9 Der Kampf auf der Ebene

Die Entfernung zwischen dem Trichterende und dem darunterliegenden Raum konnte nicht sehr groß sein, denn alle drei Opfer von Tarios Bosheit landeten dort völlig unbeschädigt.

Carthoris drückte Thuvia noch immer fest an seine breite Brust. Wie eine Katze kam er mit den Beinen auf, so daß der Schock für das Mädchen nicht allzu groß war. Kaum hatten seine Füße die groben Steinplatten berührt, als er auch schon sein Schwert kampfbereit in der Hand hatte. Der Raum war hell, doch von einem Feind war nichts zu sehen.

Carthoris sah Jav an. Der Mann war vor Angst kreidebleich.

»Wie wird nun unser Schicksal aussehen?« fragte der Prinz von Helium. »Mensch, so sag es mir doch! Oder bist du kein Mensch? Kannst du nicht die Angst von dir schütteln, um mir zu antworten? Ich wäre gerne darauf vorbereitet, denn ich will mein Leben und das der Prinzessin von Ptarth so teuer wie möglich verkaufen.«

»Komal«, flüsterte Jav. »Wir werden von Komal verzehrt.«

»Ist das deine Gottheit?« wollte Carthoris wissen.

Der Lotharianer nickte. Dann deutete er auf einen niederen Durchgang an einem Ende des Raumes.

»Von hierher kommt er. Leg dein dummes Schwert weg, du Narr. Es macht ihn nur noch wütender, und wenn er wütend ist, läßt er dich nur noch mehr leiden.«

Carthoris lächelte nur und griff noch etwas fester um sein Schwert.

Dann begann Jav entsetzlich zu jammern und zu stöhnen, und gleichzeitig deutete er zur Tür.

»Er ist gekommen!« wimmerte er. »Er ist gekommen, oh!«

Carthoris und Thuvia schauten in die Richtung, in die der Lotharianer gezeigt hatte: sie erwarteten dort ein seltsames, furchterregendes Menschenwesen zu erblicken. Zu ihrer großen Überraschung sahen sie aber einen breiten Kopf und die prachtvolle Mähne eines riesigen Banths, des größten, den Carthoris und Thuvia je gesehen hatten.

Langsam und voll unendlicher Würde näherte sich das riesige Tier. Jav warf sich sofort auf den Boden und kroch ihm auf dieselbe untertänige Art entgegen wie wenige Stunden vorher Tario. Er sprach mit dem wilden Tier genauso, wie er mit wilden Menschen gesprochen hätte, denn er flehte es um Gnade und Barmherzig keit an.

Carthoris trat zwischen Thuvia und den Banth. Er zückte sein Schwert, um dem Tier den Sieg nicht allzu leicht zu machen. Aber Thuvia wandte sich nun an Jav.

»Ist das Komal, dein Gott?« fragte sie.

Jav nickte. Das Mädchen lächelte, drückte sich an Carthoris vorbei und trat rasch dem knurrenden Raubtier entgegen.

Leise und energisch sprach sie so zu dem Tier, wie sie damals mit den Banths von den Goldenen Klippen und mit den Aasfressern auf dem Kampffeld vor der Mauer von Lothar gesprochen hatte.

Das Tier hörte zu knurren auf. Es senkte den Kopf, schnurrte wie eine große Katze und ließ sich friedlich zu den Füßen des Mädchens nieder. Thuvia wandte sich zu Carthoris um.

»Es ist doch nur ein Banth«, sagte sie. »Von ihm haben wir nichts zu befürchten.«

Carthoris lächelte.

»Ich habe ihn ja auch nicht gefürchtet«, gab er zur Antwort,

»denn auch ich hielt ihn nur für einen Banth, und ich habe ja mein Langschwert.«

Jav setzte sich auf und starrte die beiden entgeistert an – das schlanke Mädchen, das die kleine Hand in der gelbbraunen Mähne des riesigen Tieres vergraben hatte und Komal, der doch sein Gott gewesen war und jetzt sein schreckliches Maul an Thuvias Beinen rieb.

»So, das ist also euer Gott!« sagte Thuvia lachend.

Jav sah entsetzt drein. Er wußte nicht recht, ob er es wagen konnte, die Beleidigung Komals ungestraft dahingehen zu lassen, denn ein Aberglaube, der sich erst einmal irgendwo eingenistet hat, ist unglaublich hartnäckig. Selbst wenn wir wissen, daß wir ein Phantom oder ein Untier verehrt haben, zögern wir, unseren Irrtum zuzugeben und uns zu einer neuen Überzeugung zu bekennen. So war es auch mit Jav, denn er war auch nur ein Mensch, der dem Irrtum einer falschen Gottheit unterlag.

»Ja«, antwortete er. »Das ist Komal. Seit undenklichen Zeiten wurden Tarios Feinde in seine Grube gestürzt, damit er mit ihnen seinen Magen füllen konnte. Komal mußte ja immer gefüttert werden.«

»Gibt es irgendeinen Ausweg aus diesem Raum? Vielleicht auf die Straßen der Stadt hinaus?« fragte Carthoris.

Jav zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Ich war noch nie vorher hier und hatte auch gar kein Verlangen danach.«

»Komm«, forderte Thuvia den jungen Prinzen auf. »Wir wollen uns umsehen. Einen Weg hier heraus muß es doch geben.«

Zu dritt näherten sie sich der niederen Tür, durch die Komal hereingekommen war – in ihre Todeszelle sozusagen. Dahinter lag eine Art niederer Stall mit einer kleinen Tür am anderen Ende. Das war also das Lager des Banths.

Zu ihrer Freude ließ sich diese kleine Tür leicht öffnen, da sie nur mit einem hölzernen Drehriegel verschlossen war. Von hier aus kamen sie in eine kreisrunde Arena mit zahlreichen ansteigenden Sitzreihen.

»Hier findet die öffentliche Fütterung Komals statt«, erklärte Jav. »Hätte Tario es gewagt, dann wäre unser Schicksal hier besiegelt worden. Er fürchtete aber dein scharfes Schwert viel zu sehr, Roter Mann, und deshalb ließ er uns alle in die Grube fallen. Ich wußte selbst nicht, wie die beiden Räume miteinander verbunden waren.

Jetzt können wir leicht zur Avenue kommen und dann eines der Stadttore erreichen. Höchstens die Bogenschützen könnten uns noch in den Weg treten, aber ich kenne ja ihr Geheimnis, so daß ich nicht glaube, daß sie uns ernstlich daran hindern könnten, zu einem Tor zu gelangen.«

Sie fanden in der Arena eine weitere Tür, durch die sie zu einer Treppe kamen, welche durch die Sitzreihen zu einem Ausgang an der Rückseite der Halle führte. Dahinter lag ein breiter, gerader Korridor, der quer durch den ganzen Palast zu den königlichen Gärten auf der anderen Seite lief.

Niemand schien sie aufhalten zu wollen, als sie mit Komal an des Mädchens Seite ihren Weg fortsetzten.

»Wo sind denn die Leute, die im Palast wohnen, des Jeddaks Gefolge?« fragte Carthoris. »Nicht einmal auf den Straßen der Stadt, durch die wir kamen, sah ich viele Menschen, doch alle Anzeichen, die auf eine zahlreiche Bevölkerung hinweisen.«

Jav seufzte.

»Armes Lothar«, sagte er. »Es ist in der Tat eine Stadt der Geister. Kaum tausend sind von uns noch übrig, und einmal waren wir Millionen. Unsere große Stadt wird bewohnt von den Kreaturen unserer Einbildung. Für uns selbst machen wir uns nicht die Mühe, diese unserem Gehirn entsprungenen Leute zu materialisieren, aber wir wissen, daß sie da sind.

Selbst jetzt sehe ich eine Menschenmenge durch diese Avenue hasten, und alle haben ihre Pflichten, denen sie nachgehen müssen. Ich sehe Frauen und Kinder, die auf den Balkonen lachen und scherzen; diese dürfen wir allerdings nicht materialisieren, denn das ist streng verboten. Trotzdem sehe ich sie, und sie sind auch hier… Aber warum eigentlich nicht?« überlegte er.

»Ich brauche Tario ja nicht mehr zu fürchten… Er hat seinen schlimmsten Fehler gemacht und ist eigentlich ein ausgemachter Mißerfolg. Warum also nicht?

Haltet an, Freunde«, forderte er Carthoris und Thuvia auf.

»Wollt ihr nicht Lothar noch in seiner ganzen Glorie sehen?«

Carthoris und Thuvia nickten, mehr aus Höflichkeit, als aus Interesse. Sie verstanden auch nicht ganz, was er mit seinen gemurmelten Worten meinte.

Jav schaute sie einen Augenblick durchdringend an, dann winkte er. »Schaut!« rief er.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war wirklich außerordentlich erstaunlich. Wo vorher nichts als eine leere, wirklich menschenleere Straße gewesen war, nur scharlachroter Rasen, gähnende Fenster und türlose Tore, da schwärmte jetzt eine unglaubliche Menge fröhlicher, lachender, glücklicher Menschen.

»Das ist die Vergangenheit«, erklärte Jav leise. »Sie sehen uns nicht; sie leben nur die alte, tote Vergangenheit des alten Lothar, des toten, zerfallenen Lothar der alten, sagenhaften Zeiten, das an der Küste des Throxus stand, des größten und herrlichsten aller Ozeane.

Seht ihr diese herrlichen, aufrechten Männer, die schwingenden Schrittes diese Avenue entlangeilen? Seht ihr die jungen Mädchen und die Frauen, die ihnen zulächeln? Seht ihr, wie die Männer sie voll Verehrung und Liebe grüßen? Das hier sind Seefahrer, die von ihren Schiffen kommen, die an den Kais am Rand der Stadt liegen.

Tapfere Männer sind das, ah! Aber der Glanz der Stadt Lothar ist verblaßt. Seht ihre Waffen! Nur sie trugen Waffen, denn sie querten die fünf Ozeane und besuchten fremde Länder und Orte, wo Gefahren auf sie lauerten. Als sie verschwanden, da verschwand auch der kriegerische Geist der Lotharianer, und mit den Jahrhunderten, die vorüberrollten, wurde aus ihnen eine Rasse rückgratloser Feiglinge. Wir haßten den Krieg, und deshalb unterließen wir es auch, unsere Jugend für den Krieg auszubilden.

Das rächte sich, denn als die Meere austrockneten und die grünen Horden uns überfielen, konnten wir nichts tun als nur fliehen.

Aber wir erinnerten uns der seefahrenden Bogenschützen unserer glorreichen Tage, und es ist die Erinnerung an sie, die wir unseren Feinden entgegenschleudern.«

Als Jav zu sprechen aufhörte, verblaßten auch die Bilder, und die drei Menschen setzten ihren Weg durch die langen, leeren Straßen fort, die zu den Toren führten.

Zweimal sahen sie richtige Lotharianer aus Fleisch und Blut.

Sie ergriffen aber sofort die Flucht, als sie Jav mit den beiden Fremden und dem riesigen Banth sahen, in dem sie zweifellos Komal erkannten.

»Sie werden sofort Tario von unserer Flucht berichten«, rief Jav. »Dann wird er uns sehr bald seine Bogenschützen nachhetzen. Wollen wir hoffen, daß unsere Theorie richtig ist und daß die Pfeile wirkungslos sind gegen wissende Geister, die sich ihrer Unwirklichkeit bewußt sind. Sonst sind wir dem Unheil ausgeliefert.

Erkläre, Roter Mann, dieser Frau die Wahrheit, wie ich sie dir erklärt habe, so daß sie sich den Pfeilen mit einer starken Gegensuggestion der Immunität stellen kann.«

Das tat Carthoris, aber sie erreichten eines der großen Tore, ohne daß sie irgendein Anzeichen einer Verfolgung erkennen konnten. Jav setzte den Mechanismus in Bewegung, der das riesige, wagenradähnliche Tor in die Mauernische schob, und einen Moment später schritten die drei, begleitet von dem riesigen Banth, hinaus auf die Ebene.

Aber kaum hatten sie die ersten hundert Meter zurückgelegt, als sie hinter sich eine ganze Menge brüllender Stimmen vernahmen.

Sie drehten sich um und sahen eine ganze Kompanie Bogenschützen durch das Tor, das sie eben durchschritten hatten, auf die Ebene quellen.

Auf der Mauerkrone standen ziemlich viele Lotharianer, und unter ihnen erkannte Jav den Jeddak Tario. Der schaute sie wütend an und schien die ganze Kraft seines geschulten Geistes auf sie zu konzentrieren. Es lag eindeutig auf der Hand, daß er die größte Anstrengung machte, die tödlichen Kreaturen seiner Einbildung auf sie zu hetzen.

Jav wurde aschfahl und begann am ganzen Leib zu zittern.

Jetzt, im entscheidenden Moment, schien ihn der ganze Mut zu verlassen, zu seiner Überzeugung zu stehen. Der große Banth drehte sich zu den heranmarschierenden Bogenschützen um und knurrte sie an. Carthoris stellte sich zwischen Thuvia und den Feind und wartete auf den Zusammenprall.

Plötzlich hatte Carthoris so etwas wie eine Erleuchtung.

»Wirf deine Bogenschützen gegen die Tarios!« rief er Jav zu.

»Laß uns einmal einen Kampf erleben, der sich zwischen zwei materialisierten Mentalitäten abspielt!«

Dieser Vorschlag schien dem Lotharianer wieder einigen Mut zu machen, und schon im nächsten Moment standen die drei hinter dichtgeschlossenen Reihen riesiger Bogenschützen, die der aus der ummauerten Stadt heranmarschierenden Kompanie Beleidigungen und Drohungen entgegenschrien.

Jav war ein ganz anderer Mensch, als sein Bataillon zwischen ihm und Tario stand. Man hätte schwören mögen, daß der Mann davon überzeugt war, die Kreaturen seiner seltsamen hypnotischen Kräfte seien tatsächlich Krieger aus Fleisch und Blut.

Sie stießen heisere Kampfschreie aus, als sie die Bogenschützen Tarios angriffen. Die mit Widerhaken versehenen Pfeile flogen in rascher Folge hinüber. Männer fielen, und der Boden war rot von ihrem Blut.

Carthoris und Thuvia kannten zwar die Wahrheit, doch sie hatten Mühe, das was sie sahen, mit ihrem Wissen in Einklang zu bringen. Ein Utan nach dem anderen marschierte im Gleichschritt aus dem Tor, um die schon dezimierte Kompanie zu unterstützen, die Tario erst ausgeschickt hatte, um die drei gefangenzunehmen.

Sie sahen, daß Javs Streitkräfte an Zahl ständig zunahmen, so daß sich schließlich eine Unzahl kämpfender, fluchender Krieger miteinander auf dem Schlachtfeld balgte und die Toten haufenweise herumlagen.

Jav und Tario schienen über ihren kämpfenden Bogenschützen alles zu vergessen. Die einen marschierten vorwärts, die anderen fielen zurück, und dann war es wieder umgekehrt. Der breite Landstreifen zwischen Wald und Stadtmauer war wieder einmal zum blutigen Schlachtfeld geworden.

Hinter Thuvia und Carthoris lag der Wald. Der Prinz warf Jav einen Blick zu.

»Komm!« flüsterte er Thuvia zu. »Sie sollen ihren sinnlosen Kampf mit Phantomen allein ausfechten, denn keiner kann in Wirklichkeit dem anderen etwas zuleide tun. Sie sind wie zwei Großmäuler, die einander, statt zu kämpfen, Beschimpfungen an den Kopf werfen. Solange sie noch miteinander zu tun haben, wollen wir unsere Energien darauf verwenden, den Tunnel zu finden, der uns unter den Felsen durch in die Ebene dahinter bringt.«

Während er noch sprach, drehte sich Jav einmal kurz um und hörte, was Carthoris sagte. Er sah auch, daß Thuvia sich anschickte, dem Vorschlag des Prinzen zu folgen. Plötzlich war ein schlaues Funkeln in seinen Augen.

Das, was hinter diesem Blick lag, hatte schon tief in seinem Herzen zu glühen begonnen, als er Thuvia zum erstenmal erblickte. Er hatte es lange nicht als das erkannt, was es war – bis jetzt nicht, da sie aus seinem Leben zu verschwinden drohte.

Er konzentrierte sich für einen Augenblick auf den jungen Prinzen aus Helium und das junge Mädchen.

Carthoris sah Thuvia von Ptarth mit ausgestreckter Hand ihm entgegenkommen. Ihre plötzliche Sanftheit überraschte ihn, und deshalb schloß er seine Finger fester um die ihren, als sie sich vom vergessenen Lothar abwandten, um in den Wald zu gehen, zu den fernen Bergen.

Doch dann war Thuvia erstaunt, als sie in Carthoris’ Stimme einen ganz neuen Ton vernahm.

»Bleib hier bei Jav«, hörte sie ihn sagen. »Ich gehe inzwischen und suche die Passage unter den Klippen.«

Enttäuscht und verblüfft war sie zurückgeblieben. Für sie selbst hätte es nicht den geringsten Grund gegeben, ihn nicht zu begleiten. Bei ihm hätte sie sich überdies sicherer gefühlt als bei dem Lotharianer, den sie doch kaum kannte.

Jav beobachtete die beiden und konnte ein schlaues Lächeln nicht unterdrücken. Nachdem Carthoris im Wald verschwunden war, ließ sich Thuvia recht apathisch auf dem scharlachfarbenen Rasen nieder, um den nicht endenwollenden Kampf der Bogenschützen zu beobachten.

Der lange Nachmittag zog sich bis zur Dämmerung endlos hin, und noch immer griffen die einen an, zogen die anderen sich zurück und verkehrten dann die Lage. Ständig ging es hin und her, vor und zurück. Erst als die Sonne sich hinter den Horizont senkte, zog Tario langsam seine Truppen zur Stadt zurück.

Er schien den Plan zu haben, die Feindseligkeiten während der Nacht ruhen zu lassen, und Jav war damit einverstanden, denn er befahl seinen Streitkräften, sich zu ordentlichen Utans zusammenzutun und zum Wald zu marschieren: dort machten sich die Truppen bald daran, ihre Abendmahlzeit zu bereiten und ihre Schlafseiden und Pelze für die Nacht auszubreiten.

Thuvia vermochte kaum ein Lächeln zu unterdrücken, als sie bemerkte, mit welch übergroßer Genauigkeit sich Javs Truppen an die Gepflogenheiten von Soldaten aus Fleisch und Blut hielten.

Man stellte Wachtposten aus, welche das Lager zur Stadt hin absichern mußten. Offiziere liefen da- und dorthin, erteilten Befehle und sahen zu, daß sie auch ausgeführt wurden.

Thuvia wandte sich zu Jav um.

»Warum legst du eigentlich Wert darauf, daß bei deinen Phantomtruppen alles genauso abläuft wie bei richtigen Soldaten aus Fleisch und Blut? Tario weiß doch, daß diese Bogenschützen nur Verkörperungen deiner Gedanken sind. Warum erlaubst du es ihnen nicht, sich einfach wieder in Luft aufzulösen, bis du ihre Dienste wieder benötigst?«

»Das verstehst du anscheinend noch immer nicht«, erwiderte Jav. »Während sie existieren, sind sie wirklich. Ich rufe sie nur in diese Wirklichkeit zurück und überwache und leite ihre Handlungen. Aber dann sind sie, bis ich sie wieder auflöse, so echt und wirklich wie du und ich. Unter meiner Anleitung erteilen die Offiziere wirkliche Befehle und überwachen ihre Ausführung.

Ich bin ihr General, und das ist alles. Der psychologische Effekt auf meine Feinde ist so wesentlich größer als wenn ich sie als substanzlose Phantomgebilde behandeln würde.

Und dann«, fuhr der Lotharianer fort, »besteht immer noch eine kleine Hoffnung, die bei uns schon dem Glauben nahekommt, daß eines Tages diese Materialisationen ganz echt werden, daß sie bleiben – oder wenigstens ein Teil von ihnen – nachdem wir ihre Gefährten aufgelöst haben, und daß sich auf diese Art unsere sterbende Rasse erhalten und vielleicht sogar wieder einmal fortpflanzen läßt.

Es gibt einige unter uns, die behaupten, das hätten sie schon zustandegebracht. Eine allgemeine Vermutung geht dahin, daß es einigen Ätheralisten schon gelungen ist, einige Dauermaterialisationen zu bewirken, die sich nun unter uns bewegen. Selbst von Tario behaupten es manche, doch das ist nicht gut möglich, denn er hat schon existiert, ehe wir die vollen Möglichkeiten der Suggestion entdeckten.

Einige gibt es bei uns auch, die darauf bestehen, daß keiner von uns wirklich ist. Daß wir all diese Jahrhunderte hindurch nicht ohne Nahrung und Wasser hätten bestehen können, wenn wir selbst Materie wären. Wenn ich auch Realist bin, so neige ich persönlich doch auch zu dieser Ansicht.

Uns erscheint es gut und vernünftig, wenn wir glauben, daß einige unserer alten Vorfahren vor ihrem Erlöschen mit ihrem ungewöhnlich starken Geist so außerordentliche Mentalitäten entwickelten, daß ihre Geister noch nach dem körperlichen Tod weiterlebten, so daß wir selbst die todlosen Geister von Persönlichkeiten sind, die schon seit unendlichen Zeiten tot sind.

Es wäre möglich. Was mich angeht, möchte ich jedoch behaupten, daß ich alle Attribute einer körperlichen Existenz habe. Ich esse, ich schlafe, ich…« Er machte eine spannende Pause und warf dem Mädchen einen bedeutungsschweren Blick zu. »… ich… liebe!«

Das Wort und der Blick des Mannes waren nicht mißzuverstehen.

Thuvia zuckte also die Achseln, verzog angewidert den Mund und wandte sich ab.

Der Lotharianer war tatsächlich so echt, daß er das auch bemerkte. »Warum nicht Jav?« schrie er und packte ihren Arm.

»Was wäre ehrenvoller als vom zweithöchsten Mann der ältesten Rasse unserer Welt geliebt zu werden? Dein Prinz aus Helium?

Der ist gegangen und hat dich deinem Schicksal überlassen, nur um sich selbst zu retten. Komm und gehöre Jav an!«

Thuvia von Ptarth richtete sich hoch auf. Sie zeigte dem Mann eine sehr schöne, kalte Schulter; sie hob ihr stolzes Kinn, und ein verächtliches Lächeln lag auf ihren schönen Lippen.

»Du lügst«, stellte sie ruhig fest. »Der Prinz von Helium kennt Untreue ebenso wenig wie Furcht. Und von Furcht weiß er noch weniger als ein ungeschlüpftes Junges.«

»Nun, wo steckt er dann?« höhnte der Lotharianer. »Ich sage dir, er ist aus dem Tal geflohen. Er hat dich deinem Schicksal überlassen. Aber Jav wird dafür sorgen, daß es dir nicht schlecht geht. Morgen werden wir nach Lothar zurückkehren, selbstverständlich an der Spitze meiner siegreichen Truppen. Ich werde dann Jeddak, und du bist meine Gefährtin. Komm!« Er versuchte sie an sich zu reißen.

Das Mädchen kämpfe erbittert, um sich von ihm freizumachen.

Mit ihrem Arm, um den viele metallene Armbänder lagen, schlug sie ihm ins Gesicht. Aber er ließ sie nicht los.

Plötzlich ertönte hinter ihnen ein schreckliches, rumpelndes Röhren.

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