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»Ihre Identifikation, bitte.« Die ruhige Stimme aus den Lautsprechern ließ sich nicht ganz mit dem Bild vereinbaren, das auf dem Schirm erschien. Das Raumschiff, das vor wenigen Minuten in ihre Kreisbahn über Dis eingeschwenkt war, hatte früher als Frachter Dienst getan. Seine Umrisse waren durch den Einbau eines Drehturms für Primärwaffen verändert worden. Die Mündung einer gigantischen Kanone wies auf das fremde Raumschiff. Ihjel schaltete das Funkgerät ein.

»Hier Ihjel. Anflug auf Kursschablone 490-Bj4-67 — das ist auch das Kodezeichen, mit dem ich durch Ihre Blockade kommen soll. Wollen Sie die Schablone überprüfen?«

»Danke, das ist nicht nötig. Schalten Sie bitte Ihr Aufnahmegerät ein, ich habe einen Funkspruch von Primus IV für Sie.«

»Gerät ein. Ende.« Ihjel wandte sich an Brion. »Verdammt nochmal! Schon wieder Schwierigkeiten! Dabei haben wir nur noch vier Tage Zeit. Primus IV ist unser Hauptquartier auf Dis. Unser Schiff hat zur Tarnung Frachtgut an Bord, damit wir auf dem Raumhafen landen können. Wahrscheinlich ist der Plan geändert worden, und das paßt mir gar nicht.«

Brion spürte diesmal ohne bewußte Anstrengung, daß sich hinter Ihjels Worten eine unbestimmbare Angst vor zukünftigen Ereignissen verbarg. Vor ihnen lag eine schwierige Aufgabe, und Ihjel ahnte, daß er deren Ende nicht mehr erleben würde. Als der Dekoder die Nachricht schrieb, griff Ihjel nach dem Streifen und las begierig jedes Wort. Dann zuckte er mit den Schultern und verschwand in seiner Kabine. Brion las den Text des Funkspruchs.

IHJEL IHJEL IHJEL / LANDUNG AUF RAUMHAFEN GEFÄHRLICH / NACHTLANDUNG VORZUZIEHEN / KOORDINATEN KARTE 46 / JU92 MN 75 / SCHIFF IN KREISBAHN ZURÜCK / VION ZUR ABHOLUNG BEREIT / ENDE ENDE ENDE.

Die Landung in der Dunkelheit bereitete keine besonderen Schwierigkeiten. Sie wurde nach Instrumenten durchgeführt, und die Disaner verfügten angeblich über keine Geräte, mit denen sie ein landendes Schiff orten konnten. Der Zeiger des Höhenmessers sank auf Null zurück, und ein weicher Stoß war das einzige Anzeichen dafür, daß sie sicher gelandet waren. Die Kabinenbeleuchtung war ausgeschaltet worden, so daß nur das grüne Schimmern der Instrumente den Raum erhellte. Auf dem Infrarotschirm zeigten sich weiße Punkte — die Wärmeausstrahlung der noch immer heißen Felsen -, aber keine Bewegungen oder die charakteristischen Umrisse eines abgeschirmten Atomreaktors.

»Wir sind gelandet«, stellte Ihjel fest. Er verdunkelte die Bullaugen und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Sie sahen sich an.

»Muß die Kabine wirklich so heiß sein?« fragte Lea und fuhr sich mit einem bereits schweißnassen Taschentuch über die Stirn. Nachdem sie ihren dicken Schutzanzug mit einem leichten Kittel vertauscht hatte, wirkte sie noch zierlicher auf Brion. Aber der dünne, kurze Kittel — er reichte ihr kaum bis zu den Knien — verbarg nur sehr wenig. Jedenfalls war sie durchaus nicht unweiblich.

»Soll ich mich umdrehen, damit Sie zur Abwechslung meinen Rücken anstarren können?« fragte sie. Aber Brion wußte aus nunmehr fünftägiger Erfahrung, daß man diese Art von Bemerkung am besten unbeantwortet ließ.

»Dis ist noch heißer als unsere Kabine«, sagte er deshalb, um das Thema zu wechseln. »Indem wir die Innentemperatur erhöhen, vermeiden wir einen plötzlichen Schock, wenn wir…«

»Danke, ich weiß — aber deshalb schwitze ich trotzdem«, antwortete sie kurz.

»Sie können gar nichts Besseres tun«, warf Ihjel ein. Er sah in seinen Shorts wie ein Fesselballon aus. »Trinken Sie doch auch einen Schluck Bier«, fügte er hinzu und holte sich selbst eine neue Flasche aus dem Kühlschrank.

»Oh, nein, ich möchte nüchtern bleiben. Auf der Erde trinken wir…«

»Brion, du kannst gleich Dr. Morees' Gepäck holen«, unterbrach Ihjel sie. »Vion kommt, ich habe sein Signal auf dem Schirm erkannt. Wir müssen das Schiff wieder in die Kreisbahn schicken, bevor die Disaner merken, daß wir hier sind.«

Die heiße Nachtluft wirkte wie ein Keulenschlag. Brion hörte Leas leisen Schrei. Er folgte ihr langsam die Rampe hinunter. Durch seine dicken Stiefel hindurch spürte er die Hitze, die der Sand noch immer ausstrahlte. Ihjel trug den Kontrollkasten der Fernsteuerung in der Hand. Als sie zu dritt nebeneinander standen, drückte er auf einen Knopf. Das Raumschiff erhob sich geräuschlos und war Sekunden später verschwunden.

Die nun herrschende Stille wurde von dem leisen Summen eines näherkommenden Sandwagens durchbrochen. Der Wagen fuhr heran und hielt. Als die Tür sich öffnete, ging Ihjel darauf zu. In diesem Augenblick schien alles gleichzeitig zu geschehen.

Ihjel war plötzlich von bläulichen Flammen umgeben, die seine Haut verbrannten. Er war auf der Stelle tot. Eine zweite Flammensäule stieg neben dem Wagen hoch und erstickte einen Schrei.

Brion warf sich blitzschnell zu Boden. Er ließ die Geräte fallen, die er getragen hatte, und stieß gegen Lea, die ebenfalls hinfiel. Er hoffte, daß sie Verstand genug besaß, um sich nicht von der Stelle zu rühren. Dann rollte er sich so schnell wie möglich von der Stelle fort, wo er gelegen hatte.

Sekunden später spielten bläuliche Flammen über die Kisten, die Brion abgeworfen hatte. Nun zog er seine Pistole, die Ihjel ihm vor der Landung in die Hand gedrückt hatte, und zielte in die Richtung, in der er den unbekannten Schützen vermutete. Die Explosivgeschosse zerrissen die Nacht und fanden ihr Ziel. Etwas schlug mit einem erstickten Aufschrei um sich und starb.

Es gibt viele unsinnige und gefährliche Dinge, die man tun kann, wie zum Beispiel neben einem offenen Benzinfaß rauchen oder die Finger an einen mit Hochspannung geladenen Draht halten. Genau so gefährlich und ebenso tödlich ist ein tätlicher Angriff auf einen Mann, der in den Spielen gesiegt hat.

Zwei Männer fielen gemeinsam über Brion her, aber das machte keinen großen Unterschied. Der erste Angreifer starb auf der Stelle, als ein Paar Hände sich wie Stahlklammern um seinen Hals schlossen und ihm das Genick brachen. Der andere hatte noch Zeit für einen kurzen Schrei, bevor auch er das gleiche Schicksal erlitt.

Brion suchte die nähere Umgebung mit der Waffe in der Hand ab. Im Augenblick schien keine unmittelbare Gefahr zu drohen. Erst dann kehrte er zu Lea zurück, die noch immer bewegungslos im Sand lag. An ihrer Schläfe hatte sich eine große Beule gebildet. Brion hatte ihr durch seinen heftigen Stoß unzweifelhaft das Leben gerettet.

Er ließ sich erschöpft neben ihr nieder und bemerkte erst jetzt, daß sein Hals wie Feuer brannte. Er griff danach und stellte fest, daß einer der beiden Angreifer eine dünne, aber sehr feste Schnur darum geschlungen hatte, die an beiden Enden mit Gewichten beschwert war. Die Schnur hatte die Haut durchschnitten und war nur von Brions angespannten Halsmuskeln aufgehalten worden. Er warf sie weit von sich in die Dunkelheit hinein, aus der sie gekommen war.

Lea schien aus ihrer Ohnmacht zu erwachen. Brion nahm sie in die Arme und trug sie zu dem Sandwagen hinüber, wobei er über die verkohlte Leiche des Fahrers stieg. Er durchsuchte das Wageninnere und fand eine Wasserflasche, die er Lea an die Lippen hielt.

»Mein Kopf — ich habe mich am Kopf verletzt«, sagte sie wie betäubt.

»Nur eine kleine Beule«, beruhigte er sie. »Trinken Sie einen Schluck Wasser, dann fühlen Sie sich wieder besser. Legen Sie sich hin. Im Augenblick besteht keine Gefahr, Sie können sich unbesorgt ausruhen.«

»Ihjel ist tot!« rief Lea plötzlich erschrocken aus. »Sie haben ihn umgebracht! Was ist geschehen?« Sie versuchte aufzustehen, und Brion drückte sie leicht zurück.

»Ich werde Ihnen alles erzählen. Sie dürfen jetzt noch nicht aufstehen. Wir sind in einen Hinterhalt geraten. Vion und Ihjel sind tot. Drei Männer haben uns überfallen, aber alle drei leben nicht mehr. Ich glaube nicht, daß noch andere daran beteiligt waren, aber wenn sie noch kommen sollten, werde ich sie bestimmt hören. Wir wollen hier noch kurze Zeit warten, bis Sie sich besser fühlen, bevor wir mit dem Wagen verschwinden.«

»Holen Sie das Schiff herunter!« Ihre Stimme klang hysterisch. »Wir können hier nicht allein bleiben. Wir wissen doch gar nicht, wohin wir sollen, oder was wir zu tun haben. Nachdem Ihjel tot ist, können wir die Arbeit nicht weiterführen. Wir müssen so schnell wie möglich…«

Brion gab sich große Mühe, ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beizubringen. »Tut mir leid, Lea, aber ich kann das Schiff nicht herunterholen. Ihjel wurde mit einem Ionengewehr erschossen, wodurch das Gerät für die Fernsteuerung verglühte. Wir müssen den Wagen benützen, um die Stadt zu erreichen. Am besten sofort. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«

Er versuchte den Motor anzulassen, aber das vertraute Summen setzte nicht ein. Brion ging um den Wagen herum und öffnete die Haube. Ein Blick genügte, um ihm zu zeigen, daß die Angreifer gründlich und schnell gearbeitet hatten. Überall hingen Drähte herunter, die ohne eingehende Kenntnis des gesamten Mechanismus nicht zu reparieren waren.

»Ich glaube, daß wir zu Fuß gehen müssen«, stellte er betroffen fest. »Wir sind jetzt ungefähr einhundertundfünfzig Kilometer von einer Stadt namens Hovedstad entfernt, die ursprünglich unser Ziel war. Wir…«

»Wir werden elend umkommen. Wir können nicht so weit laufen. Der ganze Planet hier ist nicht für Menschen geschaffen. Wir müssen wieder in das Schiff zurück!« An ihrer Stimme war deutlich zu erkennen, wie nahe sie einem Nervenzusammenbruch sein mußte.

Brion erkannte, daß sie eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hatte, und gab sich deshalb keine Mühe, sie von seiner Auffassung zu überzeugen oder sie ihr weiter zu erklären. Er befahl ihr, daß sie sich ausruhen solle, während er ihren Marsch so gut wie möglich vorbereitete.

Zunächst brauchten sie warme Kleidung. In der Zwischenzeit war die Temperatur bereits merklich gesunken, als die Tageshitze nachließ. Lea zitterte vor Kälte, deshalb holte Brion eine Decke aus dem Wagen und breitete sie über ihre Schultern. Sonst fand er wenig, was sich mitzuschleppen lohnte — die Wasserflasche und ein Verbandskasten aus dem Sandwagen. Er fand weder Karten noch ein Funkgerät. In der Wüste richtete man sich anscheinend nur nach dem Kompaß. Der Wagen war mit einem elektrischen Kreiselkompaß ausgerüstet, mit dem sie jetzt nichts anfangen konnten. Aber Brion stellte mit seiner Hilfe fest, daß die Spuren des Wagens genau in die Richtung wiesen, in der seiner Erinnerung nach Hovedstad liegen mußte. Damit hatten sie eine Art Wegweiser.

Die Zeit verging rasch. Er hätte gern noch Ihjel und den Fahrer des Wagens begraben, aber die Nachtstunden waren zu kostbar, um auf diese Weise vergeudet zu werden. Deshalb schaffte er die beiden Leichen nur in den Wagen, verschloß die Tür und warf den Schlüssel weit in die Dunkelheit hinein. Lea war eingeschlafen und schrak auf, als er ihre Schulter berührte.

»Kommen Sie«, sagte Brion, »wir haben einen kleinen Marsch vor uns.«

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