»Sie müssen schon entschuldigen, daß ich nicht aufstehe«, sagte Jens Lyn. »Aber der Doktor hält streng auf Nachmittagsruhe.«
»Natürlich«, erwiderte Barney. »Haben Sie noch Schmerzen?«
Jens lag in einem Lehnstuhl im Garten seines Hauses und sah sehr viel schmaler und blasser aus, als Barney ihn in Erinnerung hatte.
»Eigentlich nicht«, sagte Jens. »Die Wunde muß nur noch verheilen. Ich war gestern sogar bei der Premiere. Und ich muß zugeben, daß mir der Film eigentlich gefallen hat.«
»Sie sollten für die Zeitungen schreiben. Einer der Kritiker beschuldigte uns, wir würden auf Realismus im Stil der Russen machen, und unsere verdreckten, abgerissenen Helden hätten kläglich versagt. Er wollte sogar das Stück kalifornischer Küste erkannt haben, an der der Streifen gedreht wurde.«
»Ich kann seine Gefühle verstehen. Obwohl ich die Dreharbeiten mitverfolgt habe, kamen mir die Filmszenen unwirklich vor. Ich glaube, wir haben uns so an die Wunder des Films gewöhnt, daß wir nichts mehr merkwürdig finden. Aber bedeutet nun die negative Haltung der Kritiker, daß der Film ein Mißerfolg ist?«
»Ganz im Gegenteil! Die Kritiker greifen immer die Geldmacher an. Wir haben unsere Kosten bereits zehnmal gedeckt, und der Film läuft erst an. Das Experiment war ein herrlicher Erfolg, und wir halten morgen eine Konferenz ab, bei der der nächste Film besprochen wird. Ich wollte nur bei Ihnen vorbeisehen, ob Sie uns noch — äh — böse sind …«
»Böse? Nein, Barney, das ist vorbei. Ich muß mich entschuldigen, daß ich so unbeherrscht war. Ich sehe die Dinge jetzt in einer ganz anderen Perspektive.«
Barney lachte breit. »Das ist eine gute Nachricht. Ich muß zugeben, daß ich mir Sorgen Ihretwegen machte. Ich brachte sogar ein Friedensangebot mit. Dallas hat es besorgt und mich gebeten, es Ihnen zu überreichen.«
»Du liebe Güte«, sagte Jens, als er das Paket öffnete und das gekerbte, flache Holz sah. »Was ist das?«
»Ein Schleuderholz, Marke Kap Dorset. Sie hatten diese Dinger bei sich, als sie die Wikinger angriffen.«
»Natürlich.« Jens nahm ein dickes Buch vom Tisch. »Wie nett, daß Sie an mich gedacht haben. Und übermitteln Sie Dallas meinen besten Dank. Wissen Sie, ein paar Leute von der Filmgesellschaft haben mich schon besucht und mir erzählt, was sich in meiner Abwesenheit zugetragen hat. Und ich kann es hier auch nachlesen.« Er deutete auf das Buch, und Barney sah verwundert drein.
»Das sind die Isländischen Sagas in der Originalfassung. Natürlich wurden die meisten mehr als zweihundert Jahre lang mündlich überliefert, bevor man sie niederschrieb, aber es ist erstaunlich, wie genau sie sich erhalten haben. Da — wenn ich Ihnen ein Stück aus der ›Thorfinn-Karlsefni-Saga‹ vorlesen darf: ›Nach dieser Zeit entdeckten sie eine große Schar von skrælling, die in Booten vom Süden kamen … Sie schwangen Stöcke entgegen dem Lauf der Sonne und stießen laute Schreie aus.‹ Bei den Stöcken muß es sich um die Schleuderhölzer gehandelt haben.«
»Heißt das, daß alles, was Ottar erlebt hat, in diesen Sagas festgehalten ist?«
»Alles. Natürlich fehlen ein paar Stücke, und alles klingt ein wenig wirr, doch das ist nach zweihundert Jahren mündlicher Überlieferung kein Wunder. Aber die Reise, das Errichten der Siedlung, der Angriff der skrælling — sogar das Eis und der Bulle, der sie erschreckte — sind hier enthalten.«
»Steht hier auch, wie Ottars Leben endete?«
»Nun, nach den Erzählungen ist offensichtlich, daß er nach Island zurückkehrte oder seine Abenteuer anderen Nordmännern erzählte, die ihn besuchten. Es gibt verschiedene Versionen seines späteren Lebens, aber alle sind sich darüber einig, daß er wohlhabend und glücklich war.«
»Schön für Ottar, er verdient es. Wissen Sie, daß Slithey zu ihm zurückkehrte?«
»Die Gudrid der Sagas, natürlich. Ich las darüber in den Zeitungen.«
»Ja. Die Notiz dürfte nicht von ihrem Presseagenten stammen. ›Ich ziehe mich vom Filmgeschäft zurück, um mit dem Mann zu leben, den ich liebe, und das süßeste Baby der Welt großzuziehen. Die sanitären Anlagen auf unserer Farm sind nicht die besten, aber dafür haben wir viel frische Luft und eine schöne Landschaft.‹«
»Genau so war es.«
»Arme Slithey. Ob sie wohl eine Ahnung hat, in welchem Zeitalter sich ihre Farm befindet?«
Jens lächelte. »Das ist doch im Grunde nicht wichtig, oder?«
»Da haben Sie auch recht.«
Jens nahm eine Fotokopie aus dem Buch. »Ich habe Ihnen das aufgehoben. Einer meiner Studenten entdeckte es und brachte es mir mit. Es ist die Abschrift eines Artikels der New York Times aus dem Jahre 1935.«
»Störungen bei Versammlung«, las Barney. »Der Kongreß der Archäologischen Gesellschaft wurde unterbrochen, als zwei Teilnehmer im Vorraum in ein Handgemenge gerieten … Prozeß wegen Verleumdung … behauptet, daß sich Dr. Perkins einen groben Scherz geleistet hat, als er erklärte, er habe Glasfragmente in einem nordischen Abfallhaufen auf Neufundland entdeckt. Als Betrug erklärt, weil diese Glasform nie mit den nordischen Kulturen in Verbindung gebracht wurde … hat in Wirklichkeit Ähnlichkeit mit einer bekannten amerikanischen Whiskyflasche …«
Barney lächelte, als er das Blatt zurückgab. »Ottar hatte wohl Schwierigkeiten, seine leeren Flaschen loszuwerden.« Er stand auf. »So leid es mir tut, ich muß gehen. Ich komme ohnehin schon zu spät zur Konferenz.«
»Nur noch eines. In diesen Sagas taucht immer wieder der Name eines Mannes auf, der anscheinend bedeutenden Einfluß bei der Besiedlung Vinlands hatte. Er soll eine oder mehrere Reisen mit Thorfinn gemacht haben und ihm dann sogar sein Boot verkauft haben.«
»Ach, das muß dieser Thorvald Eriksson sein.«
»Nein. Er heißt Bjarni Herjolfsson.«
»Interessant, Jens, aber ich muß jetzt wirklich gehen.«
Barney war auf der Straße, bevor er merkte, daß Barney Hendrickson nach einigen Jahrhunderten ohne weiteres in Bjarni Herjolfsson umgewandelt werden konnte.
»Sogar ich komme darin vor!« keuchte er.
»Gehen Sie nur hinein, Mister Hendrickson«, sagte Miß Zucker, und sie lächelte sogar. Barney wußte, daß er in der Wertschätzung von Climactic gestiegen war.
»Wir haben auf Sie gewartet«, sagte L. M., als er hereinkam. »Hier ist eine Zigarre.«
Barney nahm sie und steckte sie in die Brusttasche.
»Wie gefällt Ihnen das?« fragte L. M. und deutete auf einen Tigerkopf an der Wand. »Aus dem Fell lasse ich mir einen Vorleger machen.«
»Klasse«, erwiderte Barney. »Aber ich habe noch nie so einen Tiger gesehen.« Der Kopf war fast einen Meter lang, und am Unterkiefer standen zwei riesige Zähne vor.
»Ein Degenzahntiger«, sagte L. M. stolz.
»Ah, Sie meinen einen Säbelzahntiger.«
»Ein Degen ist doch eine Art Säbel, oder? Diese beiden Revolvermänner haben ihn mir geschenkt. Sie führen Safaris für reiche Leute durch, und wir bekommen einen Prozentsatz davon, weil wir ihnen die Ausrüstung zur Verfügung stellen.«
»Entzückend«, sagte Barney.
»Genau.« L. M. klopfte mit seinem Goldfeuerzeug auf den Tisch. »Aber jetzt geht es an die Arbeit. Wir müssen dem Sensationserfolg des Wikingerfilms eine noch größere Sensation folgen lassen. Barney, bevor Sie hereinkamen, sagte Charley Chang gerade, daß Bibelfilme wieder gefragt sind.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Barney und setzte sich bolzengerade auf. »L. M., nein …«
Aber L. M. lächelte und hörte nicht zu. »Und da kommt mir eine Idee. Wir nehmen ein religiöses Thema, das in der ganzen Geschichte einmalig ist. Damit können wir gar nicht fehlgehen …«