11 Grüne Männer und weiße Affen

Ein Torquasianerschwert zog eine blutige Linie über Carthoris Stirn. Er hatte den flüchtigen Eindruck weicher Arme um seinen Hals und warmer Lippen an den seinen, bevor er das Bewußtsein verlor.

Wie lange er bewußtlos war, hätte er später nicht einmal schätzen können, doch als er wieder die Augen öffnete, war er allein – bis auf die herumliegenden Leichen grüner Männer und Dusarianer, und der Kadaver eines großen Banth lag halb über ihm.

Thuvia war verschwunden, und auch Kar Komaks Leiche fand er nicht unter den Toten.

Der Blutverlust hatte Carthoris außerordentlich geschwächt, und so kam er nur langsam voran, als er sich endlich nach Aaanthor auf den Weg machte. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte er den Stadtrand.

Er brauchte Wasser nötiger als sonst etwas. Er folgte also einer breiten Avenue, die zum Hauptplatz führte, wo, wie er wußte, das kostbare Naß in einem halb zerfallenen Haus gegenüber vom alten Jeddakspalast zu finden war.

Aller Mut hatte ihn verlassen, und er war sehr bedrückt, weil sich bisher all seine Bemühungen um die Rettung der Prinzessin von Ptarth als vergeblich erwiesen hatten. Es war auch recht seltsam, was ihm alles zustieß. Tief in seine trübsinnigen Gedanken versunken schenkte er seiner Umgebung keine Aufmerksamkeit, als lauerten keine großen weißen Affen in den schwarzen Schatten der gespenstischen, geheimnisumwitterten Ruinen, die an der breiten Avenue und um den Hauptplatz standen.

Wenn auch Carthoris nicht auf seine Umgebung achtete, so entging es anderen Augen keineswegs, daß er sich dem Hauptplatz näherte. Sie folgten seinen zögernden, müden Schritten, als er zu jenen Marmorruinen ging, in denen eine halb verschüttete, winzige Quelle ein wenig Wasser lieferte, wenn man in den roten Sand, der sie bedeckte, ein tiefes Loch grub.

Dann betrat der junge Prinz die Ruine. In diesem Augenblick verließ etwa ein halbes Dutzend mächtiger, grotesker Gestalten eine andere Ruine gegenüber und huschte lautlos über den Platz.

Eine halbe Stunde verbrachte Carthoris in dem Haus, grub nach Wasser und gewann schließlich die wenigen Tropfen, die er so dringend benötigte. Es war ein dürftiges Ergebnis harter Arbeit.

Dann erhob er sich und verließ das Gebäude. Er hatte noch kaum die Schwelle überschritten, als zwölf Krieger aus Torquas über ihn herfielen.

Ihm blieb keine Zeit mehr, sein Langschwert zu ziehen, doch schon blitzte der lange, schlanke Dolch in seiner Hand, und ehe er von der Übermacht überwältigt zu Boden sank, hatte mehr als nur ein Herz zu schlagen aufgehört, weil dessen scharfe Spitze kräftig zugebissen hatte.

Neun waren es noch, die ihn niederwarfen. Sie nahmen ihm die Waffen weg und schleppten ihn über den Platz.

Dort warfen sie ihn in das Verlies eines ehemaligen Palastes und ketteten ihn mit rostigen Ketten an das solide Mauerwerk. Im Kerker herrschte schwärzeste Finsternis.

»Morgen will Than Bar mit dir sprechen«, sagten sie. »Jetzt schläft er. Groß wird seine Freude sein, wenn er erfährt, wer sich unter uns befindet, und groß wird das Vergnügen von Hortan Gur sein, wenn Thar Ban ihm jenen verrückten Narren bringt, der es gewagt hat, den großen Jeddak mit seinem Schwert zu bedrohen.«

Dann gingen sie, und er war in der Finsternis allein.

Carthoris lehnte sich an die Wand, an welcher der Ring eingemauert war, an dem seine Kette hing. Stunden schienen zu vergehen.

Da vernahm Carthoris plötzlich das leise Tappen nackter Füße, die sich ihm auf dem Steinboden näherten. Es war so stockfinster, daß er nicht einmal einen Schimmer dessen sah, der da kam. Und er lag ohne Waffen da und konnte sich nicht einmal verteidigen, weil er angekettet war.

Minuten vergingen; ihm erschienen sie eher als Stunden. Das Schweigen, die unheimliche Stille, die nur von dem sich regelmäßig wiederholenden Geräusch tappender nackter Füße unterbrochen wurde, war fast mit Händen zu greifen. Und immer näher kamen sie.

Schließlich hörte er das klatschende Geräusch rennender, nackter Füße, dann ein wenig weiter weg ein Scharren, heftiges Atmen und schließlich die gemurmelten Flüche eines Mannes, der gegen sehr widrige Umstände oder eine Übermacht kämpft.

Dann klirrte eine Kette, und es hörte sich so an, als werde ein loses Kettenglied an die Mauer geworfen.

Dann herrschte wieder für ein paar Momente Schweigen. Nun fingen die nackten Füße wieder zu tappen an, und sie näherten sich ihm. Er glaubte auch Augen zu sehen, die ihn durch die Dunkelheit anfunkelten, und er wußte, daß er das leise Atmen mächtiger Lungen vernahm.

Und dann rannten viele Füße auf ihn zu, und die Dinger waren über ihm.

Hände, die menschliche Hände sein konnten, legten sich ihm um Hals, Arme und Beine. Haarige Körper drängten sich an seine eigene glatte Haut, als er sich im grimmigem Schweigen gegen diesen unbekannten, schrecklichen Feind wehrte, der ihn in dem stockdunklen Verlies eines ehemaligen Palastes des alten Aaanthor angefallen hatte.

Carthoris von Helium war ein großer, breitschultriger, kräftiger junger Mann, ein göttlicher Riese, doch in den Klauen dieser unsichtbaren Kreaturen war er hilflos wie ein zartes, schwaches Weib. Doch er kämpfte unerbittlich, holte zu mächtigen Faustschlägen gegen breite, haarige Brüste aus, die er nicht sehen konnte; er spürte dicke, sehnige, kurze Hälse unter seinen Fingern; er fühlte Speicheltropfen an seiner Wange und roch den fauligen Atem seiner Feinde. Und er spürte Fänge, mächtige Fänge. Er wußte, daß sie nahe waren, doch er konnte nicht einmal ahnen, weshalb sie sich nicht in sein Fleisch schlugen.

Dann kam ihm zu Bewußtsein, daß eine Anzahl seiner Gegner an seiner Kette zerrte, und nach einer Weile vernahm er dasselbe Geräusch wie vorher – seine Kette war abgerissen, und die restlichen Kettenglieder knallten klirrend an die Mauer.

Nun wurde er von links und rechts gepackt und recht schnell durch lange, dunkle Korridore gezerrt. Er konnte nicht einmal ahnen, welches Schicksal seiner wartete.

Erst hatte er geglaubt, seine Feinde seien vielleicht Angehörige der grünen Horden von Torquas, aber die hatten keine haarigen Körper. Allmählich wurde er sich jedoch darüber klar, was sie waren; er wunderte sich nur darüber, daß sie ihn nicht sofort getötet und aufgefressen hatten.

Nach etwa einer halben Stunde irren Rasens durch Untergrundgänge, die in allen Städten auf Barsoom, sowohl in den uralten wie auch in den modernen, üblich sind, stiegen seine Entführer aus dem Tunnel in einen mondhellen Hof, der ziemlich weit vom großen Platz entfernt war.

Und jetzt wußte Carthoris auch, daß er sich in der Gewalt eines Stammes der großen weißen Affen von Barsoom befand. Da sonst diese weißen Affen am ganzen Körper haarlos sind bis auf einen großen, starren Büschel auf ihren Köpfen, war er sich über die Identität seiner Feinde nicht klar geworden, weil sie haarige Brüste hatten. Jetzt sah er aber, was ihn getäuscht hatte: jeder von ihnen hatte quer über der Brust einen Fellstreifen, die meisten den eines Banth, und damit hatten sie den Harnisch eines grünen Kriegers imitiert, denn die kampierten am öftesten in ihrer Ruinenstadt.

Carthoris hatte von der Existenz solcher Affenstämme gehört und gelesen; einige von ihnen entwickelten sich langsam zu einer höheren Intelligenzstufe hinauf, und in die Hände einer solchen Affensippe schien er gefallen zu sein. Aber welche Absicht hatten sie mit ihm?

Er sah sich im Hof um und zählte volle fünfzig dieser riesigen häßlichen Tiere, die auf ihren Fersen hockten. In einiger Entfernung saß ein anderer, sehr scharf bewachter Mensch.

Da erhellte ein Lächeln das Gesicht des anderen Gefangenen, und er rief: »Kaor, Roter!« Es war nämlich Kar Komak, der Bogenschütze. »Kaor!« antwortete Carthoris erfreut. »Wie kamst du hierher, und was wurde aus der Prinzessin?«

»Rote Männer stiegen aus Schiffen, die durch die Luft segeln, und diese Schiffe sind wahrlich nicht kleiner als jene, auf denen ich zu meiner Zeit auf den fünf Ozeanen gesegelt bin«, erwiderte Kar Komak. »Sie kämpften mit den grünen Männern von Torquas und erschlugen Komal, den Gott von Lothar. Ich dachte, sie seien deine Freunde, weil sie ebenso rot waren wie du, und deshalb war ich froh, als sie, nachdem der Kampf zu Ende war, das Rote Mädchen auf eines der Schiffe trugen und es mitnahmen in die Sicherheit der hohen Luft.

Mich ergriffen die grünen Männer und ich wurde in diese große leere Stadt geschleppt, wo sie mich in einem finsteren Kerker an eine Mauer ketteten. Später kamen dann diese Kreaturen und zerrten mich hierher. Und wie ist es dir ergangen, Roter?«

Carthoris erzählte, wie es ihm ergangen war, und während die beiden Männer miteinander sprachen, hockten die Affen im Kreis um sie herum und musterten sie scharf.

»Und was sollen wir jetzt tun?« fragte der Bogenschütze.

»Für uns sieht es recht hoffnungslos aus«, meinte Carthoris ziemlich verlegen. »Diese Kreaturen sind nämlich geborene Menschenfresser. Ich kann mir nicht denken, weshalb sie mich noch nicht aufgefressen haben. Schau, dort!« flüsterte er.

»Siehst du? Jetzt kommt das Ende…«

Kar Komak sah in die von Carthoris angedeutete Richtung und erkannte einen Affen, der noch größer war als die anderen und einen langen, dicken Knüppel mit sich schleppte.

»So töten sie nämlich am liebsten ihre Beute«, erklärte Carthoris.

»Müssen wir eigentlich sterben, ohne uns wehren zu können?« fragte Kar Komak.

»Ich nicht«, erwiderte Carthoris. »Ich weiß allerdings, wie unnütz es ist, sich gegen diese haarlosen Ungetüme zur Wehr zu setzen! Oh, hätte ich nur ein Langschwert!«

»Oder einen guten Bogen«, fügte Kar Komak hinzu. »Und eine Utan Bogenschützen.«

Bei diesen Worten sprang Carthoris auf, wurde aber sofort von seinen Wächter wieder auf den Boden gezogen.

»Kar Komak!« schrie er. »Warum kannst du nicht das tun, was Tario und Jav taten? Sie hatten ja auch keine anderen Bogenschützen als die, welche ihren Gehirnen entstammten. Du mußt doch das Geheimnis ihrer Macht kennen. Warum rufst du nicht eine Utan herbei, Kar Komak?«

Der Lotharianer schaute Carthoris großäugig an, als ihm die Tragweite dieses Vorschlags zu Bewußtsein kam.

»Warum nicht?« murmelte er.

Der Affe mit der Keule trottete auf Carthoris zu. Die Finger des jungen Prinzen arbeiteten, als wolle er dem Tier an die Kehle gehen, während Kar Komak mit seinem durchdringenden Blick die Affen in Bann hielt. Die Schweißperlen auf seiner Stirn bewiesen den hohen Grad seiner Konzentration.

Der Henkeraffe war nun etwa auf Armlänge an Carthoris herangekommen, als dieser von der gegenüberliegenden Hofseite einen heiseren Schrei vernahm. Zugleich mit den kauernden Affen und dem Keulenhenker wandte er sich dorthin um und sah eine ganze Kompanie stämmiger Bogenschützen aus der Tür eines nahen Gebäudes quellen.

Schnaubend und brüllend vor Wut sprangen die Affen auf.

Sie standen noch nicht richtig, als eine Salve von Pfeilen etwa ein Dutzend zu Boden warf. Deren Kameraden stürmten einfach über sie weg und gingen auf die Bogenschützen los.

Sogar die aufgestellten Posten liefen herbei, und selbst die Gefangenen wärter ließen ihre Beute im Stich, um sich am Kampf zu beteiligen.

»Komm!« flüsterte Kar Komak. »Jetzt können wir entkommen, solange meine Bogenschützen ihre Aufmerksamkeit bean-spruchen.«

»Und diese braven Burschen sollen wir führerlos zurücklassen?« entsetzte sich Carthoris, dessen Loyalität sich über einen solchen Vorschlag empören mußte.

Kar Komak lachte.

»Du scheinst zu vergessen, daß sie nichts anderes als dünne Luft sind, Ausgeburte meines Gehirns. Sie werden spurlos verschwinden, wenn ich sie nicht mehr länger brauche. Gepriesen sei dein allererster Ahnherr, Roter, weil er dir rechtzeitig diesen Gedanken eingab! Mir wäre es nie eingefallen, daß ich dieselbe Kraft anwenden könnte, die mich ins Dasein gerufen hat!«

»Du hast recht«, gab Carthoris zu. »Trotzdem lasse ich sie höchst ungern hier, obwohl wir sonst wohl nichts tun können.«

Und so verließen die beiden den Hof und machten sich auf den Weg zu den breiten Avenuen. Im Schutz der Häuserschatten huschten sie zum Hauptplatz, in dessen Häusern immer die grünen Krieger Quartier bezogen, wenn sie in die Stadt kamen.

Am Platzrand blieb Carthoris stehen.

»Warte hier«, flüsterte er. »Ich gehe jetzt und hole einige Thoats, denn zu Fuß haben wir keine Aussicht, den Klauen dieser grünen Wilden zu entkommen.«

Um den Hof zu erreichen, in dem die Thoats gehalten wurden, mußte Carthoris durch eines der Gebäude am Platz schleichen. Er konnte nicht wissen, welche Häuser bewohnt waren und welche leer standen, und so mußte er sich dem Zufall und seinem Glück anvertrauen, wenn er den abgeschlossenen Hof erreichen wollte, in dem die unruhigen Tiere quiekten und untereinander stritten.

Er huschte also durch einen dunklen Torbogen in einen riesigen Raum, in dem ein großer Trupp grüner Krieger in Schlafseiden und Pelze eingewickelt schlief. Kaum hatte Carthoris den Torbogen hinter sich gebracht und den großen Raum betreten, als er bemerkte, daß sich jemand hinter ihm unter diesem Torbogen befand.

Er hörte einen Mann laut gähnen, und dann sah er, wie sich ein Posten erhob, der dort gedöst hatte. Er streckte sich, gähnte noch einmal herzhaft und nahm seine etwas zweifelhafte Wachtätigkeit wieder auf.

Carthoris mußte also in höchstens einem Fuß Abstand am Posten vorbeigeschlichen sein und ihn dabei aufgeweckt haben.

Zurückgehen konnte er jetzt nicht mehr, aber noch gefährlicher war es natürlich, diesen großen Raum mit schlafenden Kriegern zu durchqueren. Es war Wahnsinn.

Carthoris zuckte die Achseln und wählte das kleinere Übel.

Vorsichtig tat er ein paar Schritte in den Saal hinein. Rechts von ihm lehnten an der Wand etliche Schwerter und Flinten und zahlreiche Speere, Waffen also, welche die Krieger dort abgestellt hatten, um sie im Fall eines Alarms gleich zur Hand zu haben. Neben jedem Schläfer lag seine Handwaffe, denn kein Marskrieger, der etwas auf sich hielt – und das taten alle – trennte sich von frühester Kindheit an von dieser Handwaffe.

Dem jungen Prinzen juckten die Finger, als er diese Waffensammlung sah. Er wählte rasch zwei Kurzschwerter aus – eines für Kar Komak, das andere für sich – und einen Harnisch für seinen nackten Freund. Damit huschte er lautlos durch den Raum mit den schlafenden Torquasianern.

Keiner der Schläfer rührte sich, bis Carthoris mehr als die Hälfte dieser gefährlichen Reise hinter sich hatte; dann aber drehte sich ein Bursche genau vor ihm unruhig in seinen Schlafseiden und Pelzen herum.

Der junge Heliumite blieb vor ihm stehen. Eines der Kurzschwerter hielt er stoßbereit in der Hand, falls der Krieger aufwachen würde. Carthoris hatte das Gefühl, eine Ewigkeit so dazustehen, denn der Bursche wälzte sich unablässig herum.

Dann sprang er so plötzlich, als sei er von Federn losgeschossen, auf die Beine und schaute den Roten Mann an.

Sofort schlug Carthoris zu, aber leider hatte der Krieger schon einen grunzenden Warnlaut von sich gegeben. Im nächsten Moment herrschte Aufruhr im Raum. Krieger sprangen auf, griffen nach ihren Waffen und schrien einander Fragen zu, weil sie nicht wußten, was die Störung ihres Schlafes zu bedeuten hatte.

Für Carthoris war alles im Raum recht klar und deutlich zu erkennen, denn einer der Monde stand direkt im Zenit und goß genug Licht durch die Fenster. Die vom Schlaf aufgeschreckten Krieger waren jedoch noch nicht recht wach, und ihre Augen hatten sich auch noch nicht angepaßt, so daß sie die Gestalt des Roten Kriegers, die sich zwischen ihnen bewegte, nur vage wahrnahmen.

Einer der grünen Krieger stolperte nun über die Leiche des von Carthoris getöteten Mannes. Er bückte sich und tastete herum, spürte den gespaltenen Schädel und richtete sich wieder auf. Da sah er um sich herum andere grüne Krieger und kam zu einem wohl naheliegenden, in dem Fall jedoch irrtümlichen Schluß.

»Die Thurds!« schrie er. »Die Thurds sind über uns! Erhebt euch, Krieger von Torquas, und stoßt eure Schwerter in die faulen Herzen der uralten Erbfeinde von Torquas!«

Sofort gingen die grünen Krieger mit ihren Schwertern aufeinander los. Ihre wilde Kampfeslust schlug hohe Wogen.

Kämpfen, töten, sterben mit dem kalten Stahl in den Gedärmen – ah, das war für sie Himmelreich und Nirwana zugleich!

Carthoris mußte ob dieses Irrtums unwillkürlich in sich hineinlächeln. Er nützte seinen Vorteil auch sofort aus. Er kannte sie gut genug und wußte, daß sie in ihrer Mordlust noch lange weitertöten würden, nachdem sie ihren Irrtum erkannt hatten, wenn nicht ihre Aufmerksamkeit von der wahren Ursache des Aufruhrs gefesselt wurde. Er verlor also keine Zeit, setzte seinen leisen Weg am Kampfgetümmel vorbei fort und erreichte eine Tür an der anderen Seite, die sich auf den inneren Hof öffnete.

Dort schrien, stritten und bissen die wilden Thoats, die ja recht unruhige und streitsüchtige Tiere sind.

Die Aufgabe, die vor ihm lag, war nicht gerade leicht. Schon unter normalen Bedingungen war es kein Kinderspiel, ein solches Tier einzufangen und zu besteigen, da sie in ihrer Launenhaftigkeit und Tücke grundsätzlich erst einmal jeden Reiter abzuwerfen versuchten. Außerdem sind sie ja auch ziemlich groß und schon aus dem Grund schwer zu besteigen. Jetzt, wo es drauf ankam, jedes Geräusch zu vermeiden, bedurfte es schon eines sehr geschickten und erfahrenen Optimisten zur Lösung dieses Problems. Nun, der Sohn des Kriegsherrn vom Mars war es.

Von seinem Vater hatte er sehr viel über die richtige Behandlung dieser mächtigen Tiere gelernt, auch von Tars Tarkas, wenn er den berühmten Jeddak bei seiner Horde grüner Krieger besuchte. Jetzt bot er also alles auf, was er gelernt hatte und aus eigener Erfahrung wußte, denn er hatte Thoats schon sehr oft geritten und manches besonders störrische Tier gezähmt.

Diese Thoats schienen besonders nervös und widerspenstig zu sein, viel mehr noch als die übellaunigen Verwandten bei den Tharks und Warhoons, und eine ganze Weile schien er den wütenden Angriffen einiger Bullen, die ihn gereizt umkreisten, nicht mehr entkommen zu können. Aber schließlich kam er einem von ihnen so nahe, daß er ihn berühren konnte. Als das Tier die Hand an seiner Flanke spürte, quiekte es schrill, beruhigte sich dann aber sofort, denn es fühlte den telepathischen Befehl des Roten Mannes und sank auf die Knie.

Einen Moment später saß Carthoris ihm auf dem Rücken und führte es zum großen Tor, das vom Hof aus durch ein riesiges Gebäude führte, an dessen anderem Ausgang die breite Avenue sein mußte.

Der andere Bulle, den sich Carthoris ausgesucht hatte, quiekte und wütete noch immer, folgte aber seinem Gefährten. Beide Tiere trugen keinerlei Zaumzeug, denn sie werden ausschließlich durch Gedankenübertragung geleitet, falls sie sich überhaupt leiten lassen.

Selbst in den Händen der riesigen grünen Krieger wären Zaumzeug und Zügel völlig nutzlos gewesen, denn die Thoats hatten die Größe und Stärke eines Mastodons und mehr als dessen Wildheit. Deshalb wurden sie nur mit den seltsamen telepathischen Kräften gelenkt, die auf dem Mars seit langem allgemein angewandt werden, um sich mit den niedrigeren Lebensformen zu verständigen.

Es war noch ein bißchen schwierig, die beiden Tiere durch den Torbogen zu führen, denn dort mußte er sich hinunterbeugen, um den Riegel zu öffnen; dann stemmte sein Reittier eine mächtige Schulter gegen die Tür, drückte sie auf, und wenig später schwang das solide Tor aus Skeelholz wieder zu. Der Mann hatte mit den beiden Tieren die Avenue erreicht, die zum Hauptplatz führte.

Dort wartete Kar Komak in seinem Versteck.

Hier machte der zweite Thoatbulle einige Schwierigkeiten, und es war eine fast unlösbare Aufgabe, Kar Komak auf den Rücken des Tieres zu bringen, da dieser niemals vorher ein Thoat geritten hatte. Schließlich gelang es ihm dann doch. Der Bogenschütze hockte auf dem schmalen Rücken, und dann tappten die beiden Tiere auf weichen, großen Pfoten die moosgepolsterten Avenuen entlang, die zu den toten Seegründen jenseits der Stadt führten.

Sie ritten die Nacht hindurch, den folgenden und den übernächsten Tag nach Nordosten. Nichts deutete auf eine Verfolgung hin, und bei Einbruch der Dämmerung des zweiten Tages sah Carthoris in der Ferne das Band großer Bäume, die einen der großen Wasserwege des Mars markierten.

Hier ließen sie ihre Thoats stehen und machten sich zu Fuß auf, um das kultivierte Land zu erkunden. Carthoris entfernte auch das Metall von seinem Harnisch, da es ihn als Heliumiten identifizieren würde. Er nahm auch alles ab, was auf seine königliche Abstammung hinwies, denn er wußte nicht, welche Nation an diesem Wasserweg wohnte. Auf dem Mars ist es immer ratsam, in jedem Mann und jeder Nation einen Feind zu sehen, bis man sich vom Gegenteil überzeugen konnte.

Es war noch nicht Mittag, als die beiden Männer eine der Straßen erreichten, die in regelmäßigen Abständen den ganzen kultivierten Bezirk durchschneiden. Diese Straßen berühren alle die große, breite Hauptstraße, welche von einem Ende des unendlich langen, wenn auch schmalen Farmlandes zum anderen führt; die Querstraßen enden alle am dürren Wüstengürtel.

Die hohen um das Kulturland gezogenen Mauern schützten es vor Überfällen der grünen Horden und hielten auch wilde Banths und andere Raubtiere von den Menschen und den Haustieren auf den Farmen fern.

Carthoris blieb vor dem ersten Tor, das sie sahen, stehen und klopfte. Der junge Mann, der ihnen öffnete, grüßte die beiden sehr freundlich, obwohl er den weißhäutigen Mann mit dem honigfarbenen Haar ein wenig mißtrauisch musterte.

Carthoris erklärte ihm, daß sie den Torquasianern entkommen seien, und der junge Mann lauschte aufmerksam. Dann lud er die beiden ins Haus ein und befahl den Dienern, eine Mahlzeit vorzubereiten.

Sie saßen in einem niedrigen, behaglichen Wohnraum des Farmhauses und warteten auf die Mahlzeit. Carthoris unterhielt sich mit seinem Gastgeber, um von ihm dessen Nationalität zu erfahren. Es war ja sehr wichtig, zu wissen, auf wessen Staatsgebiet der Wasserweg lag, in dessen Nähe ihn das Schicksal geworfen hatte.

»Ich bin Hal Vas«, sagte der junge Mann, »Sohn von Vas Kor von Dusar, der ein Edler im Gefolge von Astok, Prinz von Dusar ist. Im Augenblick bin ich Dwar der Straße dieses Distrikts.«

Carthoris war sehr froh, daß er seine Identität nicht enthüllt hatte, denn er hatte ja nicht die geringste Ahnung, was während der Zeit seiner Abwesenheit in Helium vorgegangen war. Auch wußte er nicht, daß Astok die Ursache all seines Unglückes war, doch es war ihm bekannt, daß der Dusarianer ihn nicht mochte.

Er konnte also auf dem Staatsgebiet von Dusar keine Hilfe erwarten.

»Und wer bist du?« fragte Hal Vas. »Du siehst aus wie ein Kämpfer, aber an deinem Harnisch erkenne ich keine Insignien.

Kann es denn sein, daß du ein Panthan bist?«

Nun, diese wandernden Glücksritter sind auf Barsoom, wo jeder Mann ein Kämpfer ist, überall bekannt. Sie verkaufen ihre Dienste dem, der sie haben will, und in einer der gelegentlichen Kampfpausen, also wenn es keinen ordentlichen Krieg auf dem Mars gibt, stoßen sie zu jenen zahlreichen Expeditionen, die zum Schutz der Wasserwege, die alle wilderen Teile dieser Welt durchziehen, gegen die grünen Horden ausgesandt werden.

Ist dieser Dienst dann wieder zu Ende, werfen sie das Metall der Nation weg, der sie zuletzt gedient haben, und dann suchen sie sich einen neuen Herrn. In der Zwischenzeit tragen sie keinerlei Insignien, und ihre abgenützten Harnische und grimmigen Waffen reichen aus, ihren Beruf zu kennzeichnen.

Die Frage des jungen Hal Vas kam Carthoris sehr gelegen, denn wenn er sie bejahte, war das eine zufriedenstellende Erklärung für sich selbst. Dabei gab es nur eine einzige kleine Schwierigkeit. Solange sich in Kriegszeiten ein solcher Panthan auf dem Staatsgebiet einer am Krieg beteiligten oder interessierten Nation aufhielt, mußte er die Insignien dieser Nation tragen und mit ihren Kriegern kämpfen.

Soviel Carthoris wußte, lag Dusar mit keiner anderen Nation im Krieg, aber den Roten Völkern konnte man nie vorhersagen, wann es einem einfiel, dem Nachbarn an die Kehle zu fahren.

Nicht einmal der großen, mächtigen Allianz, die sein Vater, John Carter, ins Leben gerufen hatte und befehligte, war es bisher gelungen, den Frieden unter den großen Nationen Barsooms zu erhalten. Hal Vas lächelte erfreut, als Carthoris seine Frage bejahte. »Das ist gut«, sagte der junge Mann. »Hier findest du nämlich sehr bald lohnenden Dienst. Mein Vater Vas Kor ist gerade hier, um eine Streitmacht gegen Helium aufzustellen.«

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