Nachdem O’Mara vielleicht zwei Stunden in dem Buch geschmökert hatte, das Pelling ihm geschickt hatte, wußte er etwas mehr über die Pflege hudlarischer Babys, und dieses Wissen brachte ihm zugleich Erleichterung und Verzweiflung.
Offenbar waren sein Tobsuchtsanfall und die Schläge, die er dem Baby versetzt hatte, gut gewesen — FROB-Babys wollten dauernd gehätschelt werden, und wenn man bedachte, welche Kraft ein erwachsener FROB aufwendete, um seinem Sprößling einen liebevollen Klaps zu verabreichen, so mußte O’Maras wütender Angriff wirklich nur ein sehr schwacher Klaps gewesen sein. Aber das Buch warnte auch vor den Gefahren der Überfütterung, und in dieser Hinsicht fühlte O’Mara sich schuldig. Offenbar war es üblich, Babys während ihrer Wachperiode alle fünf oder sechs Stunden zu füttern und sie im übrigen zu beruhigen — also mit Schlägen. Außerdem schien es, daß junge FROBs in ziemlich kurzen Abständen gebadet werden mußten.
Auf ihrem Heimatplaneten bedeutete das eine Art Sandstrahlbehandlung, aber O’Mara vermutete, daß dies wegen der Dichte und des Drucks der Atmosphäre nötig war. Das nächste Problem, das er lösen mußte, war, wie er einen kräftigen und eindrucksvollen Klaps verabreichen sollte. Er zweifelte stark daran, ob er jedesmal einen Tobsuchtsanfall zuwege bringen würde, wenn das Baby sein Äquivalent von Mutterliebe benötigte.
Aber er würde wenigstens genügend Zeit haben, sich etwas zu überlegen, denn, wie er in dem Buch gelesen hatte, pflegten junge FROBs zwei Tage wach zu sein und anschließend fünf Tage zu schlafen.
Während der ersten fünf Tage Schlafperiode überlegte sich O’Mara Methoden, um seinen Schützling zu streicheln und zu baden, und er hatte sogar noch zwei Tage frei, um sich selbst zu entspannen und seine Kräfte für die zwei Tage Schwerarbeit zu sammeln, die nach dem Erwachen des hoffnungsvollen FROB vor ihm lagen. Für einen Mann von gewöhnlicher Konstitution wäre das eine Tortur gewesen, aber O’Mara stellte nach den ersten zwei Wochen dieser Routine fest, daß er sich daran gewöhnte. Nach vier Wochen war sein Bein wieder normal zu gebrauchen, und Baby machte ihm überhaupt keine Sorgen mehr.
Draußen näherte sich das Projekt der Vollendung. Das ungeheure dreidimensionale Puzzlespiel war fertig, wenn man von ein paar unbedeutenden Stücken am Rand absah. Ein Beamter des Monitor-Korps war eingetroffen und stellte Fragen — offenbar befragte er jeden einzelnen, mit Ausnahme O’Maras.
Er fragte sich immer wieder, ob wohl auch Waring verhört worden war und wenn ja, was der Traktorstrahlmann gesagt hatte. Der Inspektor war Psychologe, im Gegensatz zu den normalen Ingenieuroffizieren, die bereits am Projekt tätig waren. Vermutlich war der Mann ein Könner in seinem Fach. O’Mara hielt sich selbst auch nicht gerade für einen Schwachkopf; er hatte sich die Sachlage gründlich überlegt und sollte eigentlich wegen des Ausgangs der Untersuchungen des Monitors keine Sorge haben. Aber natürlich hing alles davon ab, was Waring dem Mann erzählte.
Am Anfang der sechsten Woche seiner Rolle als Babypfleger — er las gerade in einem Buch über die eigenartigen und wunderbaren Krankheiten nach, die FROB-Babys oft befielen — meldete ihm sein Schleusensignal einen Besucher. Er stand schnell von der Couch auf und bemühte sich dreinzusehen, als gäbe es auf der ganzen Welt keine Sorgen für ihn.
Aber es war nur Caxton.
„Ich habe den Monitor erwartet“, sagte O’Mara.
Caxton knurrte nur. „Noch nicht dagewesen, was? Vielleicht meint er, das wäre nur Zeitverschwendung. Nach allem, was wir ihm erzählt haben, hält er den Fall für abgeschlossen. Wenn er hierherkommt, wird er Handschellen mitbringen.“
O’Mara sah ihn nur an. Er war stark versucht, Caxton zu fragen, ob der Monitor Waring bereits verhört hätte, widerstand aber der Versuchung.
„Der Grund meines Kommens“, fuhr Caxton barsch fort, „ist die Geschichte mit dem Wasser. Das Magazin berichtet mir, daß Sie etwa die dreifache Wassermenge angefordert haben, die Sie normalerweise verbrauchen können. Bauen Sie sich hier ein Aquarium oder so etwas?“
O’Mara vermied es bewußt, eine direkte Antwort zu geben. „Es ist gerade Zeit für Babys Bad“, meinte er stattdessen. „Möchten Sie zusehen?“
Er bückte sich, löste eine Fliese aus dem Boden und griff darunter.
„Was tun Sie da?“ herrschte Caxton ihn an. „Das sind die Schwerkraftgitter, die dürfen Sie nicht berühren!“
Plötzlich kippte der Boden um dreißig Grad. Caxton taumelte gegen eine Wand und fluchte. O’Mara richtete sich auf, öffnete die innere Pforte der Luftschleuse und ging dann — man hatte jetzt den Eindruck des Bergaufgehens — auf die Schlafkammer zu. Caxton, der immer noch darauf bestand, daß O’Mara weder befugt noch genügend qualifiziert sei, um die Einstellung des künstlichen Schwerefelds zu verändern, folgte ihm.
Drinnen sagte O’Mara:
„Das ist der zweite Nahrungssprüher. Seine Düse ist etwas abgeändert, und man kann damit jetzt einen Hochdruckstrahl Wasser ›abschießen‹.“ Er richtete das Instrument auf Baby und begann zu demonstrieren, indem er eine kleine Fläche auf der Haut des FROB-Jungen behandelte. Der Gegenstand der Demonstration war im Augenblick damit beschäftigt, die Überreste eines von O’Maras Stühlen in eine völlig unkenntliche Form zu bringen.
Er nahm die Menschen um sich überhaupt nicht wahr.
„Sie sehen die Hautstelle, wo das Nahrungskonzentrat sich verhärtet hat“, fuhr O’Mara fort. „Diese Stelle muß regelmäßig gewaschen werden, denn sie verstopft sonst den Absorptionsmechanismus. Das macht junge Hudlarer sehr unglücklich und — äh — laut…“
O’Mara verstummte. Er sah, daß Caxton den Kleinen überhaupt nicht ansah, sondern das Wasser beobachtete, das von seiner Haut abprallte und über den jetzt schräg geneigten Boden in die offene Luftschleuse floß. Und das war auch ganz gut so, denn O’Maras Wasserstrahl hatte jetzt eine Stelle in der Haut des Kleinen entdeckt, deren Farbe und Struktur ihm völlig neu waren. Wahrscheinlich brauchte er sich darüber keine Sorgen zu machen, aber es war doch besser, wenn Caxton nichts bemerkte und keine Fragen stellte.
„Was ist das dort oben?“ fragte Caxton und deutete zur Decke.
Um dem Kleinen seine Liebkosungen zuteil werden zu lassen, hatte O’Mara ein System von Hebeln, Flaschenzügen und Gegengewichten aufgebaut, das er an der Decke befestigt hatte. Er war ziemlich stolz auf seine Erfindung; er konnte damit einen kräftigen Klaps austeilen — einen Schlag, der einen Menschen auf der Stelle getötet hätte. Er bezweifelte aber stark, ob Caxton dafür Verständnis haben würde. Wahrscheinlich würde der Abschnittsleiter vielmehr der Ansicht sein, daß er das Baby quälte und aus diesem Grunde den weiteren Gebrauch des Gerätes verbieten.
O’Mara sah sich nicht um, sondern antwortete über die Schulter:
„Nur ein Flaschenzug.“
Er wischte die feuchten Stellen auf dem Boden mit einem Tuch auf, das er dann in die jetzt zur Hälfte mit Wasser gefüllte Luftschleuse warf. Seine Sandalen und sein Overall waren naß, und so warf er sie ebenfalls hinein. Dann schloß er die innere Pforte und öffnete die äußere. Während das Wasser im Vakuum draußen verkochte, schaltete er die Schwerkraftgitter zurück, so daß der Boden wieder eben und die Wände vertikal wurden, dann holte er sich seine Sandalen, den Overall und das Tuch, die jetzt knochentrocken waren.
„Sie scheinen ja alles hervorragend organisiert zu haben“, sagte Caxton zögernd, während er sich den Helm überstülpte. „Wenigstens kümmern Sie sich besser um den Kleinen als Sie sich um seine Eltern gekümmert haben. Sorgen Sie nur dafür, daß es so bleibt.
Der Monitor kommt übrigens morgen um neun Uhr zu Ihnen“, fügte er hinzu und ging hinaus.
O’Mara kehrte schnell in die Schlafkammer zurück, um sich die verfärbte Stelle auf Babys Rücken anzusehen. Sie war von hellbläulicher Farbe, und an dieser Stelle hatte sich auch die Haut, die sonst glatt und beinahe stahlhart war, verändert. Hier wirkte sie wie Hammerschlaglack. O’Mara rieb die Stelle leicht, worauf der FROB seine Tentakeln verdrehte und ein Geräusch von sich gab, das fragend klang.
„Ich auch nicht“, sagte O’Mara geistesabwesend. Er erinnerte sich nicht, über Derartiges gelesen zu haben, aber schließlich hatte er das Buch ja noch nicht ganz beendet. Je eher er das tat, desto besser.
Die wichtigste Verständigungsmethode zwischen Wesen verschiedener Spezies war, einen Translator zu benutzen, der auf elektronischem Wege alle sinnvollen Laute sortierte und klassifizierte, und sie dann in der Sprache seines Benutzers reproduzierte. Eine andere Methode, die gebraucht wurde, wenn eine große Zahl exakter Daten mehr subjektiver Art weitergeleitet werden mußte, war das System der Trainingsbänder. In diesem Falle wurden auf körperlichem Wege alle Sinneseindrücke, das gesamte Wissen und die Persönlichkeit eines Wesens in den Geist eines anderen übertragen. Weit davon entfernt, an dritter Stelle in der Rangliste der Popularität und Genauigkeit, war die geschriebene Sprache, die etwas hochtrabend „Universal“ genannt wurde.
Universal nützte nur Wesen mit Gehirnen, die mit optischen Empfängern gekoppelt waren, die mit Markierungen auf einer ebenen Oberfläche etwas anzufangen wußten — kurz gesagt also, mit bedruckten Seiten. Während es viele Spezies mit dieser Fähigkeit gab, deckte sich doch die Farbauffassung der einzelnen Spezies überhaupt nicht miteinander. Ein für O’Maras Auge blau erscheinender Flecken mochte einem anderen Wesen gelbgrau bis purpurn erscheinen, und die Schwierigkeit bestand nun darin, daß vielleicht der Autor des Buches einer solchen Spezies angehören konnte.
Im Anhang gab es zwar eine Farbvergleichstabelle, aber O’Mara scheute die Mühe, dort nachzuschlagen.
Fünf Stunden darauf war er der Lösung des Rätsels noch nicht näher, und der blaugraue Flecken auf der Haut des FROB war zum beinahe Doppelten seiner ursprünglichen Größe angewachsen. O’Mara fütterte den Kleinen und fragte sich zugleich, ob das unter diesen Umständen richtig gehandelt war.
Dann machte er sich wieder an seine Studien. Nach dem Handbuch gab es buchstäblich Hunderte von leichten Krankheiten, denen junge Hudlarer unterworfen waren. Dieser Kleine war den Krankheiten einfach dadurch entgangen, weil er seine Nahrung aus einem Tank erhalten hatte, und nicht mit Bakterien in Berührung gekommen war, wie sie auf seinem Heimatplaneten so häufig waren. Wahrscheinlich war die ganze Krankheit nichts Komplizierteres als das hudlarische Äquivalent zu Masern, überlegte O’Mara, aber jedenfalls sah sie ernst aus. Bei der nächsten Fütterung war die Zahl der Flecken auf sieben angewachsen; sie besaßen jetzt eine dunklere blaue Farbe, und Baby selbst hörte nicht auf, sich mit seinen Tentakeln zu kratzen. Offenbar juckten die farbigen Flecken unerträglich. Mit diesem neuen Wissen wandte O’Mara sich wieder dem Buch zu.
Und dann fand er es plötzlich. Die Symptome wurden als rauhe, verfärbte Flecken auf der Oberhaut angegeben, wozu noch starker Juckreiz kam. Die Behandlung bestand darin, die gereizten Flecken einen nach dem anderen zu reinigen und es im übrigen der Natur zu überlassen, das ihre zu tun. Die Krankheit war in letzter Zeit auf Hudlar sehr selten geworden, und die Symptome tauchten mit dramatischer Plötzlichkeit auf, um ebenso schnell wieder zu verschwinden. Bei normaler Behandlung des Patienten, so stand in dem Buch zu lesen, war die Krankheit ungefährlich.
O’Mara begann, die Zahlen in seine eigenen Maßbegriffe zu übersetzen. So genau ihm das möglich war, ermittelte er, daß die farbigen Flecken bis auf etwa achtzehn Zoll anwachsen sollten. Er hatte mit bis zu zwölf Flecken dieser Art zu rechnen, ehe sie wieder verschwinden würden. Und das sollte in etwa sechs Stunden der Fall sein.
Er brauchte sich also gar keine Sorgen zu machen.