15

Die Dämonenseele strahlte hell über dem Brunnen der Ewigkeit. In dem Weltenriss, den Sargeras durch einen Zauber erschaffen hatte, brannten die Kräfte der Dämonenseele und der Quelle. Gemeinsam begannen sie ein stabiles Portal zu errichten. In seinem monströsen Reich wartete der Herr der Legion auf den Zeitpunkt, da er seine jüngste Eroberung endlich betreten würde. Bald, sehr bald schon würde er alles Leben darauf auslöschen … und dann zur nächsten Welt weiterziehen.

Doch es gab noch andere, die warteten, und ihre düsteren Träume waren weit älter als die des Dämonenlords. Schon endlos lange warteten sie auf eine Gelegenheit zur Flucht, auf eine Gelegenheit, wieder das an sich zu reißen, was ihnen einst gehört hatte. Jeder Schritt, der Sargeras dem Portal näher brachte, brachte auch sie ihrem Erfolg näher. Dank des Brunnens, dank der Dämonenseele und der Macht der Legion würde es ihnen gelingen, das Tor ihres ewigen Gefängnisses aufzustoßen.

Und war es einmal geöffnet, würde es niemand mehr verschließen können.

Die Drei warteten. Das hatten sie schon so lange getan, dass ein klein wenig länger sie nicht störte.

Ein klein wenig länger …


Archimonde, der wusste, dass Sargeras’ Ankunft unmittelbar bevorstand, warf all seine Kräfte in die Schlacht. Er zog Dämonen von allen anderen Positionen ab und verstärkte mit ihnen seine Horde. Der Kampf auf diesem Schlachtfeld würde über das Schicksal der Welt entscheiden.

Die Armee der Verteidiger kämpfte, weil sie keine andere Wahl hatte. Nachtelfen, Tauren und die anderen Völker wussten, dass eine Niederlage den Tod bedeutete. Vielleicht würden sie fallen, aber nicht, ohne nicht alles gegeben zu haben, um zu siegen.


Malfurion kämpfte darum, seinen Beitrag zu leisten. Seine Zauber beschworen Wirbelstürme, die Krieger und Bestien in tödliche Höhen trugen und von dort herabfallen ließen. Samenkörner, die er in diese Winde warf, gelangten in Dämonenbäuche, wuchsen blitzschnell heran und rissen ihre Opfer auseinander. Die Leichen regneten auf die Überlebenden herab und verursachten nur noch mehr Chaos.

Tief im Boden entdeckte Malfurion jene – Würmer und ähnliches Getier –, die sich bisher vor dem Bösen versteckt hatten. Unter seiner Anleitung fraßen sie sich ins Erdreich hinein und verwandelten es in Treibsand. Krieger versanken darin, andere saßen darin fest, bis sie von den Klingen und Pfeilen der Verteidiger durchbohrt wurden.

Den Himmel hielten die Dämonen noch, doch dafür bezahlten sie einen hohen Preis. Jarods Bogenschützen konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Verdammniswachen. Pfeile bohrten sich in die Körper der Dämonen, während diese von oben auf die Soldaten einstachen.

Die Mondgarde kämpfte tapfer gegen die Eredar, die Höllenkreaturen und die furchtbaren Schreckenslords. Dabei wurden die Nachtelfen nicht nur von Rhonin und Krasus unterstützt, sondern auch von den Schamanen der Tauren und Furbolgs. Die Zauber der Schamanen sahen zwar nicht spektakulär aus, aber die Resultate sprachen für sich, denn Hexenmeister fielen um, wenn sie von ihnen getroffen wurden … oder verschwanden einfach. Doch für jeden gefallenen Dämon tauchte ein neuer auf.

Brox stand zusammen mit Jarod und Kalimdors legendären Wächtern in vorderster Reihe. Er lachte, wie er es seit dem Tag nicht mehr getan hatte, an dem er und seine Kameraden mit einem glorreichen Tod in der Schlacht gerechnet hatten. Der ergraute Krieger ging fest davon aus, bald zu sterben. Seine magische Axt indes fraß sich durch die Reihen der Dämonen, als giere sie nach ihrem Fleisch. Doch es war nicht nur die Magie, die für einen Sieg nach dem anderen sorgte, sondern auch das Können, mit dem der Orc sie einsetzte. Brox war ein Meister seiner Kunst. Deshalb hatte ihn sein Kriegshäuptling Thrall ja ausgewählt.

Ein Rudel Teufelsbestien überraschte einen der Bären. Sie sprangen ihn an und warfen den Riesen zu Boden. Der Halbgott hatte den Boden noch nicht erreicht, da kam auch schon ein zweites Rudel hinzu. Ihre Tentakel sogen sich sofort an seinem Körper fest und tranken gierig seine Magie. Und damit auch seine Lebenskraft.

Der Zwillingsbruder des Gestürzten schrie wütend auf, als er bemerkte, was geschah. Er stieß eine Teufelswache zur Seite und warf sich auf die Dämonenhunde. Einen nach dem anderen riss er vom reglosen Körper seines Bruders. Er zerschmetterte ihre Schädel und ihr Rückgrat.

Doch als er seinen Zwillingsbruder schließlich frei gelegt hatte, musste er erkennen, dass er zu spät gekommen war.

Der Waldgott hob den Kopf und schrie seinen Schmerz hinaus. Dann wandte er sich den Dämonen zu und zerfetzte ihre Reihen, als bestünden sie aus Papier. Lanzen und andere Waffen stachen nach ihm, aber er ignorierte den Schmerz und drang tiefer in die Reihen der Brennenden Legion vor. Seine Kameraden blieben zurück, konnten ihn nach einer Weile noch nicht einmal mehr sehen. Brox und Jarod hörten sein letztes, wütendes Gebrüll … und die Stille, die darauf folgte.

Leichen bedeckten den Boden so weit das Auge reichte. Ab und zu bekämpften sich Gegner sogar, während sie auf den Körpern von Gefallenen standen. Halbgötter fochten neben Nachtelfen, Nachtelfen neben Tauren und die wiederum neben Furbolgs, Irdenen und anderen. Sie alle zeigten den gleichen grimmigen Gesichtsausdruck.

Cenarius führte die epischen Wächter Kalimdors immer noch an. Er warf sich den Dämonen mit einer Brutalität entgegen, die sogar Rhonin und Krasus schockierte. Seine Gliedmaßen rissen Dämonenbäuche auf und verteilten Eingeweide über das Schlachtfeld. Der Herr des Waldes kämpfte wie ein Besessener, und mit jedem besiegten Wächter wurde er gewalttätiger und wilder. Er schien jeden Gefallenen rächen zu wollen, ganz gleich um welchen Preis.

Und sie fielen weiter. Teufelswächter hingen wie Hunde an ihrer Beute, dem großen Eber Agamaggan, der ihnen schließlich unterlag. Zwar rammte er die Dämonen, schleuderte sie in die Lüfte oder zermalmte sie unter seinen Hufen. Aber nach einer Weile wurde das Gewicht zu groß, und er brach in die Knie. Sofort stürzten sich seine Widersacher auf den ungeschützten Bauch. Der gewaltige Halbgott konnte einige der Dämonen, die an ihm zerrten, abschütteln, doch das war seine letzte Tat. Blut quoll aus Hunderten tiefer Schnittwunden. Er grunzte noch einmal und sackte leblos dann zusammen.

Doch auch jetzt ließen seine Feinde nicht von ihm ab. Die Dämonen waren so besessen in ihrer Blutgier, dass sie den Tod ihres Opfers nicht bemerkten.

Das Ende des Ebers spornte Cenarius nur noch mehr an. Er fiel über die Dämonen her, die immer noch auf den Toten einschlugen, zerquetschte sie oder spießte sie in seiner dornigen Mähne auf. Seine Wut war so groß, dass sich die Angriffe der Brennenden Legion auf ihn zu konzentrieren begannen. Archimondes unsichtbare Hand führte die mächtigsten seiner Dämonen dem Waldgott entgegen.

Krasus und die anderen kämpften um ihr eigenes Leben und konnten ihm nicht helfen. Die schrecklichen Krieger umrundeten Malfurions Mentor, bis kaum noch sein Geweih zu sehen waren.

Dann, als sein Ende nahe schien, kehrte der weiße Blitz zurück, den Rhonin schon zuvor bemerkt hatte. Eine gewaltige vierbeinige Gestalt prallte mit den Dämonen zusammen. Ein Geweih, das um einiges größer als das des Waldgottes war, fegte die Dämonen beiseite, die den taumelnden Cenarius belagerten. Riesige Hufe zerschmetterten Schädel und Brustkörbe. Zähne bissen Gliedmaßen ab oder zerfetzten Kehlen.

Jetzt erst konnte man das gewaltige Wesen erkennen. Über dem geschwächten Cenarius stand ein weißer Hirsch, der die Dämonen von ihm fern hielt. Sein Fell glänzte so stark, dass die Diener der Brennenden Legion geblendet wurden und sich kaum noch wehrten.

Immer wieder benutzte der Hirsch sein Geweih, um Dämonen zur Seite zu schaufeln. Selbst Höllenkreaturen konnten ihn nicht aufhalten. Er vertrieb die Brennende Legion nicht nur aus dem Gebiet rund um den Waldgott, sondern in einem sehr viel größeren Umkreis.

Dann starrte der Hirsch Brox und Jarod an. Es fiel kein Wort zwischen ihnen, aber die beiden wussten plötzlich, dass sie Cenarius vom Schlachtfeld schaffen sollten. Das taten sie, während die Dämonen sich zu einem neuen Angriff formierten. Doch gegen den Hirsch waren sie chancenlos. Reihenweise stürzten sie sich ihm mit erhobenen Waffen entgegen, reihenweise wurden sie in Stücke gerissen.

Doch der Legion standen nicht nur Klingen zur Verfügung, sondern auch andere, schrecklichere Werkzeuge. Ein schwarzer Blitz schoss plötzlich aus dem Himmel und verbrannte den Boden rund um den Hirsch. Dunkelgrüne Feuer brachen aus und verbrannten das Fell des Halbgotts. Die verkohlte Erde hob sich und bildete Klauenhände, die alle vier Beine des Hirsches umklammerten.

Dann teilten sich die Reihen der Dämonen und ließen den Verursacher der Zauber durch.

Archimonde.

Mit jedem Schritt, den Archimonde auf den Hirsch zuging, schien er größer zu werden, bis er fast die Größe seines Gegners erreicht hatte. Im Gegensatz zu seinen wilden Kriegern verhielt er sich ruhig, beinahe schon wissenschaftlich kalt. Er trug keine Waffen, aber um seine geballten Fäuste tanzte das gleiche Feuer, das rund um den Hirsch loderte.

Der Halbgott schüttelte den Griff der Erdklauen ab. Dann schnaubte er angriffslustig, neigte das Geweih und stürzte sich auf den Erzdämon.

Mit einem Donnerschlag und einem Erdbeben, das ringsum Krieger zu Boden warf, prallten die Gegner aufeinander. Dämonen und Nachtelfen flohen vor der furchtbaren Kraft, die in diesem Duell entfesselt wurde. Die Hufe des Hirsches trafen den Boden und versprühten Funken bis in den Himmel. Archimonde stemmte sich mit seinen Füßen dagegen. Er hinterließ Furchen und neu erschaffene Hügel, die größer als seine Krieger waren.

Die Klauen des Dämons fügten dem Fell des Hirsches blutige Narben bei. Wunden, aus denen grünes Feuer tropfte, entstanden dort, wo das Geweih des Halbgottes die unverletzlich wirkende Haut des Erzdämons aufriss. Kein lebendes Wesen wagte es, sich diesen Gegnern zu nähern.

Weiter hinten brachten Jarod und Brox mit Dungards Hilfe den verletzten Cenarius zu Krasus. Der Magier brach seinen Angriff gegen die Eredar ab und untersuchte den Waldgott.

»Er hat einige tiefe Wunden«, murmelte Dungard und zog seine Pfeife hervor.

»Er ist schwer verletzt«, stimmte der Magier zu, als er seine Hand über Cenarius’ Brust gleiten ließ. »Das Gift der Dämonen beeinträchtigt ihn stärker als andere, wahrscheinlich, weil er und Kalimdor so eng miteinander verbunden sind.« Krasus verzog das Gesicht. »Aber ich glaube, dass er überleben wird.«

Im gleichen Moment murmelte der Halbgott etwas. Nur Krasus war ihm nahe genug, um seine Worte zu verstehen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Trauer ab, als er wieder aufsah.

»Was hat er gesagt?«, fragte Jarod.

Krasus wollte antworten, aber ein furchtbarer Schrei unterbrach ihn. Gleichzeitig drehten sich alle zu seinem Ursprung um. Entsetzt sahen sie, dass Archimonde einen Arm um den Hals des Hirsches gelegt hatte. Mit der freien Hand drehte er dessen Kopf zur Seite. Der Winkel konnte kaum noch zu ertragen sein, deshalb hatte der Hirsch wohl auch geschrien.

Krasus kam auf die Beine. »Nein, das darf nicht sein!«

Aber es war bereits zu spät. Mit versteinerter Miene presste der Dämon seine Hand stärker gegen den Kopf des Halbgotts.

Ein furchtbares Krachen hallte über die Landschaft. Für einen Augenblick verstummte jeder andere Laut.

Cenarius’ mutiger Retter rutschte leblos aus Archimondes Griff.

Beinahe gleichgültig warf der Erzdämon seinen Gegner zur Seite. Dann wischte er sich die Hände ab und betrachtete die entsetzten Kämpfer.

Plötzlich wuchsen Ranken aus der leblosen Erde, legten sich um Archimondes Gliedmaßen und drückten zu. Unbeeindruckt riss der Dämon einige aus dem Boden, aber als er sie zur Seite werfen wollte, legten sie sich um sein Handgelenk. Gleichzeitig wuchsen andere aus der Erde und ersetzten die abgerissenen.

Malfurion Stormrage trat vor. Die Augen, mit denen er den entfernt stehenden Dämon betrachtete, waren so tot wie an dem Tag, als Tyrande entführt worden war. Eine knisternde Aura umgab ihn, und er drehte ständig ein Blatt zwischen den Fingern, das zu den Ranken gepasst hätte.

Archimondes Miene blieb maskenhaft starr, aber seine Bewegungen wurden nervöser. Die Ranken hüllten bereits drei Viertel seines gewaltigen Körpers ein, und der Rest würde ihnen schon bald zum Opfer fallen.

Der Erzdämon schien das zu erkennen, denn er gab seine Versuche, die Pflanzen zu entfernen, auf. Statt dessen verengten sich seine Augen. Er befreite seine Arme weit genug, um in die Hände klatschen zu können.

Als seine Handflächen einander berührten, verschwand der entsetzliche Kommandant der Brennenden Legion in einem grünen Flammenstoß.

Malfurion stieß die Luft aus. Er sank auf die Knie und schüttelte den Kopf.

»Ich habe versagt«, sagte er, während Brox und der Magier neben ihm standen. »Ich habe meinen Shan’do in seiner schwersten Stunde enttäuscht.«

Der Orc und der Mensch sahen Krasus an, hofften wohl auf eine Antwort von ihm. Der Magier presste die Lippen zusammen, dann sagte er ruhig: »Der große grüne Drache, der Aspekt, der sich Ysera nennt, ist die Mutter von Cenarius, dem Herrn des Waldes.«

Dungard, der an seiner Pfeife gezogen hatte, runzelte die Stirn und sagte: »Mein Volk glaubte immer, es sei Elune gewesen, die ihm das Leben schenkte.«

»Die wahre Geschichte ist sehr kompliziert«, entgegnete Krasus.

Brox schwieg. Er spürte, dass das noch nicht das Ende der Erklärung war.

»Sein Vater …«, fuhr der Magier fort, »sein Vater ist der uralte Waldgeist Malorne.«

Nach einem Moment fragte der Orc. »Und das bedeutet?«

»Malorne … den man auch den Weißen Hirsch nennt.«

Dungard ließ beinahe seine Pfeife fallen. Brox zog scharf die Luft ein. Er blickte zu der gewaltigen Leiche des Hirsches, die zwischen all den anderen Toten lag. Der Vater hatte sein Leben gegeben, um den Sohn zu retten. Jeder Orc konnte das verstehen.

»Ich habe versagt …«, wiederholte Malfurion. Er stand auf und sah Krasus an. »Von dir habe ich erfahren, dass Ysera die Mutter meines Shan’do ist. Das war eine Überraschung, aber von Malorne wusste ich bereits. Cenarius ließ mich während meiner Studien wissen, dass er ein Sohn des Weißen Hirsches sei.« Der Nachtelf ballte die Hände zu Fäusten. »Und als ich sah, was Archimonde dem Vater von Cenarius antat, der wie ein Vater für mich ist, wollte ich ihm das Leben nehmen.«

Krasus legte dem Druiden die Hand auf die Schulter. »Hab Zuversicht, junger Freund. Du hast Archimonde erst einmal in die Flucht geschlagen, das ist keine Kleinigkeit.« Die Augen des Magiers verengten sich, als er über das Schlachtfeld blickte. »Dadurch gewinnen wir Zeit.«

Malfurion schüttelte seine Trauer ab. »Wir werden verlieren, nicht wahr?«

»Das befürchte ich. Wir haben den Dämonen alles entgegen geworfen, was wir haben, aber sie sind einfach zu stark. Ich war mir sicher … hatte geglaubt …« Er spie seine Worte förmlich aus. »Ich habe die Zeit manipuliert, trotz meiner eigenen Warnungen alles getan, um zu helfen … aber heraus gekommen sind nur Fehlschläge.«

»Ich verstehe nicht …«

»Du musst auch nur Folgendes verstehen: Wenn die Drachen nicht bald kommen, werden wir sterben, entweder durch die Klingen der Brennenden Legion oder durch etwas Uraltes, das selbst den furchtbaren Sargeras täuscht. Du weißt, wovon ich rede. Du hast die schreckliche Präsenz der Drei gespürt. Du weißt, was sie dieser Welt antun wollen. Sie …«

Krasus schrie.

»Was …«, begann der Druide.

Krasus krümmte sich zusammen. Seine Gliedmaßen begannen sich in Stein zu verwandeln.

»Eredar!«, rief Malfurion. Er spürte, wie sich seine eigenen Gliedmaßen zusammen krampften. Ihm drohte das gleiche Schicksal wie dem Magier. »Brox, du musst Rhonin suchen.«

Aber dem Orc ging es nicht besser als dem Nachtelf. Archimonde war vielleicht geflohen, aber allen war klar, dass er hinter diesem Zauber steckte, der sich nur gegen sie drei richtete. Der Kommandant wusste, dass Krasus und seine Gruppe die letzte Hürde waren, die zwischen der Brennenden Legion und deren Sieg stand. Sogar Jarod war Opfer des Zaubers geworden.

Sie alle spürten, wie der Stein begann, auf ihre Lungen zu drücken und den letzten Rest Luft herauspresste. Plötzlich hörten sie eine weibliche Stimme in ihren Köpfen. Habt keine Angst, sagte sie. Atmet.

Erleichtert zogen Krasus, Malfurion, Brox und Jarod frische Luft in ihre Lungen. Sie spürten, wie Wind aufkam und sahen einen gewaltigen Schatten über die Landschaft streichen.

»Sie ist gekommen!«, rief Krasus. Er hob die Hände zum Himmel. »Sie sind gekommen!«

Der Himmel war voller Drachen.

Rote, grüne und bronzefarbene waren zu sehen. Sie repräsentierten die Clans von Alexstrasza, Ysera und dem abwesenden Nozdormu. Die beiden Aspekte standen in ihrem Mittelpunkt. Allein ihre Schwingen waren schon größer als die meisten anderen Drachen.

Gleichzeitig schossen die fliegenden Riesen den Dämonen entgegen, die sich noch auf ihre Gegner am Boden konzentrierten.

»Jarod!«, rief Krasus und wandte sich dem Kommandanten zu. »Die Hörner sollen erklingen, damit jeder weiß, auf welcher Seite die Drachen stehen. Wir können den Sieg doch noch davontragen!«

Jarod stieg auf den erstbesten Nachtsäbler und ritt davon. Er war noch nicht ganz in der Entfernung verschwunden, als die Drachen bereits mit ihrem Angriff begannen.

Die Roten öffneten die Mäuler und entfesselten ein Inferno. Feuer hüllte die ersten Reihen der Krieger ein. Hunderte Dämonen verbrannten in einem einzigen Sekundenbruchteil zu Asche.

Die Bronzedrachen flogen über die Dämonenreihen hinweg und zwangen die monströsen Krieger, sich rückwärts zu bewegen. Für sie hatte sich die Zeit umgedreht, jedoch nicht für jene, die hinter ihnen standen. Der gewaltige Zusammenstoß der Kriegsführenden brachte Chaos und Vernichtung über Archimondes Streitkräfte.

Einer der bronzenen Drachen fiel – sein Körper war so verdreht, dass er kaum noch zu erkennen war. Er war ein Opfer der Eredar und Nathrezim geworden, die versuchten, diesen unerwarteten Angriff aufzuhalten. Aber ihre Zauber wandten sich gegen sie selbst, als Yseras Clan über ihnen auftauchte. Mit geschlossenen Augen pflanzten die Grünen Alpträume in die Köpfe der Zauberer. Hexenmeister blickten einander an und sahen doch nur den Feind.

Dementsprechend reagierten sie auch. Eredar brachte Eredar um, und die Nathrezim schlossen sich dem Gemetzel an. Die Dämonen waren in den düsteren Tagträumen der grünen Drachen gefangen. Selbst Archimonde konnte sie daraus nicht befreien.

Weiter hinter dem Chaos stieg Alexstrasza aus dem Himmel herab und gesellte sich zu Krasus und den anderen. Ysera schien das Gleiche tun zu wollen, aber plötzlich und zur Überraschung aller, die sie kannten, öffneten sich ihre Augen und betrachteten das furchtbare Bild, das sich auf dem Schlachtfeld bot. Dunkle Jadeaugen richteten sich auf den Leichnam des weißen Hirsches.

Auf Malornes Leichnam.

Der Drache stieß einen Klagelaut aus – keinen Schrei, sondern ein herzzerreißendes Jammern – und flog zu der Stelle, wo der weiße Hirsch lag. Die Dämonen, die sich noch in der Nähe aufhielten, wurden von ihrer Wut hinweg gefegt. Ysera warf einige durch die Luft, zerquetschte andere und wehte den Rest mit einem Flügelschlag von dannen.

Als es niemanden mehr gab, an dem sie ihre Wut hätte auslassen können, landete die Herrin der Träume neben dem Hirsch und legte ihr Kinn auf seinen Kopf. Ihr Körper zitterte, so heftig schluchzte sie.

»Wir wussten, dass wir spät kommen würden«, sagte Alexstrasza, während sie den anderen Aspekt mitfühlend betrachtete. »Aber nicht, dass es so spät sein sollte.«

»Cenarius lebt«, erklärte Krasus. »Das sollte ihr jemand sagen.«

Die Königin des Lebens nickte und schloss einen Moment lang die Augen. Nur Sekunden später hob Ysera den Kopf und sah zu ihr herüber. Die stumme Unterhaltung dauerte nicht lange, dann verließ Ysera Malornes Leichnam.

Die anderen wichen zurück, als sie neben dem bewusstlosen Cenarius landete. Mit bemerkenswerter Sanftheit nahm sie den reglosen Waldgott in die Arme.

»Ich werde ihnen solche Alpträume schicken, dass ihre Herzen – sollten sie welche besitzen – explodieren«, zischte sie. »Ich werde ihnen Dämonen schicken, die sie in den Wahnsinn treiben, bis sie sich den Tod wünschen … aber ich werde sie nicht aufwachen lassen und ihnen diese Gnade nicht gewähren.«

Sie wollte weiter sprechen, aber Krasus wagte es, sie zu unterbrechen. »Die Legion hat jede Strafe verdient, die du ihren Kriegern angedeihen lassen willst, aber vergiss nicht, dass das Schicksal Kalimdors, für das Malorne und Cenarius gekämpft haben, immer noch unentschieden ist. Sargeras versucht, in die Welt der Sterblichen zu gelangen … und die Drei wollen den Dämonenlord manipulieren, um ihre eigene Flucht zu ermöglichen.«

»Dessen sind wir uns bewusst«, antwortete Alexstrasza, bevor die trauernde Ysera ihrer Wut erneut Luft machen konnte. »Was sollen wir tun?«

»Der Kampf muss hier weitergehen … aber wir müssen ihn gleichzeitig nach Zin-Azshari und zum Brunnen tragen. Dazu werden wir Drachen und Sterbliche benötigen, denn dort warten viele Gefahren.«

»Was hast du vor?« Ysera wollte etwas einwerfen, aber Alexstrasza verstand die Dringlichkeit der Aufgabe und schmetterte die Unterbrechung ab. »Du kennst ihn!«, fuhr sie ihre Schwester an. »Du musst doch nur in ihn blicken, dann weißt du, dass wir ihm zuhören müssen.«

Der grüne Drache neigte den Kopf. »So lange die Dämonen leiden …«

»Wir werden alle leiden«, fuhr der Magier fort, »wenn wir nicht verhindern, dass das Portal stabilisiert wird.« Er blickte in die Richtung des weit entfernten Zin-Azshari. »Und wenn ich Recht habe, ist dieser Moment nicht mehr fern.«


Sargeras spürte Archimondes versteckte Verzweiflung. Der Dämonenlord war unzufrieden mit der Leistung seines Dieners, der ihm schon so lange treu diente und ihn noch nie zuvor enttäuscht hatte. Aber er würde ihn später bestrafen. Das Portal war beinahe vollendet. Sargeras fragte sich, warum er erst so spät auf diesen Plan gekommen war. Dabei war alles so simpel.

Letztendlich war es jedoch egal. Wichtig war nur, dass er Kalimdor schon sehr bald betreten würde, und wenn dies geschah, würden selbst alle Drachen dieser Welt seinen Sieg nicht mehr gefährden können …


Die Drei spürten, dass sie der Freiheit immer näher kamen. Welche Ironie, dass einer, der einst zu den verhassten Titanen gehört hatte, maßgeblich für ihre Befreiung verantwortlich sein würde. Viele Titanen waren damals nötig gewesen, um die Drei in ihr Gefängnis zu bannen. Einen einzigen würden sie nach ihrer triumphalen Rückkehr mit Leichtigkeit vernichten. Danach würden seine Dämonen ihnen dienen.

Das Portal wurde stärker. Der Zeitpunkt, da sie es übernehmen mussten, rückte näher. Wie amüsant, dass die winzigen Wesen, die gegen die Krieger des gefallenen Titanen kämpften, tatsächlich glaubten, die Scheibe zurückerobern zu können.

Die Drei spürten, dass sich die Drachen – die Hunde der Titanen – dem Brunnen näherten.

Ihnen stand eine tödliche Überraschung bevor.

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