Ein anderer Teil des Geländes

Es schien, als wären sie seit einer Ewigkeit unterwegs; sie rasteten oft — ihre Bewacher schienen zu begreifen, daß sie mehr Sauerstoff brauchten, als die Atmosphäre jetzt zu bieten hatte —, aber es gab kein Gespräch. Ein paar Brummlaute und Gesten, nichts sonst.

Sie waren aber auf keinem Weg mehr, den Tael kannte. Manchmal wurde die Fährte so undeutlich, daß sich selbst die riesengroßen Gedemondas nicht mehr zurechtzufinden schienen, aber das täuschte.

Doma, die Mavra und Renard trug, wurde von Tael geführt, auf der die beiden Lata saßen. Voraus gingen vier der riesigen Schneewesen, hinter ihnen noch einmal vier andere. Hier und dort sah man ihre Genossen, manchmal eine große Anzahl, manchmal einen oder zwei, deren Wege sich kreuzten, Mavra war immer noch nicht sicher, was sie waren. Sie erinnerten sie eigentlich an gar nichts. Rundum waren sie schneeweiß, zeigten nichts von dem Schmutz, den derart dichtes Haar gewöhnlich aufweist. Groß — Tael war über zwei Meter groß, und sie überragten sie fast um einen Kopf — und sehr schlank. Humanoid, aber ihre Gesichter wirkten hundeähnlich, schneeweiß mit langen, sehr schmalen Schnauzen und schwarzer Nase. Die Augen waren zurückgesetzt, groß, sahen aber sehr menschlich aus und waren von leuchtendem Hellblau. Ihre Hände und Füße bildeten geschlossene, große, runde Platten, Handflächen und Sohlen waren aus einem festen, weißen, pfotenartigen Stoff. Aber wenn sie die Finger spreizten, ihre langen, dünnen Finger, hatten sie drei und einen Daumen, obschon ihre Hände fast ohne Knochen zu sein schienen. Sie konnten sie in jeder Richtung biegen, auch die ganze Hand, als wäre sie aus einer Art Kitt. Finger und Zehen besaßen lange, rosige Krallen, die das einzige — außer der Nase — waren, was nicht weiß an ihnen war. Selbst das Innere ihrer flachen, großen Ohren war auch weiß.

Sie verwischten die Spuren auf sehr einfache Weise. Sie trugen fließende weiße Umhänge aus irgendeinem Tierfell und schleppten sie beim Gehen hinter sich her, so daß der leichte Pulverschnee schnell wieder geglättet wurde. Sie versanken bei weitem nicht so tief im Schnee, wie man nach ihrem Gewicht hätte vermuten mögen; die Plattensohlen wirkten wie Schneeschuhe.

Spuren spielten hier keine Rolle; sie wußten, daß sie in den Mittelpunkt des Lebens von Gedemondas geführt wurden, was immer das sein mochte.

Das war der Teil, der allen Besuchern verborgen blieb, den sie nie zeigten.

Und das wunderte sie. Warum gerade sie? Wußten die Gedemondas, daß sie kamen? Wollte man ihnen helfen? Oder waren sie Gefangene, die man befragten wollte, bevor man sie über eine Felswand warf? Es gab keine Antworten, es wurde nur marschiert.

Gelegentlich schnellten die großen Schneewesen einfach aus dem Boden herauf. Das beunruhigte sie zunächst, bis sie begriffen, daß es im Schnee Falltüren geben mußte — ob über Eishöhlen, natürlichen oder ausgeschachteten, oder Felshöhlen oder sogar künstlichen Bauwerken, die mit Schnee bedeckt waren, wußten sie nicht. Es war aber klar, daß man die Bevölkerung deshalb nicht sah, weil sie unter der Schneedecke lebte.

Die Nacht kam und stürzte diese Winterwelt in eine unheimlich leuchtende Dunkelheit. Der Nachthimmel der Sechseckwelt spiegelte sich auf den Schneehängen wider. Neu-Pompeii war nicht sichtbar, aber der Asteroid mochte noch nicht aufgegangen sein oder sich hinter den hohen Bergen verstecken.

Sie hatten keine Zeit gehabt, Vorräte mitzunehmen. Die Gedemondas waren sanft, aber unnachgiebig gewesen. Als sie protestiert hatten, waren sie einfach aufgehoben und auf die Wesen gesetzt worden, von denen sie am leichtesten getragen werden konnten: Tael und Doma.

Zu hungern brauchten sie trotzdem nicht. Als es dunkel wurde, führte man sie in eine große Höhle, die sie dort nie vermutet hätten, und andere Gedemondas brachten bekannte Früchte und Gemüse auf großen Holztellern und einen Fruchtpunsch, der sehr gut schmeckte.

Sie schienen sogar auf Mavras Probleme einzugehen. Ihr Teller war dicker und höher, damit sie leichter an das Essen kam, die Punschschüssel war tief, damit sie mühelos zu trinken vermochte.

Renard hatte auf Mavras Vorschlag hin seine elektrischen Kräfte nicht angewendet; sie waren schließlich hier, um Verbindung mit den Gedemondas aufzunehmen, und das war gelungen. Er griff dann aber doch nach einem Apfel und ließ eine leichte Ladung hineinströmen, so daß er gebacken wurde.

Die Gedemondas schienen nicht beeindruckt zu sein. Schließlich kam einer von ihnen heran und kauerte auf der anderen Seite des Tellers nieder. Eine Klauenhand berührte ihn. Es gab einen grellen Blitz, der nur für Sekundenbruchteile anhielt, dann waren Teller und Frucht einfach verschwunden. Renard war fassungslos; er betastete die Stelle. Sie war nicht einmal warm, aber es gab keine Sengspuren, nichts, es roch nur ein wenig nach Ozon. Das Schneewesen schnaubte befriedigt, tätschelte ihm herablassend den Kopf und entfernte sich.

Damit waren die Demonstrationen der Stärke beendet.

Sie waren völlig erschöpft und froren, aber sie verbrachten die Nacht nicht in der Höhle. Sie mußten zwar nicht laufen, aber es war unverkennbar, daß die Gedemondas einen Zeitplan einhalten wollten.

Es dauerte mehrere Stunden, bis sie ihr Ziel erreichten, und inzwischen klagte Tael, daß sie keinen Schritt mehr weitergehen könne.

Es war eine massive Felswand, die in der fast völligen Dunkelheit drohend aufragte. Sie gingen darauf zu und rechneten jeden Augenblick damit, daß sie abbiegen würden, aber das war nicht der Fall. Statt dessen öffnete sich die Wand vor ihnen.

Um genau zu sein: Ein riesiger Steinblock drehte sich langsam, offenbar von einem Flaschenzug bewegt, und in die Dunkelheit strömte helles Licht heraus. Sie traten in den Tunnel.

Das Licht stammte von einem schimmernden Mineral, das Fackelschein auffing und hundertfach verstärkt zurückwarf. Im Inneren war es taghell.

Das Innere des Berges war ein Labyrinth von Gängen, und sie fanden sich nach wenigen Schritten nicht mehr zurecht. Es war jedoch warm, angenehm warm sogar, die Wärme stammte aus einer Quelle, die sie nie entdeckten, und man hörte sonderbare Geräusche von Arbeitsvorgängen, aber was vorging, konnte man nicht erkennen.

Endlich langten sie am Ziel an. Es war ein behaglicher, großer Raum mit mehreren großen Betten, die gefüllt waren mit weichen Stoffpolstern, und einem großen Fellteppich, der für Mavra ideal war. Es gab nur einen Eingang, an dem zwei Gedemondas standen.

Sie waren zu müde, um sich zu unterhalten oder sich Sorgen zu machen. Nach wenigen Minuten schliefen sie fest.

Am nächsten Tag erwachten sie und fühlten sich viel besser, auch wenn sie sich immer noch wie gerädert vorkamen. Gedemondas brachten frisches Obst, ein anderes Getränk und sogar einen Ballen Heu für Tael und Doma. Wo es herkam, war kein Rätsel; es war eine Ration von einer der Schutzhütten.

Mavra reckte sich und stöhnte.

»Ah«, sagte sie.»Ich muß geschlafen haben wie ein Stein. Ich bin völlig steif.«

»Ich fühle mich auch nicht hervorragend«, erklärte Renard.

»Zuviel geschlafen. Aber wir haben uns alle erholt.«

Die Lata, die stets regungslos auf dem Bauch schliefen, hatten ihre eigenen Klagen, und Tael sagte, ihr Nacken sei steif. Selbst Doma schnob und bewegte die Flügel.

Die Gedemondas hatten das Frühstück abgeräumt; nun war nur noch einer von ihnen im Zimmer und sah sie prüfend an.

»Wenn sie nur etwas sagen würden«, murmelte Vistaru.

»Die meisten Leute sprechen zuviel über Unwichtiges«, meinte der Gedemondas mit kultivierter Stimme.»Wir ziehen vor, es nicht zu tun, bis wir wirklich etwas zu sagen haben.«

Sie fielen beinahe in Ohnmacht.

»Ihr könnt sprechen!«entfuhr es Hosuru, dann sagte sie hastig:»Das heißt, wir haben uns gefragt…«

Der Gedemondas nickte und sah Mavra an, die noch auf dem Fell lag.

»Sie sind also Mavra Tschang. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, wie Sie wohl aussehen.«

Sie war verblüfft.

»Sie kennen mich? Nun, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Tut mir leid, daß ich Ihnen meine Hand nicht geben kann.«

»Von Ihrem Problem wußten wir«, sagte er achselzuckend.»Gekannt haben wir Sie nicht. Wir waren uns Ihrer bewußt. Das ist etwas anderes.«

Sie akzeptierte es. Es gab viele Möglichkeiten, sich auf der Sechseckwelt Informationen zu beschaffen.

»Warum habt ihr nie mit uns gesprochen?«fragte Tael.»Ich meine, wir dachten, ihr seid Tiere oder so etwas.«

Der Gedemondas blieb ungerührt.

»Es ist nicht schwer zu erklären. Wir arbeiten hart an unserem Image. Es ist notwendig.«Er setzte sich auf den Boden.»Am besten läßt es sich erklären, wenn ich von unserer Geschichte berichte. Ihr kennt alle die Markovier?«Das war nicht das Wort, das er gebrauchte, aber er benützte einen Übersetzer, und so kam es heraus.

Sie nickten.

»Die Markovier haben sich entwickelt, wie alle Pflanzen und Tiere es tun, vom Primitiven zum Komplexen. Die meisten Rassen geraten irgendwann in eine Sackgasse, aber nicht sie. Sie erreichten den Gipfel materieller Leistungsfähigkeit. Alles, was sie sich wünschten, gehörte ihnen. Wie die legendären Götter hatten sie keine Grenzen. Aber das genügte nicht. Als sie alles hatten, begriffen sie, daß das Ende Stagnation war, die letzte Folge jedes materiellen Utopia, wie einem der gesunde Menschenverstand sagen muß.«

Sie nickten wieder.

»So schufen sie die Sechseckwelt und verwandelten sich in neue Rassen und setzten ihre Kinder auf neue Welten, die sie entworfen hatten. Der Schacht ist mehr als der Wartungscomputer für diese Welt; er ist der eine stabilisierende Faktor für das endliche Universum«, fuhr das Schneewesen fort.»Und warum begingen sie Rassenselbstmord, um wieder zum primitiven Zustand zurückzukehren? Weil sie sich auf irgendeine Weise betrogen fühlten. Und die Tragödie war, daß sie nicht wußten, was ihnen entgangen war, irgendwo auf ihrem Weg. Sie hofften, daß eine unserer Rassen es erfahren könnte. Das war das eigentliche Ziel des Projekts, das immer noch im Gange ist.«

»Für mich war das unsinnig«, meinte Mavra.»Wenn ihnen nun gar nichts entgangen war? Wenn das alles war, was es gab?«

»In diesem Fall stellen die kriegführenden Parteien unter uns den Höhepunkt des Erreichbaren dar«, sagte der Gedemondas achselzuckend,»und wenn die Stärksten das Universum unterwerfen — ich spreche natürlich bildlich, denn sie sind bloße Reflexionen der Rassen des Universums —, haben wir die Markovier wieder von neuem.«

»Aber nicht die Gedemondas?«sagte Vistaru.

Er schüttelte den Kopf.

»Wir haben einen anderen Weg eingeschlagen. Während die anderen sich dem Materiellen zuwandten, beschlossen wir, die Herausforderung eines nichttechnologischen Hexagons als das anzunehmen, was sie war — und nicht durch Einfallsreichtum zu versuchen, es so technologisch wie möglich zu machen. Was die Natur bot, akzeptierten wir. Heiße Quellen ließen in diesen auf einzigartige Weise beleuchteten Höhlen, die durch das ganze Sechseck verlaufen, Bodenbestellung zu. Wir hatten Nahrung, Wärme, Unterkunft, und wir waren für uns. Wir wandten uns nicht nach außen, sondern nach innen, zum Kern unseres Wesens, zu unseren Seelen, wenn Sie so wollen, und erforschten, was wir dort fanden. Es gab dort Dinge, die nie auch nur zu erträumen sich jemand die Zeit genommen hatte. Ein paar Hexagons im Norden verfahren ähnlich, aber die meisten nicht. Wir haben das Gefühl, daß die Markovier uns dazu geschaffen haben, und die wenigen anderen, die dasselbe tun, auch. Wir suchen nach dem, was ihnen entgangen ist.«

»Und habt ihr es gefunden?«fragte Mavra ein wenig zynisch. Auch Mystiker lagen ihr nicht.

»Nach einer Million Jahren sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir erkennen, daß wirklich etwas gefehlt hat«, erwiderte der Gedemondas.»Was es ist, wird weiteres Studium und Vervollkommnung erfordern. Im Gegensatz zu jenen von euren Welten haben wir es nicht eilig.«

»Ihr habt Macht gefunden«, sagte Renard.»Der Teller ist einfach verschwunden, aufgelöst worden.«

Das Schneewesen lachte leise, aber mit einer gewissen Traurigkeit.

»Macht? Ja, vielleicht. Aber die wahre Probe ungeheurer Macht ist die Fähigkeit, sie nicht anzuwenden«, sagte er rätselhaft. Er sah zu Mavra hinüber und deutete mit dem Finger auf sie.»Was auch geschehen mag, Mavra Tschang, denken Sie daran!«

Sie sah ihn verwirrt an.

»Sie glauben, ich werde große Macht bekommen?«antwortete sie skeptisch und ein wenig spöttisch.

»Zuerst müssen Sie in die Hölle hinabsteigen. Erst dann, wenn die Hoffnung zunichte ist, werden Sie erhoben und auf den Gipfel erreichbarer Macht gesetzt, aber ob Sie weise genug sein werden oder nicht, zu wissen, was Sie damit tun und nicht tun sollen, ist uns verborgen.«

»Woher wissen Sie das alles?«fragte Vistaru scharf.»Ist das nur mystisches Geraune oder kennen Sie die Zukunft wirklich?«

Der Gedemondas lachte wieder leise.

»Nein, wir lesen Wahrscheinlichkeiten. Wissen Sie, wir sehen — erkennen ist ein besseres Wort — die Mathematik des Schachts der Seelen. Wir fühlen den Energiefluß, die Bindungen und Zusammenhänge in jedem Partikel von Materie und Energie. Alle Wirklichkeit ist mathematisch, alle Existenz in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besteht aus Gleichungen.«

»Dann können Sie also voraussagen, was geschehen wird«, warf Renard ein.»Wenn Sie die Mathematik sehen, können Sie die Gleichungen lösen.«

Der Gedemondas seufzte.

»Was ist die Quadratwurzel von minus zwei?«fragte er.»Das ist etwas, das Sie sehen können. Lösen Sie die Aufgabe!«

Das Argument wurde so einfach wie möglich dargestellt.

»Aber das erklärt nicht, warum Sie so tun, als wären Sie primitive Schneeaffen«, sagte Tael beharrlich.

Der Gedemondas sah sie an.

»Uns in die materiellen Gleichungen zu verstricken, hieße, das zu verlieren, was wir für den größeren Wert halten. Es ist eigentlich zu spät dafür, daß irgendeine Ihrer Kulturen das begreift; ihr seid auf dem Weg der Markovier zu weit fortgeschritten.«

»Aber Sie haben uns gegenüber Ihre Rolle abgelegt«, erklärte Hosuru.»Warum?«

»Der Krieg und die Antriebskapsel, versteht sich«, erwiderte Vistaru.

Doch der Gedemondas schüttelte den Kopf.

»Nein. Es geschah, um einer Person unter ihnen zu begegnen und mit ihr zu sprechen, zu versuchen, die Kompliziertheit ihrer Gleichung zu verstehen und ihren Sinn und die mögliche Lösung zu erkennen.«

»Mavra?«fragte Renard verwundert.

Der andere nickte.

»Und das ist jetzt geschehen, auch wenn ich nicht weiß, was noch hinzukommen kann. Was euren albernen, dummen, kleinlichen Krieg und euer Raumschiff angeht, nun, wenn ihr zu einem kurzen Marsch fähig seid, können wir das gleich klären.«

Er stand auf. Sie folgten seinem Beispiel und gingen hinaus. Ein anderer Gedemondas ging ihnen mit ihrer Kleidung nach; in den warmen Höhlen brauchten sie sie nicht, aber es war klar, daß sie nicht in diesen Raum zurückkehren würden.

Sie mußten eine Weile an einer Wegkreuzung warten, und ihr Führer verließ sie. Kurz danach kam ein anderer Gedemondas — oder war es derselbe? —, und sie gingen weiter. Es wurde nichts gesprochen.

Später, nach einem Marsch von mehreren Stunden, wie ihnen schien, standen sie wieder vor einer Steinmauer, und man half ihnen in ihre Schutzkleidung. Ein freundlicher Gedemondas hatte einen genau passenden Pelzmantel für Mavra angefertigt, samt Beinen. Sie war verblüfft und fragte sich, wie das in einer einzigen Nacht möglich gewesen war.

Die mächtige Tür öffnete sich knarrend und gab den Blick auf eine seltsame Szene frei.

Es war ein großes Becken, darüber hing ein U-förmiges Tal, hoch angefüllt mit Schnee.

Und auf einem Sims, selbst aus dieser Entfernung unverkennbar, lag die Antriebskapsel.

Und nun begann der Führer zu sprechen. Es war eine andere Stimme, wie sie meinten, aber sie klang ebenso gütig und freundlich:»Ihr habt von Macht gesprochen. Dort drüben, gleich neben diesem kleinen Vorgebirge, stehen jetzt Ihr Ben Yulin und seine Genossen. Wir haben den Weg so verstohlen wie möglich markiert, und sie wären mehrmals beinahe davon abgekommen, aber sie haben es mit Mühe geschafft.«

Sie starrten hinüber, aber die Entfernung war zu groß.

Der Gedemondas deutete auf die andere Seite.

»Hier oben stehen Antor Trelig und seine Leute. Auch ihr Marsch ist dirigiert worden, damit sie innerhalb von Minuten zusammen mit den anderen eintrafen. Natürlich weiß keiner vom anderen.«

Das Schneewesen drehte sich herum und starrte zu der Antriebskapsel hinüber, die wie durch ein Wunder unversehrt war, noch verfangen in den Schnüren der großen Fallschirme.

»Das ist Macht«, sagte der Gedemondas und deutete auf die Kapsel.

Ein Grollen erschütterte das ganze Tal. Schnee stürzte überall herab, und die Antriebskapsel erzitterte, dann begann sie sich zu bewegen, zuerst langsam, dann schneller, vom Grat des hängenden Tals hinab.

Sie blieb einen Augenblick an der Kante hängen, dann stürzte sie unter Donnern hinunter. Aber sie stürzte nicht nur — sie schien auseinanderzubrechen, und es ertönte ein ungeheures Krachen und Brausen. Rauch und Flammen und weißglühend wirbelnde Wolken stiegen hoch. Das Ding explodierte im Fallen, und als es unten auf den Schnee prallte, setzten die Explosionen sich fort, so daß das Tal minutenlang einem kleinen Vulkan glich. Nachdem Rauch und Donner sich verzogen hatten, das letzte Echo verhallt war, sah man im Schnee nur ein zerschmolzenes, schwelendes Wrack.

Der Gedemondas nickte zufrieden.

»Und so geht der Krieg zu Ende«, sagte er mit einer Endgültigkeit, der kaum etwas entgegenzusetzen war.

»Aber wenn Sie das konnten — warum haben Sie gewartet?«fragte Vistaru staunend und erschrocken.

»Es war notwendig, daß alle Seiten Zeugen wurden«, erklärte das Wesen.»Sonst hätten sie die Wahrheit nie akzeptiert.«

»Alle die Toten…«, murmelte Renard und dachte an seine eigenen Erlebnisse.

Der Gedemondas nickte.

»Und Tausende liegen jetzt tot auf der Ebene. Vielleicht wird das in späteren Zeiten Tausenden das Leben erhalten. Der Krieg ist der größte aller Lehrer, und nicht alle seine Lektionen sind schlecht. Nur ist der Preis so entsetzlich hoch.«

»Wenn nun die Antriebskapsel nicht hier gelandet wäre, was dann?«fragte Mavra plötzlich.

»Sie mißverstehen das«, erwiderte der Gedemondas.»Sie ist hier gelandet, weil sie hier landen mußte. Sie konnte nirgendwo anders landen.«Er nickte vor sich hin.»Eine sehr einfache Gleichung«, murmelte er.

Sie standen eine Weile betäubt da, dann fragte Mavra:»Was geschieht nun? Mit uns? Mit den kriegführenden Parteien?«

»Die kriegführenden Parteien werden einpacken und heimgehen«, erwiderte der andere sachlich.

»Trelig? Yulin?«fragte Renard drängend.

»Sind zu schlau, um sich hier fangen zu lassen«, erwiderte das Wesen.»Sie werden tun, was sie immer getan haben, sich verhalten, wie sie sich immer verhalten haben, bis die Zeit kommt, ihre Gleichungen zu lösen. Sie sind sehr ineinander verwickelt, die beiden, und mit Ihnen, Renard, und Ihnen, Vistaru, und vor allem mit Ihnen, Mavra Tschang.«

Sie ging nicht darauf ein. Dieses ganze Gerede von ihrer Bedeutsamkeit war albern.

»Und wir?«fragte Mavra.»Was geschieht jetzt mit uns? Ich meine, Sie haben sich doch ziemlich bloßgestellt, nicht?«

»Macht wird am besten überlegt eingesetzt«, antwortete der Gedemondas.»Eine ganz einfache Anpassung, eigentlich. Sie sind nie von uns geholt worden. Sie sind einem alten Pfad gefolgt, der frisch benützt zu sein schien, und haben dieses Tal entdeckt. Dann sahen Sie, wie die Antriebskapsel sich selbst zerstörte, ausgelöst vielleicht durch zu viele laute Geräusche, die im Tal widerhallten. Dann gingen Sie nach Osten, hinein nach Dillia, um Bericht zu erstatten. Den geheimnisvollen Gedemondas sind Sie nie begegnet.«

»Das wird aber schwer zu vertreten sein«, meinte sie.

»Aber es ist wahr. Oder es wird wahr sein, was Ihre Begleiter angeht, sobald Sie nach Dillia kommen. Wir haben Ihre Packtaschen und Vorräte geholt und übergeben sie Ihnen, bevor Sie die Grenze überqueren.«

»Sie meinen, Sie sorgen dafür, daß wir das alles vergessen?«fragte Vistaru betroffen.

»Bei allen, nicht bei ihr«, erwiderte er und wies auf Mavra.»Aber sie wird es bald satthaben, euch davon zu überzeugen, daß es so gewesen ist.«

»Warum gerade ich?«fragte Mavra verwirrt.

»Wir wollen, daß Sie sich erinnern«, entgegnete der Gedemondas ernsthaft.»Sehen Sie, während wir uns hier in dieser Richtung entwickelt haben, ist das unseren Kindern draußen zwischen den Sternen nicht gelungen. Sie sind alle tot. Es gibt sie nicht mehr. Die Gedemondas hier lösen vielleicht eines Tages das Problem der Markovier, aber sie werden nie in der Lage sein, mit dieser Lösung etwas anzufangen.«

»Aber ich?«fragte Mavra.

»Die Quadratwurzel aus minus zwei«, erwiderte der Gedemondas.

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