10 Kar Komak, der Bogenschütze

Als Carthoris durch den Wald zu den fernen Klippen ging und Thuvias Hand noch immer fest mit der seinen umschlossen hielt, wunderte er sich ein wenig über des Mädchens beharrliches Schweigen; das Gefühl ihrer kühlen Hand war jedoch so überaus angenehm, daß er Angst hatte, den Zauber neuen Vertrauens durch ein rasches oder unbedachtes Wort zu brechen.

Immer weiter drangen sie in den dichten Wald vor, bis die Schatten der rasch hereinbrechenden Marsnacht sich dichter um sie schlossen. Dann wandte sich Carthoris ein wenig um, weil er mit dem Mädchen sprechen wollte.

Sie mußten ja einen Plan fassen, an die Zukunft denken. Er hatte vor, sofort durch die Klippen zu stoßen, falls er den Tunnel finden konnte. Er war überzeugt, sehr nahe daran zu sein, aber er hätte gerne ihre Zustimmung zu diesem Plan gehabt.

Seine Augen ruhten auf ihr; da fiel ihm plötzlich auf, wie unwirklich, wie ätherisch sie aussah. Es war ganz seltsam.

Sie schien sich in einen Traum aufgelöst zu haben, immer durchsichtiger und dünner zu werden. Und schließlich verblaßte sie so sehr, daß sie verschwand. Einen Augenblick lang war er so perplex, daß er gar nichts mehr begriff. Dann dämmerte ihm allmählich die Wahrheit. Jav hatte ihn glauben gemacht, Thuvia begleite ihn durch den Wald, während er sie – und das ließ sich leider nicht leugnen – für sich zurückbehalten hatte!

Carthoris war entsetzt. Er hätte sich für seine Dummheit selbst verprügeln mögen, und doch wußte er, daß dieser gespenstischen Macht, mit welcher der Lotharianer ihn behext hatte, jeder andere ebenso zum Opfer gefallen wäre.

Kaum war ihm das klar geworden, als er auch schon umkehrte, doch jetzt schlenderte er nicht mehr friedlich dahin, sondern setzte mit den irdischen Sprüngen, die er von seinem Vater geerbt hatte, über den weichen Teppich dichten Grases und abgefallener Blätter.

Thurias, des näheren Mondes blendendhelles Licht überflutete die Ebene vor der ummauerten Stadt Lothar, als Carthoris dem großen Tor gegenüber aus dem Wald kam; aus diesem Tor waren die Flüchtlinge erst am gleichen Tag gekommen.

Außer ihm schien weit und breit kein Mensch zu sein; die ganze Ebene lag verlassen da. Keine Bataillone von Bogenschützen kampierten unter den Ästen der großen Bäume, keine Haufen gemarterter Toter verdarben die Schönheit des scharlachfarbenen Rasens. Hier herrschte friedliche Stille.

Der junge Prinz ließ sich wenig Zeit, vom Waldrand aus über die Ebene zu schauen, sondern lief sofort eiligst weiter. Da fand er im Gras vor seinen Füßen eine zusammengekrümmte Gestalt.

Es war ein Mann, und er lag auf dem Bauch. Carthoris drehte ihn um, so daß er auf dem Rücken zu liegen kam. Es war Jav, aber er sah schrecklich und nahezu unkenntlich aus, so zerfetzt und zerbissen war er.

Der Prinz beugte sich tief hinunter und versuchte zu entdecken, ob in diesem Körper noch ein Funken Leben zu entdecken sei.

Da hob der Mann die Augenlider, und es waren schmerzerfüllte, gequälte Augen, die zu ihm aufsahen.

»Die Prinzessin von Ptarth!« schrie Carthoris. »Sag, wo ist sie?

Antworte mir, Mensch, oder ich beende das Werk, das andere so gut begonnen haben!«

»Komal«, murmelte Jav mühsam. »Er hat mich angesprungen… Er hätte mich… aufgefressen, wenn nicht… das Mädchen gewesen wäre. Dann gingen sie… zusammen weiter in den Wald hinein… Und das Mädchen… spielte mit den Fingern in der langen Mähne des Banths.«

»In welche Richtung sind sie gegangen?«

»Dorthin«, flüsterte Jav schwach. »Zum Tunnel unter den Klippen.«

Mehr brauchte der Prinz von Helium nicht zu wissen. Er sprang auf und rannte mit langen Sprüngen zurück zum Wald.

Es dämmerte schon, als er den Eingang zum dunklen Tunnel fand, das ihn unter den Klippen durch in eine andere Welt führen würde, weg von diesem Tal geisterhafter Erinnerungen und seltsamer hypnotischer Drohungen und Einflüsse.

Im Tunnel selbst stellte sich ihm nichts und niemand in den Weg, und er war froh, als er auf der anderen Seite der Berge wieder das Licht des Tages erblickte. Von hier aus war es nicht weit zum Südrand des Herrschaftsgebietes der Torquasianer, höchstens einhundertundfünfzig Haad.

Von der Grenze von Torquas zur Stadt Aaanthor betrug die Entfernung weitere zweihundert Haad, so daß der junge Prinz nach irdischen Begriffen gemessen einen Marsch von mehr als hundertfünfzig Meilen vor sich hatte, bis er nach Aaanthor gelangte.

Er wußte es natürlich nicht, doch er nahm an, daß Thuvia in Richtung Aaanthor zu kommen versuchte. Dort lag die nächste Wasserstelle, und dort konnte sie früher oder später auch mit einer Rettungsexpedition aus dem Reich ihres Vaters rechnen. Carthoris kannte Thuvan Dihn gut genug, um zu wissen, daß er jeden Stein umdrehen würde, bis er eine Spur seiner Tochter fände und natürlich auch die ihrer Entführer.

Selbstverständlich wußte Carthoris, daß der Trick, mit dem der Verdacht der Entführung auf ihn geworfen worden war, die Entdeckung der Wahrheit beträchtlich verzögern würde, doch er hatte keine Ahnung davon, welche Verheerungen die Schurkerei von Astok, Prinz von Dusar, bereits angerichtet hatte.

Als er den Tunnel verließ und über die niederen Hügel in Richtung Aaanthor schaute, zog gerade eine Schlachtflotte aus Ptarth majestätisch in Richtung der Zwillingsstädte von Helium, und aus dem fernen Kaol raste eine weitere mächtige Armada heran, um sich mit den Streitkräften des Verbündeten zu vereinen.

Carthoris wußte nicht, daß auf Grund der gegen ihn vorliegenden Indizien sein eigenes Volk ihn allmählich zu verdächtigen begann, er könne die Prinzessin von Ptarth entführt haben.

Er wußte nicht, was alles die Dusarianer unternommen hatten, um die Freundschaft und Allianz zwischen den drei großen Mächten der östlichen Hemisphäre zu vernichten, die zwischen Helium, Ptarth und Kaol.

Er wußte auch nicht, daß Emissäre aus Dusar sich Zugang zu den Auslandsämtern der drei großen Nationen verschafft hatten und daß sie dort hohe Stellungen einnahmen; daß diese Männer die zwischen den Jeddaks ausgetauschten Botschaften so fälschten und verstümmelten, daß Stolz und Geduld der drei Herrscher und früheren Freunde die Demütigungen und Beleidigungen dieser Botschaften nicht länger mehr ertragen wollten und konnten.

Und er wußte natürlich auch nicht, daß John Carter, Kriegsherr des Mars, sich geweigert hatte, dem Jeddak von Helium die Kriegserklärung an Ptarth oder Kaol zu erlauben, weil er uner-schütterlich an die Ehrenhaftigkeit seines Sohnes glaubte und davon überzeugt war, früher oder später werde alles zu allseitigen völligen Zufriedenheit erklärt werden.

Jetzt waren also zwei große Flotten auf dem Weg nach Helium, und die Spione von Dusar am Hof des Tardos Mors sorgten dafür, daß die Zwillingsstädte davon keine Ahnung hatten.

Thuvan Dihn hatte zwar den Krieg erklärt, aber die Boten, die mit der Proklamation ausgesandt waren, hatten die Dusarianer eingeschmuggelt, so daß weder die Kriegserklärung, noch sonst eine Warnung des Hof des Tardos Mors erreichte. Es war also den beiden Städten nichts davon bekannt, daß sich eine feindliche Flotte näherte.

Die diplomatischen Beziehungen zwischen Helium und den beiden mächtigsten Nachbarn waren seit etlichen Tagen unterbrochen; die Gesandten und Botschafter wurden abberufen, und jeder Nachrichtenverkehr hörte auf. Das ist im Kriegsfall üblich auf Barsoom, sogar dann schon, wenn die Beziehungen allmählich gespannter werden.

Carthoris wußte das alles nicht. Er war im Augenblick auch nur daran interessiert, Thuvia von Ptarth zu finden. Ihre Spur zeichnete sich neben der des riesigen Banths bis zum Tunnel recht gut ab und war wenig später in den Hügeln wieder eindeutig zu erkennen.

Er hatte es sehr eilig, denn er wußte, daß sich in der Nähe der toten Seegründe die Spur auf den ockerfarbenen Moospolstern verlieren mußte; daher wollte er Thuvia auf jeden Fall noch finden, ehe sie diesen Vegetationsgürtel erreichte.

Plötzlich sah er, wie sich aus dem Nordosten ein nackter Mann näherte. Carthoris blieb stehen, um ihn zu erwarten. Er sah, daß er nicht bewaffnet war, und es mußte ein Lotharianer sein, denn seine Haut war weiß und sein Haar honigfarben.

Der Mann näherte sich dem Prinzen von Helium ohne jede Furcht, und als er in Rufweite kam, vernahm Carthoris ein freundliches »Kaor!«

»Wer bist du?« fragte Carthoris.

»Ich bin Kar Komak, Odwar der Bogenschützen«, erwiderte der Mann. »Mir ist etwas recht Seltsames zugestoßen. Seit langen Jahren ruft mich nun Tario in die Existenz zurück, sobald er die Dienste einer Armee seines Geistes benötigt. Von all seinen Bogenschützen ist es Kar Komak, der am öftesten materialisiert worden war.

Seit längerer Zeit nun konzentrierte sich Tario auf meine Dauermaterialisierung. Er war wie besessen von dem Gedanken, daß ihm dies eines Tages gelingen könnte, denn damit war auch die Zukunft von Lothar sichergestellt. Er behauptete, Materie gebe es nur in der Vorstellung der Menschen und alles sei nur Geist, und so glaubte er auch daran, daß er, wenn er seine Suggestion lange genug wirken lasse, mich eines Tages zu einer immerwährenden Suggestion in den Geistern aller Kreaturen werden lassen könnte.

Gestern gelang es ihm nun, aber zu welcher Zeit! Ihm selbst muß es ebenso überraschend gekommen sein wie mir, als ich mit meiner Horde kreischender Bogenschützen die fliehenden Torquasianer zu ihren ockerfarbenen Ebenen verfolgte.

Dunkelheit senkte sich auf uns, und es kam die Zeit, da wir uns wieder in Luft auflösen sollten, doch da fand ich mich plötzlich ganz allein am Rand einer riesigen Ebene, die jenseits am Fuß niedriger Hügel liegt.

Meine Männer waren schon ins Nichts zurückgekehrt, aus dem sie gekommen waren, aber ich blieb – nackt und unbewaffnet.

Erst verstand ich gar nichts, aber schließlich begriff ich doch, was geschehen war. Tarios lange andauernde Suggestionen hatten sich inzwischen gefestigt, und Kar Komak wurde zu einer Wirklichkeit in der Welt der Menschen; aber mein Harnisch und meine Waffen waren zusammen mit meinen Gefährten ins Nichts zurückgekehrt, und so befinde ich mich nun in dieser mißlichen Lage, daß ich nackt und ohne Waffen in einem feindlichen Land weit entfernt von Lothar bin.«

»Möchtest du nach Lothar zurückkehren?« fragte Carthoris.

»Nein!« erwiderte Kar Komak schnell. »Ich mag Tario ganz und gar nicht. Da ich ein Geschöpf seines Geistes bin, kenne ich ihn nur allzu gut. Er ist grausam und tyrannisch, und einem solchen zu dienen ist nicht nach meinem Geschmack. Jetzt, da ihm meine Dauermaterialisierung gelungen ist, wird er noch unerträglicher sein als sonst, und jetzt wird er weitermachen, bis er ganz Lothar mit seinen Kreaturen vollgestopft hat. Ich bin ja neugierig, ob ihm das mit dem Mädchen von Lothar gelungen ist.«

»Ich dachte, dort gebe es keine Frauen«, sagte Carthoris.

»In einem versteckten Raum im Palast von Tario hat der Jeddak die Suggestion eines schönen Mädchens versteckt«, erwiderte Kar Komak. »Er hofft, diese Frau eines Tages für dauernd materialisieren zu können. Ich habe sie dort gesehen. Sie ist wundervoll! Aber ihretwegen hoffe ich, daß Tario da keinen Erfolg hat – so wie mit mir etwa.

Und jetzt, Roter Mann, habe ich dir von mir eine ganze Menge erzählt. Was ist mir dir?«

Gesicht und Art des Bogenschützen gefielen Carthoris.

Weder Zweifel noch Furcht hatte der Mann erkennen lassen, als er sich näherte, und der junge Prinz von Helium war doch schwer bewaffnet! Und gesprochen hatte er sehr offen und ohne Umschweife.

Deshalb erzählte ihm auch der Prinz wer er sei und welches Abenteuer ihn in dieses ferne Land gebracht habe.

»Gut!« rief Kar Komak. »Ich werde dich also begleiten. Wir beide werden sicher die Prinzessin von Ptarth finden, und dann wird Kar Komak mit dir in die Welt der Menschen zurückkehren, in eine Welt, wie er sie vor langer, sehr langer Zeit gekannt hatte, als die Schiffe des mächtigen Lothar den zornigen Throxus durchpflügten und als die donnernde Brandung an die Barriere dieser jetzt ausgetrockneten und trübseligen Hügel schlug.«

»Was meinst du damit?« fragte Carthoris. »Hast du früher wirklich einmal existiert?«

»Ganz gewiß«, erwiderte Kar Komak. »In meiner Zeit kommandierte ich die Flotte von Lothar, und sie war die mächtigste aller Flotten, die auf den fünf Meeren segelte.

Wo immer Menschen auf Barsoom lebten, war der Name von Kar Komak bekannt und geachtet. In diesen fernen Zeiten lebten die Landrassen friedlich miteinander, und nur die Seefahrer waren Krieger. Jetzt ist die ganze Glorie der Vergangenheit verblichen, und ehe ich dich traf, war ich der Meinung, daß es auf ganz Barsoom nicht eine einzige Person unserer eigenen Art mehr gibt, die lebt, liebt und kämpft wie die alten Seefahrer meiner Zeit.

Ah! Es wird guttun, wieder einmal Menschen zu sehen, richtige, echte Menschen! Für die Leute meiner Zeit, die auf dem Land lebten, hatte ich damals wenig übrig. Sie wagten sich nicht aus ihren ummauerten und befestigten Städten heraus und vertaten ihre Tage mit Spiel. Sie verließen sich ganz auf den Schutz der Seefahrer. Und die armseligen Kreaturen, die übrig geblieben sind wie Tarios und Jav von Lothar und alle übrigen sind noch viel schlimmer als ihre Vorfahren.«

Carthoris zweifelte ein wenig daran, ob es auch klug sei, sich mit einem Fremden zu belasten. Es bestand ja durchaus die Möglichkeit, daß Tario oder Jav sich eine Gemeinheit ausgedacht und ihm diesen Mann geschickt hatten, der möglicherweise auch nichts anderes war als eine Essenz ihrer Suggestionskraft. Wenn ihm auch die Worte und das ganze Gebaren des Bogenschützen aufrichtig geschienen hatten, wenn er auch ein ehrlicher, tapferer Kämpfer sein mochte – Vorsicht war immer angebracht.

Doch Carthoris fand in seinem Herzen weder Zweifel noch Mißtrauen, und so nahm er die Begleitung des nackten Odwar der Bogenschützen an. Zusammen folgten sie nun der Spur von Thuvia und Komal.

Sie führte hinunter zu den ockerfarbenen toten Seegründen. Bis dorthin war der Pfad deutlich zu erkennen, aber im Moos verlor er sich, wie Carthoris erwartet hatte. Da er bisher eindeutig in die Richtung von Aaanthor geführt hatte, gingen sie dorthin weiter.

Es war eine lange, mühsame Reise, und sie waren zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Der Bogenschütze konnte Carthoris nicht recht folgen, denn der junge Prinz hatte ja die irdischen Muskeln seines Vaters, die ihm mit ungeheurer Schnelligkeit über weite Strecken trugen; der kleinere Planet mit seiner wesentlich geringeren Schwerkraft setzt der irdischen Muskelkraft viel weniger Widerstand entgegen. Für einen Mann von Barsoom sind fünfzig Meilen pro Tag eine recht ordentliche Leistung, aber der Sohn von John Carter hätte mit Leichtigkeit hundert oder noch mehr Meilen zurücklegen können, wäre ihm daran gelegen, seinen neugewonnenen Freund im Stich zu lassen.

Immer schwebten sie ihn Gefahr, von herumstreifenden Banden der wilden Torquasianer entdeckt zu werden, und das galt natürlich für die Zeit, ehe sie die Grenze von Torquas hinter sich brachten.

Doch das Glück blieb ihnen treu, und wenn sie auch zweimal in der Ferne größere Gruppen der grünen Horden sahen, so wurden sie selbst jedoch niemals gesehen.

Am Morgen des dritten Tages erblickten sie von Ferne die schimmernden Kuppeln und Türme von Aaanthor. Unterwegs hatte Carthoris natürlich immer scharf Ausschau nach einem Hinweis auf Thuvia oder den großen Banth gehalten, aber sie hatten von beiden nichts gesehen.

An jenem Morgen aber entdeckten sie weit vorne, etwa auf halbem Weg nach Aaanthor, zwei winzige Gestalten, die zur Stadt wanderten. Gespannt beobachteten sie die beiden eine Weile. Dann war Carthoris überzeugt, daß es Thuvia mit dem Banth sein müßte, und er rannte in großen Sprüngen weiter. Kar Komak folgte ihm so schnell er konnte.

Der Prinz von Helium schrie schon von weitem, um des Mädchens Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und endlich blieb sie stehen, drehte sich um und sah ihm entgegen. Neben ihr stand der riesige Banth mit gespitzten Ohren und wartete auf den sich nähernden Mann.

Aus dieser Entfernung konnte Thuvia von Ptarth den Prinzen von Helium sicher noch nicht erkennen, doch sie mußte wohl überzeugt sein, daß es kein anderer sein konnte als er, da sie ohne jedes Zeichen von Furcht auf ihn wartete.

Dann deutete sie plötzlich nach Nordwesten, über ihn hinaus.

Er blieb nicht stehen, sondern rannte weiter, drehte sich nur im Laufen um und schaute in die von ihr gewiesene Richtung.

Höchstens eine halbe Meile von ihm entfernt raste lautlos auf dem dicken Moosteppich eine Horde grüner Krieger heran.

Auf ihren großen Thoats konnten sie ein höllisches Tempo durchhalten. Rechts von ihnen rannte der nackte, unbewaffnete Kar Komak Carthoris entgegen. Er schrie Warnungen, denn auch er hatte gerade die lautlos heranjagende Gefahr erkannt, deren Lanzen und Schwerter in der Sonne funkelten.

Carthoris wiederum rief dem Lotharianer Warnungen zu, denn er wußte, daß der nackte, unbewaffnete Mann nur sein Leben opferte, wenn er sich den grausamen, erbarmungslosen Wilden in den Weg stellte.

Doch Kar Komak zögerte nicht. Er schrie seinem neuen Freund Ermutigungen zu und rannte weiter. Das Herz des Roten Mannes schlug heftiger vor Freude über soviel Mut. Es tat ihm jetzt unendlich leid, nicht daran gedacht zu haben, daß er Kar Komak ja eines seiner Schwerter hätte abgeben können. Jetzt war zu spät, denn wenn er auf den Lotharianer wartete, dann würden die Torquasianer viel eher als er bei Thuvia von Ptarth angelangt sein.

Wer sie zuerst erreichte, der hatte gewonnen. Die Chancen standen ziemlich gleich.

Carthoris rannte weiter und versuchte beide Seiten im Auge zu behalten. Da sah er plötzlich eine neue Gruppe, die aus Aaanthor zu kommen schien. Es waren zwei mittlere Kriegsschiffe, die eiligst heranrasten, und schon aus einiger Entfernung erkannte er am Bug die Embleme Dusars.

Nun schien wenig Hoffnung mehr zu bleiben für Thuvia von Ptarth. Auf der einen Seite wilde grüne Horden aus Torquas auf riesigen Thoats, von der anderen Seite und aus der Luft zwei Kriegsschiffe des Prinzen von Dusar – das war zuviel für ein Mädchen, einen Banth, einen Roten Krieger und einen unbewaffneten, nackten Bogenschützen. Ihre Lage war hoffnungslos, und sie hatten schon verloren, ehe der Kampf überhaupt begann.

Als Thuvia sah, wie schnell Carthoris sich näherte, fühlte sie wieder jene grenzenlose Erleichterung, die sie schon so gut kannte. Ihr war, als falle alle Verantwortung und Angst von ihr ab. Sie wußte nicht, weshalb, denn ihr Verstand versuchte noch immer ihr Herz zu überreden und sie glauben zu machen, daß der Prinz von Helium Ihre Entführung veranlaßt, wenn nicht durchgeführt hatte. Sie wußte nur das eine, wie froh und glücklich sie war, wenn sie ihn an ihrer Seite fühlte, denn dann schien auch das Unwahrscheinlichste möglich zu werden, sogar so Unmögliches wie ein Entrinnen aus dieser großen Gefahr.

Keuchend blieb er vor ihr stehen. Ein tapferes, ermutigendes Lächeln strahlte auf seinem Gesicht.

»Mut, meine Prinzessin«, flüsterte er.

Schon einmal hatte er diese Worte gebraucht; es war im Thronsaal Tarios von Lothar, als sie langsam über den glatten Marmorboden in eine unbekannte, schwarze Tiefe rutschten.

Damals hatte sie ihn wegen dieses Wortes nicht gerügt, und das tat sie auch jetzt nicht, obwohl sie doch einem anderen Mann versprochen war. Sie wunderte sich über sich selbst und schüttelte den Kopf über ihre eigene Schändlichkeit, denn auf Barsoom muß sich eine Frau schämen, wenn sie solche Worte von einem anderen Mann anhört als von ihrem Ehemann oder Verlobten.

Carthoris sah, wie sie errötete und sofort bedauerte er seine Worte. Aber sie hatten keine Zeit, denn die grünen Horden stürmten heran.

»Vergib mir«, bat der Mann leise. »Meine große Liebe zu dir möge meine Entschuldigung sein – und auch der Glaube, daß ich nur noch ganz kurze Zeit zu leben habe.« Mit diesen Worten stellte er sich den grünen Kriegern entgegen.

Der vorderste raste ihm mit eingelegtem Speer entgegen, aber Carthoris tat einen Satz zur Seite, und als das riesige Thoat und sein riesiger Reiter an ihm vorbeistürmten, ohne ihm Schaden zuzufügen, schwang er sein Langschwert, und mit einem gewaltigen Hieb trennte er den grünen Krieger in zwei nicht ganz gleichmäßige Hälften.

Im gleichen Moment tat Kar Komak einen Satz und klammerte sich mit nackten Händen an ein Bein eines anderen Reiters. Die Horde raste eng aufgeschlossen dahin, und manch einer sprang von seinem Thoat ab, um sein Langschwert besser schwingen zu können. Die Flieger aus Dusar setzten auf dem weichen Moosteppich der ockerfarbenen Seegründe auf, und fünfzig Mann sprangen heraus.

In das gewaltige Durcheinander von Kämpfern. Thoats, Grünen und Roten, von Schwertern und Lanzen sprang Komal, der große Banth.

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