2. Ta-Kumsaw

Während Hooch zusah, wie Jackson den Fluß überquerte, beobachtete Ta-Kumsaw den weißen Whiskyhändler und erkannte, was er tat. Das erkannte auch jeder andere rote Mann, der sich die Mühe machte hinzusehen — zumindest jeder nüchterne rote Mann. Der weiße Mann tat viele Dinge, die der Rote nicht verstand, aber wenn er mit Feuer, Wasser, Erde und Luft herummachte, konnte er das vor keinem Roten verbergen.

Ta-Kumsaw sah zwar nicht, wie das Sattelleder auf Jacksons Pferd brannte. Er spürte auch nicht die Hitze. Statt dessen sah er eine Bewegung, einen winzigen Wirbelwind, der seine Aufmerksamkeit erregte. Eine Krümmung der glatten Oberfläche des Landes. Die meisten roten Männer konnten solche Dinge nicht ebenso scharf wahrnehmen wie Ta-Kumsaw. Sein jüngerer Bruder, Lolla-Wossiky, war der einzige, den Ta-Kumsaw kannte, der so etwas noch intensiver wahrnahm. Sehr viel intensiver. Ta-Kumsaw dachte an ihren Vater, Pucky-Shinwa, wie er von Lolla-Wossiky gesagt hatte, daß er ein Schamane werden würde. Ta-Kumsaw aber ein Kriegshäuptling.

Das war gewesen, bevor Lügenmaul Harrison Pucky-Shinwa vor Lolla-Wossikys Augen erschossen hatte. Ta-Kumsaw war an diesem Tag auf die Jagd gegangen, hatte aber den Mord gespürt, als wäre unmittelbar hinter ihm ein Gewehr abgefeuert worden. Wenn ein weißer Mann einen Zauber oder einen Fluch verhängte oder mit der Rute ging, fühlte sich das für Ta-Kumsaw wie ein Jucken unter der Haut an, aber wenn ein weißer Mann kämpfte, spürte er es wie einen Messerstich.

Er war von einem anderen Bruder begleitet worden, Methowa-Tasky, und hatte ihm zugerufen: »Hast du es gespürt?«

Methowa-Taskys Augen hatten sich geweitet. Er hatte es nicht gespürt. Doch schon damals, schon in diesem Alter — er war noch keine dreizehn gewesen — hatte Ta-Kumsaw nicht an sich selbst gezweifelt. Er hatte es gespürt. Ein Mord war begangen worden, und er mußte sofort zu dem sterbenden Mann.

Also hatte er sie angeführt und war durch den Wald gelaufen. Wie alle roten Männer damals, war seine Harmonie mit dem Wald vollkommen gewesen. Er brauchte nicht darüber nachzudenken, wohin er den Fuß setzte; er wußte, daß die Zweige unter seinen Füßen weich werden und nachgeben würden, daß das Laub sich befeuchten und nicht rascheln würde, daß die Äste, die er beiseite drückte, sofort wieder an ihren richtigen Ort zurückschnellen und keinerlei Spuren hinterlassen würden. Manche Weiße waren stolz darauf, daß sie sich genauso leise bewegen konnten wie ein Roter — doch das taten sie, indem sie sich langsam, vorsichtig bewegten, sorgfältig den Boden beobachtend und Sträuchern aus dem Weg gehend. Sie erfuhren nie, wie wenig Mühe ein roter Mann sich gab, um kein Geräusch, keine Spur zu hinterlassen.

Ta-Kumsaw dachte nicht etwa an seine Schritte, ja, er dachte überhaupt nicht an sich selbst. Er dachte an das grüne Leben des Waldlands um ihn herum und an den schwarzen Strudel in seiner Mitte, unmittelbar vor seinem Gesicht, der ihn immer kräftiger und schneller in die Tiefe zog, dem Ort entgegen, wo das lebende Grün wie eine Wunde aufgerissen worden war, um einen Mord durchzulassen. Lange bevor sie am Ziel waren, konnte selbst Methowa-Tasky es spüren. Dort auf dem Boden lag ihr Vater, eine Kugel im Gesicht. Und neben ihm, stumm und blicklos, Lolla-Wossiky, zehn Jahre alt.

Ta-Kumsaw trug den Leichnam seines Vaters auf den Schultern nach Hause wie ein totes Reh. Methowa-Tasky führte Lolla-Wossiky an der Hand, sonst hätte der Junge sich nicht von der Stelle bewegt. Mutter empfing sie mit großem Klagegeschrei, denn auch sie hatte den Tod gespürt, hatte aber nicht gewußt, daß es ihr eigener Mann war, bis ihre Söhne ihn zurückgebracht hatten. Mutter band den Leichnam ihres Mannes auf Ta-Kumsaws Rücken; dann erklomm Ta-Kumsaw den höchsten Baum, löste den Leichnam seines Vaters von seinem Rücken und befestigte ihn am höchsten Ast, den er erreichen konnte, der so hoch hing, daß die Sonnenstrahlen den ganzen Tag sein Gesicht berührten. Die Vögel und Insekten würden von ihm essen; die Sonne und die Luft würden ihn trocknen; der Regen würde seine letzten Überreste auf die Erde herabspülen. So hatte Ta-Kumsaw seinen Vater an das Land zurückgegeben.

Doch was sollten sie nun mit Lolla-Wossiky tun? Er sprach nicht, er aß nur, wenn ihn jemand fütterte, und wenn man ihn nicht an die Hand genommen und geführt hätte, wäre er auf alle Zeiten an ein und demselben Ort geblieben. Mutter war erschrocken darüber, was mit ihrem Sohn geschehen war. Mutter liebte Ta-Kumsaw sehr, mehr als irgendeine andere Mutter im Stamm ihren Sohn liebte; und dennoch liebte sie Lolla-Wossiky noch mehr. Oftmals hatte sie ihnen allen erzählt, wie Lolla-Wossiky noch als Säugling geweint hatte, als die Luft jeden Winter plötzlich bitter kalt wurde. Nie konnte sie ihn dazu bringen, damit aufzuhören, so viele Bärenfelle und Büffelumhänge sie auch auf ihn legte. Und eines Winters war er dann alt genug, um zu sprechen, und er sagte ihr, warum er weinte. »Weil die Bienen alle sterben«, sagte er. Das war Lolla-Wossiky — der einzige Shaw-Nee, der jemals den Tod der Bienen gespürt hatte.

Er war es, der neben seinem Vater gestanden hatte, als Colonel Bill Harrison ihn erschoß. Wenn Ta-Kumsaw diesen Mord schon einen halben Tagesmarsch entfernt wie einen Messerstich empfunden hatte, was hatte dann erst Lolla-Wossiky gefühlt? Wenn er schon den Tod der Bienen im Winter beweinte, was mochte er da erst empfinden, als ein weißer Mann vor seinen Augen seinen Vater ermordete?

Ein paar Jahre später begann Lolla-Wossiky schließlich wieder zu reden, doch das Feuer in seinen Augen war erloschen, und er war achtlos geworden. Er verlor sein Auge durch einen Unfall, indem er nämlich stolperte und mit dem Gesicht auf den kurzen, schroffen Stumpf eines Strauchs stürzte. Gestolpert und gestürzt! Welchem roten Mann wäre so etwas passiert? Es war, als hätte Lolla-Wossiky jedes Gespür für das Land verloren; er war so stumpfsinnig geworden wie ein Weißer.

Vielleicht aber, dachte Ta-Kumsaw, vielleicht hallt dieser längst verklungene Gewehrschuß noch immer so laut in seinem Kopf, daß er nichts anderes mehr hören kann; vielleicht ist dieser alte Schmerz immer noch so stechend, daß er das Kitzeln der lebendigen Welt nicht mehr spürt. Schmerz, Schmerz und Schmerz — bis der erste Schluck Whisky Lolla-Wossiky lehrte, wie er ihm die Spitze nehmen konnte.

Deshalb schlug Ta-Kumsaw seinen Bruder Lolla-Wossiky nie, obwohl er jeden anderen Shaw-Nee geschlagen hätte, sogar seine Brüder, ja sogar alte Männer, wenn er sie mit dem Branntwein des weißen Mannes in der Hand angetroffen hätte.

Doch der weiße Mann hatte nie geahnt, was der rote Mann gesehen und gehört und gespürt hatte. Der weiße Mann hatte Tod und Leere hierhergebracht. Der weiße Mann hatte weise alte Bäume gefällt, die noch soviel zu sagen gehabt hätten; junge Schößlinge, denen noch viele Leben bevorgestanden hatten; und der weiße Mann hatte auch nie gefragt: Wäret ihr willig, für mich und meinen Stamm ein Zuhause zu bauen? Fällen und schneiden und sägen und brennen, das war der Weg des weißen Mannes. Nimm vom Wald, nimm vom Land, nimm vom Fluß, aber gib nie wieder etwas zurück. Der weiße Mann tötete Tiere, die er nicht brauchte, Tiere, die ihm nichts taten; aber wenn auch nur ein Bär im Winter hungrig erwachte und auch nur ein einziges junges Ferkel riß, dann jagte der weiße Mann ihn und tötete ihn aus Rache. Er spürte nie das Gleichgewicht des Landes.

Kein Wunder, daß das Land den weißen Mann haßte!

Kein Wunder, daß alles Natürliche des Landes gegen seinen Schritt rebellierte und dem roten Mann zurief: Hier hat der Feind gestanden! Hier ist der Eindringling entlanggekommen, durch dieses Gestrüpp, diesen Hügel hinauf! Der weiße Mann witzelte darüber, daß die Roten einen Mann sogar noch im Wasser verfolgen konnten, sie lachten, als sei es nicht wahr. Doch es war wahr, denn wenn ein weißer Mann einen Fluß oder einen See entlangfuhr, dann perlte und schäumte und wogte das Wasser noch Stunden danach.

Und nun steht Hooch Palmer da, ein Giftverkäufer und hinterhältiger Mörder, und legt sein silbernes Feuer auf dem Sattel eines anderen weißen Mannes; glaubt, daß niemand davon weiß. Diese weißen Männer mit ihren schwachen, kleinen Fähigkeiten. Wissen sie denn nicht, daß ihre Zauber nur unnatürliche Dinge abwehren können? Wenn ein Dieb kommt und weiß, daß er Unrecht tut, dann läßt ein guter, kräftiger Abwehrzauber seine Furcht so lange wachsen, bis er aufschreit und davonrennt. Doch der rote Mann ist niemals ein Dieb. Der rote Mann gehört immer dorthin, wo immer er gerade auf diesem Land sein mag. Für ihn ist der Zauber nur eine kalte Stelle, ein Beben der Luft und nichts weiter.

Ta-Kumsaw sah, wie Hooch sich abwandte und ins Fort zurückkehrte. Bald wird Hooch sein Gift wieder verkaufen. Die meisten roten Männer, die sich hier versammelt haben, werden dann betrunken sein. Ta-Kumsaw wird bleiben, wird Wache halten. Er braucht mit niemandem zu sprechen. Sie brauchen ihn nur anzusehen, dann wird jeder von ihnen, der noch einen Funken Stolz übrig hat, sich abwenden, ohne vom Branntwein zu trinken. Noch ist Ta-Kumsaw kein Häuptling. Doch mit Ta-Kumsaw muß man rechnen. Ta-Kumsaw ist der Stolz der Shaw-Nee. Alle anderen roten Männer sämtlicher Stämme müssen sich mit ihm messen. Die Whisky-Roten werden innerlich ganz klein, wenn sie diesen großen, kräftigen roten Mann erblicken.

Er schritt an die Stelle, wo Hooch gestanden hatte, und ließ die Verzerrung, die Hooch dort angerichtet hatte, seiner eigenen Ruhe weichen. Die Witterung des Branntweinmannes verflüchtigte sich. Wieder leckte das Wasser das Ufer und sang dabei.

Wie leicht es doch war, das Land zu heilen, nachdem der weiße Mann vorbeigezogen war. Wenn alle weißen Männer heute gingen, würde das Land schon morgen wieder zur Ruhe kommen, und bereits ein Jahr später würde es nicht mehr die geringsten Anzeichen dafür geben, daß der weiße Mann jemals eingedrungen war. Selbst die Ruinen ihrer Häuser würden wieder ein Teil des Landes werden, würden für kleine Tiere ein Zuhause abgeben, würden im Griff der hungrigen Schlingpflanzen vergehen. Das Metall des weißen Mannes würde rosten; aus den Steinarbeiten des weißen Mannes würden niedrige Hügel und kleine Höhlen werden; die Morde des weißen Mannes würden sich in wehmütige, wunderschöne Klänge im Gesang des Kardinalvogels verwandeln, denn der Kardinalvogel erinnerte sich an alles und verwandelte es in Güte, wann immer er nur konnte.

Den ganzen Tag stand Ta-Kumsaw draußen vor dem Fort und sah zu, wie rote Männer hineingingen, um ihr Gift zu kaufen. Männer und Frauen aller Stämme, Wee-Aw und Kicky-Poo, Potty-Wottamee und Chippy-Wa, Winny-Baygo und Pee-Orawa — alle gingen mit Fellen und Körben hinein und kamen mit nichts anderem heraus als ein paar Bechern oder Krügen Branntwein, ja manchmal sogar mit nichts mehr als dem, was sie bereits im Bauch hatten. Ta-Kumsaw sagte nichts, spürte aber, wie die Roten, die dieses Gift tranken, vom Land abgeschnitten wurden. Sie verzerrten das Grün des Lebens nicht so, wie es der weiße Mann tat; statt dessen war es, als würden sie überhaupt nicht existieren. Der rote Mann, der Whisky trank, war für das Land so gut wie tot. Nein, nicht einmal tot, denn er gab dem Land ja nichts zurück. Ich stehe hier, um mitanzusehen, wie sie zu Gespenstern werden, dachte Ta-Kumsaw, nicht tot, und nicht am Leben. Er sagte es nur in Gedanken, doch das Land spürte seinen Schmerz und die Brise antwortete ihm, indem sie durch das Laubwerk seufzte. Als die Abenddämmerung kommt, schreitet vor Ta-Kumsaw ein Kardinalvogel auf dem Boden auf und ab.

Erzähl mir eine Geschichte, sagt der Kardinalvogel auf seine stumme Weise, die Augen schräg zu dem roten Mann emporgerichtet.

Du kennst meine Geschichte schon, bevor ich sie dir erzähle, erwiderte Ta-Kumsaw stumm. Du spürst meine Tränen, bevor sie strömen. Du schmeckst mein Blut, bevor es vergessen wird. Warum trauerst du um rote Männer, die nicht vom Stamm der Shaw-Nee sind?

Bevor der weiße Mann kam, erwidert Ta-Kumsaw stumm, haben wir nicht erkannt, daß alle roten Männer gleich sind, Brüder des Landes, weil wir glaubten, daß alle Lebewesen so wären; deshalb haben wir uns mit anderen roten Männern gestritten, wie sich der Bär mit dem Cougar streitet, wie die Moschusratte den Biber zurechtweist. Dann ist der weiße Mann gekommen, und ich habe erkannt, daß alle roten Männer verglichen mit dem weißen Mann Zwillingsbrüder sind.

Was ist der weiße Mann? Was tut er?

Der weiße Mann ist wie ein Menschenwesen, aber er zertrampelt alle anderen Lebewesen unter seinen Füßen.

Warum, o Ta-Kumsaw, sehe ich da in deinem Herzen, daß du dem weißen Mann keinen Schmerz zufügen, daß du den weißen Mann nicht töten willst?

Der weiße Mann weiß nicht, daß er Böses tut. Der weiße Mann spürt den Frieden des Landes nicht. Woher soll er dann von den kleinen Toden wissen, die er verursacht? Ich kann dem weißen Mann keine Schuld geben. Aber ich kann ihn auch nicht hier bleiben lassen. Wenn ich ihn also dazu bringe, dieses Land zu verlassen, werde ich ihn auch nicht hassen.

Wenn du frei von Haß bist, o Ta-Kumsaw, wirst du den weißen Mann mit Sicherheit vertreiben.

Ich werde ihm nicht mehr Schmerz zufügen, als es bedarf, um ihn zum Fortgehen zu bewegen.

Der Kardinalvogel nickt. Einmal, zweimal, dreimal, viermal. Er flattert auf einen Ast, der in Ta-Kumsaws Kopfhöhe hängt. Er singt ein neues Lied. Von diesem Lied vernimmt Ta-Kumsaw zwar keine Worte, aber er hört, wie seine eigene Geschichte erzählt wird. Von nun an findet sich seine Geschichte im Gesang aller Kardinalvögel des Landes, denn was ein Kardinalvogel weiß, das erinnern alle anderen.

Wer immer Ta-Kumsaw die ganze Zeit beobachtet haben mochte, hätte keinerlei Hinweise auf das wahrgenommen, was er tat und sah und hörte. Ta-Kumsaws Miene verriet nichts. Er stand dort, wo er gestanden hatte; ein Kardinalvogel ging vor ihm zu Boden, blieb eine Weile, sang und flog davon.

Und doch veränderte dieser Augenblick Ta-Kumsaws Leben; er merkte es sofort. Bis zu diesem Tag war er ein junger Mann gewesen. Seine Kraft und seine Ruhe, auch sein Mut wurden bewundert, doch hatte er immer nur so gesprochen, wie jeder Shaw-Nee sprechen konnte, und nachdem er gesprochen hatte, war er verstummt und hatte die älteren Männer entscheiden lassen. Nun würde er für sich selbst entscheiden, wie ein echter Häuptling, wie ein Kriegshäuptling, kein Häuptling der Shaw-Nee, ja nicht einmal ein Häuptling der roten Männer dieses Nordlandes, sondern vielmehr der Häuptling aller Roten im Krieg gegen den weißen Mann. Schon viele Jahre hatte er gewußt, daß ein solcher Krieg kommen mußte; doch bis zu diesem Augenblick hatte er geglaubt, daß ein anderer Mann ihn anführen würde, ein Häuptling wie Cornstalk oder Black-fish, vielleicht sogar ein Cree-Ek oder Chok-Taw aus dem Süden. Doch der Kardinalvogel war zu ihm gekommen und hatte seine Geschichte in sein Lied aufgenommen. Nun würden überall dort im Land, wo man das Lied des Kardinalvogels vernahm, die weisesten der roten Männer seinen Namen kennen. Er war der Kriegshäuptling aller roten Männer, die das Land liebten; das Land hatte ihn auserwählt.

Wie er so am Ufer des Hio stand, hatte er das Gefühl, das Antlitz des Landes zu sein. Das Feuer der Sonne, der Atem der Luft, die Kraft der Erde, der Lauf des Wassers, alle griffen in ihn ein und blickten durch seine Augen auf die Welt hinaus. Ich bin das Land; ich bin die Hände und die Füße und der Mund und die Stimme des Landes, wie es sich darum müht, sich des weißen Mannes zu entledigen.

Das waren seine Gedanken.

Er blieb stehen, bis es gänzlich dunkel geworden war. Die anderen roten Männer waren in ihre Heime zurückgekehrt, um zu schlafen — oder um dort betrunken und so gut wie tot bis zum Morgen liegenzubleiben. Ta-Kumsaw erwachte aus seiner Trance und hörte Gelächter, das vom Dorf der Roten herüberhallte, Gelächter und Gesang der weißen Soldaten im Fort.

Ta-Kumsaw verließ den Platz, an dem er so viele Stunden gestanden hatte. Die Beine waren ihm steif geworden, doch er taumelte nicht; er zwang seine Beine dazu, sich geschmeidig zu bewegen, und sanft gab der Boden unter seinen Füßen nach. Der weiße Mann mußte grobe, schwere Stiefel tragen, um weit in dieses Land hineinzuschreiten, weil das Erdreich seine Füße zerriß und verletzte; der rote Mann konnte jahrelang dieselben Mokassins tragen, weil das Land sanft war und seinen Schritt willkommen hieß. Während er sich bewegte, spürte Ta-Kumsaw, wie sich Boden, Wind, Fluß und Blitz alle zusammen mit ihm bewegten.

Im Inneren des Forts ertönte ein Schrei. Und dann weitere Schreie: »Dieb! Dieb!«

»Haltet ihn!«

»Er hat ein Faß gestohlen!«

Flüche, Geheul. Und dann ein Gewehrschuß. Ta-Kumsaw wartete auf den Messerstich des Todes. Doch er kam nicht.

Eine schattenhafte Männergestalt schob sich über die Brustwehr. Wer immer der Mann auch sein mochte, er balancierte jedenfalls ein Faß auf den Schultern. Einen Augenblick torkelte er oben auf den Pfählen des Palisadenzauns, dann sprang er in die Tiefe. Ta-Kumsaw wußte, daß es ein roter Mann war, weil er die dreifache Höhe eines ausgewachsenen Mannes im Sprung nehmen konnte.

Vielleicht war es Absicht, vielleicht aber auch nicht, daß der fliehende Dieb sofort auf Ta-Kumsaw zulief und vor ihm stehenblieb. Ta-Kumsaw sah herunter. Im Sternenlicht erkannte er den Mann.

»Lolla-Wossiky«, sagte er.

»Habe ein Faß«, sagte Lolla-Wossiky.

»Das sollte ich eigentlich zerschmettern«, meinte Ta-Kumsaw.

Lolla-Wossiky legte den Kopf schräg wie der Kardinalvogel und musterte seinen Bruder. »Dann muß ich noch eins nehmen.«

Die weißen Männer, die Lolla-Wossiky jagten, kamen am Tor an, riefen den Wachen zu, sie sollten es öffnen. Das muß ich mir merken, dachte Ta-Kumsaw. Auf diese Weise bekomme ich sie dazu, das Tor für mich zu öffnen. Doch noch während er dies dachte, legte er den Arm um seinen Bruder samt dem Faß. Ta-Kumsaw spürte das grüne Land wie einen zweiten Herzschlag kräftig in seinem Inneren pochen, und als er seinen Bruder festhielt, durchströmte dieselbe Kraft des Landes auch Lolla-Wossiky. Ta-Kumsaw hörte ihn keuchen. Die Weißen kamen aus dem Fort gerannt. Obwohl Ta-Kumsaw und Lolla-Wossiky völlig ungeschützt direkt in Sichtweite dastanden, sahen die weißen Soldaten sie nicht. Nein, sie sahen schon etwas, doch sie bemerkten die beiden Shaw-Nee einfach nicht. Sie rannten an ihnen vorbei, stießen Schreie aus und feuerten blindlings in den Wald hinein. Sie versammelten sich neben den Brüdern, so dicht neben ihnen, daß sie nur den Arm hätten auszustrecken brauchen, um sie zu berühren. Doch sie hoben die Arme nicht; sie berührten die roten Männer nicht.

Nach einer Weile gaben die Weißen die Suche auf und kehrten fluchend und murrend ins Fort zurück.

»Das war dieser einäugige Rote.«

»Der Shaw-Nee-Trunkenbold.«

»Lolla-Wossiky.«

»Wenn ich den finde, bringe ich ihn um.«

»Den roten Bastard sollte man aufhängen.«

All dies sagten sie, während Lolla-Wossiky dastand, keinen Steinwurf von ihnen entfernt, das Faß auf den Schultern.

Als der letzte weiße Mann wieder im Fort verschwunden war, kicherte Lolla-Wossiky.

»Du lachst mit dem Gift des weißen Mannes auf deiner Schulter«, sagte Ta-Kumsaw.

»Ich lache mit dem Arm meines Bruders auf meinem Rücken«, antwortete Lolla-Wossiky.

»Laß ab von diesem Whisky, Bruder, und komm mit mir«, forderte Ta-Kumsaw ihn auf. »Der Kardinalvogel hat sich meine Geschichte angehört und erinnert sich an mich in seinem Lied.«

»Dann werde ich diesem Lied lauschen und all mein Leben lang froh sein«, sagte Lolla-Wossiky.

»Das Land ist mit mir, Bruder. Ich bin das Gesicht des Landes, das Land ist mein Atem und mein Blut.«

»Dann werde ich deinen Herzschlag im Puls des Windes vernehmen«, sagte Lolla-Wossiky.

»Ich werde den weißen Mann ins Meer zurücktreiben«, verkündete Ta-Kumsaw.

Zur Antwort begann Lolla-Wossiky zu weinen; es war kein trunkenes Weinen, sondern das trockene, schwere Schluchzen eines Mannes, den die Trauer tief drückte. Ta-Kumsaw versuchte, seine Umarmung zu verstärken, doch sein Bruder stieß ihn von sich und taumelte davon, noch immer das Faß auf dem Rücken, hinaus in die Dunkelheit zwischen die Bäume.

Ta-Kumsaw folgte ihm nicht. Er wußte, weshalb sein Bruder trauerte: weil das Land Ta-Kumsaw mit Macht erfüllt hatte, Macht genug, um zwischen betrunkenen Weißen dazustehen und so unsichtbar zu erscheinen wie ein Baum. Und Lolla-Wossiky wußte, daß alle Macht, die Ta-Kumsaw hatte, nur ein Zehntel dessen war, was Lolla-Wossiky selbst eigentlich hätte besitzen müssen. Doch der weiße Mann hatte es Lolla-Wossiky durch Morden und Branntwein gestohlen, bis Lolla-Wossiky nicht mehr fähig war, um den Kardinalvogel dazu zu bewegen, sein Lied zu singen, oder um es zuzulassen, daß das Land sein Herz erfüllte.

Mach dir nichts daraus, mach dir nichts daraus, mach dir nichts daraus.

Das Land hat mich auserwählt, seine Stimme zu sein, daher muß ich anfangen zu sprechen. Ich werde nicht länger hierbleiben, um zu versuchen, die erbärmlichen Trunkenbolde zu beschämen, die durch ihren Durst nach dem Gift des weißen Mannes bereits den Tod gefunden haben. Ich werde die weißen Lügner nicht mehr warnen. Ich werde die Roten aufsuchen, die noch lebendig sind, die noch Männer sind, und werde sie versammeln. Als geeintes Volk werden wir den weißen Mann wieder über das Meer zurückjagen.

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