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Die Brennende Legion stürzte sich mit ungebremster Wut in ihren neuen Angriff. Die Verteidiger mussten gelegentlich schlafen und essen, Schwächen, die den Dämonen völlig fremd waren. Sie kämpften Tag und Nacht, bis zum Tod und zogen sich nur zurück, wenn die Gegenwehr zu heftig wurde. Selbst dann aber sorgten sie dafür, dass jeder zurück erkämpfte Landstrich mit einem hohen Blutzoll bezahlt wurde.

Doch bei diesem Angriff stießen sie auf ausgeruhte Gegner. Sie standen nicht mehr nur der Elfenarmee gegenüber, sondern auch anderen Kämpfern. Die Tauren, die Zwerge und die anderen Völker verdoppelten die Gesamtstärke der Armee und brachten die dringend benötigte Unterstützung. Zum ersten Mal seit Tagen scheiterte ein Angriff der Legion. Die Dämonen wurden so weit zurückgeworfen, dass das zerstörte Suramar nur noch einen Nachtritt entfernt lag.

Trotz dieses Erfolges hatte Malfurion nur wenig Hoffnung. Das lag nicht allein daran, dass der Anblick seiner zerstörten Heimat ihn an all das erinnerte, was die Nachtelfen verloren hatten. Nein, er sorgte sich vor allem um diejenigen, die der Armee zu neuer Stärke verholfen hatten. Rhonin hatte Lord Stareye zwar die neuen Verbündeten aufgezwungen, aber der mit Vorurteilen behaftete Adlige hatte sich nur zögerlich darauf eingelassen.

Die Nachtelfen kämpften nicht gemeinsam mit den anderen.

Stareye hielt seine Leute an der linken Flanke und in der Mitte, während die Krieger der anderen Völker auf der rechten Seite kämpften. Es gab nur wenig Kommunikation und so gut wie keinen Kontakt zwischen den verschiedenen Gruppen. Nachtelfen beschäftigten sich nur mit Nachtelfen, Zwerge nur mit Zwergen … und so weiter.

Eine solche Allianz, wenn man sie denn so nennen wollte, musste früher oder später scheitern. Die Dämonen würden sich auf die neu hinzugekommenen Streiter einstellen und ihre eigenen Angriffe verstärken.

Dem armen Jarod Shadowsong hatte man die Aufgabe erteilt, die verschiedenen Gruppen wenigstens ansatzweise zu koordinieren. Der Druide fragte sich, wieso der Captain die Fremden nicht hasste, denn sie hatten ihm nur Ärger eingehandelt. Trotzdem widmete sich Jarod seiner neuen Aufgabe mit der ernsten Hingabe, die er stets für etwas aufbrachte, was ihm wichtig war. Dafür bewunderte Malfurion ihn. Auf seine Weise war Jarod ein ebenso unverzichtbarer Teil der Armee wie Rhonin, Brox oder Malfurion. Er koordinierte die Gruppen, regelte deren Angelegenheiten, vermittelte bei Streitigkeiten oder Missverständnissen und erschuf so eine funktionierende Einheit. Wenn man es genau nahm, hatte der Captain auf die Strategie einen ebenso großen Einfluss wie der überhebliche Stareye.

Malfurion hoffte, dass der Adlige das nie erkennen würde. Captain Shadowsong zumindest hatte das noch nicht erkannt. Er war der schlichten Überzeugung, er führe nur seine Befehle aus.

Rhonin, der sich auf einen Felsen gesetzt hatte, von dem aus er das Schlachtfeld überblicken konnte, erhob sich plötzlich. »Sie kommen zurück!«

Brox sprang mit einer Eleganz auf, die nicht zu seinem schweren Körper zu passen schien. Der ergraute Orc schwang seine Axt und stapfte der heranrückenden Front entgegen. Malfurion stieg auf seinen Nachtsäbler, einen der riesigen Säbelzahnpanther, die sein Volk als Reit- und Kriegstiere nutzte.

Hörner erschallten. Die erschöpfte Armee spannte sie an, war kampfbereit. Unterschiedliche Klänge forderten die verschiedenen Einheiten auf, sich zu sammeln.

Nur Sekunden später entbrannte die Schlacht aufs Neue.

Verteidiger und Dämonen trafen mit großem Getöse aufeinander. Schreie und Grunzlaute hallten durch die Luft. Brox stieß seinen Kriegsschrei aus, köpfte eine Teufelswache und stieß den zuckenden Körper gegen den dahinter stehenden Dämon. Der Orc schlug eine blutige Schneise. Schon nach kurzer Zeit lag fast ein Dutzend Dämonen tot oder sterbend am Boden.

Rhonin kämpfte vom Rücken seines Nachtsäblers aus. Allerdings warf er nicht ständig Zauber, sondern konzentrierte sich, wie Malfurion, auf die Suche nach den Eredar, den Hexenmeistern der Legion. Die Eredar hatten in den letzten Schlachten große Verluste hinnehmen müssen, stellten aber immer noch eine Gefahr dar. Sie neigten dazu, völlig überraschend aufzutauchen.

Doch vor allem nutzte Rhonin seine Magie zur Unterstützung seiner anderen Kampfkünste. Auf seinem Nachtsäbler sitzend ließ der Mensch zwei Klingen kreisen, die vollständig aus Magie bestanden. Die beiden blauen Energiebahnen waren mehr als einen Meter lang, und wenn der Zauberer sie gegen seine Feinde schwang, richtete er damit fast so viel Schaden an wie der Orc. Die Rüstungen der Dämonen wurden von den Klingen mühelos gesprengt. Die Waffen der Teufelswachen zerbrachen wie Glas, wenn sie darauf trafen.

Rhonin kämpfte mit einer Leidenschaft, die Malfurion bestens nachvollziehen konnte, denn der Magier hatte ihm von seiner Gefährtin und den kurz vor der Geburt stehenden Zwillingen erzählt, deren Schicksal vom Ausgang des Krieges abhing. Für ihn bedeutete seine weit entfernte Familie so viel wie für Malfurion Tyrande und Illidan.

Der Druide kämpfte mit der gleichen Entschlossenheit und Stärke, zog seine magischen Kräfte jedoch aus seiner Verbindung zur Natur. Aus einem der zahlreichen Beutel, die an seinem Gürtel hingen, holte er einige längliche, mit kleinen Widerhaken besetzte Körner hervor. Er hob die Hand und blies leicht gegen den Samen.

Er flog durch die Luft, als sei sie in einen starken Wind geraten. Die Anzahl der Körner vervielfältigte sich tausendfach. Wie die Teilchen eines Sandsturms prasselten sie auf die Dämonen herab.

Die schrecklichen Kämpfer brüllten wütend und kämpften sich furchtlos durch die Wolke. Sie interessierte allein das Blut ihrer Gegner. Nur wenige Schritte später stolperte einer der Dämonen jedoch und presste sich die Hände gegen den Bauch. Ein zweiter folgte, ein dritter … Andere ließen ihre Waffen fallen und wurden augenblicklich von Nachtelfen niedergestreckt.

Die Überlebenden begannen sich aufzublähen. Brust und Bauch dehnten sich immer weiter aus. Einige Dämonen stürzten und wanden sich am Boden.

Aus einem, der noch stand, schossen scharfe, dolchartige Triebe durch Haut und Rüstung. Dämonisches Blut lief über den Körper des sterbenden Kriegers. Er drehte sich einmal um sich selbst, dann brach er tot zusammen. Sein Körper sah aus wie ein Nadelkissen, wofür die in seinem Inneren sprießenden Saatkörner gesorgt hatten.

Ringsum brachen Dutzende gleichzeitig zusammen. Alle erlitten das gleiche dunkle Schicksal. Malfurion spürte leichte Übelkeit, als er das Ergebnis seines Zaubers betrachtete. Doch dann dachte er an die gnadenlose Brutalität des Feindes. Er konnte sich kein Mitleid mit denen leisten, die nur für die Verbreitung von Angst und Chaos lebten. Entweder man tötete – oder man wurde getötet.

Obwohl viele Dämonen ihr Leben verloren, wurden die Reihen nicht dünner. Die Linie der Nachtelfen drohte aufzureißen, so heftig waren die Angriffe, die gegen sie brandeten. Sie kämpften bereits am längsten gegen die Brennende Legion und waren dementsprechend erschöpft.

Archimonde war nicht dumm. Er nutzte diese Schwäche zu seinem Vorteil. Immer mehr Krieger warf er den Nachtelfen entgegen. Teufelsbestien stürmten auf die Reihen zu, Verdammniswachen stürzten auf die abgelenkten Krieger herab. Sie zertrümmerten Schädel oder jagten Speere in Brust und Rücken. Manchmal griffen sie sich ein oder zwei Nachtelfen, trugen sie hoch in die Lüfte und ließen sie dann auf ihre Kameraden herabfallen. Die hilflosen Soldaten wurden zu Geschossen, deren Verhängnis auch zu dem der Gefährten wurde.

Eine Explosion schleuderte mehrere Nachtelfen meterweit durch die Luft. Aus dem neu entstandenen Krater schob sich eine brennende Höllenkreatur. Diese Dämonenart war nicht sehr klug, aber ungeheuer stark. Sie existierte nur, um alles, was sich ihr in den Weg stellte, niederzuwalzen. Sie donnerte durch die Reihen der Soldaten und wirbelte sie durcheinander wie fallende Blätter.

Malfurion setzte zu einer Reaktion an, doch Brox warf sich der Höllenkreatur bereits entgegen. Niemand hätte geglaubt, dass es dem Orc gelingen würde, den riesigen Dämon aufzuhalten. Aber es gelang ihm tatsächlich.

Die Höllenkreatur stoppte abrupt und stieß einen frustrierten Schrei aus. Sie holte mit einer brennenden Faust aus und wollte den Kopf des Orcs wohl in dessen Brust hineinrammen, aber Brox hielt ihm den Stiel seiner Axt entgegen. Das scheinbar so dünne Holz wehrte den Schlag mühelos ab. Mit einer blitzschnellen Bewegung stieß Brox den Arm des Dämons zur Seite und hieb ihm die Axt in die Brust.

Die Höllenkreatur hatte der magischen Waffe ebenso wenig entgegenzusetzen wie die anderen Dämonen. Die Klinge grub sich mehrere Zentimeter tief in ihren Körper. Grüne Flammen schossen aus der Wunde. Brox duckte sich vor den Flammen, dann zog er die Axt heraus und holte zu einem zweiten Hieb aus.

Die Höllenkreatur wankte zwar, doch geschlagen gab sie sich noch nicht. Brüllend brachte sie ihre Fäuste zusammen, dann stieß er sie in den Boden, der sofort erbebte. Brox verlor das Gleichgewicht.

Der Dämon stürzte sich auf ihn und versuchte, den Orc niederzutrampeln. Doch als er sich näherte, pflanzte Brox den Stiel seiner Waffe auf den Boden und hielt ihm die Klinge wie eine Lanze entgegen.

Die Höllenkreatur spießte sich selbst auf. Sie schlug nach Brox, aber der erfahrene Krieger ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Die Wut des Dämons machte alles nur noch schlimmer. Die Axt fraß sich noch tiefer in ihn hinein. Feuerstöße verließen seinen Körper. Einige berührten fast den Orc.

Mit einem letzten Zittern sackte der riesige Dämon in sich zusammen.

Doch trotz solch beeindruckender Siege schob sich die Brennende Legion weiter voran. Malfurion versuchte sich auf die Gefühle zu konzentrieren, die ihm schon einmal den Sieg gegen die Dämonen ermöglicht hatten, doch er schaffte es nicht. Tyrandes Entführung hatte diesen Teil seiner Seele entrissen.

An der linken Flanke sah er Lord Stareye, der die zurückweichenden Soldaten anbrüllte. Stareye trat völlig anders als sein Vorgänger auf. Ravencrest wäre ebenso dreck- und blutverschmiert gewesen wie seine Truppen, Stareye hingegen wirkte auch jetzt noch makellos. Seine Leibwache umgab ihn und sorgte dafür, dass unangenehme Situationen gar nicht erst bis zu ihm durchdrangen.

Überrascht bemerkte der Druide die gewaltigen Tauren, die plötzlich an ihm vorbei stürmten. Sie liefen auf die zurückweichenden Reihen zu und warfen sich mit erstaunlicher Vehemenz in den Kampf. Mit einer Leidenschaft, die eher zu Brox gepasst hätte, griffen sie die Dämonen an und schlugen auf sie ein. An der Spitze entdeckte Malfurion Huln, dessen Adlerspeer eine Teufelswache mit solcher Wucht durchbohrte, dass die Spitze aus dem Rücken hervortrat. Mit Leichtigkeit schüttelte Huln den toten Dämon ab, dann wandte er sich breit grinsend dem nächsten zu.

Hinter den Tauren stand Jarod Shadowsong, von dessen Klinge Blut tropfte. Er rief den riesigen Kriegern etwas zu, und zu Malfurions Überraschung reagierte die Truppe, als befolge sie einen Befehl. Sie verteilten sich, was es den Nachtelfen ermöglichte, die Reihen zu schließen und ihre Retter zu unterstützen.

Die Priesterinnen der Elune tauchten ebenfalls auf. Die kriegerisch auftretenden Frauen waren ein ungewohnter Anblick für Nachtelfen, die deren vormals so friedliches Leben – vor dem Wüten der Legion – kennen gelernt hatten. Ihr Anblick versetzte Malfurion einen Stich, erinnerte er ihn doch daran, dass es ihm nicht gelungen war, Tyrande vor den Dämonen zu retten.

Die Dienerinnen der Elune saßen auf ihren Tieren und schossen mit Pfeil und Bogen. Doch die beste Schützin unter ihnen war keine Priesterin, sondern die junge Shandris Feathermoon, die erst in ein oder zwei Sommern alt genug sein würde, um Novizin zu werden. Doch drastische Situationen erforderten drastische Maßnahmen. Marinda, die als Tyrandes Stellvertreterin fungierte, hatte Shandris einen Platz in ihren Reihen zugewiesen. Die jüngste Tochter von Mutter Mond saß jetzt in einer ihr zu großen Rüstung auf ihrem Pferd, die sie von einer gefallenen Priesterin übernommenen hatte, und schoss drei Pfeile ab, die prompt drei Dämonenkehlen durchbohrten.

Der Vormarsch der Legion geriet ins Stocken. Die Verteidiger begannen sie zurückzudrängen. Malfurion und Rhonin halfen ihnen nach Kräften. Die Nachtelfen eroberten ein Stück Boden zurück.

Schreie wurden inmitten der Schwestern laut. Zwei der Priesterinnen stürzten zu Boden. Ihre Leiber wurden von ihren eigenen Rüstungen zerquetscht. Selbst im Tod verrieten ihre verzerrten Gesichter, welche Qualen sie hatten erleiden müssen, als sich das Metall blitzartig zusammenzog.

Malfurions Augen verengten sich; er stieß die Luft aus. Eine der beiden war Marinda.

»Eredar!«, zischte Rhonin. Er zeigte in nordwestliche Richtung.

Doch noch bevor der Zauberer zu einem Schlag ausholen konnte, entflammte es dort bereits. Malfurion vermochte die Schmerzen der Hexenmeister zu erspüren, als das Feuer sie verzehrte.

»Ich entschuldige mich für meine verspätete Rückkehr«, sagte Krasus, von dem das Feuer stammte. Der Drachenmagier stand einige Schritte hinter den beiden Zauberern. »Leider musste ich die Rückreise in Etappen absolvieren«, fügte er verbittert hinzu.

Niemand klagte ihn an, nicht nach allem, was er getan hatte. Doch Krasus schien sich selbst nicht vergeben zu können.

»Wir haben sie wieder zurückgeworfen«, erklärte Rhonin. Aber in seinen Worten schwang keinerlei Optimismus. »Wie schon beim letzten und vorletzten Mal …«

Die Schlacht entfernte sich von ihnen. Jetzt oblag die Initiative wieder den Verteidigern. Die Schwestern der Elune nutzten die Pause, um sich ihrer wahren Berufung – dem Heilen – zu widmen. Sie gingen zu den verwundeten Soldaten. Ein paar widmeten sich sogar den Tauren, wenn auch zögerlich.

Die Klänge der Schlachthörner kamen aus Lord Stareyes Richtung. Der Adlige wedelte mit seinem Schwert und zeigte auf die Brennende Legion. Offenbar wollte er sich den einstweiligen Sieg seiner Armee auf sein Konto schreiben.

Krasus schüttelte den Kopf. »Wenn doch nur Brox Ravencrest rechtzeitig erreicht hätte.«

»Er hat getan, was er konnte«, antwortete Malfurion. »Das weiß ich sicher.«

»Ich zweifele nicht am dem Orc oder seiner Hingabe, mein Junge. Es ist das Schicksal, mit dem ich hadere. Komm, wir sollten die Atempause nutzen, um die Schwestern zu unterstützen. Es gibt sehr viele Verwundete.«

Das stimmte. Malfurion setzte einen weiteren Aspekt seiner Ausbildung ein. Cenarius hatte ihm beigebracht, welche Pflanzen Schmerzen linderten oder Wunden heilten. Sein Können reichte zwar nicht an das der Priesterinnen heran, aber den Verwundeten ging es nach seiner Hilfe trotzdem besser.

Zwischen den Soldaten entdeckten sie Jarod. Der Offizier hockte neben seinem Nachtsäbler. Eine Schwester kümmerte sich um eine tiefe Schnittwunde in seinem Arm.

»Ich habe ihr gesagt, dass das unnötig ist«, bemerkte er säuerlich, als sie auf ihn zu gingen. »Meine Rüstung hat mich recht gut geschützt.«

»Die Waffen der Brennenden Legion sind häufig vergiftet«, erklärte Krasus. »Selbst eine kleine Wunde kann gefährlich werden.« Er neigte den Kopf vor dem Offizier. »Du hast da draußen sehr gut agiert und die Situation für uns entschieden.«

»Ich bat den Tauren Huln lediglich, mir einige seiner Krieger zur Verfügung zu stellen, um meine Soldaten zu retten. Dann fragte ich die Zwerge, ob sie die Linien der Tauren decken könnten.«

»Wie ich bereits sagte, eine gute Aktion. Die Nachtelfen und die Stiermenschen kämpften gut zusammen, als es darauf ankam. Wenn das unser geschätzter Kommandant nur auch erkennen würde. Bei meiner Ankunft bemerkte ich bereits, dass es keine Zusammenarbeit zwischen den Verbündeten gibt.«

Rhonin hob die Augenbrauen. »Hast du von Stareye wirklich etwas anderes erwartet?«

»Nein, wohl kaum.«

Sie wurden unterbrochen, als eine hochrangige Priesterin auf sie zu kam. Sie war hochgewachsen und bewegte sich so elegant wie ein Nachtsäbler. Ihr Gesicht war nicht unattraktiv, aber der Ausdruck darin war streng. Die Haut der Schwester war ein wenig blasser als die der meisten Nachtelfen. Sie erinnerte Malfurion an jemanden, aber er konnte nicht sagen, an wen.

»Sie sagten, sie hätten sich gesehen«, sagte sie ruhig zu Jarod.

Er sah sie ratlos an, als sei er sich nicht sicher, dass sie wirklich dort stand. »Maiev …«

»Seit unserer letzten Begegnung ist viel Zeit vergangen, kleiner Bruder.«

Die Ähnlichkeit wurde jetzt deutlicher. Die andere Priesterin beendete ihre Behandlung, als der Captain aufstand und seine Schwester ansah. Er war zwar größer als sie, schien aber trotzdem zu ihr aufzusehen.

»Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit du in den Dienst der Mondgöttin getreten bist und dich im Tempel von Hajiri deinen Studien widmen wolltest.«

»Dort ist Kalo’thera zu den Sternen aufgestiegen«, erklärte Maiev und bezog sich dabei auf eine berühmte Hohepriesterin, die vor einigen Jahrhunderten gelebt hatte. In der Schwesternschaft wurde Kalo’thera von vielen fast wie eine Halbgöttin verehrt.

»Das war weit weg von Zuhause.« Jarod schien sich erst jetzt wieder der anderen bewusst zu werden. Er sah sie an und sagte: »Das ist meine ältere Schwester Maiev. Maiev, dies sind …«

Die Priesterin ignorierte Malfurion und Rhonin, konzentrierte sich nur auf Krasus. Wie alle Schwestern schien sie sofort zu bemerken, dass er etwas Besonderes war, auch wenn sie den Grund nicht kannte. Maiev kniete nieder, bevor Jarod fortfahren konnte, und sagte: »Deine Anwesenheit hier ehrt mich, Älterer.«

Krasus zeigte keine Regung. »Du musst nicht vor mir knien.

Erhebe dich, Schwester und sei willkommen. Die Priesterinnen kamen heute genau zur rechten Zeit.«

Die Miene von Jarods Schwester verriet Stolz. »Mutter Mond hat unsere Hand geführt, auch wenn wir dafür Marinda und einige andere opfern mussten. Wir sahen, dass die Legion durchzubrechen drohte. Wir wären vor den Stiermenschen da gewesen, wenn die Entfernung nicht so groß gewesen wäre.« Sie blickte in die Richtung der Tauren. »Sie haben erstaunlich gut reagiert.«

»Dein Bruder hat sie angeleitet«, erklärte der Magier. »Jarod war es, dem die Armee wahrscheinlich ihre Rettung verdankt.«

»Jarod?« Maievs Tonfall spiegelte ihren Unglauben wider. Als Krasus jedoch nickte, vergaß sie ihre Zweifel und neigte den Kopf vor dem Captain. »Ein einfacher Offizier der Stadtwache spielt also den Kommandanten? Das Glück muss mit dir gewesen sein, Bruder.«

Er nickte wortlos und wandte den Blick ab.

Rhonin ließ die Bemerkung jedoch nicht stehen. »Glück? Er hat seinen Verstand benutzt!«

Die Priesterin hob die Schultern und ignorierte seinen Einwand. »Kleiner Bruder, du wolltest uns vorstellen.«

»Vergib mir, Maiev, der ältere Magier heißt Krasus. Neben ihm steht der Zauberer Rhonin …«

»Solch hilfsbereite Besucher sind zu dieser Zeit willkommen«, unterbrach sie ihn. »Möge Elune euch segnen.«

»Und das«, fuhr der Captain fort, »ist Malfurion Stormrage, der …«

Maievs Blicke brannten sich fast in den Druiden. »Ja … du warst mit einer unserer Schwestern vertraut, Tyrande Whisperwind.«

Tyrande war zwar vor ihrer Entführung nicht lange Hohepriesterin der Schwesternschaft gewesen, trotzdem hielt Malfurion diese Bemerkung für respektlos. »Ja, wir sind zusammen aufgewachsen.«

»Wir bedauern deinen Verlust. Sie ist wohl Opfer ihrer Unerfahrenheit geworden. Es wäre besser für sie gewesen, wenn ihre Vorgängerin eine ältere und erfahrenere Person erwählt hätte.« Maiev ließ durchblicken, dass sie sich selbst meinte.

Malfurion schluckte seinen Ärger hinunter. »Es war nicht ihr Fehler. Die Schlacht tobte überall. Sie versuchte mir zu helfen, wurde aber verwundet. War bewusstlos. In dem Chaos, das folgte, wurde sie von Dienern der Dämonen entführt.« Er richtete seinen Blick auf die kalten Augen der Priesterin. »Aber wir werden sie zurückholen.«

Jarods Schwester nickte. »Ich werde zu Elune beten, dass dies geschieht.« Sie sah den Captain an. »Ich bin froh, dass deine Verletzungen nicht allzu schlimm sind, kleiner Bruder. Bitte entschuldige mich jetzt. Ich muss den anderen Schwestern helfen. Jetzt, da Marinda tot ist, müssen wir eine neue Anführerin wählen. Sie selbst hatte keine Nachfolgerin bestimmt.«

Mit einer Verbeugung, die sich hauptsächlich an Krasus richtete, fügte Maiev hinzu: »Möge der Segen Elunes auf dir ruhen.«

Als sie weit genug weg war, grunzte Rhonin und sagte ironisch: »Eine nette und freundliche Schwester hast du da.«

»Sie widmet sich hingebungsvoll den traditionellen Lehren der Elune«, verteidigte Jarod sie. »Sie war schon immer sehr streng.«

»Ihr Hingabe ist kein Fehler«, erklärte Krasus, »so lange es sie nicht blind macht für die Pfade, die andere vor ihr beschritten.«

Jarod wurde einer weiteren Verteidigung seiner Schwester durch Brox’ Ankunft enthoben. Der Orc grinste zufrieden.

»Gute Schlacht! Viele Tote, über die man singen wird. Viele Krieger, die das Blut unserer Feinde vergossen haben.«

»Reizend«, murmelte Rhonin.

»Tauren sind gute Kämpfer und willkommene Mitstreiter in jeder Schlacht.« Der riesige grüne Krieger blieb stehen und stellte seine Axt auf dem Boden ab. »Nicht so gut wie Orcs … aber fast.«

Krasus blickte in Richtung der Schlacht. »Es ist nur eine kurze Verschnaufpause, mehr nicht, auch wenn wir durch die anderen an Stärke gewonnen haben. So kann das nicht weitergehen. Wir müssen den Spieß endlich umdrehen!«

»Aber das ginge nur mit den Drachen«, warf sein ehemaliger Schüler ein. »Und die werden nichts unternehmen, so lange Deathwing die Dämonenseele besitzt.« Rhonin vermied es bewusst, den schwarzen Drachen bei seinem alten Namen Neltharion zu nennen.

»Nein, ich befürchte, sie werden sich nicht einmischen. Wir haben ja gesehen, was geschah, als die blauen Drachen es versuchten.«

Malfurion fürchte die Stirn. Er dachte an Tyrande. Niemand konnte ihr helfen, ehe nicht die Brennende Legion geschlagen war, und dafür benötigte man jeden potenziellen Verbündeten, vor allem die Drachen. Doch die Drachen hatten der Dämonenseele nichts entgegenzusetzen, und das bedeutete …

»Wir müssen sie dem Schwarzen abnehmen!«, erklärte er plötzlich.

Selbst Brox, der sonst freudig in jede Schlacht stürmte, sah ihn mit großen Augen an. Jarod schüttelte ablehnend den Kopf, und Rhonin sah ihn an, als zweifele er an seinem Verstand.

Nur Krasus sah den Nachtelfen nach der ersten überraschten Reaktion nachdenklich an. »Ich befürchte, Malfurion hat Recht. Wir müssen es tun.«

»Krasus, das kann nicht dein Ernst sein …«

Der Drachenmagier ließ den Zauberer nicht ausreden. »Das ist es. Ich hatte es mir selbst schon überlegt.«

»Aber wir wissen nicht, wo sich Deathwing aufhält. Er hat sich besser abgeschirmt als die anderen Drachen.«

»Das ist wahr. Es gibt einige uralte Zauber, aber ich bezweifele, dass sie uns helfen würden. Trotzdem werde ich sie weben, und wenn sie fehlschlagen, werde ich …«

»Ich glaube, ich kann helfen«, unterbrach ihn Malfurion. »Ich glaube, ich kann ihn durch den Smaragdtraum aufspüren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich so wie der Palast geschützt hat.«

Der junge Druide schien Krasus zu beeindrucken. »Du könntest Recht haben, mein Junge.« Er dachte nach. »Aber wenn er tatsächlich diesen Fehler begangen hat, besteht natürlich die Gefahr, dass er dich wahrnimmt. Er hat ja schon einmal versucht, dir durch den Traum zu folgen.«

»Ich habe seitdem gelernt, vorsichtiger zu sein. Ich werde es versuchen. Nur so können wir sie … können wir uns retten.«

Der Drachenmagier legte eine Hand auf Malfurions Schulter. »Wir werden alle versuchen, ihr zu helfen.«

»Ich fange sofort an.«

»Nein, du musst dich zuerst ausruhen. Ihr und dein Schicksal hängen davon ab, dass du dein Bestes geben kannst. Wenn dir nur ein einziger Fehler unterläuft oder du dich von ihm entdecken lässt, ist alles verloren.«

Malfurion nickte enttäuscht, aber in seinem Blick flackerte neue Hoffnung. Neltharion hatte sich zwar gut vorbereitet, aber der Drache war besessen und nur auf sein Ziel konzentriert. Das konnte ihm unter Umständen zum Nachteil werden.

»Ich werde tun, was du sagst«, erklärte der Druide. »Aber es gibt noch etwas, das ich vorher erledigen muss. Ich will mit jemandem sprechen, der unsere Chancen erhöhen könnte.«

Krasus nickte verstehend. »Du redest von Cenarius. Du willst mit dem Herrn des Waldes sprechen?«

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