4

Barney Hendrickson unterdrückte ein Stöhnen, und die Hand, die den Pappbecher mit dem schwarzen Kaffee an die Lippen führte, zitterte schwach. Er hatte vergessen, seit wie vielen Stunden — oder Jahrhunderten — er keinen Schlaf mehr gehabt hatte. Während der Nacht hatte sich eine Schwierigkeit nach der anderen ergeben, bis die Dämmerung des neuen Tages ihre eigenen Probleme mitbrachte. Dallas Levys Stimme klang im Telefonhörer wie das Surren einer wütenden Wespe.

»Einverstanden, einverstanden, Dallas«, krächzte er. Seine Stimmbänder waren von drei nacheinander gerauchten Zigarettenpaketen überbeansprucht. »Bleibe nur bei ihm und sorge dafür, daß er ruhig ist. Niemand geht in die Nähe dieser alten Lagerräume … Gut, die letzten drei Stunden bekommst du doppelt … meinetwegen, ab jetzt das Dreifache, ich werde es verantworten. Halte ihn in Schach, bis wir entschieden haben, was wir mit ihm anfangen. Und sage Dr. Lyn, daß er heraufkommen soll, wenn er frei ist.«

Barney legte auf und versuchte sich auf den Finanzplan zu konzentrieren, der vor ihm lag. Bis jetzt stand neben den meisten Einträgen ein BleistiftFragezeichen. Leicht würden sie es mit diesen Aufnahmen nicht haben. Und was geschah, wenn die Polizei Wind von dem Wikinger bekam, den sie da unten eingesperrt hatten? Konnte man wegen Entführung bestraft werden, wenn man jemand in die Gegenwart holte, der seit beinahe tausend Jahren tot war? Er griff wieder nach dem Kaffee. Professor Hewett, offensichtlich frisch wie eh und je, marschierte im Büro auf und ab und stellte Gleichungen auf einer Taschen-Rechenmaschine zusammen. Die Ergebnisse kritzelte er in ein kleines Notizbuch.

»Schon irgendwelche Resultate, Professor?« fragte Barney. »Können wir größere Gegenstände als den Laster in die Vergangenheit schicken?«

»Geduld, Sie müssen sich in Geduld üben. Die Natur gibt ihre Geheimnisse nur mit der größten Zurückhaltung her, und eine falsch gesetzte Dezimalstelle kann die Lösung unmöglich machen. Es gibt viele Faktoren, die außer den anerkannten vier Dimensionen …«

»Ersparen Sie mir die Einzelheiten, ich will nur die Antwort wissen.« Seine Sprechanlage summte, und er bat seine Sekretärin, Dr. Lyn hereinzuführen. Lyn lehnte eine Zigarette ab und versuchte, seine lange Gestalt knitterfrei im Sessel unterzubringen.

»Heraus mit den Hiobsbotschaften«, sagte Barney. »Außer Sie sehen immer so trist drein. Kein Glück bei dem Wikinger?«

»Wie Sie sagen, kein Glück. Da ist erst einmal das Verständigungsproblem. Sie wissen, daß es mir einfach unmöglich ist, die altnordische Sprache perfekt zu beherrschen. Dazu kommt, daß Ottar wenig oder gar kein Interesse zeigt, mit mir zu diskutieren. Aber ich habe das Gefühl, daß man ihn mit der nötigen Aufmunterung dazu bringen könnte, Englisch zu lernen.«

»Aufmunterung?«

»Geld, oder das Äquivalent des elften Jahrhunderts. Wie die meisten Wikinger ist er sehr gewinnsüchtig und wird fast alles tun, um Status und Reichtum zu erlangen, obwohl er es natürlich vorzieht, beides durch Kämpfe zu erlangen.«

»Natürlich. Wir können ihn dafür bezahlen, daß er Sprachunterricht nimmt. Aber wie ist es mit der Zeit? Können Sie ihm die Sprache in vierzehn Tagen beibringen?«

»Unmöglich! Bei einem willigen Schüler ginge es vielleicht, aber nicht bei Ottar! Er ist trotzig, und zudem weigert er sich, überhaupt etwas zu tun, solange wir ihn nicht freilassen.«

»Kommt nicht in Frage!« sagte Barney und widerstand dem plötzlichen Verlangen, sich die Haare auszuraufen. »Ich kann schon vor mir sehen, wie dieser haarige Wilde mit seinem Metzgerbeil an der nächsten Straßenecke herumläuft. Das geht nicht.«

»Wenn ich einen Vorschlag äußern darf«, sagte Hewett und blieb vor Barneys Schreibtisch stehen. »Wenn Dr. Lyn mit dem Eingeborenen in dessen eigene Zeit zurückkehren würde, hätte er reichlich Gelegenheit, ihm Englisch in seiner gewohnten Umgebung beizubringen. Das würde den Mann beruhigen.«

»Mich aber nicht, Professor«, sagte Lyn kühl. »Das Leben in jener Ära ist zumeist brutal und kurz.«

»Ich bin sicher, daß man da Vorsichtsmaßnahmen treffen könnte, Doktor«, sagte Hewett und spielte mit seiner Rechenmaschine. »Und ich könnte mir denken, daß die philologischen Möglichkeiten den persönlichen Faktor bei weitem überwiegen …«

»Das stimmt natürlich«, meinte Lyn, und sein entrückter Blick erfaßte Stammwörter, Fälle und Geschlechtswörter, die seit Zeitaltern verschollen waren.

»Hinzu kommt der bedeutende Vorteil, daß auf diese Weise der Zeitfaktor entsprechend der Notwendigkeit gestaltet werden kann. Meine Herren, wir können die Zeit ausdehnen oder verkürzen, wie wir wollen. Doktor Lyn kann zehn Tage, zehn Wochen oder zehn Jahre haben, um Ottar die englische Sprache beizubringen, und zwischen dem Augenblick, in dem er aufbricht, und dem Augenblick seiner Rückkehr vergehen von unserem Standpunkt aus nur ein paar Minuten.«

»Zwei Monate müssen genügen«, fauchte Lyn, »wenn Sie auch meinen Standpunkt in Betracht ziehen wollen.«

»Also einverstanden«, sagte Barney. »Lyn geht mit dem Wikinger zurück und bringt ihm Englisch bei, und wir kommen mit der Filmgesellschaft zwei Monate später an — Wikingerzeit natürlich — und beginnen mit der Produktion.«

»Ich habe noch nicht eingewilligt«, beharrte Lyn. »Die Gefahren …«

»Ich möchte doch wissen, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie die einzige Autorität der Welt auf dem Gebiet der altnordischen Sprache wären«, sagte Barney. Er kannte den akademischen Geist, und die großen Augen von Lyn zeigten ihm, daß der Pfeil getroffen hatte. »Schön. Wir können die Einzelheiten später ausarbeiten. Versuchen Sie doch jetzt einmal, Ottar den Plan nahezubringen. Erwähnen Sie Geld. Wir lassen ihn einen Vertrag unterschreiben, dann sind Sie in Sicherheit, solange er seine Bezahlung noch nicht hat.«

»Vielleicht«, sagte Lyn, und Barney wußte, daß er ihn an der Angel hatte.

»Also gut. Während Sie mit Ottar sprechen, lasse ich von der Vertragsabteilung einen Text entwerfen.« Er schaltete die Sprechanlage ein. »Das Vertragsbüro, Betty. Ist das Benzedrin schon da?«

»Ich habe vor einer Stunde in der Krankenstation angerufen.« Die Stimme im Lautsprecher klang quäkend.

»Rufen Sie nochmals an, wenn Sie wollen, daß ich mittags noch lebe.«

Als Jens Lyn hinausging, kam ein schmaler Orientale herein. Er trug rosa Hosen, ein kirschrotes Hemd, eine Tweedjacke und einen säuerlichen Ausdruck.

»Hallo, Charley Chang«, strahlte Barney und streckte die Hand aus. »Lange nicht gesehen.«

»Viel zu lange, Barney«, sagte Chang breit grinsend und schüttelte die ausgestreckte Hand. »Gut, daß wir wieder einmal zusammenarbeiten.«

Sie hatten eine gesunde Abneigung gegeneinander, und sobald das Händeschütteln vorbei war, zündete sich Barney eine Zigarette an, und Changs Lächeln verschwand in den Sorgenfalten seines normalen Gesichtsausdrucks. »Was braut sich zusammen, Barney?« fragte er.

»Ein Breitwandfilm — drei Stunden lang und sehr teuer veranschlagt. Und du bist der einzige, der ihn schreiben kann.«

»Allmählich wird der Stoff knapp, Barney, aber ich war schon immer der Meinung, daß sich aus den Gesängen Salomons etwas herausholen ließe. Sexy, aber nicht schweinisch …«

»Das Thema ist bereits gewählt. Eine vollkommen neue Version der Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger …«

Changs Falten vertieften sich. »Klingt gut, Barney, aber du weißt, ich bin Spezialist. Das hier liegt nicht in meinem Fachgebiet.«

»Du bist ein guter Autor, Charley, und das heißt, daß du alles schreiben kannst. Außerdem werden wir doch den Vertrag nicht vergessen, haha.«

»Nein, wir vergessen den Vertrag nicht, haha«, erwiderte Charley kühl. »Ich wollte schon immer brennend gern eine historische Sache schreiben.«

»Großartig«, sagte Barney und zog den Finanzplan wieder zu sich heran. Die Tür ging auf, und ein Bote schob einen mit Büchern beladenen Karren herein. Barney deutete auf den Reichtum. »Das haben wir aus der Bibliothek ausgegraben — Sachen, die du wissen mußt. Du kannst sie schnell mal durchblättern, dann kümmere ich mich wieder um dich.«

»Ganz schnell, ja, ja«, sagte Charley und beäugte böse die gut zwanzig Bände, die nicht gerade dünn waren.

»Fünftausendsiebenhundertdreiundsiebzig Komma zwei acht Kubikmeter mit einer Belastung von zwölftausendsiebenhundertsiebenundsiebzig Komma sechs zwei Kilogramm bei einer Energieverstärkung von siebenundzwanzig Komma zwei Prozent«, sagte Professor Hewett plötzlich.

»Wovon reden Sie eigentlich, verdammt noch mal?« fauchte Barney.

»Das sind die Zahlen, die Sie wissen wollten — die zusätzliche Belastung, die das Vermeatron bei größerer Energie aufnimmt.«

»Sehr schön. Und könnten Sie das jetzt in Normalamerikanisch übersetzen?«

»Grob gesprochen —« Hewett sah zur Decke und murmelte vor sich hin — »würde sich eine Last von vierzehn Tonnen und den Ausmaßen vier mal vier mal dreizehn Metern in eine andere Zeit bewegen lassen.«

»Das klingt schon besser. Und es müßte reichen, um unseren Stab zu transportieren.«

»Der Vertrag«, sagte Betty und warf ein achtseitiges, zusammengefaltetes Dokument auf den Tisch.

»Gut«, erwiderte Barney und blätterte die Bogen rasch durch. »Holen Sie Dallas Levy.«

»Miß Tove wartet draußen auf Sie.«

»Doch nicht jetzt! Sagen Sie ihr, ich hätte Aussatz. Und überhaupt, wo bleiben meine Pillen?«

»Ich habe dreimal in der Krankenstation angerufen. Offenbar herrscht heute Personalmangel.«

»Diese seelenlosen Bastarde. Gehen Sie selbst nach unten.«

»Hallo, Barney Hendrickson. Es ist ja eine Ewigkeit her …«

Die mit rauchiger Stimme hineingeworfenen Worte wurden mit Schweigen aufgenommen. Böse Zungen behaupteten, Slithey hätte die Begabung einer ausrangierten Marionette, das Hirn eines Chihuahuas und die Moral einer Fanny Hill. Sie hatten recht. Dennoch erklärten diese Fähigkeiten — oder NichtFähigkeiten — keineswegs die Erfolge ihrer Filme. Slithey besaß eine Eigenschaft im Übermaß: Weiblichkeit. Und sie konnte sich mit anderen Leuten gewissermaßen auf Hormonebene verständigen. Sie strahlte nicht Sex selbst aus, sondern das Gefühl, daß ihr persönlicher Sex nicht unerreichbar war. Was durchaus stimmte. Und dieser Hauch wurde, kaum abgeschwächt, durch alle Barrieren des Films getragen und strahlte heiß und atemberaubend von der Leinwand, ihre Filme brachten volle Kassen. Die meisten Frauen mochten sie nicht. Ihre Aura, die im Moment weder durch Zeit, Raum oder Zelluloid abgedämpft wurde, suchte den Raum wie ein Sonargerät ab und zitterte vor unbändiger Leidenschaft.

Betty zog deutlich die Nase hoch und rauschte aus dem Zimmer, obwohl sie ihren Schritt einen Moment verlangsamen mußte, um an der Schauspielerin vorbeizukommen, die seitlich in der Tür stand. Der Ausspruch, daß Slithey den größten Busen Hollywoods hätte, war nicht übertrieben.

»Slithey …«, begann Barney, und seine Stimme wurde brüchig. Natürlich zu viele Zigaretten.

»Barney, Liebling …« Ihre schön geschwungenen Beine brachten sie langsam durch das Büro näher. »Es ist eine Ewigkeit her, seit ich dich gesehen habe.«

Die Hände auf dem Schreibtisch, beugte sie sich vor, und die Schwerkraft zerrte an dem dünnen Stoff ihrer Bluse, so daß achtundneunzig Prozent ihres Busens frei wurden. Barney hatte das Gefühl, als würde er kopfüber in einen Grand Canyon aus Fleisch stürzen.

»Slithey«, sagte er und stand mit einem Ruck auf; er wäre schon früher einmal beinahe in diese Falle geraten. »Ich wollte mit dir über diesen Film sprechen, den wir vorhaben, aber du siehst ja, wie beschäftigt ich im Augenblick bin …«

Unwillkürlich hatte er sie am Arm genommen — es klopfte unter seinen Fingern wie ein großes, heißes Herz, als sie sich näherbeugte. Er riß seine Hand los.

»Wenn du eine Weile warten könntest — ich kümmere mich so bald wie möglich um dich.«

»Ich setze mich da hinten hin«, sagte sie mit rauher Stimme. »Ich störe bestimmt niemand.«

»Sie brauchen mich?« Dallas Levy kam durch die offene Tür. Er sprach mit Barney, aber seine Blicke beschäftigten sich ausführlich mit der Schauspielerin. Hormone trafen auf Hormone, und Slithey atmete automatisch tief ein. Dallas lächelte interessiert.

»Ja«, sagte Barney und kramte den Vertrag aus dem Papierwust seines Schreibtisches. »Bring das da Lyn und sag ihm, er soll seinen Freund zur Unterschrift bewegen. Irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Nicht seit wir entdeckten, daß er angebranntes Beefsteak und Bier mag. Immer wenn er aufmuckt, stecken wir ihm ein Steak und einen halben Liter Bier zu, und er vergißt seinen Kummer. Bis jetzt acht Steaks und acht Halbe.«

»Also, besorg mir die Unterschrift.« Barneys Blick fiel zufällig auf Slithey, die sich in den Lehnstuhl drapiert hatte und ihre Beine überkreuzte. Ihre Strumpfbänder hatten kleine rosa Schleifen …

»Was sagst du, Charley?« fragte Barney und drehte sich in seinem Bürostuhl im Kreis. »Schon ein paar brauchbare Ideen?«

Charley Chang hob einen dicken Schmöker hoch. »Ich bin auf Seite 13, und da liegen noch ein paar Bände herum.«

»Füllmaterial«, versicherte ihm Barney. »Wir können jetzt die groben Linien festlegen und die Einzelheiten später einsetzen. L. M. schlug eine Saga vor, und das kann nicht schlecht sein. Wir beginnen bei den Orkney-Inseln um das Jahr 1000, als es dort ziemlich stürmisch zuging. Wir haben nordische Siedler und Wikinger-Piraten, und die Dinge spitzen sich zu. Vielleicht könntest du mit einem Wikingerüberfall anfangen. Das Drachenschiff gleitet durch die dunklen Wogen, du weißt schon.«

»Wie bei einem Western, wenn die Bankräuber leise in die Stadt schleichen?«

»Genau. Der Held ist der Wikingerhäuptling oder vielleicht der Siedlerboß, das überlasse ich dir. Es gibt also einen Kampf, und dann noch einen, und der Held entschließt sich, sein Bündel zu packen und nach der neuen Welt Vinland abzureisen, von der er eben gehört hat.«

»Wie die Eroberung des Westens?«

»Richtig. Dann die Reise, der Sturm, der Schiffbruch, die Landung, die erste Siedlung, der Kampf mit den Indianern. Denke großzügig, denn wir haben viel Material. Das Ende heroisch mit Blick in den Sonnenuntergang.«

Charley Chang kritzelte Notizen auf das erste Blatt des Buches und nickte. »Noch eines«, sagte er und hielt das Buch hoch. »Die Namen von einigen dieser Kerle sind wirklich Mist. Hör dir das an! Da heißt einer Eyjolf der Stinkende, und der hat einen Freund namens Hergil Hnappraz. Dazu Polarbär-Schwein, Ragnar Haarigbein und viele andere. Für einen Witzfilm ginge es …«

»Es wird ein sehr ernsthafter Film, Charley, ernsthafter als jeder andere.«

»Du bist der Boß, Barney. Es war nur ein Vorschlag. Und was ist mit der Liebe?«

»Bring sie früh ins Spiel, du weißt ja, wie man das macht.«

»Die Rolle ist wie geschaffen für mich, Barney, Liebling«, flüsterte die Stimme in sein Ohr, während sich warme Arme um ihn schlangen und er in einem Meer nachgiebigen Fleisches zu versinken drohte.

»Laß dich von ihm nicht übers Ohr hauen, Slithey«, hörte er eine gedämpfte Stimme. »Barney Hendrickson ist mein Freund, mein lieber, alter Freund, aber er ist auch ein ganz schlitzohriger Geschäftsmann. Tut mir leid, aber ich werde den Vertrag genau untersuchen müssen, bevor du ihn unterschreibst. Und versprich ihm nicht zuviel.«

»Iwan«, sagte Barney und kämpfte sich aus der parfümierten Umarmung frei, »kümmere dich einen Moment um deinen Schützling, bis ich Zeit für euch habe. Ich weiß nicht, ob wir ein Geschäft machen können, aber zumindest läßt sich darüber reden.«

Iwan Grissini, der mit seinem glatten Haar, der Hakennase und dem verknautschten, von Schuppen übersäten Anzug wie ein unehrlicher Agent aussah, war zur Überraschung aller tatsächlich ein unehrlicher Agent. Er roch ein Geschäft zehn Meilen gegen einen Gewittersturm und trug immer sechzehn Füllfederhalter bei sich, die er jeden Morgen in einem feierlichen Ritual mit Tinte versah.

»Setz dich da drüben hin, Baby«, sagte er und schob Slithey mit geübter Hand auf die Ecke zu. Da sie nicht auf Dollars schlief, war er ihren Reizen gegenüber unempfindlich. »Barney Hendrickson ist ein Mann, der Wort hält.«

Das Telefon klingelte eben, als Jens Lyn hereinkam und den Vertrag schwenkte. »Ottar kann das nicht unterschreiben. Es ist in Englisch abgefaßt.«

»Dann übersetzen Sie es, Sie sind ja dafür da. Moment.« Er nahm den Hörer auf.

»Ich könnte es übersetzen, auch wenn es ungeheuer schwierig wäre, aber was soll es? Er kann nicht lesen.«

»Einen Moment, Lyn. Nein, nicht du, Sam. Ich weiß, Sam … Natürlich habe ich den Kostenvoranschlag gesehen, ich habe ihn ja selbst gemacht. Nein, du brauchst mich nicht zu fragen, wo ich die Spritze herbekomme. Sei doch realistisch, Mann … gut, ich gebe zu, daß du nicht von gestern bist … aber was du nicht weißt, ist die Tatsache, daß der Film innerhalb der Summe produziert werden kann, die ich angegeben habe, plus oder minus fünfzigtausend … Gebrauche niemals das Wort ›unmöglich‹, Sam. Das Unmögliche dauert zwar eine Zeitlang, aber wir schaffen es, das solltest du aus Erfahrung wissen … Was? … Am Telefon? Sam, sei vernünftig. Ich habe im Moment einen richtigen Affenzirkus in meinem Büro, ich kann dir wirklich keine Einzelheiten erzählen … Ich will dich abwimmeln? Ich? Niemals! … Ja, frage ihn unbedingt. L. M. weiß über diesen Film genau Bescheid, von Anfang an. Du wirst sehen, daß er mich rückhaltlos unterstützt. Schön … Ja, das wünsche ich dir auch, Sam.«

Er ließ den Hörer auf die Gabel fallen, und Charley Chang sagte: »Sie wird bei einem Überfall gefangengenommen und kämpft mit echtem Haß gegen den Entführer an, aber der Haß verwandelt sich in Liebe, ohne daß sie etwas dagegen tun kann.«

»Ich bin noch nie bei einem Überfall gefangengenommen worden«, kam Slitheys rauchige Stimme aus der Ecke.

»Gute Idee«, sagte Barney zu Charley.

»Und selbst wenn er lesen könnte — er kann nicht schreiben«, sagte Lyn.

»Dieses Problem haben wir bei ausländischen Schauspielern des öfteren«, erklärte ihm Barney. »Heften Sie die Übersetzung an den Vertrag, lassen Sie sie durch einen zweisprachigen Notar beglaubigen und durch Daumenabdruck oder sonst ein Zeichen von dem Verhandlungspartner unterzeichnen. Dann brauchen wir noch die Unterschrift von zwei unparteiischen Zeugen, und kein Gericht der Welt kann uns etwas anhaben.«

»Es könnte schwierig sein, einen Notar mit englischen und altnordischen Sprachkenntnissen aufzutreiben.«

»Rufen Sie bei unserem Schauspielerarchiv an, die wissen alles.«

»Da sind sie, Mister Hendrickson«, sagte seine Sekretärin und stellte ihm das Röhrchen mit den Tabletten auf den Tisch.

»Zu spät«, flüsterte Barney und starrte die Pillen reglos an. »Zu spät.«

Das Telefon und die Sprechanlage meldeten sich gleichzeitig, und er nahm zwei Tabletten und spülte sie mit dem kalten schwarzen Kaffee herunter, der nach Pappbecher schmeckte.

»Hier Hendrickson«, sagte er in die Sprechanlage.

»Barney, Sie müssen sofort in mein Büro kommen«, erklärte L. M.

Betty hatte das Telefon abgenommen. »Das war L. M. Greenspans Sekretärin«, sagte sie. »L. M. möchte, daß Sie sofort in sein Büro kommen.«

»Das habe ich eben gehört.«

Seine Oberschenkel schmerzten, als er sich erhob, und er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Tabletten wirkten. »Bleib in der Nähe, Charley, ich brauche bald eine Zusammenfassung, nur ein paar Blätter.«

Als er auf die Tür zuging, kam Iwan Grissinis Hand blitzschnell auf seinen Jackenaufschlag zu, aber er wich ihr mit einer Reflexbewegung aus. »Du bleibst auch in der Nähe, Iwan, ich muß mit dir sprechen, sobald ich L. M. gesprochen habe.« Das Stimmengewirr verstummte, als er die Tür hinter sich schloß. »Könnten Sie mir Ihr Handtuch leihen, Betty?«

Sie holte das Handtuch aus der untersten Schublade ihres Schreibtisches, und er stopfte es sorgfältig in seinen Hemdkragen. Dann bückte er sich und hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Er schnappte nach Luft, als Betty ihn anstellte. Einen Moment lang ließ er den eisigen Strom über Kopf und Hals rieseln, dann streckte er sich und trocknete sich ab. Betty lieh ihm ihren Kamm. Er fühlte sich schwach, aber besser, und als er in den Spiegel sah, fand er sich beinahe menschlich. Beinahe.

»Schließen Sie die Tür hinter sich ab«, sagte L. M., als Barney ins Büro kam. Dann schnitt er knurrend die Telefondrähte mit einer Drahtschere durch. »Sind noch welche da, Sam?«

»Das war der letzte«, sagte Sam mit seiner grauen, farblosen Stimme. Sam war selbst ein grauer, farbloser Mann, was eindeutig eine Schutztarnung war, da er L. M.s ganz persönlicher Privatbuchhalter war und in dem Ruf stand, ein Genie auf dem Gebiet der Finanzierung und Steuerumgehung zu sein. Er drückte einen Akt eng an die Brust und sah L. M. an. »Das ist jetzt nicht mehr nötig«, sagte er.

»Vielleicht, vielleicht«, sagte L. M. und ließ sich schnaufend in den Sessel fallen. »Aber wenn ich nur das Wort Bank ausspreche, solange die Telefone angeschlossen sind, bekomme ich Herzklopfen. Ich habe keine guten Nachrichten für Sie, Barney.« Er biß das Ende einer Zigarre ab. »Wir sind ruiniert.«

»Was meinen Sie?« Barney sah von einem ausdruckslosen Gesicht zum anderen. »Soll das eine Art Witz sein?«

»L. M. meint, daß die Climactic-Studios in Kürze pleite sind«, erklärte Sam.

»Mein Lebenswerk im Eimer«, sagte L. M. mit hohler Stimme.

Sam nickte einmal, so mechanisch wie die Marionette eines Bauchredners, und sagte: »So kann man es nennen. Normalerweise würde es mindestens ein Vierteljahr dauern, bis wir unseren Finanzbericht an die Banken schicken, die, wie du weißt, den überwiegenden Anteil unserer Firma besitzen. Aber aus irgendeinem schleierhaften Grund schicken sie uns diese Woche ihre Rechnungsprüfer.«

»Und …?« Barney hatte plötzlich einen leichten Kopf. Die Stille dehnte sich unerträglich hin, bis er aufsprang und im Zimmer hin- und hermarschierte. »Und sie werden entdecken, daß die Gesellschaft bankrott ist, daß alle Gewinne nur auf dem Papier stehen« — Er drehte sich um und deutete mit dramatischer Geste auf L. M. — »und daß die ganze harte Währung in die L. M.-Greenspan-Stiftung geflossen ist, die von der Steuer unantastbar ist. Kein Wunder, daß Sie so ruhig bleiben. Die Gesellschaft säuft vielleicht ab, aber L. M. Greenspan schwimmt tapfer weiter.«

»Hören Sie, so redet man nicht mit dem Mann, der einem zum Erfolg verholfen hat!«

»Und der einen mit absaufen läßt!« Barney faßte sich an die Kehle. »Hören Sie, L. M.«, fuhr er bittend fort, »wir haben immer noch eine Chance, bis die Henker kommen. Sie hatten sicher eine Rettungsaktion im Sinn, als Sie sich auf die Sache mit Professor Hewetts Zeitmaschine einließen. Sie müssen überzeugt davon gewesen sein, daß ein guter Streifen die Firma wieder auf die Beine bringt. Wir können den Film immer noch machen.«

L. M. schüttelte verdrießlich den Kopf. »Man kann einen Film nicht in einer Woche drehen.«

Man kann einen Film nicht in einer Woche drehen! Die Worte klingelten und rauschten durch die koffeinund tablettenüberlasteten Kanäle seines Gehirns und lösten eine schwache Erinnerung aus.

»L. M.«, sagte er dramatisch, »Sie werden einen Herzkollaps erleiden!«

»Wahnsinnsmensch!« L. M. schnappte nach Luft und ergriff einen Fettwulst in der Nähe des lebenswichtigen Organs. »Sagen Sie das nicht! Ein Herzkollaps macht einen für das restliche Leben anfällig.«

»Hören Sie mir zu! Sie gehen heute abend mit Sam heim und überprüfen die Bücher. Sie werden krank. Es kann eine Magenverstimmung sein, es kann ein Herzkollaps sein. Ihr Arzt tippt auf Herzkollaps. Für das Honorar, das er einsteckt, kann er Ihnen den kleinen Gefallen schon erweisen. Alles rennt kopflos herum und fleht um ein paar Tage Aufschub. Die Bücher werden vergessen. Dann ist das Wochenende da, niemand denkt daran, sie vor Montag oder Dienstag nachzuprüfen.«

»Montag«, sagte Sam fest. »Du kennst die Banken nicht. Wenn sie bis Montag die Bücher nicht haben, schicken sie einen Lastwagen mit Ärzten zu L. M.«

»Also gut dann, Montag. Das reicht.«

»Also Montag. Aber ist das ein großer Unterschied? Ehrlich gesagt, Sie verwirren mich«, klagte L. M. und runzelte die Stirn.

»Es ist ein Unterschied, L. M. Am Montag bringe ich Ihnen den neuen Film fix und fertig. Ein Film, der allein nach Länge, Farbe und Breite seine zwei, drei Millionen wert ist.«

»Aber das schaffen Sie nicht!«

»Und ob wir es schaffen! Sie vergessen das Vremeatron. Das Ding funktioniert. Erinnern Sie sich an gestern abend, als Sie dachten, wir seien nur zehn Minuten fort gewesen?« L. M. nickte zögernd. »Solange waren wir von dem Hier und Jetzt fort. Aber wir haben uns mehr als eine Stunde in der Wikingerzeit aufgehalten. Wir könnten es nochmals tun. Wir bringen alles, was wir brauchen, nach drüben und drehen den Film in aller Ruhe …«

»Sie meinen …?«

»Genau. Wenn wir mit dem Film zurückkommen, müssen hier nicht mehr als zehn Minuten vergangen sein.«

»Weshalb haben Sie nicht eher daran gedacht?« keuchte L. M. glückstrahlend.

»Aus einer Menge von Gründen …«

»Du willst doch nicht sagen …« Sam beugte sich so weit vor, daß er beinahe aus dem Stuhl kippte, und der Schatten eines Ausdrucks — ein Lächeln vielleicht? — huschte über sein Gesicht. »Du willst doch nicht sagen, daß wir nur für zehn Minuten Produktionskosten zahlen müssen?«

»Das will ich keineswegs sagen«, erwiderte Barney scharf. »Ich kann dir schon im voraus verraten, daß wir der Buchhaltung einiges Kopfzerbrechen verursachen werden. Aber, wenn dich das aufheitert, wir filmen an Ort und Stelle, und das kostet etwa ein Zehntel von Außenaufnahmen in Spanien.«

Sams Augen glitzerten. »Ich kenne die Einzelheiten dieses Projekts nicht, L. M., aber einige der Faktoren scheinen attraktiv zu sein.«

»Schaffen Sie es, Barney? Werden Sie mit diesem Film fertig?«

»Ich schaffe es, wenn Sie mir aus allen Kräften helfen und möglichst wenige Fragen stellen. Heute ist Dienstag. Meiner Meinung nach müßte bis Samstag hier alles geregelt sein.« Er zählte die Tage an den Fingern ab: »Wir müssen die Verträge unter Dach und Fach bringen, genügend Filmmaterial kaufen, die Techniker einstellen, mindestens zwei Ersatzkameras besorgen …« Er begann vor sich hinzumurmeln. »Ja«, sagte er schließlich, »es müßte gehen.«

»Ich weiß immer noch nicht«, meinte L. M. nachdenklich. »Es ist eine verrückte Idee.«

Die Zukunft lag auf der Waage, und Barney suchte verzweifelt nach einer Inspiration.

»Noch eines«, sagte er. »Wenn wir, sagen wir, ein halbes Jahr lang Aufnahmen machen, müssen Sie den Leuten ein Gehalt für ein halbes Jahr zahlen. Aber wenn wir die Kameras und Tonbänder mieten, müssen wir nur für ein paar Tage bezahlen.«

L. M. richtete sich steil auf. »Der Handel gilt, Barney.«

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