen Hauch von Wahnsinn in sich vereinte, um ein derartiges Gefährt zu ersinnen.

Goblins – und Goblins dienten der Horde.

Er rannte auf die größeren Felsen zu und hoffte, sich wenigstens so lange verstecken zu können, bis er einen Zauber, der fliegenden Ballons angemessen war, aus dem Gedächtnis gekramt hatte, doch in diesem Augenblick hallte Deathwings vertraute Stimme durch seinen Kopf.

Bleib!

»Ich kann nicht. Da oben sind Goblins! Ich wurde von ihrem Luftschiff entdeckt. Sie werden die Orks alarmieren!«

Du wirst dich nicht vom Fleck weg bewegen!

Fortan weigerten sich Rhonins Beine, ihm weiterhin zu gehorchen. Sein Körper drehte sich um, dem phantastischen Ballon und seinen noch phantastischeren Piloten zu. Das Gefährt sank herab, bis es sich dicht über dem Kopf des unglücksseligen Zauberers befand. Eine Strickleiter wurde über den Rand des Korbs geworfen und verfehlte Rhonin nur knapp.

Damit wäre dein Transportmittel also eingetroffen, eröffnete ihm Deathwing.

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