Gul’dan war wütend. »Warum seid ihr noch nicht fertig?«, wollte er wissen. Die anderen Orcs zuckten zurück. Sie hatten den Ober-Hexenmeister schon früher manchmal aufgebracht erlebt und wussten, dass er seine furchtbaren Kräfte, wenn er unzufrieden war, auch gegen sie einsetzen konnte.
»Wir tun ja bereits, was wir können, Gul’dan«, antwortete Rakmar beschwichtigend.
Der älteste der überlebenden Orc-Totenbeschwörer, Rakmar Sharpfang, war der inoffizielle Anführer der Nekromanten. Meistens war es an ihm, dem Hexenmeister ihre Fortschritte oder Rückschläge zu melden. »Wir haben die Toten reanimiert. Aber wir konnten ihnen kein Bewusstsein einhauchen. Sie sind nicht mehr als leere Hüllen. Wir können sie wie Puppen herumlaufen lassen, doch ihre Bewegungen sind plump und langsam. Sie stellen für niemanden eine Bedrohung dar.«
Gul’dan starrte auf die Körper hinter Rakmar. Es waren menschliche Leichen, Krieger, die hier in Stormwind getötet worden waren. Sie würden die Horde nachhaltig verstärken, so wie er es Doomhammer versprochen hatte. Allerdings nur, wenn seine nichtsnutzigen Assistenten sie in etwas anderes als tapsige Kreaturen verwandeln konnten!
»Finde einen Weg!«, brüllte Gul’dan. Speichel flog aus seinem Mund. Er ballte die Fäuste und war versucht, die Nekromanten allesamt auf der Stelle niederzustrecken. Aber was hätte ihm das für einen Nutzen gebracht? Tot konnten sie ihm schwerlich helfen.
Ihm kam ein Einfall, und Gul’dan wippte vor Begeisterung mit seinen Fersen. Seine eigene Brillanz verblüffte ihn immer wieder. Natürlich! Das war die Lösung!
»Du hast Recht, Rakmar«, sagte er leise, öffnete seine Hände und strich über seine Robe. »Ich weiß, du tust dein Möglichstes. Wir wollen etwas völlig Neues schaffen. Das wäre für jeden eine große Herausforderung. Ich hätte nicht wütend werden dürfen, weil du noch keinen Erfolg hattest. Bitte, geh zurück an die Arbeit. Ich verschwinde jetzt, damit du in Ruhe weitermachen kannst.«
»Oh… danke«, stammelte Rakmar. Seine Augen waren weit aufgerissen. Gul’dan merkte, dass sein Untergebener von seinem Sinneswandel überrascht war. Genauso wie die anderen Hexer. Er unterdrückte ein Lächeln, nickte ihnen stattdessen zu und ging davon. Sollten sie doch denken, er hätte es sich anders überlegt. Oder dass er sich anderen Dingen zuwenden wollte.
Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Schon bald würde es völlig egal sein.
Auf seinem Spaziergang sah Gul’dan sich um. Cho’gall befand sich wie immer in der Nähe. Der Ogermagier lebte in einem zerstörten Gebäude. Es lag ganz in der Nähe, damit er schnell vor Ort sein konnte, wenn Gul’dan ihn brauchte. Aber das Haus befand sich zugleich auch etwas abseits der Nekromanten, die Cho’galls Gegenwart mieden.
Gul’dan winkte, und der zweiköpfige Oger erhob sich und kam auf ihn zu. Mit langen Schritten überwand er rasch die Distanz zwischen ihnen.
»Die Nekromanten haben ihren Zweck erfüllt«, stellte Gul’dan fest. »Jetzt sollen sie einem höheren Ziel dienen, einem sehr viel höheren.« Er grinste und fuhr sich durch den Bart. »Bereite unsere Instrumente vor. Wir vollziehen eine Opferung.«
»Wir beschwören unsere gefallenen Brüder?«, fragte Rakmar leise. Er stand mit den restlichen Nekromanten wie befohlen um den Altar, den Gul’dan und Cho’gall aufgebaut hatten.
Gul’dan entging nicht, dass sie vehement herauszufinden versuchten, welchem Zweck er letztlich dienen sollte. Es beunruhigte ihn nicht. Wenn sie es endlich erfuhren, würde es längst zu spät für sie sein, noch etwas daran zu ändern.
»Ja«, antwortete Gul’dan. Er konzentrierte sich auf die Beschwörung. »Doomhammer hat die anderen Hexenmeister getötet. Doch ihre Seelen leben noch. Wir werden sie rufen und in die menschlichen Körper einfahren lassen.« Er grinste. »Sie werden auf jeden Fall in diese Welt zurückkehren wollen, um der Horde erneut zu dienen.«
Rakmar nickte. »Das wird sie beleben«, stimmte er zu. »Aber wie erlangen sie die benötigte Kraft? Denn sonst sind sie ja nicht mehr als wandelnde Leichname.«
Gul’dan runzelte die Stirn. Er war überrascht und verärgert, dass der Nekromant so schnell den wesentlichen Punkt herausgefunden hatte. »Ruhe!«, befahl er, um weiteren Fragen zuvorzukommen. »Wir fangen an!«
Er begann das Ritual, beschwor seine Magie und spürte, wie sie ihn langsam mit Macht erfüllte. Noch war es nicht genug, aber das würde sich bald ändern. In der Zwischenzeit konzentrierte er sich auf seine Aufgabe, kanalisierte seine Energien in den Altar und bereitete die Ströme auf die Transformation vor, die er gerade beschwor.
Rakmar und die anderen Nekromanten fielen mit ein, spendeten ihre eigene nekromantische Energie für seine Beschwörung. So waren sie abgelenkt und bekamen nicht mit, wie Gul’dan sich bewegte – bis es zu spät war.
»Rrargh!« Gul’dan konnte das Knurren nicht unterdrücken, das ihm über die Lippen kam. Doch es spielte auch keine Rolle mehr. Er stand bereits direkt hinter Rakmar, hielt den Krummdolch bereit, und als der größere Orc sich umdrehte, stieß Gul’dan zu und zog dem Nekromanten die Klinge quer über die Kehle.
Blut spritzte heraus und traf dabei alle beide. Rakmar stolperte, umfasste die Wunde und schnappte nach Luft. Er fiel auf den Altar und keuchte panisch, während er versuchte, sich davon wegzudrücken. Aber Gul’dan war bereits über ihm, kniete sich auf den sterbenden Nekromanten und schlug dessen Hand weg. Dann trieb er den Dolch in Rakmars Brust und zerrte daran, um die Wunde zu vergrößern. Schließlich griff er in den offenen Leib und holte mit einem harten Ruck Rakmars noch schlagendes Herz heraus.
Vor den Augen seines ehemaligen Assistenten sprach Gul’dan den vorbereiteten Zauber. Seine Magie umhüllte das blutige Organ und sperrte Rakmars Geist darin ein. Die Magie des Altars stieg auf, veränderte das Herz, verkleinerte und festigte es und versah es mit einem widernatürlichen Glanz.
Als der Nekromant, dessen Körper jetzt nur noch eine leere Hülle war, zusammenbrach, grinste Gul’dan ihn an und hielt den leuchtenden Edelstein hoch.
»Fürchte dich nicht, Rakmar«, versicherte er dem toten Orc. »Dies ist nicht dein Ende. Ganz im Gegenteil. Du wirst mit meiner Hilfe erfolgreich sein. Du wirst wieder für die Horde kämpfen. Und Doomhammer wird seine untoten Krieger bekommen.« Er lachte. »Das ist das Gute an uns Totenbeschwörern – wir lassen nichts verkommen.«
Er schaute auf. Cho’gall hatte bereits mehrere andere Nekromanten getötet und ihre Herzen und Seelen auf dieselbe Weise verwandelt. Der Rest kauerte in der Nähe, ihre Magie war immer noch im Altar gefangen. Sie konnten nicht entfliehen und waren zu verschreckt, um körperlich zu kämpfen.
Gul’dan schnaubte. Wertloses Pack! Er hätte gekämpft. Aber das machte es ihm zumindest leichter. Er lachte, während er sich erhob und zu den verbliebenen Hexenmeistern hinüberging. Dabei leckte er sich das Blut von den Hauern.
Schon bald würden sie für den nach Blut dürstenden Kommandanten einsatzbereit sein.
»Nun?«, fragte Doomhammer, als er kam. »Hattest du Erfolg?«
Es entging Gul’dans Aufmerksamkeit nicht, dass die Worte des Kriegshäuptlings exakt dieselben waren, die er selbst den Nekromanten vor wenigen Tagen entgegengerufen hatte.
Aber diesmal war die Antwort eine völlig andere.
»Ja, das hatte ich, verehrter Doomhammer«, antwortete er und wies auf die Körper hinter ihm.
Doomhammer schaute hin. Die Leichen lagen ausgestreckt auf dem Boden.
»Das sind gefallene Krieger aus Stormwind«, knurrte Doomhammer. »Was ist damit? Oder hast du mich nur hierher bestellt, um mir zu zeigen, dass du Leichen wunderschön arrangieren kannst?«, feixte er. »Ist das die Erweiterung deiner Fähigkeiten, Gul’dan – dass du Leichen für ihre Bestattung vorzubereiten vermagst?«
Gul’dan hätte dem Kriegshäuptling mit Freude das Lachen aus dem Gesicht gerissen, um dem arroganten Krieger die wahre Ausweitung seiner Fähigkeiten zu demonstrieren. Doch jetzt war dafür nicht der richtige Zeitpunkt.
»Natürlich nicht«, antwortete er, immer noch aggressiv genug, dass sich Doomhammers Blick verengte. »Schau!« Er nickte Cho’gall zu, der neben der ersten Leiche kniete und einen edelsteinbesetzten Stab in ihre kalten, starren Hände legte.
Diese verzauberten Waffen waren der aufwändigste Teil des Prozesses gewesen. Aber Gul’dan wusste, dass seine neuen Kämpfer ohne sie weitaus schwächer gewesen wären, wie Rakmar richtig erkannt hatte. Glücklicherweise hatten er und Cho’gall bereits mit solchen Dingen experimentiert. Deshalb hatten sie den Zauber nur modifizieren und die Waffen den neuen Erfordernissen anpassen müssen.
Während er und Doomhammer hinsahen, begann der Leichnam sich zu bewegen. Seine Finger schlossen sich fest um den Stab, der sofort aufglühte. Das Licht floss zu den Händen der Leiche, dann die Arme entlang und umgab so langsam den gesamten Körper mit einer grünen Aura.
Und dann öffnete die Leiche die Augen.
Doomhammer erschrak leicht, auch wenn er keinen Ton von sich gab. Gul’dan grinste höhnisch. Allerdings konnte er dem Kriegshäuptling die Reaktion nicht verübeln. Er selbst fand den Anblick ebenfalls schrecklich, dabei hatte er diese Kreaturen erschaffen.
Die Leiche erhob sich langsam, ihre Bewegungen waren noch steif, wurden aber mit jeder Sekunde flüssiger. Sie wandte ihre leuchtend roten Augen Gul’dan zu. Offensichtlich erkannte sie ihn.
»Du hattest also Erfolg, Gul’dan«, sagte die Kreatur. Ihre Worte klangen undeutlich, weil sie ein unbekanntes Gebiss und merkwürdige, zu klein wirkende Zähne bewegen musste. Sie schaute an sich selbst herunter und musterte Glieder und Torso. Dann hob sie eine Hand und berührte ihr Gesicht. »Du hast meinen Geist auf diese Welt zurückgerufen!« Sie lachte heiser, was deutlich mehr nach Orc als nach Mensch klang. »Ausgezeichnet!«
»Willkommen zurück, Teron Gorefiend«, antwortete Gul’dan und bemühte sich, nicht in Gelächter auszubrechen. »Ja, ich habe dich zurückgeholt, damit du weiter der Horde dienen kannst.«
Doomhammer trat vor und beobachtete die merkwürdige Kreatur vor sich. »Gorefiend? Einer der Hexenmeister aus dem Schattenrat? Ich habe dich höchstpersönlich getötet.«
»Wir alle tun unser Bestes für die Horde«, antwortete Gul’dan spöttisch. Dabei verneigte er sich so tief, dass Doomhammer seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. »Gorefiends Seele war noch nicht von dieser Ebene verschwunden. Ich habe sie zurückgerufen und ihr ein neues Zuhause gesucht. Mit dem einzigen Unterschied, dass sein neuer Körper jetzt von Magie durchdrungen ist. Er ist mächtiger denn je, und die anderen Hexenmeister sind es auch.« Cho’gall hatte seine Aufgabe fortgesetzt, und die anderen Leichen erhoben sich jetzt ebenfalls.
»Das also ist dein großartiges Geschenk?«, fragte Doomhammer. »Leichen aus Kriegern, die von deinen toten Akolythen beseelt sind?« Sein Gesicht verzog sich vor Ekel.
»Du wolltest Krieger haben«, erinnerte ihn Gul’dan. »Ich habe sie dir geliefert. Sie sind perfekt geeignet für alles, was die Menschen ihnen entgegenstellen können – und noch viel mehr. Und wenn auch ihre Körper aus verwesendem Fleisch bestehen, so sind sie doch von Geist und Gesinnung her immer noch Orcs. Überleg nur, wie sie sich im Kampf machen werden!«
Doomhammer nickte langsam, weil er die Vorteile erkannte. »Wirst du mir dienen?«, fragte er Gorefiend und offenbarte dabei etwas, das Gul’dan als verhängnisvolle Schwäche wertete.
Kriegshäuptlinge fragten nicht, sie befahlen. Obwohl man Kreaturen wie diese hier besser nicht verärgerte.
Gorefiend überlegte einen Moment lang, und seine glühenden Augen musterten den Kriegshäuptling. Schließlich nickte er. »Gul’dan hat Recht«, sagte er mit kratziger Stimme. »Ich bin immer noch ein Orc, trotz dieser Hülle. Und ich werde dir und unserem Volk dienen.« Er grinste und schnitt dabei eine schreckliche Grimasse. »Du hast mich getötet, aber das nehme ich dir nicht übel. Weil es mich zu diesem neuen mächtigen Körper geführt hat. Ich bin mit dem Tausch zufrieden.« Die anderen Leichen hinter ihm nickten beipflichtend.
»Gut!« Doomhammer trat vor und schlug dem überraschten Gorefiend auf die Schulter. Eine Geste, die sich eher für gleichrangige Personen geziemte, nicht für Höherstehende gegenüber vergebenen. »Ihr sollt meine Todesritter sein. Die Spitze unserer großartigen Horde«, erklärte er den wiederbelebten Kreaturen. »Zusammen werden wir die Menschen vernichten, ihr Land erobern und diese Welt für unser Volk sichern!« Damit wandte er sich Gul’dan zu. »Du hast dein Versprechen gehalten, Gul’dan«, räumte Doomhammer ein. »Du hast mir eine mächtige Streitmacht gegen unsere Feinde verschafft. Ich danke dir dafür.«
»Alles für unser Volk, geschätzter Doomhammer«, antwortete Gul’dan und hoffte, dass er aufrichtiger klang, als er es meinte.
Dummkopf, dachte er für sich, während er Doomhammer nachschaute, der wegging. Die neu erweckten Ritter schritten neben ihm. Nimm sie und geh, ja, geh zurück in deinen Krieg. Ich muss mich anderen Aufgaben widmen. Und nachdem ich dich jetzt zufrieden gestellt habe, verfüge ich endlich über die Freiheit, mich auf diese wesentlicheren Dinge zu konzentrieren. Ich werde den loyalen Hexenmeister noch ein Weilchen mimen, aber nicht für immer. Denn schon bald besitze ich, wonach ich gesucht habe, und dann können du und deine Horde meinetwegen zu Staub zerfallen. Ich werde eine neue Rasse erschaffen – um euch alle zu ersetzen. Eine Rasse, die nur mir allein treu ergeben ist. Und mit ihr werde ich die Welt aus den Angeln heben!
Eine Woche später sprach Doomhammer zu der versammelten Horde. Sie hatten sich vor einer Festung versammelt, die, wie Zul’jin ihm verraten hatte, Schwarzfelsspitze genannt wurde. Ein mächtiges Bauwerk, aus demselben glatten schwarzen Stein errichtet, wie er die gesamte Landschaft dominierte.
Sie standen auf dem Blackrock, dem höchsten Berg der Brennenden Steppe, deren Ausläufer sich über den ganzen Kontinent erstreckten.
Zuluhed hatte sie hierher geführt. Er hatte die Macht, die diesen Bergen innewohnte, gespürt.
Nachdem er eine Handvoll Zwerge besiegt hatte, nahm Doomhammer die Festung ein. Er hielt es für ein gutes Omen, dass der Ort, den er als Basis für die Horde gewählt hatte, denselben Namen trug wie sein Clan.
Unterhalb von ihm hatten sich Orcs jedes Clans versammelt und warteten ungeduldig darauf, was er zu sagen hatte. Sie hatten das Land für sich erobert. Doch obwohl es ihnen bessere Jagdgründe bot und fruchtbarer war als ihre Heimat, reichte seine Fläche immer noch nicht aus, um die Horde bequem unterzubringen.
Außerdem war Rache zu erwarten: Sie hatten zwar die Menschen von diesem Kontinent vertrieben, doch es gab keinerlei Garantie, dass sie nicht mit Verstärkung oder gar Verbündeten zurückkehren würden.
Doomhammer grinste. Jetzt hatte auch er starke Verbündete.
»Mein Volk!«, brüllte er und riss seinen Hammer hoch über sich. »Hört mich an!«
Die Menge wurde still, alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
»Wir haben dieses Land erobert, und das ist gut!«
Jubel brandete auf, und Doomhammer wartete ab, bis er wieder erstarb, bevor er weiterredete.
»Diese Welt steckt voller Leben, und wir können hier mächtige Familien gründen!« Wieder Jubel. »Trotzdem gibt es noch genügend einheimische Verteidiger! Die Menschen sind stark und wehrhaft. Und sie kämpfen hart um ihr Eigentum.«
Zustimmendes Raunen zog sich durch die Horde. Es war keine Schande, einen starken Feind anzuerkennen. Und das waren die Menschen ganz gewiss. Genügend Orcs hatten inzwischen gegen sie gekämpft, um das bestätigen zu können.
»Wir müssen unseren Feldzug fortsetzen!«, teilte Doomhammer seinen Leuten mit und wies mit dem Hammer Richtung Norden. »Ein weiteres Land, Lordaeron, liegt jenseits von diesem hier. Und wenn wir das erst kontrollieren, können unsere Clans endlich ausreichend Gebiete beanspruchen, sich niederlassen, Häuser bauen und neue Familien gründen. Aber zuerst müssen wir uns dieses neue Land von den Menschen nehmen! Sie werden es nicht einfach hergeben.«
Die Menge brummte wie ein einziger titanenhafter Orc und bekundete damit ihren unbedingten Willen, weiterzukämpfen. Doomhammer brachte sie mit seiner erhobenen Hand zum Verstummen.
»Ich weiß, dass ihr stark seid«, versicherte er ihnen. »Ich weiß, dass ihr Krieger seid und keinem Kampf ausweicht. Doch die Menschen sind zahlreich, und dieses Mal… sind sie auf uns vorbereitet.« Er stützte sich auf seinen Hammer. »Aber auf unsere Verbündeten sind sie nicht vorbereitet!«
Er wies hinter sich, und Zul’jin trat vor. Der Waldtroll hatte hundert seiner Leute zu dem Treffen mitgebracht. Nun standen sie geordnet hinter ihm und Doomhammer, trugen dabei ihre Äxte, Kurzschwerter und Speere.
»Das sind die Waldtrolle«, sagte Doomhammer. »Sie gehören ab sofort zur Horde und werden mit uns kämpfen! Sie sind so stark wie ein Oger, aber zugleich behände wie ein Orc. Und in Sachen Waidmannskunst sind sie unübertrefflich! Sie werden unsere Führer sein, unsere Kundschafter – und unsere Waldkrieger!«
Zul’jin trat vor. Sein langer Schal bewegte sich im Wind. »Wir der Horde verpflichtet«, erklärte er, und seine Stimme war gut zu verstehen, obwohl ein Stück Stoff seinen Mund verhüllte. »Wir mit ihr kämpfen und gemeinsam wir schlagen Menschen, Elfen und alle anderen, die uns in Weg stehen!«
Die Orcs jubelten auf diese Worte hin ebenso lautstark wie die Waldtrolle. Zul’jin nickte zufrieden, bevor er zurücktrat.
»Doch sie sind nicht unsere einzigen Verbündeten«, verkündete Doomhammer. Er drehte sich leicht, und Gorefiend trat vor. Die restlichen Todesritter standen neben ihm. Sie hatten sich maskiert, um ihre abscheulichen Fratzen zu verbergen. Schwere Stoffe waren um Kopf und Gesichter gewickelt, man konnte nur ihre glühenden Augen sehen. Gorefiend hielt seinen Stab hoch. Die Edelsteine in der Waffe leuchteten heller als die Sonne.
»Wir sind die Todesritter«, sprach Gorefiend. Seine merkwürdige Stimme überzog die Menge wie Frost das Land. »Wir haben uns der Horde und Doomhammer verschrieben. Wir werden wie ihr kämpfen und die Feinde der Orcs von dieser Welt tilgen!«
Er hatte Doomhammer gebeten, ihre wahre Natur nicht preiszugeben. Und Doomhammer hatte zugestimmt. Vielen hätte nicht gefallen, dass diese neuen Krieger eigentlich Orcs waren, ehemalige Hexenmeister, die er getötet hatte und die Gul’dan nun für ihn in verwesende menschliche Körper gebannt hatte.
»Die Todesritter werden unsere Kavallerie und unsere Vorhut sein«, verkündete Doomhammer. »Sie sind geborene Streiter und gebieten überdies über dunkle Magie, mit deren Hilfe sie die Verteidigung unserer Feinde umgehen können.« Er machte eine Pause. »Vielleicht haben wir noch weitere Verbündete«, sagte er dann. Er hatte gehofft, dass sie auch schon bereit wären. Aber Zuluhed hatte mehr Zeit gefordert, um die Vorbereitungen abzuschließen. »Doch dazu später mehr. Zunächst einmal wenden wir uns nach Norden, gehen über Land nach Khaz Modan, in die Heimat der Zwerge. Die dortigen Gebiete sind reich an Erz und Öl. Wir nehmen uns die Ressourcen und benutzen sie, um eine mächtige Flotte zu bauen. Mit diesen Schiffen werden unsere Streitkräfte nach Lordaeron übersetzen. Denn die Menschen werden nicht erwarten, dass wir über das Wasser kommen. Wir werden im Westen landen, dann zurückmarschieren und aus dem Hinterhalt angreifen. Wir werden sie vernichten. Dann beherrschen wir das Land, und die ganze Welt gehört uns!«
Die Horde jubelte wieder. Ihr Geschrei schwoll immer lauter an, bis es von den umgebenden Felsen zurückhallte.
Doomhammer spürte das Echo unter seinen Füßen. Die Bergspitze vibrierte. Er blickte auf Zuluhed, der hinter ihm stand. Das Gebrüll und die Kriegsrufe seiner Leute konnten doch wohl nicht den Berg selbst geweckt haben?
Aber der alte Schamane nickte. »Der Vulkan spricht«, sagte Zuluhed leise. Er trat vor, damit Doomhammer ihn besser verstehen konnte. »Die Geister in diesem Berg sind zufrieden.« Er lächelte. »Sie gewähren uns ihren Segen!«
Doomhammer nickte. Die Steine vibrierten immer noch, als er den Hammer hochriss und über seinem Kopf wirbeln ließ. Die Menge begann, seinen Namen zu skandieren.
»Doomhammer!« Sie riefen nach ihm, immer wieder, und schließlich ertönte ein lauter Knall. Der Himmel wurde schwarz.
»Doomhammer!«, jubelten sie weiter, und die Luft schien zäher zu werden, war plötzlich voller Rauch.
»Doomhammer!!«
Und mit einem lauten Krachen explodierte der Berg hinter ihnen, spie Lava, Steine und Asche aus. Die Rufe der Horde wurden noch lauter. Aber nicht aus Furcht. Wie Zuluhed betrachteten sie das Geschehen als Segnung der Erde selbst, die ihr Vorhaben gut hieß.
Doomhammer ließ den Tumult eine Weile zu. Er akzeptierte die Begeisterungsstürme als Zeichen des Respekts und der Loyalität, die seinem Volk zu neuen Höhen verhelfen würde.
Dann aber zeigte er mit seiner Waffe in Richtung Norden. »Wir ziehen los!« Er übertönte die Horde fast mühelos. »Lasst die Menschen bei unserer Ankunft erzittern!«