Sie versammelten sich auf der Lichtung, etwa dreißig weiße Männer, mit grimmigen Gesichtern und zornig und müde vom Marsch durch die Wälder. Die Spur hatten sie zwar leicht verfolgen können, aber die Äste hatten sie immer wieder gepackt, und sie waren über das Wurzelwerk gestolpert — der Wald war nie freundlich zu einem weißen Mann. Dann hatten sie eine Stunde verloren, als die Spur in einem Bach geendet war und sie stromauf- und stromabwärts hatten suchen müssen, bis sie die Stelle gefunden hatten, wo die Roten die Jungen aus dem Wasser wieder an Land geführt hatten. Der alte Alvin Miller wurde fast wahnsinnig, als er sah, daß sie die Jungen durch das Wasser gezerrt hatten — sein Sohn Calm hatte fast zehn Minuten gebraucht, um ihn wieder zu beruhigen.
»Nie hätte ich ihn wegschicken sollen, nie hätte ich ihn ziehen lassen sollen«, sagte er immer wieder.
Und Calm wiederholte ständig: »Das hätte überall geschehen können, mach dir keine Vorwürfe, wir werden sie schon noch finden, schließlich können sie ja noch gehen, nicht wahr?« Alles mögliche sagte er, doch vor allem war es seine Stimme, die Al Miller beruhigte, das war seine Art — manche Leute meinten, es sei seine magische Fähigkeit, die Menschen zu beruhigen.
Nun standen sie auf der Lichtung, und die Spuren führten in ungefähr fünf verschiedene Richtungen davon, und alle endeten plötzlich nach wenigen Schritten. Ein paar Schritte in Richtung Nordwesten fanden sie die zerrissene Unterwäsche der Jungen im Wald. Niemand war der Meinung, daß man Al Miller so etwas zeigen sollte, und als er an die Stelle kam — mit Calm an seiner Seite — waren die Unterhosen bereits verschwunden.
»Jetzt finden wir ihre Spur nie wieder«, meinte Brustwehr-Gottes. »Die Jungen hinterlassen keine Fußabdrücke mehr — was überhaupt nichts zu bedeuten hat, Mr. Miller, also macht Euch deswegen keine Sorgen.« Brustwehr nannte seinen Schwiegervater Mr. Miller, seit Al ihn damals aus seinem Haus geworfen hatte, als er gekommen war, um ihnen mitzuteilen, daß Al Junior im Sterben liege, weil die Familie die Sünde begangen hätte, Zauber und Hexerei zu verwenden. »Vielleicht tragen sie die Jungen, vielleicht gehen sie aber auch hinter ihnen her und verwischen ihre Spuren. Wir wissen doch alle, daß ein Roter keine Spur hinterläßt, wenn er es nicht will.«
»Wir wissen alles über Rote«, meinte Al Miller. »Und auch, was sie mit weißen Jungen tun, wenn sie…«
»Bisher wissen wir nur, daß sie versuchen, uns Angst einzujagen«, versetzte Brustwehr.
»Bisher gelingt ihnen das auch gut«, meinte einer der Schweden. »Wir sind jedenfalls zu Tode erschrocken, meine Familie und ich.«
»Außerdem weiß hier auch jeder, daß Brustwehr-Gottes ein Freund der Roten ist.«
Brustwehr blickte sich um und versuchte auszumachen, wer das gesagt hatte. »Wenn Ihr unter einem Freund der Roten versteht, daß ich glaube, daß die Roten ebensolche menschlichen Wesen sind wie die Weißen, dann stimmt es. Aber wenn Ihr meinen solltet, daß ich die Roten lieber habe als die Weißen, dann solltet Ihr besser Euren Mut zusammennehmen und vortreten und es mir ins Gesicht sagen, damit ich Euch dieses Gesicht in einen Baum rammen kann.«
»Kein Grund zum Streiten«, sagte Reverend Thrower keuchend. Er war nicht sonderlich gut trainiert, so daß er sie erst jetzt erreichte. »Der Herr liebt alle seine Kinder, selbst die Heiden. Brustwehr-Gottes ist ein guter Christ. Aber wir wissen auch alle, daß Brustwehr-Gottes auf der Seite der Rechtschaffenen stehen wird, sollte es jemals zu einem Kampf zwischen Christen und Heiden kommen.«
Die Menge murmelte Zustimmung. Schließlich mochten sie Brustwehr ja alle. Er hatte den meisten von ihnen Geld geliehen oder ihnen in seinem Laden Kredit eingeräumt, und er drängte nie auf Zahlung — viele von ihnen hätten die ersten Jahre im Wobbish-Land gar nicht überlebt, wäre Brustwehr nicht gewesen. Doch Dankbarkeit hin, Dankbarkeit her, alle wußten sie auch, daß er die Roten fast so behandelte wie Weiße, was in einer solchen Zeit wie der jetzigen etwas verdächtig war.
»Es wird sofort zum Kampf kommen«, meinte ein Mann. »Wir brauchen diese Roten gar nicht erst aufzuspüren. Schließlich haben wir ihre Namen auf den Sätteln, und zwar deutlich eingraviert!«
»Einen Augenblick mal!« sagte Brustwehr-Gottes. »Denkt doch mal eine Minute nach! Seit Prophetstown auf der anderen Seite des Wobbish wächst, gegenüber von Vigor Church, hat da jemals irgendein Roter Euch auch nur einmal etwas gestohlen? Hat er einem eurer Kinder auch nur ein Haar gekrümmt? Ein Schwein entwendet? Hat er irgendeinem von euch etwas Böses getan?«
»Ich denke, Al Millers Jungen zu entführen, ist ja wohl böse genug!« erwiderte ein anderer Mann.
»Ich spreche von den Roten in Prophetstown! Ihr wißt genau, daß die nie ein Verbrechen begangen haben. Und ihr kenn auch den Grund. Der Prophet hat ihnen gesagt, sie sollten in Frieden leben, sollten in ihrem eigenen Land bleiben und dem weißen Mann keinen Schaden zufügen.«
»Das sagt Ta-Kumsaw aber nicht!«
»Na, und selbst wenn sie den Weißen irgendein scheußliches Verbrechen antun wollten — was ich nicht behaupten will —, glaubt denn auch nur einer von euch, daß Ta-Kumsaw oder Tenskwa-Tawa so dumm sind, dann auch noch mit ihrem eigenen Namen zu unterschreiben?«
»Die sind stolz darauf, Weiße umzubringen!«
»Wenn der rote Mann klug wäre, dann wäre er Weiß!«
»Versteht ihr jetzt, was ich mit Freund der Roten meine?«
Brustwehr-Gottes kannte diese Leute, und er wußte, daß die meisten von ihnen immer noch auf seiner Seite standen. Selbst die Grollenden und Knurrenden würden nicht auf eigene Faust irgendeine Dummheit begehen. Sie würden warten, bis die ganze Gruppe sich zum Handeln entschlossen hatte. Also ließ er sie ihn einen Freund der Roten heißen, denn wenn Männer Angst hatten und wütend waren, dann sagten sie oft Dinge, die sie später bereuten. Solange sie nur abwarteten. Und solange sie sich nicht gleich in einen Krieg gegen die Roten stürzten.
Denn Brustwehr hatte seine Zweifel, was diese ganze Angelegenheit anging. Die Sache war viel zu einfach, wie diese Pferde mit in die Sättel eingeritzten Namen nach Hause zurückgeschickt worden waren. Das war nicht die Art der Roten, nicht einmal jener schlimmen Roten, die einen auf der Stelle umbringen würden, sobald sie einen erblickten. Brustwehr verstand genug von den Roten, um zu wissen, daß sie einen Menschen nur marterten, um ihm Gelegenheit zu geben, sich als tapfer zu erweisen, und nicht, um die Leute zu terrorisierten. (Die meisten Roten zumindest — es gab allerdings auch einige andere Geschichten über die Irrakwa vor der Zeit, als sie zivilisiert geworden waren.) Wer immer dies hier also getan hatte, verhielt sich nicht wie ein echter Roter. Brustwehr war fest davon überzeugt, daß irgend jemand sie angestiftet hatte.
Die Franzosen in Detroit hatten schon seit Jahren versucht, zwischen den Roten und den amerikanischen Siedlern einen Krieg vom Zaun zu brechen — möglicherweise steckten sie dahinter. Vielleicht aber auch Bill Harrison. Diesem Kerl, der unten in seinem Fort am Hio wie eine Spinne lauerte, war so etwas durchaus zuzutrauen. Natürlich sprach Brustwehr nicht laut über diese Vermutung, weil dann manche Leute glauben würden, daß er nur neidisch auf Bill Harrison war, was ja auch stimmte — er war tatsächlich neidisch. Aber er wußte auch, daß Harrison ein bösartiger Mann war, der alles tun würde, damit die Dinge so liefen, wie er es haben wollte. Vielleicht würde er sogar ein paar wilde Rote anheuern, um in der Nähe von Prophetstown ein paar weiße Jungen umzubringen. Schließlich war es Tenskwa-Tawa gewesen, der die meisten Roten in Harrisons Gebiet dazu gebracht hatte, dem Whisky abzuschwören und nach Prophetstown zu kommen. Und es war Ta-Kumsaw gewesen, der die Hälfte der weißen Siedler dort unten vertrieben hatte. Für Brustwehr sah es danach aus, als steckte Harrison hinter der ganzen Sache; das erschien ihm sehr viel wahrscheinlicher als die Franzosen.
Doch nichts von dem konnte er laut sagen, weil es keine Beweise gab. Deshalb mußte er dafür sorgen, daß die Dinge ruhig blieben, bis die Sache sich aufklären ließ.
Was bald der Fall sein könnte. Sie hatten den alten Tack Sweeper mitgebracht, der schnaufend mit den Stärksten von ihnen Schritt gehalten hatte; es war beachtlich, wie kräftig er für einen Mann war, dessen Lungen sich beim Atmen wie eine Kinderrassel anhörten. Tack Sweeper besaß eine Fähigkeit, die nicht immer ganz zuverlässig war, worauf er selbst stets hinwies. Doch manchmal funktionierte sie erstaunlich gut. Er konnte sich eine Weile mit geschlossenen Augen an einen Ort stellen und gewissermaßen sehen, was dort in der Vergangenheit geschehen war. Es waren nur schnelle, kleine Visionen, einige wenige Gesichter. Wie damals, als sie befürchtet hatten, daß Jan de Vries sich selbst absichtlich umgebracht hatte oder möglicherweise ermordet worden war. Da hatte Tack gesehen, daß es ein Unfall gewesen war, und so hatten sie ihn im Kirchhof beerdigen können und hatten auch seinen Mörder nicht suchen müssen.
Und so hofften sie nun, daß Tack ihnen würde sagen können, was hier auf dieser Lichtung geschehen war. Er scheuchte sie alle an den Waldrand zurück, damit sie ihm nicht im Weg standen. Dann ging er mit geschlossenen Augen ganz langsam in der Mitte der Lichtung umher. »Ihr hättet euch hier nicht so erregen dürfen«, meinte er nach einer Weile. »Alles, was ich sehe, ist, wie ihr euch angeifert.« Sie lachten, irgendwie waren sie verlegen. Sie hätten es besser wissen müssen, als die Erinnerungen eines Ortes durcheinanderzubringen, bevor Tack ihn überprüft hatte.
»Das sieht nicht gut aus. Ich sehe ständig Gesichter von Roten. Ein Messer, alle möglichen Messer, die auf die Haut von Leuten einstechen. Ein herabsausendes Beil.«
Al Miller stöhnte auf.
»Das ist alles ein Durcheinander, so viel ist hier geschehen«, meinte Tack. »Ich kann nichts richtig erkennen. Nein. Nein, ich kann… ein Mann. Ein roter Mann, ich kenne sein Gesicht, ich habe ihn schon einmal gesehen — er steht einfach nur da, ohne sich zu rühren. Ich kenne das Gesicht.«
»Wer ist es?« fragte Brustwehr-Gottes. Aber er wußte es schon, er hatte eine gräßliche Vorahnung.
»Ta-Kumsaw«, sagte Tack. Dann öffnete er die Augen und blickte Brustwehr-Gottes beinahe entschuldigend an. »Ich hätte es auch nicht geglaubt, Brustwehr«, sagte er. »Ich habe immer gedacht, daß Ta-Kumsaw der tapferste Mann sei, dem ich je begegnet bin. Aber er war hier, und er hatte die Sache unter Kontrolle. Ich sehe ihn, wie er dort steht und wie er den Leuten sagt, was sie tun sollen. Hier vorn hat er gestanden. Ich kann ihn so deutlich erkennen, weil niemand anders längere Zeit an derselben Stelle gestanden hat. Und er war wütend. Daran besteht kein Zweifel.«
Brustwehr und die anderen glaubten ihm, alle wußten sie, daß Tack ein wahrhaftiger Mann war, und wenn er sagte, daß er sich sicher war, dann war er sich auch sicher. Aber es mußte doch irgendeinen Grund dafür geben. »Vielleicht ist er ja gekommen und hat die Jungen gerettet, habt ihr daran schon einmal gedacht? Vielleicht ist er gekommen und hat irgendeine Bande wilder Roter daran gehindert…«
»Rotenfreund!« schrie jemand.
»Ihr kennt doch Ta-Kumsaw! Er ist kein Feigling, und Jungen zu entführen, das ist eine feige Tat. Ihr kennt den Mann doch!«
»Niemand kennt einen roten Mann wirklich.«
»Ta-Kumsaw hat diese Jungen nicht entführt!« beharrte Brustwehr-Gottes. »Ich weiß es!«
Da verstummten alle, weil der alte Al Miller sich den Weg nach vorn bahnte, zu der Stelle, wo Brustwehr-Gottes stand. Er baute sich vor seinem Schwiegersohn auf, und seine Miene war ein Abbild der Hölle selbst, so wütend war er. »Ihr wißt überhaupt nichts, Brustwehr-Gottes Weaver! Ihr seid der nichtsnutzigste Abschaum, der sich jemals auf der Oberfläche eines Nachttopfs gebildet hat. Erst habt Ihr meine Tochter geheiratet und wolltet nicht zulassen, daß sie Zauber benutzt, weil Ihr Euch so verdammt sicher wart, daß das Teufelswerk sei. Und dann habt Ihr es zugelassen, daß sich deine Roten die ganze Zeit hier aufhalten durften. Und als wir einen Palisadenzaun bauen wollten, da habt Ihr gesagt, nein, wenn wir ein Staket bauen, dann haben die Franzosen nur etwas, was sie angreifen und niederbrennen können, wir werden uns mit den Roten anfreunden, dann lassen sie uns in Ruhe, wir werden mit den Roten Handel treiben. Und schaut einmal, wohin uns das jetzt geführt hat! Schaut einmal, was Ihr für uns getan habt! Wie sind wir doch jetzt alle froh darüber, daß wir auf Euch gehört haben! Ich glaube nicht, daß Ihr ein Freund der Roten seid, Brustwehr-Gottes. Ich glaube nur, daß Ihr der größte Narr seid, der jemals den Hio überquert und in den Westen gekommen ist; und die einzigen Leute, die noch dümmer sind als Ihr, sind wir, wenn wir auch nur eine weitere Minute auf Euch hören sollten!«
Und dann drehte Al Miller zu den anderen Männern um, die ihn voller Ehrfurcht anschauten, als hätten sie zum ersten Mal in ihrem Leben seine Majestät geschaut. »Zehn Jahre lang haben wir hier nach Brustwehrs Pfeife getanzt. Aber für mich ist jetzt Schluß damit. Ich habe einen Jungen im Hatrack River auf dem Weg hierher verloren, und diese Stadt ist nach ihm benannt worden. Jetzt habe ich zwei weitere Jungen verloren. Ich habe jetzt nur noch fünf Söhne, aber eines sage ich euch: Denen werde ich persönlich die Gewehre in die Hand drücken, und ich werde sie mitten nach Prophetstown führen und diese Roten zur Hölle schicken, und wenn wir alle dabei draufgehen! Habt Ihr mich verstanden?«
Sie hatten ihn verdammt gut verstanden. Sie hatten ehrfürchtig gelauscht und schrien jetzt ihre Antwort heraus. Das war es, was sie im Augenblick hatten hören wollen, das Wort des Hasses und des Zorns und der Rache, und keiner war besser dazu geeignet, es ihnen zu geben, als Al Miller, der normalerweise ein friedliebender Mann war. Und daß er der Vater der entführten Jungen war, verlieh seinen Worten nur noch mehr Nachdruck.
»So, wie ich die Sache sehe«, fuhr Al Miller fort, »hat Bill Harrison die ganze Zeit recht gehabt. Kein roter und kein weißer Mann können sich dieses Land teilen. Und ich sage euch noch etwas: Ich bin es nicht, der von hier verschwinden wird. Dazu ist schon zuviel von meinem eigenen Blut vergossen worden, als daß ich jetzt meine Sachen packen und gehen würde. Ich bleibe, entweder auf diesem Grund und Boden oder darunter.«
Ich auch, sagten alle seine Jungen. So wird es sein, Al Miller. Wir bleiben.
»Dank unserem Brustwehr hier haben wir kein Staket und kein Fort der US-Armee, das näher läge als Carthage City. Wenn wir jetzt kämpfen, könnte es sein, daß wir alles und alle verlieren. Also wollen wir die Roten so gut abwehren, wie wir nur können, und Hilfe holen. Ein Dutzend Männer soll sich nach Carthage City begeben und Bill Harrison bitten, uns eine Armee zu schicken und vielleicht auch seine Kanonen, wenn er kann. Meine beiden Jungen sind von uns gegangen, und das Leben von tausend Roten für jeden meiner Söhne wird nicht genügen, um mir Genugtuung zu verschaffen!«
Schon am nächsten Morgen machten sich die zwölf Reiter auf den Weg nach Süden. Sie hatten sich auf der Gemeindewiese gesammelt, die von Wegen überfüllt war, als immer mehr Familien aus den fernen Farmen in die Stadt kamen, um bei Freunden und Verwandten unterzukommen. Doch Al Miller war nicht dort, um sie zu verabschieden. Gestern hatten seine Worte sie noch alle in Erregung versetzt, doch mehr würden sie von ihm nicht bekommen. Er wollte die Sache nicht leiten, er wollte nur seine Jungen wiederhaben.
In der Kirche saß Brustwehr-Gottes niedergeschlagen in der vordersten Reihe.
»Wir begehen einen schrecklichen Fehler«, sagte er zu Reverend Thrower.
»Das tun die Menschen immer«, meinte Thrower, »wenn sie ihre Entscheidungen ohne die Hilfe des Herrn fällen.«
»Es war nicht Ta-Kumsaw. Das weiß ich. Und der Prophet war es auch nicht.«
»Er ist kein Prophet, zumindest kein Prophet Gottes«, versetzte Thrower.
»Ein Mörder ist er aber auch nicht«, erwiderte Brustwehr. »Vielleicht hat Tack recht gehabt, vielleicht hatte Ta-Kumsaw tatsächlich irgend etwas damit zu tun. Aber eins weiß ich: Ta-Kumsaw ist auch kein Mörder. Gewiß, im Krieg tötet auch er, aber während seiner ganzen Überfälle unten im Süden hat er keine Menschenseele getötet. Wenn Ta-Kumsaw diese Jungen in seiner Gewalt hat, dann sind sie ebenso sicher, als lägen sie zu Hause bei ihrer Mutter im Bett.«
Thrower seufzte. »Ich vermute, daß Ihr diese Roten besser kennt als ich.«
»Ich kenne sie besser als jeder andere.« Er lachte verbittert. »Deshalb nennt man mich ja Freund der Roten und hört nicht auf das, was ich sage. Jetzt rufen sie diesen mit Whisky handelnden Tyrannen aus Carthage City herbei, um hier die Sache zu übernehmen. Egal, was er tut, er wird zum Helden werden. Dann werden sie ihn wirklich zum Gouverneur machen. Herrje, wahrscheinlich machen sie ihn sogar zum Präsidenten, wenn Wobbish sich jemals den USA anschließen sollte.«
»Ich kenne diesen Harrison nicht. Er kann unmöglich solch ein Teufel sein, wie Ihr ihn darstellt.«
Brustwehr lachte. »Manchmal, Reverend, glaube ich, daß Ihr vertrauensselig seid wie ein kleines Kind.«
»Was uns der Herr zu sein ja auch aufgetragen hat. Brustwehr-Gottes, seid geduldig. Alles wird so werden, wie der Herr es beabsichtigt.«
Brustwehr vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Das hoffe ich, Reverend, das hoffe ich wirklich. Aber ich denke immer noch an Measure, ein so guter Mann, und an diesen jungen Alvin, diesen Jungen mit dem lieblichen Gesicht, und wie sehr sein Papa ihn schätzt und…«
Throwers Miene wurde grimmig. »Alvin Junior«, murmelte er. »Wer hätte gedacht, daß der Herr sich des Armes der Heiden bedienen würde, um sein Werk zu vollbringen?«
»Wovon redet Ihr da?« fragte Brustwehr.
»Nichts, Brustwehr, nichts. Nur davon, daß all dies genau, und zwar ganz genau das sein könnte, was der Herr vorhat.«
Oben auf dem Hügel im Haus der Millers saß Al noch immer am Frühstückstisch. Am Abend zuvor hatte er nichts gegessen, und als er heute versucht hatte, zu frühstücken, hatte er würgen müssen. Faith hatte alles wieder abgeräumt und stand nun hinter ihm, rieb ihm die Schultern. Nicht ein einziges Mal sagte sie zu ihm: Ich habe dir doch gesagt, daß du sie nicht wegschicken sollst. Doch beide wußten es. Wie ein Schwert hing es zwischen ihnen, und keiner von beiden wagte es, die Hand nach dem anderen auszustrecken, so sehr fürchtete er sich davor.
Die Stille wurde unterbrochen, als Wastenot eintrat, ein Gewehr über die Schulter geschlungen. Er stellte es neben der Haustür ab, schwang sich einen Stuhl zwischen die Beine und setzte sich nieder, um seine Eltern anzuschauen. »Sie sind fort, um die Armee zu holen.«
Zu seiner Überraschung senkte sein Vater nur den Kopf und legte ihn auf seine Arme, die verschränkt auf dem Tisch lagen.
Mutter sah ihn an, ihr Gesicht war hager vor Sorge und Trauer. »Seit wann kannst du mit dem Ding dort umgehen?«
»Ich und Wantnot haben geübt«, antwortete er.
»Wirst du Rote damit umbringen?«
Wastenot war überrascht von der Abscheu in ihrer Stimme. »Ich will es wirklich hoffen«, sagte er.
»Und wenn all die Roten dann tot sind und ihr ihre Leichen aufeinander häuft, werden Measure und Alvin dann irgendwie aus diesem Haufen hervorkriechen und zu mir nach Hause zurückkehren?«
Wastenot schüttelte den Kopf.
»Gestern abend ist irgendein Roter zu seiner Familie nach Hause zurückgekehrt, ganz stolz darauf, daß er gestern ein paar weiße Jungen getötet hat.« Ihre Stimme stockte, als sie es sagte, dennoch fuhr sie fort, denn wenn Faith Miller etwas zu sagen hatte, wurde es auch gesagt. »Und vielleicht hat seine Frau oder seine Mutter ihm dafür auf die Schulter geklopft und ihm das Abendessen zubereitet. Aber komm du mir nie durch diese Tür, um mir zu sagen, daß du einen roten Mann getötet hast. Denn dann bekommst du kein Abendessen und keinen Kuß, und man wird dir auch nicht auf die Schultern klopfen, und du bekommst kein einziges Wort zu hören und du bekommst kein Zuhause und keine Mutter, hast du mich verstanden?«
Er verstand sie sehr gut, doch es gefiel ihm nicht. Er stand auf, schritt zur Tür zurück und nahm das Gewehr auf. »Du kannst denken, was du willst, Mama«, sagte er, »aber das hier ist Krieg, und ich werde einige Rote töten, und ich werde auch nach Hause zurückkehren und werde dafür so stolz einstehen, wie ich nur kann. Und wenn das bedeutet, daß du dann nicht mehr meine Mutter sein willst, dann kannst du auch schon jetzt damit aufhören, meine Mutter zu sein, dann brauchst du nicht erst zu warten, bis ich zurückgekehrt bin.« Er öffnete die Tür, hielt aber noch inne, bevor er sie hinter sich zuschlug. »Freu dich nur, Mama, vielleicht komme ich ja auch gar nicht mehr zurück.«
Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er so mit seiner Mutter gesprochen, und auch jetzt war er sich nicht sicher, daß es ihm gefiel. Doch sie benahm sich verrückt, sie wollte nicht begreifen, daß jetzt Krieg herrschte, daß diese Roten den Weißen offen den Kampf angesagt hatten und ihnen daher gar nichts anderes mehr übrigblieb.
Was ihm jedoch am meisten zu schaffen machte, als er sein Pferd bestieg und zu David hinausritt, war, daß er den Verdacht nicht loswurde, daß Papa weinte. Das war wirklich unerhört. Noch gestern hatte Papa so hitzig gegen die Roten geredet, und heute redete Mama gegen den Krieg, und Papa saß einfach nur da und weinte. Vielleicht wurde er alt. Aber das konnte Wastenot jetzt nicht kümmern. Vielleicht wollten Papa und Mama jene nicht töten, die ihnen ihre Söhne genommen hatten — doch Wastenot wußte, was er mit denen tun würde, die ihm seine Brüder genommen hatten. Deren Blut war sein Blut, und wer immer sein Blut vergoß, der würde auch sein eigenes vergießen, eine ganze Gallone für jeden Tropfen.