17

Azshara machte sich hübsch. Natürlich war sie eigentlich perfekt – so viel war ihr klar –, aber für diese einzigartige Gelegenheit reichte selbst das nicht aus.

Mein Herr Sargeras trifft ein! Endlich jemand, der es wert ist, mein Gemahl zu werden.

Keine Sekunde lang stellte Azshara ihren Glauben an den Dämonenlord in Frage. Sie, die von ihren Untertanen verehrt wurde, hatte im Anführer der Legion selbst ein Objekt der Verehrung gefunden.

Plötzlich erbebte der Palast … und das nicht zum ersten Mal. Die Königin wandte sich verärgert von ihrem Spiegelbild ab. »Vashj! Vashj! Wer ist verantwortlich für diesen furchtbaren Lärm?«

Ihre Zofe kam in den Raum. »Captain Varo’then meldet, dass es sich nur um den hoffnungslosen Versuch einiger Nichtsnutze handelt, die das Unvermeidliche aufhalten wollen, Licht der Lichter.«

»Und was unternimmt der gute Captain gegen diese Beleidigung meiner Ohren?«

»Lord Mannoroth hat ihm und seinen Mannen angemessene Reittiere zugewiesen. Der Captain ist bereits unterwegs, um mit den Missetätern abzurechnen.«

»Dann entwickelt sich also alles wie erwartet? Unser Herr wird pünktlich eintreffen?«

Lady Vashj verbeugte sich elegant. »Davon geht Lord Mannoroth aus. Die Nichtsnutze haben keine Waffen gegen den Zauber.«

»Sehr gut …« Die Königin bewunderte aufs Neue ihr Spiegelbild. Sie konnte ihre Schönheit nicht weiter steigern. Ihr Seidengewand floss bis auf den Marmorfußboden. Der durchscheinende Stoff zeigte mehr, als er verhüllte. Ihr glänzendes Haar war hoch gesteckt. Funkelnde Sternendiamanten – die von ihrem inneren Licht erhellt wurden – saßen darin.

Ein erneuter Schlag erschütterte den Palast; seine Ursache lag deutlich näher als zuletzt. Azshara hörte Schreie aus den Quartieren ihrer Zofen und bemerkte Risse in einer der Wände.

»Sieh nach, ob jemand verletzt wurde, Vashj«, befahl sie. Ihre Zofe wandte sich ab, um den Befehl zu erfüllen, aber die Königin hielt sie zurück. »Wenn das geschehen ist, enthebe die Verletzten ihrer Dienste und schicke sie zu ihren Familien zurück. Ich dulde nur Perfektion in meiner Nähe.«

»Ja, Licht der Lichter.«

Als Azshara erneut in den großen Wandspiegel blickte, hatten sich ihre Mundwinkel nach unten verzogen. Sie dachte an die Ankunft des Dämonenlords, und das Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück.

»Na also … das Warten hat bald ein Ende.« Sie betrachtete verträumt ihr Spiegelbild und versuchte sich die Welt vorzustellen, die sie und ihr Gemahl erschaffen würden. Eine Welt, so perfekt wie sie selbst.

Eine Welt, die ihrer würdig war.


Malfurion schüttelte den Kopf. Das Schwindelgefühl, das sich während Yseras unkontrolliertem Flug eingestellt hatte, verging. Es überraschte ihn, dass er überhaupt noch einen Kopf hatte, den er schütteln konnte. Denn mehr als einmal hatte sich der Druide nur noch mit den Händen an Ysera festgehalten, während unter ihm der Schlund des dunklen Mahlstroms gähnte.

»Was ist passiert?«, fragte er, ohne zu ahnen, dass Krasus bereits die gleiche Frage gestellt hatte.

Ysera gab ihm die gleiche Antwort, die schon Alexstrasza dem Magier gegeben hatte. Der Nachtelf lauschte ihr mit sinkender Hoffnung. Sie waren so weit gekommen und doch gescheitert.

Dann sah auch er die schrecklichen Ungeheuer, die sich aus der Stadt näherten. Malfurion bemerkte, dass Soldaten auf den Wesen saßen, die an schattenhafte Fledermäuse erinnerten. Zweifellos führte Captain Varo’then die Krieger an.

Nur einen Moment später entdeckte der Druide das vernarbte Gesicht des Offiziers. Varo’then hatte sein Schwert gezogen und rief den Soldaten etwas zu. Sofort spaltete sich die Gruppe in drei Teile, einer für jeden Drachenclan. Erst jetzt erkannte Malfurion, dass er die Anzahl der Bestien unterschätzt hatte. Auf jeden Drachen kamen mindestens drei Fledermäuse.

Alexstrasza verschwendete keine Zeit. Die rote Drachenkönigin blies einer der Bestien einen Feuersturm entgegen, doch er ging durch sie hindurch und verlor sich in der Ferne. Sogar der Soldat, der auf der Fledermaus saß, blieb unverletzt.

»Das ist unmöglich!«, stieß Malfurion hervor.

»Unmöglich … ja …« Yseras Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern. »Wir nehmen diese Feinde … falsch wahr.«

»Was heißt das?«

»Sie sind nicht das, was sie zu sein scheinen, noch sind sie da, wo wir sie glauben.«

Doch konnten Illusionen wirklich einen solchen Schaden anrichten? Zwei der Schattenkreaturen warfen sich Brox’ Drachen entgegen und zerrten an dessen Schwingen. Sie hinterließen blutige Risse in den harten Schuppen. Doch als der Bronzedrache versuchte, sich zu wehren, schlug er ins Nichts.

Ysera fiel ihnen ebenfalls zum Opfer. Mit den langen Krallen, die sich an den Flügeln befanden, riss eine der Bestien ihr den Hals auf. Ysera schnappte nach dem Flügel, traf aber nur Luft.

»Ich weiß, wo sie sein müssten«, knurrte Ysera ungeduldig. »Aber wenn ich sie angreifen will, sind sie nicht mehr länger dort.«

Eine Bestie konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf den Aspekt und auf Malfurion. Es war jene, auf der Captain Varo’then saß.

»Du schon wieder!«, zischte der vernarbte Nachtelf. »Du bist so tückisch wie dein Bruder. Ich habe sie vor ihm gewarnt! Ich wusste, dass man ihm nicht trauen kann.«

Malfurion hätte gerne gewusst, was er damit meinte, aber im gleichen Moment griffen der Captain und seine unselige Bestie an. Ein furchtbarer Gestank hüllte Malfurion ein. Sogar Ysera kräuselte die Nase. Der Gestank war so durchdringend dass der Druide glaubte, eine Faust habe ihn getroffen.

Der Captain lachte schadenfroh, dann griff er an. Seine Klinge wurde rasend schnell länger und schoss auf die ungeschützte Brust des Nachtelfen zu.

Malfurion wich zur rechten Seite aus. Er entging der Klinge, verlor jedoch beinahe den Halt. Mühsam hielt er sich fest, während Varo’then ein zweites Mal ausholte.

Ysera konnte nichts tun, denn die tintenschwarze Kreatur hüllte sie fast vollständig ein. Eine zweite Fledermaus schnappte nach ihren Hinterbeinen.

Malfurion dachte plötzlich an eine der Lektionen, die er von Cenarius gelernt hatte. Der Druide griff in eine seiner Gürteltaschen und zog ein kleines Samenkorn heraus. Im Gegensatz zu denen, die er schon öfter gegen die Brennende Legion verwendet hatte, waren die Dornen dieses Samenkorns zu klein, um Schaden anzurichten. Allerdings hefteten sie sich an alles, womit sie in Berührung kamen.

Er warf zwei Samenkörner nach oben und setzte einen Zauber ein, mit dem er sie zuerst verdoppelte, dann vervierfachte, verzehnfachte … bis Tausende über ihm schwebten. Sie hefteten sich jedoch nicht an die Drachen oder deren Reiter, denn das war nicht Malfurions Wunsch. Er wollte sie benutzen, um die Wahrheit über seine Gegner herauszufinden.

Die ersten flogen durch die Fledermäuse hindurch, aber andere hingen plötzlich in der Luft fest. Andere folgten ihnen. Schemen entstanden daraus, Schemen, die manches enthüllten.

Das war also das Geheimnis der Schattenfledermäuse. Die monströsen Reittiere konnten sich unsichtbar machen und beinahe ohne Zeitverlust an anderer Stelle auftauchen. Ein Kampf gegen sie war dank dieses Wissens zwar immer noch schwer, aber nicht mehr unmöglich.

Der bronzefarbene Drache, der zum Aspekt der Zeit gehörte, reagierte am schnellsten. Mit großer Genugtuung stürzte er sich auf eine Fledermaus, die unmittelbar vor ihm auftauchte. Seine Schnelligkeit und Brutalität überraschten Malfurion. Der Drache biss den Hals der Kreatur durch. Sie stürzte mitsamt ihres Reiters in die Tiefe.

»Verdammt!«

Malfurion hörte den Fluch und blickte über seine Schulter. Captain Varo’then hatte Yseras Rücken fast erreicht. Der vernarbte Nachtelfenoffizier stieß zu und verletzte den Druiden am Bein. Malfurion warf ihm das erstbeste Samenkorn aus seiner Tasche entgegen.

Sein Gegner nieste – ebenso wie sein fruchtbares Reittier. Ysera nutzte die kurze Ablenkung und warf sich gegen das Ungeheuer. Wie ein wildes Tier riss sie an ihm und biss in sein Fleisch. Sie kämpfte mit der gleichen Urgewalt wie ihr Gegner.

Aber die Schattenkreatur war nicht hilflos. Ihre Klauen waren so scharf wie die des Drachen, und ihre langen Fänge sahen aus, als könnten sie Schuppen durchdringen. Mit einem merkwürdig hohen Schrei griff die Fledermaus Ysera an.

Beide Reiter hielten sich verzweifelt fest. Malfurion versuchte sich auf einen Zauber zu konzentrieren, aber die heftigen Bewegungen des Drachen machten es unmöglich.

Ysera schlug mit dem Schwanz nach der zweiten Kreatur, die sich in der Nähe ihrer Hinterbeine befand: Ein Glückstreffer schleuderte das Wesen weit weg und verschaffte der Drachenkönigin eine Atempause. Einen Moment lang konnte sie sich ganz und gar auf den Kampf gegen Varo’thens Reittier konzentrieren.

Der Captain hatte sein Schwert weggesteckt und einen Dolch gezogen. Malfurion befürchtete, dass Varo’then wusste, wie man eine solche Klinge warf, deshalb duckte er sich. Der Offizier grinste düster. Trotz der Gefahr zeigte er sich geduldig.

Yseras Körper zuckte. Der Druide blickte nach unten und sah, dass die zweite Bestie zurückgekehrt war … und mit ihr eine dritte. Er rief dem Drachen eine Warnung zu.

Die Herrin der Träume brüllte wütend und brachte sich mit einem Flügelschlag außer Reichweite ihres Gegners. Diese unerwartete Reaktion überraschte Varo’then und sein Ungeheuer. Ysera nutzte die Gelegenheit, um sich auf ihren zweiten Angreifer zu stürzen. Sie zog die Schwingen zusammen und ließ sich auf die Fledermaus fallen, drückte sie und ihren Reiter nieder. Ihre Klauen zerfetzten samenbedeckte Flügel, ihre Zähne verbissen sich in einem breiten Nacken.

Das Ungeheuer krächzte einmal und starb. Ysera ließ den Kadaver fallen. Malfurion sah den Soldaten, der darauf gesessen hatte, nicht mehr. Wahrscheinlich war er bereits bei Yseras erstem Angriff zerquetscht worden.

Die Drachenkönigin flog höher, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Der Nachtelf blickte zu seinen Gefährten. Drei Fledermauskreaturen bedrängten Brox und den bronzefarbenen Drachen. Malfurion sah, wie der Orc seine Axt in die Schulter einer Kreatur schlug. Die verzauberte Waffe durchtrennte Knochen und Sehnen und trat auf der anderen Seite wieder aus.

Schwerfällig drehte das Ungeheuer ab. Es konnte sich kaum noch in der Luft halten. Der Drache ließ es jedoch nicht entkommen. Er atmete einmal aus … und der Reiter und sein Reittier verwandelten sich in Staub, der vom Wind über die dunklen Wasser geblasen wurde.

Aber nicht nur Fledermäuse waren im Kampf gefallen, auch die Drachen waren nicht verschont geblieben. Von den grünen Drachen hatten nur zwei überlebt, von den bronzenen fehlte einer. Einige der Überlebenden bluteten aus schweren Wunden, die sie entweder durch die Blitze oder durch die Fledermäuse erlitten hatten.

Doch das wahre Problem lag woanders, denn so lange sie gegen diese Feinde kämpften, konnten sie nichts gegen die Dämonenseele und das Portal tun. Die Ränder des riesigen Mahlstroms hatten bereits eine seltsam grüne Färbung angenommen, die an die Flammen der Brennenden Legion erinnerte.

»Die Dämonenseele!«, rief er. »Wir müssen etwas gegen sie unternehmen. Das Portal ist fast vollendet.«

»Ich bin für jeden Vorschlag dankbar, Sterblicher. Aber vergiss nicht, dass ich auch diese Ungeheuer los werden muss.«

Ein Feuerstoß erhellte einen Moment lang ihre Umgebung. Malfurion sah, wie eine brennende Fledermaus in den Brunnen stürzte. Direkt darüber flogen Alexstrasza und Krasus. Der Druide las die Handschrift des Magiers aus dieser Attacke. Früher oder später würden die Drachen ihre Feinde besiegen, aber es würde zu lange dauern. Außerdem wussten sie bereits, dass Yseras und Alexstraszas Macht nicht ausreichte, um die Schutzzauber der Scheibe zu durchbrechen. Sie mussten eine andere Möglichkeit finden. Aber welche?

Drachen und Fledermäuse zogen vorbei. Die Chancen standen besser als zuvor, aber sie konnten sich noch nicht ganz auf die Dämonenseele konzentrieren. Die Schattenkreaturen griffen die Drachen weiterhin an. Ein roter Drache, der bereits aus einigen Wunden blutete, starb bei dem Angriff der Kreaturen. Ein bronzefarbener Leviathan biss in den Flügel seines Angreifers, aber das Ungeheuer grub seine Fänge in seine Schulter. Rhonin und Krasus warfen weiterhin Zauber, während Brox seine Axt schwang.

Ein dunkler Schatten glitt durch die Luft. Malfurion dachte im ersten Moment, es handele sich um eine Fledermaus. Doch dann erkannte er, dass es ein Drache war. Er blickte zur Seite, sah dann aber wieder erschrocken hin.

Es war tatsächlich ein Drache … aber ein Drache, so schwarz wie die dämonischen Kreaturen, gegen die sie kämpften. Eisenplatten bedeckten seine Schuppen …

Deathwing!


Sie hatten geglaubt, sie könnten seine geliebte Schöpfung vor ihm verbergen. Sie hatten geglaubt, dass er sie nicht finden würde. Ihre Unverschämtheit ärgerte ihn. Sobald Neltharion seine Scheibe zurück erobert hatte, würde er sie alle strafen. Er würde eine wundervolle Welt erschaffen, in der nur Drachen lebten … nur Drachen, die seine Meinung vertraten.

Die Seele rief nach Neltharion, und er flog ihr über den Brunnen entgegen, ohne darauf zu achten, was um ihn herum geschah. Außer der Scheibe existierte nichts für den schwarzen Drachen.

Er flog an Ysera und Alexstrasza vorbei, sah aber nur kurz zu ihnen hinüber. Mit der Scheibe würde er sie besiegen und zu seinen Gefährtinnen machen. Ihre Macht würde die seine unterstützen, ganz wie es sein sollte.

Die Seele schwebte gelassen am Himmel, so als erwarte sie geduldig ihre Rettung. Neltharion verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Schon bald würden sie wieder vereint sein.

Dann schlug etwas mit solcher Wucht gegen den schwarzen Drachen, dass er mitten in den Kampf geschleudert wurde. Er prallte gegen eine Fledermaus und schickte ihren Reiter in den Tod. Neltharion brüllte seine Wut über den unerwarteten Angriff hinaus. Um seinem Ärger Luft zu machen, zerriss er eine Fledermaus. Doch es beruhigte ihn nicht, also richtete er seinen Blick wieder auf die Scheibe. Mit seinen feinen Sinnen suchte er nach den Schutzmechanismen, die ihn von seiner Schöpfung trennten.

Die Zauber, die er entdeckte, waren kompliziert, sehr kompliziert … und kamen ihm in manchen Aspekten bekannt vor. Doch Neltharion sah keine Verbindung zwischen den Stimmen in seinem Kopf und den Zaubern, vor denen er stand. Sogar als die Stimmen begannen, ihn von seiner Schöpfung wegzulocken, erkannte er nicht, dass man ihn manipuliert hatte.

Neltharion schüttelte den Kopf, um die Stimmen zu vertreiben. Wenn sie ihn davon abhalten wollten, die Scheibe an sich zu bringen, durfte er ihnen ebenso wenig vertrauen wie Alexstrasza und den anderen. Nichts außer der Scheibe war wichtig.

Der schwarze Drache jagte ihr erneut entgegen.

Doch auch dieses Mal wurde er zurückgeworfen wie ein lästiges Insekt. Der Drache kämpfte nicht nur gegen die Macht der Stimmen, sondern auch gegen die des Dämonenlords. Mit einem Schrei, in dem sich Wut und Schmerz vermischten, flog Neltharion an der Schlacht vorbei und konnte erst am Nordufer des Brunnens anhalten. Er kämpfte gegen seine Schmerzen an, während er das stürmische Zentrum betrachtete.

Er würde sich nicht noch einmal abweisen lassen. Er würde die Zauber, die seine Feinde gewoben hatten, durchstoßen. Die Scheibe würde wieder ihm gehören.

Und dann würde er mit allen abrechnen …


Die Brennende Legion stemmte sich gegen die überwältigende Macht der Drachen und der Armee. Verdammniswachen umschwärmten die Riesen und versuchten, sie mit ihren Lanzen zu treffen. Nathrezim und Eredar woben mächtige Zauber, mussten sich jedoch gleichzeitig der Drachen und der Mondgarde erwehren. Das bereitete ihnen so große Probleme, dass sie häufiger starben als mordeten. Die meisten fielen dem Feueratem der Drachen zum Opfer.

Doch Archimonde zeigte trotz allem keine Unsicherheit. Er wusste, dass das, was hier geschah, keine Bedeutung haben würde, wenn Lord Sargeras diese Welt betrat. Die Schlacht lenkte die Sterblichen und ihre Verbündeten nur ab. Archimonde wusste, dass er und Mannoroth bestraft würden, weil es ihnen nicht gelungen war, Kalimdor so auf ihren Herrn vorzubereiten, wie es sich gehörte. Doch das akzeptierte er. Wichtig war nur, dass die Schlacht noch eine Weile andauerte. Dass dabei noch mehr Teufelswachen und Eredar sterben würden, interessierte ihn nicht. Es gab so viele von ihnen. Die meisten warteten erst noch darauf, in Sargeras’ Gefolge die Welt zu betreten.

Doch das bedeutete nicht, dass Archimonde einfach nur zusah und abwartete. Bevor er seine Strafe erhielt, wollte er seine Wut an denen auslassen, die dafür gesorgt hatten. Der riesige Dämon hob die Hände und zeigte auf einen bronzefarbenen Drachen, der über der rechten Flanke der Legion schwebte. Der Drache war dabei, die Krieger unter sich systematisch abzuschlachten. Er grub sich durch ihre Reihen wie ein Maulwurf durch weiche Erde.

Archimonde machte eine kurze Handbewegung. Der entfernte Drache zitterte plötzlich … und dann wurde jede Schuppe aus seinem Körper gerissen. Blut spritzte durch die Luft, der gehäutete Gigant brüllte entsetzt und fiel zwischen seine Opfer. Dämonenkrieger stürzten sich auf den ungeschützten Leib und stachen auf ihn ein, bis er reglos liegen blieb.

Unzufrieden suchte Archimonde nach einem neuen Opfer. Er wünschte sich, der Nachtelf Malfurion Stormrage wäre bei der Armee. Der Druide hatte ihm bei ihrer letzten Begegnung einige Probleme bereitet, doch Archimonde spürte, dass er zum Brunnen geflogen war. Wenn Sargeras dort eintraf, stand dem Druiden ein Schicksal bevor, das weit schlimmer als der Tod war.

Aber es gab andere, an denen Archimonde sich austoben konnte. Mit reglosem Gesicht wandte er sich einer Gruppe Bullenmänner zu, die man wohl Tauren nannte. Er konnte sie sich gut als Teil der Brennenden Legion vorstellen, doch das war etwas, was diese Gruppe nicht mehr erleben würde … so wie sie auch das Ende ihrer Welt versäumen würde …


Sie gewannen … sie gewannen …

Die Drachen hatten dafür gesorgt, das wusste Jarod. Ohne sie wäre die Armee gefallen. Die Dämonen standen jetzt der einzigen Macht gegenüber, die sie nicht besiegen konnten. Einige Drachen waren zwar gefallen – der letzte auf wahrlich entsetzliche Weise –, aber die Armee gewann an Boden, und unter den Dämonen brach immer größere Panik aus.

Trotzdem machte er sich Sorgen. Das Chaos in den Dämonenreihen war zwar dieses Mal kein Trick, aber irgendwie hatte er mehr von Archimonde erwartet. Irgendeinen klugen Schachzug. Doch Archimonde schien die Armee nur hinhalten zu wollen, so als erwarte er etwas …

Der Nachtelf schalt sich einen Narren. Natürlich erwartete Archimonde etwas … beziehungsweise jemanden.

Seinen Herrn Sargeras!

Aber wenn der Erzdämon davon ausging, dass der Dämonenlord bald eintreffen würde, was sagte das dann über die Mission derjenigen aus, die das Portal hatten verschließen wollen?

Für einen Moment verlor Jarod die Nerven, aber dann verhärtete sich sein Gesicht, und er kämpfte mit größerem Eifer als je zuvor. Sollten sie doch noch verlieren, dann nicht durch seine Schuld. Sein Volk – seine Welt – war verloren, wenn die Armee jetzt aufgab. Jarod hoffte nur, dass es Krasus, Malfurion und den anderen doch noch gelang, ihre Aufgabe zu erfüllen.

Über ihm kreisten die Drachen. Sie suchten nach Feinden und unterstützten die Armee dort, wo es am nötigsten war. Rechts neben dem Kommandanten kämpften sich Irdene durch die demoralisierten Teufelswachen. Ein Furbolg schlug einer Teufelsbestie den Schädel ein.

Es sieht hoffnungsvoll aus, dachte Jarod, obwohl er wusste, dass diese Hoffnung trügerisch war. Eine Gruppe Tauren kreuzte in einiger Entfernung Klingen mit dem Feind. Sie wurden von Priesterinnen der Elune begleitet. Jarod sah, dass seine Schwester sie anführte. Es überraschte ihn nicht, dass sie sich an der Front aufhielt. Er machte sich zwar insgeheim Sorgen um sie, aber sie würde sich nicht zurückziehen. Er hatte den Eindruck, dass sich Maiev vor den anderen Priesterinnen beweisen wollte, wahrscheinlich um die nächste Hohepriesterin zu werden. Ob ein solcher Ehrgeiz in der Schwesternschaft angebracht war, konnte auch Jarod nicht sagen, aber Maiev war nun einmal Maiev.

Der Kommandant, der an diesem Tag bereits auf dem dritten Nachtsäbler saß, erstach einen Dämonenkrieger. Seine Rüstung hing zerfetzt an seinem Körper, so viele Schläge der Gegner hatte sie bereits abgewehrt. Ein halbes Dutzend Wunden bedeckte seinen Körper, aber wie durch ein Wunder war keine lebensbedrohlich oder auch nur behindernd. Jarod würde sich nach der Schlacht ausruhen … oder im Tod.

Plötzlich hörte er die Tauren schreien. Entsetzt beobachtete der Nachtelf, wie einige von ihnen zu brennen begannen, als habe sie jemand mit Säure überschüttet. Ihre Haare verkohlten, und ihr Fleisch fiel vom Körper.

Die Priesterinnen versuchten ihnen zu helfen, aber die Teufelswachen warfen sich auf die ersten Reiterinnen. Es interessierte die Dämonen nicht, ob sie einem Mann oder einer Frau gegenüber standen. Sie töteten Tauren und Priesterinnen mit der gleichen dunklen Lust.

Jarod wusste, dass er auf seiner Position bleiben sollte, aber Maiev war seine einzige Verwandte. Er stand ihr näher, als er es zeigte. Er überzeugte sich kurz davon, dass seine Soldaten auch ohne ihn zurecht kommen würden, dann wendete er sein Reittier und ritt dem furchtbaren Spektakel entgegen.

Einige Tauren standen noch aufrecht. Sie waren schwer verletzt, kämpften aber weiter. Sie und die überlebenden Priesterinnen waren von Dämonen umzingelt. Jarod hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke überwunden, da fielen auch schon zwei weitere Tauren.

Dann rutschte Maiev aus. Eine Teufelswache schlug nach ihr. Sie wehrte den Angriff knapp ab.

Mit einem wütenden Schrei ritt Jarod mitten in den Kampf hinein. Seine Katze tötete den Dämon, der seine Schwester angegriffen hatte. Ein zweiter Dämon schlug nach ihm, traf jedoch das Tier an der Schulter. Jarod durchbohrte die Kehle seines Gegners mit dem Schwert.

Die Dämonen konzentrierten sich plötzlich auf Jarod. Zu seiner Verwunderung schienen sie zu wissen, wer er war, denn sie zeigten eine unerwartete Entschlossenheit. Sie ignorierten alle anderen Ziele, um ihn zu attackieren.

Sein Nachtsäbler tötete zwei weitere Angreifer, wurde aber von ihren Lanzen schwer getroffen. Zu Fuß war Jarod gegenüber den großen Dämonen im Nachteil, aber er hatte keine andere Wahl. Drei Lanzenstöße töteten den Nachtsäbler, und Jarod konnte gerade noch rechtzeitig abspringen. Sonst wäre er unter dem Kadaver begraben worden.

Er landete geduckt neben seiner Schwester, die jetzt erst erkannte, wer ihr Retter war.

»Jarod! Du hättest nicht herkommen sollen. Sie brauchen dich doch!«

»Hör endlich auf, mich herumzukommandieren! Los, stell dich hinter mich!« Er riss seine Schwester zurück und stellte sich zwei gehörnten Kriegern, die auf ihn zukamen. Jarod Shadowsong hatte bisher zwar Glück gehabt, aber er wusste, dass er mit seinem kleinen Schwert keine Chance gegen deren riesige Klingen hatte.

Er bereitete sich auf seine letzte Schlacht vor, doch dann ertönten Kriegshörner. Soldaten und Tauren rannten ihm entgegen. Huln warf sich auf die beiden Krieger, köpfte den einen und durchbohrte die Brust des anderen, bevor sie begriffen, wie ihnen geschah. Eine Gestalt, die eine Kapuze trug, ritt an ihm vorbei. Erst spät erkannte Jarod, dass es sich um Lord Blackforest handelte.

Es gab nur eine Erklärung für ihr plötzliches Auftauchen. Sie hatten gesehen, dass Jarod um sein Leben kämpfte … und sie glaubten so sehr an ihn, dass sie bereit waren, ihm zu helfen.

Die Verstärkung warf die Dämonen zurück und verschaffte Jarod und Maiev ein wenig Zeit. Er zog sie weiter von dem tobenden Kampf weg. Die anderen Priesterinnen folgten ihnen.

Jarod führte seine Schwester zu einem Fels. Sie setzte sich und sah ihn nachdenklich an.

»Jarod …«, begann sie.

»Du kannst mich später zurechtweisen«, unterbrach er sie. »Ich werde nicht einfach zusehen, während die, die mir geholfen haben, den Feind in meinem Namen bekämpfen.«

»Ich wollte dich nicht zurechtweisen …« Weiter kam die Priesterin nicht, denn er war bereits außer Hörweite. Seine Schwester war fürs erste in Sicherheit, jetzt musste Jarod sich um seine Kameraden kümmern. Sogar Blackforest, einer der höchsten Adligen, kämpfte mit aller Kraft. Er und seine Leute hatten aus Lord Stareyes Fehlern gelernt. Dies war eine Schlacht um Leben und Tod, kein Spiel zur Unterhaltung der höchsten Kasten.

Jarod trat neben Huln und tötete einen Dämon, der den Tauren von der Seite angreifen wollte. Huln bemerkte sein Einschreiten und schnaubte dankbar.

»Ich werde deinen Namen in meinen Speer ritzen«, knurrte er. »Die Generationen, die mir nachfolgen, werden dich ehren.«

»Wenn ich das hier überlebe, ist es mir Ehre genug.«

»Ha! Welche Weisheit in einem so jungen Kopf.«

Ein weiblicher Drache aus Alexstraszas Clan flog über die Menge und löschte mit seinem roten Feuerstoß zahlreiche grüne Dämonenflammen. Das half Jarod und seinen Kameraden erst einmal. Der Kommandant atmete erleichtert auf.

Doch nur eine Sekunde später wurde der Drache über die Linien der Nachtelfen geschleudert. Seine Brust war voller dampfender, aufgerissener Schuppen und heraushängender Organe. Die Erde dröhnte, als er aufschlug. Jarod genügte ein Blick, um zu wissen, dass dieser Drache nie wieder fliegen würde.

Unmittelbar hinter dem Roten wurde auch ein Dutzend brennender Soldaten zurückgeschleudert. Dämonen fielen, als interessiere es den Angreifer nicht, wer ihm auf seinem Vorwärtsstreben zum Opfer fiel.

Huln stellte sich schützend vor Jarod. »Das ist keine Höllenkreatur und auch kein Eredar. Ich glaube, du …«

Eine starke Sturmböe warf die Krieger beider Seiten zu Boden. Sogar Blackthorne und sein Nachtsäbler fielen. Huln blieb einen Moment länger aufrecht, aber nicht einmal die Sturheit des Tauren konnte sich gegen den Sturm behaupten. Er wurde hoch in die Luft gerissen, während er wütend nach dem Wind schlug. Er verschwand in der Ferne.

Aber Jarod Shadowsong spürte nichts von diesem Sturm, nicht einmal eine leichte Brise.

Und so stand er allein da, als ein Gigant aus dem Staub hervortrat, den der Wind aufgewirbelt hatte. Auf seiner dunklen Haut befanden sich komplizierte Tätowierungen. Sogar der ungeübte Jarod spürte die dunkle Macht, die von ihnen ausging.

»Ja …«, sagte der Dämon, während er den Nachtelf betrachtete. »Wenn ich schon den Druiden nicht haben kann, werde ich mich eben mit dem vergnügen, den man lächerlicherweise als die große Hoffnung dieser Armee bezeichnet.«

Jarod hob seine Klinge, obwohl er wusste, dass er keine Chance gegen diesen Gegner hatte. Trotzdem wollte er sich nicht in das Unvermeidliche ergeben. »Ich erwarte dich, Archimonde.«

Der Erzdämon lachte.

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