Orson Scott Card Der rote Prophet

1. Hooch

Dieser Tage fuhren nicht viele Flachboote den Hio entlang, zumindest keine mit Pionieren an Bord, keine mit Werkzeug und Mobiliar und Saatgut und einigen Ferkeln, um damit eine Schweinezucht zu beginnen. Es bedurfte nur einiger Feuerpfeile, und schon würde irgendeine Horde Roter eine ganze Reihe halb verkohlter Skalps besitzen, die sie in Detroit an die Franzosen verkaufen könnten.

Doch Hooch Palmer kannte solche Sorgen nicht. Die Roten wußten alle ganz genau, wie sein Flachboot aussah: hochbeladen mit Fässern. In den meisten dieser Fässer schwappte der Whisky, was auch so ziemlich die einzige Musik war, die die Roten verstanden. Doch inmitten des Riesenstapels Bottiche gab es ein Faß, in dem es nicht schwappte. Das war mit Schießpulver gefüllt, und daran befestigt war eine Lunte.

Wie benutzte er dieses Schießpulver? Manchmal ließen sie sich von der Strömung herbeitreiben, stießen sich mit ihren Stangen um eine Krümmung, und plötzlich erblickte man ein halbes Dutzend Kanus, mit dick bemalten roten Kicky-Poo. Oder man erblickte ein Feuer, das in Ufernähe brannte, und um das Feuer einige Shaw-Nee-Teufel, die Feuerpfeile in den Händen trugen.

Für die meisten Menschen hätte dies bedeutet, daß die Zeit zum Beten, zum Kämpfen und zum Sterben gekommen war. Doch nicht für Hooch. Der baute sich mitten auf seinem Flachboot auf, eine brennende Fackel in der einen Hand, die Lunte in der anderen, und rief: »Ich jage den Whisky in die Luft!«

Nun verstanden die meisten Roten zwar nicht sehr viel Englisch, doch was ›in die Luft jagen‹ und ›Whisky‹ bedeutete, wußten sie alle. Und so wurde er nicht etwa von schwirrenden Pfeilen oder dahinjagenden Kanus eingeholt: statt dessen fuhren die Kanus an der gegenüberliegenden Flußseite an ihm vorbei. Irgendein Roter schrie:

»Carthage City!« Und Hooch erwiderte brüllend: »Stimmt genau!«, worauf die Kanus einfach den Hio hinabsausten, dem Ort entgegen, wo dieser Branntwein schon bald verkauft werden würde.

Für die Jungen an den Schifferstangen war es die erste Reise flußabwärts, und sie wußten noch nicht so viel wie Hooch Palmer, weshalb sie sich auch fast die Hosen vollgemacht hätten, als sie zum ersten Mal die Roten mit Brandpfeilen erblickten. Und als sie mitansehen mußten, wie Hooch seine Fackel an die Lunte hielt, da wären sie am liebsten sofort in den Fluß gesprungen. Hooch hatte immer nur gelacht und gelacht. »Ihr Burschen versteht nichts von Roten und Branntwein«, hatte er gesagt. »Diese roten Teufel tun nichts, was dazu führen könnte, daß auch nur das winzigste Tröpfchen aus einem dieser Fässer im Hio endet. Die würden glatt, ohne zu zögern, ihre eigene Mutter umbringen, wenn sie sich zwischen sie und ein Faß stellte. Aber uns werden sie nichts tun, solange ich das Schießpulver bereithalte, nur für den Fall, daß sie Hand an mich legen sollten.«

Insgeheim mochten die Schifferjungen sich vielleicht fragen, ob Hooch wirklich das ganze Floß samt Mannschaft in die Luft jagen würde, die Wahrheit aber war, daß er es tatsächlich getan hätte. Er war kein großer Denker und vergeudete auch nicht viel Zeit darauf, über den Tod, das Jenseits oder ähnliche philosophische Dinge nachzugrübeln, doch zu einem Schluß war er immerhin gelangt: Wenn er starb, so glaubte er, würde er nicht allein sterben. Und er ging auch davon aus, daß niemand, der ihn umbringen sollte, davon auch nur den allergeringsten Vorteil haben würde. Und ganz bestimmt nicht irgendein halbtrunkener, hasenfüßiger Roter mit einem Skalpiermesser.

Das schönste Geheimnis aber war, daß Hooch überhaupt keine Fackel und schon gar keine Lunte gebraucht hätte. Ja, diese Lunte führte genaugenommen nicht einmal ins Innere des Pulverfasses — Hooch wollte nicht Gefahr laufen, daß sich das Pulver versehentlich entzündete. Nein, wenn Hooch sein Flachboot jemals hätte in die Luft jagen müssen, dann hätte er sich dazu nur hinsetzen und eine Weile darüber nachzudenken brauchen. Und schon bald hätte sich das Pulver erhitzt, und dann — bumm! — wäre es losgegangen.

Der alte Hooch war nämlich ein Funke. Gewiß, es gab Leute, die behaupteten, daß es gar keine Funken gebe, und zum Beweis fragten sie einen: »Hast du jemals einen Funken kennengelernt, oder kennst du jemanden, dem das passiert ist?« Aber das war natürlich überhaupt kein Beweis. Denn wenn man zufällig ein Funke war, dann ging man schließlich nicht damit hausieren. Nein, der einzige Wert, der darin lag, ein Funke zu sein, war der, daß man aus der Entfernung ein Feuer entfachen konnte. Doch so etwas wollte man immer nur herbeiführen, wenn es um ein schlechtes Feuer ging, das irgend jemandem weh tun, ein Gebäude abfackeln oder irgend etwas in die Luft jagen sollte. Nein, Hooch war kein Narr. Nie erzählte er anderen davon, wie er Dinge erhitzen und in Flammen setzen konnte.

Doch er hätte es getan. Eher hätte er das Pulver und sich selbst und seine Schiffsjungen und seinen ganzen Branntwein in die Luft gejagt, bevor er zugelassen hätte, daß auch nur ein Roter sich alles durch einen Mord aneignete.

Es war also ganz gut, daß die Roten den Branntwein so sehr liebten, daß sie kein Risiko eingehen mochten, auch nur den kleinsten Tropfen davon zu vergeuden. Kein Kanu kam ihnen zu nahe, kein Pfeil pfiff vorbei. Hooch und seine Fässer und Bottiche glitten so friedlich über das Wasser, wie man es sich nur wünschen konnte. Direkt bis Carthage, Gouverneur Harrisons hochtrabender Name für ein Staket mit hundert Soldaten, genau an der Stelle, wo der Little My-Ammy River auf den Hio traf. Doch Bill Harrison gehörte zu jener Sorte Menschen, die zuerst den Namen festlegten, um dann hart dafür zu arbeiten, daß der Ort diesen Namen auch verdiente. Und tatsächlich qualmten diesmal bereits an die fünfzig Kamine außerhalb des Stakets, was bedeutete, daß Carthage City schon fast zu einem Dorf geworden war.

Noch bevor die Anlegestelle in Sicht kam, hörte er ihr Gebrüll — da mußte es Rote geben, die ihr halbes Leben damit verbrachten, am Flußufer herumzusitzen und auf das nächste Branntweinboot zu warten. Und Hooch wußte auch, daß sie diesmal besonders sehnsüchtig warteten, nachdem er gesehen hatte, wie sich neulich in Fort Dekane das Geld von einer Hand in die andere bewegte. Die anderen Branntweinhändler waren also aufgehalten worden, bis das alte Carthage City so trocken sein mußte wie eine Bullenzitze. Und da kam nun Hooch mit seinem Flachboot, das schwerer beladen war als jemals zuvor, und diesmal würde er ordentliches Geld verdienen, soviel war sicher.

Bill Harrison mochte zwar so eitel sein wie ein Pfau, er mochte sich Allüren zulegen und sich selbst Gouverneur nennen, obwohl ihn niemand dazu gewählt hatte, doch er verstand sein Geschäft. Er hatte seine Jungs in den feschen Uniformen an der Anlegestelle in Reihe aufgebaut, so ordentlich, wie man es sich nur wünschen konnte, mit geladenen Musketen und bereit, die erste Rothaut niederzuschießen, die auch nur einen Schritt in Richtung Ufer machte. Das war keine bloße Formalität — diese Roten sahen äußerst gierig aus, wie Hooch erkannte. Natürlich hüpften sie nicht auf und ab wie die Kinder, sondern standen einfach nur da und sahen zu, ohne sich darum zu scheren, wer sie sehen konnte, bereit zu Kratzfüßen und Verneigungen, zum Flehen und Betteln, bereit zu sagen: »Bitte, Mr. Hooch, ein Faß für dreißig Hirschfelle.« Ach, das würde ihm aber süß in den Ohren klingen! Bitte, Mr. Hooch, nur einen Becher Branntwein für diese zehn Moschusrattenpelze.

»Whed-haw!« rief Hooch. Die Schifferjungen sahen ihn an, als sei er verrückt geworden, denn sie wußten ja nicht, wie diese Roten einmal ausgesehen hatten, lange bevor Gouverneur Harrison hier seinen Laden aufgezogen hatte, wie sie keinen Weißen Mann eines Blickes gewürdigt hatten und wie man in ihre Zelte hatte hineinkriechen müssen, um darin an Rauch und Dampf beinahe zu ersticken, um dazusitzen und Zeichen zu geben und ihr Kauderwelsch zu sprechen, bis man Erlaubnis zum Handeln erhielt. Damals war es so gewesen, daß die Roten mit Pfeil und Bogen dastanden, und man sich vor Angst beinahe in die Hose machte, sie könnten zu dem Schluß gelangen, daß der eigene Skalp mehr wert war als alle Tauschgüter, die man dabeihatte.

Jetzt war das nicht mehr so. Nun besaßen sie gemeinsam keine einzige Waffe mehr. Nun hing ihnen vor Gier nach Branntwein die Zunge aus dem Mund. Und bald würden sie trinken und trinken und trinken und trinken und Whed-haw! Noch bevor sie mit dem Trinken aufgehört hatten, würden sie tot umfallen, was ohnehin das beste war. Nur ein toter Roter war ein guter Roter, pflegte Hooch immer zu sagen. Und so, wie er und Bill Harrison den Laden inzwischen im Griff hatten, starben ordentliche Mengen Roter am Branntwein und bezahlten sogar noch für dieses Privileg.

Daher war Hooch der glücklichste Mensch der Welt, als sie an der Anlegestelle von Carthage City festmachten. Ja, der Sergeant salutierte ihm sogar! Das war wirklich etwas anderes als die Behandlung, die ihm die U. S. Marshals in Suskwahenny hatte angedeihen lassen, die hatten sich benommen, als wäre er irgendein Dreck, den sie gerade vom Klositz abgekratzt hatten. Hier draußen in diesem neuen Land behandelte man freisinnige Männer wie Hooch noch wie Gentlemen, und das gefiel Hooch. Sollten die Pioniere doch mit ihren zähen, häßlichen Weibern und den drahtigen kleinen Bälgern losziehen, um Bäume zu fällen und Furchen in den Erdboden zu ziehen und Mais und Schweine zu züchten, um ihr karges Leben zu fristen. Das war nichts für Hooch. Er kam später, nachdem die Felder alle wohlbestellt waren und ordentlich aussahen, wenn die Häuser alle in prächtigen Reihen an gewinkelten Straßen standen, dann würde er mit seinem Geld das größte Haus in der Stadt kaufen, und der Bankbesitzer würde vom Gehsteig springen und in den Schlamm ausweichen, um ihm den Weg freizumachen.

»Wir werden das Boot hier entladen, Mr. Hooch«, sagte der Sergeant.

»Ich habe eine Inventarliste dabei«, erwiderte Hooch, »also laßt Eure Jungs hier nicht plündern. Obwohl es sein könnte, daß es da ein Faß guten Rye-Whisky geben könnte, das irgendwie nicht mitgezählt worden ist. Ich möchte wetten, daß es niemandem auffallen würde, sollte dieses Faß plötzlich fehlen.«

»Wir werden so vorsichtig sein wie möglich, Sir«, sagte der Sergeant, doch sein Lächeln war so breit, daß sogar seine Backenzähne zu sehen waren. Und Hooch wußte, daß der Mann schon eine Möglichkeit finden würde, um mindestens die Hälfte dieses Fasses für sich zu behalten. Wenn er dumm sein sollte, würde er sein halbes Faß an die Roten verkaufen. Doch von einem halben Faß Whisky wurde man nicht reich. Nein, wenn dieser Sergeant klug war, würde er dieses halbe Faß Schluck um Schluck mit jenen Offizieren teilen, die ihn am wahrscheinlichsten zu einer Beförderung vorschlagen würden, und wenn er dabeiblieb, würde dieser Sergeant eines Tages nicht mehr draußen irgendwelche Flachboote in Empfang nehmen, nein, dann würde er im Offiziersquartier sitzen, mit einer hübschen Frau im Schlafzimmer und einem guten Stahlschwert an der Hüfte.

»Gouverneur Harrison möchte Euch sprechen«, sagte der Sergeant.

»Und ich möchte ihn sprechen«, erwiderte Hooch. »Aber zuerst einmal brauche ich ein Bad und muß mich rasieren und die Kleider wechseln.«

»Der Gouverneur sagt, Ihr sollt im alten Haus wohnen.«

»Im alten Haus?« fragte Hooch. Harrison hatte das Amtsgebäude erst vor vier Jahren bauen lassen. Hooch fiel nur ein einziger Grund ein, weshalb Bill schon so bald ein neues Gebäude hätte errichten können. »Ach, hat Gouverneur Bill sich jetzt eine neue Frau besorgt?«

»Hat er«, bestätigte der Sergeant. »So hübsch, wie man sich nur denken kann, und erst fünfzehn Jahre alt, was meint Ihr dazu! Aber sie stammt aus Manhattan, daher spricht sie nicht sehr viel Englisch. Jedenfalls klingt es nicht nach Englisch, wenn sie den Mund aufmacht.«

Das war Hooch nur recht. Er sprach sehr gut Holländisch, fast so gut wie Englisch und sehr viel besser als Shaw-Nee. Er würde sich schon bald mit Bill Harrisons Frau anfreunden. Ob Bill Harrison wohl seine Kinder hierher bringen würde, jetzt, da er eine zweite Frau hatte? Hooch wußte nicht mehr genau, wie alt diese Jungen jetzt sein mochten, aber wohl alt genug, um das Pionierleben zu genießen.

Am Tor des Stakets blieb Hooch stehen. Also das war wirklich nett: Zusammen mit den üblichen Zaubern und Talismanen, mit denen Feinde und Feuersbrünste und ähnliches abgewehrt werden sollten, hatte Gouverneur Bill ein Schild aufhängen lassen, das so breit war wie das Tor. Darauf stand in großen Lettern:


CARTHAGE CITY


und darunter in kleineren Buchstaben:


HAUPTSTADT DES STAATES WOBBISH


Genau das also, was man vom alten Bill erwartete. In gewisser Weise war dieses Schild wahrscheinlich mächtiger als jeder Zauber. So wußte Hooch als Funke beispielsweise, daß der Zauber gegen das Feuer ihn nicht aufhalten konnte. Er würde es ihm nur schwerer machen, in seiner unmittelbaren Nähe ein Feuer zu entfachen. Doch wenn er irgendwoanders einen guten Brand entfachte, würde dieser Zauber genauso verbrennen wie alles andere. Aber dieses Schild, auf dem Wobbish als Staat und Carthage als seine Hauptstadt bezeichnet wurden, mochte tatsächlich seine eigene Macht haben, nämlich die Macht über das Denken der Leute. Wenn man etwas nur oft genug sagte, rechneten die Leute damit, daß es wahr war, so daß es schon sehr bald wahr würde. Nein, keine Sachen wie: »Heute macht der Mond kehrt und läuft rückwärts über den Himmel«, denn damit so etwas funktionierte, mußte schon der Mond selbst die Worte hören. Aber wenn man Dinge sagte wie ›Das ist ein leichtes Mädchen« oder ›Dieser Mann ist ein Dieb‹, dann spielte es keine große Rolle, ob die betroffene Person einem glaubte oder nicht — dann begannen alle anderen es zu glauben, und dann würden sie sie so behandeln, als wäre es wahr.

Tatsächlich aber war es Hooch ziemlich gleichgültig, wer nun Gouverneur wurde und seine Stadt zur Hauptstadt machte, ob Harrison oder dieser selbstgerechte Pharisäer Brustwehr Weaver oben im Norden, wo der Tippy-Canoe Creek in den Wobbish River mündete. Sollten die beiden es doch unter sich ausmachen; gleichgültig, wer siegte, Hooch jedenfalls hatte vor, ein reicher Mann zu werden und zu tun, was ihm beliebte. Entweder er bekäme das, was er wollte, oder er würde dafür sorgen, daß der ganze Ort in Flammen aufging. Sollte Hooch jemals völlig in die Knie gezwungen und gebrochen werden, dann sollte jedenfalls kein anderer davon profitieren. Wenn ein Funke keinen Hoffnungsschimmer mehr hatte, gab es immer noch eine Möglichkeit, es den anderen heimzuzahlen, und das war auch so ziemlich das einzig Gute, was Hooch an seinem Dasein als Funke sah.

Na schön, als Funke sorgte er natürlich auch dafür, daß sein Badewasser immer heiß war, also war die Sache doch nicht ganz umsonst. Jedenfalls war es eine hübsche Abwechslung, den Fluß endlich mal verlassen und wieder ins zivilisierte Leben zurückzukehren. Die Kleider, die man für ihn ausgelegt hatte, waren sauber, und es war ein schönes Gefühl, sich den borstigen Bart aus dem Gesicht zu rasieren. Ganz zu schweigen davon, daß die Squaw, die ihn badete, nur zu begierig auf eine Extraportion Branntwein war; hätte Harrison nicht einen Soldaten nach ihm geschickt, der an die Tür klopfte, um ihn zur Eile aufzufordern, so hätte Hooch vielleicht den ersten Teil ihrer Tauschware gleich in Empfang nehmen können. Statt dessen jedoch trocknete er sich ab und kleidete sich an.

Harrison hatte nicht nur ein neues Haus gebaut — er hatte zugleich das ganze Fort erheblich vergrößert. Und eine Brustwehr zog sich das ganze Staket entlang. Harrison war bereit für einen Krieg. Das beunruhigte Hooch ziemlich. In Kriegszeiten gedieh das Branntweingeschäft nicht sonderlich. Die Sorte Rote, die Schlachten schlugen, waren nicht jene Sorte Rote, die Branntwein tranken. Von der zweiten Sorte bekam Hooch so viele zu sehen, daß er schon beinahe vergessen hatte, daß es auch die erste gab. Sogar eine Kanone stand hier. Nein, zwei Kanonen. Das gefiel ihm überhaupt nicht.

Harrisons Office befand sich jedoch nicht in dem Gebäude. Das war ein gänzlich eigener Bau, ein neues Hauptquartier, und Harrisons Office lag an der Südwestecke, wo es sehr hell war. Hooch bemerkte, daß außer dem normalen Kontingent von wachhabenden Soldaten und mit Papierkram beschäftigten Offizieren im Hauptquartier auch einige Rote lagen oder saßen. Das waren Harrisons gezähmte Rote — von denen hielt er sich immer einige in seiner Nähe. Es waren allerdings mehr zahme Rote als üblich, und der einzige, den Hooch erkannte, war Lolla-Wossiky, ein einäugiger Shaw-Nee, der so ziemlich der trunksüchtigste Rote war, der noch nicht gestorben war. Selbst die anderen Roten zogen ihn auf, so schlimm war er, ein richtiger Speichellecker.

Was die Sache noch komischer machte, war die Tatsache, daß Harrison persönlich Lolla-Wossikys Vater erschossen hatte, vor ungefähr fünfzehn Jahren, als Lolla-Wossiky noch ein kleiner Junge gewesen war. Er hatte daneben gestanden und zugesehen. Manchmal erzählte Harrison diese Geschichte sogar in Lolla-Wossikys Gegenwart, und dann lachte der einäugige Trinker und nickte und grinste und tat; als besäße er überhaupt keinen Verstand.

Er war so ziemlich der heruntergekommenste, katzbuckelndste Rote, den Hooch je gesehen hatte. Nicht einmal das Verlangen nach Vergeltung für den Tod seines Vaters konnte ihn anstacheln, solange er nur seinen Branntwein bekam. Nein, Hooch war überhaupt nicht überrascht, Lolla-Wossiky direkt vor Harrisons Büro auf dem Boden liegen zu sehen, wo ihm die Tür bei jedem Öffnen voll gegen das Gesäß prallte. Und was völlig unglaublich erschien: Sogar jetzt noch, da Carthage City schon vier Monate lang keinen Branntwein mehr bekommen hatte, war Lolla-Wossiky völlig betrunken. Er sah Hooch entgegen, stemmte sich auf einen Ellenbogen, winkte ihm zur Begrüßung mit einem Arm zu und ließ sich dann ohne das leiseste Geräusch wieder zu Boden sinken. Das Taschentuch, das er normalerweise über sein fehlendes Auge gebunden hatte, war verrutscht, so daß die leere Augenhöhle mit den eingesaugten Augenlidern klar zu sehen war. Hooch hatte das Gefühl, daß dieses leere Auge ihn anstarrte.

Dieses Gefühl gefiel ihm nicht. Lolla-Wossiky gefiel ihm nicht. Harrison war ein Mann, der es liebte, solche heruntergekommenen Kreaturen um sich zu scharen — wahrscheinlich fühlte er sich dann im Vergleich zu ihnen richtig gut, überlegte Hooch —, aber Hooch mochte solche erbärmliche Exemplare der Menschheit nicht mitansehen. Warum war Lolla-Wossiky noch nicht gestorben?

Als er gerade Harrisons Tür öffnen wollte, fuhr Hoochs Blick von dem einäugigen, betrunkenen Roten zu einem anderen Mann hinüber. Merkwürdig. Für einen Augenblick dachte er, schon wieder Lolla-Wossiky zu sehen, so sehr glichen sie sich. Nur, daß es ein Lolla-Wossiky mit zwei gesunden Augen war und alles andere als ein Trinker. Dieser Rote mußte vom Skalp bis zur Sohle mindestens sechs Fuß messen, wie er da gegen die Wand lehnte, den Kopf kahlrasiert bis auf die Skalplocke. Er blickte geradeaus, wie ein Soldat in Habtachtstellung, und er sah Hooch nicht einmal flüchtig an. Seine Augen starrten direkt ins Leere.

Und doch wußte Hooch, dieser Rote sah alles, auch wenn er sich auf nichts konzentrierte.

Doch sagte er nichts über diesen Roten. Es wäre nicht ratsam gewesen, Harrison erfahren zu lassen, wie sehr ihn dieser eine stolze Shaw-Nee beunruhigte, ja wütend machte. Denn dort hinter einem großen alten Tisch wie Gott auf seinem Thron saß Gouverneur Bill. Und Hooch begriff, daß sich hier einiges geändert hatte. Nicht nur das Fort war gewachsen, Bill Harrisons Eitelkeit auch. Und wenn Hooch tatsächlich den Gewinn machen wollte, mit dem er auf dieser Reise rechnete, so würde er dafür sorgen müssen, daß Gouverneur Bill um ein oder zwei Stufen zurückgestutzt wurde, damit sie als Gleichberechtigte und nicht als Händler und Gouverneur miteinander reden konnten.

»Habe Eure Kanonen bemerkt«, sagte Hooch, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sein Gegenüber zu begrüßen. »Wozu die ganze Artillerie — gegen die Franzosen aus Detroit, die Spanier aus Florida oder gegen die Roten?«

»Egal, wer die Skalps kauft, so oder so sind immer Rote mit im Spiel«, erwiderte Harrison. »Und nun setzt Euch und ruht Euch aus, Hooch. Wenn die Tür geschlossen ist, gibt es zwischen uns keine Formalitäten mehr.« Ja, ganz der Gouverneur Bill, der seine Spielchen liebte. Den Leuten das Gefühl geben, man würde ihnen schon einen Gefallen tun, wenn sie nur in der eigenen Gegenwart Platz nehmen durften; ihnen so lange schmeicheln, bis sie sich wie richtige Kumpel vorkamen, bevor man schließlich ihre Taschen plünderte. Na, dachte Hooch, da kenne ich aber auch ein paar Spiele, und wir werden schon sehen, wer von uns am Ende Sieger bleibt.

Hooch nahm Platz und legte die Füße auf Gouverneur Bills Schreibtisch. Er holte einen Brocken Tabak hervor und stopfte ihn sich hinter die Zähne. Er sah, wie Bill zusammenzuckte. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß seine Frau ihm einige besondere Angewohnheiten abgewöhnt hatte. »Auch ein Stück?« fragte Hooch.

Es dauerte fast eine Minute, bevor Harrison zugab, daß er nicht abgeneigt war. »Habe dem Zeug weitgehend abgeschworen«, bemerkte er wehmütig.

Harrison trauerte also noch seinem Junggesellenleben nach. Nun, das war für Hooch gute Nachricht. So hatte er einen Hebelpunkt gefunden, mit dem er den Gouverneur aus dem Gleichgewicht bringen konnte. »Habe gehört, daß Ihr Euch einen weißen Bettwärmer aus Manhattan geholt habt«, bemerkte Hooch.

Es funktionierte: Harrison errötete. »Ich habe eine Lady aus New Amsterdam geheiratet«, antwortete er. Seine Stimme war ruhig und kalt. Was Hooch jedoch nicht das geringste ausmachte — genau das hatte er ja gewollt.

»Eine Ehefrau!« sagte er. »Na, wenn das keine Neuigkeit ist! Ich bitte um Entschuldigung, Gouverneur, ich hatte etwas anderes gehört. Ihr müßt mir verzeihen. All diese Jahre habt Ihr doch das Andenken Eurer ersten Frau heiliggehalten, und wenn ich wirklich Euer Freund gewesen wäre, hätte ich eigentlich wissen müssen, daß jede Frau, die Ihr in Eurem Haus aufnehmt, eine Dame sein würde und eine ordentlich getraute Ehefrau dazu.«

»Was ich wissen möchte, ist«, erwiderte Harrison, »wer Euch gesagt hat, daß sie etwas anderes sei?«

»Ach, Bill, das war doch nur Soldatenklatsch. Ich möchte nicht, daß irgend jemand Schwierigkeiten bekommt, nur weil er seine Zunge nicht zügeln kann. Um Himmels willen, Bill, soeben ist doch eine Branntweinlieferung eingetroffen! Da werdet Ihr es ihnen doch nicht verübeln, wo denen der ganze Sinn doch nur nach Whisky stand. Nein, nehmt nur ein Stück von diesem köstlichen Tabak und vergeßt nicht, daß Eure Jungs Euch alle mögen.«

Harrison nahm einen ordentlichen Brocken aus dem ihm dargebotenen Tabaksbeutel und stopfte ihn sich hinter die Zähne. »Ach, ich weiß schon, die machen mir ja auch keine Sorgen.« Doch Hooch wußte, daß sie ihm sehr wohl Sorgen machten, daß Harrison so zornig war, daß er nicht einmal mehr gerade spucken konnte, was er auch bewies, indem er den Spucknapf verfehlte. Ein Spucknapf, wie Hooch bemerkte, der glitzernd rein gewesen war. Spuckte denn hier überhaupt niemand mehr außer Hooch?

»Ihr werdet zivilisiert«, sagte Hooch. »Das nächste sind dann die Spitzenvorhänge.«

»Oh, die habe ich schon«, erwiderte Harrison. »Zu Hause.«

»Ach ja? Und auch kleine Nachttöpfe aus Porzellan?«

»Hooch, Ihr habt einen Verstand wie eine Schlange und ein Mundwerk wie ein Schwein!«

»Deshalb liebt Ihr mich ja auch, Bill — weil Ihr einen Verstand wie ein Schwein habt und ein Mundwerk wie eine Schlange.«

»Vergeßt es nur nicht«, sagte Harrison. »Vergeßt nur nicht, daß ich auch mal zubeißen könnte, und zwar mit scharfen Giftzähnen. Denkt daran, bevor Ihr versucht, mit mir Eure kindischen Spiele zu spielen.«

»Kindische Spiele!« rief Hooch. »Was meint Ihr damit, Bill Harrison! Wessen bezichtigt Ihr mich?«

»Ich bezichtige Euch, dafür gesorgt zu haben, daß wir vier lange Frühlingsmonate keinen Branntwein mehr hatten, bis ich drei Rote aufknüpfen lassen mußte, weil sie in militärische Vorratslager eingebrochen sind. Und selbst meine Soldaten hatten nichts mehr zu trinken!«

»Ich! Ich habe diese Ladung doch so schnell hergebracht, wie ich nur konnte!«

Harrison lächelte nur.

Hooch behielt seine Miene gequälter Entrüstung bei — es war eine seiner besten Mienen, und außerdem war sie sogar teilweise wahr. Wenn auch nur einer der anderen Whiskyhändler halb so schlau wie er gewesen wäre, hätte er trotz Hoochs gegenteiliger Bemühungen schon einen Weg flußabwärts gefunden.

Es war schließlich nicht Hoochs Schuld, wenn er zufällig das hinterhältigste, bösartigste, niederträchtigste, kompetenteste Stinktier in einem Geschäft war, das ohnehin nicht eben vor Sauberkeit strahlte.

Hoochs Miene verletzter Unschuld hielt länger vor als Harrisons Lächeln, womit Hooch auch gerechnet hatte.

»Hört mal, Hooch«, sagte Harrison.

»Vielleicht solltet Ihr mich ab nun besser Mr. Ulysses Palmer nennen«, erwiderte Hooch. »Nur meine Freunde nennen mich Hooch.«

Aber Harrison schluckte den Köder nicht. Er begann nicht damit, den anderen weitschweifig seiner innewohnenden Freundschaft zu versichern. »Hört mir zu, Mr. Palmer«, erwiderte Harrison statt dessen. »Ihr wißt es, und ich weiß es, daß diese Sache nicht das geringste mit Freundschaft zu tun hat. Ihr wollt reich werden, und ich will Gouverneur eines richtigen Staates werden. Ich brauche Euren Branntwein, um Gouverneur zu werden, und Ihr braucht meine Protektion, um reich zu werden. Aber diesmal seid Ihr zu weit gegangen. Versteht Ihr mich? Von mir aus könnt Ihr gern ein Monopol haben, aber wenn ich von Euch nicht regelmäßig mit Whisky beliefert werde, werde ich ihn mir von jemand anderem holen.«

»Also Gouverneur Harrison, ich verstehe ja, daß Euch das unruhig gemacht hat, und das möchte ich auch wieder gutmachen. Was, wenn ich Euch sechs Fässer des allerbesten Whiskys gäbe, ganz allein für Euch…«

Doch Harrison war auch nicht in der Laune, sich bestechen zu lassen. »Was Ihr vergeßt, Mr. Palmer, ist die Tatsache, daß ich auch den ganzen Whisky haben könnte, wenn ich ihn wollte.«

Nun, wenn Harrison schon grob werden konnte, dann konnte Hooch es erst recht, obwohl er es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, derlei Dinge stetes mit einem Lächeln zu sagen. »Mr. Gouverneur, meinen ganzen Whisky könnt Ihr mir zwar einmal nehmen. Aber welcher Händler wird dann noch mit Euch Geschäfte machen wollen?«

Harrison lachte und lachte. »Jeder Händler, Hooch Palmer, und das wißt Ihr auch!«

Hooch wußte, wann er geschlagen war. Er stimmte sofort in das Gelächter ein. Da klopfte es an der Tür. »Herein«, sagte Harrison. Gleichzeitig bedeutete er Hooch mit einem Winken, daß er Platz behalten sollte. Ein Soldat trat ein, salutierte und sagte: »Ein Mr. Andrew Jackson möchte Euch sprechen, Sir. Von Tennizy, wie er sagt.«

»Um Tage zu früh«, meinte Harrison. »Aber ich bin entzückt, könnte gar nicht erfreuter sein, führt ihn herein.«

Andrew Jackson. Das mußte dieser Juristenbursche sein, den sie Mr. Hickory nannten. Damals, als Hooch noch im Tennizy-Land arbeitete, war Hickory Jackson ein echter Junge vom Land gewesen — er hatte einen Mann in einem Duell getötet, seine Fäuste gelegentlich in das eine oder andere Gesicht gerammt, war dafür bekannt, daß er Wort hielt, und es hieß auch, daß er nicht so ganz richtig mit seiner Frau verheiratet sei, die womöglich einen anderen Ehemann besaß, der noch nicht einmal tot war. Das war der Unterschied zwischen Hickory und Hooch — Hooch hätte schon lange vorher dafür Sorge getragen, daß der Ehemann tot und begraben gewesen wäre. Daher war Hooch etwas überrascht, daß dieser Jackson inzwischen groß genug geworden sein mußte, um Geschäfte zu leiten, die ihn von Tennizy bis nach Carthage City führten.

Doch das war nichts, verglichen mit seiner Überraschung, als Jackson durch die Tür trat, kerzengrade und mit Augen, die glühenden Kohlen glichen. Er schritt durchs Zimmer und streckte Gouverneur Harrison die Hand entgegen.

»Ihr habt zu viele Rote hier«, meinte Jackson. »Dieser einäugige Betrunkene vor der Tür läßt einem ja speiübel werden.«

»Na ja«, erwiderte Harrison, »für mich ist er eine Art Haustier. Mein eigener Hausroter.«

»Lolla-Wossiky«, warf Hooch hilfsbereit ein. Nein, nicht wirklich hilfsbereit. Ihm gefiel nur die Art nicht, wie Jackson ihn gar nicht beachtet hatte, und Harrison hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn vorzustellen.

Jackson drehte sich um, sah ihn an. »Was habt Ihr gesagt?«

»Lolla-Wossiky«, wiederholte Hooch.

»Der Name des einäugigen Roten«, erklärte Harrison.

Jackson musterte Hooch kalt. »Den Namen eines Pferdes will ich immer erst dann erfahren«, sagte er, »wenn ich vorhabe, darauf zu reiten.«

»Mein Name ist Hooch Palmer«, sagte Hooch. Er streckte die Hand aus.

Doch Jackson nahm sie nicht. »Euer Name ist Ulysses Brock«, erwiderte er, »und in Nashville habt Ihr noch über zehn Pfund ungetilgte Schulden. Jetzt, da Appalachee die US-Währung übernommen hat, heißt das, daß Ihr noch zweihundertzwanzig Dollar in Gold schuldig seid. Ich habe diese Schulden aufgekauft, und zufällig habe ich auch die Papiere bei mir, da ich gehört hatte, daß Ihr hier oben mit Whisky handeln würdet. Und daher werde ich Euch jetzt wohl festnehmen.«

Hooch wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß Jackson ein solches Gedächtnis haben könnte oder daß er ein derartiges Stinktier hätte sein können, um die Wechsel eines Mannes aufzukaufen, die sieben Jahre alt waren und eigentlich längst hätten vergessen sein müssen. Doch tatsächlich holte Jackson einen Schein aus seiner Rocktasche und legte ihn auf Gouverneur Harrisons Schreibtisch.

»Da ich es zu schätzen weiß, daß Ihr diesen Mann bereits in Haft genommen habt, als ich eintraf«, sagte Jackson, »ist es mir eine Freude, Euch mitzuteilen, daß nach dem Gesetz von Appalachee der verhaftende Beamte Anspruch auf zehn Prozent der beschlagnahmten Güter hat.«

Harrison lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grinste Hooch an. »Nun, Hooch, vielleicht solltet Ihr besser Platz nehmen, damit wir einander alle besser kennenlernen. Aber vielleicht brauchen wir das ja gar nicht, da Mr. Jackson Euch besser zu kennen scheint als ich.«

»Oh, Ulysses Brock kenne ich gut«, warf Jackson ein. »Das ist genau die Art von Stinktier, die wir in Tennizy erst vertreiben mußten, bevor wir uns zivilisiert nennen durften. Und ich schätze, daß Ihr hier auch schon recht bald von seiner Sorte befreit sein werdet, wenn Ihr das Wobbish-Land darauf vorbereitet, den Antrag auf Eingliederung in die Vereinigten Staaten zu beantragen.«

»Da setzt Ihr aber viel voraus«, meinte Harrison. »Vielleicht versuchen wir es hier ja lieber im Alleingang.«

»Wenn Appalachee keinen Alleingang schaffte, nicht einmal mit Tom Jefferson als Präsident, dann werdet Ihr hier, glaube ich, auch nicht besser zurechtkommen.«

»Vielleicht«, erwiderte Harrison, »ganz vielleicht werden wir aber etwas tun, das zu tun Tom Jefferson der Mumm gefehlt hat. Und vielleicht brauchen wir dazu auch Männer wie Hooch hier.«

»Was Ihr braucht, das sind Soldaten«, widersprach Jackson. »Keine Branntweinhändler.«

Harrison schüttelte den Kopf. »Ihr seid ein Mann, der mich dazu zwingt, die Dinge auf den Punkt zu bringen, Mr. Jackson, und ich kann mir jetzt schon sehr genau vorstellen, weshalb die Leute am Tennizy Euch hierher geschickt haben, um mit mir zu sprechen. Also werde ich zur Sache kommen. Wir haben hier oben das gleiche Problem, das Ihr dort unten habt, und dieses Problem läßt sich mit einem Wort zusammenfassen: Rote.«

»Weshalb ich auch verwundert darüber bin, daß Ihr es zulaßt, wenn betrunkene Rote hier in Eurem Hauptquartier herumlungern. Die gehören alle ins Land westlich des Mizzipy. Bevor wir das nicht erreicht haben, wird es hier weder Frieden noch Zivilisation geben. Und da Appalachee und die Vereinigten Staaten gleichermaßen davon überzeugt sind, daß man Rote behandeln sollte wie Menschen, müssen wir unser Problem lösen, noch bevor wir uns der Union anschließen. So einfach ist das.«

»Na, sehr Ihr?« machte Harrison. »Wir sind schon völlig einer Meinung.«

»Warum laßt Ihr es dann zu, daß man in Eurem Hauptquartier ebenso viele Rote sieht wie in Washington City auf der Independence Street? In Appalachee gibt es Cherriky, die als Beamte arbeiten und sogar Regierungsämter innehaben, mitten in der Hauptstadt! Posten, die eigentlich an Weiße hätten gehen sollen, und dann komme ich hierher und stelle fest, daß auch Ihr Euch mit Roten umgebt.«

»Beruhigt Euch, Mr. Jackson, beruhigt Euch. Hält der König in Virginia seine Schwarzen nicht auch im Palast?«

»Seine Schwarzen sind Sklaven. Jedermann weiß, daß man aus Roten keine Sklaven machen kann. Sie sind nicht intelligent genug, um sie anständig zu schulen.«

»Nun, dann setzt Euch doch einfach mal auf diesen Stuhl, Mr. Jackson, dann werde ich Euch meine Pointe auf die beste Weise präsentieren, die ich kenne, indem ich Euch nämlich zwei Prachtexemplare der Shaw-Nee vorführe. Nehmt nur Platz.«

Jackson hob den Stuhl auf und trug ihn zur Hooch gegenüberliegenden Seite des Raumes. Jacksons Verhalten störte Hooch zutiefst. Männer wie Jackson waren ach so aufrecht und scheinbar ehrlich, doch Hooch wußte, daß es keinen guten Mann gab, der noch nicht gekauft worden war oder der nicht den Mut hatte, um die Hand auszustrecken und sich zu nehmen, was er haben wollte. Darauf lief doch alle Tugend nur hinaus, soweit Hooch das in seinem Leben hatte beobachten können. Aber was tat Jackson? Er legte Allüren an den Tag und forderte Bill Harrison dazu auf, ihn festzunehmen! Das sollte man sich einmal vorstellen: ein Fremder, der von Tennizy kam, mit dem Haftbefehl eines Richters aus Appalachee — ausgerechnet! — herumwedelte, der im Wobbish genauso viel galt, als wäre er vom König von Äthiopien ausgestellt worden. Nun, Mr. Jackson, von hier bis nach Hause ist es ein weiter Weg, und wir wollen doch mal sehen, ob Euch unterwegs kein Unfall zustößt.

Nein, sagte Hooch stumm bei sich. Rache hatte in dieser Welt keine Bedeutung. Die beste Rache war es, reich genug zu werden, damit alle einen ›Sir‹ nannten. Nur so konnte man es diesen Leuten heimzahlen. Keine Hinterhalte im Busch. Wenn du jemals in den Ruf geraten solltest, Hinterhalte im Busch zu organisieren, wird das dein Ende sein, Hooch Palmer.

Also saß Hooch da und lächelte, während Harrison nach seinem Adjutanten rief. »Warum bittet Ihr Lolla-Wossiky nicht herein? Und wenn Ihr schon dabei seid, teilt seinem Bruder mit, daß er auch hereinkommen kann.«

Lolla-Wossikys Bruder — das mußte der herausfordernde Rote sein, der an der Wand gelehnt hatte. Merkwürdig, wie verschieden zwei Äpfel vom selben Stamm doch sein konnten.

Lolla-Wossiky trat unterwürfig lächelnd ein, ließ den Blick vom Antlitz eines Weißen zum anderen huschen, fragte sich, was sie wohl wollten, wie er sie glücklich machen konnte, damit sie ihn mit Whisky belohnten. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, wie durstig er war, auch wenn er bereits viel zu betrunken war, um noch aufrecht gehen zu können. Oder hatte er bereits soviel Branntwein getrunken, daß er nicht einmal mehr dann aufrecht gehen konnte, wenn er nüchtern war? Hooch dachte darüber nach — doch schon bald erhielt er die Antwort. Harrison griff hinter sich in den Schrank und holte einen Krug und einen Becher hervor. Lolla-Wossiky sah zu, wie die braune Flüssigkeit in den Becher spritzte. Sein Auge hatte einen solch intensiven Ausdruck, daß es den Anschein hatte, als könnte er den Branntwein schon durch bloßes Anschauen schmecken. Doch er machte nicht einen einzigen Schritt auf den Becher zu. Harrison streckte den Arm aus und stellte den Becher auf den Tisch neben dem Roten, doch noch immer stand der Mann da, lächelnd, blickte mal den Becher an, mal Harrison.

Harrison wandte sich zu Jackson um und lächelte. »Lolla-Wossiky ist so ziemlich der zivilisierteste Rote im ganzen Wobbish-Land, Mr. Jackson. Er nimmt niemals Dinge, die ihm nicht gehören. Er spricht niemals, wenn er nicht angesprochen wird. Er gehorcht und tut alles, was ich ihm sage. Und alles, was er dafür bekommen will, ist nur ein Becher Flüssigkeit. Es muß nicht einmal guter Branntwein sein. Maiswhisky oder schlechter spanischer Rum stellen ihn genauso zufrieden, nicht wahr, Lolla-Wossiky?«

»Das stimmt vollkommen, Mr. Exzellenz«, antwortete Lolla-Wossiky. Seine Sprache klang überraschend deutlich für einen Roten. Vor allem für einen betrunkenen Roten.

Hooch sah, wie Jackson den einäugigen Roten angewidert musterte. Dann schwenkte der Blick des Rechtsanwalts aus Tennizy zur Tür hinüber, wo der hochgewachsene, kräftige, trotzige Rote stand. Hooch genoß den Anblick von Jacksons Gesicht. Seine Miene verwandelte sich von Ekel in eindeutigen Zorn und — Furcht. O ja, Ihr seid nicht furchtlos, Mr. Jackson. Ihr wißt genau, was Lolla-Wossikys Bruder ist. Er ist Euer Feind, der Feind eines jeden weißen Mannes, der dieses Land haben will, denn eines Tages wird dieser hochnäsige Rote seinen Tommy-hawk in Euren Kopf senken und Euch ganz langsam den Skalp abpellen, und den wird er auch keinem Franzosen verscherbeln, Mr. Jackson, den wird er behalten und seinen Kindern geben und zu ihnen sagen: »Das ist der einzige gute Weiße Mann. Das ist der einzige Weiße Mann, der sein Wort nicht bricht. Das ist es, was man mit Weißen Männern tut.« Hooch wußte es. Harrison wußte es, und Jackson wußte es auch. Dieser junge Hirsch an der Tür war der Tod.

»Wie ich sehe, habt Ihr Ta-Kumsaw bemerkt. Lolla-Wossikys älterer Bruder und mein sehr, sehr teurer Freund. Ja, ich kannte diesen Jungen sogar schon, bevor sein Vater starb. Schaut Euch nur an, welch ein kräftiger Hirsch aus ihm geworden ist!«

Wenn Ta-Kumsaw wahrnahm, wie man sich über ihn lustig gemacht hatte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er sah niemanden im Raum an. Statt dessen blickte er aus dem Fenster an der Wand hinter dem Gouverneur. Hooch konnte er allerdings nichts vormachen. Hooch wußte, was er dort sah, und er konnte sich auch ziemlich genau vorstellen, was Ta-Kumsaw empfand. Diese Roten nahmen die Familie wirklich ernst. Ta-Kumsaw war damit beschäftigt, heimlich seinen Bruder zu beobachten, und wenn Lolla-Wossiky schon zu betrunken sein sollte, um noch irgendwelche Scham zu empfinden, so bedeutete dies, daß Ta-Kumsaw sie nur um so stärker empfinden würde.

»Ta-Kumsaw«, sagte Harrison, »Ihr seht, daß ich Euch einen Drink eingeschenkt habe. Kommt, nehmt Platz und trinkt, dann können wir uns unterhalten.«

Als er Harrisons Worte vernahm, versteifte sich Lolla-Wossiky. War es möglich, daß der Drink doch nicht für ihn war? Ta-Kumsaw aber ruhte keinen Muskel, machte kein Anzeichen, daß er etwas gehört hatte.

»Seht Ihr?« sagte Harrison zu Jackson. »Ta-Kumsaw ist nicht einmal zivilisiert genug, um Platz zu nehmen und freundlich mit Freunden etwas zu trinken. Aber sein jüngerer Bruder ist zivilisiert, nicht wahr? Seid Ihr das nicht, Lolly? Es tut mir leid, daß ich keinen Stuhl für Euch habe, mein Freund, aber Ihr könnte Euch hier unter meinem Tisch auf den Boden setzen, direkt zu meinen Füßen, und diesen Rum trinken.«

»Ihr seid bemerkenswert gütig«, erwiderte Lolla-Wossiky in seiner klaren, präzisen Sprache. Zu Hoochs Überraschung stürzte der einäugige Rote sich nicht auf den Becher, statt dessen trat er sehr sorgsam vor, jeder Schritt mühsamste Präzisionsarbeit, und nahm den Becher in seine nur ganz schwach zitternden Hände. Dann kniete er vor Harrisons Tisch nieder und ging, den Becher immer noch balancierend, mit gekreuzten Beinen in die Sitzstellung. Doch saß er noch immer vor dem Tisch und nicht darunter, worauf Harrison ihn auch hinwies. »Ich hätte gern, daß Ihr unter meinem Tisch sitzt«, sagte der Gouverneur. »Das würde ich als äußerst freundliche Geste ansehen.«

Also legte Lolla-Wossiky den Kopf fast in den Schoß und rutschte unter den Tisch. Es fiel ihm sehr schwer, in dieser Stellung zu trinken, da er den Kopf nicht aufrichten und schon gar nicht zurücklegen konnte, um den Becher zu leeren. Doch es gelang ihm trotzdem.

Die ganze Zeit sprach Ta-Kumsaw kein einziges Wort. Er ließ sich nicht einmal anmerken, daß er mit ansah, wie sein Bruder gedemütigt wurde. Oh, dachte Hooch, im Herzen dieses Jungen lodert aber noch das Feuer! Harrison geht ein großes Risiko ein. Und wenn er Lolla-Wossikys Bruder ist, dann muß er doch auch wissen, daß Harrison seinen Vater irgendwann während der Rotenaufstände erschossen hat, als General Wayne gegen die Franzosen kämpfte. So etwas vergißt ein Roter nicht, und jetzt ist Harrison dabei, ihn auf eine gewagte Probe zu stellen.

»So. Jetzt, da es sich alle gemütlich gemacht haben«, sagte Harrison, »setzt Euch doch und sagt uns, weshalb Ihr gekommen seid, Ta-Kumsaw.«

Ta-Kumsaw setzte sich nicht. Er schloß die Tür nicht, trat keinen weiteren Schritt ins Zimmer. »Ich spreche für Shaw-Nee, Caska-Skeeaw, Pee-Orawa, Winny-Baygo.«

»Also Ta-Kumsaw, Ihr wißt doch genau, daß Ihr nicht einmal für alle Shaw-Nee sprecht und für die anderen ganz bestimmt nicht.«

»Alle Stämme, die General Waynes Vertrag unterschrieben.« Ta-Kumsaw fuhr fort, als hätte Harrison überhaupt nichts gesagt. »Vertrag besagt, Weiße nicht verkaufen Whisky an Rote.«

»Das stimmt«, erwiderte Harrison. »Und diesen Vertrag halten wir auch ein.«

Ta-Kumsaw blickte Hooch nicht an, hob aber die Hand und deutete auf ihn. Hooch spürte die Geste, als hätte ihn Ta-Kumsaw mit dem Finger körperlich berührt. Diesmal machte es ihn nicht wütend, es jagte ihm einfach nur Angst ein. Er hatte gehört, daß manche Rote einen derart starken Anziehungszauber besaßen, daß kein Amulett einen davor schützen konnte, und so konnten sie einen ganz allein in die Wälder locken und mit ihren Messern in Stücke schneiden, einfach nur, um einen brüllen zu hören. Daran mußte Hooch denken, als er spürte, wie Ta-Kumsaw voller Haß auf ihn zeigte.

»Warum zeigt Ihr auf meinen alten Freund Hooch Palmer?« fragte Harrison.

»Ach, ich schätze, heute mag mich wohl niemand«, warf Hooch ein. Er lachte, konnte aber seine Angst nicht vertreiben.

»Er bringen Flachboot mit Whisky«, sagte Ta-Kumsaw.

»Na ja, er hat sehr viele verschiedene Dinge mitgebracht«, erwiderte Harrison. »Aber wenn er Whisky mitgebracht haben sollte, dann geht der natürlich an den Marketender im Fort, und kein einziger Tropfen davon wird an die Roten hier verkauft, da könnt Ihr ganz sicher sein. Wir halten uns an das Abkommen, Ta-Kumsaw, auch wenn Ihr Roten es in letzter Zeit damit nicht allzu genau nehmt. Inzwischen ist es soweit, daß keine Flachboote mehr den Hio herunterkommen, mein Freund, und ich schätze, wenn sich das nicht bald bessert, wird die Armee wohl eingreifen müssen.«

»Ein Dorf abbrennen?« fragte Ta-Kumsaw. »Unsere Säuglinge erschießen? Unsere Alten? Unsere Frauen?«

»Wie kommt Ihr denn auf solche Gedanken?« fragte Harrison. Er klang richtig beleidigt, obwohl Hooch genau wußte, daß Ta-Kumsaw nur die gewöhnlichen Methoden der Armee beschrieben hatte.

Plötzlich ergriff Hooch sogar selbst das Wort.

»Ihr Roten verbrennt ja auch wehrlose Farmer in ihren Blockhäusern und Pioniere auf ihren Flachbooten, nicht wahr? Dann sagt mir nur, weshalb es euren Dörfern besser ergehen sollte!«

Ta-Kumsaw würdigte ihn noch immer keines Blickes. »Englisches Gesetz sagt, töte den Mann, der dein Land stiehlt, und du bist nicht böse. Töte einen Mann, um sein Land zu stehlen, dann bist du sehr böse. Wenn wir weiße Farmer töten, sind wir nicht böse. Wenn Ihr rote Menschen tötet, die hier schon tausend Jahre leben, dann seid Ihr sehr böse. Vertrag sagt, bleibt auf der Ostseite des My-Ammy River, aber sie bleiben nicht, und Ihr helft ihnen.«

»Mr. Palmer war etwas vorlaut«, wandte Harrison ein. »Gleichgültig, was Ihr Wilden unseren Leuten antut, die Männer zu foltern, die Frauen zu vergewaltigen, die Kinder in die Sklaverei entführen — wir führen jedenfalls keinen Krieg gegen Wehrlose. Wir sind zivilisiert, daher verhalten wir uns auch zivilisiert.«

»Dieser Mann wird seinen Whisky an rote Männer verkaufen. Wird sie im Dreck liegen lassen wie Würmer. Wird seinen Whisky an rote Frauen geben. Sie schwach machen wie ein verblutendes Reh, damit sie alles tun, was er sagt.«

»Wenn er das tun sollte, werden wir ihn festnehmen«, erwiderte Harrison. »Dann kommt er vor ein Gericht und wird bestraft.«

»Wenn er es tut, werdet Ihr ihn eben nicht festnehmen«, entgegnete Ta-Kumsaw. »Ihr werdet Pelze mit ihm teilen. Ihr werdet ihn beschützen.«

»Heißt mich keinen Lügner«, antwortete Harrison.

»Dann lügt auch nicht«, erwiderte Ta-Kumsaw.

»Wenn Ihr weiterhin umhergeht und so mit den Weißen redet, Ta-Kumsaw, alter Knabe, dann wird einer eines Tages bestimmt fürchterlich wütend werden und Euch den Kopf wegpusten.«

»Dann weiß ich, daß Ihr ihn festnehmt. Ich weiß, Ihr werdet Ihn vor Gericht stellen und wegen Gesetzesbruch bestrafen.« Ta-Kumsaw sagte es ohne das leiseste Lächeln, doch Hooch hatte lange genug Handel mit den Roten getrieben, um ihre Art von Humor zu kennen.

Harrison nickte ernst. Hooch fiel ein, daß Harrison möglicherweise gar nicht erkannt hatte, daß es Ironie gewesen war. Er mochte vielleicht denken, daß Ta-Kumsaw tatsächlich an seine Worte glaubte. Aber nein, Harrison wußte genau, daß er und Ta-Kumsaw einander anlogen; und bei diesem Gedanken fiel Hooch ein, daß es, wenn beide Parteien logen und jeder auch wußte, daß der andere log, fast dasselbe war, wie einander die Wahrheit zu sagen.

Richtig komisch war nur, daß Jackson das ganze Zeug tatsächlich glaubte. »Das stimmt«, meinte der Rechtsanwalt von Tennizy. »Die Herrschaft des Gesetzes ist es, was die zivilisierten Menschen von den Wilden trennt. Der rote Mann ist einfach noch nicht weit genug entwickelt, und wenn Ihr nicht dem Gesetz des weißen Mannes unterworfen werden wollt, dann müßt Ihr Euch eben anderes behelfen.«

Zum ersten Mal blickte Ta-Kumsaw einem von ihnen in die Augen. Kalt musterte er Jackson und sagte: »Diese Männer sind Lügner. Sie wissen, was wahr ist, aber sie sagen, daß es nicht wahr sei. Ihr seid kein Lügner. Ihr glaubt, was Ihr sagt.«

Jackson nickte feierlich. Er sah so eitel und aufrecht aus, daß Hooch der Versuchung nicht widerstehen konnte. Er heizte Jacksons Stuhl ein kleines bißchen auf, gerade genug, daß Jackson ein wenig unruhig wurde. Das nahm ihm etwas von seiner Erhabenheit. Doch Jackson behielt seine Allüren. »Ich glaube, was ich sage, weil ich die Wahrheit spreche.«

»Ihr sagt, was Ihr glaubt. Aber es ist trotzdem nicht wahr. Wie lautet Euer Name?«

»Andrew Jackson.«

Ta-Kumsaw nickte. »Hickory.«

Jackson wirkte regelrecht überrascht und erfreut darüber, daß Ta-Kumsaw von ihm gehört hatte. »Manche Leute nennen mich so.« Hooch heizte seinen Stuhl noch ein wenig mehr auf.

»Blue Jacket sagt, Hickory guter Mann.«

Jackson hatte zwar immer noch keine Ahnung, weshalb ihm sein Stuhl plötzlich so ungemütlich vorkam, aber es war zuviel für ihn. Er schoß in die Höhe, trat vom Stuhl fort, schüttelte mit jedem Schritt die Beine regelrecht aus, um sich abzukühlen. Und dennoch sprach er mit aller nur erdenklichen Würde weiter. »Ich bin froh, daß Blue Jacket das so sieht. Er ist doch Häuptling der Shaw-Nee unten in Tennizy, nicht wahr?«

»Manchmal«, erwiderte Ta-Kumsaw.

»Was soll das heißen, manchmal?« wollte Harrison wissen. »Entweder ist er ein Häuptling, oder er ist keiner.«

»Wenn er gerade spricht, ist der Häuptling«, erklärte Ta-Kumsaw.

»Nun, ich bin jedenfalls froh zu wissen, daß er mir vertraut«, meinte Jackson. Doch sein Lächeln wirkte etwas matt, weil Hooch emsig damit beschäftigt war, den Boden unter seinen Füßen so heiß zu machen, daß der alte Hickory schon hätte fliegen müssen, um der Hitze zu entkommen. Hooch hatte nicht vor, ihn lange zu quälen. Nur so lange, bis er Jackson ein paar kleine Hopser machen sah und bis er mitansehen konnte, wie er versuchte, zu erklären, weshalb er ausgerechnet hier vor einem jungen Krieger der Shaw-Nee und dem Gouverneur William Henry Harrison einen Tanz vollführte.

Lolla-Wossiky erwies sich jedoch als Spielverderber, weil er im selben Augenblick vorn überkippte und unter dem Tisch hervorrollte. Er hatte ein idiotisches Grinsen im Gesicht, und seine Augen waren geschlossen. »Blue Jacket!« rief er. Hooch merkte, daß er nun doch ein wenig lallte. »Hickory!« rief der einäugige Rote.

»Ihr seid mein Feind«, sagte Ta-Kumsaw, ohne seinen Bruder zu beachten.

»Da irrt Ihr Euch«, antwortete Harrison. »Ich bin Euer Freund. Euer Feind befindet sich nördlich von hier, in der Stadt Vigor Church. Euer Feind ist dieser Renegat Brustwehr-Gottes Weaver.«

»Brustwehr Weaver verkauft keinen Whisky an Rote.«

»Ich auch nicht«, konterte Harrison. »Aber er ist es, der Landkarten des ganzen Gebiets westlich des Wobbish anlegt. Damit er alles parzellieren und verkaufen kann, nachdem er die Roten getötet hat.«

Ta-Kumsaw ging auf Harrisons Versuch, ihn gegen seinen Rivalen im Norden aufzuwiegeln, nicht weiter ein. »Ich bin gekommen, um Euch zu warnen«, sagte Ta-Kumsaw.

»Um mich zu warnen?« fragte Harrison. »Ihr, ein Shaw-Nee, der in niemandes Namen spricht, Ihr wollt mich warnen, hier in meinen eigenen Fort, wo hundert Soldaten bereitstehen, Euch niederzuschießen, sobald ich auch nur ein Wort sage?«

»Haltet den Vertrag ein«, sagte Ta-Kumsaw.

»Wir halten doch den Vertrag ein! Ihr seid es, die ständig die Verträge brecht!«

»Haltet den Vertrag ein«, wiederholte Ta-Kumsaw.

»Oder was?« fragte Jackson.

»Oder jeder Rote westlich der Berge wird sich mit den anderen zusammentun und Euch in Stücke schneiden.«

Harrison legte den Kopf zurück und lachte. Ta-Kumsaws Miene blieb ausdruckslos.

»Jeder Rote, Ta-Kumsaw?« fragte Harrison. »Ich meine, sogar Lolly hier? Sogar mein Haus-Shaw-Nee, mein zahmer Roter, selbst der?«

Zum ersten Mal blickte Ta-Kumsaw auf seinen Bruder, der schnarchend auf dem Boden lag. »Weißer Mann, die Sonne geht jeden Tag wieder auf. Aber ist sie gezähmt? Regen fällt jedesmal wieder auf die Erde. Aber ist er gezähmt?«

»Entschuldigt mich, Ta-Kumsaw, aber dieser einäugige Trunkenbold ist so zahm wie mein Pferd.«

»O ja«, meinte Ta-Kumsaw. »Legt den Sattel auf. Legt Geschirr an. Sitzt auf und reitet. Seht, wohin dieser zahme Rote dann geht. Nicht dorthin, wohin Ihr wollt.«

»Aber doch! Ganz genau dorthin, wo ich hinwill«, widersprach Harrison. »Vergeßt das nicht. Euer Bruder ist immer in meiner Reichweite. Und wenn Ihr jemals aus der Reihe scheren solltet, Junge, dann werde ich ihn als Euren Mitverschwörer verhaften und aufknüpfen lassen.«

Ta-Kumsaw lächelte dünn. »Das meint Ihr. Und Lolla-Wossiky meint es. Aber er wird lernen, mit seinem anderen Auge zu sehen, bevor Ihr jemals Hand an ihn gelegt habt.«

Dann machte Ta-Kumsaw kehrt und verließ den Raum. Ruhig, geschmeidig, ohne zu zögern, ohne wütend zu sein; nicht einmal die Tür schloß er hinter sich. Er bewegte sich mit der Anmut eines gefährlichen Tieres. Hooch hatte einmal vor Jahren einen Cougar gesehen, als er allein in den Bergen gewesen war. Genau das war Ta-Kumsaw: eine Raubkatze.

Harrisons Adjutant schloß die Tür.

Harrison wandte sich an Jackson und lächelte. »Seht Ihr?« fragte er.

»Was soll ich sehen, Mr. Harrison?«

»Muß ich Ihnen die Sache erst buchstabieren, Mr. Jackson?«

»Ich bin Rechtsanwalt. Ich mag es, wenn die Dinge buchstabiert werden. Sofern man überhaupt buchstabieren kann.«

»Ich kann nicht einmal lesen«, meinte Hooch fröhlich.

»Den Mund könnt Ihr auch nicht halten«, warf Harrison ein. »Ich werde es Euch buchstabieren, Jackson. Ihr und Eure Jungs am Tennizy, ihr sprecht davon, die Roten westlich des Mizzipy zu verfrachten. Angenommen, wir tun das. Was wollt Ihr danach tun? Etwa den ganzen Fluß entlang Soldaten aufbauen, die Tag und Nacht Wache schieben? Die kommen doch wieder über diesen Fluß zurück, wann immer sie wollen, und plündern, foltern, töten.«

»Ich bin kein Narr«, erwiderte Jackson. »Wir werden einen großen, blutigen Krieg brauchen, aber wenn wir sie erst einmal über den Fluß getrieben haben, wird ihr Widerstand gebrochen sein. Und Männer wie dieser Ta-Kumsaw — die sind dann entweder tot oder entehrt.«

»Meint Ihr? Nun, während dieses großen, blutigen Kriegs, von dem Ihr sprecht, werden sehr viele Weiße sterben, auch weiße Frauen und Kinder. Aber ich habe eine bessere Idee. Diese Roten schlürfen den Branntwein wie ein Kalb die Milch aus der Zitze seiner Mutter. Vor zwei Jahren lebten östlich des My-Ammy River eintausend Pee-Ankashaw. Dann gerieten sie an den Branntwein. Sie hörten auf zu arbeiten, sie wurden so schwach, daß schon die erste kleine Seuche sie ausradierte. Wenn hier noch ein einziger Pee-Ankashaw am Leben sein sollte, so habe ich jedenfalls noch nie von ihm gehört. Im Norden ist das gleiche mit den Chippy Wa passiert, nur daß es dort die französischen Händler waren. Und das beste am Branntwein ist, daß er die Roten umbringt und kein einziger Weißer dabei sterben muß.«

Jackson erhob sich langsam. »Ich schätze, wenn ich wieder zu Hause bin, muß ich wohl gleich dreimal hintereinander baden«, sagte er, »und selbst danach werde ich mich noch nicht richtig sauber fühlen.«

Hooch war entzückt zu sehen, daß Harrison jetzt wirklich wütend war. Er sprang auf und schrie Jackson so laut an, daß Hooch seinen Stuhl beben spürte. »Ihr Heuchler, nun versucht nur nicht, mich von oben herab zu behandeln! Ihr wollt, daß sie alle sterben, genau wie ich! Zwischen uns beiden besteht kein Unterschied.«

Jackson blieb an der Tür stehen und musterte den Gouverneur voller Ekel. »Der Mörder, Mr. Harrison, der Giftmörder, kann keinen Unterschied zwischen sich selbst und einem Soldaten erblicken. Aber der Soldat kann es.«

Anders als Ta-Kumsaw, war Jackson sich nicht zu schade, die Tür zuzuschlagen.

Harrison ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. »Hooch, ich muß sagen, dieser Bursche gefällt mir nicht besonders.«

»Das macht nichts«, erwiderte Hooch. »Er ist auf Eurer Seite.«

Harrison lächelte matt. »Ich weiß. Wenn es zum Krieg kommen sollte, werden wir alle einig sein. Vielleicht mit Ausnahme dieses Kerls da oben in Vigor Church.«

»Auch der wird sich uns anschließen«, meinte Hooch. »Wenn erst einmal ein Krieg ausgebrochen ist, können die Roten doch keinen Weißen mehr vom anderen unterscheiden. Dann werden seine Leute genauso sterben wie unsere. Und dann wird auch Brustwehr Weaver kämpfen.«

»Ja, aber wenn Jackson und Weaver ihre Roten ebenso mit Branntwein vollaufen ließen, wie wir es mit unseren tun, würden wir überhaupt keinen Krieg brauchen.«

Hooch zielte mit einem Mundvoll Speichel auf den Spucknapf und verfehlte ihn nur knapp. »Dieser Rote, dieser Ta-Kumsaw.«

»Was ist mit dem?« fragte Harrison.

»Er macht mir Sorgen.«

»Mir nicht«, widersprach Harrison. »Ich habe seinen Bruder. Ta-Kumsaw wird überhaupt nichts tun.«

»Als er auf mich gezeigt hat, da hatte ich ein Gefühl, als würde mich sein Finger quer durch den Raum hinweg berühren. Ich glaube, vielleicht hat er einen Anziehungszauber. Oder er beherrscht die Fernberührung. Ich glaube, er ist gefährlich.«

»Ihr glaubt doch wohl nicht an diesen ganzen Zauberkram, Hooch? Ihr seid so ein gebildeter Mann; ich hätte gedacht, daß Ihr über einen solchen Aberglauben erhaben seid.«

»Das bin ich nicht, und Ihr seid es auch nicht, Bill Harrison. Ihr habt Euch doch auch von einem Rutengeher sagen lassen, wo der Boden fest genug war, um dieses Staket hier zu erbauen. Und als Eure erste Frau ihre Kinder gebar, da habt Ihr eine Fackel geholt, um festzustellen, wie das Kind im Mutterleib lag.«

»Ich warne Euch«, sagte Harrison, »macht keine Bemerkungen mehr über meine Frau!«

»Über welche, Bill? Über die heiße oder die kalte?«

Nun geriet Harrison wirklich außer sich. Hooch war entzückt. Jawohl, er hatte ein ordentliches Talent, die Dinge anzuheizen, und es machte noch sehr viel mehr Spaß, der Laune eines Menschen Feuer zu geben, weil es dann keine Flamme gab, sondern nur sehr viel heiße Luft.

Nun, Hooch ließ den alten Bill Harrison noch eine Weile toben. Dann lächelte er und hob die Hände, als wollte er sich ergeben. »Na, Ihr wißt doch, daß ich es nicht böse gemeint habe, Bill. Ich wußte nur nicht, wie prüde Ihr dieser Tage geworden seid. Ich hatte nur gedacht, daß wir doch beide wissen, wo die Babys wachsen, wie sie dort hineingelangen und heraus, und das tun Eure Frauen nicht anderes als meine. Und wenn sie dann schreiend daliegt, dann wißt Ihr auch, daß eine Hebamme dabei ist, die einen Schlafzauber über sie verhängen kann oder auch einen Schmerzzauber. Und wenn das Baby sich zuviel Zeit läßt, um zu kommen, dann holt Ihr eine Fackel, die feststellen soll, wie es liegt. Also hört mir zu, Bill Harrison. Dieser Ta-Kumsaw besitzt irgendeine Fähigkeit, irgendeine Macht. Hinter dem steckt mehr, als es den Anschein hat.«

»Tatsächlich, Hooch? Nun, vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht. Aber er hat gesagt, daß Lolla-Wossiky mit seinem anderen Auge sehen würde, bevor ich Hand an ihn legte, und da wird es nicht lange dauern, bis ich bewiesen habe, daß er kein guter Prophet ist.«

»Da wir schon gerade von dem alten Einauge hier reden: Der fängt langsam an, fürchterlich zu furzen.«

Harrison rief nach seinem Adjutanten. »Schicken Sie Korporal Withers und vier Soldaten herein, und zwar sofort.«

Hooch bewunderte es, wie Harrison die Militärdisziplin aufrechterhielt. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis die Soldaten eingetroffen waren. Korporal Withers salutierte und sagte: »Jawohl, Sir, General Harrison.«

»Laßt dieses Tier von dreien Eurer Leute hinaus in den Stall schaffen.«

Korporal Withers gehorchte sofort, nur kurz hielt er inne, um zu sagen: »Jawohl, Sir, General Harrison.«

General Harrison. Hooch lächelte. Er wußte, daß Harrison lediglich ein Patent als Oberst unter General Wayne im letzten Französischen Krieg gehabt hatte, und selbst damals war er keine Leuchte gewesen. General. Gouverneur. Was für ein pompöser…

Doch inzwischen sprach Harrison wieder zu Withers und blickte dabei Hooch an. »Und nun werdet Ihr und der Gefreite Dickey so freundlich sein, Mr. Palmer hier festzunehmen und einzusperren.«

»Mich festnehmen!« rief Hooch. »Wovon redet Ihr da!«

»Er trägt mehrere Waffen bei sich, deshalb werdet Ihr ihn gründlich durchsuchen müssen«, sagte Harrison. »Ich empfehle, ihn hier zu entkleiden, bevor Ihr ihn in die Zelle bringt, und ihn auch entkleidet zu lassen. Wir wollen doch nicht, daß dieser gewandte alte Knabe uns noch entkommt.«

»Weshalb nehmt Ihr mich fest?«

»Oh, wir haben doch einen Haftbefehl gegen Euch wegen unbezahlter Schulden vorliegen«, sagte Harrison. »Und außerdem seid Ihr beschuldigt worden, Whisky an die Roten zu verkaufen. Da werden wir natürlich Eure gesamte Habe beschlagnahmen müssen — diese verdächtig aussehenden Fässer, die meine Jungs schon den ganzen Tag ins Staket schleppen — und sie verkaufen, um für Eure Schulden aufzukommen. Wenn wir dafür genug bekommen und Ihr die häßlichen Vorwürfe widerlegen könnt, die Roten mit Fusel zu vergiften, nun, dann werden wir Euch auch wieder freilassen.«

Worauf Harrison aus seinem Office stolzierte. Hooch fluchte und spuckte und machte einige deftige Bemerkungen über Harrisons Frau und seine Mutter, doch der Gefreite Dickey hielt eine Muskete in der Hand. Daher ergab sich Hooch der Entkleidung und Durchsuchung. Schlimmer wurde es allerdings, und da fluchte er auch wieder mächtig, als Withers ihn splitternackt durch das Fort führte, ohne ihm auch nur eine einzige Decke zu geben, und ihn in einem Lagerraum einsperrte. Ein Lagerraum, der noch mit den leeren Fässern der letzten Branntweinlieferung gefüllt war. Zwei Tage lang saß er in diesem verriegelten Lagerraum, bevor sein Prozeß begann, und die erste Zeit bewegten ihn Mordgedanken. O ja, er hatte viele Racheeinfälle. Er dachte daran, die Spitzenvorhänge in Harrisons Haus in Brand zu setzen oder den Schuppen, wo der Whisky gelagert wurde, daran, alle nur erdenklichen Feuer zu entzünden. Denn was nützte es schon, ein Funke zu sein, wenn man seine Fähigkeit nicht dazu einsetzen konnte, um es Leuten heimzuzahlen, die sich erst als Freunde ausgaben und einen dann ins Gefängnis sperrten?

Doch Hooch legte keine Feuer, weil er kein Narr war. Zum einen wußte er, daß jedes Feuer im Staket sich höchstwahrscheinlich binnen einer halben Stunde über die ganze Befestigungsanlage ausgebreitet hätte. Und da hätte es gut passieren können, daß man in dem allgemeinen Durcheinander zwar Frauen, Kinder, Branntwein und Schießpulver rettete, dabei aber einen gewissen Whiskyhändler vergaß, der in einem Lagerraum eingesperrt war. Hooch war nicht begierig darauf, in einem Feuer zu enden, das er selbst gelegt hatte — so etwas war doch keine richtige Rache! Zum Feuerlegen blieb noch Zeit genug, wenn sich ihm eines Tages eine Schlinge um den Hals legen sollte, doch würde er nicht das Risiko eines Feuertods eingehen, nur um wegen einer Angelegenheit wie dieser Genugtuung zu bekommen.

Der eigentliche Grund aber, weshalb er kein Feuer legte, war nicht die Furcht, sondern der blanke Geschäftssinn. Harrison war so verfahren, wie er es getan hatte, um Hooch zu zeigen, daß ihm die Art und Weise nicht gefiel, in der Hooch die Branntweinlieferungen verzögert hatte. Harrison zeigte ihm damit, daß der Macht besaß, Hooch dagegen nur Geld. Nun gut, sollte Harrison doch den mächtigen Mann spielen. Hooch wußte auch einige Dinge. Er wußte beispielsweise, daß das Wobbish-Land eines Tages den US-Kongreß in Philadelphia um den Staatsstatus angehen würde. Und wenn es das tat, würde ein gewisser William Henry Harrison es darauf abgesehen haben, Gouverneur zu werden. Und Hooch hatte in Suskwahenny, Pennsylvania und Appalachee schon genügend Wahlen miterlebt, um zu wissen, daß man keine Stimmen bekam, wenn man nicht auch Silberdollar in Umlauf brachte. Hooch würde diese Silberdollar haben. Und wenn die Zeit gekommen war, mochte er diese Silberdollar vielleicht an Harrisons Wähler verteilen; vielleicht aber auch nicht. Vielleicht half er dann nämlich einem anderen Mann auf den Gouverneurssitz, eines Tages, wenn Carthage zu einer richtigen Stadt und Wobbish zu einem richtigen Staat geworden waren. Dann würde Harrison den Rest seines Lebens dort hocken bleiben und sich daran erinnern müssen, wie es gewesen war, als er noch Leute einsperren konnte, und er würde vor Wut mit den Zähnen knirschen, wenn er daran dachte, wie Männer wie Hooch ihm all dies weggenommen hatten.

So unterhielt Hooch sich, während er zwei lange Tage und Nächte in dem Lagerraum saß.

Dann holte man ihn heraus und führte ihn vor Gericht — unrasiert und schmutzig, mit wirrem Haar und völlig zerknitterter Kleidung. General Harrison war der Richter, sämtliche Geschworenen trugen Uniform, und der Verteidiger war — ausgerechnet Andrew Jackson! Offenbar hatte Gouverneur Bill vor, Hooch auf die Palme zu bringen, aber Hooch war auch nicht von gestern. Egal, was Harrison vorhaben mochte, soviel war klar, daß es Hooch nichts nützen würde, lauthals dagegen zu protestieren. Also war es besser, stillzusitzen und die Sache über sich ergehen zu lassen.

Es dauerte nur wenige Minuten.

Hooch hörte mit unbewegter Miene zu, wie ein junger Leutnant bezeugte, daß sein ganzer Whisky genau zum selben Preis an den Marketender verkauft worden war wie beim letzten Mal. Den amtlichen Unterlagen zufolge hatte Hooch also keinen einzigen Penny mehr daran verdient, daß er sie zwischen zwei Lieferungen vier Monate lang hatte warten lassen. Nun, dachte Hooch, das ist eigentlich in Ordnung, Harrison will mir damit mitteilen, wie die Sache seiner Meinung nach zu laufen hat. Also sagte er kein einziges Wort. Hinter seiner magistralen Feierlichkeit wirkte Harrison äußerst fröhlich. Vergnüg dich nur, dachte Hooch. Mich bringst du nicht zur Weißglut.

Aber er schaffte es schließlich doch. Von dem Betrag wurden 220 Dollar abgehalten und Andrew Jackson noch während der Verhandlung überreicht. Elf goldene Zwanzig-Dollar-Münzen. Es tat Hooch richtig körperlich weh, mitansehen zu müssen, wie das funkelnde Metall in Jacksons geöffnete Hände fiel. Nun konnte er nicht mehr schweigen. Immerhin gelang es ihm aber, leise zu sprechen und dabei milde zu klingen. »Das erscheint mir nicht sonderlich ordnungsgemäß«, sagte er, »daß ausgerechnet der Kläger auch den Verteidiger abgibt.«

»Oh, was die Schulden anbelangt, ist er ja gar nicht Euer Verteidiger«, sagte Seine Ehrwürden Richter Harrison.

»Euer Verteidiger ist er nur in Sachen Alkoholausschank.« Dann grinste Harrison und erklärte die Angelegenheit für entschieden.

Die Branntweinsache dauerte auch nicht viel länger. Sorgfältig präsentierte Jackson genau dieselben Lieferscheine und Quittungen, um zu beweisen, daß sämtliche Whiskyfässer an den Marketender des Forts von Carthage und kein einziger Tropfen an die Roten verkauft worden waren. »Allerdings will ich zugeben«, sagte Jackson, »daß mir die hier ausgewiesene Whiskymenge ausreichend erscheint, um eine zehnmal so große Armee wie diese hier drei Jahre lang zu versorgen.«

»Wir haben hier eben Soldaten, die starke Trinker sind«, meinte Richter Harrison. »Und ich schätze, daß dieser Branntwein keine sechs Monate reichen wird. Aber kein Tropfen an die Roten, Mr. Jackson, da könnt Ihr ganz sicher sein!«

Dann wies er sämtliche Vorwürfe gegen Hooch Palmer alias Ulysses Brock zurück. »Aber laßt Euch das eine Lektion sein, Mr. Palmer«, sagte Harrison mit seiner besten Richterstimme. »Die Justiz hier draußen handelt zügig und zuverlässig. Achtet darauf, daß Ihr stets Eure Schulden begleicht. Und laßt nicht einmal den Ruch des Bösen an Euch herankommen.«

»Natürlich«, erwiderte Hooch fröhlich. Harrison hatte ihm ordentlich zugesetzt, aber zum Schluß war alles doch noch sehr gut gelaufen. Gewiß, die 220 Dollar machten ihm zu schaffen, ebenso die beiden Tage im Gefängnis, doch Harrison hatte Hooch nicht allzusehr leiden lassen wollen. Denn was Jackson nicht wußte, und was niemand sonst zu erwähnen für richtig hielt, war die Tatsache, daß Hooch Palmer zufälligerweise einen Marketenderkontrakt mit der US-Armee in Wobbish Territory hatte. Alle diese Dokumente, die bewiesen, daß er den Branntwein nicht an die Roten verkauft hatte, bewiesen in Wirklichkeit nur, daß er ihn vielmehr an sich selbst verkauft hatte — noch dazu mit Profit. Nun würde Jackson nach Hause zurückkehren, und Hooch würde sich im Marketenderladen niederlassen, um den Roten den Branntwein zu exorbitanten Preisen zu verkaufen, die Profite mit Gouverneur Bill zu teilen und mitanzusehen, wie die Roten starben wie die Fliegen. Harrison hatte Hooch einen kleinen Streich gespielt, das war wahr, aber dem alten Hickory hatte er einen noch viel größeren gespielt.

Hooch achtete darauf, am Bootssteg zu sein, als man Jackson mit der Fähre wieder über den Hio brachte. Jackson hatte tatsächlich zwei große, alte Bergjungen mit Gewehren dabei. Hooch bemerkte, daß einer davon selbst aussah wie ein Halbindianer, wahrscheinlich ein Cherriky-Halbblut — davon gab es in Appalachee recht viele, wo die weißen Männer die Squaws tatsächlich heirateten, als wären es richtige Frauen. Und beide Gewehre trugen den Stempel ›Eli Whitney‹ auf ihrem Lauf, was wiederum bedeutete, daß sie im Staat Irrakwa fabriziert worden waren, wo dieser Whitney sich niedergelassen hatte, um so schnell Gewehre herzustellen, daß er auf diese Weise die Preise gedrückt hatte; und man erzählte sich, daß alle seine Arbeiter tatsächlich Frauen waren, Irrakwa-Squaws, ganz unglaublich! Jackson konnte soviel darüber reden, wie er wollte, die Roten ans Westufer des Mizzipy zurückzudrängen, tatsächlich war es dafür schon viel zu spät. Ben Franklin sorgte dafür, indem er den Irrakwa ihren eigenen Staat oben im Norden gewährte, und Tom Jefferson hatte die Sache noch verschlimmert, indem er den Cherriky den Status wahlberechtigter Bürger in Appalachee zugestanden hatte, als sie ihre Revolution gegen den König durchführten. Wenn man diese Roten wie Bürger behandelte, dann fingen die doch an zu glauben, sie hätten dieselben Rechte wie ein Weißer. Wenn das erst Schule machte, würden sie nie eine gesellschaftliche Ordnung bekommen. Ja, dann würden wahrscheinlich als nächstes die Schwarzen ihre Sklaverei abschütteln wollen, und dann würde man, ehe man sich's versah, eines Tages an einer Bar im Salon Platz nehmen, um links von sich einen Roten und zur rechten einen Schwarzen zu erblicken, und das war doch schlichtweg gegen alle Natur.

Da fuhr Jackson nun fort in dem Glauben, daß er den weißen Mann vor den Roten würde retten können, in Begleitung eines Halbbluts und mit von Roten hergestellten Gewehren bewaffnet. Und was das schlimmste war — Jackson hatte elf Goldmünzen in seiner Satteltasche, Münzen, die eigentlich Hooch Palmer gehörten.

Also heizte Hooch diese Satteltasche auf, und zwar genau dort, wo der Metallstift sie am Sattel festhielt. Er spürte, wie das Leder ankohlte und um den Stift herum rabenschwarz und steif wurde. Schon bald würde die Tasche abfallen. Zudem sorgte Hooch für zahlreiche weitere heiße Flecken auf diesem Sattel und auch auf den Sätteln der anderen Männer. Als sie das andere Ufer erreichten, saßen sie auf und ritten davon, aber Hooch wußte, daß sie in Nashville ohne Sattel einreiten würden. Er hoffte inständig, daß sich Jacksons Sattel genau zum richtigen Zeitpunkt und auf die richtige Weise zerlegen würde, damit Old Hickory sich voll auf den Hintern setzte oder sich vielleicht sogar einen Arm brach. Schon der bloße Gedanke daran hob Hoochs Laune merklich.

Ein ehrlicher Mann wie Andrew Jackson war einem paar Raffzähnen wie Bill Harrison und Hooch Palmer einfach nicht gewachsen. Es war nur eine Schande, daß die Armee keine Orden an Soldaten verlieh, die ihre Feinde mit Branntwein in den Tod beförderten, anstatt sie zu erschießen. Denn sonst wären Harrison und Palmer beide zu Helden geworden, das wußte Hooch ganz genau.

Doch Hooch schätzte, daß Harrison schon irgendwie eine Möglichkeit finden würde, um ein Held zu werden, während Hooch am Schluß nichts bleiben würde außer Geld. Na ja, so geht das eben, dachte Hooch. Manche Leute kriegen den ganzen Ruhm ab und manche dafür das Geld. Aber das ist mir egal, solange ich nicht zu den Leuten gehöre, die am Schluß überhaupt nichts haben. Von denen will ich nie einer sein. Und sollte es doch jemals soweit kommen, dann werden sie es noch gründlich bedauern.

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