4 Die Gefangene eines grünen Kriegers

Als der erste Tagesschein auf das Deck des Schiffchens fiel, mit dem die Prinzessin von Ptarth aus dem Garten ihres Vaters entführt worden war, sah Thuvia, daß im Laufe der Nacht mit ihren Entführern eine Veränderung vorgegangen war.

Am Waffengehänge der Männer funkelten nicht mehr die Embleme von Dusar, sondern die Insignien des Prinzen von Helium.

Nun fühlte das Mädchen neue Hoffnung, denn sie konnte nicht glauben, daß Carthoris von Helium ihr irgendeinen Schmerz zufügen könnte.

Sie sprach zu dem Krieger, der vor dem Instrumentenbrett hockte. »Vergangene Nacht trugst du die Zeichen und den Harnisch von Dusar«, sagte sie. »Jetzt ist dein Metall das von Helium. Was hat das zu bedeuten?«

Der Mann grinste sie triumphierend an.

»Der Prinz von Helium ist doch kein Narr«, antwortete er.

In diesem Augenblick kam ein Offizier aus der winzigen Kabine. Er machte dem Krieger Vorwürfe, weil er mit der Gefangenen gesprochen hatte, und auch er selbst weigerte sich, auf ihre Fragen zu antworten.

Man tat ihr während der Reise nichts zuleide, und als sie an ihren Bestimmungsort kamen, war das Mädchen um nichts klüger als vorher. Sie wußte ebenso wenig wie vorher, wer sie entführt hatte und zu welchem Zweck.

Der Flieger senkte sich auf den weiten Platz einer der uralten toten, fast vergessenen Marsstädte am Ufer der trostlosen ockerfarbenen Seegründe, über die einst die Wasser der Marsmeere gespült hatten und die damals den Reichtum der längst ausgestorbenen Völker mit einem blühenden Seehandel begründeten.

Thuvia von Ptarth kannte diese Stätten. Als sie damals – ihr schien, das müsse schon viele hundert Jahre zurückliegen – auf die Wanderschaft gegangen war, um den Fluß Iss zu suchen, der das Ziel der letzten Pilgerfahrt zahlreicher Marsleute war, da hatte sie einige dieser Städte kennengelernt, die Zeugen einer grandiosen Vergangenheit ihrer Welt waren. Auf dem Weg zum Tal Dor, in dem die Verlorene See von Korus liegt, hatte sie sehr viel von ihrer Welt gesehen.

Auch damals auf der Flucht vor den Heiligen Therns, als sie mit Tars Tarkas, Jeddak von Thark, zusammen war, war sie durch solche Städte gezogen, und da hatte sie auch die häßlichen, grausamen und unheimlichen Bewohner der alten Paläste, die großen weißen Affen von Barsoom gesehen.

Sie wußte auch, daß diese verlassenen Städte heute von manchen Nomadenstämmen der grünen Männer als Stützpunkte benutzt wurden, aber gerade um diese Städte hätte jeder Rote Krieger einen großen Bogen gemacht, denn sie standen ausnahmslos auf weiten, wasserlosen Ebenen, die der herrschenden Roten Rasse keine Lebensmöglichkeiten bot.

Warum brachte man sie dann an einen solchen Ort? Darauf gab es nur eine einzige Antwort. Ihre Entführer mußten auf die Abgeschiedenheit angewiesen sein, die eine solche Stadt gewährte. Und bei diesem Gedanken begann das Mädchen zu zittern.

Zwei Tage lang wurde sie von ihren Entführern in einem riesigen Palast festgehalten, der selbst in seinem Verfall noch den einstigen Glanz ahnen ließ.

Kurz vor Anbruch des dritten Tages wurde sie von den Stimmen zweier ihrer Entführer aufgeweckt.

»Um die Dämmerung müßte er hier sein«, sagte der eine.

»Du hältst sie auf dem Platz bereit, denn sonst wird er niemals landen. In dem Augenblick, in dem er findet, daß er sich in diesem fremden Land befindet, wird er umkehren. Mir scheint, an dieser Stelle ist der Plan des Prinzen ziemlich schwach.«

»Es gab aber keine andere Möglichkeit«, erwiderte der zweite.

»Es war schon schwierig genug, sie beide hierher zu bringen, und selbst wenn es uns nicht gelingen sollte, ihn auf den Grund herunterzulocken, ist uns eine ganze Menge gelungen.«

In diesem Augenblick bemerkte der Sprecher, daß Thuvia ihn ansah. Der nähere Mond warf einen hellen Schein in den Raum und ließ die Augen der gefangenen Prinzessin aufblitzen.

Er machte dem anderen rasch ein Zeichen, daß er schweigen solle und hörte selbst zu sprechen auf. Dann ging er auf das Mädchen zu und bedeutete Thuvia, sie solle aufstehen. Er führte sie in die Nacht hinaus zur Platzmitte.

»Hier bleibst du stehen«, befahl er ihr, »bis wir kommen und dich holen. Wir passen genau auf. Solltest du zu fliehen versuchen, so wird es dir übel ergehen, und dein Schicksal wird schlimmer sein als der Tod. Das ist der Befehl des Prinzen.«

Dann drehte er sich um und ging wieder zum Palast zurück.

Nun stand sie in der Mitte dieser gespenstischen Stadt, die voll unheimlichen, unsichtbaren Lebens war. Viele Marsleute sind der festen Überzeugung, daß sich seit tausend Jahren hier die Seelen der verstorbenen Heiligen Therns versammelten, um in die Leiber der großen weißen Affen überzugehen. Das war ein uralter Aberglaube, und sie hielten noch immer daran fest. Natürlich hatten die Heiligen Therns selbst diesen Aberglauben genährt und behauptet, jedem von ihnen stünden tausend Lebensjahre zu, und wer vor dieser Zeit sterbe, nehme bis zum Ablauf seiner Zeit Wohnung in den riesigen, wilden weißen Affen.

Thuvia glaubte zwar nicht daran, sondern sie sah die Gefahr für sich selbst in einem Angriff dieser menschenähnlichen Bestien.

Seit sie damals von John Carter aus den Höhlengefängnissen und den Klauen der Heiligen Therns gerettet worden war, hatte sie allem Aberglauben abgeschworen. Sie wußte jedoch, daß ein entsetzliches Schicksal ihrer wartete, sollte eines dieser häßlichen, riesigen Tiere sie auf einem nächtlichen Streifzug erspähen.

Was war das?

Ganz gewiß hatte sie sich nicht geirrt. Etwas hatte sich im Schatten eines riesigen Monoliths der Straßenbegrenzung bewegt, und das war genau dort, wo die breite Avenue auf den Platz einmündete!

Thar Ban, Jed der Horden von Torquas, ritt eiligst über das ockerfarbene dünne Moos der toten Seegründe in Richtung der uralten Ruinen der alten Stadt Aaanthor.

Er war weit geritten in jener Nacht, und sehr eilig hatte er es auch gehabt, denn er hatte den Inkubator einer nachbarlichen grünen Horde zerstört. Mit diesen Nachbarn lagen die Horden von Torquas ununterbrochen im Krieg.

Sein riesiges Thoat war aber weit davon entfernt, müde zu sein, obwohl Thar Ban es doch für gut hielt, es ein wenig äsen zu lassen.

Das ockerfarbene Moos wächst in den geschützten Höfen der verlassenen Städte, wo der Boden viel besser ist als der Sand der toten Seegründe, wesentlich höher und üppiger, und es ist auch sehr wichtig, daß die Pflanzen wenigstens für einen Teil des Tages Schutz vor der sengenden Sonne haben.

In den zarten Stengeln dieser äußerlich so trockenen Pflanze befindet sich genug Flüssigkeit. Die mächtigen Thoats können in ihren riesigen Leibern soviel Feuchtigkeit speichern, daß sie monatelang ohne Wasser auskommen können, und tagelang brauchen sie nicht einmal das bißchen Feuchtigkeit, das ihnen dieses ockerfarbene Moos spendet.

Als Thar Ban lautlos die breite Avenue entlangritt, die von den ehemaligen Kais von Aaanthor zum ungeheuer großen Stadtplatz führt, sahen er und sein Thoat aus, als stammten sie aus einer Traumwelt, so grotesk wirkte der Mann auf dem Tier, so lautlos tappten die riesigen, weichen Pfoten über das kurze Moos, das auf den Platten des alten Straßenpflasters wuchs.

Der Mann war ein großartiges Exemplar seiner Rasse. Er maß von der Sohle bis zum Schädeldach volle fünfzehn Fuß. Seine glatte grüne Haut schimmerte im Licht des nahen Mondes, dessen Strahlen sich in den Edelsteinen seines Harnisches fingen. Seine vier muskulösen Arme waren mit schweren, zahlreichen Reifen und Ornamenten geschmückt, und seine nach oben gebogenen Stoßzähne, die dem Unterkiefer entsprangen, schimmerten weiß und furchterregend.

An der Flanke seines Thoats hingen die lange Radiumflinte und der schlanke Vierzigfußspeer mit der scharfen Metallspitze. Ihm selbst hingen von der Hüfte ein Langschwert, ein Kurzschwert und einige kleinere Hilfswaffen.

Seine vorstehenden Augen und die antennenähnlichen Ohren drehten sich unablässig in alle Richtungen, denn Thar Ban befand sich noch im Feindesland. Auch er fürchtete die großen weißen Affen, die, wie John Carter immer sagte, die einzigen Kreaturen waren, welche den wilden, grausamen Kriegern der toten Seegründe eine Andeutung dessen einjagen konnten, was man sonst Angst nennt.

Als sich der Reiter dem Stadtplatz näherte, zügelte er plötzlich sein Tier. Seine schmalen Röhrenohren richteten sich nach vorne.

Sie hatten ein verdächtiges Geräusch aufgenommen. Stimmen!

Und wo es außerhalb von Torquas Stimmen gab, waren auch Feinde. Die ganze weite Welt Barsooms enthielt nichts als Feinde der wilden Torquasianer.

Thar Ban stieg ab. Er hielt sich im Schatten eines großen Monolithen, wie sie die Avenuen und Kais des schlafenden Aaanthor begrenzen, und so huschte er zum Platz. Ihm folgte wie ein Hund sein schieferfraues Thoat; dessen weißer Bauch war unter dem mächtigen Rumpf nicht zu sehen, und die hellgelben Füße fielen im ockerfarbenen Moos nicht auf.

Auf der Platzmitte sah Thar Ban die Gestalt einer Roten Frau. Ein Roter Krieger sprach mit ihr, aber der drehte sich um und kehrte zu einem Palast am gegenüberliegenden Platzrand zurück.

Thar Ban beobachtete ihn, bis er im gähnenden schwarzen Portal verschwunden war. Das hier war eine Gefangene, die sich bezahlt machen würde! Selten einmal fiel eine Frau der Erbfeinde in die Hände der grünen Krieger. Thar Ban leckte sich genießerisch die dünnen Lippen.

Thuvia von Ptarth ließ den Schatten hinter dem Monolithen an der Einmündung der Avenue nicht aus den Augen. Sie hoffte, daß es nur ein Fantasiegebilde ihrer überanstrengten Sinne sein möge.

Aber nein! Jetzt sah sie ganz klar und deutlich, wie sich der Schatten bewegte. Er kam hinter der schützenden Ersitsäule vor.

In diesem Moment warf die Sonne ihre ersten Strahlen schräg über den Platz und erfaßte das huschende Wesen. Es war ein riesiger grüner Krieger!

Er rannte ihr entgegen. Sie schrie und wandte sich zur Flucht, aber sie hatte kaum die ersten Schritte in die Richtung des Palastes getan, als eine riesige Hand sich auf ihren Arm legte.

Sie wurde herumgewirbelt und halb getragen, halb gezerrt und auf ein riesiges Thoat gehoben, welches an der ockerfarbenen Moosdecke rupfend langsam vom Platzrand her kam.

Da sie von oben einen sirrenden Laut hörte, schaute sie hinauf und sah einen schnellen Flieger, der sich ziemlich rasch auf den Boden herabließ. Kopf und Schultern eines Mannes lehnten weit über die Reling, aber das Gesicht des Mannes lag in tiefem Schatten, so daß sie ihn nicht erkannte.

Nun kamen von hinten her die schrillen Schreie ihrer Entführer.

Wie irr rasten sie hinter dem drein, der es gewagt hatte, die Person zu entführen, die vorher sie entführt hatten.

Als Thar Ban bei seinem Thoat ankam, riß er seine lange Radiumflinte aus dem Halter und schoß dreimal auf die daherrennenden Roten Männer.

Diese Marswilden sind als Schützen von einer unglaublichen Treffsicherheit. Dreimal schoß Thar Ban, und drei Rote Krieger fielen tot um, als drei Projektile in ihren Eingeweiden explodierten.

Die anderen blieben stehen. Keiner von ihnen wagte zurückzuschießen, weil sie Angst hatten, das Mädchen zu verwunden.

Dann sprang Thar Ban mit einem gewaltigen Satz auf sein Thoat. Thuvia von Ptarth hatte er noch immer fest in seinen Armen, und mit einem gellenden Triumpfschrei jagte er zwischen den düsteren Palästen des vergessenen Aaanthor die Avenue entlang.

Carthoris’ Flieger hatte noch nicht den Grund berührt, als er auch schon absprang, um hinter dem schnellen Thoat dreinzurennen, dessen acht lange Beine das Tier mit der Geschwindigkeit eines Eilzuges bewegten. Aber die Männer von Dusar, die noch am Leben geblieben waren, hatten nicht die Absicht, sich eine so wertvolle Gefangene entwischen zu lassen.

Das Mädchen hatten sie ja nun verloren, und es würde ihnen ganz bestimmt nicht leicht fallen, Astok die Sache begreiflich zu machen. Er könnte aber versöhnlicher gestimmt werden, wenn sie ihrem Herrn statt der Prinzessin von Ptarth den Prinzen von Helium bringen könnten.

Die drei restlichen Entführer rannten also hinter Carthoris drein, schwangen ihre Langschwerter und schrien ihm zu, er solle sich ergeben. Ebenso gut hätten sie jedoch dem Mond Thuria befehlen können, nicht ununterbrochen über den Himmel von Barsoom zu rasen, denn Carthoris von Helium war der wahre Sohn des Kriegsherrn vom Mars und seiner unvergleichlichen Dejah Thoris!

Carthoris hatte sein Langschwert schon in der Hand gehabt, als er vom Deck seines Fliegers heruntersprang. In dem Augenblick also, in dem er die Drohung der drei Roten Kriege? erkannte, wirbelte er zu ihnen herum und stellte sich ihnen, wie nur ein John Carter es hätte tun können.

So blitzschnell war sein Schwert, so kraftvoll und lebendig reagierten seine halbirdischen Muskeln, daß einer seiner Gegner schon am Boden lag und mit seinem Blut das ockerfarbene Moos färbte, kaum daß er einen ersten Schritt auf Carthoris zu getan hatte.

Auch die anderen beiden Dusarianer drangen auf den Prinzen von Helium ein. Drei Langschwerter klirrten aneinander und funkelten im Licht des nahen Mondes, bis die großen weißen Affen aus ihrem Schlaf erwachten und zu den hohen Fenstern tappten, um das blutige Schauspiel zu beobachten.

Dreimal berührte eine Schwertspitze Carthoris, so daß ihm das Blut über das Gesicht lief, ihn blendete und seine breite Brust färbte. Mit der freien Hand wischte er den Schweiß und das Blut von den Augen, und um seine Lippen lag dasselbe Lächeln, mit dem sein Vater in den Kampf ging. Immer wieder sprang er seine Gegner an, und er wurde nicht müde, sein Schwert gegen sie zu schwingen.

Mit einem einzigen Hieb trennte er dem einen den Kopf vom Rumpf, so daß der andere, den sicheren Tod vor Augen, falls er bliebe, sich umwandte und zum Palast floh, aus dem er gekommen war.

Carthoris machte nicht den kleinsten Versuch, ihm zu folgen.

Er hatte andere Sorgen als die wohlverdiente Bestrafung dieser Schurken, die sich mit dem Metall seines eigenen Hauses schmückten, wenn sie ihre Untaten begingen. Klar und deutlich hatte er nämlich gesehen, daß sie an ihren Harnischen die Insignien seines persönlichen Gefolges trugen.

Nun kehrte er eiligst zu seinem Schiffchen zurück, und wenige Augenblicke später hob er sich in die Luft, um die Verfolgung von Thar Ban aufzunehmen.

Der Rote Krieger, der in den Palast geflohen war, erkannte Carthoris’ Absicht, griff nach einer Büchse, die seinen toten Kameraden gehört hatte und an einer Wand lehnte, seit sie hinausgerannt waren, um den Diebstahl ihrer kostbaren Beute zu verhindern.

Nur wenige von den Roten Männern sind gute Schützen, denn sie kämpfen viel lieber mit dem Schwert, und darin sind sie ja auch Meister. Als der Dusarianer nun auf den rasch steigenden Flieger anlegte und auf den Auslöseknopf drückte, war der teilweise Erfolg, den er hatte, nicht seiner Tüchtigkeit, sondern einem reinen Zufall zuzuschreiben.

Das Projektil schrammte die metallene Rumpfhaut des Fliegers, und das genügte, um die dünne Opakhülse des Geschosses so weit aufzubrechen, daß Tageslicht auf die Pulverphiole im Geschoßkopf fiel. Es gab eine scharfe Explosion.

Carthoris spürte, wie sein Schiffchen unter ihm wie betrunken herumtorkelte, und dann blieb auch noch die Maschine stehen.

Die Geschwindigkeit, die das Schiffchen schon erreicht hatte, trug es noch über die Stadt hinweg zum Seeboden, der dahinter begann.

Der Rote Krieger unten auf dem Platz gab noch einige Schüsse ab, doch keiner von ihnen traf mehr. Dann entschwand seine dahintreibende Beute hinter einem schlanken Turm seinen Blicken.

Ein ganzes Stück vor Carthoris raste der grüne Krieger mit Thuvia von Ptarth auf seinem riesigen Thoat dahin. Er hielt dabei, von Aaanthor aus gesehen, eine nordwestliche Richtung ein, und dort lag ein Bergland, von dem die Roten Männer an sich recht wenig wußten.

Nun mußte sich Carthoris um sein beschädigtes Schiff kümmern.

Es erwies sich leider, daß einer der Treibstofftanks durchschossen war, doch die Maschine selbst hatte nichts abbekommen.

Ein Geschoßsplitter hatte einen Instrumentenhebel so schwer getroffen, daß er unterwegs nicht repariert werden konnte, sondern in einer Werkstätte ausgewechselt werden mußte. Aber nach einigem Herumprobieren und kleinen Veränderungen gelang es Carthoris doch, sein verwundetes Schiffchen wenigstens ganz langsam zu fliegen. Das Tempo genügte allerdings bei weitem nicht, das Thoat einzuholen, denn das schoß auf seinen acht langen Beinen mit unglaublicher Geschwindigkeit über die mit ockerfarbenem Moos bestandenen glatten Seegründe.

Der Prinz von Helium kochte vor verzweifeltem Zorn wegen der Langsamkeit, mit der er vorwärts kam. Trotzdem mußte er froh sein, daß die Beschädigung nicht noch schwerer war, denn so konnte er sich auf jeden Fall noch schneller fortbewegen als zu Fuß.

Doch auch diese dürftige Befriedigung war nicht von langer Dauer, denn bald sackte das Schiffchen nach backbord und am Bug ab. Der Schaden am Treibstofftank schien also doch noch viel ernster gewesen zu sein als er zuerst geglaubt hatte.

Den ganzen Tag lang kroch Carthoris in einem recht fragwürdigen Zickzackkurs durch die Luft. Der Bug senkte sich immer tiefer, und die Backbordseite gab auch immer mehr nach.

Es ging schon auf den Abend zu, und die Dunkelheit stand kurz bevor, als der Flieger die Nase immer tiefer hinunterfallen ließ, so daß sich Carthoris schließlich an einem kräftigen Decksring mit dem Harnisch anhängen mußte, um nicht abgeworfen zu werden.

Er bewegte sich nur noch ganz langsam im Tempo einer sanften Brise vorwärts, die aus Südosten blies, und mit Sonnenuntergang hörte sie ganz auf. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Flieger vorsichtig auf den Moosboden zu setzen.

Weit vor ihm türmten sich die Berge auf denen der Grüne entgegenritt, als er ihn zuletzt sah. Das war schon ziemlich lange her, doch Carthoris von Helium, der Sohn John Carters, war ebenso entschlossen und vom gleichen Durchhaltevermögen wie sein Vater und nahm daher die Verfolgung zu Fuß auf. Sein Vater hätte es ja auch nicht anders gemacht.

Die ganze Nacht hindurch marschierte er weiter. Endlich dämmerte ein neuer Tag, und nun kam er in die niederen Vorberge, die jenen hohen Bergen vorgelagert sind, welche das Land Torquas schützen.

Vor ihm stiegen zerklüftete Granitfelsen auf. Nirgends konnte er in dieser grandiosen Barriere eine Lücke finden, die ihm einen Zugang zu dem dahinterliegenden Land gewährt hätte, aber irgendwo in diesem abweisenden Gebirge mußte es doch einen Weg geben, auf dem der grüne Krieger die Frau seines Herzens durch diese Barriere gebracht hatte.

Auf dem Moosboden des Seegrundes hatte er keine Spur gehabt, der er hätte folgen können, denn die weichen Tatzen des Thoats drückten sich nicht so tief in die federnde Vegetationsschicht, als daß er an diesen Zeichen den Weg des grünen Kriegers hätte erkennen können.

Hier war es anders. Da und dort gab es ganze Geröllhalden oder schwarze Erde, auf der wilde Blumen wuchsen. Hier herrschte nicht mehr die Monotonie der Tieflande, und Carthoris hoffte früher oder später Spuren zu finden, die ihm eine Verfolgung ermöglichten.

Er suchte sorgfältig ein weites Gelände ab, doch er fand nichts.

Der vorher deutlich erkennbare Pfad hörte ganz einfach auf. Es war sehr mysteriös und ziemlich verwirrend.

Wieder näherte sich der Abend, als Carthoris’ scharfe Augen ein braungelbes Tier erspähen konnten, das sich in einigen hundert Yards Entfernung links von ihm zwischen den Felsblöcken bewegte. Carthoris duckte sich rasch hinter einen großen Felsen und beobachtete das Ding. Es war ein riesiger Banth, einer jener wilden Marslöwen, die in den trostlosen Bergen des sterbenden Planeten hausen. Er hatte die Nase auf dem Boden und schien der Spur eines fleischigen Wesens zu folgen.

Carthoris beobachtete ihn, und nun faßte er wieder Hoffnung.

Hier lag vielleicht die Lösung für das Geheimnis, das er schon den ganzen Tag zu enträtseln versuchte. Dieses hungrige Raubtier war gierig auf Menschenfleisch und verfolgte vielleicht gerade jetzt die beiden, die auch er, Carthoris, suchte.

Vorsichtig folgte nun der junge Mann der Spur des Raubtieres.

Es bewegte sich am Fuß einer senkrecht ansteigenden Wand entlang. Immer wieder schnüffelte es den Boden ab, und gelegentlich gab es ein leises Winseln, den Laut des jagenden Banth von sich.

Erst wenige Minuten war Carthoris dem Tier gefolgt, als es so plötzlich und spurlos verschwand, als habe es sich in Luft aufgelöst.

Carthoris sprang auf. Nein, jetzt ließ er sich nicht auch noch von einem Tier an der Nase herumführen! Es genügte schon, wenn der grüne Krieger mit seiner kostbaren Beute spurlos verschwunden war! Er rannte auf die Stelle zu, an der er das Raubtier zuletzt gesehen hatte.

Vor ihm stieg eine senkrechte Felswand auf, in der sich keine Höhlen erkennen ließen, in welche das riesige Tier hätte verschwinden können. Neben ihm war ein kleiner, flacher Felsklotz, kaum größer als das Deck eines Zehnmannfliegers und höchstens doppelt so hoch wie er groß war.

Vielleicht versteckte sich der Banth hinter dem Felsblock?

Das Raubtier konnte den Menschen, der ihm auf der Spur war, entdeckt haben, und nun lag es wahrscheinlich auf der Lauer, um sich die leichte Beute zu schnappen.

Vorsichtig und mit gezogenem Langschwert schlich Carthoris, Prinz von Helium, um den Felsblock herum. Kein Banth war da, dafür aber etwas anderes, das ihn mehr überraschte, als es zwanzig Banths vermocht hätten.

Vor ihm gähnte der Zugang zu einer dunklen Höhle, die tief in den Boden führte. Hier mußte der Banth verschwunden sein.

War es sein Lager? Und dort drinnen lauerte vielleicht nicht nur das eine riesige wilde Tier, sondern eine ganze Horde dieser gefährlichen Räuber.

Natürlich wußte das Carthoris nicht, und es war ihm auch ziemlich egal, denn ihn hatte nicht das Tier in diese Wildnis gelockt, sondern der grüne Krieger, der vermutlich mit seiner Gefangenen, der Prinzessin Thuvia von Ptarth, in diese Höhle gestiegen war. Nun würde er eben dem Grünen folgen und stolz darauf sein, wenn er im Dienst der geliebten Frau sein Leben lassen müßte.

Er zögerte nicht einen Augenblick, doch er tat auch keinen übereilten Schritt. Vorsichtig Fuß vor Fuß setzend und mit gezogenem Schwert tappte er weiter. Es war stockfinster in der Höhle, und je tiefer er in sie vordrang, desto schwärzer wurde die Dunkelheit.

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