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Die Tentakel des Babys krümmten sich in der Art und Weise, von der O’Mara wußte, daß dies der Auftakt zu neuem Gebrüll war. Er stemmte sich mühsam auf die Ellbogen, um erneut mit dem „Streicheln“ zu beginnen. Es war das mindeste, was er tun konnte. Obwohl er davon überzeugt war, daß das alles nutzlos war, wollte er dem Baby die Chance geben. O’Mara mußte Zeit haben, um seine Behandlung ohne Unterbrechung fortzusetzen, und um sich diese Zeit zu verschaffen, mußte er die Fragen dieses Monitors ausführlich und zufriedenstellend beantworten. Wenn Baby wieder zu schreien anfing, würde er das nicht tun können.

„… für Ihre Unterstützung“, sagte der Major trocken. „Erst möchte ich eine Erklärung für Ihren plötzlichen Persönlichkeitswechsel.“

„Ich langweilte mich“, sagte O’Mara. „Hatte nicht genug zu tun. Vielleicht war ich auch ein wenig durchgedreht. Aber der Hauptgrund, daß ich mich so unbeliebt machte, war, daß es hier einen Job gab, den ein netter Junge einfach nicht schaffte. Ich habe eine Menge studiert und halte mich für einen ziemlich guten Psychologen…“

Und dann kam plötzlich die Katastrophe. O’Maras Ellbogen glitt aus, als er nach dem Seil an der Decke griff, und er krachte aus einer Entfernung von zweieinhalb Fuß auf den Boden. Bei drei G entsprach das einem Fall aus zwei, Meter Höhe. Zum Glück trug er einen schweren Anzug und gepolsterten Helm, so daß er die Besinnung nicht verlor. Aber er schrie auf und hielt sich instinktiv am Seil fest, als er stürzte.

Das war sein Fehler.

Ein Gewicht stürzte, das andere schoß zu weit in die Höhe. Es traf krachend gegen die Decke und lockerte die Klammer, die das leichte Metallgitter mit dem Gewicht trug. Das ganze Gebilde stürzte bei vier G auf das Baby herunter. In seinem benommenen Zustand konnte O’Mara sich die Wucht des Aufpralls nicht vorstellen — ob das mehr als der gewöhnliche Klaps war, vielleicht soviel wie ein kräftiger Schlag auf das Hinterteil oder etwas viel Gefährlicheres. Das Baby war nachher jedenfalls sehr ruhig, und das machte ihm Sorgen.

„… zum drittenmal“, schrie der Monitor, „was zum Teufel geht dort vor?“

O’Mara murmelte etwas, was er selbst nicht verstand. Dann mischte Caxton sich ein.

„Irgend etwas stimmt dort nicht, und ich wette, es hat mit dem Baby zu tun! Ich gehe hinüber und sehe nach.“

„Nein, warten Sie!“ sagte O’Mara verzweifelt. „Geben Sie mir sechs Stunden…“

„Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen“, erklärte Caxton.

„Caxton!“ schrie O’Mara, „wenn Sie durch meine Luftschleuse kommen, bringen Sie mich um! Ich öffne die innere Pforte, und wenn Sie die äußere öffnen, bläst meine Luft hinaus. Dann verliert der Major seinen Gefangenen.“

Plötzlich herrschte Schweigen und dann:

„Wofür wollen Sie denn sechs Stunden?“ fragte der Monitor.

O’Mara versuchte, den Kopf zu schütteln, um klarer denken zu können, aber jetzt wog er dreimal so viel wie normal! Wofür wollte er wirklich sechs Stunden? Er sah sich um und dachte nach. Die „Spritzpistole“ und der daran angeschlossene Wassertank waren durch den Sturz des Gewichts demoliert. Er konnte seinen Pflegling weder füttern noch waschen — es blieb ihm also nur, sechs Stunden auf ein Wunder zu warten.

„Ich komme hinüber“, sagte Caxton starrköpfig.

„Das tun Sie nicht“, sagte der Major immer noch höflich, aber bestimmt. „Ich will dieser Sache auf den Grund gehen. Sie warten draußen, bis ich allein mit O’Mara gesprochen habe. Und jetzt, O’Mara, möchte ich wissen, was bei Ihnen vorgeht!“

Wieder flach auf dem Rücken liegend, kämpfte O’Mara um seinen Atem, um weiterreden zu können. Er hatte entschieden, daß es am besten sein würde, dem Monitor die volle Wahrheit zu sagen und ihn dann zu bitten, ihm auf die einzige Weise zu helfen, durch die sich vielleicht auch das Baby retten ließ — indem er ihn sechs Stunden lang allein ließ. Aber O’Mara war jetzt völlig zerschlagen und sah so schlecht, daß er manchmal nicht wußte, ob er die Augen offen oder geschlossen hatte. Er sah, wie jemand dem Major einen Zettel hinhielt, aber Craythorne las ihn nicht, bis O’Mara zu Ende gesprochen hatte.

„Sie sitzen ziemlich in der Tinte“, meinte er schließlich. Einen Augenblick glaubte O’Mara so etwas wie Mitgefühl in seinen Augen zu lesen, aber dann strafte Craythornes Stimme diesen Eindruck Lügen.

„Normalerweise würde ich Ihrem Vorschlag folgen und Ihnen diese sechs Stunden bewilligen. Schließlich haben Sie das Buch und wissen mehr als wir. Aber die Situation hat sich in den letzten paar Minuten verändert. Ich habe gerade erfahren, daß zwei Hudlarer eingetroffen sind, einer von ihnen ist Arzt. Geben Sie es auf, O’Mara. Sie haben es versucht, aber jetzt überlassen Sie es den Fachleuten, die Situation zu retten. Um des Babys willen“, fügte er hinzu.


Drei Stunden später. Caxton, Waring und O’Mara saßen dem Major gegenüber. Craythorne war gerade hereingekommen.

„Ich werde die nächsten paar Tage sehr beschäftigt sein. Wir müssen diese Angelegenheit also schnell erledigen“, begann er. „Zuerst der Unfall. O’Mara, Ihre Verteidigung hängt völlig davon ab, ob Waring Ihre Aussage bestätigt. Mir scheint, Sie haben sich die Sache ziemlich gut überlegt. Warings Aussage habe ich schon gehört, aber aus Neugierde möchte ich gern wissen, was Sie glauben, daß er gesagt hat?“

„Er hat meine Aussage bestätigt“, sagte O’Mara müde. „Er hatte keine andere Wahl.“

Er blickte auf seine Hände und mußte immer noch an das kranke Baby denken, das er in seinem Zimmer zurückgelassen hatte. Immer wieder versuchte er, sich einzureden, daß er nicht für das Geschehene verantwortlich war, aber tief in seinem Innern spürte er, daß das Baby jetzt unversehrt gewesen wäre, wenn er früher mit der Druckbehandlung begonnen hätte. Das Ergebnis der Nachforschungen über den Unfall interessierte jetzt überhaupt nicht und auch die Geschichte mit Waring nicht.

„Warum glauben Sie, daß er keine andere Wahl hatte?“ fragte der Monitor drängend.

Caxtons Mund stand offen, und er sah sich verwirrt um. Waring wich O’Maras Blick aus und begann rot zu werden.

„Als ich hierherkam“, begann O’Mara ausdruckslos, „suchte ich einen zweiten Job, um meine Freizeit auszufüllen, und da verfiel ich auf Waring. Er ist der Grund dafür, daß ich mich so unbeliebt machte, anders konnte ich ihm nicht helfen. Aber um das zu verstehen, müssen wir etwas weiter zurückgehen. Wegen dieses Unfalls am Energiemeiler“, fuhr O’Mara fort, „waren alle Männer dieses Abschnitts sehr in Warings Schuld — Sie haben inzwischen ja sicher von der Sache gehört. Waring selbst war übel dran. Körperlich ist er unter dem Durchschnitt — er brauchte Spritzen, um seinen Blutdruck aufzubauen. Er war gerade stark genug, um seine Schalter betätigen zu können, und er erging sich im übrigen in lauter Selbstmitleid. Psychologisch war er ein Wrack; trotz aller Versicherungen Pellings war er davon überzeugt, unter gefährlicher Anämie zu leiden. Er glaubte auch, daß er seit dem Unfall steril sei — auch das gegen die Aussage des Arztes. Und aus dieser Überzeugung heraus benahm er sich so, daß er jedem normalen Menschen einfach auf die Nerven gehen mußte — dabei war die ganze Geschichte nur Einbildung. Ihm fehlte überhaupt nichts. Als ich sah, wie die Dinge standen, fing ich an, mich jedesmal über ihn lustig zu machen, wenn ich ihn sah. Ich habe ihn gepeinigt bis aufs Blut. Also sehe ich die Dinge so, daß er gar keine andere Wahl hatte, als meine Aussage zu bestätigen. Das erforderte einfach die Dankbarkeit.“

„Langsam fange ich an zu begreifen“, sagte der Major. „Nur weiter.“

„Die Männer um ihn herum standen alle sehr in seiner Schuld“, fuhr O’Mara fort. „Aber anstatt vernünftig von Mann zu Mann mit ihm zu reden, überhäuften sie ihn mit ihrer Sympathie. Sie ließen ihn jedesmal bei Prügeleien gewinnen, desgleichen beim Kartenspielen oder was auch sonst immer, und behandelten ihn, als wäre er etwas Besonderes. Ich tat nichts dergleichen. Jedesmal, wenn er lispelte oder stotterte oder sich in irgendeiner Sache ungeschickt benahm — ob das nun einen natürlichen oder einen eingebildeten Grund hatte — hackte ich auf ihm herum. Vielleicht war ich manchmal zu grausam, aber vergessen Sie nicht, daß ich ein Mann war, der all den Schaden ungeschehen machen wollte, den fünfzig andere angerichtet hatten. Natürlich konnte er mich nicht ausstehen, aber er wußte immer genau, wie er mit mir dran war. Und ich habe ihm nie etwas geschenkt. Die wenigen Male, wo er mir überlegen war, hatte er wirklich aus eigener Kraft gewonnen — im Gegensatz zu seinen Freunden, die sich von ihm in allem schlagen ließen und so seine Überlegenheit sinnlos machten. Und das wußte er.

Es war genau das, was er brauchte — jemand, der ihn als gleichberechtigt behandelte und ihm nichts schenkte. Und als dann diese Geschichte kam“, schloß O’Mara, „war ich ziemlich sicher, daß er einsehen mußte, was ich für ihn getan hatte — bewußt wie auch unbewußt —, und diese einfache Dankbarkeit neben der Tatsache, daß er im Grunde ein anständiger Kerl ist, waren für mich die Gewähr, daß er die Wahrheit sagen würde. Habe ich recht?“

„Ja“, nickte der Major. Er hielt inne, um Caxton abzuwehren, der protestierend aufgesprungen war, und fuhr dann fort: „Und das bringt uns zu dem FROB-Säugling. Offenbar zog sich das Baby eine der ungefährlichen, aber seltenen Krankheiten zu, die nur auf dem Heimatplaneten erfolgreich behandelt werden können.“ Craythorne lächelte plötzlich. „Das dachten Sie wenigstens bis vor ein paar Stunden. Jetzt erklären unsere hudlarischen Freunde, daß die richtige Behandlung bereits von Ihnen eingeleitet wurde und daß sie jetzt nur noch ein paar Tage zu warten brauchen, bis der Kleine wieder völlig hergestellt sein wird. Aber sie sind Ihnen sehr böse, O’Mara“, fuhr der Monitor fort. „Sie sagen, Sie hätten ein besonderes Gerät zum Streicheln und Besänftigen des Kindes aufgebaut und das viel öfter als wünschenswert benutzt. Das Baby ist überfüttert und maßlos verzogen, sagen sie, so sehr, daß es im Augenblick Menschen Mitgliedern seiner eigenen Spezies vorzieht…“

Plötzlich schlug Caxton auf den Tisch.

„Ihr werdet ihm das doch nicht durchgehen lassen!“ schrie er mit rotem Gesicht. „Waring weiß ja nicht, wovon er redet…“

„Mr. Caxton“, sagte der Monitor scharf, „alle Beweise, die uns zugänglich sind, deuten darauf hin, daß Mr. O’Mara keine Schuld trifft, sowohl was den Unfall als auch was seine Pflege des Säuglings angeht. Aber ich bin noch nicht ganz mit ihm fertig. Vielleicht würden Sie beide daher so freundlich sein und mich mit ihm allein lassen…“

Caxton stürmte hinaus, langsam gefolgt von Waring.

Dieser blieb an der Tür stehen, drehte sich um und warf O’Mara drei nicht wiederzugebende Worte an den Kopf, grinste und ging hinaus. Der Major seufzte.

„O’Mara“, sagte er streng. „Sie sind wieder einmal einen Job los. Ich gebe zwar in der Regel keine Ratschläge, die man nicht von mir verlangt, aber diesmal möchte ich Sie doch an ein paar Dinge erinnern. In einigen Wochen werden der Stab und das Personal dieses Hospitals eintreffen, und sie werden aus praktisch allen bekannten Spezies der Galaxis bestehen. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß zwischen ihnen keine Reibungen entstehen und sie am Ende als Team zusammenarbeiten. Dafür gibt es keine geschriebenen Regeln, aber meine Vorgesetzten sagten mir, ehe sie mich hierherschickten, daß man dazu einen guten praktischen Psychologen braucht, einen Mann mit viel gesundem Menschenverstand, einen Mann, der sich nicht davor scheut, auch einmal ein Risiko einzugehen. Ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, daß zwei Psychologen noch besser wären…“

O’Mara hörte zwar zu, dachte aber hauptsächlich an dieses Grinsen Warings, das er gerade gesehen hatte. Das Baby und Waring waren jetzt in Ordnung, das wußte er, und in seinem augenblicklichen Hochgefühl der Freude konnte er niemand etwas abschlagen. Aber offenbar hatte der Major seinen Gesichtsausdruck falsch verstanden.

„… verdammt, ich biete Ihnen einen Job an! Sie passen hierher, sehen Sie das nicht ein? Das ist ein Hospital, Mann, und Sie haben Ihren ersten Patienten geheilt…!“

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