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»Was ist schiefgegangen?« fragte L. M. mißtrauisch, als sie müde in seinem Büro eintrudelten und sich in die gleichen Stühle fallen ließen, die sie vor Äonen verlassen hatten. »Was ist los — vor zehn Minuten seid ihr verschwunden, und nun kommt ihr schon wieder.«

»Zehn Minuten für Sie, L. M.«, sagte Barney, »aber für uns waren es Stunden. Die Maschine ist in Ordnung, also haben wir die erste und größte Hürde geschafft. Wir wissen jetzt, daß Professor Hewetts Vremeatron noch besser funktioniert, als wir erwartet hatten. Der Weg ist offen. Wir können ein Team in die Vergangenheit bringen und dort einen milieugetreuen, realistischen, billigen, langen und hochwertigen Breitwand-Schinken drehen. Unser nächstes Problem ist einfacher.«

»Eine Story.«

»Sie haben recht wie immer, L. M. Und zufällig haben wir eine Story, eine lebenswahre Story, und obendrein eine patriotische Story. Wer hat Ihrer Meinung nach Amerika entdeckt?«

»Christoph Kolumbus im Jahre 1492.«

»Das glauben die meisten Leute, aber in Wirklichkeit waren es die Wikinger.«

»War Kolumbus ein Wikinger? Ich hörte immer, er sei Jude gewesen.«

»Lassen wir einmal Kolumbus beiseite. Fünfhundert Jahre, bevor Kolumbus geboren wurde, waren Wikingerschiffe von Grönland losgesegelt und hatten das sogenannte Vinland entdeckt. Man konnte beweisen, daß es sich dabei um einen Teil Nordamerikas handeln muß. Die erste Expedition wurde von Erik dem Roten angeführt …«

»Ausgeschlossen! Sie wollen wohl, daß man uns kommunistische Tendenzen nachsagt?«

»Hören Sie doch zu, L. M.! Nachdem Erik das Land gefunden hatte, wurde es kolonisiert. Wikinger kamen, bauten dort ihre Häuser und legten Äcker an. Das alles wurde von dem legendären Helden Thorfinn Karlsefni organisiert …«

»Diese Namen! Der Kerl muß auch verschwinden. Ich kann schon die große Liebesszene sehen. ›Küß mich, liebster Thorfinn Karlsefni‹, sagte sie. Kommt nicht in Frage. Barney, Sie müssen sich schon mehr anstrengen.«

»Sie können Geschichte nicht umschreiben, L. M.«

»Und was haben wir bisher getan? Barney Hendrickson, Sie dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen. Sie waren einmal mein bester Regisseur, bevor diese Idiotenkästen von Fernsehapparaten uns das Geschäft vermiesten. Nehmen Sie sich zusammen. Filme sind nicht in erster Linie ein Unterrichtsmedium. Wir verkaufen Unterhaltung, und wenn die Leute sich nicht unterhalten, zahlen sie auch nicht. Ich sehe es folgendermaßen: Wir nehmen diesen Wikinger, nennen Sie ihn Benny oder Carlo, wie es eben auf Wikingerart am besten klingt, und machen Sie eine Saga von seinen Abenteuern …«

»Saga ist das gleiche Wort wie Abenteuer, L. M.«

»… beispielsweise einen langen Kampf, bei dem er natürlich gewinnt. Er ist ein ruheloser Geist, deshalb segelt er fort, und er findet Amerika. Dann kehrt er heim, sagt: ›Ich habe Amerika entdeckt‹, und seine Leute machen ihn zum König. Dann ist da noch ein Mädchen mit einer blonden Perücke, die ihm immer nachwinkt, wenn er auf Reisen geht. Er verspricht ihr, bald wiederzukommen. Dann zeigen wir ihn etwas älter, mit grauen Haaren an den Schläfen und ein paar Narben, und er nimmt das Mädchen mit. Sie segeln durch den Sonnenuntergang in ein neues Leben wie die ersten Pioniere von Plymouth Rock. Einverstanden?«

»Großartig wie immer, L. M. Sie haben Fingerspitzengefühl.« Barney seufzte müde. Dr. Jens Lyn hatte immer größere Augen bekommen. Nun gurgelte er erstickt.

»A-aber … so war es doch nicht. Es ist alles historisch festgehalten. Nicht einmal Mister Hendrickson hat in allen Punkten recht. Man schreibt die Entdekkung von Vinland im allgemeinen Leif Ericsson zu, dem Sohn von Erik dem Roten. Es gibt zwei Chronikversionen, das Hanksbók und das Flateyjarbók …«

»Genug!« knurrte L. M. »Sehen Sie jetzt, was ich meine, Barney? Nicht einmal die Geschichtsschreiber sind sich einig. Wenn wir also ein bißchen jonglieren, bekommen wir unsere Story. Haben Sie schon überlegt, wer die Hauptrolle übernimmt?«

»Wenn wir Ruf Hawk bekommen könnten — der gäbe einen prächtigen Wikinger ab. Und dann ein großzügig gepolstertes Mädchen …«

»Slithey Tove. Sie ist zu haben. Seit zwei Wochen rennt ihr dämlicher Agent hier herum und macht uns Angebote, also weiß ich, daß sie pleite ist. Wir können sie billig bekommen. Dann brauchen wir noch jemand, der das Drehbuch schreibt, und dafür nehmen wir Charley Chang, den haben wir unter Vertrag. Er ist Spezialist.«

»Für Bibelstoffe vielleicht, aber nicht für historische Dinge«, meinte Barney zweifelnd. »Und ehrlich gesagt, so schön fand ich Die Kreuzabnahme und Die Wanderung durch das Rote Meer nicht.«

»Von den Zensoren zerstückelt, das ist alles. Ich habe die Drehbücher selbst genehmigt, und sie waren Klasse …« Er unterbrach sich plötzlich, als ein rasendes Gebrüll durch die Wand drang. »Haben Sie das gehört?«

»Das ist der Wikinger«, sagte Tex. »Er wollte immer noch seinen Kampf, deshalb haben wir ihn niedergeschlagen und im Duschraum der Chef-Suite angekettet.«

»Was heißt das?« fragte L. M. stirnrunzelnd.

»Es ist ein Berater«, erklärte Barney. »Einer der Einheimischen. Er hat den Laster angegriffen, und da nahmen wir ihn gleich mit, so daß Dr. Lyn sich mit ihm unterhalten kann.«

»Bringt ihn hier herein. Er ist genau der Mann, den wir brauchen, jemand, der sich auskennt und vielleicht ein paar Fragen über die Produktionsprobleme beantworten kann. Einheimische sind immer gut, die kennen die besten Plätze zum Filmen.«

Tex und Dallas gingen hinaus, und nachdem man eine Zeitlang Kettenrasseln gehört hatte, folgten zwei dumpfe Schläge. Dann kamen sie mit einem glasig dreinsehenden Wikinger ins Büro. Er blieb an der Tür stehen, als er die wartenden Männer sah, und zum erstenmal konnten sie ihn genauer betrachten.

Er war groß. Selbst ohne den gehörnten Helm maß er über zwei Meter. Und er war behaart wie ein Bär. Filziges blondes Haar hing ihm über die Schulter, und der dichte Schnurrbart verschwand in den Bartwogen, die bis auf die Brust flossen. Seine Kleidung bestand aus einem grob gewebten Kittel und einem Beinschutz, der mit dicken Lederschlingen festgehalten wurde. Die Kleider rochen kräftig nach altem Schweiß, Teer und Fisch, aber irgendwie paßte der breite Goldreif an seinem Arm gut zu der Aufmachung. Seine Augen waren von einem hellen, fast durchscheinenden Blau und starrten unter zusammengezogenen Brauen zu den Männern hinüber. Er war angeschlagen und gefesselt, aber offensichtlich ungebeugt und unbesiegt. Er hielt das Kinn und die Schultern sehr hoch.

»Willkommen in Hollywood«, sagte L. M. »Setzen Sie sich — Barney, geben Sie ihm einen Drink — und machen Sie es sich bequem. Wie war doch gleich wieder Ihr Name?«

»Er versteht kein Englisch, L. M.«

L. M. Greenspans Miene verdüsterte sich. »Das gefällt mir gar nicht, Barney. Ich arbeite nicht gern mit Dolmetschern. Das geht zu langsam und ist unzuverlässig … Also gut, Lyn, tun Sie etwas für Ihr Geld. Fragen Sie ihn, wie er heißt.«

Jens Lyn murmelte einen Moment lang vor sich hin. Er ging die altnordischen Verbformen durch. Dann sagte er laut: »Hvat heitir maðrinn?«[3]

Der Wikinger knurrte nur tief in der Brust und ignorierte die Frage.

»Was ist los?« fragte L. M. ungeduldig. »Ich dachte, Sie beherrschen diese Sprache? Kann er Sie nicht verstehen?«

»Sie müssen Geduld haben, Mister. Altnordisch ist seit mehr als tausend Jahren eine tote Sprache, die wir nur durch Schriften kennen. Isländisch kommt ihr noch am nächsten, deshalb benutze ich die isländische Betonung und Aussprache …«

»Gut, gut. Ich brauche keine Lektionen, ölt ihn mit ein paar Drinks, dann wird er schon reden.«

Tex schob dem Wikinger einen Stuhl in die Kniekehlen, und der Wilde setzte sich mit einem zornigen Blick. Barney holte aus der Bar hinter dem falschen Rembrandt eine Flasche Jack Daniels und goß ein Sodaglas halbvoll. Aber als er es dem Wikinger entgegenstreckte, warf der den Kopf nach hinten und rasselte mit den Ketten, die seine Handgelenke festhielten.

»Eitr!«[4] knurrte er.

»Er glaubt, daß Sie ihn vergiften wollen«, sagte Lyn.

»Das werden wir gleich haben«, sagte Barney und hob das Glas an die Lippen. Er nahm einen langen Zug. Diesmal ließ sich der Wikinger das Glas geben. Er begann zu trinken. Seine Augen wurden immer größer, und er leerte es bis auf den letzten Tropfen.

»Odinn ok Frigg!«[5] brüllte er glücklich und schüttelte die Tränen aus den Augen.

»Wenn ihm die nicht schmecken soll!« meinte L. M. »Die Flasche kostet sieben Dollar fünfundzwanzig plus Steuern. Daheim hat er sowas sicher nicht. Fragen Sie ihn nochmals nach seinem Namen.«

Der Wikinger konzentrierte sich sichtlich, als die Frage mit verschiedenen Betonungen wiederholt wurde, und er gab bereitwillig Antwort, als er erst einmal verstanden hatte.

»Ottar«, sagte er und sah die Flasche sehnsüchtig an.

»Wenigstens etwas«, meinte L. M. und warf einen Blick auf die Schreibtischuhr. »Es ist auch vier Uhr morgens, und ich möchte noch einiges regeln. Fragen Sie diesen Ottar, wie es mit der Bezahlung steht — welche Währung haben diese Leute, Lyn?«

»Hm — in der Hauptsache treiben sie Tauschhandel, aber es wird auch die Silbermark erwähnt.«

»Genau das wollen wir wissen. Wie viele Mark bekommt man für den Dollar? Und ich will nicht irgendwelche Bankziffern wissen, sondern den freien Handelspreis. Wir werden das Zeug, wenn nötig, in Tanger besorgen …«

Ottar brüllte los, warf sich aus dem Stuhl, stieß Barney in eine Reihe von Topfpflanzen, die unter ihm zusammenbrachen, und packte die Whiskyflasche. Er hatte sie eben an den Mund gesetzt, als Tex ihn mit dem Totschläger erwischte. Der Wikinger sank bewußtlos zusammen.

»Was soll das?« schrie L. M. »Mord in meinem eigenen Büro? Verrückte habe ich genug in der Firma, also bringt den hier zurück, wo er herkam, und sucht einen, der Englisch versteht. Nächstes Mal will ich keine Übersetzer mehr.«

»Aber keiner von ihnen spricht Englisch«, sagte Barney gekränkt und zog ein paar Kaktusfragmente aus seinem Ärmel.

»Dann bringt es einem bei — aber ich will keine Verrückten mehr sehen!«

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