2

Es waren sechs Männer im Büro, und sie hatten sich im Halbkreis um L. M.s Schreibtisch gruppiert.

»Sperren Sie die Tür zu und unterbrechen Sie die Telefonleitungen«, befahl er.

»Es ist drei Uhr morgens«, protestierte Barney. »Wer sollte uns da bespitzeln?«

»Wenn die Banken davon Wind bekommen, bin ich mein Leben lang und vielleicht noch länger ruiniert. Unterbrechen Sie die Drähte!«

»Lassen Sie mich das machen«, sagte Amory Blestead und holte einen isolierten Schraubenzieher aus seiner Brusttasche. Er war der Leiter der technischen Abteilung. »Endlich ist das Geheimnis gelöst. Im letzten Jahr haben meine Leute diese Telefondrähte mindestens zweimal pro Woche repariert.« Er arbeitete schnell und löste die Verbindungsdrähte der sieben Telefone, der Haussprechanlage, des Hausfernsehsystems und der Vorzimmer-Mithöranlage. L. M. Greenspan beobachtete ihn genau und sprach erst wieder, als alle Drähte frei herunterbaumelten.

»Berichten Sie«, sagte er und spießte Barney Hendrickson mit seinem Zeigefinger beinahe auf.

»Wir können anfangen, L. M. Die wesentlichen Maschinenteile für das Vremeatron sind mit dem Budget des Films Die furchtbare Ehe der Vampirtochter hergestellt worden. Wir konnten sogar einiges einsparen, da wir sie als Dekoration verwendeten und sie noch billiger als die üblichen Innenausstattungen waren …«

»Keine Abschweifungen.«

»Schön. Die Laborszenen für den Schocker wurden heute abgeschlossen, das heißt natürlich gestern, also machten wir Überstunden und holten die Instrumente heraus. Sobald die Arbeiter fort waren, luden wir alles in einen Armeelaster, den wir noch von dem Film Gangsterkrieg in Brooklyn hatten, und der Professor baute alles zusammen und testete es. Das Ding ist startbereit.«

»Die Sache mit dem Laster gefällt mir nicht — er wird bei der Inventur fehlen.«

»Nein, L. M., wir haben für alles gesorgt. Er war von Anfang an Regierungsausschuß und sollte ohnehin zum Alteisen geworfen werden. Wir verkauften ihn auf die übliche Weise, und Tex hier hat ihn erstanden. Es ist also alles in Ordnung, wie ich schon sagte.«

»Tex, Tex — wer ist denn das? Wer sind überhaupt all diese Leute?« fragte L. M. und warf mißtrauische Blicke in die Runde. »Ich dachte, wir wollten so wenige Leute wie möglich einweihen, bis wir wüßten, wie alles funktioniert. Wenn die Banken Wind davon bekommen …«

»Wir haben ja kaum jemand eingeweiht. Da ist der Professor, den kennen Sie ja schon, und Blestead, seit dreißig Jahren Ihr eigener technischer Leiter …«

»Ich weiß, ich weiß — aber die anderen drei?« Er deutete mit dem Finger auf zwei dunkle, schweigende Männer in Levishosen und Lederjacken, dann auf einen langen, nervösen Burschen mit rötlichblondem Haar. Barney stellte sie vor.

»Die beiden da vorn sind Tex Antonelli und Dallas Levy. Sie sind Doubles …«

» Doubles! Wozu wollen Sie denn diese SlumCowboys verwenden?«

»Bitte, beruhigen Sie sich, L. M. Wir brauchen bei diesem Projekt vertrauenswürdige Männer, die den Mund halten können und bei Gefahr das Richtige tun. Dallas war, bevor er hierherkam, bei einer Spezialeinheit der Infanterie und dann Rodeo-Reiter. Tex hat dreizehn Jahre bei den Marines hinter sich und ist Ausbilder in waffenloser Selbstverteidigung.«

»Und der andere Knabe?«

»Das ist Dr. Jens Lyn, ein Philologe.« Der große Mann stand nervös auf und verbeugte sich schnell zum Schreibtisch hin. »Er ist Spezialist für germanische Sprachen, oder wie man das nennt, und wird als unser Übersetzer arbeiten.«

»Ist Ihnen allen die Wichtigkeit des Projekts klar, in dem Sie nun als Mitarbeiter tätig sind?« fragte L. M.

»Ich bekomme mein Gehalt, und dafür halte ich den Mund«, sagte Tex. Dallas nickte in schweigendem Einverständnis.

»Ich finde es eine einmalige Gelegenheit«, meinte Lyn mit einem leichten dänischen Akzent. »Ich habe mein Ferienjahr genommen, und ich würde Sie sogar ohne das großzügige Gehalt begleiten, das man mir als technischem Berater zugesteht. Wir wissen so wenig über das gesprochene alte Nordisch …«

»Schon gut, schon gut.« L. M. hob die Hand. Für den Augenblick hatte er sich beruhigt. »Und wie soll es nun weitergehen? Darf ich Einzelheiten erfahren?«

»Wir müssen eine Probe machen, um zu sehen, ob das Gerät des Professors wirklich funktioniert«, sagte Barney.

»Ich versichere Ihnen …«

»Und wenn es funktioniert, stellen wir ein Team zusammen und arbeiten ein Drehbuch aus. Dann lassen wir uns in die Vergangenheit bringen und machen an Ort und Stelle Aufnahmen. Phänomenal! Die Geschichte unserer Vorfahren in Panorama-Sicht! Wir können alles filmen und aufzeichnen …«

»Und das Studio vor dem Bankrott retten. Kein Geld für Komparsen, keine Kulissen, kein Ärger mit den Gewerkschaften …«

»Vorsicht!« sagte Dallas stirnrunzelnd.

»Ihre Gewerkschaft natürlich ausgenommen«, entschuldigte sich L. M. »Die Mannschaft erhält selbstverständlich übertarifliche Bezahlung plus Prämien. Ich dachte vorhin nur an die anderen Einsparungen. Los jetzt, Barney, solange meine Begeisterung noch nicht abgeflaut ist. Und kommen Sie mir erst wieder unter die Augen, wenn Sie ein paar erfreuliche Nachrichten haben.«

Ihre Schritte hallten von den riesigen Schallwänden wider, und ihre Schatten wanderten langsam von hinten nach vorne, als sie unter den Lichtkegeln der spärlich angeordneten Lampen durchgingen. In der Stille und Einsamkeit der verlassenen Studios ging ihnen plötzlich die Größe ihres Unterfangens auf, und unwillkürlich rückten sie näher aneinander. Ein Studiowächter stand vor dem Gebäude, als sie näherkamen. Er salutierte, und seine Stimme unterbrach die angespannte Stille.

»Alles verschlossen, Sir, und bis jetzt nicht die geringste Störung.«

»Schön«, erwiderte Barney. »Wir bleiben vermutlich den Rest der Nacht hier. Geheimaufnahmen. Sorgen Sie dafür, daß niemand in die Nähe kommt.«

»Ich habe dem Chef bereits Bescheid gesagt, und er hat den Befehl an die Jungs weitergegeben.«

Barney versperrte die Tür hinter sich. Von den Dachbalken brannten Scheinwerfer. Das Lagerhaus war leer bis auf ein paar staubige Plattformen, die an der hinteren Wand lehnten, und einen olivgrünen Laster mit Plane und dem weißen Armeestern an der Tür.

»Die Batterien und Akkus sind geladen«, verkündete Professor Hewett. Er kletterte auf die Ladefläche und deutete auf eine Reihe von Meßzeigern. Er löste die schweren Kabel, die zu der Anschlußdose in der Wand führten und reichte sie hinaus. »Sie können heraufkommen, meine Herren, das Experiment wird gleich beginnen.«

»Könnten Sie nicht etwas anderes als Experiment sagen?« fragte Amory Blestead nervös. Er bedauerte plötzlich, daß er sich in die Sache eingelassen hatte.

»Ich gehe ins Führerhaus«, sagte Tex Antonelli. »Da vorne fühle ich mich sicherer. Ich habe einen Sechstonner wie diesen hier quer durch die Marianen gesteuert.«

Einer nach dem anderen folgte dem Professor auf die Ladefläche des Lasters, und Dallas verschloß die Ladeklappe hinter sich. Die elektronischen Geräte und der benzinbetriebene Generator nahmen den größten Teil des Platzes weg, und die Männer mußten sich auf die Geräte- und Vorratskisten setzen.

»Ich bin fertig«, erklärte der Professor. »Vielleicht sollten wir als ersten Versuch einen Blick ins Jahr 1500 nach Christus werfen?«

»Nein.« Barney war eisenhart. »Stellen Sie das Jahr 1000 ein, wie wir es beschlossen hatten.«

»Aber der Energieverbrauch wäre geringer, und das Risiko …«

»Bekommen Sie jetzt keine kalten Füße, Professor. Wir müssen so weit wie möglich zurück, damit niemand die Maschinen als solche erkennt und uns Schwierigkeiten macht. Außerdem haben wir die Absicht, einen Wikingerfilm und nicht den Glöckner von Notre-Dame zu drehen.«

»Das wäre im sechzehnten Jahrhundert auch nicht möglich«, mischte sich Jens Lyn ein. »Ich würde das mittelalterliche Paris viel früher datieren, etwa …«

»Geronimo!« stöhnte Dallas. »Wenn es abgehen soll, dann hört mit dem Gequatsche auf. Es ist schlecht für die Truppen, wenn man vor dem Kampf zuviel redet.«

»Da haben Sie recht, Mister Levy«, sagte der Professor. »Tausend im Jahre des Herrn — es geht los.« Er fluchte und suchte an den Knöpfen herum. »So viele der Schalter und Meßtafeln sind unecht, daß ich ganz wirr werde«, beklagte er sich.

»Wir mußten die Maschinen so machen, daß wir sie auch für den Schocker verwenden konnten«, sagte Blestead. Er redete zu schnell. Auf seiner Stirn standen feine Schweißperlen. »Sie mußten doch realistisch aussehen.«

»Deshalb werden sie unrealistisch gemacht, bah!« murmelte Professor Hewett wütend, als er die letzten Knöpfe verstellte und einen vielpoligen Schalter herunterdrückte.

Das gleichmäßige Geräusch des Generators veränderte sich, als er plötzlich belastet wurde, und das Knistern der Entladungen erfüllte den Raum über dem Apparat. Blaue Lichtfunken tanzten über alle freien Flächen, und die Männer spürten, wie ihnen im wahrsten Sinn des Wortes die Haare zu Berge standen.

»Irgend etwas stimmt da nicht!« keuchte Jens Lyn.

»Aber wie kommen Sie darauf?« fragte Professor Hewett ruhig und verstellte einen Knopf um eine Winzigkeit. »Nur eine Sekundärerscheinung. Die Entladung hat keinerlei Bedeutung. Das Feld baut sich jetzt auf, ich glaube, Sie können es spüren.«

Sie konnten etwas spüren, ein eindeutig unangenehmes Gefühl, das ihre Körper ergriffen hatte. Die Spannung wuchs greifbar.

»Ich habe das Gefühl, als hätte jemand einen Schlüssel in meinen Nabel gesteckt, um mich aufzuziehen«, sagte Dallas.

»Die Beschreibung gefällt mir zwar nicht besonders«, meinte Lyn, »aber ich spüre ähnliche Symptome.«

»Ich schalte auf Automatik um«, sagte der Professor und trat von den Instrumenten zurück, nachdem er auf einen Knopf gedrückt hatte. »In der Mikrosekunde, in der Maximalenergie herrscht, werden die Selengleichrichter automatisch ausgelöst. Sehen Sie dieses Instrument an! Wenn der Zeiger bei Null ist …«

»Zwölf«, sagte Barney nach einem kurzen Blick und wandte sich ab.

»Neun«, las der Professor ab. »Die Spannung steigt. Acht — sieben — sechs …«

»Bekommen wir dafür Einsatzhonorar?« fragte Dallas, aber die anderen lächelten nicht einmal.

»Fünf … vier … drei …«

Die Spannung war körperlich. Niemand konnte sich rühren. Sie starrten den vorrückenden roten Zeiger an, und der Professor las:

»Zwei … eins …«

Sie hörten das »Null« nicht, denn für diesen Bruchteil der Ewigkeit war sogar jedes Geräusch verstummt. Etwas geschah mit ihnen, etwas so Undefinierbares und ganz und gar Fremdes, daß sie sich einen Augenblick später schon nicht mehr erinnern konnten, was es gewesen war oder wie sie sich gefühlt hatten. Im gleichen Moment verschwanden die Lichter des Lagerhauses, und die einzige Beleuchtung kam von dem schwachen Schein der Instrumente. In der Öffnung der Plane zeigte sich ein formloses, gleichmäßiges Grau, das den Augen nicht weh tat, wenn man es ansah.

»Heureka!« rief der Professor.

»Wer braucht einen Drink?« erkundigte sich Dallas und holte eine Whiskyflasche hinter der Kiste hervor, auf der er Platz genommen hatte. Er nahm seine eigene Einladung an und senkte den Flüssigkeitspegel der Flasche beträchtlich. Der Schnaps ging schnell von Hand zu Hand — sogar Tex streckte den Arm nach hinten aus —, und alle mit Ausnahme des Professors bekamen Mut dadurch. Hewett sah nur seine Instrumente und brummte vor sich hin.

»Ja — eindeutig — eindeutig eine Verschiebung in die Vergangenheit … leicht zu berechnen … jetzt noch die örtliche Verschiebung … hätte schließlich wenig Sinn, im interstellaren Raum oder mitten im Pazifik zu landen … ach, du liebe Güte, nein!« Er warf einen Blick in einen versenkten Bildschirm und nahm weitere Verstellungen vor. »Halten Sie sich irgendwo fest, meine Herren. Ich habe die Bodenhöhe so genau wie möglich berechnet, aber zu genau möchte ich auch wieder nicht sein, sonst landen wir noch unter der Erde. Ich habe eine kleine Toleranz gelassen. Fertig?« Er zog den Haupthebel heraus.

Die Hinterräder kamen zuerst auf. Dann krachten die Vorderräder auf den Boden, und die Männer wurden durcheinandergeschüttelt. Helles Sonnenlicht flutete durch die Planenöffnung herein, und eine steife Brise brachte das Rauschen von Wellen näher.

»Oh, verdammt und zugenäht!« sagte Amory Blestead.

Das Grau war verschwunden, und an seiner Stelle zeigte sich eine felsige Küste mit schäumender Brandung. Möwen kreisten tief über den Wogen, und zwei erschreckte Robben platschten ins Wasser.

»Das gehört bestimmt nicht zu Kalifornien«, sagte Barney.

»Es ist die Alte Welt«, erklärte der Professor stolz. »Genauer gesagt, wir sind auf den Orkney-Inseln, wo es im elften Jahrhundert viele Siedlungen der Nordmänner gab. Und wir befinden uns im Jahre 1003. Es überrascht Sie zweifellos, daß man durch das Vremeatron nicht nur zeitliche, sondern auch örtliche Verschiebungen erreicht, aber das ist ein Faktor …«

»Mich überrascht nichts mehr, seit Hoover gewählt wurde«, sagt Barney, der allmählich seine Selbstbeherrschung wiedergewann, jetzt, da eindeutig feststand, daß sie irgendwo angekommen waren. »Fangen wir an. Dallas, du rollst die Plane hoch, damit wir sehen, wohin wir fahren.«

Als die Plane die Sicht nicht mehr behinderte, erkannten sie einen schmalen Strand zwischen dem Wasser und den abgerundeten Klippen. Etwa eine halbe Meile entfernt schob sich eine Landzunge so vor, daß sie nichts mehr sehen konnten.

»Fahr an der Küste entlang, damit wir sehen, wie es weiter vorn steht«, rief Barney ins Führerhaus.

»Gut«, erwiderte Tex und betätigte den Anlasser. Der Motor erwachte grollend zu Leben. Sie rollten langsam über den felsigen Strand.

»Wollen Sie das da?« Dallas deutete auf einen seiner Revolver, die er am Gürtel trug. Barney sah ihn mit Abscheu an.

»Behalte ihn. Wenn ich mit so einem Ding herumspiele, erschieße ich mich höchstens selbst. Aber vielleicht braucht ihn Tex.«

»Sollen wir uns nicht vorsichtshalber bewaffnen?« fragte Amory Blestead. »Ich kann mit einem Gewehr umgehen.«

»Nicht, wenn wir im Dienst sind. Das geht gegen die Gewerkschaftsvorschriften. Ihre Aufgabe, Amory, ist es, dem Professor zu helfen. Das Vremeatron ist das wichtigste Gerät weit und breit. Tex und Dallas kümmern sich um die Waffen — auf diese Weise sind wir sicher, daß keine Unfälle entstehen.«

Jens Lyn deutete verzückt nach vorn. »Mein Gott, so etwas Herrliches! Und ich darf es mit eigenen Augen sehen!«

Der Lastwagen war um die Landzunge herumgefahren, und vor ihnen öffnete sich eine kleine Bucht. Ein primitives Ruderboot aus dunklem Holz war auf den Strand gezogen, und auf einer Anhöhe über dem Ufer erhob sich eine plump aus Steinen und Erde zusammengebaute Hütte mit einem niedrigen Dach aus Seegras. Kein Mensch war zu sehen, aber aus dem Kamin stieg eine schwache Rauchsäule auf.

»Wo sind denn die Leute?« wollte Barney wissen.

»Es ist verständlich, daß der Anblick und der Lärm des Lastwagens ihnen Furcht eingejagt hat«, erklärte Lyn. »Vermutlich haben sie sich im Haus versteckt.«

»Schalte den Motor aus, Tex. Vielleicht hätten wir ein paar Perlen oder sonst etwas mitbringen sollen, um die Einheimischen freundlich zu stimmen.«

»Ich fürchte, Ihre Vorstellung von den Einheimischen ist nicht ganz korrekt …«

Die primitive Tür des Hauses wurde aufgerissen, und als wollte er Lyns Worte unterstreichen, rannte ein Mann unter wütendem Geheul auf sie zu. Er schwang eine Breitaxt über dem Kopf. Er sprang in die Luft, schlug mit der Axt gegen den riesigen Schild, den er am linken Arm trug, und jagte dann den Hang herunter auf den Lastwagen zu. Als er mit langen Sprüngen herankam, konnten sie den schwarzen, gehörnten Helm erkennen, dazu seinen langen blonden Bart und Schnurrbart. Er schrie immer noch unverständlich vor sich hin. Dann biß er auf seinen Schild. Um seinen Mund bildete sich Schaum.

»Man kann eindeutig erkennen, daß er Angst hat, aber ein Wikingerheld darf seine Furcht vor den Sklaven und dem Gesinde nicht verraten. Also steigert er sich in eine Berserker-Wut hinein …«

»Sparen Sie sich die Lektion, ja, Doktor? Dallas, könntest du zusammen mit Tex den Knaben ein wenig verlangsamen, bevor er etwas zusammenschlägt?«

»Mit einer Kugel im Kopf bleibt er schnell stehen.«

»Das nicht! Unser Studio bringt nicht einfach fremde Leute um.«

»Also gut, wenn Sie meinen — aber das gibt die erste Prämie wegen persönlicher Gefahr. Sie kennen die Vertragsklausel.«

»Ich weiß, ich weiß. Und jetzt verschwindet, bevor …«

Barney wurde von einem dumpfen Schlag unterbrochen. Es folgte das Klirren von Glas und ein mächtiges Siegesgeheul.

»Ich kann verstehen, was er sagt!« strahlte Jens Lyn. »Er rühmt sich, daß er dem Ungeheuer das Auge zerschmettert hat …«

»Der Kraftprotz hat einen der Scheinwerfer zerschlagen!« rief Dallas. »Beschäftige ihn, Tex, ich bin gleich bei dir. Lenke ihn vom Wagen ab!«

Tex Antonelli glitt aus der Führerkabine und lief vom Laster weg auf den Strand zu, wo ihn der rasende Wikinger entdeckte. Er machte sich sofort an die Verfolgung. Als er bis auf fünfzig Meter herangekommen war, blieb Tex stehen und hob zwei faustgroße Steine auf, schön abgeschliffen und rund. Er spielte mit ihnen, als seien es Schlagbälle, und wartete ruhig, bis der wilde Angreifer näherkam. Bei fünf Metern Entfernung zielte er mit dem ersten Stein nach dem Kopf des Gegners und mit dem zweiten blitzschnell in die Magengrube, als der Mann den Schild hochriß. Beide Steine waren gleichzeitig in der Luft, und der Wikinger konnte nur den oberen abwehren. Mit einem lauten Plumps setzte er sich auf den Boden, als ihn das zweite Geschoß in den Magen traf. Tex lief ein paar Schritte weiter und hob wieder zwei Steine auf.

»Bleyoa!«[1] keuchte der Mann und schüttelte die Axt.

»Ja, und du bist auch einer. Los, komm her, Freund, je größer sie sind, desto härter treffen sie.«

»Fesseln wir ihn«, sagte Dallas, der hinter dem Laster hervorkam und ein Lasso über dem Kopf schwang. »Der Professor ist wegen seiner Instrumente schon ganz zappelig und möchte wieder heim.«

»Also schön, ich werde versuchen, ihn hochzubringen.«

Tex brüllte ein paar Beleidigungen, die er beim Marinekorps gelernt hatte, aber sie durchdrangen die Sprachbarriere nicht. Dann nahm er Zuflucht zu der lateinischen Gestensprache, die er als Jugendlicher aufgeschnappt hatte, und nannte den Wikinger mit schnellen Hand- und Fingerbewegungen einen Hahnrei und Wallach, dann schrieb er ihm ein paar häßliche Charakterzüge zu, und zu guter Letzt kam die gräßlichste aller Kränkungen — linke Hand auf den rechten Bizeps, so daß die rechte Hand hochschnellte. Eine — oder mehrere — dieser Gesten hatten offensichtlich Verwandte im elften Jahrhundert, denn der Wikinger röhrte vor Wut und kam schwankend auf die Beine. Tex blieb ruhig stehen, obwohl er neben dem angreifenden Berserker wie ein Zwerg wirkte. Die Axt schwang aus, und Dallas fing sie mit seinem Lasso, während gleichzeitig Tex dem Wütenden ein Bein stellte. Als der Wikinger krachend zu Boden stürzte, warfen sich beide Männer auf ihn. Tex machte ihn bewegungsunfähig, indem er ihm die Arme auf den Rücken drehte, und Dallas umwickelte seine Hand- und Fußgelenke mit dem Lasso. In ein paar Sekunden war er hilflos, und er fluchte laut vor sich hin, als sie ihn über die Kiesel zum Laster zurückschleppten. Tex hatte die Axt und Dallas den Schild.

»Ich muß mit ihm reden«, beharrte Jens Lyn. »Es ist eine seltene Gelegenheit.«

»Wir müssen sofort zurück«, drängte der Professor und verschob einen der Knöpfe mit Hilfe einer Mikrometerschraube.

»Wir werden angegriffen«, quietschte Amory Blestead und deutete mit bleichem Finger zum Haus hinüber. Eine zerlumpte Horde langmähniger Männer kam mit Schwertern, Speeren und Äxten den Hang herab auf sie zu.

»Wir verschwinden«, befahl Barney. »Werft diesen prähistorischen Bauernlümmel hinten in den Laster, und dann starten wir. Sie können nach unserer Rückkehr noch lange mit ihm sprechen, Doc.«

Tex sprang in die Führerkabine und nahm den Revolver vom Sitz. Er schoß damit in Richtung Meer, bis alle Kammern leer waren. Dann ließ er den Motor auf vollen Touren laufen, blinkte mit dem unversehrten Scheinwerfer auf und ab und drückte auf die Hupe. Das Geschrei der Angreifer wurde zu einem ängstlichen Gewinsel. Sie ließen die Waffen fallen und flohen zurück zum Haus. Der Laster zog eine Kurve und fuhr wieder zum Strand hinunter. Als sie um die scharfe Biegung an der Landzunge kamen, hörten sie hinter den Felsen eine Hupe, und Tex konnte gerade noch das Steuer nach rechts herumreißen — die Reifen standen bereits im Wasser — als ein zweiter olivgrüner Laster um die Landzunge donnerte und an ihnen vorbeizischte.

»Sonntagsfahrer!« rief Tex aus dem Fenster und steuerte den Wagen wieder aufs Ufer.

Barney Hendrickson sah auf, als der andere Laster vorbeifuhr und in die Spur ihres eigenen Wagens einbog. Und dann war er wie erstarrt, als er in die Öffnung der Plane blickte. Er sah sich selbst breitbeinig dastehen, während der Laster über die Felsen holperte, und er sah, daß er grinste. Im letzten Moment, bevor der fremde Laster verschwand, schnitt ihm der andere Barney Hendrickson eine Grimasse. Barney ließ sich auf die Kiste fallen, als der Wagen um die Landzunge verschwunden war.

»Haben Sie das gesehen?« keuchte er. »Was ist geschehen?«

»Sehr interessant.« Professor Hewett schaltete den Generator ein. »Die Zeit ist plastischer, als ich es je dachte. Sie gestattet die Verdoppelung der Weltlinien, vielleicht sogar eine Verdreifachung oder noch mehr. Die Möglichkeiten sind unglaublich …«

»Wollen Sie mit dem Quatsch aufhören und mir erklären, was ich gesehen habe?« fauchte Barney und senkte die beinahe leere Whiskyflasche.

»Sie haben sich selbst gesehen, oder wir haben uns gesehen, die wir sein werden — ich fürchte, unsere Grammatik reicht nicht aus, um eine Situation wie diese genau zu beschreiben. Vielleicht könnte man sagen, Sie haben diesen Laster hier gesehen, wie er zu einem späteren Zeitpunkt sein wird. Das ist doch ganz einfach zu verstehen.«

Barney stöhnte und leerte die Flasche, dann schrie er schmerzerfüllt auf, als der Wikinger es schaffte, sich auf dem Boden herumzudrehen und ihn ins Bein zu beißen.

»Laßt die Füße lieber auf den Kisten«, warnte Dallas. »Er hat immer noch Schaum vor dem Mund.«

Der Laster wurde langsamer, und Tex rief ihnen zu: »Wir kommen jetzt zu der Stelle, von der die Reise ausging. Was soll ich tun?«

»Halten Sie genau am Anfangspunkt. Das macht die Einstellung der Instrumente leichter. Meine Herren, bereiten Sie sich darauf vor — die Rückreise durch die Zeit beginnt.«

»Troll taki yor öll!«[2] brüllte der Wikinger.

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