5

»Sie haben hier noch keine Ahnung von Cinecittà, Mister Hendrickson.«

»Barney.«

»Überhaupt keine Ahnung, Barney. Der neue Realismus kam nach dem Krieg aus Italien, ebenso der Milieufilm, den später die Engländer übernahmen. Aber Sie werden sehen, Rom stirbt nicht. Leute wie ich kommen eine Zeitlang nach Hollywood, lassen sich ein paar neue Techniken zeigen …«

»Und kassieren nicht schlecht dafür …«

»Das kann ich nicht leugnen, Barney. Ich arbeite für den Yankee-Dollar. Aber, hören Sie, zu dieser Tageszeit erwischen wir nicht mehr viel in Farbe.« Er ließ die 8-mm-Bolex von seinem Handgelenk baumeln. »Ich hätte Tri-X einlegen sollen. Es ist fünf Uhr nachmittags.«

»Keine Angst, Gino, Sie werden genug Licht haben, das verspreche ich Ihnen.« Er sah auf, als sich die Lagerhaustür öffnete, und Amory Blestead hereinkam. »Hier herüber, Amory«, rief er. »Das hier ist unser Kameramann, Gino Cappo. Amory Blestead, technischer Berater.«

»Freut mich«, sagte Amory und gab Gino die Hand. »Ich habe mich schon immer gefragt, wie Sie diese Brechreiz-Stimmung in Liebe im Herbst schafften.«

»Sie meinen wohl Porco Mondo? Das war nicht Absicht, die Landschaft in diesem Teil Jugoslawiens sieht tatsächlich so aus.«

»Übrigens …« Blestead wandte sich an Barney. »Dallas läßt durch mich ausrichten, daß sie in fünf Minuten mit Ottar herkommen.«

»Wird höchste Zeit. Sagen wir dem Professor, daß er seine Maschine aufwärmen kann.«

Barney kletterte mühsam auf die Ladefläche des Armeelasters und ließ sich auf eine der Kisten fallen. Er hatte auf der Couch im Büro eine Stunde lang geschlafen, bis ihn L. M. wieder hochgeärgert hatte. Danach hatte ein erbittertes Ringen um das Budget stattgefunden. Die Überlastung machte sich bemerkbar.

»Ich habe alle meine Instrumente neu eingestellt«, sagte Professor Hewett und deutete glücklich auf ein Meßgerät, »so daß jetzt eine zeitlich und örtlich genaue Verschiebung garantiert ist.«

»Wunderbar. Stellen Sie die Dinger da so ein, daß wir zur gleichen Tageszeit wie das letzte Mal ankommen. Das Licht war gut …«

Die Tür wurde aufgerissen, und lauter, gutturaler Gesang erfüllte das Lagerhaus. Ottar wankte herein, gestützt von Jens Lyn und Dallas Levy. Er war offensichtlich sternhagelvoll. Tex Antonelli kam mit einem Handkarren hinterdrein. Alle drei Männer stemmten den Wikinger mit vereinten Kräften auf den Lastwagen. Dort schlief er sofort ein, und sie bauten rund um ihn Kisten auf.

»Was ist das?« fragte Barney und deutete auf die Kisten, die sich in dem Handkarren befunden hatten.

»Tauschwaren«, erklärte Jens Lyn und stemmte einen Karton mit der Aufschrift Jack Daniels auf den Laster. »Ottar hat den Vertrag unterzeichnet. Zu meiner Überraschung gibt es hier einen isländischen Notar …«

»In Hollywood kann man eben alles finden.«

»… und Ottar erklärte sich bereit, Englisch zu lernen, sobald er wieder in seinem eigenen Heim sei. Er hat einen Geschmack für alkoholische Getränke entwickelt, und wir kamen überein, daß er für jeden Studientag eine Flasche Whisky erhalten sollte.«

»Hätten Sie ihm nicht irgendeinen Fusel andrehen können?« fragte Barney, als die nächste Kiste mit Jack Daniels nach oben gehievt wurde. »Ich muß die Finanzen verantworten.«

»Wir haben es versucht«, erklärte Dallas und wuchtete den dritten Karton herein. »Wir gaben ihm einen fünfundneunzigprozentigen Kornschnaps, aber da machte er nicht mit. Wir haben ihn zu früh verwöhnt. Zwei Monate, fünf Kisten — so lautete der Handel.«

Jens Lyn kletterte herein, und Barney bewunderte seine kniehohen Feldstiefel, die Wickelgamaschen, die Jagdtasche und das Fahrtenmesser. »Weshalb die Dschungelausrüstung?« fragte er.

»Ich möchte am Leben bleiben und mich einigermaßen wohl fühlen«, sagte Lyn und ließ sich von Dallas einen Schlafsack und eine Kiste heraufreichen. »Ich habe DDT für die Läuse, die es sicher in rauhen Mengen gibt, Halazontabletten für das Trinkwasser und Konservennahrung. Das Essen damals war ziemlich einseitig und für den modernen Geschmack ziemlich ungesund. Deshalb habe ich ein paar Vorsichtsmaßnahmen getroffen.«

»Verständlich«, meinte Barney. »Machen Sie das Gatter hinter sich zu, dann können wir losfahren.«

Obwohl das Vremeatron immer noch summte und knisterte, herrschte längst nicht die gleiche Spannung wie bei der ersten Reise. Die Menschen des Maschinenzeitalters hatten sich schnell umgestellt, und die Reise durch die Zeit wurde etwas Alltägliches wie die Fahrt in einem Schnell-Lift, der Flug in einer Düsenmaschine oder der Start einer Rakete. Nur Gino, der Neuankömmling, war etwas nervös und sah die elektronischen Geräte und das verschlossene Lagerhaus mißtrauisch an. Aber als er die Ruhe der anderen sah — Barney schlief fast ein, während Dallas und der dänische Philologe stritten, ob man eine Flasche Whisky öffnen und dadurch einen Studientag verlieren könne —, entspannte er sich. Er erschrak noch einmal, als der Übergang geschafft war, aber er blieb brav sitzen, nachdem man ihm die Flasche gereicht hatte. Allerdings wurden seine Augen groß, als draußen der eisblaue Himmel erschien und ein feiner, salziger Sprühnebel den Wagen einhüllte.

»Ein toller Trick«, sagte er und deutete auf seinen Belichtungsmesser. »Wie macht ihr das?«

»Wenn Sie Einzelheiten wissen wollen, müssen Sie den Professor fragen«, sagte Barney und hustete, weil er einen zu großen Schluck genommen hatte. »Sehr kompliziert. Irgend etwas mit Zeitenverschiebung.«

»Ich verstehe«, sagte Gino und stellte die Blende auf 3,5 ein. »So etwas wie die Zeitzonen, wenn man von London nach New York fliegt. Die Sonne scheint sich nicht zu bewegen, und man kommt zur gleichen Zeit an, wie man startete.«

»So ungefähr.«

»Gutes Licht. Mit diesem Licht bekommt man schöne Farben.«

»Während des Fahrens wird nicht getrunken«, sagte Dallas und reichte Tex, der hinter dem Steuerrad saß, die Flasche. »Ein kräftiger Schluck, Partner, und dann geht es weiter.«

Der Anlasser surrte, und Barney sah, daß der Wagen Reifenspuren folgte. Durch die Müdigkeitsschichten zwängte sich schwach die Erinnerung, und er hämmerte auf das Metalldach über Tex. »Hupen!« schrie er.

Sie kamen an die felsige Landzunge, und Tex hupte, als sie um die Biegung fuhren. Barney stolperte über die Kisten und den schlafenden Wikinger, als er zum hinteren Ende des Lasters rannte. Man hörte den Motor eines zweiten Lasters, und dann kam die Maschine an ihnen vorbei. Barney sah einen Moment lang sein anderes Ich, blaß und mit großen Augen. Mit einem sadistischen und zugleich masochistischem Gefühl schnitt er seinem schockierten Selbst eine Grimasse. Dann schob sich die Landzunge zwischen die beiden Wagen.

»Viel Verkehr hier?« fragte Gino.

Ottar setzte sich auf, rieb sich die Seite und murmelte etwas Unfeines vor sich hin. Jens beruhigte ihn schnell mit einem langen Zug aus der Flasche, während Tex den Wagen auf dem Kies abbremste.

»Villa Alpenveilchen«, rief Tex nach hinten. »Endstation.«

Beißender Rauch quoll immer noch aus dem Kamin der niedrigen Hütte, aber es war niemand zu sehen. Waffen und plumpe Werkzeuge lagen auf dem Boden verstreut. Ottar fiel halb aus dem Laster und brüllte etwas, doch im nächsten Moment faßte er sich mit schmerzverzerrter Miene an den Kopf.

»Hvar erut per rakka? Komit út!«[6] Er hielt sich wieder den Kopf und sah sich nach der Flasche um, aber Jens Lyn hatte sie sicherheitshalber versteckt. Das Gesinde erschien zitternd.

»Los, fangen wir an«, sagte Barney. »Ladet die Kisten ab und fragt Dr. Lyn, wo er sie haben möchte. Nicht Sie, Gino, Sie begleiten mich!«

Sie erkletterten den niedrigen Hang hinter dem Haus. Er war mit hartem, stoppeligem Gras bewachsen, und sie stolperten beinahe über ein verfilztes und wild aussehendes Schaf, das bähend vor ihnen die Flucht ergriff. Von der Anhöhe aus hatten sie einen schönen Blick auf die hereinschwingende Bucht und den weiten, schiefergrauen Ozean. Ein hoher Wellenkamm brach sich am Ufer. Mitten in der Bucht befand sich eine düstere Insel aus Felsklippen, die von der Brandung umschäumt wurde.

»Nehmen Sie die ganze Umgebung auf, damit wir sie später genau studieren können. Von der Insel kann ich eine Nahaufnahme gebrauchen.«

»Sollen wir nicht landeinwärts gehen und uns die Gegend da drüben ansehen?« fragte Gino nach einem Blick durch den Sucher.

»Später, wenn wir noch Zeit haben. Aber es wird ein Meeresfilm, und ich bin froh, daß wir soviel Wasser zur Verfügung haben, ohne von Hafenanlagen und ähnlichem gestört zu werden.«

»Wenn ich am Ufer entlangginge, könnte ich sehen, was hinter der Landspitze liegt.«

»Meinetwegen — aber nehmen Sie Tex oder Dallas mit, damit Sie nicht in Schwierigkeiten geraten. Bleiben Sie nicht länger als eine Viertelstunde weg, ich möchte Sie vor der Abfahrt nicht suchen müssen.« Barney sah am Ufer ein Ruderboot. Er deutete hinunter. »Ich habe eine Idee. Holen Sie sich Lyn als Übersetzer und lassen Sie sich von ein paar Einheimischen ein Stück aufs Meer hinausrudern. Dann sehen wir gleich, wie sich die Szenen vom Wasser aus machen.«

»He!« Tex kam über den Hang. »Sie werden unten gebraucht, Barney. Irgendein Palaver …«

»Sofort. Tex, du kannst gleich bei Gino bleiben und ein wenig auf ihn achten.«

»Wird gemacht. Va buona, eh cumpa!«

Gino warf ihm einen finsteren, mißtrauischen Blick zu. »Vui sareste italiano?«

Tex lachte. »Ich? Nein, ich bin Americano, aber ich habe Verwandte in der ganzen Bucht von Neapel.«

»Di Napoli! So’ napoletano pur’ io!« rief Gino verklärt.

Barney verließ sie, als sie sich begeistert die Hände schüttelten und gemeinsame Bekannte ausgruben. Er ging hinunter zum Haus. Dallas saß am Lastwagenanhänger und rauchte eine Zigarette. »Die anderen sind drinnen«, sagte er. »Ich passe auf, daß unser Transportmittel intakt bleibt. Lyn sagte, ich solle Sie hineinschicken, sobald Sie kämen.«

Barney sah die niedrige Hüttentür ohne jede Begeisterung an. Sie stand halb offen, und durch die Öffnung quoll mehr Rauch als durch den Kamin. »Paß wirklich gut auf«, sagte er.

»Es gibt schönere Orte, wenn wir Schiffbruch erleiden sollten.«

Er riß die Tür weit auf, bückte sich und trat ein. Der Rauch nebelte ihn ein, und Barney war fast froh darum, denn er überlagerte auch einige der anderen Gerüche, von denen es hier genug gab. Da er aus der Sonne kam, konnte er einen Moment lang nichts erkennen.

»Jæja, kunningi! Þu skalt drekka me mér!«[7]

Ottars rauhe Stimme dröhnte durch den Raum, und als sich Barneys Augen an das Halbdunkel gewöhnten, konnte er sehen, daß die Männer um einen dicken Brettertisch saßen. Ottar hatte den Vorsitz, und er hämmerte mit den Fäusten auf die Bohlen.

»Sie sollen mit ihm trinken«, erklärte Lyn. »Das ist eine sehr wichtige Sache. Sie nehmen die Gastfreundschaft ernst.«

»Öl!«[8] donnerte Ottar und hob ein kleines Faß vom Boden auf.

»Was soll ich trinken?« fragte Barney ins Dunkel hinein.

»Ale. Sie stellen es aus Gerste her, ihrem Haupterzeugnis. Es ist eine Erfindung der nordgermanischen Stämme und sozusagen ein Vorläufer unseres modernen Biers.«

»Drekk!«[9] befahl Ottar, nachdem er die Flüssigkeit in ein Horn geschwappt hatte. Barney sah, daß es tatsächlich ein Kuh-Horn war, gesprungen und nicht übermäßig sauber. Jens Lyn, der Professor und Amory Blestead hatten ebenfalls Hörner in der Hand. Er hob es an die Lippen und kostete. Das Bier schmeckte fade, säuerlich, wässerig und abscheulich.

»Gut!« sagte er und hoffte, daß die Dunkelheit seinen Gesichtsausdruck verbarg.

»Já, gott ok vel«[10], erwiderte Ottar und goß noch mehr von der ekligen Brühe in Barneys Horn, so daß es überlief und ihm klebrig in den Ärmel rann.

»Wenn Sie das scheußlich finden, dann warten Sie erst das Essen ab«, verkündete Amory dumpf.

»Da kommt es schon.«

Der Professor deutete ans Ende des Raumes, wo einer der Knechte in einem hölzernen Verschlag herumstöberte. Als er sich streckte, hob er eines der dunklen, runden Gebilde hoch, die dort herumlagen. Die Männer hörten ein schmerzhaftes Quieken.

»Die Tiere …« begann Barney.

»Leben mit im Haus, jawohl«, sagte Amory. »Das gibt der Luft hier das gewisse Etwas.«

Der Knecht, der sich kaum von einem ungepflegten Schäferhund unterschied, kam mit zwei größeren Batzen unter jedem Arm wieder und knallte sie vor Barney auf den Tisch. Sie waren hart wie Felsbrocken.

»Was ist das?« fragte Barney und beäugte die Dinger mißtrauisch von der Seite. Er hatte das Horn in die Linke genommen und schüttelte aus dem rechten Ärmel das Bier.

»Der linke Brocken ist Käse, ein einheimisches Produkt, und der rechte knaekbrød, hartes Brot«, erklärte Jens Lyn. »Oder ist es genau umgekehrt?«

Barney versuchte die beiden Batzen anzuknabbern, aber er gab es auf, da er für seine Zähne fürchtete. »Wirklich vorzüglich«, sagte er und warf sie wieder auf den Tisch. Dann sah er auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr. »Das Licht wird schwächer, und wir müssen bald starten. Amory, kann ich Sie draußen sprechen, sobald Sie sich von der Party losgerissen haben?«

»Mit Vergnügen«, sagte Amory, trank schaudernd noch ein paar Schlucke und kippte den Rest unter den Tisch.

Die Sonne war hinter den Wolken verschwunden, und eine eisige Brise wehte vom Meer her. Barney fror und steckte die Hände in die Taschen.

»Ich brauche Ihre Hilfe, Amory«, sagte er. »Stellen Sie eine Liste aller Dinge zusammen, die wir benötigen, um hier den Film zu drehen. Es sieht nicht so aus, als könnten wir von den Einheimischen Sachen erstehen.«

»Ganz meine Meinung.«

»Also werden wir alles mitbringen müssen. Ich möchte auch hier schneiden, deshalb richten Sie in einem der Wohnwagen einen Cutter-Raum ein.«

»Barney, Sie fordern Ihr Glück heraus. Wir können froh sein, wenn wir hier in Ruhe unseren Film zu Ende drehen. Und was ist mit der Synchronisation? Und mit der Musik?«

»Wir werden tun, was wir können. Nehmen Sie einen Komponisten und ein paar Musiker unter Vertrag, vielleicht sogar ein hiesiges Orchester.«

»Mir platzt schon jetzt das Trommelfell.«

»Mister Hendrickson!« Jens Lyn trat ins Freie und zog etwas aus der Brusttasche seiner Buschjacke. »Ich erinnere mich eben — ich sollte Ihnen diese Nachricht geben.«

»Was ist das?«

»Keine Ahnung. Ich nehme an, sie war für Sie persönlich bestimmt. Ihre Sekretärin gab sie mir kurz vor dem Aufbruch.«

Barney nahm den verknitterten Umschlag und riß ihn auf. Er enthielt ein einzelnes gelbes Blatt mit der getippten Nachricht:


L. M. sagt eben am Telefon, daß Film nicht gedreht wird. Nennt keinen Grund. Arbeiten einstellen.

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