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Sie landeten sanft am Rande des Sees. Arretapec sagte Conway, er wolle sich ein paar Minuten scharf konzentrieren und bat ihn, sich deshalb ruhig zu verhalten. Nach ein paar Sekunden empfand Conway irgendwo im Ohr einen Juckreiz, widerstand jedoch mannhaft dem Drang, sich zu kratzen, sondern konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit auf die Oberfläche des Sees.

Plötzlich durchbrach ein großer, bergartiger, graubrauner Körper die Oberfläche, und ein langer, sich nach vorne zu verjüngender Hals und ein ebenso langer Schweif peitschten die Wellen. Einen Augenblick dachte Conway, das große Tier wäre einfach wie ein Gummiball an die Oberfläche geschnellt, überlegte dann aber, daß das Monstrum sich vermutlich vom Boden abgestoßen hatte und dadurch den gleichen Effekt erzielt hatte. Immer noch mit Hals, Schweif und vier massiven, säulenartigen Beinen wie wild um sich schlagend, erreichte das riesige Reptil das Ufer des Sees, um von dort aus auf oder besser in den Schlamm zu trampeln, da es bis zu den Kniegelenken einsank. Conway schätzte, daß besagte Kniegelenke mindestens zehn Fuß vom Boden entfernt waren und daß der dickste Durchmesser des großen Leibes etwa sechs Meter betrug und das Scheusal von Kopf bis Schweifende gut über dreißig Meter maß. Sein Gewicht schätzte er auf etwa achtzigtausend Pfund. Es besaß keinen natürlichen Körperpanzer, aber das äußerste Ende seines Schweifs, der für ein so schweres Glied überraschend beweglich war, lief in eine knochenartige Verdickung aus, aus der zwei bösartig aussehende, nach vorn gekrümmte Knochenspitzen herausragten.

Das riesige Reptil wühlte den Schlamm in sichtlicher Erregung auf. Dann fiel es abrupt auf die Knie, und sein großer Hals krümmte sich nach innen, bis der Kopf unter dem Leib verschwand.

„Es hat schreckliche Angst“, sagte Arretapec. „Diese Umweltbedingungen sind ihm fremd.“

Conway konnte das dem Tier nachfühlen.

„Ist der geistige Zustand des Patienten für Ihre Arbeit wichtig?“ fragte Conway.

„Sogar in sehr starkem Maße“, sagte Arretapec.

„Dann sollten wir zuerst dafür sorgen, daß er sich etwas wohler fühlt“, meinte Conway und kauerte sich nieder. Er nahm eine Probe des Seewassers, des Schlamms und ein paar Teile der herumliegenden Vegetation. Schließlich richtete er sich auf und fragte:

„Haben wir sonst hier noch etwas zu tun?“

„Ich kann im Augenblick gar nichts tun“, antwortete Arretapec. Die übersetzte Stimme klang natürlich ton- und gefühllos, aber Conway glaubte, ihr trotzdem zu entnehmen, daß Arretapec schwer enttäuscht war.

An der Eingangsschleuse der Station angekommen, eilte Conway auf den Speisesaal für warmblütige, sauerstoffatmende Lebewesen zu. Er hatte Hunger.

Die meisten seiner Kollegen waren im Saal — DBLF-Raupen, erdmenschliche DBGDs wie er selbst, und der große, elefantenartige Tralthaner — Klassifikation FGLI — der mit dem kleinen OTSB, der mit ihm in Symbiose lebte, auf dem besten Wege war, in die erhabene Klasse der Diagnostiker befördert zu werden. Anstatt sich aber an der allgemeinen Unterhaltung zu beteiligen, konzentrierte Conway sich darauf, soviel wie möglich über den Herkunftsplaneten seines Reptilpatienten zu erfahren.

Um die Unterhaltung zu erleichtern, hatte er Arretapec aus dem Plastikbehälter genommen und ihn zwischen die Kartoffeln und die Soßenschüssel auf den Tisch gestellt. Am Ende der Mahlzeit stellte Conway erschreckt fest, daß das Wesen ein Loch in den Tisch gebohrt hatte.

„Wenn ich in Gedanken bin“, erklärte Arretapec auf Conways erschreckte Frage, „verläuft bei uns der Nahrungsaufnahme- und verdauungsprozeß automatisch und unbewußt. Wir betrachten das Essen nicht als Vergnügen, wie Sie das offenbar tun, da es unsere Denkprozesse trüben würde. Aber wenn ich Schaden angerichtet habe…?“

Conway versicherte dem Kleinen schnell, daß unter den gegebenen Umständen ein Plastiktischtuch relativ wertlos war und verließ schleunigst den Saal. Daß das Küchenpersonal darüber anderer Meinung sein würde, erklärte er Arretapec lieber nicht.

Nach dem Essen holte sich Conway die Analyse seiner Testmuster und begab sich dann zum Büro des Leiters der Pionierabteilung. Er fand dort einen der nidianischen Teddybären mit einem goldgesäumten Armband sowie einen Erdmenschen in Monitorgrün, dessen Kragen die Rangabzeichen eines Oberst und den stilisierten Blitz des Ingenieurkorps trug. Conway schilderte ihnen die Situation und seine Wünsche.

„Das läßt sich machen“, sagte der rote Teddybär, nachdem sie gemeinsam Conways Skizze untersucht hatten, „aber…“

„O’Mara hat gesagt, Kosten spielen keine Rolle“, unterbrach Conway.

„In diesem Fall können wir es machen“, erklärte der Monitoroberst und nickte. „Transporter, um das Zeug von seinem Heimatplaneten zu holen — das ist auf lange Sicht gesehen billiger und schneller, als die Nahrung hier synthetisch zu erzeugen. Und dann brauchen wir zwei Kompanien der Ingenieursabteilung mit Robotern, um aus dem Schiff ein gemütliches Heim für Ihren Patienten zu machen — beim erstenmal hatten wir nur zwanzig Leute.“ Seine Augen verengten sich, und man sah ihm an, daß er eine Berechnung anstellte. Und dann kam die Antwort: „Drei Tage.“

An der nächsten Tür war ein Schild mit der Aufschrift „Leitender Diätologe — Spezies DBGD, DBLF und FGLI, Dr. K. W. Hardin“, befestigt. Als Conway eintrat, hob Dr. Hardin seinen weißhaarigen Kopf und fuhr ihn an:

„Was haben Sie denn für Kummer…?“

Conway war zwar von Dr. Hardin sehr beeindruckt, empfand für ihn auch großen Respekt, hatte jedoch keine Angst mehr vor ihm. Der Chefdiätologe war ein Mann, der Fremden gegenüber äußerst charmant sein konnte, das wußte Conway. Zu Leuten dagegen, die er kannte, pflegte er meist recht ruppig zu sein, und Freunden gegenüber war er ausgesprochen unhöflich. Conway versuchte, sein Problem in so wenig Worte wie möglich zu fassen.

„Sie meinen, ich soll das ganze Zeug, das das Tier aufgefressen hat, noch einmal neu pflanzen, damit es glaubt, es sei natürlich gewachsen?“ unterbrach ihn Hardin einmal. „Was, zum Teufel, glauben Sie eigentlich, wer ich bin? Und wieviel frißt denn diese dreckige Kuh überhaupt?“

Conway nannte die Zahlen, die er ermittelt hatte.

„Dreieinhalb Tonnen Palmblätter pro Tag!“ brüllte Hardin und sprang auf. „Und zarte grüne Schößlinge… Großer Gott im Himmel! Und da sagt man immer, Diätetik sei eine exakte Wissenschaft. Dreieinhalb Tonnen Blätter. Ha…!“

Sie verließen Hardin. Conway wußte, daß alles planmäßig ablaufen würde, denn der Diätologe war bis zum Ende unfreundlich geblieben.

Dem VUXG erklärte Conway, daß Hardin keineswegs Schwierigkeiten gemacht habe, es habe nur so geklungen. Er sei ebenso hilfsbereit gewesen wie die beiden anderen. Arretapec antwortete, daß Angehörige derart unreifer und kurzlebiger Rassen sich ja naturgemäß wie Wahnsinnige benehmen müßten.

Dann folgte ein zweiter Besuch bei ihrem Patienten. Diesmal brachte Conway einen Gravitationsgürtel mit und war so mit von Arretapecs Teleportationskünsten unabhängig. Sie schwebten über dem großen Fleisch- und Knochenberg herum, aber Arretapec berührte das Tier nie. Nichts geschah, nur daß der Patient wieder Zeichen von Erregung zeigte und Conway den Juckreiz im Ohr empfand. Er warf einen Blick auf die Skala an seinem Unterarm, um zu sehen, ob sich irgendein Fremdkörper in seinem Blutkreislauf befand, aber alles war normal. Vielleicht war er Dinosauriern gegenüber nur allergisch.

Wieder im Hospital angekommen, stellte Conway fest, daß er so häufig und kräftig gähnen mußte, daß er Angst hatte, sich den Unterkiefer zu verrenken. Erst jetzt wurde ihm klar, daß er einen anstrengenden Tag hinter sich hatte. Arretapec war der Begriff Schlaf völlig fremd, aber das Wesen hatte keinerlei Einwendungen, wenn Conway schlief, sofern das für sein Wohlbefinden nötig war. Conway versicherte ihm ernsthaft, daß das sehr wohl der Fall sei und begab sich auf dem schnellsten Weg in seine Kabine.

Eine Weile beunruhigte ihn die Frage, was er mit Dr. Arretapec tun sollte. Der VUXG war eine wichtige Persönlichkeit. Er konnte ihn nicht gut in einen Schrank oder irgendwo in eine Ecke stellen, obwohl das Wesen dort keinerlei Unbequemlichkeit empfunden hätte. Ebensowenig konnte er ihn aber die Nacht über hinausstellen, ohne seine Gefühle zu verletzen — zumindest wären in umgekehrter Lage seine Gefühle verletzt worden. Er wollte, O’Mara hätte ihm diesbezügliche Anweisungen gegeben. Schließlich stellte er das Wesen auf seinen Schreibtisch und vergaß es.

Arretapec mußte in dieser Nacht tief nachgedacht haben, denn am Morgen fand Conway ein drei Zoll tiefes Loch in der Tischplatte.

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