13 Turjun, der Panthan

Das Gesicht des Prinzen von Helium ließ nichts von jenen Gefühlen ahnen, die in seiner Brust stürmten, als er von Hai Vas hörte, daß Helium Krieg gegen Dusar führte und daß das Schicksal ihn in den Dienst des Feindes geworfen hatte.

Daß er die Gelegenheit sicherlich benützen würde, um für Helium nach besten Kräften Gutes zu bewirken, minderte seinen Kummer darüber nur unwesentlich, daß er nicht an der Spitze seiner eigenen treuen Truppen gegen den Feind ziehen konnte.

Es wäre vermutlich ziemlich leicht gewesen, den Dusarianern zu entkommen, vielleicht aber auch nicht. Sollten sie seiner Loyalität nicht trauen – und bei einem Panthan war immer Mißtrauen angebracht – so würde es ihm vielleicht nicht gelingen, vor Ende des Krieges ihrer Wachsamkeit zu entrinnen. Dieses Kriegsende konnte nur wenige Tage entfernt sein, ebenso gut aber viele Jahre des Kummers und Blutvergießens.

Aus der Geschichte erinnerte er sich etlicher Kriege, die fünf-oder sechshundert Jahre andauerten, ohne daß das Blutvergießen dazwischen einmal aufgehört hätte. Auch jetzt gab es noch einige Nationen auf Barsoom, die seit Menschengedenken mit Helium im Krieg lagen und keine Lust hatten, endlich Frieden zu schließen.

Das waren keine erfreulichen Aussichten. Er konnte ja nicht ahnen, daß er in ein paar Stunden jenes Schicksal segnen würde, das ihn in den Dienst von Dusar geworfen hatte.

»Ah!« rief Hai Vas. »Da ist ja jetzt mein Vater. Kaor, Vas Kor. Hier ist einer, über den du dich freuen wirst, ein tüchtiger Panthan…« Er zögerte ein wenig.

»Turjun«, sagte Carthoris, denn ein anderer Name fiel ihm nicht gleich ein.

Während er noch sprach, huschten seine Augen zu dem großen Krieger, der eben den Raum betreten hatte. Diesen Riesen hatte er doch schon irgendwo gesehen? Er kannte doch diese ruhige, stolze Haltung und die Schwertnarbe, die von der Schläfe zum Mundwinkel lief?

Vas Kor, wiederholte Carthoris immer wieder in Gedanken.

Vas Kor… Wo hatte er den Mann nur schon gesehen?

Als dann der Edle zu sprechen begann, wußte er plötzlich alles. Das war doch dieser Diener auf der Landeplattform von Ptarth, der überall die Nase vorne dran gehabt hatte! Damals hatte er Thuvan Dihn die Besonderheiten und Vorzüge seines neuen Kompasses erklärt. Und genau dieser Sklave hatte seinen eigenen Hangar in jener Nacht bewacht, als er sich auf die Reise nach Ptarth machte, die ihn dann auf so merkwürdige Weise nach Aaanthor brachte.

»Vas Kor«, wiederholte er laut, »gesegnet und gepriesen seien deine Vorfahren für diese Begegnung.« Der Dusarianer ahnte natürlich nicht, welche Bedeutung in den Worten des jungen Mannes lag, die sonst nur die Antwort eines wohlerzogenen Barsoomianers auf eine Vorstellung war.

»Und gesegnet seien auch die deinen, Turjun«, erwiderte Vas Kor.

Jetzt mußte natürlich auch Kar Komak vorgestellt werden, und als Carthoris durch diese kleine Zeremonie ging, fand er die einzige Erklärung für die weiße Haut und das honigfarbene Haar des Mannes, die irgendwie glaubhaft klang; er fürchtete nämlich, niemand wurde ihm die Wahrheit abnehmen, so daß man von Anfang an gegen sie beide Mißtrauen hegen würde.

»Kar Komak«, erklärte er, »ist, wie du siehst, ein Thern. Er ist von seinen in ewiges Eis eingeschlossenen Tempeln im Süden gewandert, um Abenteuer zu suchen. Ich fand ihn in den Ruinen von Aaanthor. Ich kenne ihn zwar noch nicht sehr lange, kann aber seine Tapferkeit und Loyalität beschwören.«

Seit der Zerstörung des Lügengewebes einer falschen Religion durch John Carter hatte die große Mehrheit der Therns mit Freuden die neue Ordnung der Dinge akzeptiert, so daß es gar nicht mehr als ungewöhnlich galt, wenn sich einer von ihnen unter die Roten Menschen in eine der Städte mischte, und deshalb war Vas Kor auch gar nicht erstaunt.

Wie eine Katze beobachtete Carthoris während der Unterredung den Mann Vas Kor, um festzustellen, ob dieser in ihm den großartigen Prinzen von Helium erkannte oder auch nur ahnte. Die schlaflosen Nächte, die langen Tage eines anstrengenden Marsches, die zahlreichen Kämpfe, die Wunden und das getrocknete Blut schienen jedoch jede Ähnlichkeit mit dem Prinzen zu verwischen. Außerdem hatte Vas Kor ihn nur zweimal gesehen, und deshalb war es nicht sehr verwunderlich, da- er Carthoris nicht erkannte.

Im Lauf des Abends kündigte Vas Kor an, daß sie am folgenden Tag in nördlicher Richtung nach Dusar aufbrechen und an verschiedenen am Weg liegenden Stellen weitere Rekruten aufnehmen würden. Auf einem großen Feld hinter dem Haus lag ein Flieger, ein ziemlich großer Kreuzer-Transporter, der nicht nur viele Soldaten aufnehmen konnte, sondern auch sehr schnell und gut bewaffnet war. Hier schliefen Carthoris und Kar Komak mit anderen Rekruten unter der Aufsicht und Bewachung regulärer Krieger aus Dusar, die zur Besatzung des Schiffes gehörten.

Gegen Mitternacht kehrte Vas Kor vom Haus seines Sohnes zum Schiff zurück und begab sich sofort in seine Kabine.

Carthoris stand mit einem Soldaten aus Dusar Wache. Nur mühsam unterdrückte der junge Heliumite ein kaltes Lächeln, als der große schlanke Edle an ihm vorbeiging – in Reichweite des langen, scharfen Schwertes, das der junge Prinz am Wehrgehänge trug!

Wie leicht wäre es doch gewesen… Jetzt hätte er den schmutzigen Trick, den man gegen ihn angewandt hatte, rächen können; jetzt hätte er mit einem Streich Helium, Ptarth und Thuvia rächen können!

Aber seine Hand bewegte sich nicht zum Dolchgriff und nicht zum Schwertknauf. Vas Kor mußte zuerst einem besseren Zweck dienen. Vielleicht wußte oder ahnte er, wo Thuvia von Ptarth jetzt versteckt gehalten wurde, wenn es wirklich Dusarianer gewesen waren, die sie während des Kampfes vor Aaanthor weggeholt hatten.

Und dann war ja da noch der Initiator dieses faulen Komplotts, der seiner gerechten Strafe zugeführt werden mußte.

Und wer anderer als Vas Kor konnte den Prinzen von Helium zu Astok von Dusar führen?

Es dauerte nicht lange, da vernahm Carthoris ein fernes Motorsummen, das sich rasch näherte. Er suchte den dunklen Himmel ab. Ja, das Geräusch kam aus dem Norden, und vor der Dunkelheit des unendlichen Raumes zeichnete sich der Umriß eines Fliegers ab, der unbeleuchtet durch die Nacht von Barsoom zog.

Carthoris, der ja nicht wußte, ob das Schiff für Dusar Freund oder Feind war, gab nicht zu erkennen, daß er es gesehen und gehört hatte, sondern schaute in eine andere Richtung. Er überließ die Sache lieber dem Dusarianer, der mit ihm auf Wache stand.

Später entdeckte dieser Krieger das sich nähernde Schiff und gab sofort Alarm, worauf die restliche Mannschaft und sämtliche Offiziere ihre Schlafseiden und Pelze verließen und auf Deck eilten. Der Kreuzer-Transporter lag unbeleuchtet auf dem Feld und mußte für den ankommenden Flieger unsichtbar sein; den erkannten alle schnell als kleinen, schnellen Flieger.

Es war schnell zu sehen, daß dieser Flieger landen wollte, denn er zog in großen Spiralen immer weiter herunter.

»Das ist die Thuria«, flüsterte einer der Dusarianer. »Die würde ich selbst in der schwärzesten Grube unter Tausenden von anderen Schiffen herauskennen.«

»Und wie recht du hast!« rief Vas Kor, der eben auf Deck kam. »Kaor! Thuria!« rief er laut.

»Kaor!« kam wenig später von oben die Antwort. »Welches Schiff ist das?«

»Kreuzer-Transporter Kalksus, Vas Kor von Dusar.«

»Gut«, kam es von oben. »Kann ich sicher neben euch landen?«

»Ja, möglichst nahe an Starbord. Warte, wir werden dir unsere Lichter zeigen.« Einen Augenblick später senkte sich das kleine Schiff und legte sich neben die Kalksus. Deren Lichter wurden sofort wieder gelöscht.

Einige Gestalten schlüpften über die Reling der Thuria und kamen zur Kalksus herüber. Die Dusarianer waren mißtrauisch und standen bereit, den Besucher als Freund oder Feind zu empfangen – was sich eben nach genauerer Inspektion herausstellte.

Carthoris stand ziemlich nahe an der Reling, um sich sofort auf die Seite der Neuankömmlinge schlagen zu können, falls es zufällig Heliumiten sein sollten, die einen Handstreich auf das einzelne Dusarianer-Schiff vorhatten. Solche Gruppen hatte er selbst schon wiederholt angeführt, und daher wußte er, daß so etwas durchaus möglich war.

Es war für ihn ein schwerer Schock, als er das Gesicht des ersten Mannes erblickte, der über die Reling stieg, und gleichzeitig sah er einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft, denn es war Astok, Prinz von Dusar.

Ohne die anderen auf Deck auch nur eines Blickes zu würdigen, ging er sofort auf Vas Kor zu und befahl ihm, mit ihm nach unten in die Kabine zu gehen. Die Krieger und Offiziere wurden zu ihren Schlafseiden und Pelzen zurückgeschickt, und nun lag das Deck wieder verlassen da – bis auf den Krieger von Dusar, der zusammen mit dem Panthan Turjung Wache hatte.

Letzterer ging ruhig auf und ab. Der Krieger aus Dusar lehnte an der Reling und sehnte sich nach Ablösung. Er bemerkte es nicht, daß sein Kamerad sich den Lichtern der Kabine von Vas Kor näherte. Er bemerkte es ferner nicht, daß dieser sich hinunterbeugte und sein Ohr an einen winzigen Ventilator legte.

»Mögen die weißen Affen uns alle auffressen«, rief Astok verlegen. »Wir stecken in der schlimmsten Klemme, die man sich nur vorstellen kann! Nutus glaubt, daß wir sie irgendwo weit weg versteckt haben, und er hat mir befohlen, sie nach Dusar zu bringen.«

Er schwieg eine Weile. Kein Mensch hätte das von seinen Lippen hören dürfen, was er bisher gesagt hatte und noch weiter zu sagen gedachte. Besser wäre es gewesen, alles wäre Nutus’ und Astoks Geheimnis geblieben, denn darauf ruhte nun die Sicherheit des Thrones von Dusar. Mit diesem Wissen konnte jeder den Jeddak von Dusar nach Belieben erpressen, und er würde alles bekommen, was ihm je zu verlangen gefiel.

Aber Astok hatte Angst, und er erwartete von diesem älteren Mann wenigstens einen anderen Vorschlag. Deshalb sprach er weiter.

»Ich muß sie töten«, flüsterte er und sah sich furchtsam um.

»Nutus wünschte nur die Leiche zu sehen, damit er sicher sein kann, daß sein Befehl ausgeführt wurde. Ich habe ihm gesagt, daß ich nun zu dem Ort reise, wo sie versteckt gehalten wird, damit ich sie in aller Heimlichkeit nach Dusar bringe.

Kein Mensch darf je erfahren, daß sie im Gewahrsam eines Dusarianers war. Dir brauche ich nicht zu erklären, was es für Dusar bedeuten würde, erführen Ptarth, Kaol und Helium je die Wahrheit.«

Mit einem hörbaren Klicken klappte der Lauscher am Ventilator seine Kinnladen zu. Zuvor hatte er nur vermutet, wer der Gegenstand dieser Unterhaltung sein könnte, doch jetzt wußte er, um welche Person es sich drehte. Und diese Unmenschen wollten sie töten! Er ballte seine muskulösen Hände solange zu Fäusten, bis ihm die Fingernägel in die Handballen schnitten.

»Und du willst, daß ich mitkommen, wenn du sie holst, damit du sie nach Dusar bringen kannst?« fragte Vas Kor. »Wo ist sie denn jetzt?«

Astok beugte sich nahe über Vas Kor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Über dessen Gesicht huschte ein Lächeln grausamer Befriedigung. Er wurde sich natürlich sofort der Macht bewußt, die er nun in Händen hatte. Jetzt konnte er wenigstens Jed werden.

»Und wie kann ich dir helfen, mein Prinz?« fragte der ältere Mann glatt.

»Ich kann sie nicht umbringen«, antwortete Astok. »Issus!

Ich kann es einfach nicht! Wenn sie mich mit diesen Augen anschaut, wird mein ganzes Herz zu Wasser.«

Vas Kor kniff die Augen zusammen.

»Und du willst also…« Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn die Frage war, wenn auch nicht vollendet, so doch eindeutig.

Astok nickte.

» Du liebst sie ja nicht«, sagte er.

»Aber mein Leben liebe ich, wenn ich auch nur ein geringer Edler bin«, antwortete Vas Kor vielsagend.

»Du wirst ein hoher Edler werden, ein Edler von höchstem Rang!« versprach ihm Astok eifrig.

»Ich will ein Jed werden«, erklärte Vas Kor unverblümt.

Astok zögerte.

»Ein Jed muß sterben, ehe ein anderer Jed werden kann«, wandte er ein.

»Jeds sind auch früher schon gestorben«, knurrte Vas Kor.

»Es ist zweifellos absolut nicht schwierig, einen Jed zu finden, den du nicht magst, Astok. Und es gibt sehr viele, die dich nicht mögen.«

Schon jetzt versuchte Vas Kor seine Macht über den jungen Prinzen zu demonstrieren. Das bemerkte Astok natürlich sehr schnell, und er nahm Kenntnis von der veränderten Haltung seines Untertanen. Sofort entsprang seinem schwachen, irren Gehirn ein schlauer Plan. »Wie du sagst, Vas Kor!« rief er. »Du sollst Jed werden, wenn diese Sache erledigt ist… Und mir wird es dann nicht schwerfallen, einen Jed zu finden, den ich nicht leiden kann.«

»Wann werden wir nach Dusar zurückkehren?« fragte der Edle.

»Sofort«, erwiderte Astok. »Wir brechen noch diese Minute auf. Dich hält doch hier nichts zurück, oder?«

»Ich wollte eigentlich erst morgen abreisen und die Rekruten abholen, welche verschiedene Dwars an der Straße für mich gesammelt haben, um sich nach Dusar zu bringen.«

»Die Rekruten können warten«, antwortete Astok. »Oder noch besser, komm zu mir auf die Thuria, und wir fliegen zusammen nach Dusar. Die Kalksus kann morgen folgen und die Rekruten aufnehmen.«

»Ja«, pflichtete ihm Vas Kor bei, »das ist der bessere Plan.

Komm, ich bin bereit.« Er stand auf, um Astok auf dessen Schiff zu begleiten.

Der Lauscher am Ventilator erhob sich wie ein alter Mann auf die Füße. Sein Gesicht war besorgt, verkniffen und unter der kupferfarbenen Haut sehr blaß. Thuvia sollte sterben! Und er war hilflos und ohne jede Möglichkeit, diese Tragödie zu verhindern!

Er wußte ja nicht einmal, wo sie versteckt war.

Die beiden Männer stiegen auf Deck hinauf. Turjun, der Panthan, drückte sich eng an den Aufgang, und seine sehnigen Finger lagen fest um den Griff seines Dolches. Konnte er die beiden töten, ehe er selbst überwältigt wurde? Er lächelte. In seinem jetzigen Geisteszustand hätte er allein auch eine ganze Utan ihrer Feinde erschlagen. Sie waren nun fast auf seiner Höhe, und Astok sprach.

»Nimm ein paar von deinen Männern mit, Vas Kor«, sagte er.

»Auf der Thuria sind wir knapp mit Leuten, so schnell sind wir abgeflogen.«

Die Finger des Panthan lösten sich vom Dolchgriff. Hier lag eine Möglichkeit, Thuvia von Ptarth zu retten. Sein rascher Geist hatte das sofort erkannt. Vielleicht wählte man sogar ihn aus, den Mörder zu begleiten, und wußte er erst, wo Thuvia gefangen gehalten wurde, dann konnte er Astok und Vas Kor immer noch ins Jenseits schicken, besser wahrscheinlich sogar als jetzt.

Wenn er die beiden Männer nun tötete, dann erfuhr er nie, wo sich Thuvia befand, und er mußte sie dann ihrem Schicksal überlassen, von anderen getötet zu werden. Früher oder später würde Nutus ja doch ihren Aufenthaltsort in Erfahrung bringen, und der konnte es sich nicht leisten, sie am Leben zu lassen; er nicht, und war er hundertmal der Jeddak von Dusar.

Turjun stellte sich Vas Kor so auffällig in den Weg, daß er nicht zu übersehen war. Der Edle weckte alle Männer auf, die auf Deck schliefen, aber der fremde Panthan, den er erst an diesem Tag als Rekruten aufgenommen hatte, schaffte es immer wieder, vor seinen Augen zu erscheinen.

Vas Kor wandte sich an einen jungen Offizier, dem er den Befehl erteilte, die Kalksus nach Dusar zu bringen und unterwegs die Rekruten aufzulesen. Dann gab er den beiden Kriegern, die hinter dem Padwar standen, ein Zeichen.

»Ihr zwei kommt mit auf die Thuria«, sagte er. »Dort stellt ihr euch deren Dwar zur Verfügung.«

Es war dunkel auf dem Deck der Kalksus, und so sah Vas Kor nicht sehr genau in die Gesichter der beiden ausgewählten Männer. Das war im Moment auch nicht sehr wichtig, denn es waren gemeine Soldaten, die auf einem Schiff nur wenige Pflichten zu erfüllen hatten und kämpfen mußten, sobald sich die Notwendigkeit dazu ergab.

Einer von den beiden Männern war Kar Komak, der Bogenschütze. Der andere war nicht Carthoris.

Der junge Heliumprinz war fast wahnsinnig vor Enttäuschung.

Er riß seinen Dolch aus dem Harnisch, aber schon hatte Astok das Deck der Kalksus verlassen, und er wußte genau, daß die Krieger von Dusar ihn töten würden, ehe er Astok und Vas Kor einholen und ermorden konnte. Es waren im Augenblick zuviele Männer auf Deck. Und wenn einer von den beiden am Leben bliebe, dann wäre Thuvia in derselben Lebensgefahr als wenn alle beide lebten. Also mußten es beide sein!

Als Vas Kor vom Schiff auf den Boden stieg, folgte ihm Carthoris einfach. Niemand hielt ihn auf, denn man schien anzunehmen, daß er mit zur Gruppe gehörte.

Nach ihm kamen Kar Komak und der Krieger von Dusar, der zur Thuria abkommandiert war. Carthoris ging unmittelbar links von diesem Mann. Jetzt kamen sie in den dichten Schatten unter dem Rumpf der Thuria. Hier war es sehr dunkel, so daß sie nach der Leiter tasten mußten.

Kar Komak ging vor dem Dusarianer hinauf. Letzterer griff nach oben, um die Sprossen der Strickleiter zu finden, aber in dem Moment drückten sich stählerne Finger um seine Luftröhre, und ein dünner, scharfer Dolch stach ihn mitten ins Herz.

Turjun, der Panthan, kletterte als Letzter über die Reling der Thuria und zog hinter sich die Strickleiter ein.

Einen Augenblick später hob die Thuria ab und raste nach Norden davon.

Als Kar Komak sich an der Reling nach dem Krieger aus Dusar umwandte, weil er mit ihm sprechen wollte, wurden seine Augen immer größer, denn sie fielen auf das Gesicht des jungen Mannes, mit dem er unter den Klippen zusammengetroffen war, die das geheimnisvolle Lothar beschützen. Wie war er jetzt an den Platz des Dusarianers gekommen?

Aber der junge Mann machte ihm schnell ein Zeichen, und so drehte sich Kar Komak wieder nach dem Dwar der Thuria um, bei dem er sich melden sollte. Der Panthan folgte ihm.

Carthoris segnete den Zufall, der Vas Kor veranlaßt hatte, den Bogenschützen aus allen anderen auszuwählen, denn wäre es ein anderer Dusarianer gewesen, dann hätte er wahrscheinlich die Frage nach dem Verbleib des zweiten Kriegers beantworten müssen. Und der lag doch friedlich und tot auf einem Feld neben dem Haus von Hal Vas, Dwar der Südlichen Straße, und Carthoris hätte auf diese Frage keine Antwort gehabt als die Spitze seines Dolches, die kaum ein passendes Mittel gewesen wäre, die ganze Mannschaft der Thuria zu überzeugen.

Für den ungeduldigen Carthoris dauerte die Reise nach Dusar unglaublich lange. In Wirklichkeit war das Schiff jedoch sehr schnell. Kurz ehe sie ihren Bestimmungsort erreichten, trafen sie auf einen anderen Kriegsflieger von Dusar, mit dem sie auch sprachen. Von diesem erfuhren sie, daß südöstlich von Dusar bald eine große Schlacht stattfinden sollte.

Die Flotten von Dusar, Ptarth und Kaol waren auf dem Weg nach Helium von der starken Flotte Heliums zurückgeschlagen worden. Die Heliumitenflotte war die stärkste auf Barsoom, nicht nur was die Zahl der Schiffe und ihre Bewaffnung betraf, sondern sie war auch in der Ausbildung der Besatzungen und im Mut und Können der Offiziere den anderen weit überlegen, etwa so wie ein Zitidar einem irdischen Zugochsen, und die Zitidars sind die mastodongroßen Zugtiere des Mars.

Schon seit langem war kein solcher Kampf mehr zu verzeichnen gewesen. Vier Jeddaks kommandierten ihre eigenen Flotten – Kulan Tith die von Kaol, Thuvan Dihn die von Ptarth, Nutus die von Dusar – und das war die eine Seite. Die andere wurde von Tardos Mors, Jeddak von Helium befehligt.

Bei ihm befand sich John Carter, Kriegsherr vom Mars.

Vom weiten Norden her bewegte sich eine weitere Streitmacht über die Barrierefelsen, die neue Flotte von Talu, Jeddak von Okar, der dem Ruf des Kriegsherrn folgte. Auf den Decks der Kriegsschiffe schauten schwarzbärtige Gelbe Männer nach Süden und suchten eifrig den Himmel ab. Sie sahen großartig aus in ihren Orlukpelzen, und die hohen Offiziere waren in weiße Aptfelle gehüllt. Es waren wilde, hervorragende Kämpfer aus den Treibhausstädten des eisigen Nordens.

Und aus dem Süden kamen sie von der See von Omean und den Goldenen Klippen, von den Tempeln der Therns und den Gärten der Issus, und von allen Seiten her kamen noch weitere Tausende, die dem Ruf des großen Mannes folgten, den sie zu respektieren und zu lieben gelernt hatten.

Auf dem Flaggschiff seiner mächtigen Flotte schritt der eben-holzschwarze Godar, Jeddak der Erstgeborenen, auf und ab, und sein Herz schlug in Vorfreude auf den kommenden Moment, da er seine wilden Mannen und das Gewicht seines mächtigen Schiffes auf die Feinde seines Kriegsherrn werfen konnte.

Aber würden all diese Verbündeten auch rechtzeitig das Schlachtfeld erreichen, um Helium von Nutzen sein zu können?

Oder würde Helium sie überhaupt brauchen?

Carthoris hörte ebenso wie die anderen Mannschafts angehörigen der Thuria die Gerüchte. Niemand wußte jedoch von den beiden Flotten, die vom Norden und Süden zur Unterstützung Heliums herbeieilten. Alle Dusarianer waren überzeugt, daß nichts mehr das alte, mächtige Helium davor retten konnte, für immer aus dem Luftraum über Barsoom weggewischt zu werden.

Selbst Carthoris, der treue Sohn seines geliebten Helium, fürchtete, daß seine großartige Flotte vielleicht den vereinten Kräften der drei großen Mächte nicht würde standhalten können.

Dann endlich setzte die Thuria auf der Landebühne von Astoks Palast in Dusar auf. Eiligst verließen der Prinz und Vas Kor das Schiff und betraten den Lift, der sie zu den tiefergelegenen Stockwerken des Palastes brachte.

Neben diesem Lift befand sich ein weiterer, der von gewöhnlichen Kriegern benutzt wurde. Carthoris berührte Kar Komaks Arm. »Komm!« flüsterte er. »Du bist mein einziger Freund in einer Nation von Feinden. Willst du mir beistehen?«

» Bis in den Tod«, antwortete Kar Komak.

Die beiden näherten sich dem zweiten Lift. Ein Sklave bediente ihn.

»Wo sind eure Pässe?« fragte er.

Carthoris fummelte in seiner Gürteltasche, als wolle er sie suchen, betrat aber dabei die Kabine. Kar Komak folgte ihm und schloß die Tür. Der Sklave ließ jedoch den Lift nicht nach unten fahren. Nun zählte jede Sekunde. Sie mußten schnellstens hinunter, um noch zu sehen, wohin Astok und Vas Kor gingen.

Carthoris wirbelte plötzlich zum Sklaven herum und warf ihn zur anderen Seite der Kabine.

»Binde und kneble ihn, Kar Komak!« rief er.

Dann griff er selbst nach den Hebeln, und als die Kabine mit wahnsinniger Geschwindigkeit nach unten sauste, kämpfte der Bogenschütze mit dem Sklaven. Carthoris konnte die Hebel nicht verlassen, um seinem Freund zu helfen, denn wenn sie mit dieser Geschwindigkeit auf den Schachtboden stürzten, dann waren sie sofort alle tot.

Unter ihrer Kabine konnte Carthoris nun das Dach von Astoks Kabine im Parallelschacht sehen. Er reduzierte das Tempo soweit, daß sie auf gleicher Höhe mit der anderen Kabine blieben. Nun begann der Sklave zu schreien.

»Bring ihn zum Schweigen!« rief Carthoris.

Einen Moment später fiel eine schlaffe Gestalt auf den Kabinenboden.

»Er schweigt«, meldete Kar Komak.

In einem der oberen Palaststockwerke brachte Carthoris die Kabine zum Stehen. Er öffnete die Tür, griff nach der Leiche des Sklaven und warf sie hinaus. Dann knallte er die Tür wieder zu und nahm die Fahrt nach unten wieder auf.

Wieder sah er das Kabinendach des Parallelliftes. Dann hielt dieser an, und auch Carthoris brachte seine Kabine zum Stehen.

Er sah die beiden Männer durch eine Tür am Korridor gegenüber verschwinden.

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