6. Pulverfaß

Hooch war erstaunt. »Soll das heißen, daß Ihr die ganze Schiffsladung gar nicht haben wollt?«

»Wir haben immer noch nicht aufgebraucht, was Ihr uns letztes Mal verkauft habt, Hooch«, erwiderte der Quartiermeister. »Vier Fässer. Mehr wollen wir nicht. Und wenn ich ehrlich bin, selbst das ist schon mehr, als wir eigentlich brauchen.«

»Ich bin von Decane den Fluß heruntergekommen, das Boot mit Branntwein beladen, und habe unterwegs in keiner Stadt haltgemacht, um dort etwas zu verkaufen. Da bringe ich euch nun dieses Opfer, und Ihr sagt mir…«

»Also hört einmal, Hooch, ich glaube, wir wissen wohl alle, was für ein Opfer das war.« Der Quartiermeister grinste breit. »Ich denke, Ihr werdet trotzdem mehr als Eure Unkosten dabei herausbekommen; und wenn nicht, nun, dann bedeutet das nur, daß Ihr nicht vorsichtig genug mit den Profiten umgegangen seid, die Ihr früher mit uns gemacht habt.«

»Wer beliefert Euch sonst noch?«

»Niemand«, antwortete der Quartiermeister.

»Ich komme jetzt schon sieben Jahre nach Carthage City, und die letzten vier Jahre hatte ich ein Monopol…«

»Und wenn Ihr Euch einmal sorgfältig umseht, dann wird Euch vielleicht auch einfallen, daß es früher vor allem die Roten waren, die den größten Teil Eures Branntweins gekauft haben.«

Hooch sah sich um, er baute sich auf dem feuchten Gras des Ufers auf. Kein einziger Roter ließ sich blicken, aber das war keine Verschwörung, wie Hooch genau wußte. Schon die letzten Male waren immer weniger Rote zu sehen gewesen. Andererseits hatte es aber auch immer ein paar Betrunkene gegeben.

Er drehte sich um und rief dem Quartiermeister zu: »Wollt Ihr behaupten, daß es keine Whisky-Roten mehr gibt?«

»Natürlich gibt es noch Whisky-Rote. Aber unser Whisky ist noch nicht aufgebraucht. Deshalb liegen die alle irgendwo betrunken herum.«

Hooch fluchte. »Dann werde ich deswegen mit dem Gouverneur sprechen.«

»Heute bestimmt nicht«, meinte der Quartiermeister. »Der ist nämlich sehr beschäftigt.«

Hooch grinste bösartig. »Oh, für mich ist er nicht zu beschäftigt.«

»Und ob er das ist, Hooch. Das hat er ziemlich genau so gesagt.«

»Ich schätze, er glaubt vielleicht, daß er zu beschäftigt ist, Junge, aber ich glaube das einfach nicht.«

»Wie Ihr wollt«, meinte der Quartiermeister. »Soll ich die vier Fässer hier entladen?«

»Nein«, erwiderte er. Dann rief er seinen Schiffsjungen zu, vor allem diesem Mike Fink, weil der so aussah, als würde er am ehesten einen Mord begehen, wenn es sein mußte: »Sollte irgend jemand Hand an diesen Whisky legen wollen, dann will ich, daß ihn vier Kugeln treffen, noch bevor wir ihn ins Wasser werfen!«

Die Schiffsjungen lachten und winkten, bis auf Mike Fink, der seine Miene nur noch mehr verzerrte. Ein übler Knabe. Es hieß, daß man alle Männer, die jemals mit Mike Fink gerungen hatten, sofort wiedererkennen konnte, weil sie nämlich keine Ohren mehr besaßen.

Hooch wurde ein wenig nervös bei dem Gedanken, was Fink möglicherweise anstellen könnte, wenn er nicht genug Geld haben sollte, um ihm seinen Lohn auszuzahlen. Bill Harrison würde entweder für die ganze Branntweinlieferung zahlen, oder es würde gewaltigen Ärger geben.

Als er das Staket betrat, fielen Hooch einige Dinge auf. Alles sah schäbiger aus als früher. Und die Stadt war auch nicht größer geworden.

Ganz anders als drüben im Hio Territory. Aus dem einstmals kleinen Palisadendörfern hatten sich richtige Städte entwickelt, mit bemalten Häusern und sogar einigen gepflasterten Straßen. Hio gedieh und platzte aus den Nähten, zumindest der östliche Teil nahe bei Suskwahenny, und man munkelte schon, daß es nun bis zum Staatsstatus nicht mehr sehr weit war.

In Carthage City hingegen gab es keinerlei Aufschwung.

Gewiß, es waren zahlreiche Soldaten zu sehen, die noch immer recht diszipliniert wirkten, das mußte man Gouverneur Bill lassen. Doch dort, wo früher überall Whisky-Rote herumgelegen hatten, waren nur noch Flußrattentypen zu sehen, die noch häßlicher aussahen als Mike Fink, unrasiert und mit Whiskyfahnen, die noch schlimmer waren, als die eines betrunkenen Roten. Außerdem hatte man vier alte Gebäude in Saloons verwandelt, die mitten am Nachmittag schon gute Geschäfte zu machen schienen.

Deshalb also, dachte Hooch. Das ist das Problem. Carthage City ist zu einer Flußstadt geworden, zu einer Saloonstadt. Niemand will hier wohnen, bei diesen ganzen Flußratten. Es ist eine Whiskystadt.

Aber wenn es eine Whiskystadt ist, müßte Gouverneur Bill eigentlich Whisky von mir kaufen, anstatt nur diese vier Fässer zu ordern.

»Ihr könnt gerne warten, wenn Ihr wollt, Mr. Palmer, aber der Gouverneur wird Euch heute nicht empfangen.«

Hooch setzte sich draußen vor Harrisons Büro auf die Bank. Ihm war aufgefallen, daß Harrison das Büro mit seinem Adjutanten getauscht hatte. Weshalb? Jetzt hatte er weniger Raum, aber — ausschließlich Innenwände. Das hatte nun gewiß etwas zu bedeuten. Es bedeutete, daß Harrison nicht wollte, daß die Leute zu ihm hereinsahen. Vielleicht fürchtete er sich sogar davor, umgebracht zu werden.

Zwei Stunden saß Hooch da und sah zu, wie Soldaten eintraten und wieder herauskamen. Er versuchte, nicht wütend zu werden. Harrison tat so etwas öfter, er ließ die Leute herumsitzen und warten, damit sie bis zum Eintreten so wütend geworden waren, daß sie nicht mehr klar denken konnten. Und manchmal tat er es auch, damit man sich aufregte und wieder verschwand. Oder damit man sich klein und unwichtig vorkam, damit Harrison einen herumschubsen konnte. Hooch wußte das alles, deshalb versuchte er auch, ruhig zu bleiben. Als aber der Abend einbrach und die Soldaten abgelöst wurden, ertrug er es nicht mehr.

»Was tut Ihr da?« fragte er den Korporal, der am Empfang saß.

»Der Dienst ist zu Ende«, erwiderte der Korporal.

»Aber ich bin immer noch hier«, wandte Hooch ein.

»Ihr könnt Euren Dienst auch beenden, wenn Ihr wollt«, antwortete der Korporal.

Diese Worten waren wie ein Schlag ins Gesicht. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatten diese Jungen alle vor Hooch Palmer gekatzbuckelt. Die Zeiten änderten sich viel zu schnell. Das gefiel Hooch überhaupt nicht.

Der Korporal stand auf und sagte: »Mr. Palmer, Ihr könnt von mir aus die ganze Nacht hier warten und morgen noch mal den ganzen Tag lang, trotzdem werdet Ihr nicht mit Seiner Exzellenz dem Gouverneur sprechen. Und daß Ihr hier den ganzen Tag gewartet habt, ist ein Beweis dafür, daß Ihr anscheinend zu dumm seid, um zu begreifen, wie die Dinge jetzt stehen.«

Daraufhin verlor Hooch die Beherrschung und schlug zu. Eigentlich war es mehr ein Tritt, denn Hooch hatte nie gelernt, als Gentleman zu kämpfen. Der Korporal schrie wie am Spieß, was ja auch sein gutes Recht war, denn nach einem solchen Tritt würde sein Bein nie wieder heil werden. Hooch wußte, daß er ihn wohl besser nicht ausgerechnet hier an diesem Ort getreten hätte, aber der Junge war ihm einfach zu rotzig gekommen.

Das Problem war nur, daß der Korporal nicht ganz allein war. Kaum hatte er aufgeschrien, als plötzlich ein Sergeant und vier Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten aus dem Büro des Gouverneurs hervorstürzten. Sie sahen gereizt aus wie Hornissen. Der Sergeant befahl zweien seiner Leute, den Korporal zum Sanitäter zu tragen. Die anderen nahmen Hooch unter Arrest. Doch diesmal geschah es nicht auf jene Gentlemanart wie vor vier Jahren. Statt dessen stießen die Kolben ihrer Musketen an einigen Stellen in Hoochs Leib, beinahe zufällig, und plötzlich hatte Hooch an verschiedenen Stellen seiner Kleidung Stiefelabdrücke, ohne genau sagen zu können, wie die dort hingekommen waren. Er endete in einer Gefängniszelle — diesmal war es kein Lagerraum.

Gar kein Zweifel. Die Dinge hier hatten sich gründlich geändert.

In dieser Nacht wurden noch sechs weitere Männer in die Zelle gesperrt, drei davon wegen Trunkenheit, drei wegen Störung der öffentlichen Ordnung. Kein einziger Roter war darunter. Aus ihren Gesprächen entnahm Hooch, daß es wohl tatsächlich so gut wie keine Roten mehr hier gab. Doch weshalb gedieh Carthage City dann nicht, warum zogen die weißen Siedler nicht hierher?


Am nächsten Morgen holten die Soldaten ihn ab. Andere Kerle, die auch nicht ganz so achtlos mit Füßen und Gewehrkolben umgingen. Sie führten Hooch einfach aus dem Gefängnis, und nun bekam er endlich Bill Harrison zu sehen.

Doch nicht in seinem Büro. Vielmehr führte man ihn auf sehr seltsame Weise ins Haus des Gouverneurs, und zwar in einen Kellerraum. Die Soldaten — es mochten ungefähr ein Dutzend gewesen sein — marschierten hinter das Haus, als einer von ihnen plötzlich vorstürzte und zwei andere Hooch halb die Treppe hinunterzerrten. Die Kellertür schlug wieder über ihm zu, kaum daß ihre Köpfe verschwunden waren, und die ganze Zeit marschierten die Soldaten weiter, als wäre nichts geschehen. Das gefiel Hooch überhaupt nicht. Es bedeutete, daß Harrison nicht wollte, daß irgend jemand von ihrer Begegnung erfuhr. Was wiederum hieß, daß die Sache ziemlich häßlich ausgehen könnte, weil Harrison jederzeit in der Lage sein würde, ihre Begegnung abzustreiten.

Aber Harrison war ganz der alte, er lächelte und schüttelte Hoochs Hand, klopfte ihm auf die Schulter. »Wie geht es Euch, Hooch?«

»Mir ging es schon mal besser, Gouverneur. Wie geht es Eurer Frau? Und Eurem kleinen Jungen?«

»Sie ist so gesund, wie man es sich nur wünschen kann. Mein kleiner Junge ist ein richtiger Soldat, wir haben ihm sogar eine kleine Uniform geschneidert, den solltet Ihr einmal bei der Parade umherstolzieren sehen!«

»Solche Erzählungen bringen mich auf den Gedanken, daß ich mir eines Tages wohl doch eine Frau nehmen sollte.«

»Das kann ich nur empfehlen. Aber wie unaufmerksam von mir, Hooch. Bitte nehmt doch Platz!«

Hooch setzte sich. »Danke, Bill.«

Harrison nickte zufrieden. »Es ist schön, Euch einmal wiederzusehen, es ist ja schon so lange her, seit dem letzten Mal.«

»Ich wünschte, ich hätte Euch gestern sprechen können«, meinte Hooch.

Harrison lächelte reumütig. »Nun, ich bin eben sehr beschäftigt. Haben Euch meine Leute denn nicht gesagt, daß ich keinen Termin mehr frei hatte?«

»Für mich hattet Ihr bisher immer noch einen Termin frei, Bill.«

»Ihr wißt ja, wie das manchmal ist. Da ist man so schrecklich beschäftigt, daß man nichts dagegen tun kann.«

Hooch schüttelte den Kopf. »Bill, ich denke, wir haben einander jetzt lange genug angelogen. Was hier geschehen ist, war Teil eines Plans, und es war nicht mein Plan.«

»Wovon redet Ihr da, Hooch?«

»Ich rede davon, daß dieser Korporal vielleicht zwar nicht unbedingt wollte, daß ich ihm das Bein breche, aber ich habe so ein Gefühl, daß er mich zu etwas provozieren sollte.«

»Er sollte lediglich dafür sorgen, daß niemand mich störte, es sei denn, er hatte einen Termin mit mir vereinbart, Hooch. Das ist der einzige Plan, von dem ich weiß.« Harrison blickte traurig drein. »Hooch, ich muß Euch sagen, daß das eine ziemlich häßliche Angelegenheit ist. Einen Offizier der US-Armee tätlich anzugreifen!«

»Ein Korporal ist kein Offizier, Bill.«

»Ich wünschte nur, daß ich Euch zum Prozeß nach Suskwahenny schicken könnte, Hooch. Dort gibt es Rechtsanwälte. Aber der Prozeß muß hier stattfinden, und die Geschworenen in dieser Gegend haben nicht allzu viel für Leute übrig, die Korporalen das Knie zerschmettern.«

»Wie wäre es, wenn Ihr Eure Drohungen einstelltet und mir sagtet, was Ihr wirklich wollt?«

»Was ich will? Ich bitte Euch um keinen Gefallen, Hooch. Ich mache mir nur Sorgen um einen Freund, der in Konflikt mit dem Gesetz geraten ist.«

»Es muß etwas wirklich Widerliches sein, denn sonst würdet Ihr mich bestechen, um es zu tun, anstatt Eure Muskeln spielen zu lassen. Es muß etwas sein, von dem Ihr glaubt, daß ich es nicht täte, es sei denn, daß Ihr mir Todesangst einjagt. Und ich versuche ständig mir vorzustellen, was Eurer Meinung nach wohl so schlimm sein muß, daß ich es nicht täte. Das ergibt keine besonders lange Liste, Bill.«

Harrison schüttelte den Kopf. »Hooch, Ihr habt mich falsch verstanden.«

»Diese Stadt stirbt, Bill«, versetzte Hooch. »Es läuft alles nicht so, wie Ihr es geplant habt. Und ich glaube, das liegt daran, daß Ihr ein paar wirklich dumme Sachen gemacht habt. Ich glaube, daß die Roten anfingen fortzugehen, vielleicht sind sie ja auch alle weggestorben. Außerdem habt Ihr den dummen Fehler begangen, zu versuchen, die ausfallenden Branntweinprofite wettzumachen, indem Ihr den Abschaum der Erde anlocktet, die schlimmsten aller Weißen, die Flußratten, die mit mir die Nacht im Gefängnis verbracht haben. Ihr habt sie als Steuereintreiber eingesetzt, richtig? Aber Farmer mögen keine Steuern. Vor allen Dingen mögen sie keine Steuern, wenn sie von einem derartigen Abschaum eingetrieben werden.«

Harrison goß sich drei Fingerbreit Whisky in ein Glas und leerte die Hälfte davon in einem Zug.

»Ihr habt also Eure Whisky-Roten verloren und auch noch Eure weißen Farmer, und jetzt sind Euch nur Eure Soldaten geblieben, die Flußratten und jene Gelder, die Ihr aus der Kasse der US-Armee dafür erhaltet, daß Ihr im Westen für Ruhe und Ordnung sorgt.«

Harrison trank den Whisky aus und rülpste.

»Und das bedeutet, daß Ihr Pech gehabt habt und dumm gewesen seid und daß Ihr irgendwie glaubt, Ihr könntet mich dazu bringen, Euch aus der Misere zu helfen.«

Harrison goß sich erneut drei Fingerbreit ein. Doch anstatt ihn zu trinken, schüttete er ihn Hooch ins Gesicht. Der Whisky spritzte in seine Augen, und Hooch wälzte sich am Fußboden und versuchte, sich den Alkohol aus dem Gesicht zu reiben.

Ein paar Momente später saß Hooch wieder auf seinem Stuhl, ein feuchtes Tuch an die Stirn gepreßt, und verhielt sich sehr viel unterwürfiger und vernünftiger. Aber nur, weil er wußte, daß Harrison einen Flush hatte, während er selbst nur zwei Paare aufweisen konnte.

»Ich war nicht dumm«, sagte Harrison.

Nein, du bist der schlaueste Gouverneur, den Carthage je gehabt hat, ich wundere mich nur, daß du es noch nicht bis zum König gebracht hast. Das hätte Hooch normalerweise gesagt. Doch statt dessen hielt er den Mund.

»Es war dieser Prophet. Dieser Rote oben im Norden. Wie er seine Prophetenstadt genau gegenüber von Vigor Church am Wobbish erbaut hat — Ihr könnt nicht behaupten, daß das ein Zufall war. Brustwehr-Gottes steckt dahinter, er versucht, mir den Staat Wobbish zu nehmen. Und dazu setzt er auch noch einen Roten ein. Ich wußte ja, daß viele Rote in den Norden gingen, jeder wußte das, aber ich hatte immer noch meine Whisky-Roten hier, die, die nicht weggestorben waren. Und als es hier immer weniger Rote gab — vor allen Dingen Shaw-Nee —, nun, da dachte ich, daß ich mehr weiße Siedler bekommen würde. Ihr täuscht Euch, was meine Steuereintreiber angeht. Die haben die weißen Siedler nicht vertrieben. Das war Ta-Kumsaw.«

»Ich dachte, es wäre der Prophet gewesen.«

»Jetzt werdet nicht frech, Hooch, dieser Tage habe ich nicht sehr viel Geduld!«

Warum hast du mich nicht gewarnt, bevor du das Glas geworfen hast? Nein, nein, nichts sagen, was ihn reizen könnte. »Tut mir leid, Bill.«

»Ta-Kumsaw war wirklich raffiniert. Er tötet keine Weißen. Er kreuzt einfach nur mit fünfzig Shaw-Nee auf ihren Farmen auf. Er erschießt niemanden, aber wenn das Haus plötzlich von fünfzig bemalten Kriegern umzingelt ist, meinten diese Weißen, daß es wohl nicht eben klug wäre, das Feuer zu eröffnen. Also sahen die weißen Farmer mit an, wie die Shaw-Nee alle Tore öffneten, alle Scheunen, alle Ställe. Wie sie die Tiere hinausließen. Pferde, Schweine, Milchkühe, Hühner. Genau wie Noah, als er die Tiere in die Arche führte, schritten die Shaw-Nee in den Wald, und die Tiere folgten ihnen. Und wurden nie wieder gesehen.«

»Ihr könnt mir nicht erzählen, daß sie nicht wenigstens einen Teil Ihres Viehs wiederfanden.«

»Nicht einmal ihre Spuren haben sie gefunden! Nicht eine Feder ihrer Hühner! Das ist es, was die weißen Farmer vertrieben hat, das Wissen, daß irgendeines Tages alle ihre Tiere verschwinden könnten.«

»Vielleicht essen die Shaw-Nee das Vieh. Kein Huhn ist intelligent genug, um lange im Wald zu überleben. Das ist doch ein Weihnachtsbraten für die Füchse, nicht mehr.«

»Woher soll ich das wissen? Die Weißen kommen zu mir, sie sagen: Bringt unsere Tiere zurück oder tötet die Roten, die sie genommen haben. Aber weder meine Soldaten noch meine Späher können Ta-Kumsaws Leute ausfindig machen. Kein einziges Dorf! Ich habe einmal ein Dorf der Caska-Skeeaw oben am Little My-Ammy überfallen lassen, aber das hat nur noch mehr Rote dazu bewegt, fortzugehen. Ta-Kumsaw konnte es nicht aufhalten.«

Hooch konnte sich lebhaft vorstellen, wie dieser Überfall auf das Dorf der Caska-Skeeaw ausgesehen hatte. Alte Männer, Frauen, Kinder, erschossene, halbverkohlte Leichen — Hooch wußte, wie Harrison mit den Roten umsprang.

»Und dann kam letzten Monat der Prophet. Ich wußte, daß er kommen würde — selbst die Whisky-Roten können kaum noch von etwas anderes reden. ›Der Prophet kommt! Wir müssen den Propheten aufsuchen.‹ Nun, ich versuchte festzustellen, wohin er kommen würde, um seine Reden zu halten. Ich habe sogar einige meiner zahmen Roten darauf angesetzt, es für mich herauszubekommen, aber ohne Erfolg. Niemand wußte es. Nur daß es eines Tages in der ganzen Stadt hieß, der Prophet sei da. Aber wo? Komm einfach mit, der Prophet ist da. Niemand sagte jemals, wo er war. Ich kann beschwören, daß diese Roten reden können, ohne zu reden, falls Ihr versteht, was ich meine.«

»Bill, jetzt sagt mir wenigstens, daß Ihr Spione hingeschickt habt, sonst muß ich noch glauben, daß Ihr nicht mehr so genau wißt, worauf es ankommt.«

»Spione? Ich bin selbst hingegangen, wie findet Ihr das? Und wißt Ihr was? Ta-Kumsaw hat mir sogar eine Einladung geschickt, der Gipfel an Dreistigkeit! Ohne Soldaten, ohne Gewehre, nur ich allein.«

»Und Ihr seid hingegangen? Er hätte Euch gefangennehmen und…«

»Er hat mir sein Wort gegeben. Ta-Kumsaw mag zwar ein Roter sein, aber sein Wort hält er.«

Das hielt Hooch irgendwie für komisch. Harrison, der Mann, der stolz darauf war, daß er nie ein Versprechen einhielt, das er einem roten Mann gab, hatte darauf gezählt, daß Ta-Kumsaw Wort halten würde.

»Ich bin hingegangen. So ziemlich jeder Rote im ganzen Gebiet My-Ammy muß dagewesen sein. Sie hockten auf einem verlassenen Maisfeld — von denen gibt es hier in der Gegend genügend, darauf könnt Ihr wetten, dank Ta-Kumsaw. Hätte ich meine beiden Kanonen und hundert Soldaten dabeigehabt, dann hätte ich das ganze Rotenproblem auf der Stelle lösen können.«

»Schade, daß dem nicht so war«, meinte Hooch.

»Ta-Kumsaw wollte, daß ich ganz vorne sitze, aber das tat ich nicht. Statt dessen hielt ich mich hinten und hörte zu. Der Prophet stand auf, stellte sich auf einen alten Baumstumpf auf dem Feld und redete und redete und redete.«

»Habt Ihr davon überhaupt irgend etwas verstanden? Ich meine, schließlich könnt Ihr doch gar kein Shaw-Nee.«

»Er hat Englisch gesprochen, Hooch. Es waren viel zu viele verschiedene Stämme da. Die einzige Sprache, die sie alle beherrschten, war Englisch. Gewiß, manchmal hat er auch in diesem roten Kauderwelsch geredet, aber es wurde sehr viel Englisch gesprochen. Über die Zukunft des roten Mannes. Wie er sich von der Verunreinigung durch die Weißen fernhalten soll. Wie sie alle zusammenleben und einen Teil des Landes ausfüllen sollen, damit der weiße Mann seinen Platz findet und der Rote seinen. Daß sie eine Stadt bauen sollten — eine Kristallstadt, sagte er, das hörte sich richtig hübsch an. Nur daß diese Roten ja nicht einmal einen ordentlichen Schuppen zustande bringen, da mag ich gar nicht daran denken, was die erst mit einer Stadt aus Glas anfangen würden! Vor allem aber, sagte er, sollten sie keinen Branntwein trinken. Nicht einen Tropfen. Sie sollten ihn aufgeben, sollten das Zeug nicht mehr anrühren. Branntwein sei die Kette des weißen Mannes, die Kette und die Peitsche, die Kette und die Peitsche und das Messer. Erst fängt er einen, dann peitschte er einen, dann tötet er einen; und wenn der weiße Mann einen mit seinem Whisky getötet hat, kommt er, um das Land zu stehlen, und es zu vernichten.«

»Klingt, als hätte er Euch richtig beeindruckt, Bill«, meinte Hooch. »Als hättet Ihr seine Rede auswendig gelernt.«

»Auswendig gelernt? Er hat drei Stunden am Stück geredet. Von Visionen der Vergangenheit, Visionen der Zukunft. Er hat darüber gesprochen, wie… Ach, Hooch, es war verrücktes Zeug, aber diese Roten haben es gesoffen wie, wie…«

»Whisky.«

»Wie Whisky, nur daß sie es anstelle von Whisky soffen. Und alle sind sie mit ihm gegangen. Jedenfalls fast alle. Die einzigen, die übrigblieben, waren ein paar Whisky-Rote, die wohl bald sterben müssen. Und natürlich meine zahmen Roten, aber das ist etwas anderes. Und ein paar wilde Rote am anderen Ufer des Hio.«

»Wohin sind sie denn mit ihm gegangen?«

»Das ist es ja, was mir zusetzt, Hooch. Sie sind alle nach Prophetstown gegangen, jedenfalls in die Nähe, genau gegenüber von Vigor Church. Und genau dorthin gehen auch all die Weißen! Na ja, nicht alle gehen nach Vigor Church, aber in die Landstriche, von denen Brustwehr-der-Hölle Weaver seine Landkarten hat. Sie stecken alle unter einer Decke, Hooch, das kann ich Euch versichern. Ta-Kumsaw, Brustwehr-Gottes Weaver und der Prophet.«

»Hört sich so an.«

»Und das schlimmste ist, daß ich diesen Propheten bestimmt tausendmal in meinem Büro hier vor mir hatte und ihn jederzeit hätte umbringen können. Es war unser alter Bekannter Lolla-Wossiky. Jetzt nennt er sich Tenskwa-Tawa. Das heißt ›offenes Tor‹ oder so etwas. Dieses Tor würde ich nur zu gern schließen. Das hätte ich auch tun sollen, als ich noch Gelegenheit dazu hatte. Aber ich dachte mir, als er davonlief — Ihr müßt nämlich wissen, daß er davongelaufen ist, er hat ein Faß gestohlen und ist in den Wäldern verschwunden…«

»Ich weiß, ich habe noch dabei geholfen, ihn zu suchen.«

»Nun, jedenfalls ist er nicht mehr zurückgekehrt. Ich hatte geglaubt, daß er sich mit diesem Faß wahrscheinlich zu Tode gesoffen hatte; aber jetzt erzählt er den Roten, wie er die ganze Zeit getrunken hat, aber daß Gott ihm Visionen schickte und daß er seitdem keinen Tropfen mehr anrührt.«

»Wenn man mir Visionen schickte, würde ich auch aufhören zu trinken.«

Harrison nahm einen weiteren Schluck Whisky. Diesmal aus dem Krug, da das Glas in einer Zimmerecke auf dem Boden lag. »Jetzt kennt Ihr mein Problem, Hooch.«

»Ich sehe, daß Ihr viele Probleme habt, Bill, aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun hat. Ich weiß nur, daß es kein Scherz war, als Ihr mir durch den Quartiermeister habt ausrichten lassen, daß Ihr nur vier Fässer wolltet.«

»Oh, das hat noch sehr viel mehr mit Euch zu tun, darauf könnt Ihr Euch verlassen, Hooch. Sehr viel mehr. Denn ich bin noch nicht geschlagen. Der Prophet hat mir zwar meine ganzen Whisky-Roten genommen, und Ta-Kumsaw hat meine weißen Bürger in Angst und Schrecken versetzt, aber ich gebe nicht auf.«

»Nein, Ihr seid niemand, der aufgibt«, erwiderte Hooch. Du bist eine schleimige, hinterhältige Schlange von einem Mann, aber niemand, der aufgibt. Das sagte er natürlich nicht, weil Harrison es mit Sicherheit falsch aufgefaßt hätte — aber für Hooch war das ein Kompliment. Genau seine Sorte Mann.

»Es geht um Ta-Kumsaw und den Propheten, so einfach ist das. Ich muß sie töten. Nein, ich muß sie erst schlagen, um sie danach zu töten. Ich muß es mit ihnen aufnehmen und sie beide lächerlich machen, um sie danach zu töten.«

»Gute Idee. Da werde ich gerne die Wetten annehmen.«

»Darauf würde ich auch wetten. Daß Ihr einfach nur dasteht und Wetten annehmt. Nun, ich kann meine Soldaten nicht einfach nach Norden schicken, um Prophetstown dem Erdboden gleichzumachen, weil Brustwehr-Gottes sich mir vom ersten Schritt an in den Weg stellen würde. Wahrscheinlich würde er die Streitkräfte von Fort Wayne zur Hilfe rufen. Vielleicht würde er sogar dafür sorgen, daß ich meines Postens enthoben würde. Also muß ich dafür Sorge tragen, daß die Leute in Vigor Church und den ganzen Wobbish entlang mich darum anflehen, sie von diesen Roten zu befreien.«

Endlich verstand Hooch, was Harrison vorhatte. »Ihr wollt eine Provokation.«

»Darum geht es, Hooch. Ich will, daß einige Rote nach Norden gehen und dort ordentlich Unheil stiften und daß sie allen erzählen, sie handelten im Auftrag von Ta-Kumsaw und dem Propheten. Denen will ich alles in die Schuhe schieben.«

Hooch nickte. »Ich verstehe. Dazu würde es nicht genügen, wenn sie nur ein paar Kühe forttreiben. Nein, das einzige, was die Leute im Norden in Aufruhr versetzen würde, bis sie nach Rotenblut gieren, wäre etwas außerordentlich Häßliches. Wenn man, zum Beispiel, ein paar Kinder entführt und sie zu Tode foltert und dann Ta-Kumsaws Namen in die Leichen ritzt und sie liegenläßt, damit man sie findet. Irgend etwas in der Art.«

»Nun, ich würde nicht so weit gehen, irgend jemandem aufzutragen, etwas so Furchtbares zu tun, Hooch. Tatsächlich würde ich überhaupt keine genauen Anweisungen erteilen, etwas zu tun, das die Weißen im Norden aufwiegelt.«

»Aber es würde Euch nicht überraschen, wenn es auf Vergewaltigung und Folter hinausliefe.«

»Ich möchte nicht, daß sie auch nur eine weiße Frau anrühren, Hooch. Das käme nicht in Frage.«

»Ach ja, das also nicht«, bemerkte Hooch. »Also heißt es doch eindeutig, Kinder zu foltern. Männliche Kinder.«

»Wie ich schon sagte, so etwas würde ich nie jemandem auftragen.«

Hooch nickte sanft, er behielt die Augen geschlossen. Harrison mochte zwar niemandem dergleichen auftragen, mit Sicherheit aber würde er ihm auch nicht sagen, er solle es nicht tun. »Und natürlich könnten es auch keine Roten aus dieser Gegend hier sein, Bill, weil sie alle fort sind und weil Eure zahmen Roten der nichtsnutzigste Abschaum auf Gottes Erdboden sind.«

»Das stimmt wohl so ziemlich.«

»Also braucht Ihr Rote, die flußabwärts aus dem Süden kommen. Rote, die noch nicht die Predigten des Propheten gehört haben, so daß sie noch immer Branntwein haben wollen. Rote, die noch über genügend Gehirn verfügen, um die Sache richtig zu machen, und die blutrünstig genug sind, um Kinder langsam zu Tode zu quälen. Und meine Ladung braucht Ihr zur Bestechung.«

»Ihr liegt ziemlich richtig, Hooch.«

»Ihr könnt sie haben, Bill. Laßt die Anklage gegen mich fallen, dann bekommt Ihr meinen ganzen Fusel umsonst.

Gebt mir nur genug Geld, damit ich meine Schiffsjungen bezahlen kann, sonst stechen die mich auf dem Heimweg noch ab. Ich glaube, das ist wohl nicht zuviel verlangt.«

»Also Hooch, Ihr wißt doch, daß ich noch mehr brauche als das.«

»Aber das, Bill, ist nun einmal alles, was ich tun werde.«

»Ich kann nicht derjenige sein, der diesen Cree-Eks oder Choc-Taws sagt, was geschehen muß. Das muß ein anderer tun. Jemand, den ich jederzeit verleugnen kann, sollte die Sache jemals herauskommen. Jemand, der dazu seinen eigenen Whisky benutzt, von dem ich nichts wußte.«

»Bill, ich verstehe Euch zwar, aber Ihr habt von Anfang an richtig geraten. Ihr habt tatsächlich etwas gefunden, das so niederträchtig ist, daß ich nichts damit zu tun haben will.«

Harrison musterte ihn böse. »Einen Offizier tätlich anzugreifen, ist ein Vergehen, das in diesem Fort mit dem Strang bestraft wird, Hooch. Habe ich das nicht deutlich genug gemacht?«

»Bill, ich habe in meinem Leben gelogen, betrogen und manchmal auch getötet, um weiterzukommen, aber wenn ich etwas nicht getan habe, so ist es, jemanden zu bestechen, damit er irgendeiner Mutter die Kinder raubt und sie zu Tode foltert. Das habe ich, ganz ehrlich gesagt, noch nie getan. Und ebenso ehrlich gesagt: Ich werde es auch nicht tun.«

Harrison studierte Hoochs Miene und mußte feststellen, daß es stimmte. »Wer hätte das gedacht! Es gibt tatsächlich noch eine Sünde, die so schlimm ist, daß nicht einmal Hooch Palmer sie begehen würde, selbst wenn er deswegen sterben müßte.«

»Ihr werdet mich nicht umbringen, Bill.«

»O doch, das werde ich, Hooch. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens habt Ihr mir die falsche Antwort auf meine Bitte gegeben, und zweitens habt Ihr sie überhaupt gehört. Ihr seid ein toter Mann, Hooch.«

»Das soll mir recht sein«, meinte Hooch. »Und nehmt auch einen ordentlich kratzigen Strick dazu und einen guten, hohen Galgen, von dem ich zwanzig Fuß in die Tiefe stürze. Ich will eine Hinrichtung, an die sich die Leute noch lange erinnern werden.«

»Ihr bekommt einen Ast an einem Bau, und wir werden den Strick ganz langsam hochziehen, damit Ihr erstickt, anstatt Euch das Genick zu brechen.«

»Hauptsache, man erinnert sich daran«, versetzte Hooch.

Harrison rief einige Soldaten und ließ Hooch ins Gefängnis führen. Diesmal traten und schlugen sie ihn auch, so daß Hooch einige neue Schürfungen und möglicherweise auch eine gebrochene Rippe davontrug.

Viel Zeit hatte er auch nicht mehr.

Also legte er sich ganz ruhig auf den Boden der Gefängniszelle. Die Betrunkenen waren verschwunden, aber die Ruhestörer waren noch da, sie hatten die Pritschen eingenommen, so daß ihm nur der Fußboden übriggeblieben war. Das war Hooch nicht sonderlich wichtig. Er wußte, daß Harrison ihm ein oder zwei Stunden Zeit gewähren würde, um sich die Sache noch einmal zu überlegen, danach würde er ihn hinausführen, ihm die Schlinge um den Hals legen und ihn töten. Natürlich würde er vielleicht versuchen, so zu tun, als gewährte er ihm eine letzte Chance, aber das würde er nicht ernst meinen, denn nun konnte er Hooch nicht mehr trauen. Hooch hatte ihm seinen Wunsch ausgeschlagen, so daß er ihm niemals mehr trauen würde, den Auftrag tatsächlich auszuführen, sollte er ihn doch laufenlassen.

Nun, Hooch hatte vor, seine Zeit klug zu nutzen. Er fing ganz einfach an. Er schloß die Augen und ließ etwas Hitze in seinem Inneren entstehen. Einen Funken. Und dann ließ er den Funken hervortreten. Das war es, was die Rutengänger ihrem eigenen Bekunden nach taten, wenn sie ihre Rute nämlich unter den Boden schickten, um nachzusehen, wie es dort aussah. Er schickte seinen Funken auf die Suche und war schon bald am Ziel: Gouverneur Bills eigenes Haus. Der Funke war nun schon zu weit entfernt, als daß er damit eine besondere Stelle im Haus hätte ausmachen können, er konnte also nicht genau zielen. Daher pumpte er seinen ganzen Haß, seinen Zorn und seinen Schmerz in den Funken hinein, ließ ihn heißer und heißer werden. Dabei ließ er sich gehen, wie er es noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte. Und gab noch mehr Druck und noch mehr Druck, bis er schließlich das höchst willkommene Geräusch vernahm.

»Feuer! Feuer!« Die Rufe ertönten draußen in der Ferne, doch immer mehr Menschen wiederholten sie. Gewehre wurden abgefeuert — Notsignale.

Die drei Ruhestörer vernahmen es auch. Einer von ihnen trampelte auf Hooch herum, als sie zur Tür eilten, so eilig hatten sie es. An der Gittertür blieben sie stehen, rüttelten daran und schrien den Wächter an: »Laßt uns raus! Löscht den Brand erst, nachdem Ihr uns rausgelassen habt! Laßt uns nicht hier drin sterben!«

Hooch bemerkte den Mann kaum, der auf ihn getrampelt war, seine Schmerzen waren zu groß. Statt dessen lag er einfach da und benutzte erneut seinen Funken, nur daß er diesmal damit das Metall im Schloß der Zellentür erhitzte. Nun konnte er sehr genau zielen, wodurch sein Funke sehr viel heißer wurde.

Der Wächter kam herein und schob den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn um und öffnete die Tür. »Ihr Jungs könnt herauskommen«, sagte er. »Der Sergeant hat es befohlen, wir brauchen euch beim Löschen.«

Hooch plagte sich auf, doch der Wächter schob ihn mit ausgestrecktem Arm wieder in die Zelle zurück. Hooch war nicht überrascht. Doch er ließ den Funken noch heißer werden, so heiß, daß das Eisen im Schloß zu schmelzen begann. Es glühte sogar etwas. Der Wächter schlug die Zellentür zu und wollte den Schlüssel umdrehen. Inzwischen war der aber so heiß geworden, daß er sich die Hand daran verbrannte. Er fluchte und versuchte, mit seinem Hemd den Schlüssel anzufassen, doch da hatte Hooch die Tür auch schon aufgetreten und schlug den Wächter zu Boden. Er trat ihm ins Gesicht und gegen den Kopf, was ihm wahrscheinlich das Genick brach, doch das betrachtete Hooch nicht als Mord. Für ihn war es nur Gerechtigkeit, denn der Wächter war bereit gewesen, ihn bei lebendigem Leib in der Zelle verbrennen zu lassen.

Hooch verließ das Gefängnis. Niemand beachtete ihn. Er konnte das Haus zwar nicht erkennen, sah aber den Rauch, der zum Himmel aufstieg. Hooch hoffte, daß das ganze Gebäude abbrennen würde.

Er selbst hatte eine Grenze kennengelernt, die er nicht überschreiten konnte. In diesem Punkt glich er Andrew Jackson mehr, als er für möglich gehalten hätte. Natürlich hatte er gehofft, mit dem Leben davonzukommen. Er konnte das Fort nicht durch das Tor verlassen, weil dort die Eimerträger eine Reihe bis zum Fluß bilden würden, so daß man ihn entdecken würde, doch es war nicht schwer, den Palisadenzaun zu erklimmen. Besonders wachsam waren die Soldaten im Augenblick nicht. Niemand bemerkte ihn. Er schritt die zehn Ellen bis zum Waldrand hinüber, dann bahnte er sich seinen Weg durch den Wald bis ans Ufer, ganz langsam, weil seine gebrochene Rippe schmerzte und er vom Aussenden der Funken etwas erschöpft war.

An der Lichtung der Anlegestelle trat er wieder aus dem Wald. Dort lag sein Flachboot, noch immer mit den Fässern beladen. Und seine Schiffsjungen standen drumherum, sahen zu, wie die Eimerträger dreißig Ellen flußabwärts Wasser schöpften. Hooch war keineswegs überrascht, daß seine Schiffsjungen nicht mithalfen. Ihr Gemeinsinn war nicht sonderlich ausgeprägt.

Hooch trat zur Anlegestelle und bedeutete seinen Schiffsjungen, daß sie ihm folgen sollten. Er sprang auf das Flachboot hinunter; dabei stolperte er ein wenig, weil er schwach war und Schmerzen hatte. Er drehte sich um, um den Jungen zu erzählen, was geschehen war, warum sie ablegen mußten, doch sie waren ihm nicht gefolgt. Sie standen einfach nur am Ufer und sahen ihn an. Wieder winkte er ihnen zu, doch sie rührten sich nicht von der Stelle.

Nun, dann würde er eben ohne sie abfahren. Gerade schritt er auf das Tau zu, um abzulegen und das Floß mit der Schifferstange abzustoßen, als er merkte, daß nicht alle Schiffsjungen an Land waren. Nein, einer fehlte. Und er wußte genau, wo der fehlende Schiffsjunge war. Direkt hier auf dem Flachboot, unmittelbar hinter ihm, mit den Händen nach ihm greifend…

Mike Fink war kein Messerstecher. Gewiß, wenn es sein mußte, würde er einen Mann auch abstechen, aber lieber war es ihm, mit bloßen Händen zu töten. Er pflegte irgend etwas über das Töten mit dem Messer zu sagen, irgendein Vergleich zwischen Huren und Besenstielen. Daher wußte Hooch jedenfalls, daß es kein Messer sein würde. Daß es nicht schnell gehen würde. Harrison mußte gewußt haben, daß Hooch die Flucht versuchen würde, deshalb hatte er Mike Fink gekauft, und nun würde Fink ihn umbringen.

Aber langsam, unheimlich langsam. Hooch hatte Zeit, dafür zu sorgen, daß er nicht allein sterben mußte.

Und als sich nun die Finger um seinen Hals schlössen und fest zudrückten, viel fester, als selbst Hooch es sich jemals hätte vorstellen können, so fest, daß er schon glaubte, es würde ihm den Kopf abreißen, zwang er sich dazu, seinen Funken zu aktivieren, das Faß zu finden, die Stelle genau, wo es sich auf dem Flachboot befand, um dieses Faß heiß werden zu lassen, so heiß wie möglich, immer heißer, immer heißer…

Und er wartete auf die Explosion, wartete und wartete, doch sie kam nicht. Er hatte das Gefühl, als hätte Fink die Finger von vorn über die Kehle bis an seine Halswirbelsäule gepreßt, und er spürte, wie die Muskeln einfach nachgaben, wie er um sich trat, wie seine Lungen sich abmühten, um die Luft einzusaugen, die einfach nicht mehr kommen wollte, doch er hielt den Funken bis zum letzten Augenblick, wartete darauf, daß das Pulverfaß explodierte. Und dann starb er.

Mike Fink drückte noch eine ganze Minute zu, nachdem er tot war, vielleicht, weil er einfach nur gern einen toten Mann von seinen Händen herabbaumeln spürte. Das konnte man bei Mike Fink nie so genau sagen. Manche Menschen meinten, daß er ein durchaus netter Mann sein konnte, wenn er entsprechend gelaunt war. Das jedenfalls dachte Mike von sich selbst. Er mochte es, nett zu sein und Freunde zu haben und richtig gesellig zu trinken. Aber zu töten liebte er nun einmal auch.

Doch schließlich konnte man einen Leichnam nicht unendlich lange festhalten. Und so schob er Hoochs reglosen Körper ins Wasser.

»Rauch«, sagte einer der Schiffsjungen und gestikulierte.

Tatsächlich, mitten zwischen den Fässern stieg Rauch auf.

»Das Pulverfaß!« rief einer von ihnen.

Die Schiffsjungen rannten sofort vor der drohenden Explosion davon, aber Mike Fink lachte nur. Er trat zu den Fässern hinüber und begann sie zu entladen, stemmte sie auf die Pier, entlud sie so lange, bis er zur Mitte gelangt war, wo sich ein Faß befand, aus dem eine Lunte hervortrat. Dieses Faß nahm er jedoch nicht in die Hände. Er kippte es mit dem Fuß um und rollte es zu der freien Stelle am Rand des Boots hinüber.

Inzwischen waren die Schiffsjungen zurückgekehrt, um zu sehen, was hier geschah, da es doch nicht den Anschein hatte, als würde Mike Fink in die Luft fliegen. »Das Beil«, rief Mike, und einer der Jungen warf ihm das Beil zu, das er in einer Scheide am Gürtel trug. Es bedurfte einiger kräftiger Hiebe, doch schließlich sprang der Deckel des Fasses auf, worauf eine gewaltige Dampfschwade emporstieg. Das Wasser im Faß war so heiß, daß es immer noch kochte.

»Soll das heißen, daß es doch kein Schießpulver war?« fragte einer der Jungen. Nicht eben gewitzt, aber die Flußarbeiter waren auch nicht gerade für ihren hervorragenden Verstand bekannt.

»Oh, es war durchaus noch Schießpulver darin, als er das Faß hier hingestellt hat«, sagte Mike. »In Suskwahenny. Aber du glaubst doch wohl nicht, daß Mike Fink den ganzen Hio River auf einem Flachboot hinauf fährt, auf dem ein Pulverfaß mit einer heraushängenden Lunte steht, oder?«

Dann sprang Mike vom Schiff auf die Pier und rief so laut er konnte, ja so laut, daß die Eimerträger innehielten, um zuzuhören: »Mein Name ist Mike Fink, Jungs, und ich bin der niederträchtigste Sohn eines Alligatoren, der jemals einem Büffel den Kopf abgebissen hat! Ich esse Männerohren zum Frühstück und Bärenohren zum Abendessen, und wenn ich durstig bin, kann ich genug trinken, um die Niagarafälle auszutrocknen. Wenn ich pisse, steigen die Leute auf ihre Flachboote und treiben fünfzig Meilen flußabwärts, und wenn ich furze, füllen die Franzosen die Luft auf Flaschen ab und verkaufen sie als Parfüm. Ich bin Mike Fink, und das hier ist mein Flachboot. Und wenn ihr erbärmlichen kleinen Wichte jemals dieses Feuer löscht, gibt es für jeden von euch ein Glas Whisky gratis!«

Und dann führte Mike Fink die Schiffsjungen hinüber zum Fort, und sie bekämpften das Feuer so lange, bis der Regen kam und es löschte.

An diesem Abend, als die Soldaten alle tranken und sangen, saß Mike Fink völlig nüchtern da und fühlte sich recht gut, nun selbst im Branntweingeschäft zu sein. Nur einer der Schiffsjungen war jetzt bei ihm, der jüngste, der bewundernd zu Fink aufsah. Er saß und spielte mit der Lunte, die einmal in das Pulverfaß geführt hatte.

»Diese Lunte hat nicht gebrannt«, sagte der Schiffsjunge.

»Nein, ich schätze nicht«, meinte Mike Fink.

»Wieso hat das Wasser dann gekocht?«

»Ich schätze, Hooch hatte wohl noch ein paar Karten im Ärmel. Vermutlich hatte er auch etwas mit dem Feuer im Fort zu tun.«

»Du hast es gewußt, nicht wahr?«

Fink schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe einfach nur Glück gehabt. Ich habe einfach ein Gespür für die Dinge, so, wie ich ein Gespür für dieses Pulverfaß hatte, und dann tue ich einfach, was mein Gefühl mir eingibt.«

»Meinst du so etwas wie eine magische Fähigkeit?«

Zur Antwort stand Fink auf und zog die Hosen herunter. Auf seiner linken Hinterbacke war eine matte Tätowierung zu erkennen, mit sechs Seiten und ziemlich gefährlich anmutend. »Das hat meine Mama in mich hineinpieksen lassen, als ich einen Monat alt war. Sie meinte, das würde mich schützen, damit ich eines natürlichen Todes sterbe.« Dann zeigte er dem Jungen die andere Hinterbacke. »Und dieses hier ist dafür, daß ich mein Glück mache, hat sie gesagt. Ich wußte nicht, wie die Dinger funktionieren, und sie ist gestorben, ohne es mir zu sagen, aber es sieht so aus, als würden sie dafür sorgen, daß ich einfach Glück habe. Daß ich irgendwie weiß, was ich tun muß.« Er grinste. »Immerhin habe ich jetzt ein Flachboot und eine Ladung Whisky, nicht wahr?«

»Wird der Gouverneur dir wirklich einen Orden dafür verleihen, daß du Hooch umgebracht hast?«

»Na ja, jedenfalls dafür, daß ich ihn eingefangen habe, sieht ganz so aus.«

»Ich schätze, der Gouverneur war wahrscheinlich nicht allzu traurig, daß der alte Hooch tot war.«

»Nein«, meinte Fink. »Nein, ich glaube nicht. Ich und der Gouverneur, wir sind jetzt gute Freunde. Er meint, er hat da etwas, was er erledigen muß und glaubt, daß nur ein Mann wie ich das schafft.«

Der Schiffsjunge blickte ihn treuherzig an. »Kann ich dir dabei helfen? Kann ich mit dir kommen?«

»Warst du schon mal in einen Kampf verwickelt?«

»In viele!«

»Hast du schon mal ein Ohr abgebissen?«

»Nein, aber ich habe einem Mann mal das Auge ausgestochen.«

»Augen sind leicht. Augen sind weich.«

»Und ich habe einem Mann fünf Zähne ausgeschlagen.«

Darüber dachte Fink einige Sekunden nach. Dann grinste er und nickte. »Klar kannst du mit mir kommen, Junge. Bis ich fertig bin, wird es im Umkreis von hundert Meilen von diesem Fluß nicht einen Mann, nicht eine Frau und nicht ein Kind geben, die meinen Namen nicht kennen. Zweifelst du daran, Junge?«

Der Junge zweifelte nicht daran.


Am Morgen legten Mike Fink und seine Mannschaft ab und fuhren in Richtung des Südufer des Hio, mit einem Wagen beladen, einigen Maultieren und acht Fässern Whisky. Ausgerüstet, um mit den Roten etwas Handel zu treiben.

Am Nachmittag beerdigte Gouverneur William Harrison die verkohlten Überreste seiner zweiten Frau und ihres kleinen Jungen, die beide das Pech gehabt hatten, gemeinsam im Kinderzimmer zu sein, als das Feuer ausgebrochen war.

Ein Feuer in seinem eigenen Haus, von keiner Menschenhand entzündet, das ihm das raubte, was ihm das Liebste war, und keine Macht auf Erden konnte es ihm wieder zurückgeben.

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