8

»Sind wir soweit?«

Turalyon schluckte und nickte. »Fertig, Sire«

Lothar nickte und wandte sich ab. Er runzelte die Stirn, und eine Sekunde lang glaubte Turalyon, dass dieser Ausdruck ihm galt. Hatte er die falsche Antwort gegeben? Wollte Fürst Lothar mehr Details hören? Hätte er irgendetwas anderes sagen sollen?

Hör auf, rief er sich zur Räson. Du wirst schon wieder panisch. Beruhige dich. Du machst das prima. Er runzelt die Stirn, weil wir in die Schlacht ziehen, nicht, weil du ihn enttäuscht hast.

Er zwang sich, nicht mehr darüber nachzudenken, und inspizierte erneut seine Ausrüstung. Die Gurte seiner Rüstung waren in Ordnung und saßen fest. Sein Schild hing sicher an seinem Arm, sein Kriegshammer war am Sattelhorn befestigt.

Er war bereit. So bereit, wie man nur sein konnte.

Er sah sich um und beobachtete die anderen. Lothar redete mit Uther. Turalyon beneidete die beiden Männer um ihre Haltung. Sie wirkten leicht ungeduldig, doch ansonsten völlig gelassen. War das etwas, was man mit mehr Erfahrung lernte?

Khadgar schaute über die Ebene und musste Turalyons Blick gespürt haben, weil er sich umdrehte und ihn anlächelte. »Nervös?«, fragte der Zauberer.

Turalyon lachte über sich selbst. »Sehr«, gab er zu.

Er war mit dem üblichen Respekt vor Magiern aufgewachsen – und mit Vorsicht ihnen gegenüber. Doch Khadgar war anders. Vielleicht weil sie ungefähr gleich alt waren – auch wenn der Magier um Jahrzehnte älter wirkte. Oder es lag einfach daran, dass Khadgar nicht so arrogant war wie manch anderer Zauberer.

Turalyon hatte sich an dem Tag, an dem Erzbischof Faol sie alle vorgestellt hatte, ein wenig mit Khadgar unterhalten. Dabei hatte er festgestellt, dass er ihn mochte. Lothar mochte er natürlich auch, dabei bewunderte er jedoch überwiegend die Erfahrung und das Können des Helden von Stormwind.

Khadgar war wahrscheinlich mächtiger, aber zugleich auch zugänglicher, und er und Turalyon waren schnell Freunde geworden. Er war der Einzige, dem Turalyon von seinen Ängsten erzählte.

»Mach dir nichts draus«, empfahl ihm Khadgar. »Jeder hat Furcht. Der Trick besteht darin, sie zu überwinden.«

»Bist du denn auch… nervös?«

Der Magier grinste. »Zu Tode erschreckt würde es besser treffen«, eröffnete er ihm. »So geht es mir jedes Mal, wenn wir in den Kampf ziehen. Lothar hat mir einst nach einer Schlacht gesagt, dass man Angst haben soll. Weil derjenige, der keine hat, sorglos wird. Und dann wird es heikel.«

Turalyon nickte. »Meine Ausbilder haben so ziemlich dasselbe gesagt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber es ist eine Sache, so etwas zu sagen, und eine ganz andere, es auch zu glauben.«

Sein Freund schlug ihm wohlwollend auf die Schulter. »Du machst das schon«, versicherte er ihm. »Wenn es erst losgeht, bist du viel zu beschäftigt, um noch drüber nachzudenken.«

Sie drehten sich beide um und schauten nach vorne. Die Hügellande waren nach ihren sanften Erhebungen benannt. Die Armee der Allianz war über die gesamte Breite der Hügelketten aufgestellt. Ihre Soldaten blickten in Richtung Southshore und die Große See.

Die Schiffe der Horde trafen in diesem Moment ein. Schwerfällig wirkende Gefährte aus dunklem Metall und geschwärztem Holz. Segel gab es nicht, dafür mehrere Ruderreihen.

Lothar wollte die Horde kalt erwischen, wenn sie an Land kam – noch bevor die Orcs die Chance bekamen, Stellung zu beziehen. Proudmoores Marine hatte die Schiffe bereits bei der Fahrt durch die Passage angegriffen und einige von ihnen – und sicherlich Tausende Orcs – auf den Grund des Ozeans geschickt. Aber die Horde war immer noch sehr zahlreich.

Man hatte lediglich die äußersten Schiffe versenkt, der Rest fuhr unbeeindruckt weiter. Es würde immer noch genügend Kämpfe geben, sobald sie landeten.

»Sie sind fast an der Küste«, berichtete Alleria. Ihre scharfen Elfenaugen sahen weiter als die der Menschen. Sie wandte sich an Turalyon. »Bereitet Eure Männer auf den Einsatz vor.«

Turalyon nickte. Er wagte nicht zu sprechen. Er hatte die Frau natürlich schon früher einmal gesehen. Sein Orden verbot auch keine Beziehungen oder Hochzeiten. Aber die elfische Waldläuferin ließ jede andere Frau, die er jemals kennengelernt hatte, schwach und plump erscheinen. Sie war so zuversichtlich, so anmutig… und so schön, dass sein Mund jedes Mal trocken wurde, wenn er sie nur ansah.

Er merkte, dass er zitterte und wie ein Pferd, das gerade ein Rennen gelaufen war, zu schwitzen begonnen hatte. Und wenn man das Glitzern in ihren Augen bedachte oder ihr angedeutetes Grinsen, sobald sie etwas zu ihm sagte, vermutete Turalyon, dass sie das auch wusste – und sich über sein Unbehagen amüsierte.

Immerhin hatte er jetzt etwas, das ihn ablenkte. Turalyon signalisierte seinen Truppführern, anzugreifen. Sie gaben den Befehl an ihre Herolde weiter, die die Angriffshörner bliesen. Binnen Minuten befand sich die gesamte Streitmacht der Allianz in Bewegung. Marschierend oder langsam reitend bewegte sie sich die Hügel hinab auf den Strand zu.

Als sie sich näherten, konnte Turalyon Details erkennen. Er sah, wie das erste Schiff an der Küste anlegte. Dunkle Gestalten sprangen heraus und liefen über den steinigen Strand auf die Hügel zu. Selbst von hier aus konnte er sehen, wie breit sie gebaut waren. Große Brustkörbe, lange kräftige Arme, krumme Beine. Sie schwangen ihre Äxte, Hämmer, Schwerter und Speere. Jede Menge davon.

»Sie sind an Land gegangen«, brüllte Lothar, zog sein großes Schwert mit einer geschmeidigen Bewegung und hielt es hoch. Die goldenen Runen auf der Klinge reflektierten das Licht.

»Attacke! Für Lordaeron!« Er trieb sein Pferd an, und es galoppierte vorwärts, an den Reihen der Allianz vorbei, und dazu fing der goldene Löwe auf seinem Schild das Sonnenlicht ein.

»Verdammt!« Turalyon trieb sein eigenes Ross an und ritt hinter seinem Kommandeur her. Dabei hob er seinen Hammer und senkte das Visier seines Helms. Soldaten sprangen aus dem Weg, andere beeilten sich, mitzuhalten.

Dann war er an ihnen vorbei und in dem schmalen Korridor zwischen beiden Armeen. Diese Fläche hatte er rasch durchquert und kam wilder Entschlossenheit über die Orcs… gerade als Lothars erster Schlag mehrere Gegner fällte. Doch sofort eilten andere zu dessen Pferd und versuchten, den Helden herunterziehen, um ihn zu zerreißen.

»Nein!« Turalyon schwang seinen Hammer, sobald er in Reichweite war, und traf einen Orc vor den Kopf. Die Kreatur fiel um, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Turalyon schleuderte einen zweiten Angreifer mit seinem Schild beiseite. Dadurch hatte er genug Zeit, den Hammer wieder zu heben und auch noch den dritten Gegner zu zerschmettern.

Beim Licht, waren diese Kreaturen hässlich!

Lothar und Khadgar hatten sie ihnen beschrieben. Aber es war etwas völlig anderes, sie selbst zu betrachten. Ihre hellgrüne Haut und diese glühenden roten Augen… und dann diese Hauer!

Er hatte so etwas vorher nur bei Ebern gesehen. Aber niemals bei etwas, das auf zwei Beinen ging und eine Waffe trug.

Sie waren stark. Er merkte es daran, dass der Kriegshammer eines Orcs mit seinem eigenen zusammenprallte und die gegnerische Waffe dabei fast in seinen Helm eindrang.

Glücklicherweise schienen sie sich eher auf ihre Stärke und Aggressivität als auf ihr Können zu verlassen. Er bekam seine Waffe rechtzeitig wieder frei und hob sie an. Mit dem Stiel verpasste er dem Orc einen Schlag über die Wange und konnte ihn dadurch lange genug außer Gefecht setzen, dass er ihn mit dem anschließenden Hieb richtig erwischte.

Lothar hatte währenddessen die bei ihm befindlichen Orcs mit tödlichen Schwertstreichen erledigt.

Turalyon brachte sein Pferd neben seinen Kommandeur, sodass sie Seite an Seite reiten konnten. Hammer und Schwert waren unablässig in Aktion.

Uther befand sich direkt hinter ihnen, sein mächtiger Hammer zerschmetterte Orcs links und rechts. Ein sichtbarer Glanz umgab ihn und seine Waffe, so blendend, dass die Orcs wegschauen mussten und ihre Augen bedeckten.

Jubel stieg bei den Streitkräften der Allianz auf, als sie des Könnens des Paladins ansichtig wurden. Turalyon war nicht überrascht. Er hatte zusammen mit Uther geübt und wusste, dass der Glauben des älteren Paladins unglaublich stark war. Stark genug, um ihn sichtbar werden zu lassen.

Er wünschte, sein eigener Glaube wäre ebenso fest.

Aber jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Weitere Kriegsschiffe der Horde landeten, und die Orcs strömten zu Tausenden daraus hervor.

Turalyon erkannte sofort, dass sie überrannt werden würden, wenn sie hier blieben. »Sire!«, rief er Lothar zu. »Wir müssen weg zum Rest der Armee!«

Zuerst dachte er, der Held hätte ihn nicht gehört. Aber Lothar spießte einen weiteren Orc auf und nickte dann. »Uther!«, rief er und der Paladin wandte sich ihm zu. »Zurück zu den anderen!«

Uther hob seinen Hammer zur Bestätigung, riss sein Pferd herum und drosch eine Schneise in die Horde. Lothar war direkt hinter ihm, und Turalyon bildete die Nachhut. Er kämpfte mit Hammer und Schild, um die Orcs von ihnen fernzuhalten.

Ein Orc griff nach ihm, in seiner anderen Hand führte er eine riesige Axt. Doch dann starb er mit einem Pfeil in seiner Kehle. Turalyon riskierte einen Blick zur Seite und sah eine schlanke Gestalt auf dem Hügel, die ihren Langbogen zum Gruß erhoben hielt. Er konnte gerade noch das Leuchten ihrer Haare erkennen.

Mehrere Male glaubte er fast, sie würden niedergemacht. Aber Uther, Lothar und er schafften es sicher zurück zur Front.

Die Horde war ihnen dicht auf den Fersen.

»Bildet Formation!«, rief Uther. »Hebt die Speere. Verbindet die Schilde! Werft sie zurück!«

Die Soldaten gehorchten eilig. Sie waren bereit gewesen, hatten aber nicht zusammengearbeitet. Einzelkämpfer, keine wirklich vereinte Streitmacht. Das konnte gegen die Überzahl der Horde nicht funktionieren.

Jetzt arbeiteten sie zusammen, bildeten eine solide Schildmauer, die vor Speeren nur so strotzte. Und die Horde krachte mitten hinein.

An einigen Stellen fiel die Mauer, wenn ein Verteidiger vom Angriff eines Orcs ausgeschaltet wurde. Aber der größte Teil trotzte der Wucht, mit der die Orcs vordrangen. Einige fielen und standen nicht wieder auf, allerdings liefen die ihnen Nachfolgenden schnell an ihnen vorbei.

Eine zweite Welle traf den Schildwall, und mehrere Sektionen brachen ein. Doch wieder erlitten die Orcs herbe Verluste.

Turalyon gab dem nächststehenden Truppführer ein Zeichen und registrierte zufrieden, dass er schnell reagierte. Ein zweiter Schildwall entstand bereits hinter dem ersten. Sie konnten Wall auf Wall bauen, und jeder kostete die Orcs enormen Blutzoll. So konnten sie die Horde nach und nach ausdünnen, bis die Gegner irgendwann so viele Verluste erlitten hatten, dass sie sich ihnen direkt entgegenwerfen konnten.

Nur waren die Orcs natürlich keine kompletten Narren. Nach dem dritten Zusammenstoß hielten sie sich spürbar zurück, als würden sie auf etwas warten. Und Turalyon erfuhr auch schnell, worum es sich dabei handelte: Eine Handvoll vermummter Gestalten erschien. Jede trug eine Kapuze über dem Kopf, sodass nur die Augen tief darunter zu erkennen waren. Und jede Gestalt trug einen merkwürdigen glühenden Stab.

Diese Neuankömmlinge ritten auf Pferden mit glühenden Augen und bewegten sich schnurstracks auf den Schildwall zu. Dann hoben sie ihre Stäbe an.

Turalyon vernahm ein merkwürdiges Brummen, und dann fielen die Soldaten unmittelbar vor den Vermummten einfach um. Sie hielten ihre Häupter umklammert, und Blut quoll ihnen aus Mündern, Nasen und Ohren.

»Beim Licht!« Uther stand dicht bei Turalyon und schauderte bei dem Anblick. »Diese Teufel! Sie bringen finstere Magie gegen uns zum Einsatz!« Er hob seinen Hammer, dessen Kopf silbern wie der Mond leuchtete. »Gebt nicht auf, Soldaten!«, rief er. »Das Heilige Licht wird euch beschützen!«

Das Leuchten verteilte sich vom Hammer ausgehend, fiel auf die Krieger und tauchte sie in den hellen Schein.

Als die vermummten Gestalten ihre Hände hoben, zuckten die Soldaten zwar, gingen aber nicht wieder zu Boden.

Dann kam Uther über die Magier. Der Schildwall öffnete sich lange genug für ihn und die anderen Paladine, einschließlich Gavinrad, den Faol nur zu gern in den Orden aufgenommen hatte. Wieder jubelten die Soldaten der Allianz, ermutigt vom überraschenden Können und der Macht der Paladine.

Turalyon fühlte sich hin- und hergerissen. Als Paladin war sein Platz an ihrer Seite. Aber als Lothars Leutnant gehörte er hierher, um die Männer zu befehligen.

Die Paladine und die vermummten Gestalten kämpften gegeneinander, doch keiner schien die Überhand gewinnen zu können. Turalyon sah, wie einer der merkwürdigen Invasoren eine seiner gewaltigen Hände um Gavinrads Arm krallte und Dunkelheit von der Pranke ausströmte.

Doch Gavinrads heilige Aura leuchtete auf einmal heller und trieb die Finsternis zurück. Der Angreifer musste loslassen und zudem einem Hammerschlag des Paladins ausweichen.

Währenddessen droschen die Orcs weiter auf den Schildwall ein. Sie hieben Löcher hinein, die sich aber sofort wieder durch nachrückende Soldaten schlossen.

Dann sah Turalyon Bewegung. Mehrere neue Gestalten trafen ein, größer als die Orcs.

Oger!

Die tumben Kreaturen näherten sich und schlugen mit groben Knüppeln zu, die nichts anderes als entwurzelte und ihres Geästs beraubte Bäume waren.

Ganze Sektionen des Schildwalls fielen in sich zusammen. Die Soldaten wurden von den mörderischen Hieben durcheinandergewirbelt. Die Horde drängte durch die Lücken und warf sich den Soldaten der Allianz entgegen.

»Taktikwechsel!«, brüllte Turalyon dem nächststehenden Herold zu. Er wusste, dass der Mann die Befehle mit seinem Horn weitergeben würde. »Kleine Schildtrupps! Zieht euch auf die Hügel zurück und gruppiert euch neu!«

Der Soldat nickte und hob sein Horn. Er blies einmal kurz – und dann noch mal. Beim Klang des Horns begannen die Truppführer ihrerseits Befehle zu brüllen, sammelten ihre Soldaten und zogen sich zurück, während sie die Orcs auf Distanz hielten.

Die Horde versuchte, sie zu überrennen. Aber die Soldaten der Allianz waren zu dicht gruppiert und hielten ihre Waffen bereit. Sie stachen nach jedem Orc, der ihnen zu nahe kam. Jede Einheit hatte ihre Schilde miteinander verbunden. Sie bildeten einen kleinen Schildwall um sich herum.

Die Orcs überwältigten mehrere Einheiten durch ihre bloße zahlenmäßige Überlegenheit, indem sie wieder und wieder gegen die Krieger krachten, bis deren Schutz nachgab. Doch die meisten Allianzsoldaten wehrten den Gegner erfolgreich ab.

Turalyon ritt die eigenen Reihen am Fuße des Hügels ab und organisierte sie neu, stellte auch hier eine Schildmauer auf. Als alle anderen Trupps sich zurückzogen, öffnete diese sich, um sie einzulassen. Die Ankömmlinge verstärkten dann ihrerseits die Mauer und halfen dabei, wiederum neu eintreffende Trupps sicher aufzunehmen.

Turalyon befahl den Bogenschützen, die Orcs der Mauer so weit wie möglich fernzuhalten und jede Kreatur zu attackieren, die sich dem Wall näherte.

Die Orcs mussten einen hohen Blutzoll entrichten, doch die Horde landete immer noch weitere Schiffe, wodurch mit jeder Minute mehr Krieger in das Schlachtengetümmel eingriffen.

»Wir können sie nicht mehr lange aufhalten!«, brüllte Turalyon Khadgar zu, der gerade einen merkwürdig aussehenden Orc in der Nähe der Boote hatte zusammenbrechen lassen. Der Orc trug eine Robe, statt einer Rüstung und einen Stab anstelle eines Schwertes. Deshalb glaubte Turalyon, dass es sich um einen Hexenmeister handeln musste, vergleichbar mit ihren eigenen Magiern. »Wir müssen sie daran hindern, die Hügel zu erreichen! Wenn sie uns umgehen, können sie direkt nach Norden auf die Hauptstadt zumarschieren!«

Khadgar nickte. »Ich tue, was ich kann«, versprach er. Der junge, alt wirkende Zauberer konzentrierte sich, dann verfinsterte sich der Himmel. Binnen Minuten zogen dunkle Wolken auf. Im Zentrum des plötzlichen Sturms stand Khadgar, sein weißes Haar umtanzte ihn. Blitze zuckten über den Himmel, und Funken sprangen aus Khadgars gespreizten Fingern.

Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, und ein Blitz bahnte sich einen Weg, der jedoch nicht vom Himmel, sondern aus Khadgars Händen kam. Sein Licht durchbrach die Finsternis, schlug aus dem Schildwall in eine Gruppe Orcs, die sofort zurückgeschmettert und dabei verbrannt wurden. Ein zweiter Energiepfeil bohrte sich in die Reihen der Feinde, dann ein dritter.

Turalyon nutzte die magische Attacke zu seinem Vorteil. Er formierte seine Männer neu, verstärkte den Schildwall und schickte gleichzeitig Soldaten aus, die mit Reisig und Zunder ausgerüstet waren. Sie verstellten den Orcs mit Bränden den Weg und entfachten eine Feuersbrunst, die verhinderte, dass die Horde nach Westen ausbrach. Das reduzierte das Risiko, dass sie die Streitkräfte der Allianz einfach umgingen.

Doch die Orcs begriffen schnell. Einige Kreaturen traten vor und versuchten, die Feuer auszutreten. Doch die elfischen Bogenschützen erschossen sie, bevor sie die Flammen erreicht hatten. Einer fiel in das Feuer und brüllte entsetzlich, als er davon verzehrt wurde. Das ließ die anderen zurückschrecken.

Die Oger waren aber immer noch ein Problem. Einer trampelte durch die Flammen, verbrannte sich dabei seine Beine, wurde aber trotzdem nicht langsamer. Turalyon schickte ihm eine komplette Einheit entgegen. Gleichzeitig zielten Katapulte auf die Kreatur. Aber der Oger erschlug etliche Krieger, bevor er schließlich selbst fiel. Und die nächsten rückten schon hinter ihm nach.

»Visiert sie an!«, wandte sich Turalyon an Khadgar. »Schießt die Oger ab!«

Khadgar sah ihn an. Turalyon bemerkte, dass sein Freund erschöpft wirkte. »Ich versuche es«, antwortete der Magier. »Doch das Licht zu benutzen ist… ermüdend.«

Eine Sekunde später zischte ein Blitz aus seinen Fingern und traf den anführenden Oger. Er war sofort tot.

Aber als sein massiger, geschwärzter Leichnam fiel, schüttelte Khadgar den Kopf. »Mehr kann ich nicht tun«, erklärte er.

Turalyon hoffte, dass es reichen würde. Die anderen Oger zögerten. Selbst ihre verkümmerten Gehirne konnten die Gefahr erkennen. Dadurch bekamen seine Männer Zeit, die Ziele mit Pfeilen und Katapulten anzuvisieren.

Der Schildwall hielt den Angriffen immer noch stand, doch die Horde rottete sich schon wieder zusammen. Über kurz oder lang würde sie die Verteidiger einfach überrennen. Die erlittenen Verluste reduzierten die Gesamtzahl kaum spürbar.

Uther und die anderen Paladine waren nicht zurückgekommen. Turalyon nahm an, dass sie immer noch diese vermummten Gestalten bekämpften.

Er fragte sich immer noch, wie er reagieren sollte, als Lothar an seiner Seite erschien. »Haltet die Kavallerie bereit!«, rief der Held. »Und blast zum Angriff!«

Angriff? Dort hinein? Turalyon sah seinen Kommandanten an, dann zuckte er die Achseln. Gut, warum nicht? Ihre Verteidigung würde nicht ewig halten.

Er gab dem Herold einen Wink, der kräftig in sein Horn blies. Dann formierten sich die berittenen Soldaten, denen sich Turalyon anschloss. Er befand sich direkt hinter Lothar, der die Spitze übernommen hatte.

Der Schildwall teilte sich für sie, und sie preschten gegen die vorderen Reihen der Horde. Dadurch entstand hinter ihnen ein offener Keil, der mitten durch die Orcs getrieben war.

Nach einer Minute gab Lothar das vereinbarte Zeichen. Sie rissen ihre Tiere herum. Die Bogenschützen gaben ihnen Deckung, während sie sich von ihren Gegnern zurückzogen.

Dann schlugen sie wieder zu.

Sie bereiteten sich gerade auf den dritten Angriff vor, als ein Trommelschlag von irgendwo aus Richtung Horde erklang und die Orcs plötzlich den Rückzug antraten!

»Wir haben es geschafft!«, rief Turalyon. »Sie ziehen sich zurück!«

Lothar nickte, wandte sich aber nicht ab, sondern beobachtete, wie die Orcs ein kurzes Stück zurückliefen, um sich dann neu zu gruppieren. Anschließend machten die Kreaturen kehrt und bewegten sich wieder mit schnellem Schritt auf die rechte Flanke der Allianz zu.

»Sie wollen nach Osten«, sagte Lothar ruhig. Er unternahm keinen Versuch, ihnen nachzusetzen. »Ins Hinterland, ins Zwergenkönigreich.«

»Sollen wir sie verfolgen?«, fragte Turalyon. Sein Blut war noch aufgewühlt vom Kampf. Er wollte den Orcs nachsetzen und sie alle töten. »Sie sind auf der Flucht!«

Aber der Held schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Wir haben sie aufgehalten. Doch sie flüchten nicht vor uns. Sie umgehen uns.« Jetzt wandte er sich an Turalyon und lächelte – ein grimmiges, müdes Lächeln. »Immerhin«, sagte er, »ist das auch schon etwas.«

»Wenn wir sie nicht verfolgen, können sie sich anderswo neu sammeln«, drängte Turalyon. »Oder etwa nicht?«

»Doch, natürlich«, stimmte Lothar zu. »Aber schaut Euch nur um…«

Turalyon tat, wie ihm geheißen, und verstand, was der alte Krieger meinte. Ihre Leute waren, nun, da der Kampf vorüber war, völlig erschöpft. Er sah, wie Männer auf der Stelle zusammenbrachen. Entweder aufgrund ihrer Wunden oder aus reiner Müdigkeit.

Die Schlacht hatte zwei Stunden gedauert, obwohl es sich nicht so lange angefühlt hatte. Turalyon stellte fest, dass auch er sich schmerzhafte Blessuren eingehandelt hatte. Außerdem waren viele der Waffen zerstört, die Katapulte leergeschossen und das meiste Brennholz samt Zunder aufgebraucht.

»Wir müssen uns neu ausrüsten«, erkannte Turalyon. »Wir sind nicht in der Verfassung, ihnen nachzujagen.«

»Richtig.« Lothar wendete sein Pferd in Richtung ihrer eigenen Linien. »Aber wir haben ihre Stärke ausgetestet, und unsere Männer haben gesehen, dass sie gegen die Horde bestehen können. Das ist gut. Und wir haben sie von der Hauptstadt ferngehalten – auch gut.« Er blickte Turalyon an und nickte schließlich. »Ihr habt Euch tapfer geschlagen«, sagte er leise, bevor er sein Pferd zurück zu den Truppen und zum Kommandozelt dahinter lenkte.

Turalyon sah zu, wie er sich entfernte. Das einfache Lob erfüllte ihn mit Stolz. Als er sich anschickte, seinem Kommandeur zu folgen, wurde ihm bewusst, dass Khadgar Recht behalten hatte. Er hatte gar keine Zeit gehabt, sich groß zu fürchten.

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