18

Einer der drei Techniker rannte laut schreiend davon. Ein Magter fiel über ihn her und schlug ihn brutal nieder. Daraufhin kehrten die beiden anderen mit zitternden Händen an ihre Arbeit zurück. Die Magter ließen sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen selbst wenn oben der ganze Planet in Trümmern lag. Sie verfolgten ihren Plan weiter, weil sie weder Gefühl noch genügend Einbildungskraft besaßen, um sich von den Ereignissen beeinflussen zu lassen.

Während die Techniker arbeiteten, veränderte sich ihre Einstellung entscheidend. Wo sie vorher nur Verwirrung und Schock empfunden hatten, spürten sie jetzt einen wütenden Zorn in sich. Recht und Unrecht waren vergessen. Sie hatten den sicheren Tod vor Augen — die unsichtbaren Strahlen drangen wahrscheinlich bereits in diesem Augenblick in die Höhle ein -, aber sie konnten sich noch rächen, bevor es zu spät war. Deshalb arbeiteten sie mit überraschender Schnelligkeit und Präzision weiter, wie sie es zuvor nicht getan hatten.

»Was tun die Fremden dort?« fragte Ulv.

Brion richtete sich müde auf. Die Männer hoben eben einen Atomsprengkopf auf einen Handkarren und fuhren ihn zu dem Metallkäfig hinüber.

»Sie werden Nyjord bombardieren, wie Nyjord Dis bombardiert hat. Die Maschine dort drüben befördert die Bomben auf spezielle Weise durch den Raum bis zu einem anderen Planeten.«

»Wirst du sie daran hindern?« wollte Ulv wissen. Er hatte sein Blasrohr in der Hand. Sein Gesicht glich einer ausdruckslosen Maske.

Brion hätte fast gelacht, so eigenartig erschien ihm seine Lage. Trotz aller seiner Bemühungen hatten die Nyjorder die Wasserstoffbomben auf Dis abgeworfen. Wenn er wollte, konnte er verhindern, daß die Kobaltbomben Nyjord erreichten. Sollte er es tun? Sollte er das Leben seiner Mörder retten? Oder war es nur Gefühlsduselei, wenn er jetzt nicht nach dem alten Grundsatz Auge um Auge, Zahn um Zahn handelte? Das war bestimmt der bequemste Ausweg. Er brauchte nur schweigend zuzusehen, wie die Rechnung beglichen wurde, wie der Mord an den Disanern und sein eigener Tod gerächt wurden.

Hielt Ulv sein Blasrohr bereit, um Brion zu töten, falls er einzuschreiten versuchte? Oder konnte es sein, daß Brion den Disaner völlig mißverstanden hatte?

»Willst du sie daran hindern, Ulv?« fragte er.

Empfand dieser primitive Eingeborene tatsächlich eine Verpflichtung der Menschheit gegenüber, die er über sein eigenes Leben zu stellen bereit war? Die Steinzeitmenschen hatten sich nur für ihre Familie verantwortlich gefühlt. Später kämpften und starben die Menschen für Städte, Länder und schließlich sogar für ganze Planeten. Wann würde endlich der Zeitpunkt kommen, an dem die Menschen einsahen, daß sie einer größeren Einheit verpflichtet waren — der Menschheit? Und später vielleicht allem Leben…

Brion stellte sich selbst diese Frage und faßte seinen Entschluß. Dann zog er die Pistole und beobachtete dabei Ulv, um zu sehen, wie der Disaner darauf reagieren würde.

»Nyjord ist Medvirk«, sagte Ulv, hob sein Blasrohr und sandte einen tödlichen Pfeil in die Höhle. Er traf einen der Techniker. Der Mann schrie leise auf und fiel in sich zusammen.

Brions Schüsse krachten in den Generator und die Kontrollinstrumente Bläuliche Funken sprühten, als ein Kurzschluß die Geräte außer Betrieb setzte. Die Gefahr für Nyjord war endgültig beseitigt.

Medvirk, hatte Ulv gesagt. Eine Lebensform, die mit anderen Lebensformen zusammenarbeitete, so daß beide aus diesem Verhältnis gewisse Vorteile ziehen. Sie tötete vielleicht aus Notwehr, war aber im Prinzip kein Mörder. Ulv war von dieser Tatsache überzeugt, wobei ihm seine lange Erfahrung mit allen Arten des Zusammenlebens zu Hilfe kam. Deshalb ließ er sich nicht von den vorhergegangenen Ereignissen beeinflussen, sondern blieb seiner Überzeugung treu. Er hatte Magter getötet, obwohl sie Disaner waren, weil sie Umedvirk waren — lebensfeindlich. Und er hatte seine Feinde gerettet, weil sie Medvirk waren.

Gleichzeitig mit dieser Überlegung kam es Brion zu Bewußtsein, daß der Planet und die Menschen, die zu dieser Erkenntnis fähig waren, mit einem Schlag vernichtet worden waren.

Die Magter sahen, daß ihre Pläne durchkreuzt worden waren, und stürzten in die Richtung, aus der die Schüsse gekommen waren.

Brion und Ulv wehrten sich. Brion wußte zwar, daß er auf jeden Fall sterben mußte, wollte sich aber nicht von den Magter abschlachten lassen. Für Ulv war die Entscheidung leichter. Er tötete einfach Umedvirk. Da er an das Leben glaubte, vernichtete er alle Wesen, die lebensfeindlich eingestellt waren.

Sie zogen sich langsam in die Dunkelheit zurück. Die mit Ionengewehren bewaffneten Magter trugen starke Handscheinwerfer, die ihnen die Suche erleichterten. Da sie die Höhlen zudem besser als die beiden Flüchtlinge kannten, hatten sie die beiden Männer bald eingekreist. Brion sah die Lichter vor ihnen aufblitzen und hielt Ulv am Arm fest.

»Die Magter kennen hier jeden Quadratmeter, während wir keine Ahnung haben«, stellte er nüchtern fest. »Wenn wir weiterlaufen, haben wir keine Chance. Wir müssen eine Stelle finden, wo wir uns nach allen Seiten verteidigen können.«

»Dort drüben…« Ulv zog Brion in die angedeutete Richtung. »Dort drüben ist eine Höhle, die nur einen sehr engen Eingang hat.«

»Los, mehr brauchen wir nicht!«

Sie zogen sich geräuschlos in die Höhle zurück und erreichten sie unbeobachtet. Ihre eigenen Schritte gingen in dem Geräusch unter, das durch zahlreiche andere Füße verursacht wurde, während die Magter nach den Geflohenen suchten. Im Innern der Höhle fanden sie hinter einem Felsvorsprung Deckung und warteten dort. Das Ende war vorherzusehen.


Der Magter stürzte in die Höhle hinein und leuchtete mit seinem Handscheinwerfer darin umher. Der Lichtstrahl huschte über die beiden Männer hinweg, und Brion schoß im gleichen Augenblick. Der Magter sank in sich zusammen, aber der Schuß hallte laut von den Wänden wider — die übrigen Verfolger mußten ihn gehört haben.

Bevor der nächste Magter auftauchte, rannte Brion zu dem Toten hinüber und hob die starke Lampe auf. Er stellte sie so auf einen Felsbrocken, daß der Eingang beleuchtet wurde. Dann ging er wieder neben Ulv in Deckung. Sie warteten auf den Angriff.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Zwei Magter drangen in die Höhle ein und starben. Brion wußte, daß draußen noch mehrere lauerten, und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie sich an die Handgranaten erinnerten und eine in die Höhle warfen.

Dann erklangen einige dumpfe Detonationen. Brion und Ulv duckten sich hinter den Felsvorsprung und überlegten, warum der Angriff nicht kam. Sekunden später tauchte ein weiterer Magter auf, aber Brion zögerte und schoß vor Überraschung nicht.

Der Mann war rückwärts hereingekommen und hatte nach draußen geschossen.

Ulv empfand keine Gewissensbisse, aber seine Pfeile waren zu leicht, um die dicke Bekleidung des Magters zu durchdringen. Als der andere sich umdrehte, traf ihn der zweite Pfeil am Handrücken. Der Magter brach zusammen.

»Nicht schießen!« rief eine Stimme von draußen. Dann tauchte ein Mann in dem Lichtkegel des Scheinwerfers auf und sah sich blinzelnd um.

Brion umklammerte Ulvs Arm, um zu verhindern, daß der Disaner das Blasrohr erneut an den Mund hob.

Der Mann am Höhleneingang trug einen leichten Helm, hohe Schaftstiefel und eine dunkelblaue Uniform.

Er war ein Nyjorder.

Diese Tatsache war kaum zu fassen. Brion hatte gehört, wie die Bomben gefallen waren. Und trotzdem stand jetzt ein Soldat von Nyjord vor ihm. Beides war unmöglich miteinander vereinbar.

»Würden Sie so freundlich sein, den Arm Ihres Begleiters nicht loszulassen, Sir?« bat der Soldat und sah auf Ulvs Blasrohr. »Sicher ist sicher — ich weiß, wie die kleinen Pfeile wirken.« Er zog ein Mikrophon aus der Brusttasche seiner Uniform und sprach einige Worte hinein.

Andere Soldaten kamen in die Höhle, und Professor-Kommandant Krafft folgte ihnen. Der staubbedeckte Kampfanzug paßte nicht zu seinem Aussehen, und die Pistole in seiner blaugeäderten Hand wirkte geradezu lächerlich. Nachdem er sie mit einem erleichterten Seufzer dem nächsten Soldaten in die Hand gedrückt hatte, ging er rasch auf Brion zu und schüttelte ihm herzlich die Hand.

»Ich freue mich aufrichtig, daß ich Sie endlich persönlich kennenlerne«, sagte er dazu. »Und Ihren Freund Ulv ebenfalls.«

»Würden Sie mir freundlicherweise erklären, was hier eigentlich vor sich geht?« stieß Brion mit heiserer Stimme hervor. Er hatte seine Überraschung noch nicht völlig überwunden und konnte sich nicht vorstellen, was draußen geschehen war.

»Wir werden Ihnen nie vergessen, daß Sie uns vor uns selbst gerettet haben«, begann Krafft. In diesem Augenblick kam bei ihm wieder der Professor zum Vorschein.

»Brion möchte Tatsachen hören — nicht schöne Reden«, unterbrach ihn Hys. Er drängte sich an den Soldaten vorbei, bis er neben Krafft stand. »Einfach ausgedrückt, Brion, hat Ihr Plan Erfolg gehabt. Krafft hat Ihren letzten Funkspruch an mich weitergeleitet, und ich bin sofort umgekehrt, um mit ihm auf seinem Schiff zusammenzutreffen. Es tut mir leid, daß Telt umkommen mußte — aber er hat das gefunden, wonach wir die ganze Zeit gesucht haben. Kein vernünftiger Mensch konnte darüber hinweggehen, daß er eine übermäßige Radioaktivität in dem Magterturm festgestellt hatte. Ihre Freundin erreichte Kraffts Schiff gleichzeitig mit mir und brachte die zerstückelte Leiche mit. Wir sahen uns also das grüne Zeug in dem Schädel an und ließen uns von ihr einige Erklärungen geben, die sehr einleuchtend klangen. Als wir Ihren Funkspruch erhielten, in dem Sie von Ihrem Besuch in dem Turm berichteten, waren unsere Stoßtrupps bereits unterwegs. Von dann ab folgten wir einfach den Spuren — und dem Signal des Funkgeräts, das Sie aufgestellt hatten.«

»Aber die gewaltigen Explosionen um Mitternacht?« unterbrach Brion ihn. »Ich habe sie doch deutlich gehört!«

»Das sollten Sie auch«, lachte Hys. »Nicht nur Sie, sondern auch alle Magter in dieser Höhle. Wir vermuteten, daß sie gut bewaffnet sein würden, um die Höhle notfalls verteidigen zu können. Deshalb warfen wir um Mitternacht einige große konventionelle Bomben vor dem Eingang ab. Gerade genug, um die Wachtposten auszuschalten, ohne das Dach einstürzen zu lassen. Außerdem hofften wir damit zu erreichen, daß die Magter sich aus Angst vor der radioaktiven Strahlung zurückzogen. Und das haben sie auch getan. Wir kamen leise herein und überraschten sie. Die Magter sind entweder tot oder unsere Gefangenen.«

»Einer der Techniker ist am Leben geblieben«, warf Krafft ein. »Er hat uns berichtet, daß Sie und der Disaner verhindert haben, daß die Bomben eingesetzt werden konnten.«

Keiner der Nyjorder — nicht einmal der zynisch veranlagte Hys — hatte dem noch etwas hinzuzufügen. Aber Brion fühlte ihre Erleichterung und Freude über seine glückliche Rettung. Dieses Gefühl würde er nie vergessen.

»Der Krieg findet nicht statt«, übersetzte er für Ulv, der die Erklärungen der Nyjorder nicht verstanden hatte. Aber als er diesen einen Satz sagte, fiel ihm auf, daß der Bericht in einem Punkt keinesfalls zutreffen konnte.

»Das kann nicht stimmen«, wandte er ein. »Sie sind auf Dis gelandet, bevor Sie den Funkspruch empfangen hatten, in dem ich von dem Turm berichtet habe. Das heißt also, daß Sie erwarteten, daß die Magter Nyjord bombardieren würden — und daß Sie trotzdem gelandet sind.«

»Selbstverständlich«, antwortete Professor Krafft. Der Alte zeigte deutlich, wie überrascht er über Brions Unverständnis war. »Was blieb uns anderes übrig? Die Magter sind doch krank!«

Hys lachte laut über Brions verständnislosen Gesichtsausdruck. »Sie müssen noch viel über die Lebensphilosophie der Nyjorder lernen«, meinte er. »Solange es sich um Krieg und ähnliche Dinge handelte, konnten meine Leute sich nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen. Kriegerische Auseinandersetzungen sind mit ihrem Wesen so wenig vereinbar, daß sie nicht einmal vernünftig darüber nachdenken können. Das ist eben eine unüberwindliche Schwierigkeit für einen Pflanzenfresser, der in einem Universum der Fleischfresser leben muß. Man wird irgendwann die leichte Beute eines anderen, der ein Opfer sucht. Jeder andere Planet hätte sich nichts von den Magter gefallen lassen, sondern sie am Kragen genommen und geschüttelt, bis die Bomben zum Vorschein gekommen wären. Aber wir haben gezögert, weil wir vor jeder Gewaltanwendung zurückschrecken — selbst wenn dadurch zwei Planeten in Gefahr kommen. Ihr Gehirn-Parasit hat uns rechtzeitig den Stoß gegeben, den wir brauchten.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Brion.

»Alles hängt von der richtigen Definition ab. Bevor Sie nach Dis kamen, kannten wir uns mit den Magter nicht aus. Sie waren uns immer fremd geblieben. Was sie auch taten oder ließen — wir wurden nicht schlau daraus. Und sie kümmerten sich nicht darum, was wir unsererseits taten. Aber Sie entdeckten, daß diese Leute krank sind — und darauf verstehen wir uns ausgezeichnet. Wir waren uns wieder einig; meine Leute wurden in Gnaden aufgenommen, anstatt wie zuvor als berufsmäßige Mörder angesehen zu werden. Ärzte und Krankenpflegepersonal sind bereits in Marsch gesetzt worden und müssen bald eintreffen. Wir haben alle Vorkehrungen getroffen, um Teile unserer Bevölkerung zu evakuieren, bis die Bomben gefunden waren. Nyjord ist wieder vereint, um die vor uns liegenden Aufgaben tatkräftig in Angriff zu nehmen.«

»Weil die Magter krank sind? Weil sie mit einem lebensfeindlichen Parasiten infiziert sind?« fragte Brion.

»Richtig«, bestätigte Professor Krafft. »Schließlich sind wir zivilisiert, nicht wahr? Niemand kann von uns erwarten, daß wir einen Krieg führen — aber sollen wir es ignorieren, wenn unsere Nachbarn schwer krank sind?«

»Nein… nein, ganz bestimmt nicht«, stimmte Brion zu und ließ sich auf einen Felsbrocken nieder. Er sah zu Ulv hinüber, der kein Wort von dem Gesagten verstanden hatte. Hinter ihm stand Hys und grinste so zynisch wie früher.

»Hys«, bat Brion, »tun Sie mir einen Gefallen und übersetzen Sie Ulv das alles. Ich traue es mir einfach nicht zu.«

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