17

Der Pfeil mit der Steinspitze hatte die Flanke des Motorbootes durchbohrt und war steckengeblieben.

»Ich ließ ihn stecken, damit kein Wasser durch das Locheindringen konnte«, sagteTex.»Es schwirrtennoch ein paar ganz in der Nähe vorbei, aber keiner traf.«

»Ihr habt sie vielleicht überrascht«, meinte Barney. »Oder das Geräusch des Motors hat sie erschreckt.«

»Wir benutzten nur die Ruder.«

»Es muß irgendein Grund vorhanden sein. Die Dorsets sind ein friedfertiges Volk. Ihr habt ja selbst gesehen, wie sie sich verhielten, als sie herkamen.«

»Vielleicht paßte es ihnen nicht, daß ihre Verwandten umgebracht wurden, als sie das erste Mal hier waren«, mischte sich Dallas ein. »Wir haben wirklich nicht nach Kummer gesucht, sie griffen uns von sich aus an. Wenn der Motor nicht sofort angesprungen wäre, hätten sie uns wahrscheinlich in den Kochtopf gesteckt. Tex und ich sprachen auf dem Heimweg darüber, und wir finden, daß wir dafür eine Einsatzprämie verdienen.«

»Schreibt es auf, ich werde dafür sorgen, daß ihr sie bekommt — aber plagt mich jetzt nicht damit.« Barney zerrte an dem Speer, aber er blieb im Holz stecken. »Mir gehen ein paar wichtigere Dinge im Kopf herum. Der Film ist so ziemlich fertig, bis auf den absolut notwendigen Indianerkampf. Wir müssen bald drehen, und das ist unmöglich, wenn wir keine Indianer haben. Da draußen auf dem Eis halten sich Tausende auf, und ich schicke euch hin, um ein paar zu engagieren. Aber was bekomme ich? Ausreden.«

Die beiden Männer ließen sich von der Rede nicht beeindrucken, und Dallas deutete kühl auf den Speer. Ein blechernes Wimmern zerriß die Luft.

»Müssen sie das hier machen?« fauchte Barney.

»Wenn mich nicht alles täuscht, war das Ihr Befehl«, sagte Tex. »Der einzige Ort, an dem sie niemand mit ihrem Spielen belästigten, war der Strand.«

Die schwarzgekleidete Prozession bewegte sich am Ufer entlang, voran der Schlagzeuger. Sie trugen Faltstühle, und ihre Instrumente hatten sie in eine exotische Kollektion von Schals, Tierhäuten und Karibu-Umhängen gehüllt.

»Zieht das Boot ans Ufer, damit wir verschwinden können«, sagte Barney.

»Ganz meiner Meinung«, knurrte Dallas. »Diese Proben sind der reinste Mord.«

Spiderman wankte über den Sand auf sie zu und drückte die Tuba an die Brust. Seine rote Nase stach scharf gegen die bleichen Wangen ab.

»Wir brauchen einen Probesaal«, bat er. »Die frische Luft bringt uns noch um. Einige meiner Typen waren seit Jahren nicht mehr im Freien.«

»Es wird ihre Lungen säubern.«

»Sie mögen sie lieber schmutzig.«

»Ich werde sehen, was sich tun läßt …«

»Feind in Sicht!« rief Tex. »Seht euch den Kampfverband an!«

Es war ein erstaunlicher Anblick. Hinter den Inseln am Eingang der Bucht kam ein Boot nach dem anderen zum Vorschein, bis es nur so von Indianern wimmelte. Als sie näherkamen, konnte man über jedem Boot ein Flimmern erkennen, und ein tiefes Summen erfüllte die Luft.

»Das ist kein nachbarlicher Besuch«, sagte Tex.

»Vielleicht sind sie doch freundlich gesinnt«, meinte Barney schwach.

»Wieviel wollen Sie wetten?« fragte Dallas verächtlich.

»Also gut, dann nehmen wir also Verteidigungsstellung ein. Was schlagt ihr vor?«

Tex deutete mit dem Daumen auf Dallas. »Er ist der Ältere, also erteilt er die Befehle.«

»Gut.« Dallas nickte. »Wir bringen die Zivilisten von der Küste weg, benachrichtigen Ottar, daß er sein Fort schließen soll und ziehen uns zum Lager zurück. Die Lastwagen fahren wir zu einem Kreis zusammen, mit den Wohnanhängern in der Mitte. Alle Kameraden, die bei der Armee waren, bekommen Waffen. Dann warten wir ab. Tex, bring die Zivilisten zum Lager.«

»Das klingt nicht schlecht«, meinte Barney. »Aber du vergißt, daß wir einen Film drehen müssen. Gino soll sich mit seiner Kamera da drüben auf dem Hügel postieren, wo er alles überblicken kann. Und eine andere Kamera brauchen wir innerhalb der Palisaden, um den Ansturm aus der Nähe zu filmen.« Er überlegte, wen er als zweiten Kameramann anstellen könnte und kam zu dem Schluß, daß er als einziger dafür geeignet war. »Ich schätze, ich muß zu Ottar und seinen Leuten.«

»Wie Sie wollen«, sagte Dallas und sah nachdenklich den Musikern nach, die vom Strand flohen. »Gino und seine Kamera werden im Anhänger eines Lastwagens postiert. Der Wagen hält an der Hügelkuppe. Gino bekommt einen eigenen Fahrer, Tex nämlich. Und wenn Tex den Rückzug anordnet, hat Gino zu gehorchen. Ich begleite Sie ins Wikingerlager.«

»Gut, gehen wir.«

Die Boote wurden immer langsamer. Es schien, als sammelten sie sich zum Angriff. Wie dem auch sein mochte, die Leute am Ufer gewannen dadurch Zeit, ihre Verteidigung aufzubauen. Sobald die Laster der Filmleute unter der Regie von Dallas zu einer Wagenburg zusammengefahren waren, begab er sich mit Barney zum Wikingerlager. Dallas trug seine Pistole und hatte eine Maschinenpistole und Munitionsstreifen über die Schulter gehängt. Außerdem lud er ein paar schwere, unheimlich wirkende Metallkisten ab. Sie waren die letzten, und hinter ihnen wurde das große Doppeltor verschlossen und verrammelt. Barney konnte durch eine Luke sehen, daß Ginos Lastwagen bereits seine Position eingenommen hatte.

»Was macht den Lärm?« fragte Ottar.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, erwiderte Barney. »Da kommen sie!«

In der Bucht entstand Bewegung, als die Fellboote vorwärtsschossen.

Barney stützte die Kamera auf dem Querpfosten des Palisadenzaunes ab und richtete sie auf die herankommenden Boote. Durch ein Loch in den Wolken drang die Sonne. Sie glitzerte auf dem von Paddeln aufgewühlten Wasser.

Es war ein düsteres, unentwegtes Vordringen, und die dunklen Boote wirkten unheimlich. Je näher sie kamen, desto stärker wurde der fremdartige Lärm. Barney umklammerte die Kamera und filmte. Er war froh, daß er an nichts anderes denken mußte.

»Ich habe dieses Geräusch schon einmal gehört«, sagte Dallas. »Es war das gleiche pfeifende Summen, nur nicht so laut.«

»Weißt du noch, wo das war?« fragte Barney und machte eine Nahaufnahme von dem führenden Boot.

»Sicher. In Australien. Da gibt es diese Abos, Eingeborene sind das. Einer ihrer Medizinmänner hatte einen komisch geformten Stock an einer Schnur befestigt und wirbelte ihn über seinem Kopf. Dabei entstand das Geräusch.«

»Natürlich, ein Schleuderholz. Viele primitive Stämme verwenden sie. Angeblich besitzen sie Zauberkräfte. Kein Wunder — bei diesem abscheulichen Klang. Ich schätze, daß in jedem Boot ein Mann sitzt, der so ein Ding schwingt.«

»Ich habe auch einen Zauber«, sagte Ottar und wirbelte die Axt über dem Kopf.

»Immer langsam«, bremste ihn Barney. »Wir müssen einen Kampf vermeiden, wenn es sich machen läßt.«

»Was?« schrie Ottar, bis in die Tiefen seiner Wikingerseele schockiert. »Sie wollen Kampf — wir kämpfen. Hier sind keine Feiglinge.« Er sah Barney wütend an.

»Sie landen«, sagte Dallas und trat zwischen die beiden Männer.

Wenn bis dahin noch die Hoffnung bestanden hatte, daß es sich um einen friedlichen Besuch handeln könnte, so wurde sie nun zunichte gemacht. Aus den Booten stiegen Männer mit Speeren, Pfeilen und Bogen. Barney konzentrierte sich auf Nahaufnahmen, da Gino sicher mit den großen Szenen beschäftigt war.

»Ottar«, sagte Dallas, »befehle deinen Leuten, daß sie in Deckung gehen sollen.«

Ottar knurrte, aber er gab den Befehl weiter. Die Wikingerpersönlichkeit fand sich nicht leicht mit dem Konzept der Verteidigung ab, aber auch Ottar war kein Selbstmörder. Die Indianer waren zahlenmäßig um mindestens das Zwanzigfache überlegen, und selbst die streitbaren Nordmänner mußten dieses Zahlenverhältnis respektieren. Die ersten Pfeile surrten vorbei, und ein Speer schlug in das Holz unterhalb der Kamera. Barney ließ sich fallen und zwängte das Objektiv in eine Ritze zwischen zwei Stämmen. Dadurch wurde die Sicht begrenzt, aber es war sehr viel gesünder.

»Feiglingswaffen«, knurrte Ottar. »Feiglinge. Keine Art zu kämpfen.« Er stieß die Axt ärgerlich gegen den Schild. Die Wikinger verachteten Pfeil und Bogen und glaubten nur an Mann-gegen-Mann-Kämpfe.

Ein Moment der Ratlosigkeit entstand bei den Gegnern, als alle Boote entladen waren und die Dorsets versuchten, den Palisadenzaun zu überwinden. Einige kletterten an der Außenwand hoch, aber sie wurden sofort von den blitzenden Äxten der Wikinger abgewehrt. Die Angreifer schüttelten ihre Waffen und kreischten mit schrillen Stimmen, und über all dem war das Surren der Schleuderhölzer zu hören. Dallas entdeckte im Hintergrund eine Gruppe von Indianern, die sich nicht am Kampf beteiligten.

»Könnten Häuptlinge sein — ihre Kleidung ist mit Fuchsschwänzen verziert.«

»Eher Medizinmänner«, meinte Barney. »Ich frage mich, was sie vorhaben.«

Die Männer mit den Pelzen schienen nun die Kämpfer zu organisieren. Unter ihrer Anleitung liefen einige der Angreifer in den nahen Wald und kamen mit Ästen und Zweigen zurück.

»Ob sie wohl versuchen, den Zaun einzurennen?« fragte Barney.

»Schlimmer als das«, sagte Dallas. »Kennen diese Dorsets schon das Feuer?«

»Ja. Jens sagte mir, daß man in den Ruinen ihrer Häuser Feuerstellen und Asche fand.«

»Das hatte ich befürchtet«, erwiderte Dallas dumpf. Er deutete zum Fuß des Palisadenzaunes, wo die Indianer die Zweige aufhäuften.

Die drohenden Speere und Äxte der Wikinger halfen nichts — der Stoß wurde immer höher. Kurze Zeit später löste sich ein Mann von der Gruppe der Anführer und lief mit einer brennenden Fackel durch die schreiende Menge. Wikingerspeere hagelten auf ihn nieder, aber sobald er nahe genug war, schleuderte er die Fackel im hohen Bogen auf das trockene Holz. Nadeln knisterten, und kleine Flammenzungen schlugen nach oben durch.

»Ich kann dem Scherz jetzt ein Ende bereiten«, sagte Dallas und bückte sich, um eine der Stahlkisten zu öffnen.

»Nein«, widersprach Ottar. »Sie wollen Kampf, wir kämpfen. Wir kümmern uns um das Feuer.«

»Vielleicht — aber sie werden euch abschlachten.«

»Wir schlachten auch«, sagte Ottar mit einem bösen Grinsen. »Und Barney will schöne Bilder von kämpfenden Indianern.«

Barney zögerte, aber er konnte unmöglich die Bedeutung von Dallas’ kühlem Blick übersehen. »Natürlich will ich schöne Bilder«, sagte er. »Aber doch nicht auf Kosten von Menschenleben. Laß Dallas alles machen.«

»Nein«, sagte Ottar. »Wir kämpfen für deinen Film.« Er lachte schallend. »Nicht so traurig dreinsehen, alter Freund, wir kämpfen auch für uns. Ihr seid bald fort, und wenn wir allein sind, sollen diese skrælling wissen, wie Nordmänner kämpfen.« Damit war er verschwunden.

»Er hat recht«, meinte Dallas. »Aber wenn er in Schwierigkeiten gerät, sollten wir alles bereit haben, um ihm zu helfen.« Er öffnete die größte Kiste und holte einen wetterfesten Lautsprecher zusammen mit einer Rolle Isolierdraht heraus. »Ich baue ihn so weit weg wie möglich auf.«

»Was ist das?«

»Der Lautsprecher für meine Heule. Mal sehen, wie die Eingeborenen reagieren, wenn sie das hören.«

Ottar hatte seine Männer am Tor versammelt. Die Frauen und die größeren Kinder verteidigten nun die Palisaden. Zwei Frauen standen bereit, um das Tor zu öffnen und gleich wieder zu schließen, und Barney erkannte mit Entsetzen Slithey. Er hatte geglaubt, sie sei sicher im Lager der Filmleute untergebracht. Er wollte sie warnen, doch im gleichen Moment hob Ottar die Axt, und seine Worte gingen im Geschrei der Wikinger unter, als sie ins Freie stürmten.

Das war die Kampfesweise, die den Wikingern lag. Dicht nebeneinander jagten sie auf die Indianer zu. Die Überzahl der Dorsets spielte keine Rolle, denn sie konnten kaum etwas gegen diese Schlächter aus dem Norden tun, die sich hinter ihren Schildern versteckten. Ja, die Wikinger waren Schlächter, und ihre kurzen Schwerter und Äxte hieben erbarmungslos auf die Feinde ein.

Die Indianer verteilten sich und flohen. Sie konnten nichts anderes tun. Doch dann, als ein Abstand zu den Feinden entstand, änderte sich das Kampfbild plötzlich. Schnelle Speere jagten in die Gruppe der Wikinger, und Pfeile knatterten gegen die Schilde. Ein Mann fiel, dann der nächste. Die Indianer erkannten, daß ihr Vorteil in der Entfernung lag, und sie ließen ihre Waffen sprechen. Die Wikinger konnten den Feind nicht mehr fassen — und sie waren nur im Nahkampf geübt. Es sah nicht gut für sie aus.

»Dallas, es wird Zeit, daß wir eingreifen«, sagte Barney.

»In Ordnung. Ich habe leider nur einen Kopfhörer, deshalb rate ich Ihnen, halten Sie sich die Ohren zu.«

Barney wollte antworten, doch Dallas schaltete ein, und alle Geräusche wurden im Nu geschluckt. Ein jaulendes, wahnsinniges Geheule drang aus dem Lautsprecher, das einem in alle Knochen fuhr. Barney hielt sich die Ohren zu. Dallas nickte zufrieden und holte aus der anderen Kiste Nebel- und Tränengasbomben. Mit geübter Hand warf er sie über den Palisadenzaun. Das Sirenengeheule und die Bomben waren den Wikingern ebenso unbekannt wie den Indianern, aber die Wikinger drängten sich instinktiv enger aneinander, als die Waffen eingesetzt wurden. Nicht so die Indianer. Sie gerieten in Panik. Der Lärm schmerzte in den Ohren. Überall stiegen Rauchwolken auf. Sie konnten nicht atmen und nicht sehen. Unbewußt rannten sie alle zu den Booten. Nach ein paar Minuten war alles vorbei.

Ottars Männer standen in einem dichten Häufchen beisammen, bereit, es mit jedemFeind aufzunehmen, sei er nun übernatürlich oder nicht. Selbst diejenigen, die wegen der Tränengasbomben nichts sehen konnten, stellten sich zum Kampf. Ihr Mut war bewundernswert.

Als Dallas die Sirene abstellte, war die Stille wie ein Schock. Barney ließ langsam die Arme sinken. Die Indianer befanden sich auf der Flucht, daran bestand kein Zweifel. Dallas’ Stimme drang wie von weiter Ferne zu ihm herüber. Er deutete auf den Lastwagen, der immer noch auf der Hügelkuppe stand.

»Sie haben weder den Laster noch unser Lager angegriffen. Gino konnte also ungestört filmen.« Er sah auf die lachenden Nordmänner hinunter, die das brennende Holz auseinanderrissen. »Es scheint, daß Ihr Film gerettet ist.«

Barney wandte sich von den Toten und Verwundeten ab und stieg mit zitternden Knien den Hügel hinunter.

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