Auf Treligs Schiff, ein halbes Lichtjahr von Neu-Pompeii entfernt — 12.10 Uhr

Die Welt kehrte plötzlich zurück. Mavra Tschang schaute sich betäubt um, dann prüfte sie die Instrumente. Sie zeigten Unsinniges an, also schaute sie hinüber zu Renard und sah, wie er mühsam den Kopf schüttelte.»Was ist passiert?«stieß er hervor.

»Wir sind im Feld gepackt und mitgerissen worden«, erklärte Mavra mit größerer Sicherheit, als sie empfand. Sie blickte wieder auf die Instrumente, dann tippte sie einen unbestimmten Suchbefehl ein. Der Bildschirm flackerte, blieb aber leer. Schließlich schaltete sie ab.

»Jetzt sitzen wir da«, sagte sie resigniert.

»Was meinen Sie?«fragte Renard.

»Ich habe gerade das Sternkarten-Ortungsgerät eingeschaltet. In dem kleinen Chip sind sämtliche bekannten Sternanordnungen aus jedem Winkel gespeichert. Es gibt Milliarden Kombinationen. Er ist sie alle durchgegangen — ohne etwas anzuzeigen. Wir sind in keinem Sektor des bekannten Weltraums.«

»Und was tun wir jetzt?«fragte er angstvoll.

Mavra betätigte eine Reihe von Schaltern und zog einen langen Hebel zu sich heran. Das Heulen und die Vibration des Schiffes ließen nach.

»Zuerst sehen wir uns an, wie die Gegend aussieht, dann entscheiden wir, wohin wir dort wollen«, sagte sie sachlich.

Sie tastete neue Befehle ein, und der Hauptschirm vor ihnen, der gewöhnlich ein simuliertes Sternfeld zeigte, präsentierte etwas ganz anderes. Da waren Sterne — viel mehr Sterne, als einer von ihnen je zuvor gesehen hatte. Sie standen so eng beieinander, daß es aussah, als wäre das Firmament in weißglühendem Feuer aufgegangen. Es bedurfte mehrerer Filter, um Trennschärfe zu erzielen, und auch das nützte nicht viel. Daneben gab es riesige Wolken aus Raumgas, blutrot und gelb leuchtend, und es gab Umrisse und Formen, die noch nie jemand gesehen hatte, auch nicht auf astronomischen Aufnahmen.

»Wir sind ganz eindeutig in einer fremden Gegend«, sagte Mavra trocken, setzte die Geschwindigkeit weiter herunter und begann das Raumschiff zu wenden.»Wir sind fast im Stillstand«, sagte sie zu ihm.»Ich werde uns eine Panoramaübersicht geben.«

Die riesigen Sternwolken und fremdartigen Formen schrumpften nicht; sie waren umgeben davon. Ein kleines, grünes Gitter links von Mavra war fast leer und zeigte an, daß innerhalb eines Lichtjahres sich nichts in ihrer Nähe befand. Dann tauchte plötzlich eine Reihe kleiner Punkte auf.

»Da, Treligs Roboterstationen«, sagte sie.»Alles andere sind Überreste vom Rest des zersprengten Systems. Die ganze Umgebung scheint mitgekommen zu sein. Wenn das zutrifft — ja, sehen Sie? Der große Punkt dort, mit dem etwas kleineren nahebei. Das ist Neu-Pompeii mit dem vorgesehenen Ziel.«

»Aber was ist das große Objekt rechts davon?«fragte Renard.

»Ein Planet. Dem Anschein nach der einzige Planet des Systems. Seltsam, daß es das ganze Sonnensystem mitgerissen hat, aber nicht den Stern. Dieser Stern ist entschieden größer und älter.«

»Es bewegt sich«, sagte Renard, wider Willen fasziniert.»Neu-Pompeii bewegt sich.«

Mavra studierte den Planetoiden, tastete Anweisungen ein und erhielt die Daten.

»Er befindet sich in einer Umlaufbahn um den Planeten, ist zu seinem Satelliten geworden. Sehen wir uns das genau an.«Wieder drückte sie auf Knöpfe, und der große Planet rückte auf dem grünen Schirm näher.

»Nicht sehr groß«, meinte Mavra.»Augenblick… ungefähr Durchschnitt, würde ich sagen. Etwas mehr als vierzigtausend Kilometer Umfang. Hmmm… das ist interessant!«

»Was denn?«

»Der Durchmesser ist von Pol zu Pol genau gleich«, erwiderte sie betroffen.»Das ist fast ausgeschlossen. Das verdammte Ding ist exakt kugelförmig, kein Meter Abweichung!«

»Ich dachte, die meisten Planeten sind rund«, meinte er verwirrt.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, es hat nie einen ganz runden gegeben. Rotation, Kreislauf, alles fordert seinen Tribut. Planeten wölben sich oder werden birnenförmig, es gibt alle möglichen Formen. Ungefähr rund, ha — aber dieses Ding ist vollkommen rund, so, als hätte«- sie verstummte für einen Augenblick —,»als hätte jemand es — gebaut«, schloß sie staunend. Bevor Renard etwas erwidern konnte, lenkte sie das Schiff auf den fremden Planeten zu.

»Sie wollen hin?«fragte er.

Mavra nickte.

»Wenn wir es überstanden haben, dann die Leute auf Neu-Pompeii auch«, sagte sie.»Das heißt, daß da hinten irgendwo ein wutentbrannter, wahrscheinlich mordlustiger Antor Trelig ist, zusammen mit einer Menge zu Tode erschrockener Leute. Wenn er noch alles unter seiner Gewalt hat, wäre es für uns drei besser, dieses Schiff zu sprengen, als zu landen. Wenn nicht, würden wir in eine menschliche Hölle treten.«

Renards Miene war ausdruckslos. Mavra, mit der Steuerung beschäftigt, beachtete ihn kaum. Der Planet hatte jetzt die Größe einer Apfelsine. Das grüne Gitter ließ erkennen, daß Neu-Pompeii im Begriff stand, dahinter zu verschwinden.

»Es hat eine senkrechte Achse!«sagte sie erregt.»Der Planet ist wirklich von jemandem gebaut worden!«Sie sah Renard an.»Was ist los mit Ihnen?«

Er befeuchtete die Lippen und starrte vor sich hin.

»Der Schwamm«, sagte er dumpf.»Er kommt jeden Tag um achtzehn Uhr mit einem Lieferschiff. Ihr Schiff ist nicht mitgekommen, also das andere auch nicht, wenn es überhaupt schon in der Nähe war.«Er sah sie angstvoll an.»Heute gibt es keinen Schwamm. Es wird nie wieder Schwamm geben. Nicht für mich, nicht für sie

Mavra begriff plötzlich, was durch seinen Kopf ging, und Nikki würde dasselbe durchmachen. Sie hatten sie hinten festgeschnallt und fast vergessen.

»Dann bleibt als einzige Hoffnung, daß auf dieser Welt jemand lebt, der ein gutes Chemielabor hat«, sagte sie nach einer Pause.

Renard lächelte schwach.

»Nett von Ihnen, aber selbst wenn das der Fall wäre — bis wir uns mit den Leuten in Verbindung setzen und eine Möglichkeit finden, mit ihnen zu reden, ihnen das Problem zu erklären und etwas von ihnen zusammenmixen zu lassen, haben Sie zwei nackte Affen vor sich.«

»Was bleibt sonst?«sagte sie achselzuckend. Plötzlich fiel ihr etwas ein.»Ich frage mich, ob die Aufseher auf Neu-Pompeii schon dahintergekommen sind. Was werden sie tun, wenn die Lieferung nicht um achtzehn Uhr kommt und ihre Angst immer größer wird?«

»Wahrscheinlich das, was ich auch tun würde. Trelig suchen und die letzte Befriedigung darin finden, ihn zu Tode zu foltern.«

»Der Computer!«sagte Mavra erregt.»Er kann die Sucht heilen! Wenn wir auf irgendeine Weise mit ihm in Verbindung treten können —«Sie begann verzweifelt alle Frequenzen abzusuchen, ein Rufzeichen einzutasten, das Obie erkennen würde, wenn er es hörte.

Es knisterte und krachte im Funkgerät. Mehrmals glaubten sie Stimmen zu hören, aber es waren fremdartige Sprachen, oder die Stimmen klangen so unmenschlich, daß es ihnen kalt über den Rücken lief.

Dann meldete sich plötzlich eine vertraute Stimme.

»Tja, Mavra, ich sehe, Sie haben es nicht geschafft«, sagte Obie seufzend.

Mavra seufzte ebenfalls.

»Obie!«rief sie.»Obie, wie sieht es da unten aus?«

Es blieb einen Augenblick still, dann erwiderte der Computer:»Schlimm. Dr. Zinder hat sich als erster erholt und mit mir in Verbindung gesetzt, und ich erhielt einige seiner Anweisungen, bevor Ben ihn wegriß. Zwei von den Aufsehern waren dabei, und sie hörten, wie ich zu Dr. Zinder sagte, daß wir in einem ganz anderen Bereich des Weltraumes sind. Sie begannen nach Schwamm zu schreien, und Trelig erschoß sie.«

»Sie sind also schon dahintergekommen«, erklärte sie.»Was ist auf der Oberfläche?«

»Trelig sagte sich, daß sie hinaufgehen und versuchen mußten, die anderen Aufseher unter Kontrolle zu halten. Sie hätten ihn hier unten in der Falle gehabt. Er hofft, daß er ihre Behandlung durch mich zur Heilung der Sucht für die Verhandlungen einsetzen kann, aber ich schätze nicht, daß er viel Erfolg haben wird. Die meisten würden einfach nicht glauben, daß er sie heilen kann, und die übrigen wären noch aufgebrachter, weil es eine solche Heilung gibt und sie nicht angewendet worden ist. Ich bin überzeugt davon, daß sie nur so lange mitmachen, bis die Heilung stattgefunden hat, um ihn dann doch umzubringen.«

»Und wenn du dir das ausrechnen kannst, kann Trelig es auch«, meinte Mavra.»Eine Heilung bringt ihm nichts. Obie, gibt es irgendeine Möglichkeit, daß wir zu dir hineinkönnten? Da ist Nikki — und einer der Aufseher, ein Verbündeter namens Renard.«

Obie seufzte wieder. Es war sonderbar, eine so menschliche Stimme und Reaktion von einer Maschine zu hören, aber Obie war viel mehr als eine Maschine.

»Ich fürchte, nein, jedenfalls nicht im Augenblick. Der große Spiegel ist im Kontakt mit dem Schacht erstarrt — dem gigantischen Markovier-Computer, der die Welt dort unten betreibt. Ich kann ihn im Augenblick nicht beeinflussen. Es kann eine Weile dauern — Tage, Wochen, sogar Jahre —, bis ich einen Weg finde, mich loszumachen, wenn es überhaupt einen gibt. Und was den kleinen Spiegel angeht — Trelig ist kein Dummkopf. Er ist gegangen, aber zuerst hat er Abwehrmechanismen in Betrieb genommen, auf die ich keinen Einfluß habe. Wenn ich den großen Spiegel hätte, könnte ich sie ausschalten, aber das ist nicht der Fall. Jeder, der versucht, in den kleinen Raum zu gelangen, muß zuerst über die Brücke im Schacht. Die Brücke wird den Tod bedeuten, wenn Treligs Code nicht genannt wird, und den kenne ich nicht.«

»Kannst du dann verhindern, daß jemand anderer alles zerstört?«

»Ich denke schon. Ich muß Strom durch die Schachtwände leiten. Das sollte jeden daran hindern, auf die Brücke zu treten.«

»Gut, Obie, ich muß wohl hin und Treligs edlen Hals retten«, sagte sie und schaltete auf Schub. Der neue Mond, der Neu-Pompeii geworden war, befand sich hinter dem fremden Planeten, und sie gab einen Abfangvektor ein.

»Warte! Nicht!«rief Obies Stimme.»Abbrechen! Sie müssen unter Neu-Pompeii hereinkommen, wenn Sie die Oberseite erreichen wollen, und dabei geraten Sie zu nahe an die Schachtwelt heran.«

Aber es war zu spät. Das Raumschiff flog bereits auf den Planeten zu, spürte die Zugkraft und benützte sie, um auf die andere Seite herumzufegen.

Hier bot sich ein unfaßbarer Anblick. Die Welt schimmerte aus der Nähe wie ein Traumgebilde und glich trotzdem einem riesigen, fremdartigen Juwel. Sie war auf irgendeine Weise facettiert; zahllose sechseckige Facetten irgendeiner Art, und unter dem, was die Facettierung hervorrief, die Andeutung von weiten Meeren, Gebirgen und grünen Flächen, über denen Wolken dahinfegten. Das heißt, so sah es unterhalb des Äquators aus. Der Äquator selbst wirkte seltsam, wie für den Globus eines Kindes entworfen. Ein dicker Streifen, halb durchsichtig, aber mit Bernsteinfärbung, zog sich wie ein breites Plastikband um die Welt. Der Norden — auch er zeigte sechseckige Facetten, aber die Landschaften dort enthielten nichts Vertrautes; er war unheimlich, öde, fremdartig. Auch die Pole sahen sonderbar aus — weite Flächen, doch von nichtspiegelnder Dunkelheit, beinahe so, als gäbe es sie gar nicht.

Der Anblick bannte sie fest. Und Schub und Brennschluß waren vorher eingegeben worden. Um wegzukommen, würde Mavra ohnehin tangential zum Äquator herumfliegen müssen.

»Zu spät! Zu spät!«klagte Obie.»Schnell! Alle rasch in die Rettungskapseln!«

Mavra war verwirrt. Alles schien normal zu sein, und plötzlich sah sie Neu-Pompeii, halb grün und glänzend, halb mit dem großen Spiegel überzogen.

»Tun wir lieber, was er sagt«, meinte Renard hastig.»Wo ist das Rettungsboot? Ich hole Nikki.«

»Bringen Sie sie her«, sagte Mavra.»Wenn etwas schiefgeht, dichtet sich die Brücke ab.«

Als Renard nach hinten eilte, schwebte das kleine Schiff auf Neu-Pompeii zu, und Mavra konnte keine Gefahr erkennen.

»Verdammt, mir fehlt nichts!«hörte sie Nikki schreien. Sie drehte sich um, als das Mädchen zornig hereinkam, gefolgt von Renard.

»Ihr Vater ist am Leben, Nikki«, sagte Mavra.»Ich stehe in Verbindung mit Obie. Vielleicht —«

In diesem Augenblick erzitterte das Schiff, und die ganze Elektronik, einschließlich der Beleuchtung, flackerte und erlosch.

»Was ist denn?«Mavra betätigte verzweifelt Schalter und Tastaturen. Die Brücke war stockdunkel, man hörte kein Motorengeräusch, kein Summen. Selbst Notbeleuchtung und Sicherheitssteuerung waren ausgefallen, obwohl das gar nicht sein konnte.

»Renard!«rief sie.»Setzen Sie Nikki in Ihren Sessel, und Sie kommen mit in meinen! Ich glaube, wir passen zu zweit hinein. Nikki! Anschnallen, so fest es geht!«

»Wa — was ist denn?«rief das Mädchen.

»Tun Sie, was ich sage! Schnell! Aus irgendeinem Grund ist alles ausgefallen, sogar die Notsteuerung! Wir sind zu nah am Planeten! Wenn wir keinen Strom bekommen —«

Sie hörte, wie Nikki in den Sessel stolperte. Sie spürte Renards Hand an ihrem Gesicht. Ihre eigenen Augen, von Obie verändert, nahmen im Infrarotbereich die beiden wahr. Sonst gab es auf der Brücke keine Wärmequelle.

Sie riß Renard zu sich in den Sessel. Es war sehr eng und funktionierte nicht ganz. Der verdammte Schweif! dachte sie wütend.

»Ich muß auf Ihrem Schoß sitzen«, sagte sie.

»Au!«schrie er.»Ein bißchen weiter herunter! Der Schwanzknochen drückt auf meine empfindliche Stelle!«

Sie schob sich ein wenig hinunter, er zog mit Mühe die Gurte über sie, dann legte er die Arme um ihren Körper.

Plötzlich schaltete sich alles wieder ein.

Der Bildschirm zeigte, daß sie während des Ausfalls enorm an Höhe verloren hatten. Sie konnten vor sich ein Meer sehen, dahinter Berge.

»Wir sind jedenfalls über den Äquator in den Süden gekommen«, stieß Mavra hervor.»Ich will sehen, ob ich uns von hier fortbekommen kann.«

Sie wollte die Gurte öffnen, als plötzlich der Schirm zeigte, daß sie das Meer überflogen hatten, und bevor sie sich umsah, war alles wieder dunkel.

»Verdammt!«fluchte sie.»Wenn ich nur wüßte, was, zum Teufel, hier vorgeht!«

»Wir stürzen ab, nicht wahr?«fragte Nikki resigniert.

»Sieht so aus«, antwortete Mavra.»Wir beginnen gleich mit der Auflösung, wenn nicht wieder alles funktioniert.«

»Auflösung?«fragte Renard.

»Es gibt drei Systeme in diesen Schiffen«, erklärte Mavra.»Zwei elektrische, ein mechanisches. Ich hoffe, das mechanische funktioniert, weil wir keinen Strom haben. Bei zwei von den Systemen, das mechanische eingeschlossen, löst das Schiff sich in Kapseln auf. Durch die Mechanik werden dreißig Sekunden nach der Trennung Fallschirme ausgelöst, und durch den Luftwiderstand wird der Hauptschirm herausgerissen. Es wird ungemütlich werden.«

»Müssen wir sterben?«hörte sie Nikki fragen.

»Ist vielleicht besser so«, murmelte Renard vor sich hin.

Mavra begriff, was er meinte. Es würde gewiß schneller gehen als mit Schwamm.

»Hoffentlich nicht«, sagte sie.»Wenn es im Weltraum einen völligen Ausfall gäbe, würden wir die Luft verbrauchen. Aber hier unten — ich weiß nicht. Wenn wir die Luft atmen können und die Landung überleben und die Fallschirme aufgehen, sollten wir es schaffen.«

Sehr viele Wenns, dachte sie. Vermutlich zu viele.

Das Schiff schwankte, und überall krachte und ratterte es. Die Trennung hatte stattgefunden.

»Tja«, sagte sie seufzend.»Wir können jetzt ohnehin nichts mehr tun. Selbst wenn der Strom wiederkäme — wir haben keinen Antrieb mehr.«

Schnell hintereinander gab es scharfe, unregelmäßige Rucke. Renard stöhnte. Dann ruckte die Brücke so heftig, daß ihnen schwindlig wurde.

»Die Fallschirme«, sagte Mavra.»Sie sind aufgegangen. Wir haben draußen Luft.«

Nun kam eine schwindelnde, schwankende, polternde Fahrt durch völlige Dunkelheit. Nach einigen Minuten wurde ihnen übel. Nikki begann sich gerade zu beklagen, als ein gewaltiger Ruck die Brücke erschütterte.

»Hauptschirm«, sagte Mavra seufzend.»Festhalten. Jetzt geht es erst richtig los.«

Und so war es. Es kam ihnen vor, als wären sie an eine Ziegelwand geschleudert worden, sie schienen sich zu überschlagen und mit dem Kopf nach unten zu hängen.

»Ganz vorsichtig!«warnte Mavra.»Wir liegen auf der Decke. Die Schwerkraft fühlt sich an, als wäre es 1g — ungefähr richtig für einen Planeten dieser Größe. Nikki, alles in Ordnung?«

»Ich fühle mich scheußlich«, klagte das Mädchen.»Mein Gott! Ich glaube, ich blute. Es kommt mir vor, als wären sämtliche Knochen gebrochen.«

»Bei mir doppelt«, ächzte Renard.»Und Sie?«

»Ich habe Brandwunden von den Gurten«, sagte Mavra.»So kommt es mir jedenfalls vor. Noch zu früh, um genau zu beurteilen, was alles passiert ist. Im Augenblick ist es der Schock. Zuerst wollen wir einmal herunter, dann können wir uns um die Verletzungen kümmern. Nikki, Sie bleiben, wo Sie sind! Wir holen Sie gleich herunter.«

Sie spürte, wie die Gurte sie festhielten. An der Schnalle waren nur noch einige Zentimeter zu fühlen. Noch ein Ruck, und wir fallen hinaus, dachte sie.

»Renard!«sagte sie.»Hören Sie, ich kann in dieser Dunkelheit sehen, aber Sie nicht, und ich kann nicht hinunter, ohne daß Sie abstürzen. Trachten Sie, daß Sie sich am Stuhl festhalten können, wenn ich die Gurte öffne. Es sind ungefähr vier Meter, aber er ist glatt und rund. Dann hole ich Sie auf den Boden herunter.«

Sie führte seine Arme, und er hielt sich fest, aber er saß verkehrt, um richtig zupacken zu können.

»Vielleicht hätte ich es vor Jahren gekonnt«, sagte er zweifelnd.»Ich habe nicht mehr genug Kraft.«

»Versuchen Sie sich hinauszuschwingen, und springen Sie, wenn Sie müssen«, sagte sie.»Also… los!«

Sie drückte auf den Knopf, und das Gurtnetz fiel herunter. Sie ließ sich sofort auf den Boden fallen und überschlug sich. Renard schrie auf, dann ließ er los und stürzte Hals über Kopf herab. Sie ging zu ihm, untersuchte ihn, betastete seine Gliedmaßen.

»Ich glaube nicht, daß etwas gebrochen ist«, sagte sie.»Kommen Sie! Ich weiß, alles tut Ihnen weh, aber ich brauche Sie, um Nikki herunterzuholen.«

Er hatte sich den Knöchel verrenkt und konnte kaum stehen, biß aber die Zähne zusammen. Vorsichtig schob er sich unter Nikki und konnte sie berühren.

Er war nicht stark genug, sie aufzufangen, aber er milderte ihren Sturz ein wenig, und sie landete auf ihrem Hinterteil. Es war schmerzhaft, und sie stöhnte, aber auch sie hatte sich nichts gebrochen.

Renard atmete tief ein und rieb sich mit schmerzenden Armen die schmerzenden Beine.

»Nur aus Neugier, Mavra, wie oft haben Sie schon eine solche Landung gemacht?«stieß er hervor.

»Noch nie«, erwiderte sie leise lachend.»Es heißt, diese Systeme seien zu unpraktisch. Viele Raumschiffe haben sie gar nicht mehr. Man kann sie nur ganz selten brauchen.«

»Und wie kommen wir hier heraus?«

»Es gibt oben und unten Ausstiegsluken. Das ganze Ding ist eine Luftschleuse, aber natürlich ohne Pumpe. Ihr müßt mich hochheben, damit ich die Schalter bedienen kann.«

Er stöhnte, brachte es aber zustande. Nach einigen Versuchen zischte es, und die Luke klappte herunter. Wieder vergingen lange Minuten, während Mavra versuchte, von seinen Schultern hinaufzuspringen und sich am Lukenrand festzuhalten. Endlich, als sie schon aufgeben wollte, konnte Mavra sich hochziehen und die Außenluke öffnen.

»Und wenn wir draußen nicht atmen können?«schrie Nikki hinauf.

»Dann haben wir Pech gehabt«, entgegnete Mavra. Sie wußte zwar, daß die Aussichten nicht groß waren, aber ein Meer und grüne Bäume — das gab Hoffnung.

Sie zog sich hinaus und schaute sich um.

»Riecht eher seltsam, aber ich glaube, wir leben alle noch!«rief sie hinunter.»Ich hole ein Kabel aus dem Arbeitsfach!«

Bei Nikki gab es die größten Probleme. Sie war sehr schwer und kaum beweglich, und während sie in der Dunkelheit zerrten, nachdem Renard hinaufgeklettert war, schienen seine und Nikkis Arme den Dienst versagen zu wollen. Endlich gelang es ihnen mit vereinten Kräften, das Mädchen hinauszuhieven.

Sie sanken erschöpft auf offenbar richtiges Gras, während sich die Landschaft um sie drehte. Mavra vollführte eine Reihe von Übungen zur Körperbeherrschung und vermochte einen großen Teil der Schmerzen zu verbannen, nicht aber die Erschöpfung. Sie öffnete die Augen, schaute sich nach den beiden um und sah sie schlafen.

Sie blickte am Horizont entlang. Nichts sah besonders bedrohlich aus; es war gegen Mittag, und die Umgebung glich einer stillen Waldszene, wie es sie auf Hunderten von Planeten gab. Manche Insekten waren hörbar, und sie sah verschiedene ganz normal aussehende Vögel hoch oben am Himmel schweben, aber sonst war kaum etwas wahrzunehmen.

Sie blickte wieder auf ihre bewußtlosen Begleiter und seufzte. Einer mußte trotzdem wach bleiben.

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