17

»Hast du das wirklich ernst gemeint, als du davon sprachst, daß du aufgeben willst?« fragte Lea. Brion bemerkte erst jetzt, daß sie sich schon seit einiger Zeit nicht mehr mit Ulv unterhielt, sondern sein Gespräch mit Krafft verfolgt hatte. Er zuckte mit den Schultern und suchte nach Worten, mit denen er die Gefühle ausdrücken konnte, die ihn in diesem Augenblick bewegten.

»Wir haben alles versucht — und fast gesiegt. Aber was sollen wir tun, wenn die anderen nicht auf uns hören wollen? Was kann ein Mann gegen eine ganze Flotte ausrichten, die Wasserstoffbomben an Bord hat?«

Wie als Antwort auf seine in hoffnungslosem Ton gestellte Frage ertönte jetzt Ulvs laute Stimme.

»Du bist unser Feind, ich töte dich!« rief er. »Ich töte dich, Umedvirk!«

Gleichzeitig griff er nach seinem Blasrohr, setzte es an den Mund und sandte einen Pfeil zu dem toten Magter hinüber. Das winzige Geschoß blieb in der grünen Masse stecken. Der Vorgang wirkte wie eine offene Kriegserklärung, wie ein hingeworfener Fehdehandschuh.

»Ulv versteht das alles viel besser, als du wahrscheinlich glaubst«, erklärte Lea Brion. »Er weiß genügend über Symbiosen und ähnliche Formen des Zusammenlebens, um jederzeit an einer Universität auf der Erde zu lehren. Er hat sofort begriffen, was dieser Gehirnsymbiont für die Magter bedeutet. Die Disaner haben sogar ein Wort dafür, das ich noch nie gehört habe. Eine Lebensform, mit der man leben oder zusammenarbeiten kann, heißt Medvirk. Das Gegenstück dazu wird Umedvirk genannt. Ulv weiß, daß Lebensformen sich ändern können, daß sie abwechselnd Medvirk oder Umedvirk sein können. Er hat eben festgestellt, daß der Gehirnsymbiont ein Umedvirk ist, deshalb will er ihn umbringen. Alle anderen Disaner werden ebenso reagieren, wenn er ihnen den Beweis zeigt und einige Erklärungen dazu abgibt.«

»Weißt du das sicher?« erkundigte sich Brion.

»Ganz sicher. Die Disaner leben nach dem Prinzip, daß Schädlinge jeder Art ausgerottet werden müssen, weil sie die Erhaltung der Rasse gefährden. Deshalb werden sie die Gehirn-Symbionten vernichten, wo sie welche finden — und wenn sie jeden Magter umbringen müssen, dessen Schädel einen enthält.«

»Wenn das stimmt, dann dürfen wir noch nicht aufgeben«, meinte Brion. In diesem Augenblick fiel ihm plötzlich ein, was jetzt zu tun war. »Das Schiff muß bald kommen. Du fliegst zurück und nimmst den toten Magter mit. Ich bleibe vorläufig hier.«

»Wo willst du hin?« fragte Lea erschrocken.

»Ich bleibe hier, weil Krafft es dann nicht wagen wird, die Bomben vor Mitternacht abzuwerfen. In diesem Fall würde er mich nämlich mit voller Überlegung ermorden. Ich bezweifle, daß meine Gegenwart ihn davon abhalten wird, die Bomben nach Mitternacht nicht zu werfen, aber bis dahin ist Dis vor ihnen sicher.«

»Willst du wirklich freiwillig Selbstmord begehen?« wollte Lea wissen. »Du hast doch eben selbst gesagt, daß ein einzelner Mann nichts gegen die Bomben ausrichten kann. Was wird aus dir um Mitternacht?«

»Ich kann jetzt nicht einfach davonlaufen. Ich muß bis zur letzten Sekunde bleiben. Ulv und ich werden zu dem Magterturm fahren, um nachzusehen, ob die Bomben dort gelagert werden. Er steht jetzt auf unserer Seite. Vielleicht weiß er sogar etwas von den Bomben, obwohl er vorher nie darüber gesprochen hat. Seine Leute werden uns unterstützen, wenn wir Hilfe brauchen.«

Lea wollte etwas einwenden, aber Brion sprach rasch weiter.

»Du hast auch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Du mußt Krafft die Leiche zeigen und ihm erklären, wie wichtig die Entdeckung des Symbionten ist. Vielleicht kannst du ihn dazu bringen, daß er mit Hys über dessen letzten Angriff spricht. Tue dein Bestes, damit er den Abwurf der Bomben verschiebt. Ich nehme das Funkgerät mit, damit ich ihn sofort benachrichtigen kann, wenn ich etwas entdeckt habe. Wir befinden uns in einer ziemlich verzweifelten Lage, aber wenn wir die Hände in den Schoß legen und untätig zusehen, ist Dis verloren.«

Lea versuchte ihn umzustimmen, aber Brion hörte nicht auf sie. Er versicherte ihr nur tröstend, daß alles nicht so schwierig sei, wie sie es sich vorstelle. Sie wußten beide, daß er nicht recht hatte, sprachen aber nicht mehr darüber, um sich gegenseitig keinen Kummer zu machen.

Das Gebäude erzitterte, und vor den Fenstern wirbelte dichter Staub auf, als das Raumschiff landete. Die Besatzung stürmte mit gezogenen Pistolen herein — die Männer waren auf alles vorbereitet.

Brion mußte den Captain erst dazu überreden, daß er nicht nur Lea, sondern auch den toten Magter mitnahm, als das Schiff wieder startete. Brion starrte ihm nach, bis es im Himmel verschwunden war.

»Komm, verschwinden wir lieber, bevor jemand nachsieht warum hier ein Raumschiff gelandet ist«, sagte er zu Ulv und nahm gleichzeitig das Funkgerät auf.

»Was hast du vor?« erkundigte sich Ulv, als sie durch die Straßen auf die Wüste zugingen. »Was können wir in den wenigen Stunden, die uns noch bleiben, gegen unsere Feinde ausrichten?« Er wies auf die Sonne, die sich bereits dem Horizont näherte. Brion wechselte das Funkgerät von einer Hand in die andere, bevor er antwortete.

»Am besten suchen wir zuerst den Magterturm auf, den wir vergangene Nacht überfallen haben. Vielleicht sind die Bomben dort… Oder weißt du, wo sie gelagert werden?«

Ulv schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, aber andere wissen es unter Umständen. Wir müssen einen Magter erwischen und ihn umbringen, damit alle den Umedvirk sehen können. Dann werden sie uns alles sagen, was sie wissen.«

»Gut, dann machen wir uns gleich auf den Weg zu dem Turm. Dort finden wir entweder die Bomben oder besorgen uns einen toten Magter.« Brion sah Ulv fragend an. »Wie kommen wir am schnellsten dorthin?«

Ulv runzelte nachdenklich die Stirn. »Weißt du, wie die Wagen bedient werden, mit denen die Fremden herumgefahren sind? Ich habe einige an verschiedenen Stellen der Stadt in Lagerhäusern stehen sehen. Meine Leute wissen nicht, wie man sie in Bewegung setzt.«

»Aber ich weiß es — los, gehen wir!«

Diesmal hatten sie ausgesprochenes Glück. In dem ersten Sandwagen, den sie fanden, steckte der Zündschlüssel noch im Schloß. Auch die Akkumulatoren waren noch voll aufgeladen. Der Wagen lief wesentlich leiser als die sonst üblichen, was ein weiterer Vorteil war. Sie durchquerten die Stadt und fuhren in die Wüste hinaus. Vor ihnen ging die Sonne blutrot unter. Brions Uhr zeigte sechs. Eine weitere Stunde verstrich, bevor sie den Turm erreicht hatten.

Der Angriff war ein selbstmörderisches Unternehmen, aber Brion fühlte sich trotzdem erleichtert, weil er auf diese Weise für kurze Zeit die drohenden Bomben vergessen konnte. Sie drangen durch den Haupteingang ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Erst als sie bis zu den unterirdischen Lagerräumen vorgedrungen waren, wurde ihnen klar, daß der Turm leer und verlassen war.

»Alle sind fort«, stellte Ulv fest und sog die Luft in jedem Raum ein, den sie betraten. »Hier müssen viele Magter gewesen sein, aber jetzt sind sie verschwunden.«

»Geben sie oft ihre Türme auf?« fragte Brion.

»Nie. Ich glaube nicht, daß sie das schon einmal getan haben, denn ich habe noch nie davon gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie so plötzlich geflohen sind.«

»Ich weiß einen Grund dafür«, sagte Brion. »Vielleicht haben sie ihren Turm verlassen, um etwas anderes in Sicherheit zu bringen, das für sie sehr großen Wert besitzt. Die Bomben. Wenn die Bomben wirklich hier versteckt waren, haben die Magter sie wahrscheinlich nach dem Angriff verlagert.« Er empfand plötzlich Angst. »Oder sie haben sie abtransportiert, um sie zu der Abschußrampe zu schaffen! Wir müssen so schnell wie möglich wieder hinaus.«

»Ich rieche frische Luft, die nur von draußen kommen kann«, stellte Ulv fest. »Das kann aber nicht sein, denn die Magter bauen keine Eingänge zu ebener Erde in ihren Türmen.«

»Wir haben ein Loch in die Außenwand gesprengt — vielleicht ist es das. Kannst du uns hinführen?«

Sie tasteten sich durch einige dunkle Räume und einen gewundenen Gang vorwärts, bis sie das helle Mondlicht sahen, das durch ein Loch in der Mauer fiel.

»Es sieht größer aus, als ich es in Erinnerung hatte«, meinte Brion nachdenklich. »Vielleicht haben die Magter es erweitert.« Er sah hindurch und bemerkte die Wagenspuren. »Anscheinend haben sie etwas Sperriges herausgeholt und es auf einem Wagen fortgeschafft!«

Sie rannten zu dem Sandwagen zurück. Brion wendete und beleuchtete die Spuren mit den Scheinwerfern. Anscheinend war hier ein Sandwagen gefahren, der einen Anhänger gezogen hatte. Er schaltete die Scheinwerfer aus und folgte den Spuren, die im Mondschein deutlich zu erkennen waren. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß sie nur noch vier Stunden Zeit hatten. Brion steuerte mit einer Hand und schaltete mit der anderen das Funkgerät ein, um sich mit Krafft in Verbindung zu setzen.

Als die Gegenstelle sich meldete, berichtete Brion von seiner Entdeckung und den Schlußfolgerungen, die er daraus gezogen hatte. »Unterrichten Sie Kommandant Krafft davon«, schloß er. »Ich habe jetzt keine Zeit, um persönlich mit ihm zu sprechen — ich folge den Spuren.« Er schaltete das Gerät ab und trat das Gaspedal des Wagens durch.

»Sie führen in die Berge«, sagte Ulv einige Zeit später, als die Spuren weiter geradeaus führten. »Dort gibt es viele Höhlen, in denen sich die Magter von Zeit zu Zeit aufhalten sollen. Das habe ich jedenfalls gehört.«

Seine Vermutung erwies sich als richtig. Etwa um neun Uhr erreichten sie die ersten Ausläufer der dunklen Gebirgsmassen, die den Horizont begrenzten und die Sterne verdeckten.

»Wir müssen hier anhalten«, warnte Ulv. »Die ersten Höhlen befinden sich nicht sehr weit von hier. Die Magter haben wahrscheinlich Posten aufgestellt, deshalb müssen wir leise und vorsichtig weitergehen.«

Brion folgte den tiefen Wagenspuren und schleppte dabei das Funkgerät mit. Ulv schlich voraus und hielt nach Wachtposten Ausschau. Er entdeckte keinen.

Um neun Uhr dreißig wurde es Brion klar, daß sie den Sandwagen zu früh verlassen hatten. Die Spuren schienen kein Ende zu haben. Sie führten an einigen Höhlen vorüber, auf die Ulv Brion aufmerksam machte, und wandten sich dann weiter durch die Hügel. Die Zeit verging rasch, aber Brion stolperte noch immer durch die Dunkelheit.

»Leise, dort vorne sind wieder Höhlen«, flüsterte Ulv.

Sie erreichten den höchsten Punkt eines Hügels, wie sie es in dieser Nacht schon oft getan hatten, und sahen auf der anderen Seite in eine flache Senke hinunter. Aber diesmal bot sich ihnen ein anderes Bild. Die Wagenspuren, die in dem schräg einfallenden Mondlicht deutlich als Schatten hervortraten, führten geradewegs durch den Sand auf einen dunklen Höhleneingang zu und verschwanden dort.

Brion warf sich zu Boden, bedeckte die Skalenbeleuchtung mit einer Hand und schaltete das Funkgerät ein. Ulv lag neben ihm und starrte in die Senke hinunter.

»Ich habe einen wichtigen Spruch für Sie«, flüsterte Brion in das Mikrophon. »Bitte, auf Band aufnehmen.« Er wiederholte diesen Anruf dreißig Sekunden lang und sah dabei auf die Uhr, weil ihm in der Aufregung jede Sekunde endlos lang erschien. Dann sprach er so deutlich wie möglich, ohne dabei seine Stimme zu erheben, und berichtete von der Entdeckung der Höhle.

»… und die Bomben sind vielleicht doch nicht hier, aber wir werden in die Höhle eindringen, um uns Klarheit zu verschaffen. Ich lasse mein kleines Funkgerät hier und schalte es ein, damit es als Funkfeuer dient, wenn Sie die Höhle suchen. Das andere Gerät nehme ich mit, weil es eine höhere Sendeleistung besitzt. Wenn wir nicht mehr zum Eingang der Höhle zurückkommen, werte ich von drinnen aus mit Ihnen Verbindung aufzunehmen versuchen. Ich bezweifle, daß Sie mich von dort aus aufnehmen können, aber ich werde es trotzdem versuchen. Ende der Sendung. Antworten Sie nicht, ich habe den Empfänger nicht eingeschaltet. Das Gerät hat keinen Anschluß für Kopfhörer — und der Lautsprecher könnte gehört werden.«

Sie beschrieben einen weiten Bogen und erreichten endlich den steilen Felsabsturz, in dem sich der Eingang zu der Höhle befand. Dann krochen sie vorsichtig im Schatten der überhängenden Felsen weiter auf das dunkle Loch zu. Nirgends war eine Bewegung sichtbar, der Eingang lag still und verlassen da. Brion warf einen Blick auf seine Armbanduhr und erschrak.

Zehn Uhr dreißig.

Die letzte Deckung war etwa fünf Meter vom Eingang der Höhle entfernt. Sie bereiteten sich darauf vor, diese letzten Meter so schnell wie möglich zurückzulegen, als Ulv Brion plötzlich ein warnendes Zeichen gab. Er wies auf seine Nase und deutete dann auf die Höhle. Anscheinend hatte er dort Magter gerochen.

Eine dunkle Gestalt tauchte in dem noch dunkleren Loch auf. Ulv reagierte blitzschnell. Er stand geräuschlos auf, hob sein Blasrohr an den Mund und zielte sorgfältig. Der Magter brach in die Knie und fiel zu Boden. Noch bevor er dort aufprallte, schnellte Ulv nach vorn und verschwand in der Höhle. Dort schien sich ein kurzer Kampf abzuspielen, dann herrschte wieder vollkommene Stille.

Brion näherte sich vorsichtig dem Eingang und hielt dabei die Pistole in der Hand, weil er nicht wußte, was ihn dort erwartete. Er stolperte über einen leblosen Körper. »Es waren nur zwei«, flüsterte Ulv aus der Dunkelheit. »Jetzt können wir weiter.«

Das Innere der Höhle glich einem weitverzweigten Irrgarten, in dem sie nur langsam vorankamen. Sie hatten keine Lampe mitgenommen und hätten sie auch gar nicht zu benützen gewagt. Auf dem felsigen Untergrund waren die Wagenspuren nicht mehr sichtbar. Ohne Ulvs empfindliche Nase hätten sie sich bereits nach kürzester Zeit verlaufen.

Sie stolperten blind vorwärts und tasteten sich an den Wänden der Höhle entlang. Ihre Hände begannen zu schmerzen, weil sie immer wieder gegen scharfe Kanten stießen. Ulv folgte dem schwachen Geruch, der überall dort in der Luft hing, wo die beiden Magter gegangen waren. Wenn dieser Geruch sich verlor, wußte er, daß sie sich in einer weniger begangenen Nebenhöhle befanden. Dann mußten sie ein Stück zurückgehen und an einer anderen Stelle weitersuchen.

Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, daß die Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, immer rascher zu vergehen schien. Die Zeiger auf Brions Uhr bewegten sich unaufhaltsam, bis sie auf fünfzehn Minuten vor zwölf wiesen.

»Dort vorn ist ein Licht«, flüsterte Ulv, und Brion atmete erleichtert auf. Sie schlichen weiter, bis sie eine gute Deckung hinter einem Felsvorsprung gefunden hatten, von wo aus sie eine geräumige Felskammer übersehen konnten, die strahlendhell beleuchtet war.

»Was ist das?« fragte Ulv und kniff die Augen zusammen, um sie vor der unerwarteten Lichtflut zu schützen.

Brion mußte sich mühsam beherrschen, um nicht vor Aufregung laut zu schreien.

»Der Metallkäfig dort drüben ist ein Hyperraum-Generator. Die kegelförmig zugespitzten Metallzylinder daneben sind Bomben, vielleicht sogar die Kobaltbomben. Wir haben sie entdeckt!«

Fast hätte Brion seinem ersten Impuls nachgegeben und Krafft benachrichtigt, damit die Wasserstoffbomben nicht abgeworfen wurden. Aber dann überlegte er sich, daß er unwiderlegbare Beweise anführen mußte, wenn er dieses Ziel erreichen wollte. Er mußte jedes Detail genau beschreiben, damit die Nyjorder wußten, daß er nicht log. Was er ihnen berichtete, mußte mit den Informationen über die Bomben und die Abschußrampe übereinstimmen, die sie bereits besaßen.

Die Abschußrampe war aus dem Hyperraum-Generator eines Raumschiffs konstruiert worden; das war ganz offensichtlich. Der Generator und die dazugehörigen Kontrollinstrumente standen auf einer erhöhten Plattform. Von dort aus führte ein dickes Bleimantelkabel zu einem Metallkäfig, der mit primitivsten Mitteln in Handarbeit hergestellt worden war. Drei Techniker waren mit der Überprüfung der Geräte beschäftigt. Brion überlegte sich gerade, wie die Magter sie für diese Arbeit angeworben haben konnten, als er die schweren Ketten an ihren Füßen und ihre blutenden Rücken sah.

Trotzdem empfand er kein Mitleid mit diesen Männern. Ursprünglich mußten sie bereit gewesen sein, an der Zerstörung eines anderen Planeten gegen entsprechende Entlohnung mitzuwirken — sonst wären sie jetzt nicht hier. Wahrscheinlich hatten sie erst rebelliert, als sie erkannten, daß sie dadurch ihr eigenes Ende herbeiführten.

Dreizehn Minuten bis Mitternacht.

Brion stellte das Funkgerät ab und richtete sich vorsichtig auf. Jetzt erkannte er die Bomben deutlicher. Ein ganzes Dutzend lag säuberlich ausgerichtet vor dem Metallkäfig. An ihrer Form war zu sehen, daß sie ursprünglich nicht als Bomben, sondern als Sprengköpfe für Raketen gedacht gewesen waren. Brion stellte fest, daß jede von ihnen an der Bodenfläche sechs Stifte besaß, mit denen sie an einer Rakete befestigt werden konnte. An der Unterseite war auch die Klappe zu erkennen, durch die hindurch der Zünder zugänglich war.

Das genügte. Wenn er alle diese Einzelheiten beschreiben konnte, dann mußten die Nyjorder einsehen, daß er sie nicht zu belügen versuchte. Sowie er sie davon unterrichtet hatte, konnten sie Dis nicht mehr zerstören, ohne zuvor nach den Bomben zu suchen.

Brion bewegte sich leise rückwärts und zählte dabei fünfzig Schritte ab. Jetzt befand er sich außerhalb des Lichtkegels, der aus der Felskammer drang, und bestimmt außerhalb der Hörweite. Er ging langsam und methodisch vor, als er das Funkgerät überprüfte. Alles in bester Ordnung. Dann beschrieb er genauestens, was er in der Höhle hinter sich gesehen hatte. Er versuchte so leidenschaftslos wie möglich zu sprechen.

Sechs Minuten vor Mitternacht beendete er seine Beschreibung. Er schaltete auf Empfang und wartete.

Schweigen.

Nur allmählich wurde ihm klar, was dieses Schweigen bedeutete. Selbst als er den Empfänger auf größte Lautstärke stellte, hörte er nichts, nicht einmal die üblichen atmosphärischen Störungen. Die ungeheuren Felsmassen über ihm verschluckten die Sendeenergie völlig, obwohl er mit höchster Leistung gearbeitet hatte.

Sie hatten ihn nicht gehört. Die Nyjorder wußten nicht, daß er die Kobaltbomben entdeckt hatte, bevor sie eingesetzt werden konnten. Der Angriff würde planmäßig erfolgen. In diesem Augenblick öffneten sich wahrscheinlich bereits die Bombenschächte; scharfe Wasserstoffbomben hingen in den Greifern. In wenigen Minuten mußte der Befehl kommen; dann öffneten sich die Greifer, und die Bomben fielen…

»Mörder!« rief Brion in sein Mikrophon. »Ihr habt weder auf mich noch auf Hys gehört, als wir euch mit Vernunftgründen überzeugen wollten. Ihr wollt Dis vernichten, obwohl das nicht nötig ist! Es hätte viele Wege gegeben, um das zu verhindern — aber jetzt ist es zu spät. Ihr werdet Dis zerstören, aber damit ist auch Nyjord erledigt. Ihjel hatte recht, ich glaube es jetzt auch. Nyjord ist ein Versager in einem Universum voller Versager!«

Er hob das Funkgerät hoch über den Kopf und warf es mit aller Kraft gegen die Felswand, wo es zerschellte. Dann rannte er zu Ulv zurück, als könne er damit vor der Erkenntnis davonlaufen, daß auch er versagt hatte. Die Menschen auf der Oberfläche von Dis hatten nur noch weniger als zwei Minuten zu leben.

»Ich habe keine Verbindung bekommen«, sagte Brion niedergeschlagen zu ihm. »Der Sender war einfach nicht stark genug.«

»Dann werden also die Bomben fallen?« fragte Ulv und sah Brion in die Augen.

»Ja, wenn nicht noch etwas anderes geschieht, von dem wir nichts wissen, fallen die Bomben.«

Beide schwiegen — und warteten. Auch die drei Techniker in der Höhle vor ihnen hatten unterdessen festgestellt, wie spät es bereits war. Sie sprachen miteinander und versuchten mit den Magter zu reden. Zunächst hatten sie keinen Erfolg damit, denn diese gefühllosen Lebewesen sahen nicht ein, weshalb die begonnene Arbeit nicht fortgesetzt werden sollte. Die Magter machten Anstalten, ihre Gefangenen mit Gewalt zur Arbeit zu zwingen. Aber die Techniker rührten sich trotzdem nicht von der Stelle; sie starrten nur entsetzt auf ihre Uhren, auf denen sich die Zeiger erbarmungslos auf Mitternacht zubewegten. Endlich schienen auch die Magter die Bedeutung dieses Augenblicks begriffen zu haben, denn sie blieben unbeweglich stehen und warteten ebenfalls.

Zuerst stand der Stundenzeiger an Brions Uhr auf zwölf, dann folgte der Minutenzeiger. Der Sekundenzeiger vereinte sich mit ihnen, und eine Zehntelsekunde lang standen die schwarzen Zeiger übereinander. Dann tickte der Sekundenzeiger weiter.

Brion wollte schon erleichtert aufseufzen, als ihm plötzlich einfiel, wie tief er sich unter der Erdoberfläche befand. Schallwellen pflanzten sich in Felsen nur langsam fort, die Druckwelle würde sich hier unten kaum bemerkbar machen, und der Explosionsblitz war bestimmt nicht zu sehen.

Ein dumpfes Grollen erschütterte die Luft. Einen Augenblick später schwankte der Boden unter ihren Füßen. Von der Decke rieselte feiner Staub herunter.

Brion wandte sich ab, weil er den anklagenden Blick in Ulvs Augen nicht ertragen konnte.

Dann erschütterte eine weitere Explosion die Höhle. Brion schlug sich die Hände vor die Augen und wartete auf das unausbleibliche Ende. Als einige Sekunden verstrichen waren, ohne daß die Höhle einstürzte und sie alle unter sich begrub, sah er wieder auf.

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